1/2023
S. 1–80, ART.-NR. 1–62
Jänner 2023
Herausgeber: Wilma Dehn, Gunter Mayr, Franz Schrank, Ulrich Torggler, Nikolaus Zorn
WIRTSCHAFTSRECHT
» Werner Doralt: 50 Jahre Bruttoschadenersatz inklusive USt – 50 Jahre „Fremdkörper“
» Jeannette Gorzala: Europäisches Haftungssystem für Künstliche Intelligenz-Systeme
» Lukas Lobnik: Geschäftsführerhaftung für DSGVO-Verstöße
» Raphael Toman/Klaus Winhofer: EuGH hebt öffentliche Einsicht ins Register wirtschaftlicher Eigentümer auf
ARBEITSRECHT
» Matthias Unterrieder/Dorothea Arlt: All-in-Gehälter: Anpassung wegen Elternteilzeit
» Martin Lanner: Entlassung wegen beharrlicher Pflichtverletzung
STEUERRECHT
» Karin Kufner/Helga Ruhdorfer-Grasl: Highlights aus dem Lohnsteuerrichtlinien-Wartungserlass 2022
» VwGH zu Stock Option für Vorstandsmitglied
» Helene Hayden/Tobias Hayden/Marco Thorbauer: Fremdübliche Miete bei Luxusimmobilien (Teil I)
Österreichische Post AG, PZ 08Z037669 P, LexisNexis, Trabrennstraße 2A, 1020 Wien, ISSN 1013-9486 rdw.lexisnexis.at
Berufung in der ZPO
Praxishandbuch & Nachschlagewerk
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Die Autor:innen: Dr. Konstantin Pochmarski
Mag. Alfred Tanczos
Mag.a Christina Kober, Bakk.
4., neu bearbeitete Auflage Preis: € 55,–Wien 2022 | 284 Seiten Best.-Nr. 87037004
ISBN 978-3-7007-7563-8
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Weil Vorsprung entscheidet.
Windfall Profits, Cherry Picking und die missbräuchliche Stornoklausel: Gupfinger locuta
»RdW 2023/1
Missbräuchliche Klauseln sind nach Art 6 Klausel-RL 93/13 „für den Verbraucher unverbindlich“. Dass er den Wortlaut ernst nimmt, hat der EuGH seit dem Banesto-leading case (C-618/10) wiederholt bewiesen: Die Klauseln entfallen ersatzlos, eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus, die Anwendung dispositiven Rechts ist nur ausnahmsweise zulässig, nämlich bei sonstiger Gesamtnichtigkeit des Vertrags, wenn diese für den Verbraucher besonders nachteilig wäre. Der EuGH stützt seinen Take-no-prisoners-Ansatz auf den Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts und die generalpräventiven Ziele der Klausel-RL. Man mag diese Akzentuierung öffentlicher Interessen im Privatrechtsverhältnis rechtspolitisch kritisieren. De lege lata lässt sich schwerlich leugnen, dass die in nicht weniger als 18 Urteilen entwickelte Effet-utile-Rechtsprechung des EuGH konsequent ist: Sie steht im Einklang mit dem Normzweck des AGB-Rechts, für das der europäische wie auch der österr Gesetzgeber aufgrund eines partiellen Marktversagens (kein „Konditionenwettbewerb“) eine echte Inhaltskontrolle vorgesehen haben. Dazu passt, dass das Verbraucherrecht – im Gegensatz zum ABGB – zwecks Praxiswirksamkeit ganz allgemein mit schematisch-pauschalierenden Lösungen arbeitet.
Die Entscheidung in der Causa Gupfinger (C-625/21) ist denn auch weniger in der Sache mit Spannung erwartet worden, als vielmehr deshalb, weil es sich um das erste Urteil zum österreichischen Recht handelt. Zugleich bot die präzise Vorlage des 4. Senats (4 Ob 131/21z) dem EuGH Gelegenheit, seine über weite Strecken im Kreditrecht entwickelte Rechtsprechung auf einen weniger komplexen, gleichsam „banalen“ Standardfall anzuwenden: Dem Verkäufer steht laut Haftungsklausel für den Fall eines unberechtigten Rücktritts des Käufers vom Vertrag wahlweise ein pauschalierter Schadenersatz iHv 20 % des Kaufpreises oder der Ersatz des verursachten Schadens zu. Ersteres verstößt gegen § 879 Abs 3 ABGB, Letzteres entspricht § 921 ABGB.
Die Entscheidung des EuGH fällt knapp aus und on point: Der Unternehmer kann – wie nach Dexia (C-229/19) – keine Entschädigung nach § 921 ABGB verlangen. Das gilt auch dann, wenn er sich gar nicht auf die Klausel stützt, sondern ausschließlich auf § 921 ABGB. Versuchen einer „geltungserhaltenden Klauselabgrenzung“ schiebt der EuGH einen Riegel vor: Die Klausel ist im Hinblick auf die Wahlmöglichkeit des Unternehmers insgesamt missbräuchlich und als Ganzes nichtig.
Spannend ist, dass der EuGH erstmals in aller Deutlichkeit klarstellt, dass die Klausel-RL keine „materielle Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien“ im Einzelfall anstrebt,
sondern auf eine überindividuelle, von den konkreten Vertragsparteien abstrahierte Ausgewogenheit abzielt, um der „Verwendung missbräuchlicher Klauseln mittels Abschreckung langfristig ein Ende zu setzen“. Ein windfall profit des individuellen Verbrauchers im Sinne einer gezielten Vorteilszuwendung ist folglich gewollt. Dieser einseitigen Konsequenz pro consumptore kommt letztlich reiner Sanktionscharakter zu.
Implizit ist daraus abzuleiten, dass die Nichtigkeit der Klausel nicht nur dazu führt, dass der unberechtigt zurücktretende Verbraucher von jeder Haftung befreit ist, sondern auch dazu, dass dem Unternehmer kein vertraglicher Erfüllungsanspruch gegen den Verbraucher zusteht. Dieser entspräche im Ergebnis dem vom EuGH abgelehnten Ersatz des positiven Interesses und würde die bezweckte Abschreckungswirkung vereiteln. Dem Verbraucher kommt maW ein kostenloses Stornorecht zu.
Klare Implikationen hat die Entscheidung schließlich für unzulässige Entgeltklauseln. Der 9. Senat (9 Ob 85/17s) hatte zum Partnervermittlungsvertrag bereits entschieden, dass dem Unternehmer für erbrachte Leistungen kein Ex-contractu-Anspruch auf ein „angemessenes Entgelt“ gem § 1152 ABGB zukommt. Offen blieb damals, ob dem Unternehmer stattdessen eine – inhaltsgleiche (§§ 1437, 1152 ABGB per analogiam) – bereicherungsrechtliche Abgeltung zusteht. Aufhorchen ließen hier zuletzt die Schlussanträge von GA Szpunar in der Rs C-395/21, der den Bereicherungsanspruch eines Rechtsanwalts nach Wegfall unzulässiger Honorarklauseln nicht als unanwendbares dispositives Recht anzusehen scheint, sondern als für den Verbraucher etwaig nachteilige Folge der Gesamtnichtigkeit. Im Lichte von Gupfinger scheidet jedenfalls ein Bereicherungsanspruch, der den vertraglichen Anspruch substituiert, zwingend aus.
Last but not least: Der OGH unterwirft in seinen rezenten „Fitnesscenter-Urteilen“ Kreditbearbeitungsgebühren der Inhaltskontrolle und geht damit „in unionsrechtlichem Lichte“ ausdrücklich von seiner bisherigen Rechtsprechung ab (4 Ob 59/22p). In der Sache qualifiziert er Sonderentgelte wie Service-, Verwaltungs- oder Bearbeitungspauschalen ohne konkreten Konnex zu einer Zusatzleistung und ohne konkreten Aufwand als gröblich benachteiligend, wenn sie nicht über das übliche, mit jeder Vertragsbegründung einhergehende Maß hinausgehen. Ein Paukenschlag. So dürfte Kreditbearbeitungsgebühren seit Lexitor zwar für Neuverträge kaum noch Bedeutung zukommen. Dass Kreditnehmer in der Vergangenheit gezahlte Gebühren binnen 30-jähriger Verjährungsfrist rückfordern können, dürfte aber spätestens mit Gupfinger auch in Österreich nicht mehr zweifelhaft sein.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 1 ART.-NR.: 1 EDITORIAL
Dr. Petra Leupold, LL.M. (UCLA), Leiterin VKI-Akademie
Foto: Ch. Skalnik
RdW 1/2023
41. Jahrgang, Jänner 2023
rdw.lexisnexis.at 2
EDITORIAL : Petra Leupold: Windfall Profits, Cherry Picking und die missbräuchliche Stornoklausel: Gupfinger locuta 1 GESETZGEBUNG 4 INFO AKTUELL – WIRTSCHAFTSRECHT 6 INFO AKTUELL – ARBEITS-, SOZIAL- UND STEUERRECHT 7 WIRTSCHAFTSRECHT Werner Doralt: 50 Jahre Bruttoschadenersatz inklusive USt – 50 Jahre „Fremdkörper“ 8 Jeannette Gorzala: Europäisches Haftungssystem für Künstliche Intelligenz-Systeme 11 Lukas Lobnik: Geschäftsführerhaftung für DSGVO-Verstöße 17 Raphael Toman/Klaus Winhofer: EuGH beendet öffentliche Einsicht ins Register der wirtschaftlichen Eigentümer 20 JUDIKATUR »GESELLSCHAFTSRECHT EuGH: Umwandlung in SE – AN-Beteiligung im AR 23 GmbH: Bezugsrecht auf neue Stammeinlagen – Mindestfrist 23 GmbH: Besitz der „Original-Abtretungsvereinbarung“ (Urschrift) 24 GmbH: Treugeber – kein Stimmrecht bei Beschlussfassung 24 »PRIVATSTIFTUNGSRECHT Haftung des Stiftungsvorstands – Verjährungsfrist 25 Mitstifter: Abweichen vom Einstimmigkeitsprinzip 25 »SCHULDRECHT Wirtschaftstreuhandberufe: Ungewöhnliche Klausel in AAB 2011 26 Haftung aus Finanzierungszusage 26 Erlag: Ausfolgung unter Bedingung (rk E über Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer) 27 »KAPITALMARKTRECHT EuGH: Verwaltung von Anlageprodukten – Vergütungspolitik 27 »VERSICHERUNGSRECHT Betriebsunterbrechungsversicherung: Betretungsverbot iZm COVID-19 28 Doppelversicherung – Subsidiaritätsklausel 28 Rechtsschutzversicherung: Ausschluss betreffend „sonstiges Wettbewerbsrecht“ 29 Rechtsschutzversicherung: kein ungewöhnlicher Risikoausschluss 29 »IMMATERIALGÜTERRECHT Marke: Einwand im Widerspruchsverfahren 30 Markenrecht versus Namensrecht 30 EuGH: Erschöpfung des Markenrechts bei wiederbefüllbarer Flasche 31 EuGH: Parallelimport von Arzneimitteln, Umpacken 31 EuGH: Kabelweiterverbreitung 33 »ZIVILPROZESSRECHT Zweiseitig geführtes Sicherungsverfahren 34
STEUERRECHT
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 3 INHALTSVERZEICHNIS »VERGABERECHT Vergabe: Rahmenvereinbarung ohne vorherige Bekanntmachung 34 EuGH: Einheitliche Europäische Eigenerklärungen (EEE) bei Gemeinschaftsunternehmen 35 »BEIHILFENRECHT Vorabentscheidungsersuchen: Landwirtschaft – Rückforderung einer Förderung 35 ARBEITSRECHT Matthias Unterrieder/Dorothea Arlt: All-in-Gehälter: Anpassung wegen Elternteilzeit 36 Martin Lanner: Entlassung wegen beharrlicher Pflichtverletzung 40 JUDIKATUR »ALLGEMEINES ARBEITSRECHT Einmalige Nachlässigkeit einer angestellten Ärztin stellt keinen Entlassungsgrund dar 42 Rechtzeitigkeit einer am Folgetag ausgesprochenen Entlassung nach einer Tätlichkeit gegen Kollegen 43 Entlassung nach Drohung mit Strafanzeige 44 KV-Bord: Unverschuldeter Lizenzverlust kein Entlassungsgrund 45 Betreuung früherer Kunden – kein unlauterer Wettbewerb 45 Erweiterter Kündigungsschutz nach dem KollV-Universitäten 45 Notwendige Einschulung in neuem Job begründet keine wesentliche Interessenbeeinträchtigung 45 Fortsetzungsantrag nach Unterbrechung des Kündigungsanfechtungsverfahrens 46 »SOZIALVERSICHERUNGSRECHT Schwerarbeit bei Ausübung mehrerer Tätigkeiten – alle Tätigkeiten sind zu berücksichtigen 46 Geschäftsführerhaftung für Beitragsschulden noch vor Eintragung im Firmenbuch 47 Geschäftsführerhaftung für Verzugszinsen von SV-Beiträgen 48 Ermittlungspflicht der Behörde bei behaupteten Meldeverstößen 48
Karin Kufner/Helga Ruhdorfer-Grasl: Highlights aus dem Lohnsteuerrichtlinien-Wartungserlass 2022 49 VwGH zu Stock Option für Vorstandsmitglied (Nikolaus Zorn) 58 VwGH zur Steuerpflicht bei Option auf ein Grundstück (Nikolaus Zorn) 60 Bereits Vermietungsabsicht verhindert ImmoESt-Herstellerbefreiung (Nikolaus Zorn) 61 Übertragung stiller Reserven bei Privatstiftungen (Nikolaus Zorn) 62 Helene Hayden/Tobias Hayden/Marco Thorbauer: Gequälte Suche nach der fremdüblichen Miethöhe bei Luxusimmobilien (Teil I) 64 »BLICK NACH DEUTSCHLAND Udo Eversloh: Die Funktionsverlagerungsverordnung 2022 74 REZENSIONEN 76
GESETZGEBUNG
» RdW 2023/2
bearbeitet von Sabine Kriwanek und Manfred Lindmayr
Aktuelle Gesetze und Gesetzesvorhaben
Stand: 3. 1. 2023
Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2022 (GesDigG 2022)
Umsetzung der Gesellschaftsrechtlichen DigitalisierungsRL 2019/1151
Änderung von EStG, UStG ua
ua betr steuerfreie Mitarbeitergewinnbeteiligung im Finanzbereich; Kleinunternehmerpauschalierung –Erhöhung der Umsatzgrenze; kein Abzugsverbot mehr für Leistungen im Rahmen von Sozialplänen; Maximalbetrag der Teuerungsprämie bei mehreren Arbeitgebern; Verlängerung der USt-Befreiung für COVID-19-Tests und -Impfungen; KESt-Abzug bei Kryptowährungen
EStG, UStG, Versicherungssteuergesetz, NEHG
überwiegend mit
1. 1. 2023
BGBl I 2022/194 AB 1784, 2892/A
Änderung des NSchG ua
Änderung des KBGG
Gesetz
Aussetzung der automatischen Erhöhung des Nachtschwerarbeits-Beitrages für 2023; Einführung einer zusätzlichen arbeitsfreien Entlastungswoche für über 43-jähriges Pflegepersonal
Anhebung der Zuverdienstgrenze beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld und bei der Beihilfe
Änderung des AVRAG Verlängerung der Sonderbetreuungszeit (Phase 8) für den Zeitraum 1. 1. 2023 bis 7. 7. 2023
Änderung MING, GewO 1994, ETG 1992, UWG
Änderung BiBuG 2014, WTBG 2017
Sicherstellung einer effizienten reaktiven und aktiven Marktüberwachung iSd VO (EU) 2019/1020; Schaffung der Voraussetzungen und Aufbau der Ressourcen (Personal, Wissensmanagement, Equipment udgl) für die Marktüberwachung im Bereich der zu ändernden Gesetzesmaterien im BEV
Beratung und Vertretung in Angelegenheiten der Förderungen nach dem Unternehmens-Energiekostenzuschussgesetz und der aufgrund des § 5 UEZG erlassenen Förderrichtlinien
Änderung ElWOG 2010 Versorgung nach Marktaustritt eines Lieferanten , Informationspflichten
ua Wertpapierfirmengesetz (WPFG)
Umsetzung der RL (EU) 2019/2034 [über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen…]; Wirksamwerden der VO (EU) 2019/2033 [über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen …]
NSchG, Art V des Bundesgesetzes BGBl 1992/473
1. 1. 2023
BGBl I 2022/214 AB 1812, IA 2997/A
KBGG1. 1. 2023 BGBl I 2022/225 AB 1851, IA 2980/A
AVRAG1. 1. 2023 BGBl I 2022/230 AB 1822, IA 3021/A
MING, GewO 1994, ETG 1992, UWG ua 28. 12. 2022
BGBl I 2022/204 AB 1729, RV 1673, 196/ME
BiBuG 2014 , WTBG 2017 31. 12. 2022
BGBl I 2022/232 AB 1895, 3011/A
ElWOG 201031. 12. 2022
WPFG, AIFMG, BWG, ESAEG, FKG, FMABG, InvFG 2011, BaSAG, WAG 2018
1. 2. 2023
BGBl I 2022/234 AB 1898, 2999/A
BGBl I 2022/237 AB 1815, RV 1757, 215/ME
rdw.lexisnexis.at 4 RdW 1/2023 ART.-NR.: 2
BezeichnungInhalt Betroff ene Normen (Geplantes) Inkraft treten Stand (BlgNR 27. GP)
UGB, FBG, GmbHG, AktG, SpaltG, GenG GGG
NEU
1. 12. 2022 BGBl I 2022/186 AA-300, AB 1760, 2893/A, 214/ME
ART.-NR.: 2
MaklergesetzÄnderungsgesetz (MaklerG-ÄG)
Vorschlag
StrompreiskostenAusgleichsgesetz 2022 (SAG 2022)
Einführung des „Erstauftraggeberprinzips“ für die Vermittlung von Wohnungsmietverträgen zugunsten von Wohnungssuchenden
Verringerung der Kostenbelastung von energieintensiven Unternehmen aufgrund hoher Strompreiskosten
HinweisgeberInnenschutzgesetz (HSchG) Umsetzung der RL 2019/1937/EU (Whistleblowing-RL)
Grace-Period-Gesetz
begleitende Kontrolle und Antrag auf Prüfung bei Übergabe im Familienverband („Begleitung einer Unternehmensübertragung“); Verwaltungsvereinfachung bei Betriebsübergaben im Gewerberecht; Entbürokratisierung und Kostensenkung im Bereich des Arbeitnehmerschutzes
GewO 1994, ASchG, BAO ua 1. 1. 2023149/ME – 23. 10. 2021
Terrorinhalte-Bekämpfungs-Gesetz (TIB-G)
wirksame Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte; Betrauung einer versierten Aufsichtsbehörde; Erlassung von Entfernungsanordnungen zur schnellstmöglichen Reaktion; Einführung eines abgestuften Sanktionskatalogs
TIB-G, KOG
1. 1. 2023, Tag nach Kundmachung im BGBl
234/ME – 10. 11. 2022
Änderung HIKrG und RAO
Begutachtung
Änderung PatV-EG, PatG, GMG, MarkSchG, MuSchG, PAG
Erleichterung der Kreditvergabe an ältere Personen; Klarstellung im Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz, unter welchen Voraussetzungen bei der Kreditwürdigkeitsprüfung der mögliche Tod der Verbraucherin/Verbraucher während der Vertragslaufzeit unberücksichtigt bleiben kann; Präzisierungen der RAO im Zuge der Umsetzung der RL (EU) 2018/958 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen
Ergänzende Bestimmungen betr Einheitspatente im nationalen Regelwerk für internationale Verträge auf dem Gebiet des Patentwesens; Erforderlichkeit der Angabe der Herkunft genetischer Ressourcen bzw Quelle von traditionellem Wissen bei betreffenden Patentanmeldungen; Verfahrensänderungen zur Beschleunigung bzw.Vereinfachung von patentamtlichen Verfahren; Anpassung des MarkSchG an die geänderten Bestimmungen der VO (EU) 1151/2012
HIKrG, RAO
1. 4. 2023, Tag nach Kundmachung im BGBl
236/ME – 29. 11. 2022
Barrierefreiheitsgesetz
Änderung WTBG 2017
ua Wagniskapitalfondsgesetz (WKFG)
Umsetzung der RL (EU) 2019/882, Verpflichtung der Unternehmen, nur barrierefreie Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen
Schaffung der Voraussetzungen zur Durchführung der mündlichen und schriftlichen Fachprüfung auf elektronischem Weg und Festlegung der dafür erforderlichen Mindeststandards
Stärkung der österreichischen Unternehmen mit Eigenkapital, Errichtung eines Wagniskapitalfonds
PatV-EG, PatG, GMG, MarkSchG, MuSchG, PAG ua Tag nach Kundmachung im BGBl 229/ME – 24. 10. 2022
BaFG28. 6. 2025225/ME – 21. 9. 2022
WTBG 2017
WKFG, FMABG, InvFG 2011, EStG
Tag nach Kundmachung im BGBl 237/ME 1. 12. 2022
ua Tag nach Kundmachung im BGBl, 1. 1. 2024 239/ME 20. 12. 2022
Top informiert mit LexisNexis: www.lexisnexis.at
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 5 GESETZGEBUNG
MaklerG1. 7. 2023 RV 1900 – 21. 11. 2022 186/ME NEU
SAG 2022 Tag nach Kundmachung im BGBl RV 1774 – 2 . 11. 2022 213/ME
ua HSchG Tag nach Kundmachung im BGBl, 17. 12. 2023 3087/A – 15. 12. 2022 210/ME NEU
NEU
INFO AKTUELL – WIRTSCHAFTSRECHT
zusammengestellt von Sabine Kriwanek
NEUE VORSCHRIFTEN ÖSTERREICH
» RdW 2023/3
V der FMA im BGBl
Änderung der Kapitalpuffer-Verordnung 2021, BGBl II 2022/469;
Änderung der Online-Identifikationsverordnung, BGBl II 2022/470;
Änderung der Lebensversicherung Informationspflichtenverordnung 2018, BGBl II 2022/471;
Änderung der Sicherungseinrichtungen-Stresstestverordnung, BGBl II 2022/473;
Änderung der CRR-Begleitverordnung 2021, BGBl II 2022/482;
Änderung der Versicherungsunternehmen Meldeverordnung 2020, BGBl II 2022/483.
NEUE VORSCHRIFTEN EU
» RdW 2023/4
Interessante Veröffentlichungen im Amtsblatt der EU
RL (EU) 2022/2381 zur Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den Direktoren börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen, ABl C 459 vom 2. 12. 2022 S 3.
RL (EU) 2022/2464 zur Änderung der VO (EU) 537/2014 und der RL 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl L 322 vom 16. 12. 2022 S 15.
VO (EU) 2022/2560 über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen, ABl L 330 vom 23. 12. 2022 S 1.
JUDIKATUR EuGH
» RdW 2023/5
EuGH: Vergabe – Konzerngesellschaften als Bieter
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit iSv Art 18 Abs 1 RL 2014/24/ EU (VergabeRL) steht einer nationalen Regelung entgegen, die den öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, im Fall eines Rücktritts des Bieters, der ursprünglich wegen des wirtschaftlich günstigsten Angebots ausgewählt worden ist, das öffentliche Vergabeverfahren zu beenden, wenn der nachfolgende Bieter mit dem zweitwirtschaftlichsten Angebot eine wirtschaftliche Einheit mit dem ersten Bieter bildet (es sich also um „denselben Wirtschaftsteilneh-
mer“ handelt): Eine derartige nationale Rechtsvorschrift begründet nämlich allein deshalb, weil diese Bieter eine wirtschaftliche Einheit bilden, eine unwiderlegbare Vermutung dahin, dass sie sich bei der Vorbereitung ihrer Angebote oder nach deren Abgabe abgesprochen haben, ohne dass diese Bieter die Unabhängigkeit ihrer Angebote nachweisen können.
Eine solche nationale Regelung, die eine Verfahrensphase nach Offenlegung der Einstufung der Angebote und ihres Inhalt betrifft, ist auch mit dem Interesse der Union nicht vereinbar, die Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung sicherzustellen. Diese Regelung ist nämlich nicht nur geeignet, Gesellschaften eines Konzerns von der Einreichung konkurrierender Angebote in einem öffentlichen Vergabeverfahren abzuhalten, weil deren Einstufung auf den ersten beiden Plätzen bei einer Rücknahme des erstplatzierten Angebots automatisch zur Beendigung sowohl dieses Verfahrens als auch der folgenden Verfahren führen würde, so dass ihnen de facto jede Möglichkeit genommen würde, im Rahmen einer solchen Ausschreibung miteinander in Wettbewerb zu treten. Durch eine solche nationale Regelung dürfte weiters die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen wachsen, zumal die Offenlegung der Einstufung der Angebote und ihres Inhalts nach dem Ende des ersten Verfahrens eine etwaige Abstimmung zwischen den Bietern im Rahmen des folgenden Verfahrens erleichtert. EuGH 8. 12. 2022, C-769/21, BTA Baltic Insurance Company; zu einem lettischen Vorabentscheidungsersuchen.
JUDIKATUR DEUTSCHLAND
» RdW 2023/6
BGH: Bausparen – Jahresentgelt als unangemessene Benachteiligung
Eine AGB-Klausel einer Bausparkasse, die während der Sparphase ein Jahresentgelt von 12 € pro Konto vorsieht, unterliegt nach Ansicht des dt BGH als Preisnebenabrede der Inhaltskontrolle nach § 307 dBGB und ist wegen unangemessener Benachteiligung des Bausparers unwirksam. BGH 15. 11. 2022, XI ZR 551/21.
SONSTIGES
» RdW 2023/7
Verzugszinssatz zwischen Unternehmern
Der Verzugszinssatz für vertragliche Geldforderungen zwischen Unternehmern (§ 456 UGB; vor dem ZVG § 352 UGB) beträgt vom 1. 1. 2023 bis 30. 6. 2023 11,08 %.
rdw.lexisnexis.at 6 RdW 1/2023 ART.-NR.: 3
INFO AKTUELL – ARBEITS-, SOZIAL- UND STEUERRECHT zusammengestellt von Manfred Lindmayr
NEUE VORSCHRIFTEN
» RdW 2023/8
Diverse Verordnungen im BGBl
Ende Dezemeber wurden ua folgende wichtige Verordnungen im BGBl kundgemacht (zu den wichtigen Gesetzesänderungen siehe die Übersicht über aktuelle Gesetze und Gesetzesvorhaben auf Seite 4):
Fachkräfteverordnung 2023 (BGBl II 2022/488 – Festlegung von 98 bundesweiten Mangelberufen, in denen Ausländer als Fachkräfte gem § 12a AuslBG zugelassen werden können)
Verlängerung der Freistellung von AN mit einem COVID-19-Risiko-Attest bis 31. 6. 2023 (BGBl II 2022/506)
Änderung der Sachbezugswerteverordnung (BGBl II 2022/504 betr Bezugsumwandlung iVm emissionsfreien Fahrzeugen)
SONSTIGES
» RdW 2023/9
Entgeltgrenze für wirksame Konkurrenzklausel 2023
Abhängig vom Zeitpunkt des Abschlusses einer Konkurrenzklausel ist diese ua nur wirksam, wenn das für den letzten Monat des DV gebührende Entgelt eine bestimmte Höhe übersteigt. Für das Jahr 2023 sind folgende Entgeltgrenzen relevant:
Abschluss der Vereinbarung nach dem 16. 3. 2006 (Angestellte) bzw 17. 3. 2006 (Arbeiter) und vor dem 29. 12. 2015: 3.315 € (inkl aliquoter Sonderzahlungen)
Abschluss der Vereinbarung nach dem 28. 12. 2015: 3.900 € (exkl aliquoter Sonderzahlungen)
Wurde die Konkurrenzklausel vor dem 17. 3. 2006 (Angestellte) bzw 18. 3. 2006 (Arbeiter) abgeschlossen, ist deren Wirksamkeit von keiner Entgeltgrenze abhängig.
» RdW 2023/10
Senkung von UV-Beitrag und Lohnnebenkosten
Senkung des Unfallversicherungsbeitrages ab 1. 1. 2023 auf 1,10 % (BGBl I 2022/93)
Senkung des Dienstgeberbeitrages auf 3,7 %, wenn dies in einer lohngestaltenden Vorschrift festgelegt ist (ua KV, BV oder innerbetrieblich für alle AN oder bestimmte Gruppen von AN; BGBl I 2022/163)
Senkung des Zuschlags zum Dienstgeberbeitrag (DZ) für die Steiermark um 0,01 %; im Übrigen keine Änderungen gegenüber 2022
» RdW 2023/11
Dienstwohnungen – neue Sachbezugswerte
Stellt der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer Wohnraum kostenlos oder verbilligt zur Verfügung, sind ab Jänner 2023 als monatlicher Quadratmeterwert folgende Werte anzusetzen: Burgenland 5,61 €, Kärnten 7,20 €, NÖ 6,31 €, OÖ 6,66 €, Salzburg 8,50 €, Steiermark 8,49 €, Tirol 7,50 €, Vorarlberg 9,44 €, Wien 6,15 €
» RdW 2023/12
BMF: Diverse Wartungserlässe verlautbart
In der Findok wurden in den letzten Wochen folgende Wartungserlässe veröffentlicht:
LStR-Wartungserlass 2022 (Erlass des BMF vom 19. 12. 2022, 2022-0.882.742, BMF-AV Nr 161/2022)
UStR-Wartungserlass 2022 (Erlass des BMF vom 5. 12. 2022, 2022-0.860.124, BMF-AV Nr 154/2022)
UmgrStR-Wartungserlass 2022 (Erlass des BMF vom 27. 10. 2022, 2022-0.764.613, BMF-AV Nr 140/2022)
» RdW 2023/13
Erhöhung wichtiger Zinssätze
Aufgrund der neuerlichen Erhöhung des Basiszinssatzes ab 21. 12. 2022 auf nunmehr 1,88 % steigen mit diesem Tag auch folgende Zinssätze:
Anspruchszinsen für Abgabenschulden (§ 205 BAO) 3,88 % Beschwerdezinsen für Abgabenschulden (§ 205a BAO) 3,88 % Umsatzsteuerzinsen (§ 205c BAO) 3,88 % Stundungszinsen für Abgabenschulden (§ 212 BAO) 3,88 % Aussetzungszinsen für Abgabenschulden (§ 212a BAO) 3,88 % Verzugszinsen für die Ausgleichstaxe (§ 9 BEinstG) 5,88 % Zinsen für Forderungen aus dem Dienstverhältnis (§ 49a ASGG) 11,08 %
Die Verzugszinsen für fällige ASVG- und GSVG-Beiträge, die trotz Fälligkeit nicht bis spätestens zum 15. des Folgemonats entrichtet worden sind, betragen ab 1. 1. 2023 4,63 %.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 7 ART.-NR.: 13
WIRTSCHAFTSRECHT
50 Jahre Bruttoschadenersatz inklusive USt – 50 Jahre
Vor 50 Jahren – 1973 – ist mit dem Einführungsgesetz zum UStG 1972 eine zivilrechtliche „Sondervorschrift“ zum Schadenersatzrecht in Kraft getreten, nach der der Unternehmer bei einem Sachschaden den Schadensbetrag inkl USt geltend machen kann, trotz Vorsteuerabzug (Bruttoschadenersatz). Der Ersatzpflichtige hat zwar in Höhe des Vorsteuerabzugs einen Rückersatzanspruch, der allerdings den Unterschied zum – eigentlich sachgerechten – Nettoschadenersatz nicht ausgleichen kann. Ein „Fremdkörper“ nicht nur im österreichischen Recht, wie schon damals angemerkt, sondern auch europaweit: Österreich steht mit seiner Regelung europaweit allein.
1. Die Vorgeschichte – wie es dazu kam
Die Aufregung unter den Zivilrichtern war groß, als – ab 1973 –das Mehrwertsteuersystem mit Vorsteuerabzug eingeführt werden sollte (UStG 1972): Da bei einem Unternehmer mit Vorsteuerabzug die Umsatzsteuer keinen Kostenfaktor bedeutet, wäre auch der Schadenersatz ohne USt, also „netto“, zu ermitteln (Nettoschadenersatz). Die Richter hatten allerdings die Sorge, in Zukunft bei zivilgerichtlichen Verfahren die abgabenrechtliche Vorfrage prüfen zu müssen, ob die Prozessparteien als Unternehmen zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Auch in Deutschland, wo die Mehrwertsteuer nur wenige Jahre davor eingeführt worden ist, war die Rechtsprechung dazu widersprüchlich; eine unklare Rechtslage sah man daher genauso für Österreich (ausführlich Kodek) 1
Dabei ging es nicht nur um den Schadenersatzprozess, sondern – darüber hinaus – auch um den Prozesskostenersatz. Auch dort ist oft Umsatzsteuer enthalten, zB in den Anwaltskosten.2
1.1. Die befürchtete Belastung der Gerichte –Änderung im Finanz- und Budgetausschuss
Die „Befürchtung einer schweren Belastung der Gerichte“ trug Früchte: Noch in letzter Minute, im Finanz- und Budgetausschuss (FBA), befreite man die Richter von ihrer Sorge und ergänzte den geplanten Gesetzeswortlaut: Ob der Geschädigte als Unternehmer beim Ersatz für „eine Sache oder Leistung ... zum Abzug von Vorsteuern berechtigt ist, berührt an sich die Bemessung des Ersatzes nicht“ (zivilrechtliche „Sondervorschrift“, Art XII Z 3 EGUStG 1972, FBA, 383 BlgNR 12. GP).
Danach kann der Unternehmer als Schadenersatz den Bruttobetrag inkl USt geltend machen, auch wenn er zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (Bruttoschadenersatz). Als Korrektur sieht das Gesetz zwar einen entsprechenden „Rückersatzanspruch“ gegen den Unternehmer in Höhe des Vorsteuerabzugs vor, allzu oft jedoch nur theoretisch, wenn der Rückersatzberechtigte – rechtsunkundig – von seinem Anspruch nichts weiß oder es für ihn zu mühsam ist, ihn geltend zu machen. „Kompliziert, aber möglich“ heißt es dazu im Testmagazin „Konsument“ (15. 6. 2015).
1.2. Bruttoschadenersatz – Rückersatzanspruch –Nettoschadenersatz
Nach seiner Entstehungsgeschichte ist das Gesetz (nur) für die Fälle gedacht und gewollt, die von den Gerichten entschieden werden, nur dort kann eine zusätzliche Belastung der Gerichte drohen, die zu vermeiden wäre. In den anderen Fällen würde dagegen – so die Vorstellung des Gesetzgebers – der Unternehmer, „um den Rückersatzanspruch nicht entstehen zu lassen, darauf verzichten müssen, die Umsatzsteuer geltend zu machen“ (FBA).
Dh: In der großen Zahl der Schadenersatzfälle, die nicht von den Gerichten entschieden werden, würde der Unternehmer von vornherein nur den Nettobetrag ohne USt verlangen.3
Die Vorstellung des Gesetzgebers findet allerdings weder im Gesetzeswortlaut noch im Tenor des Gesetzes Deckung: Ganz im Gegenteil legitimiert das Gesetz den Unternehmer, trotz Vor-
1 Kodek, Prozesskostenersatz und Umsatzsteuer, RdW 1988, 56.
2 Die obsiegende Partei kann sich als Unternehmer die USt aus den Anwaltskosten als Vorsteuer abziehen; dafür hat die unterlegene Partei gegen die obsiegende Partei einen Rückersatzanspruch (siehe unten).
rdw.lexisnexis.at 8 RdW 1/2023 ART.-NR.: 14
3
1972,
1972,
Kranich, Änderungen im EG-UStG
ÖStZ
182.
em.o. Univ-Prof. Dr. Werner Doralt • Wien
„Fremdkörper“
»RdW 2023/14
steuerabzug generell auch die USt zu verrechnen. Die mögliche Übervorteilung des Ersatzpflichtigen macht der Gesetzgeber hier sogar zur gesetzlich vorgegebenen Norm. Der Unternehmer braucht dabei auch kein schlechtes Gewissen zu haben; denn das Gesetz lädt ihn geradezu ein, die Unwissenheit des Ersatzpflichtigen auszunützen und abzuwarten, ob er den Rückersatzanspruch geltend machen wird.
1.3. Zwischenergebnis
Das Gesetz war zwar für einen engen Anwendungsbereich, nämlich für den gerichtlichen Bereich, gedacht, erfasst aber auch den außergerichtlichen, also einen weiten Anwendungsbereich.
Danach gilt – als allgemeiner Grundsatz – der Bruttoschadenersatz mit Rückersatzanspruch und tritt damit an die Stelle des –eigentlich sachgerechten – Nettoschadenersatzes.
2. Die Kritik in der Fachliteratur
Kritik, zum Teil heftige Kritik, gab es von Anfang an: ein „missratenes Kind“, eine „weltfremde Regelung“, „ohne Einholung fachlichen Rates“, in das Gesetz „eingeflickt“ (Stölzle),4 ein „Fremdkörper“ (Huber/Hofinger).5 Kodek zog das prozessuale Resümee: Ob durch die Notwendigkeit, „den Rückersatzanspruch in einem zweiten Prozess geltend zu machen, die angestrebte Entlastung der Gerichte erreicht wurde, muss dahingestellt bleiben“.6
Was ebenfalls schon hier anzumerken ist: Kein anderes Land in Europa hat eine vergleichbare Rechtslage wie Österreich; überall sonst gilt der Nettoschadenersatz ohne USt (dazu unten).
3. Bruttoschadenersatz „Im Namen der Republik“ – und der Rückersatzanspruch
Um an jene Fälle anzuknüpfen, in denen der Schadenersatz bzw der Prozesskostenersatz in einem Gerichtsverfahren geklärt worden ist: Was erwartet man sich von einer unterlegenen Partei, die „Im Namen der Republik“ zum Schadenersatz oder Prozesskostenersatz verurteilt worden ist? – Kaum eine rechtsunkundige und anwaltlich nicht vertretene Prozesspartei wird ein „Im Namen der Republik“ ergangenes Urteil dahin gehend hinterfragen, ob sich daraus eventuell doch noch eine Minderung, ein Rückersatzanspruch, ergeben könnte.
Womit zugleich die sozial schwächste Personengruppe all jener umschrieben ist, die die klaren Opfer der gesetzlichen Regelung sind. Dass es sich dabei oft um vergleichsweise geringe Beträge handelt, nimmt ihnen nicht die soziale und insgesamt auch nicht ihre wirtschaftliche Bedeutung (Kodek).7
Und wie geht es jenen Prozessparteien, die anwaltlich vertreten sind? – Sie werden über ihren Rückersatzanspruch zwar idR aufgeklärt sein, doch wird von ihrem Rückersatzanspruch nach Abzug der Anwaltskosten allzu oft nur wenig oder nichts übrig bleiben. Denn bei der Geltendmachung des Rückersatzanspruchs handelt es sich um ein neues, getrenntes Verfahren (zB OGH 24. 1. 2019, 6 Ob 3/19p; Fucik) 8
Zusammengefasst: Bei den Fällen, die als Schadenersatz oder als Prozesskostenersatz gerichtlich entschieden werden, bewirkt der Rückersatzanspruch nicht den vom Gesetzgeber erwarteten Ausgleich für den Nettoschadenersatz.
4. Außergerichtlicher Bruttoschadenersatz –und der Rückersatzanspruch
Auch in den Fällen, in denen der Schadenersatz außergerichtlich bereinigt wird, reicht der Rückersatzanspruch nicht aus, um den Bruttoschadenersatz auf den – sachgerechten – Nettoschadenersatz zu reduzieren. Das wäre zwar die Vorstellung des Gesetzgebers gewesen (Fucik),9 doch realisiert sie sich nicht, jedenfalls nicht im erwarteten Ausmaß.
Auch hier muss von jenen Fällen ausgegangen werden, in denen der Schädiger (Ersatzpflichtige) rechtsunkundig ist und der geschädigte Unternehmer – trotz Vorsteuerabzug – den Bruttobetrag inkl USt geltend macht (Bruttoschadenersatz).
Beschädigt bspw der Hotelgast die Hoteleinrichtung, dann kann/wird der Hotelier dem Gast die Reparatur – wie es das Gesetz vorsieht – inkl USt verrechnen. Wenn der Gast nicht zufällig ein Rechtsanwalt ist, dann wird es bei „brutto“ bleiben.
Eine typische Fallgruppe findet sich im Mietrecht. Gemeint sind jene Fälle, in denen der Wohnungsmieter nach Beendigung des Mietverhältnisses die Wohnung räumt und dabei Schäden festgestellt werden, für die der Mieter ersatzpflichtig ist. Obwohl der Vermieter zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, kann er vom Mieter dennoch den Bruttobetrag inkl USt als Schadenersatz verlangen und abwarten, ob der Mieter den Rückersatzanspruch stellt.
Auch wenn nicht alle Vermieter so vorgehen, entspricht diese Vorgangsweise jedenfalls dem vom Gesetz vorgegebenen Grundsatz.
Ist für den Vermieter ein Hausverwalter tätig, dann wird es sogar eher zweifelhaft sein, ob der Hausverwalter überhaupt berechtigt ist, von sich aus und ohne Zustimmung des Vermieters nur den Nettobetrag als Schadenersatz geltend zu machen. Denn wenn das Gesetz den Bruttoschadenersatz vorsieht, dann würde der Hausverwalter, der nur den Nettoschaden verrechnet, wohl die berechtigten Interessen des Vermieters verletzen (§ 1009 ABGB). Denn er nimmt dem Vermieter damit den Vorteil, wenn der Mieter den Rückersatzanspruch nicht geltend gemacht hätte.
4 Stölzle, Der Rechtsanwalt und die Mehrwertsteuer, AnwBl 1972, 262.
5 Huber/Hofinger, Zivilrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Einführung des UStG 1972, ÖJZ 1975, 343).
6 Kodek, RdW 1988, 56.
7 Kodek, RdW 1988, 56.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 9 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 14
8 Fucik, Umsatzsteuer und Vorsteuer im Zivilverfahren, ÖJZ 2018/6, 53.
9 Fucik, ÖJZ 2018/6, 53.
Zusammengefasst: Auch beim außergerichtlich geklärten Schadenersatz erfüllt sich die Erwartung des Gesetzgebers nicht, dass der zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer im Regelfall nur den Nettobetrag ohne USt geltend machen wird. Es gilt vielmehr als Entgegenkommen, wenn der Unternehmer von vornherein nur den Nettoschadenersatz ohne USt geltend macht.
5. Die Rechtslage in Österreich: singulär in Europa – Vergleich mit Deutschland
Ein Vergleich mit anderen Ländern überrascht nicht: Soweit zu sehen ist, gibt es eine vergleichbare Rechtslage in keinem anderen Land in Europa: In fünfzehn Ländern, die recherchiert werden konnten, gilt ausnahmslos der Nettoschadenersatz, davon in vierzehn Ländern allein aufgrund der allgemeinen Schadenersatzregeln.10
In Deutschland gibt es darüber hinaus eine gesetzliche Regelung. Danach schließt der Schadenersatz die „Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist“ (§ 249 Abs 2 BGB).11 Ist daher der Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt, dann darf er eine USt nicht nicht verrechnen. Erklärtes Anliegen der gesetzlichen Klarstellung war, „die Gefahr einer Überkompensation zu verringern“ (BR-Dr 742/01).
Die „Gefahr einer Überkompensation“, also Schadenersatz inkl USt trotz Vorsteuerabzug, das ist genau die Situation, wie wir sie in Österreich haben. Wenn sie in Deutschland heute sogar mit einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung vermieden wird, dann hat die Änderung auch für uns in Österreich Bedeutung. Denn unsere – von den allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzes abweichende – Regelung hatte, wie erwähnt, seinerzeit ihren Ursprung auch in der damals widersprüchlichen Rechtsprechung in Deutschland.
6. Die Lösungsansätze
Der Vergleich mit den anderen Ländern in Europa legt die Frage nahe, ob die seinerzeitige Besorgnis einer „schweren Belastung der Gerichte“ aus heutiger Sicht noch berechtigt ist. Wenn in den anderen Ländern in Europa der zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer von vornherein nur den Nettoschadenersatz ohne USt geltend machen darf, ohne die Gerichte übermäßig zu belasten, dann sollte das auch bei uns möglich sein.
6.1. Die Lösung für den Prozesskostenersatz –Erklärungspfl icht ausreichend
Die ursprüngliche Besorgnis betraf im besonderen Maß den Prozesskostenersatz. Nach den allgemeinen Regeln wäre seine Höhe – mit oder ohne USt – davon abhängig, ob die Prozesspartei zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Demgemäß müsste –so war die Sorge – für jeden Prozesskostenersatz ggf die Frage des Vorsteuerabzuges geprüft werden; das wäre gewiss eine erhebliche Belastung für die Gerichte. Gelöst wurde das Problem in Deutschland – sehr einfach – mit einer bloßen Erklärungspflicht: „Zur Berücksichtigung von Umsatzsteuerbeträgen genügt die Erklärung des Antragstellers, dass er die Beträge nicht als Vorsteuer abziehen kann“ (§ 104 Abs 2 ZPO). Die Erklärung gilt als ausreichend, soweit sie nicht offenkundig unrichtig ist, und hat sich – so scheint es – auch in der Praxis bewährt.
6.2. Die Lösung im Schadenersatzprozess –Klärung im Sachverhalt
Auch im Schadenersatzprozess sollte der Nettoschadenersatz ohne zusätzliche Belastung des Gerichts ermittelt werden können. Ob eine Prozesspartei zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wird sich meist bereits aus dem Sachverhalt ergeben. Ist ausnahmsweise dennoch auch der Vorsteuerabzug strittig, dann wird es ein Fall sein, in dem auch nach der geltenden Rechtslage der Rückforderungsanspruch gerichtlich geltend gemacht werden müsste. Ob dann mit einem neuen zweiten Gerichtsverfahren die erhoffte Entlastung der Gerichte erreicht wäre, hat bereits Kodek angezweifelt. 12
6.3. Die Lösung im außergerichtlich bereinigten Schadensfall – Nettoschadenersatz
Die Folgen für die Schadensfälle, die außergerichtlich bereinigt werden, sind klar: An die Stelle des Bruttoschadenersatzes inkl USt mit Rückersatzanspruch würde in Zukunft – entsprechend den allgemeinen Regeln – der Nettoschadenersatz treten. Der Unternehmer, der heute – vom Gesetz gedeckt – trotz Vorsteuerabzug den Schadenersatz inkl USt geltend macht und damit rechnen kann, dass der Ersatzpflichtige den Rückersatzanspruch nicht geltend machen wird, würde in Zukunft nur den Nettoschadenersatz ohne USt verlangen dürfen. Auch das wäre ein erstrebenswertes Ziel: Ein Gesetz, das – wie derzeit – dazu einlädt, die Unkenntnis eines anderen auszunützen, ist kein „gutes“ Gesetz.
7. Zusammenfassung
10 Recherchiert wurde in folgenden Ländern: Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Niederlande, Polen, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Tschechien, Ungarn. Angefragt wurde auch in weiteren Ländern, allerdings vergeblich. Aus der Aufzählung lässt sich aber wohl der Schluss ziehen, dass auch in den anderen Ländern der Nettoschadenersatz (ohne USt) gilt.
11 § 249 Abs 2 BGB spricht vom Schadenersatz bei Beschädigung einer „Sache“, das EG-UStG vom Ersatz für eine „Sache oder Leistung“.
Die seinerzeitige Besorgnis einer „schweren Belastung der Gerichte“ als Folge der Mehrwertsteuer und ihrer Auswirkungen auf das Schadenersatzrecht sind – soweit sie überhaupt berech-
rdw.lexisnexis.at 10 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 14
12 Kodek, RdW 1988, 56.
tigt waren – jedenfalls heute überholt. Überholt ist daher auch die bestehende Rechtslage, nach der der Unternehmer trotz Vorsteuerabzug als Schadenersatz den Bruttobetrag inkl USt geltend machen kann. Der Bruttoschadenersatz mit Rückersatzanspruch des Ersatzpflichtigen ist kein Ausgleich für den eigentlich sachgerechten Nettoschadenersatz. – Ein Fremdkörper im österreichischen Recht und singulär in Europa.
Der Autor:
em. o.Univ.-Prof. Dr. Werner Doralt lehrt an der Universität Wien Finanzrecht.
lesen.lexisnexis.at/autor/Doralt/ Werner
Europäisches Haftungssystem für Künstliche Intelligenz-Systeme
»RdW 2023/15
Nach dem Artificial Intelligence Act1 veröffentlichte die Europäische Kommission am 28. 9. 2022 den Entwurf einer Richtlinie zur Anpassung von Bestimmungen über die außervertragliche zivilrechtliche Haftung zur künstlichen Intelligenz2 („KI-Haftungsrichtlinie“) sowie den Entwurf einer überarbeiteten Produkthaftungsrichtlinie.3 Damit sollen Lücken harmonisiert geschlossen und ein an KI-Innovationen angepasster europäischer Haftungsrahmen geschaffen werden. Unklare Haftungsregelungen für Schäden beim Einsatz von KI-Systemen wurden als eines der Haupthindernisse für den Einsatz von KI in europäischen Unternehmen identifiziert. Diese Hürde soll nunmehr bei gleichzeitiger Einführung eines angemessenen Schutzniveaus bei KI-Schäden abgebaut werden.
1. Probleme bei KI-Schadensfällen
Dass KI-Produkte trotz rasanter Entwicklungen nicht fehlerfrei sind, machen Berichte täglich deutlich. Eine Entschädigung für einen Fingerbruch durch einen Softwarefehler bei einem
1 Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council, Laying down harmonized rules on artificial intelligence (Artificial Intelligence Act) and amending certain Union legislative acts, COM(2021) 206 final vom 21. 4. 2021; Zusammenfassung in Gorzala, Regulating Robots –Entwurf des Artificial Intelligence Act, RdW digital exklusiv 2021/34 vom 29. 4. 2021, https://lesen.lexisnexis.at/_/regulating-robots-entwurf-desartificial-intelligence-act/artikel/rdw_digitalonly/2021/17/RdW_digitalOnly_2021_17_034.html (18. 10. 2022).
2 Directive of the European Parliament and of the Council on adapting noncontractual civil liability rules to artificial intelligence (AI Liability Directive), COM(2022) 496 final vom 28. 9. 2022.
3 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on liability for defective products, COM(2022) 495 final.
Schachroboter4 oder für ein Trauma durch Geiselnahme infolge eines Systemfehlers bei einem „smarten“ Geschirrspüler5 scheidet nach geltendem Produkthaftungsrecht aus. Die Produkthaftungsrichtlinie aus dem Jahr 1985, umgesetzt durch das Produkthaftungsgesetz6 (PHG), deckt längst nicht mehr alle Produktkategorien, insb nicht digitale (unkörperliche) Produkte, ab. Der Produktbegriff ist aktuell beschränkt auf bewegliche körperliche Sachen, auch wenn Teil einer anderen beweglichen oder unbeweglichen Sache, einschließlich Energie (§ 3 PHG). Damit ist eine Entschädigung bei defekter Software gemäß PHG nicht möglich.
Auch die Verschuldenshaftung greift bei KI-Schäden regelmäßig zu kurz. Ein Problem ist die Beweislastverteilung. Bei Einbringung einer Schadenersatzklage in Verbindung mit KI-Schäden ist der Kläger für seinen Anspruch beweispflichtig. Wesentliche Beweismittel für das Fehlfunktionieren eines KI-Systems können Geschädigten jedoch entzogen bzw nur beim Beklagten verfügbar sein. Folglich können Schadenersatzklagen durch die allgemeine Beweislastverteilung bei Zivilklagen bereits sehr früh scheitern. Der Entwurf des AI Act, der im Wesentlichen als Produktsicherheitskatalog für bestimmte KI-Systeme verstanden werden kann, sieht zwar ua Herstellerpflichten zur Dokumentation und Information vor. Im Einzelfall können aber auch diese
4 Responsible AI Collaborative (Hrsg), Artificial Intelligence Incident Database, Incident #241, https://incidentdatabase.ai/cite/241 (4. 10. 2022); Angelova/McCluskey, CNN-Online, Chess-playing robot breaks boy’s finger at Moscow tournament, https://edition.cnn.com/2022/07/25/europe/ chess-robot-russia-boy-finger-intl-scli/index.html (4. 10. 2022).
5 Der Standard (online), Aufstand der Maschinen: Geschirrspüler sperrte Frau im Bad ein, Beitrag vom 17. 9. 2022, https://www.derstandard.de/ story/2000139182578/aufstand-der-maschinen-geschirrspueler-sperrtefrau-im-bad-ein (4. 10. 2022).
6 Bundesgesetz vom 21. Jänner 1988 über die Haftung für ein fehlerhaftes Produkt (Produkthaftungsgesetz, PHG), StF: BGBl 1988/99, idgF.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 11 WIRTSCHAFTSRECHT
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ART.-NR.:
Foto: Foto Grosskopf
Dr. Jeannette Gorzala, BSc • Wien
unzureichend sein, um einen Anspruch auf Schadenersatz ausreichend zu unterstützen.
Eine weitere Schwierigkeit liegt im Nachweis der Kausalität. Diese wird durch die sogenannte conditio sine qua non beurteilt, wo geprüft wird, ob der Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn das pflichtwidrige Verhalten entfällt. Verursacher sollen aber nur für jene Schäden haften, die adäquat verursacht wurden und nicht Ergebnis einer außergewöhnlichen Verkettung von Umständen sind (Adäquanztheorie). Durch die Komplexität von KI-Systemen kann für Kläger der Nachweis des Kausalitätszusammenhangs schwierig sein. Bei der Einbindung von privaten oder gerichtlichen Sachverständigen laufen beträchtliche Kosten auf, die als Vorlaufkosten ebenfalls belastend sind.
Dass die Klärung von Haftungsfragen in Bezug auf KI im globalen KI-Wettlauf bereits dringlich ist, verdeutlichen nationale KIStrategien, die bereits ein legislatives Momentum in diese Richtung enthalten.7 Die Einführung unterschiedlicher nationaler Haftungsregime auf einzelstaatlicher Grundlage würde jedoch eine Fragmentierung und weitere Kostenbelastungen für Geschädigte bei der Geltendmachung von KI-Schäden einerseits und erschwerte Risikokontrolle für Unternehmen andererseits bedeuten.
Seit der Ankündigung einer Anpassung von Haftungsbestimmungen für KI-Schadensfälle wurden unterschiedliche Haftungskonzepte, bis hin zu einer eigenen Gefährdungshaftung für den Einsatz von KI-Systemen oder einem allgemeinen Versicherungsmodell, diskutiert.8 Seit Ende September 2022 ist nunmehr klar, dass der Weg zunächst in Richtung einer punktuellen Ergänzung nationaler Konzepte der Verschuldenshaftung durch die KI-Haftungsrichtlinie und der Einbeziehung digitaler Produkte, inklusive KI, durch eine grundlegende Novellierung der Produkthaftungsrichtlinie geht. Durch diese Änderungen sollen die zuvor beschriebenen Schwierigkeiten bei der Geltendmachung von KI-Schäden beseitigt und ein einheitliches Schutzniveau geschaffen werden, dies bei gleichzeitiger Vermeidung von Rechtszersplitterung in den Mitgliedstaaten durch vereinzelte nationale Regelungen.
2. Neue Produkthaftungsrichtlinie 9
2.1. Aktualisierter Produktbegriff und neue Bestimmung der Fehlerhaftigkeit
Der Produktbegriff soll gemäß der neuen Produkthaftungsrichtlinie überarbeitet werden wie folgt (Art 4 Abs 1): Produkt ist
7 Bspw enthalten die nationalen KI-Strategien in der Tschechischen Republik, Italien, Malta, Polen und Portugal bereits das Bestreben, offene Haftungsfragen zum KI-Einsatz zu klären. Vgl zB National Artificial Intelligence Strategy of the Czech Republic (2019) 34, https://www.mpo.cz/assets/ en/guidepost/for-the-media/press-releases/2019/5/NAIS_eng_web.pdf (7. 10. 2022); AI Portugal 2030, 37, https://www.incode2030.gov.pt/sites/ default/files/julho_incode_brochura.pdf (7. 10. 2022).
8 Trending Topics (Hrsg), Wer ist schuld, wenn AI einen Unfall verursacht, Jeannette Gorzala? https://www.trendingtopics.eu/ki-wer-haftet-bei-einem-unfall/ (6. 10. 2022).
9 Alle Referenzen auf Rechtsgrundlagen beziehen sich auf die entsprechenden Stellen des Entwurfs der neuen Produkthaftungsrichtlinie (AI Liability Directive), COM(2022) 496 final vom 28. 9. 2022.
jede bewegliche Sache, auch wenn Teil einer anderen beweglichen oder unbeweglichen Sache, einschließlich Energie, digitaler Herstellungsdateien (digital manufacturing files) und Software. Indem sich der Produktbegriff damit nicht mehr auf die Körperlichkeit von Produkten bezieht, sind auch unkörperliche Produkte mitumfasst, wodurch das gesamte Spektrum digitaler Produkte inkludiert wird. Zur Vermeidung von Zweifeln wird zusätzlich explizit Software in den Produktbegriff eingeschlossen. Damit ist final klargestellt, dass auch KI-Produkte als unkörperliche digitale Produkte künftig als Produkt gemäß dem PHG gelten sollen.
Mit der Inklusion digitaler Produkte wird ebenfalls die Bestimmung der Fehlerhaftigkeit angepasst, um KI-Produkten und vernetzten Geräten im IoT (Internet of Things) besser gerecht zu werden (Art 6). Ein Produkt soll dann als fehlerhaft gelten, wenn es nicht die Sicherheit bietet, welche die breite Öffentlichkeit zu Recht unter Berücksichtigung aller Umstände erwarten kann. Der Katalog der bei Bewertung der Fehlerhaftigkeit zu berücksichtigenden Umstände soll wie folgt erweitert werden:
(a) Produktaufmachung, inklusive Installations- und Gebrauchsanweisung sowie Wartung;
(b) vernünftigerweise vorhersehbare Verwendung und missbräuchliche Verwendung;
(c) Auswirkungen der Fähigkeit, nach der Bereitstellung weiter zu lernen;
(d) Auswirkungen anderer Produkte auf das Produkt, von denen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie zusammen mit dem Produkt verwendet werden;
(e) Zeitpunkt, zu dem das Produkt in Verkehr oder Verwendung gebracht wurde, oder, wenn der Hersteller die Kontrolle über Produkt danach behält, der Zeitpunkt, zu dem das Produkt nicht mehr unter Kontrolle des Herstellers ist;
(f) Anforderungen an Produktsicherheit, inklusive Cybersicherheitsanforderungen;
(g) Eingriffe einer Regulierungsbehörde oder eines Wirtschaftsteilnehmers betreffend die Produktsicherheit;
(h) spezifische Erwartungen der Endnutzer, für die das Produkt bestimmt ist.
Klargestellt wird in diesem Zusammenhang, dass ein Produkt nicht allein deshalb als fehlerhaft gelten soll, weil ein besseres Produkt, einschließlich Updates oder Upgrades, bereits am Markt ist oder nachträglich in Verkehr gebracht wird. Vor allem die Punkte (b), (c) und (f) zielen auf KI-spezifische Besonderheiten und die Abstimmung der neuen Produkthaftungsrichtlinie mit dem AI Act ab.
Punkt (b) betrifft das gemäß AI Act bei Hochrisiko-KI-Systemen verpflichtend einzurichtende Risikomanagementsystem. Dieses hat sowohl die bestimmungsgemäße Verwendung sowie den vorhersehbaren Missbrauch derartiger KI-Systeme einzuplanen.
Punkt (c) betrifft selbstadaptive Systeme auf der Basis von Machine-learning-Techniken. Dabei „lernt“ die Software selbst, welche Anpassung in welcher Situation am vorteilhaftesten ist, indem sie Feedback zur Laufzeit sammelt und auswertet.
rdw.lexisnexis.at 12 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 15
Gute Anpassungen führen zu positivem Feedback, schlechte Anpassungen zu einem negativen. Durch Ausprobieren „lernt“ die Software, möglichst gute Rückmeldungen zu sammeln. Die Berücksichtigung dieses selbstadaptiven Aspekts ist wesentlich, da sich der Output eines derartigen KI-Systems im Laufe der Zeit, nach erstmaligem Inverkehrbringen, ändern kann. Waren Systemergebnisse bei erstmaligem Inverkehrbringen fehlerfrei, kann der selbstadaptive Aspekt dazu führen, dass mit fortschreitender Anpassung fehlerhafter Output generiert wird. Punkt (c) ist auch in Verbindung mit Punkt (e) und einer gegebenen oder nicht gegebenen Herstellerkontrolle über das Produkt zu sehen.
Punkt (f) bezieht sich einerseits auf Anforderungen der Produktsicherheit und nennt explizit separat auch Cybersicherheit. Der AI Act enthält generelle Sicherheitsanforderungen für KI-Produkte, die ua auch Cybersicherheit bei Hochrisiko-KI-Systemen betreffen. Zusätzlich werden die weiteren speziellen Rechtsgrundlagen10 und allfällige sektorspezifische Vorgaben als relevant zu berücksichtigen sein.
2.2. Offenlegung von Beweismitteln und Beweislastverteilung
Neu wird eingeführt, dass Gerichte auf Antrag des Klägers, der seinen Schadenersatzanspruch durch Tatsachen und Beweise entsprechend plausibilisiert hat, dem Beklagten die Offenlegung von Beweismitteln auftragen können. Bei diesen gerichtlichen Anordnungen sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Beklagten entsprechend zu berücksichtigen (Art 8). Die neu eingeführte Offenlegung von Beweismitteln durch den Beklagten wirkt angelehnt an das Instrument der discovery bzw disclosure aus dem angloamerikanischen Rechtsraum. Vorteilhaft ist, dass Kläger durch die Offenlegung von Beweismaterial im Besitz des Beklagten in die Lage versetzt werden, ihre Ansprüche besser geltend zu machen und zu beweisen. Wesentlich ist, dass Schranken gegen missbräuchliche Verwendung gezogen werden.
In der Zivilprozessordnung (ZPO) gilt das Prinzip der freien gerichtlichen Beweiswürdigung, wobei Beweise in die Kategorien Urkundenbeweis (§§ 292 ff ZPO), Zeugenbeweis (§§ 320 ff ZPO), Beweis durch Sachverständige (§§ 350 ff ZPO), Augenschein (§§ 368 ff ZPO) und Beweis durch Parteienvernehmung (§§ 371 ff ZPO) unterteilt werden. Digitale Beweismittel (eDiscovery), wie bspw relevante Datensätze (Trainings-, Test- und Validierungsdaten bei KI-Systemen, Metadaten etc), sind als eigenständige Beweiskategorie in der ZPO nicht vorgesehen und werden in der Praxis regelmäßig den Urkunden oder dem Augenschein zugeordnet. Die Novellierung der Produkthaftungsrichtlinie wie auch die KI-Haftungsrichtlinie bieten Ansatzpunkte für eine mögliche
10 Vor allem auch der Entwurf des Cyber Resilience Act: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on horizontal cybersecurity requirements for products with digital elements and amending Regulation (EU) 2019/1020, COM(2022) 454 final vom 15. 9. 2022.
Klärung des aktuell teilweise unklaren Umgangs mit digitalen Beweismitteln.11
Die Beweispflicht für die Fehlerhaftigkeit des Produkts, den Schaden sowie die Kausalität zwischen Fehlerhaftigkeit und Schaden trägt grundsätzlich der Kläger. Eingeführt werden aber eine Reihe von durch den Beklagten widerlegbaren Vermutungen für das Vorliegen einer Fehlerhaftigkeit sowie das Bestehen eines Kausalitätszusammenhangs (Art 9).
Die Fehlerhaftigkeit des Produkts wird in jedem der folgenden Fälle angenommen (Art 9 Abs 2):
(a) Der Beklagte kommt einer Verpflichtung zur Offenlegung nicht nach.
(b) Der Kläger weist nach, dass das Produkt verpflichtenden Sicherheitsanforderungen gemäß Unionsrecht (bei KI-Produkten wesentlich gemäß AI Act) oder nationalem Recht nicht entspricht, welche der Verhinderung der Risiken bzw des entstandenen Schadens dienen.
(c) Der Kläger weist nach, dass der Schaden durch eine offensichtliche Fehlfunktion des Produkts bei normalem Gebrauch oder unter normalen Umständen entstanden ist. Weiter wird Kausalität zwischen der Fehlerhaftigkeit des Produkts und dem Schaden angenommen, wenn ein fehlerhaftes Produkt vorliegt und der verursachte Schaden typisch mit derartigen Fehlern einhergeht (Art 9 Abs 3).
Für den Fall, dass Kläger wegen technischer oder wissenschaftlicher Komplexität des Produkts übermäßigen Schwierigkeiten ausgesetzt sind, entweder die (i) Fehlerhaftigkeit des Produktes oder (ii) den Kausalzusammenhang zwischen Fehlerhaftigkeit und Schaden nachzuweisen (oder beides), soll beides bzw die betreffende Voraussetzung vermutet werden, wenn der Kläger ausreichend relevante Beweismittel beigebracht hat, dass (i) das Produkt zum Schaden beigetragen hat und (ii) es wahrscheinlich ist, dass das Produkt fehlerhaft war oder dass die Fehlerhaftigkeit eine wahrscheinliche Ursache für den Schaden ist.
Der Beklagte hat das Recht, das Vorliegen sowohl übermäßiger Schwierigkeiten als auch die Vermutungen zu widerlegen. Ebenso haben Beklagte das Recht, jede der Vermutungen der Fehlerhaftigkeit oder des Kausalzusammenhangs zu widerlegen.
2.3. Schaden und Ersatz
Bislang war eine Entschädigung gemäß PHG nur für Schäden über der Schwelle von 500 € möglich (§ 2 PHG). Diese Mindestschwelle soll entfallen. Weiter sollen neben Schäden wegen Tod, Personenschaden und Sachschäden auch jene Schäden ersatzfähig sein, die durch Verlust oder Beschädigung von Daten entstehen, die nicht ausschließlich für berufliche Zwecke verwendet werden (Art 4 Abs 6 lit c). Zusätzlich werden auch anerkannte psychische Schädigungen als ersatzfähiger Personenschaden aufgenommen. Nicht möglich sind auf der Basis der neuen Pro-
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 13 WIRTSCHAFTSRECHT
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ART.-NR.:
11 Vgl weiterführend Weidinger, Neue, digitale Beweismittel im Zivilprozess, ZIIR 2022, 12.
dukthaftungsrichtlinie Entschädigungen für Verletzungen von Grundrechten, bspw diskriminierende Behandlung durch KI-Systeme bei der Bonitätsbewertung oder im Personalwesen. Betroffene können jedoch bei Grundrechtsverstößen die jeweiligen nationalen Schadenersatzregelungen in Anspruch nehmen, welche durch die KI-Haftungsrichtlinie unterstützt werden sollen.
Nach dem PHG haften aktuell Einführer für fehlerhafte Produkte, die in Drittländern hergestellt werden. Hintergrund dieser Regelung ist, dass es für Verbraucher schwieriger ist, ihre Ansprüche gegen Unternehmen außerhalb der EU durchzusetzen. Durch globale Wertschöpfungsketten und den Onlinehandel können Verbraucher mittlerweile jedoch Produkte direkt, ohne Umwege über einen Einführer, erwerben. Dieser Umstand wird ebenfalls in der neuen Produkthaftungsrichtlinie aufgegriffen. Auch Offline- und Online-Händler sollen nach der neuen Produkthaftungsrichtlinie haftbar gemacht werden können, wenn sie dem Geschädigten den Namen der in der EU ansässigen haftbaren Person auf Anforderung nicht offenlegen (Art 7 Abs 5). Dies gilt auch für Online-Marktplätze, wenn sie dem Verbraucher gegenüber als Händler auftreten (Art 7 Abs 6).
Die neue Produkthaftungsrichtlinie betrifft nicht nur Hardwarehersteller, sondern genauso Softwareanbieter und Anbieter digitaler Dienste. Vor allem sollen Hersteller für fehlerhafte Produkte auch dann haften, wenn ein Schaden auf eine komplementäre Dienstleistung, Software inklusive Updates und Upgrades oder das Fehlen von Updates und Upgrades zur Erhaltung der Sicherheit zurückzuführen ist (Art 10 Abs 2).
Die Frist für die gerichtliche Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach dem PHG soll drei Jahre ab Kenntnis von Schaden, Fehlerhaftigkeit und Verursacher sein (Art 14). Die Frist für das endgültige Erlöschen von Ersatzansprüchen beträgt zehn Jahre ab Inverkehrbringen bzw substanzieller Modifikation des Produkts. In manchen Fällen könnte daher durch Argumentation einer zwischenzeitlichen substanziellen Produktmodifikation eine längere Frist für das Erlöschen von Ersatzansprüchen herbeigeführt werden. In einem Sonderfall, nämlich wenn der Geschädigte wegen eines Personenschadens nicht in der Lage war, seinen Schaden früher geltend zu machen, erlöschen Ersatzansprüche endgültig erst nach 15 Jahren.
3. KI-Haftungsrichtlinie
3.1. Ergänzung nationaler Regelungen der Verschuldenshaftung
Anders als die neue Produkthaftungsrichtlinie, die verschuldensunabhängige Ersatzansprüche für fehlerhafte Produkte betrifft, zielt die KI-Haftungsrichtlinie auf die Einführung bestimmter Instrumente bei bestimmten verschuldensbasierten Schadenersatzklagen ab. Konkret ergänzt die KI-Haftungsrichtlinie außervertragliche verschuldensbasierte zivilrechtliche Klagen zum Ersatz von Schäden, die durch den Output eines KI-Systems oder ein Versagen eines KI-Systems, einen Output zu erzeugen, wo ein derartiger hätte erzeugt werden sollen, entstanden sind. Bei derartigen
Schadenersatzklagen sollen Geschädigte in die Lage versetzt werden, gerichtlich mit berechtigten Ansprüchen aus KI-Schäden besser durchzudringen. Dazu sollen harmonisierte Regelungen zur (i) Offenlegung von Beweismitteln betreffend Hochrisiko-KI-Systeme und (ii) eine Möglichkeit zur Vermutung eines Kausalzusammenhangs in bestimmten Fällen eingeführt werden.
Die Definitionen der KI-Haftungsrichtlinie bauen auf den Definitionen im AI Act auf. Zentral sind vor allem die Definition „KISystem“ und „Hochrisiko-KI-System“, die aktuell aufgrund der laufenden Beratungen und Verhandlungen des AI Act noch nicht final sind. Gemäß dem Entwurf des AI Act der Europäischen Kommission vom April 2021 sollen KI-Systeme all jene Software umfassen, die auf Basis von bestimmten KI-Techniken (bspw machine learning, reinforcement learning, deep learning, wissensbasierte Ansätze, statistische Methoden etc) entwickelt wurden und für menschlich definierte Ziele Ergebnisse generieren, die das Umfeld, mit dem sie interagieren, beeinflussen (Art 3 Abs 1 Z 1 iVm Annex 1 AI Act). Aufbauend auf dieser Definition werden KI-Systeme in bestimmten Einsatzbereichen aufgrund der damit verbundenen Gefahren für Grund- und Freiheitsrechte als Hochrisiko-KI-Systeme einem Katalog spezieller Compliance-Bestimmungen unterworfen. Bei Hochrisiko-KI-Systemen handelt es sich bspw um KI-Systeme, die als Sicherheitskomponenten in der kritischen Infrastruktur (Wärme, Gas, Strom, Verkehr, Wasser) eingesetzt werden, sowie KI-Systeme, die im Personal- und Bildungswesen, bei der Strafverfolgung, für Migration, Asyl und Grenzkontrolle, in der Rechtspflege sowie im Bereich elementarer privater und öffentlicher Dienstleistungen und für biometrische Identifikation eingesetzt werden.12
3.2. Offenlegung von Beweismitteln
Potenzielle Kläger und Kläger sollen die Möglichkeit haben, gerichtlich die Offenlegung von Beweisen betreffend Hochrisiko-KISysteme zu beantragen, die im Verdacht stehen, einen Schaden verursacht zu haben. Hervorzuheben ist, dass ein derartiger Antrag bereits vor der Gerichtsanhängigkeit eines Verfahrens durch potenzielle Kläger, dh Geschädigte, die erst erwägen, eine Klage einzubringen, zulässig sein soll. Voraussetzung für einen Antrag auf gerichtliche Anordnung der Beweisoffenlegung ist, dass der Antragslegitimierte zuvor erfolglos (i) beim Hersteller oder einer Person mit Herstellerpflichten (Art 24, Art 28 AI Act) oder (ii) beim KI-System-Nutzer die Offenlegung dieser Beweise angefragt (Art 3 Abs 1) und alle verhältnismäßigen Versuche ausgeschöpft hat, diese Beweismittel vom jeweiligen Antragsgegner zu erlangen (Art 3 Abs 2). Zudem muss ein derartiger Antrag durch entsprechende Tatsachen und Beweismittel unterstützt werden, welche die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs belegen. Ebenso kann Beweissicherung beantragt werden.
Um allgemeine und pauschale Anträge zu verhindern sowie Offenlegung und Beweissicherung auf relevante und notwendige
rdw.lexisnexis.at 14 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 15
12 Vgl ausführlicher Gorzala, RdW digital exklusiv 2021/34 vom 29. 4. 2021.
Beweismittel einzugrenzen, hat das Gericht bei derartigen Anordnungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Zusätzlich hat eine Abwägung der Interessen aller Parteien sowie von Dritten stattzufinden. Im Besonderen sind auch der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und von Informationen betreffend die öffentliche und nationale Sicherheit bei einer derartigen Abwägung miteinzubeziehen. Da als verfahrensleitendes Instrument bezeichnet, werden Anträge zur Offenlegung von Beweismitteln betreffend Hochrisiko-KI-Systeme wohl mit gerichtlichem Beschluss erledigt werden. Daraus folgt, dass das verpflichtend vorzusehende Rechtsmittel des Antragsgegners in der Form eines vom Streitwert unabhängigen Rekurses in der ZPO abgebildet werden kann.
Die Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung zur Offenlegung oder Beweissicherung durch Beklagte zieht die widerlegbare Vermutung der Nichteinhaltung von Sorgfaltspflichten nach sich. Dadurch sollen Offenlegungen gefördert und Gerichtsverfahren im Sinne der Verfahrensökonomie beschleunigt werden (Art 3 Abs 5).
3.3. Vermutungen des Kausalzusammenhangs
Mangels gesetzlicher Spezialregeln über die Beweislast im materiellen Recht muss jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Normen behaupten und beweisen. Geschädigten obliegt somit der Nachweis von Schaden, Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden bei der Geltendmachung von KI-Schäden. Als allgemeines Beweismaß, das durch die KI-Haftungsrichtlinie nicht berührt wird, sieht die ZPO hohe Wahrscheinlichkeit vor (§ 272 ZPO). Da für Geschädigte vor allem der Nachweis der Kausalität bei KI-Systemen schwierig sein kann, enthält die KIHaftungsrichtlinie die Möglichkeit zur Vermutung eines Kausalzusammenhangs (Art 4 Abs 1), wenn alle Kriterien wie folgt erfüllt sind:
(a) Der Kläger hat das Verschulden des Beklagten oder einer ihm zurechenbaren Person, bestehend in der Nichteinhaltung einer Sorgfaltspflicht gemäß Unionsrecht oder nationalem Recht, nachgewiesen, die direkt der Verhinderung des entstandenen Schadens dient. Im Zentrum stehen hier bestimmte Verstöße gegen Pflichten im AI Act, wie unten näher ausgeführt. Auch wird Verschulden widerlegbar vermutet, wenn der Beklagte einer gerichtlichen Anordnung zur Offenlegung oder Beweissicherung nicht nachgekommen ist.
(b) Aufgrund der Umstände des Einzelfalls kann als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden, dass ein Verschulden den Output des KI-Systems oder das Versagen des KI-Systems beeinflusst hat.
(c) Der Kläger hat nachgewiesen, dass der Output des KI-Systems oder das Versagen des KI-Systems, einen Output zu erzeugen, den Schaden verursacht hat.
Bei der Geltendmachung von Schäden in Verbindung mit einem Hochrisiko-KI-System ist betreffend die Voraussetzung in Punkt (a) zwischen (i) Ansprüchen gegen den Hersteller eines
Hochrisiko-KI-Systems bzw eine Person, die Herstellerpflichten unterliegt, und (ii) Ansprüchen gegen Nutzer von Hochrisiko-KISystemen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung beruht auf den im AI Act für diese Gruppen unterschiedlich vorgesehenen Pflichten.
Bei Ansprüchen gegen Hersteller von Hochrisiko-KI-Systemen bzw Personen mit Herstellerpflichten sind Verstöße gegen Sorgfaltspflichten durch den Beklagten im Lichte des gemäß AI Act verpflichtenden Risikomanagementsystems und seiner Ergebnisse zu beurteilen. Ein Nachweis von Verstößen gegen Sorgfaltspflichten gemäß Punkt (a) soll nur dann vorliegen, wenn:
(i) das Hochrisiko-KI-System auf einem Modell basiert, das mittels Daten trainiert wurde, und die Trainings-, Validierungs- und Testdaten nicht den im AI Act definierten Qualitätskriterien entsprechen (relevant, repräsentativ, aktuell und korrekt).
(ii) das Hochrisiko-KI-System in einer Art und Weise gestaltet und entwickelt wurde, die nicht den Transparenzanforderungen im AI Act entspricht.
(iii) das Hochrisiko-KI-System nicht derart entwickelt wurde, dass es eine effektive menschliche Überwachung während der Nutzung zulässt.
(iv) das Hochrisiko-KI-System nicht derart gestaltet und entwickelt wurde, das gemäß seinem Zweck angemessene Niveau an Genauigkeit, Robustheit und Cybersicherheit aufzuweisen.
(v) notwendige Korrekturhandlungen nicht unverzüglich vorgenommen wurden, um das Hochrisiko-KI-System konform mit den Verpflichtungen des AI Act zu machen oder es vom Markt zurückzunehmen.
Bei Schadenersatzansprüchen gegen Nutzer von Hochrisiko-KISystemen soll der Nachweis für die Voraussetzung der vermuteten Verletzung von Sorgfaltspflichten gemäß Punkt (a) nur dann vorliegen, wenn:
(i) der Nutzer seinen Verpflichtungen, das Hochrisiko-KI-System während der Nutzung zu überwachen, entsprechend der Nutzeranleitung nicht nachgekommen ist oder seine Verpflichtung, die Nutzung auszusetzen oder zu unterbrechen, verletzt hat.
(ii) der Nutzer das Hochrisiko-KI-System mit Input-Daten unter seiner Kontrolle verwendet hat, die nicht relevant für den intendierten Zweck des Systems sind.
Gerichte haben bei Hochrisiko-KI-Systemen von der Kausalitätsvermutung nicht Gebrauch zu machen, wenn der Beklagte nachweist, dass dem Kläger ausreichende Beweise und Fachkenntnisse zur Verfügung stehen, um den Kausalzusammenhang zu beweisen. Diese Bestimmung ist in Verbindung mit gerichtlich angeordneten Offenlegungen zu sehen und soll Beklagten einen Anreiz bieten, Offenlegungspflichten nachzukommen. Ebenso soll diese Bestimmung Hersteller von Hochrisiko-KI-Systemen dazu motivieren, die im AI Act festgelegten Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen Transparenzniveaus sowie die Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten entsprechend zu erfüllen.
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ART.-NR.:
Bei allen anderen KI-Systemen, die nicht als hochriskant gelten, soll die Kausalitätsvermutung nur dann anwendbar sein, wenn Gerichte der Auffassung sind, dass es für Kläger übermäßig schwierig ist, den Kausalzusammenhang zu beweisen. Für die Beurteilung dieser Frage werden Kriterien wie bspw Adaptivität (Autonomie) und Transparenz relevant sein, welche in der Praxis die Erklärung der inneren Funktionsweise des KI-Systems sehr schwierig machen und daher es auch einem Kläger erschweren, den Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden des Beklagten und einem Schaden durch das KI-System nachzuweisen.
Hervorzuheben ist weiter, dass die durch die KI-Haftungsrichtlinie eingeführte Möglichkeit der Kausalitätsvermutung im Wesentlichen nur bei B2B-Verhältnissen zur Anwendung kommt. Ausgeschlossen wird die Anwendbarkeit, wenn KI-Systeme für persönliche, nicht-unternehmerische Tätigkeiten verwendet werden, außer der Beklagte hat den Betrieb des KI-Systems wesentlich beeinträchtigt oder wäre verpflichtet und in der Lage gewesen, die Betriebsbedingungen des KI-Systems zu bestimmen, hat dies aber nicht getan.
Der Beklagte soll natürlich die Möglichkeit haben, eine auf der KI-Haftungsrichtlinie beruhende Kausalitätsvermutung zu widerlegen.
4. Umsetzung und weitere Maßnahmen
Die neue Produkthaftungsrichtlinie ist von den Mitgliedstaaten binnen 12 Monaten ab Beschlussfassung umzusetzen. Die KI-Haftungsrichtlinie ist durch die Mitgliedstaaten binnen zwei Jahren ab Inkrafttreten umzusetzen und gilt nur für jene Schadenersatzansprüche, die ab dem Zeitpunkt der Geltung der Richtlinie entstehen. Es wird zudem ein Überwachungsprogramm eingerichtet, das der Kommission Informationen über Vorfälle mit KI-Systemen liefert. Im Rahmen einer gezielten Überprüfung, welche fünf Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die KI-Haftungsrichtlinie stattfinden soll, wird beurteilt, ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind. Die Überprüfungsfrist für die Produkthaftungsrichtlinie beträgt sechs Jahre nach Inkrafttreten, womit der Überprüfungszeitraum beider Regelwerke in etwa in zeitlichem Gleichlauf stattfindet. Als weitere denkbare Maßnahmen werden abschließend die Einführung strenger Haftungsregelungen für KI-Schäden oder ein Pflichtversicherungsmodell angeführt, wobei die Notwendigkeit erst nach Beobachtung der Entwicklungen evaluiert wird.
5. Zusammenfassung
Die neue Produkthaftungsrichtlinie schließt durch die Aufnahme von Software und damit digitalen Produkten eine mittlerweile wesentliche Lücke im Verbraucherschutz. Zudem ist der Kreis der potenziell haftbaren Personen relativ weit gefasst und umfasst sowohl Hersteller als auch unter bestimmten Umständen Händler und Online-Plattformen. Verbraucher können Ansprüche aus KI-Schäden künftig auf die neue Produkthaftungsrichtlinie bzw die entsprechenden nationalen Umsetzungsgesetze und
die dort eingeführten Erleichterungen durch Kausalitätsvermutungen und Instrumente zur Offenlegung stützen. Dies ohne die Notwendigkeit, dass ein Schaden zunächst die aktuell geltende Mindestschwelle von 500 € übersteigt, und allgemein binnen drei Jahren ab Kenntnis von Schaden, Fehlerhaftigkeit und Verursacher. Der Entfall der Mindestschwelle, der erweiterte Kreis potenzieller Haftungsträger und auch die Erweiterung des ersatzfähigen Schadens um Schäden aus Datenverlusten und anerkannte psychische Schäden verbessern deutlich die Situation von Verbrauchern.
Die Möglichkeit für Gerichte zur Vermutung eines Kausalzusammenhangs gemäß der KI-Haftungsrichtlinie und damit eine mögliche Beweiserleichterung bei der Geltendmachung von KISchäden trifft als (potenzielle) Beklagte im Wesentlichen Unternehmer, die KI-Systeme im Betrieb ihres Unternehmens einsetzen. Bei Schadenersatzansprüchen gegen Nichtunternehmer, die KI-Systeme im persönlichen, nicht betrieblichen Bereich einsetzen, findet die Möglichkeit zur Kausalitätsvermutung der KI-Haftungsrichtlinie nur in Ausnahmefällen Anwendung. Dies scheint sachgerecht, da im Vordergrund der KI-Haftungsrichtlinie sowie der neuen Produkthaftungsrichtlinie eine Aktualisierung der Haftung von Anbietern und Herstellern von KI-Systemen steht. Diesen werden durch den AI Act bestimmte Sicherheitsanforderungen für KI-Produkte auferlegt, um Gefahren für Grund- und Freiheitsrechte von Systembetroffenen Rechnung zu tragen. Abgesehen von den Ergänzungen zur Offenlegung und den möglichen Vermutungen des Kausalzusammenhangs berührt die KIHaftungsrichtlinie weder die unionsrechtlichen noch die einzelstaatlichen Zivil- und Schadenersatznormen. Da die Rechtsbegriffe „Verschulden“ und „Schaden“ sowie die allgemeine Beweislast und das Beweismaß in den Mitgliedstaaten unterschiedlich sind, bleiben damit trotz punktueller Harmonisierung durch die KI-Haftungsrichtlinie Unterschiede bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen für KI-Schäden. Die Entscheidung für diese Vorgehensweise erging vor dem Hintergrund eines konservativen Ansatzes und zunächst der Wahl des gelindesten Mittels, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Es wird abzuwarten sein, ob diese Unterschiede nicht doch zu forum shopping innerhalb der EU bei der Geltendmachung von KI-Schäden führen.
Die Autorin:
Dr. Jeannette Gorzala, BSc, ist Rechtsanwältin in Wien mit Spezialisierung auf Wirtschaftsrecht und neue Technologien. Sie begleitet rechtlich und strategisch regelmäßig Organisationen beim ethischen und transparenten Einsatz von künstlicher Intelligenz, AR/VR, Metaverse-Konzepten und Blockchain-Modellen. Als Mitglied des Steering Committee des European AI Forum und CLO von AI Austria wirkt sie an der Gestaltung des europäischen KI-Rechtsrahmens mit. Jeannette Gorzala ist Associate Professor an der Woxsen Universität in Indien, Speakerin und Autorin zahlreicher Fachpublikationen.
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rdw.lexisnexis.at 16 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 15
Foto: Stefan Seelig
Geschäftsführerhaftung für DSGVO-Verstöße
Überlegungen anlässlich OLG Dresden 4 U 1158/21
»RdW 2023/16
Die Entscheidung 4 U 1158/21 des OLG Dresden scheint auf den ersten Blick geeignet, das dogmatische Fundament der gesellschafts- und datenschutzrechtlichen Haftung von Geschäftsführern auf den Kopf zu stellen. Nachfolgend wird untersucht, ob dies tatsächlich der Fall ist.
1. Ausgangspunkt: OLG Dresden 4 U 1158/21
In der Entscheidung 4 U 1158/21 vom 30. 11. 2021 hatte das OLG Dresden ua die Frage zu beantworten, ob ein Geschäftsführer einer GmbH von einem Dritten für Verstöße gegen die DSGVO in Anspruch genommen werden kann. Der Kläger, ein Autohändler, hatte ursprünglich um eine Mitgliedschaft in der beklagten GmbH angesucht. Im Zuge dieser Mitgliedsanfrage hatte der im Verfahren ebenfalls beklagte Geschäftsführer der GmbH einen Detektiv beauftragt, etwaige Vorstrafen des Klägers in Erfahrung zu bringen. Den Auftrag zur Recherche erteilte der Geschäftsführer im Namen der GmbH. Gleichzeitig erfolgte auch eine Weitergabe jener Daten an den Detektiv, die der Kläger im Zuge seines Antrags auf Mitgliedschaft an die GmbH bekannt gegeben hatte. Im Rahmen seiner Ermittlungen gewann der Detektiv schließlich strafrechtlich relevante Erkenntnisse über den Kläger und teilte diese dem Geschäftsführer mit. Nachdem der Geschäftsführer die Gesellschafter über das Ergebnis der Recherche unterrichtet hatte, wurde die angestrebte Mitgliedschaft des Klägers von der Gesellschaft abgelehnt. Der Kläger sah gegenständlich eine unrechtmäßige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten iSd Art 6 Abs 1 lit a DSGVO und forderte daraufhin Schadenersatz iHv insgesamt 21.000 € von der Gesellschaft und dem Geschäftsführer. Das in dieser Sache als Vorinstanz zuständige Landgericht Dresden bejahte sowohl eine Haftung der Gesellschaft als auch des Geschäftsführers, erachtete aufgrund des begangenen DSGVO-Verstoßes allerdings bloß einen Schadenersatz iHv 5.000 € für angemessen.1
Das OLG Dresden hatte sich insb mit der hier interessierenden Frage der datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit zu befassen, die auch den Anknüpfungspunkt für einen Anspruch auf Schadenersatz gem Art 82 Abs 1 DSGVO bildet. Die datenschutzrechtliche Rolle des Verantwortlichen stellt den unmittelbaren Anknüpfungspunkt der datenschutzrechtlichen Pflichten und Haftung dar. Wie auch bereits die Vorinstanz kam das OLG Dresden zum Ergebnis, dass sowohl die beklagte GmbH als auch der beklagte Geschäftsführer Verantwortliche der gegenständlichen
Verarbeitung iSv Art 4 Z 7 DSGVO seien. Zu den konkreten Voraussetzungen der Verantwortlichkeit führte das OLG Dresden aus, dass diese immer dann zu bejahen sei, wenn eine natürliche oder juristische Person allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und die Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheiden kann und entscheidet. Damit entfiele zwar in aller Regel die Verantwortlichkeit weisungsgebundener Angestellter oder sonstiger Beschäftigter; für den Geschäftsführer, wie jenen der beklagten GmbH, gelte dies allerdings nicht.2
Auf den ersten Blick wirkt diese Entscheidung wie ein Paukenschlag, der das dogmatische Fundament der gesellschafts- und datenschutzrechtlichen Haftung von Geschäftsführern erschüttert. Dass dem nicht so ist, wird sich nachfolgend zeigen.
2. Grundsätze der Haftung des Geschäftsführers einer GmbH
2.1. Innenhaftung
Das OLG Dresden bestätigt die Entscheidung des Landgerichts Dresden und sieht den GmbH-Geschäftsführer neben der Gesellschaft selbst als „Verantwortlichen“ nach der DSGVO an. Damit bestehe nach dem OLG Dresden ein weiterer Anknüpfungstatbestand für die Außenhaftung des Geschäftsführers. Allerdings ist die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nach den dogmatischen Grundprinzipien des Kapitalgesellschaftsrechts als reine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft konzipiert. Das Gesetz sieht eine Kanalisierung der Haftung der Geschäftsführer auf die GmbH als alleinige Anspruchsberechtigte vor.3 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 25 GmbHG, wonach Geschäftsführer, die ihre Obliegenheit verletzen, der Gesellschaft zur ungeteilten Hand für den daraus entstandenen Schaden haften (§ 25 Abs 2 GmbHG).4 Eine generelle Haftung von Geschäftsführern gegenüber Dritten ist demgegenüber gesetzlich nicht vorgesehen. Vielmehr haftet den Gläubigern der GmbH gem § 61 GmbHG nur das Gesellschaftsvermögen. Im Ergebnis soll durch diese Grundprinzipien der Haftung ein Haftungsfonds bei der Gesellschaft zentralisiert werden, der in weiterer Folge (somit mittelbar) potenzielle Ansprüche Dritter befriedigen soll (sogenannte „Haftungskanalisierung“).5
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 17 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 16
1 Landgericht Dresden 26. 5. 2021, 8 O 1286/19.
30. 11. 2021, 4 U 1158/21, Rn 15.
25
3.
2 OLG Dresden
3 Statt aller Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG §
Rz
4 Vgl Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) § 25 GmbHG Rz 5. 5 Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 25 Rz 3 f.
Dr. Lukas Lobnik • Wien
2.2. Außenhaftung
Lediglich bei Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen besteht die Möglichkeit der persönlichen und unmittelbaren (Außen-)Haftung des Geschäftsführers gegenüber Gesellschaftsgläubigern.6 So ordnet das Gesetz an manchen Stellen selbst eine Außenhaftung des Geschäftsführers an (zB in § 26 Abs 2, § 56 Abs 3 oder § 64 Abs 2 GmbHG).7 Darüber hinaus besteht in gewissen Fällen die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung, etwa bei vorsätzlich sittenwidriger Schädigung von Gläubigern (§ 1295 Abs 2 ABGB), in Form der cic-Haftung oder aufgrund der Verletzung vertraglicher Verpflichtungen.8 Auch aus wettbewerbsrechtlichen Verstößen können deliktsrechtliche Ansprüche abgeleitet werden.9 Die praktisch wichtigsten Fälle der Außenhaftung werden jedoch mit einer Verletzung von Schutzgesetzen begründet. So stellt etwa die Insolvenzverschleppung gem § 69 IO nach stRsp eine Schutzgesetzverletzung iSd § 1311 Satz 2 Fall 2 ABGB dar. Daneben kann auch aus einer Verletzung gewisser Straftatbestände (insb Veruntreuung gem § 133 StGB oder betrügerische Krida gem § 156 StGB) eine Schutzgesetzeigenschaft zugunsten Dritter und daher eine Außenhaftung von Geschäftsführern abgeleitet werden.
2.3. Zwischenergebnis
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Innenhaftung von Geschäftsführern aus rechtssystematischer Sicht den gesetzlichen Regelfall im GmbH-Recht bildet, die Organaußenhaftung hingegen die begründungsbedürftige Ausnahme darstellt.10 Nunmehr soll sich nach der Entscheidung des OLG Dresden auch aus der DSGVO eine unmittelbare Haftung von Geschäftsführern gegenüber Dritten ableiten lassen. Dieser Punkt bedarf einer näheren Prüfung, und zwar insb dahin gehend, ob eine dogmatische Rechtfertigung für diese besondere Außenhaftung im geltenden Recht gefunden werden kann. Das OLG Dresden lässt eine solche Prüfung nämlich vermissen.
3. Geschäftsführer als Verantwortlicher iSv Art 4 Z 7 DSGVO?
Die durch das OLG Dresden vorgenommene Ausweitung der DSGVO-Haftung auf Geschäftsführer scheint auf den ersten Blick bahnbrechend. Allerdings weist Spittka11 zu Recht darauf hin, dass die Entscheidung auf einem Fehlurteil in der ersten Instanz beruht. Diese Fehlentscheidung wurde jedoch durch das OLG Dresden bestätigt, da die Beklagten (GmbH und Geschäftsführer) die Beru-
6 Vgl Reichert/Groh, Datenschutzrechtliche Organaußenhaftung – Piercing the executive’s veil? NZG 2022, 307 (307).
7 Siehe S.-F. Kraus/U. Torggler in U. Torggler (Hrsg), GmbHG § 25 Rz 38 mwN.
8 Ausf Hörlsberger in Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer (Hrsg), GmbHG (2017) § 25 GmbHG Rz 31.
9 Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 25 GmbHG Rz 4.
10 Vgl Fleischer in BeckOGK AktG § 93 AktG Rz 392.
11 Spittka, Haftung der Geschäftsleitung bei Datenschutzverstößen, DSB 2022, 86 (86 f).
fung nach Hinweisen des Senats im mündlichen Verfahren zurücknahmen.12 Die Verurteilung des Geschäftsführers zur Zahlung von Schadenersatz gem Art 82 DSGVO in erster Instanz erwuchs damit in Rechtskraft. Aus diesem Grund fallen wohl auch die Ausführungen des OLG Dresden zur Einordnung des Geschäftsführers als Verantwortlicher iSd DSGVO sehr oberflächlich aus.
3.1. Der Begriff des Verantwortlichen
Die DSGVO versteht unter einem Verantwortlichen „die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet [...]“. Der Begriff des Verantwortlichen dient in erster Linie dazu, zu bestimmen, wer für die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen verantwortlich ist und wie die betroffenen Personen ihre Rechte in der Praxis ausüben können.13 Anders ausgedrückt: Er dient dazu, Verantwortung zuzuweisen.14 Verantwortliche haben in diesem Zusammenhang die gebotenen Handlungen zu setzen und die verbotenen Tätigkeiten zu unterlassen, um eine gesetzeskonforme Datenverarbeitung zu gewährleisten.15
Das OLG Dresden bestätigt die Entscheidung des Landgerichts Dresden und bejaht das Vorliegen der Eigenschaft eines Verantwortlichen für einen Geschäftsführer – anders als bei weisungsgebundenen Angestellten oder sonstigen Beschäftigten –ohne nähere Begründung. Das Landgericht Dresden führt hierzu wie folgt aus: „[l]etztendlich handelt [...] bei einer juristischen Person wie der GmbH der oder die Geschäftsführer und bei einer AG der Vorstand. Damit gibt es auch immer natürliche Personen, die letztendlich auch die persönliche Verantwortung für ein Tun oder Nichttun zu tragen haben.“16 Hierbei werden jedoch grundlegende dogmatische Prinzipien des Gesellschafts- und Datenschutzrechts außer Acht gelassen.
3.2. Keine Handlungsfähigkeit der juristischen Person
Eine GmbH ist als juristische Person zwar rechts- und prozessfähig, jedoch nicht handlungsfähig. Vielmehr bedarf es gesellschaftsrechtlicher Organe bzw Organwalter, die die GmbH erst handlungsfähig werden lassen.17 In der GmbH erfüllen diese Funktion die Geschäftsführer. Sie sind gem § 18 GmbHG dazu berufen, die Gesellschaft zu vertreten.18 Daraus folgt einerseits,
12 OLG Dresden 4 U 1158/21, Rn 10; Spittka, DSB 2022, 86 (86 f).
13 OGH 6 Ob 56/21k, Rn 131 f.
14 Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 1/2010 zu den Begriffen „für die Verarbeitung Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“, WP 169, 6; Hartung in Kühling/Buchner (Hrsg), DSGVO BDSG (2020) Art 4 Nr 7 Rz 1.
15 Hödl in Knyrim (Hrsg), DatKomm Art 4 DSGVO Rz 77; Raschauer in Sydow/ Marsch (Hrsg), DS-GVO/BDSG3 Art 4 DSGVO Rz 120.
16 Landgericht Dresden 26. 5. 2021, 8 O 1286/19, Rn 77.
17 Vgl RIS-Justiz RS0059994 [T2].
18 Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 18 Rz 5; Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer (Hrsg), Österreichisches Gesellschaftsrecht2 (2017) Rz 4/200 mwN.
rdw.lexisnexis.at 18 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 16
dass die Gesellschaft als solche durch rechtsgeschäftliches Handeln der Organe berechtigt und verpflichtet werden kann, andererseits resultiert daraus im Grunde auch eine Verantwortlichkeit der Gesellschaft für Handlungen ihrer Organe.19
Ganz ähnlich verhält es sich im Datenschutzrecht. Einer der wesentlichen Grundsätze ist, dass die Geschäftsleitung einer juristischen Person oder Personenvereinigung zwar intern die originäre Verantwortung zur Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben trägt, aber als Teil des Verantwortlichen angesehen wird.20 Dies ist wiederum darauf zurückzuführen, dass juristische Personen trotz eigener Rechtspersönlichkeit nicht selbst handeln können, sondern hierfür zwingend natürliche Personen benötigen. Demnach ist zu ermitteln, wem das Handeln zuzurechnen ist: der jeweils handelnden Person selbst oder der Organisation, für die diese Person tätig wird.21
Bei einer weiten Lesart der gesetzlichen Definition des Verantwortlichen gem Art 4 Z 7 DSGVO wäre wohl auch der Geschäftsführer einer GmbH neben der GmbH selbst als Verantwortlicher anzusehen, da dieser allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Allerdings ist dies aus teleologischer Sicht zu hinterfragen.22 Gemäß der Artikel-29-Datenschutzgruppe sind die Hauptkomponenten der Definition des Verantwortlichen die Eigenschaft als geeigneter Adressat (natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder jede andere Stelle) sowie die allein oder gemeinsam mit anderen ausgeübte wesentliche Entscheidungsbefugnis über Zwecke und Mittel der Verarbeitung.23
Die Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten iSd Art 4 Z 7 DSGVO wird bei juristischen Personen notwendigerweise immer von einer oder mehreren natürlichen Personen getroffen, ohne dass diese dadurch automatisch zu einem Verantwortlichen werden.24 Geschäftsführer entscheiden zwar funktional über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten, jedoch nicht für sich selbst, da sie persönlich keine Daten verarbeiten wollen.25 Vielmehr werden diese natürlichen Personen im Auftrag und zum Vorteil der juristischen Person tätig, die aus der Datenverarbeitung im Ergebnis einen Nutzen zieht und daher auch verpflichtet ist, die datenschutzrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Daher wird das Verhalten der Vertreter dem letztendlich Begünstigten zugerechnet. In weiterer Folge führt dies auch dazu, dass die theoretische Verantwortlichkeit des Leitungsorgans von jener der Gesellschaft „absorbiert“ wird. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den Ausführungen des European Data Protection Board, wonach in der Praxis „[...] die Organisation als solche und nicht eine natürliche Person innerhalb der Organisation (wie der Geschäftsführer, ein Angestellter oder ein Mitglied des Leitungsorgans), als Verantwort-
19 Grundlegend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4 § 10 I 1, 255 ff
20 Spittka, DSB 2022, 86 (87).
21 Hartung in Kühling/Buchner, DSGVO BDSG Art 4 Nr 7 Rz 9.
22 Vgl Reichert/Groh, NZG 2022, 307 (308).
23 Artikel-29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme 1/2010, WP 169, 10.
24 Spittka, DSB 2022, 86 (87).
25 Reichert/Groh, NZG 2022, 307 (308).
licher fungiert“.26 Das EDSA nimmt die vom Landgericht bzw OLG Dresden vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Geschäftsführer einerseits und weisungsgebundenen Angestellten und sonstigen Beschäftigten jedoch gerade nicht vor.
Anders ist selbstverständlich der Fall zu beurteilen, wenn ein Geschäftsführer personenbezogene Daten für eigene bzw gesellschaftsfremde Zwecke nutzt und dadurch selbst zum Verantwortlichen einer (eigenen) Datenverarbeitung wird.27
3.3. Anwendung der Prinzipien auf den Sachverhalt in OLG Dresden 4 U 1158/21
Nach dem festgestellten Sachverhalt war Gegenstand der hier interessierenden Datenverarbeitung das Vorliegen etwaiger Vorstrafen des Klägers. Im Zuge der Mitgliedsanfrage des Klägers hat der Geschäftsführer im Namen der Gesellschaft einen Detektiv dazu beauftragt, Hinweise zu etwaigen Vorstrafen des Klägers zu sammeln und in diesem Zusammenhang personenbezogene Daten des Klägers weitergegeben. Nachdem der Geschäftsführer die Gesellschafter über das Ergebnis der Recherche unterrichtet hatte, wurde die angestrebte Mitgliedschaft des Klägers von der Gesellschaft abgelehnt.
Aufgrund des festgestellten Sachverhalts bestehen keine Indizien dafür, dass der Geschäftsführer die Daten für eigene Zwecke verwenden wollte, da dieser die Daten im Namen und zum Vorteil der GmbH und gerade nicht für eigene Zwecke außerhalb des Tätigkeitsbereichs und der möglichen Kontrolle der GmbH verarbeiten wollte.28 Zudem kann der Geschäftsführer nicht als Auftragsverarbeiter iSd Art 4 Z 8 DSGVO betrachtet werden. Entscheidend für die Qualifikation als Auftragsverarbeiter ist, dass dessen Datenverarbeitungen im Auftrag des Verantwortlichen durchgeführt werden und nicht der Auftragsverarbeiter selbst über die Verarbeitungszwecke und Verarbeitungsmittel entscheidet (Art 4 Z 2 DSGVO). Der Auftragsverarbeiter darf personenbezogene Daten nur auf Weisung des Verantwortlichen verarbeiten.29 Dazu liegen aber gerade keine Feststellungen vor.
Im Ergebnis ist das Handeln des Geschäftsführers demnach der GmbH zuzurechnen. Aus diesem Grund kommt die Eigenschaft des Verantwortlichen iSd Art 4 Z 7 DSGVO unter Zugrundelegung der Auslegung der EDSA30 und der hL31 ausschließlich der GmbH und nicht (zusätzlich) dem Geschäftsführer zu.
26 Leitlinien 07/2020 zu den Begriffen „Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“ in der DSGVO vom 7. Juli 2021, 11 Rz 17; siehe auch Hödl in Knyrim, DatKomm Art 4 DSGVO Rz 81.
27 Spittka, DSB 2022, 86 (87); Hartung in Kühling/Buchner, DSGVO BDSG Art 4 Nr 7 Rz 10, mit dem Hinweis, dass es in einem solchen Fall auch zu einer Mitverantwortung einer fahrlässig handelnden Organisation kommen könnte.
28 Vgl Hödl in Knyrim, DatKomm Art 4 DSGVO Rz 86.
29 Hödl in Knyrim, DatKomm Art 4 DSGVO Rz 94.
30 Leitlinien 07/2020 zu den Begriffen „Verantwortlicher“ und „Auftragsverarbeiter“ in der DSGVO vom 7. Juli 2021, 11 Rz 17.
31 Siehe nur Hödl in Knyrim, DatKomm Art 4 DSGVO Rz 81; Spittka, DSB 2022, 86 (87).
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 19 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 16
4. Ergebnis
Zusammengefasst sind Geschäftsführer einer GmbH – entgegen dem OLG Dresden – idR nicht neben der Gesellschaft als „Verantwortliche“ iSv Art 4 Z 7 DSGVO anzusehen. Vielmehr kommt diese Eigenschaft ausschließlich der GmbH zu, die als Verantwortliche der Datenverarbeitung anzusehen ist, weil nur sie im Ergebnis einen Nutzen aus der Datenverarbeitung zieht und daher auch für etwaiges Fehlverhalten einzustehen hat. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem gesellschaftsrechtlichen Befund, wonach eine GmbH erst durch ihre Organe handlungsfähig wird und Rechtsfolgen idR auf Ebene der juristischen Person eintreten sollen. Etwas anderes gilt freilich, wenn Geschäftsführer personenbezogene Daten für eigene bzw gesellschaftsfremde Zwecke nutzen. In einem solchen Fall sind Geschäftsführer selbst als Verantwortliche iSd DSGVO mit sämtlichen daraus resultierenden Verantwortlichkeiten und Pflichten anzusehen.
Schadenersatzansprüche gem Art 82 DSGVO sind also grundsätzlich auf die juristische Person beschränkt, die den Datenschutzverstoß begeht. Geschäftsführer einer GmbH können hingegen idR gerade nicht unmittelbar von Dritten zur Leistung eines Schadenersatzes aufgrund einer Datenschutzverletzung herangezogen werden. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Entscheidung des OLG Dresden in diesem Punkt vereinzelt bleiben wird.
Der Autor:
Dr. Lukas Lobnik ist Referent in der Rechtsabteilung der Oesterreichischen Nationalbank. Zuvor war er Universitätsassistent prae doc am Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht der WU Wien.
lesen.lexisnexis.at/autor/Lobnik/Lukas Foto: Jürgen Angel
Dr. Raphael Toman, LL.M. (NYU)/Mag. Klaus Winhofer, MSc. • Wien
EuGH beendet öffentliche Einsicht ins Register der wirtschaftlichen Eigentümer
»RdW 2023/17
Der EuGH hob zuletzt die Rechtsgrundlage für die öffentliche Einsicht in das österreichische Register der wirtschaftlichen Eigentümer auf. Mit seinem am 22. 11. 2022 veröffentlichten Urteil zu C-37/20 und C-601/20 erklärte der Gerichtshof jene Bestimmung der 5. EU-Geldwäscherichtlinie für ungültig, aus der sich die Pflicht der Mitgliedstaaten ergab, der gesamten Öffentlichkeit eine Einsichtsmöglichkeit in das jeweilige nationale Register zu verschaffen. Das BMF hat bereits reagiert und mit Verweis auf den Anwendungsvorrang der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Funktion der öffentlichen Einsicht in das österreichische Register der wirtschaftlichen Eigentümer offline genommen. Der vorliegende Artikel befasst sich mit den Auswirkungen der Entscheidung sowie Anpassungsvorschlägen für das WiEReG.
1. Ursprüngliche Rechtslage
Seit dem Inkrafttreten des Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetzes (WiEReG) am 15. 1. 20181 sind in Österreich annähernd sämtliche2 Rechtsträger verpflichtet, ihre wirtschaftlichen
1 Vgl § 19 WiEReG BGBl I 2017/136.
2 Nicht erfasst sind verständlicherweise Einzelunternehmer, Gesellschaften bürgerlichen Rechts, Wohnungseigentümergemeinschaften oder Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften, vgl bmf.gv.at/services/ wiereg/meldungen-an-das-register.html (12. 12. 2022).
Eigentümer festzustellen, zumindest jährlich zu überprüfen und an das vom Bundesministerium für Finanzen (BMF) geführte Register zu melden. Grund und Grundlage für dieses Gesetz war Art 30 der am 20. 5. 2015 erlassenen Richtlinie 2015/849 der Europäischen Union zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (4. Geldwäscherichtlinie). Dieser legt zugleich fest, welchen Institutionen Einblick in dieses Register gewährt werden muss.
Welche Daten der wirtschaftlichen Eigentümer im Register erfasst und damit einsehbar sind, ergibt sich nicht direkt aus der Richtline. Diese spricht lediglich davon, die Mitgliedstaaten müssten dafür sorgen, dass „angemessene, präzise und aktuelle“ Angaben zu den wirtschaftlichen Eigentümern vorliegen.3 In Österreich hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, dass die Rechtsträger jedenfalls Vor- und Zuname, Geburtsdatum und Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz der jeweiligen wirtschaftlichen Eigentümer erheben und an das Register melden müssen.4 Bei Inländern werden die Daten zum Teil automa-
3 Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl L 2015/141, 73, Art 30 Abs 1.
4 § 5 Abs 1 Z 1 lit a–e WiEReG idF BGBl 2021/148.
rdw.lexisnexis.at 20 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 17
tisch aus dem zentralen Melderegister übernommen und aktuell gehalten.
Um den Vorgaben der DSGVO Genüge zu tun, wurde die Einsicht in das Register eingeschränkt. Die generelle Einsichtsmöglichkeit war ursprünglich auf Behörden und jene Personen und Entitäten beschränkt, die entsprechende Pflichten zur Feststellung der wirtschaftlichen Eigentümer ihrer Kunden treffen (vor allem Banken, aber auch Rechtsanwälte und Notare). Sonstige Personen erhielten nur Einsicht, wenn sie ein begründetes Interesse5 nachweisen konnten. In diesem Fall war (und ist nun wieder) die Einsicht auf bestimmte Informationen beschränkt, in Österreich etwa auf Namen, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit.
2. Die Änderungen durch die 5. Geldwäscherichtlinie
Mit der RL 2018/8436 vom 30. 5. 2018 wurde bereits wenige Monate nach dem Inkrafttreten des WiEReG in Österreich der Grundstein für die öffentliche Einsicht in das Register der wirtschaftlichen Eigentümer gelegt. Art 1 Nr 15 lit c der Richtlinie bestimmt, dass die Einsicht in das Register allen Mitgliedern der Öffentlichkeit zukommt. Diese sollten Zugang „mindestens zum Namen, Monat und Jahr der Geburt, dem Wohnsitzland und der Staatsangehörigkeit des wirtschaftlichen Eigentümers sowie zu Art und Umfang des wirtschaftlichen Interesses“ erhalten.
Hintergrund dieser Öffnung der Registereinsicht war laut den in der Richtlinie festgehaltenen Erwägungsgründen,7 dass dadurch eine größere Kontrolle der Informationen durch die Zivilgesellschaft ermöglicht werde. Durch entsprechende Offenlegungspflichten würde außerdem das Vertrauen von Anlegern in die Finanzmärkte gestärkt, weil Transparenz hinsichtlich der Kontrollstrukturen von Gesellschaften geschaffen werde. Der österreichische Gesetzgeber hat diese Richtlinie mit dem EU-Finanz-Anpassungsgesetz 20198 umgesetzt und § 10 WiEReG entsprechend abgeändert. Seit dem 10. 1. 2022 konnte jedermann gegen eine Gebühr von 3 € Einsicht in das Register nehmen, wobei die auf diese Weise einsehbaren Auszüge keine Angaben zu Geburtsort und Wohnadresse enthielten.
3. Urteil des EuGH
Die öffentliche Einsicht wurde vom EuGH nunmehr jedoch für unvereinbar mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erklärt. Im zugrunde liegenden Fall hatte sich der EuGH mit zwei ähnlich gelagerten Sachverhalten zu beschäftigen, in
5 Die Erläuterungen sprechen von einer Verpflichtung zu oder tatsächlich gesetzten Tätigkeiten zur Geldwäscheprävention sowie einem Nachweis, welchen Beitrag der Auszug dazu liefern kann (ErlRV 1660 BlgNR 25. GP 13).
6 IdR bezeichnet als „5. EU-Geldwäscherichtlinie“.
7 Vgl Richtlinie (EU) 2018/843 des europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/ EG und 2013/36/EU, ABl L 2018/156, 43, Rz 30 ff
8 BGBl I 2019/62.
denen die Beschwerdeführer versuchten, den Zugang zu den im luxemburgischen Register enthaltenen Angaben über ihre jeweiligen wirtschaftlichen Eigentümer zu beschränken. Eine solche Beschränkung der Einsicht ist nach Art 30 Abs 9 der Richtline dann möglich, wenn der wirtschaftliche Eigentümer minderjährig oder geschäftsunfähig ist, oder sonst einem erhöhten Risiko ausgesetzt wäre, Opfer einer Straftat wie etwa Entführung oder Erpressung zu werden. Wird eine solche Einschränkung bewilligt, scheinen in sämtlichen Auszügen keine Daten zum antragstellenden wirtschaftlichen Eigentümer mehr auf.9
Dabei machte eine der Klägerinnen geltend, die Gewährung eines öffentlichen Zugangs zur Identität und den Daten ihres wirtschaftlichen Eigentümers verletze dessen Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens sowie das Recht auf Schutz personenbezogener Daten, die in den Art 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert seien. Der Zugang der Öffentlichkeit zu diesen Daten ohne jegliche Kontrolle würde nicht zum Erreichen der Zielsetzung der Geldwäscherichtlinien beitragen.10
Der Gerichtshof hielt hierzu fest, dass nach seiner stRsp das Zugänglichmachen der Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer deren Recht auf Achtung des Privatlebens berühren würde und zugleich eine Verarbeitung personenbezogener Daten sei.11 Der Eingriff sei schwerwiegend, weil sich aus den verfügbaren Daten ein Profil der Betroffenen hinsichtlich deren Vermögenslage und Investmentprofil erstellen lasse und die frei abrufbaren Daten auf Vorrat gespeichert und verarbeitet werden könnten.12 Jeder Eingriff in die genannten Grundrechte müsse daher im Hinblick auf das mit dem Eingriff verfolgte Ziel geeignet, erforderlich und vor allem verhältnismäßig sein.13
Bei seiner Prüfung kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die öffentliche Einsicht grundsätzlich geeignet sei, zur Zielsetzung der Richtlinie beizutragen. Damit werde nämlich die Transparenz erhöht und so ein Umfeld geschaffen, das weniger für Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung genutzt werden könnte.14 Hinsichtlich der Erforderlichkeit dieser Einsicht kritisiert der Gerichtshof jedoch die Begründung durch Rat und Parlament. Diese hätten als einzigen Grund angeführt, es wäre schwierig gewesen, aufgrund der unterschiedlichen Auslegungen in den einzelnen Rechtsordnungen klar festzulegen, was denn ein die Einsicht rechtfertigendes „berechtigtes Interesse“ sei. Die mit der Geldwäscheprävention befassten Organisationen, die nach den Erwägungen von Rat und Parlament von der öffentlichen Einsicht profitieren sollten, hätten aber nach Ansicht des EuGH ohnehin ein berechtigtes Interesse zur Einsicht.15 Zuletzt ergebe sich aus der Formulierung, dass der Öffentlichkeit
9 Vgl Edelhauser/Petritz, Die Auswirkungen der Umsetzung der 5. EU-Geldwäscherichtlinie im WiEReG für Privatstiftungen und das freiwillige Compliance Package, ZFS 2020, 18.
10 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, ECLI:EU:C: 2022:912, Rn 28 f.
11 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, Rn 38 f.
12 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, Rn 41 ff
13 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, Rn 63 ff.
14 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, Rn 67.
15 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, Rn 69 ff
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 21 WIRTSCHAFTSRECHT
17
ART.-NR.:
„mindestens“ Zugang zu Namen und Geburtsdatum zu gewähren sei, dass der genaue Umfang der Einsicht weder hinreichend bestimmt noch identifizierbar sei.16
Im Ergebnis war daher jener Artikel der 5. Geldwäscherichtlinie wieder aufzuheben, mit dem die Einsichtsmöglichkeit auf die gesamte Öffentlichkeit ausgeweitet wurde. Damit gilt wieder die Fassung der 4. Geldwäscherichtlinie, dass jene Personen, die kein gesondertes Einsichtsrecht bspw als Verpflichtete haben, einen Antrag bei der zuständigen Registerbehörde stellen und dabei ein berechtigtes Interesse an der Auskunft nachweisen müssen.
4. Implikationen für Österreich
Hierzulande hat das BMF prompt reagiert und unmittelbar nach der Veröffentlichung des Urteils die Anwendung „Öffentliche Einsicht“ hinsichtlich des Registers für wirtschaftliche Eigentümer offline genommen.17 Als Begründung dafür führt die Behörde an, die europarechtliche Grundlage für die öffentliche Einsicht sei durch das Urteil weggefallen, wodurch aufgrund des Anwendungsvorrangs der Charta der Grundrechte der Europäischen Union § 10 WiEReG in dieser Fassung nicht angewendet werden dürfe.
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung stellt sich jedoch die Frage, ob daraus nicht weitere Schlüsse für die österreichische Handhabung des Registers zu ziehen sind. Nach Ansicht des EuGH18 dürften gem Art 30 Abs 1 der Richtlinie nämlich nur „angemessene“ Angaben über die wirtschaftlichen Eigentümer eingeholt und aufbewahrt werden. Diese müssten einen angemessenen Bezug zu den Zielsetzungen der Richtlinie aufweisen.
Bei Geburtsort und der genauen Wohnadresse handelt es sich jedoch um ein österreichisches Spezifikum, das sich nur in wenigen anderen europäischen Registern findet. So muss nach § 19 des deutschen Geldwäschegesetzes zwar der Wohnort des „wirtschaftlich Berechtigten“ angegeben werden, nicht aber die vollständige Adresse.19 Im irischen Register ist ebenfalls die „residential address“ zu melden,20 das schwedische Register enthält dahingegen nur das Wohnsitzland.21 Das im Verfahren vor dem EuGH behandelte luxemburgische Recht sieht vor, dass entweder die genaue private oder genaue berufliche Adresse zu melden ist. Der Geburtsort als zusätzliche zu meldende Information ist von den oben genannten lediglich im luxemburgischen Register vorgesehen.
Dass die Richtlinie keinen Mindestkatalog der Angaben enthält, war dem österreichischen Gesetzgeber bewusst. Deshalb habe er sich dafür entschieden, nur die Meldung jener Daten vorzuschreiben, die für die Zwecke der Verhinderung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung erforderlich seien. Dazu wären zumindest so viele Identifikationen notwendig, dass die
16 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, Rn 82.
17 Vgl bmf.gv.at/services/wiereg/oeffentliche-einsicht.html (16. 12. 2022).
18 EuGH 22. 11. 2022, C-37/20, C-601/20, WM und Sovim SA, Rn 51.
19 Vgl transparenzregister.de/treg/de/hilfe?2 (12. 12. 2022).
20 Vgl irishstatutebook.ie/eli/2019/si/110/made/en/print (12. 12. 2022).
21 „bösättningsland“, vgl bolagsverket.se/omoss/flerverksamheter/omverklighuvudman/vanligafragorfranallmanhetenomverklighuvudman.2543. html (12. 12. 2022).
Person des wirtschaftlichen Eigentümers zweifelsfrei feststehe.22 Nun sind aber idR Name und Geburtsdatum für eine eindeutige Identifizierbarkeit ausreichend.
Deshalb erscheint es insb vor dem Hintergrund, dass eine Beschränkung der Einsicht bei Gefahr von Gewalttaten vorgesehen ist, fraglich, warum hier zusätzlich gerade die genaue Wohnsitzadresse erfasst werden muss. Aus unserer Sicht steigert nämlich gerade das Erfassen des genauen Wohnorts für sämtliche wirtschaftliche Eigentümer das Risiko, von potenziellen Straftätern aufgefunden zu werden. Ein solches Risiko wäre bei Erfassung bspw einer Personalausweisnummer wie in anderen Ländern wohl entscheidend geringer. Hinzu kommt, dass eine Beschränkung der Einsicht in der (bisher überschaubaren) Spruchpraxis eher selten gewährt wird: So reicht es nicht aus, auf eine zeitlich nicht näher eingeordnete Straftat zu verweisen, woraus sich im Umkehrschluss ableiten lässt, dass eine eher konkrete Bedrohungslage erforderlich ist.23 Sind die Daten über die wirtschaftlichen Eigentümer in irgendeiner Weise sonst öffentlich einsehbar, bspw aus dem Firmenbuch oder durch einfache Online-Recherchen, wird jedenfalls keine Einschränkung verfügt.24
Dabei ist weiters zu berücksichtigen, dass nach Verwaltungspraxis der FMA der Auszug aus dem WiEReG regelmäßig sowieso nur eine Indikation des wirtschaftlichen Eigentümers ist, sich Rechtsträger aber nicht auf den Auszug allein verlassen können.25 In Anbetracht der mangelnden Beweiskraft des Registers scheint damit die Angabe der genauen Privatadresse umso mehr entbehrlich. Eine anzudenkende Alternative könnte es sein, analog zum Firmenbuch und dem luxemburgischen Register die Eintragung einer genauen beruflichen Adresse zuzulassen. Bis dahin bleibt wirtschaftlichen Eigentümern lediglich die Möglichkeit, eine Auskunftsbeschränkung nach dem Meldegesetz zu beantragen. Diese schlägt auf das Register der wirtschaftlichen Eigentümer durch, in dem in diesem Fall keine Adresse mehr ersichtlich ist.26
22 ErlRV 1660 BlgNR 25. GP 8.
23 Vgl VwGH 15. 12. 2020, Ro 2020/13/0010, Rn 37 ff
24 Vgl BVwG 20. 9. 2021, W107 2229212-1.
25 FMA, Rundschreiben Sorgfaltspflichten (Februar 2022) Rz 185 ff
26 Vgl BVwG 5. 10. 2022, W204 2259811-1.
Der Autor:
Dr. Raphael Toman, LL.M. (NYU), ist assoziierter Partner bei BRANDL TALOS Rechtsanwälte und ist auf Bankund Kapitalmarktrecht sowie Öffentliches Wirtschaftsrecht spezialisiert.
lesen.lexisnexis.at/autor/ Toman/Raphael Foto:
Der Autor:
Mag. Klaus Winhofer, MSc., ist Rechtsanwaltsanwärter bei BRANDL TALOS Rechtsanwälte und ist auf Wirtschaftsstrafrecht, Compliance sowie Gesellschaftsrecht spezialisiert.
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rdw.lexisnexis.at 22 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT ART.-NR.: 17
Foto: ©BRANDL TALOS
Strasser
Uwe
WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR
GESELLSCHAFTSRECHT
EuGH: Umwandlung in SE –AN-Beteiligung im AR
» RdW 2023/18
RL 2001/86/EG: Art 4
EuGH 18. 10. 2022, C-677/20, IG Metall und ver.di; zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.
Art 4 Abs 4 RL 2001/86/EG [zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer] bestimmt, dass unbeschadet des Art 13 Abs 3 Buchst a dieser Richtlinie im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE in der für diese SE geltenden Beteiligungsvereinbarung „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden [muss], das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“.
Wenn ein im einzelstaatlichen Recht eingeführtes Verfahrenselement, wie im vorliegenden Fall der gesonderte Wahlgang für die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im AR einer Gesellschaft für eine bestimmte Anzahl von Sitzen in diesem AR, ein prägendes Element der innerstaatlichen Regelung der Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter darstellt, das eingeführt wurde, um die Mitbestimmung der AN im Unternehmen zu stärken, und ihm nach diesem Recht ein zwingender Charakter zukommt, gehört dieses Verfahrenselement zu „alle[n] Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ iSv Art 4 Abs 4 RL 2001/86/ EG. Dieses Verfahrenselement ist somit für die Zwecke der Beteiligungsvereinbarung gemäß dieser Bestimmung zu berücksichtigen.
Die für eine durch Umwandlung geschaffene SE geltende Vereinbarung über die Beteiligung der AN für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den AR der SE muss somit in Bezug auf die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten einen getrennten Wahlgang vorsehen, sofern das anwendbare nationale Recht einen solchen getrennten Wahlgang in Bezug auf die Zusammensetzung des AR der Gesellschaft vorschreibt, die in eine SE umgewandelt werden soll. Allen AN der durch Umwandlung gegründeten SE müssen dieselben Rechte zustehen, die den AN der in eine SE umzuwandelnden Gesellschaft zustanden, weil die vom Unionsgesetzgeber gewollte Garantie erworbener Rechte nicht nur die Aufrechterhaltung der erworbenen Rechte der AN in der Gesellschaft, die in eine SE
umgewandelt werden soll, sondern auch die Ausweitung dieser Rechte auf sämtliche AN der durch Umwandlung gegründeten SE impliziert. Um die Rechte dieser AN in vollem Umfang zu wahren, die in ErwGr 3 der RL 2001/86/EG genannten sozialen Ziele der Union zu fördern und das Bestehen von Verfahren der grenzüberschreitenden Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung der AN zu gewährleisten, darf das Recht, einen bestimmten Anteil der Kandidaten für die Wahlen der Arbeitnehmervertreter in den AR einer durch Umwandlung gegründeten SE wie der SAP vorzuschlagen, nicht nur den (hier) deutschen Gewerkschaften vorbehalten sein, sondern muss auf alle in der SE, ihren Tochtergesellschaften und Betrieben vertretenen Gewerkschaften ausgeweitet werden, sodass die Gleichheit dieser Gewerkschaften in Bezug auf dieses Recht gewährleistet ist.
GmbH: Bezugsrecht auf neue Stammeinlagen – Mindestfrist
» RdW 2023/19
AktG: § 153 GmbHG: § 52 OGH 17. 10. 2022, 6 Ob 183/22p
Mangels einer anderweitigen Festsetzung im Gesellschaftsvertrag oder Erhöhungsbeschluss steht gem § 52 Abs 3 GmbHG den bisherigen Gesellschaftern einer GmbH binnen vier Wochen vom Tage der Beschlussfassung an ein Vorrecht zur Übernahme der neuen Stammeinlagen nach Verhältnis der bisherigen zu.
Während somit im GmbH-Recht nach dem Gesetzeswortlaut die vierwöchige Frist für die Ausübung des Bezugsrechts dispositiv ist und daher beliebig verlängert oder verkürzt werden kann, sieht das Aktienrecht (zwingend) eine Mindestfrist von zwei Wochen vor: Für die Ausübung des Bezugsrechts der Aktionäre ist gem § 153 Abs 1 Satz 2 AktG eine Frist von mindestens zwei Wochen zu bestimmen.
Nach einhelliger Ansicht im Schrifttum ist wegen des Fehlens aktienrechtlicher Besonderheiten die zweiwöchige Frist nach § 153 Abs 1 Satz 2 AktG im GmbH-Recht analog anzuwenden. Dieser hA ist aus dem genannten Grund (keine aktienrechtliche Besonderheit) zu folgen. Der vereinzelten Ansicht, in besonders gelagerten Fällen erscheine bei personalistisch ausgeprägter Gesellschaftsstruktur im GmbH-Recht eine Verkürzung der Überlegungs- und Entscheidungsfrist auch unter zwei
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 23 ART.-NR.: 19
bearbeitet von Wolfgang Kolmasch, Sabine Kriwanek und Barbara Tuma
Wochen denkbar, kann hingegen nicht zugestimmt werden. Denn auch eine AG (etwa eine Familien-AG) kann personalistisch ausgeprägt sein; trotzdem schreibt das AktG die zweiwöchige Mindestfrist auch in solchen Fällen vor.
Ebenso wie für die Ausübung des Bezugsrechts der Aktionäre ist somit auch für GmbH-Gesellschafter (analog) eine Frist von mindestens zwei Wochen zu bestimmen.
Entscheidung
Bezugsfrist
Nach dem angefochtenen Beschluss über die Kapitalerhöhung stand den Gesellschaftern ein aliquotes Bezugsrecht nur sieben Tage zur Verfügung. In der danach festgelegten Jahresfrist besteht dieses Bezugsrecht nicht mehr („internen bzw externen Investoren … zur Zeichnung angeboten“).
Ob es bei früheren Kapitalerhöhungen bei der Bekl (offenbar unangefochten) eine kürzere Bezugsfrist als zwei Wochen gegeben hat, ist für die Frage irrelevant, ob bei der jetzt zu beurteilenden Kapitalerhöhung eine kürzere Frist als zwei Wochen den Beschluss anfechtbar macht.
Stellvertretung
Im Hinblick auf den Offenlegungsgrundsatz im Stellvertretungsrecht bedarf es in jedem Einzelfall, in dem ein ausdrückliches Handeln in fremdem Namen nicht vorliegt, sorgfältiger Prüfung, wie der Dritte – von seinem Erkenntnishorizont aus gesehen – das Auftreten des Handelnden verstehen musste; im Zweifel ist ein Eigengeschäft des Handelnden anzunehmen (RS0019516).
Im vorliegenden Fall schritt in der Generalversammlung der bekl GmbH ein Vertreter ein, der von allen drei klP bevollmächtigt, aber nicht selbst Gesellschafter war. Somit war nach den Umständen klar, dass der Vertreter als Nichtgesellschafter bei Erhebung des Widerspruchs nicht im eigenen Namen handelte. Nicht korrekturbedürftig ist die berufungsgerichtliche Auffassung, er habe (mangels Erklärung, für welche der drei klP er gehandelt habe) für alle drei den Widerspruch erhoben.
Anfechtung, Bucheinsicht
Der E 2 Ob 349/32 (SZ 14/81) ist durchaus zu entnehmen, dass die Verweigerung der Einsicht (nach § 22 Abs 2 GmbHG) die erfolgreiche Anfechtung des „Bilanzgenehmigungsbeschlusses“ (Feststellung des Jahresabschlusses; vgl § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG) rechtfertigt. Dass die Kl parallel zum gegenständlichen Anfechtungsprozess ein außerstreitiges (RS0005796) Bucheinsichtsverfahren angestrengt haben, steht der Anfechtung des Gesellschafterbeschlusses, mit dem der betreffende Jahresabschluss beschlossen wurde, nicht entgegen, handelt es sich dabei doch um unterschiedliche Begehren.
GmbH: Besitz der „OriginalAbtretungsvereinbarung“ (Urschrift)
» RdW 2023/20
GmbHG: § 76 NO: §§ 92, 110
OGH 14. 9. 2022, 6 Ob 164/22v
Der Abtretungsvertrag gem § 76 Abs 2 GmbHG bedarf eines Notariatsakts. Gem § 110 Abs 1 NO muss der Notar die von ihm selbst aufgenommenen (urschriftlichen) Akten, wozu auch die Notariatsakte gehören, in seiner Wohnung oder Kanzlei verwahren. Den Parteien werden (nur) Ausfertigungen und Abschriften erteilt (§ 92 NO). Nach diesen rechtlichen Vorgaben kann nicht der Erwerber im Besitz der „Original-Abtretungsvereinbarung“ (Urschrift) sein, sondern nur der Notar.
GmbH: Treugeber – kein Stimmrecht bei Beschlussfassung
» RdW 2023/21
GmbHG: §§ 39, 78
OGH 14. 7. 2022, 5 Ob 98/22f
Das GmbHG ordnet das Stimmrecht bei der Beschlussfassung der Gesellschafter jedem Gesellschafter zu. Wird ein Geschäftsanteil treuhänderisch gehalten, so ist nach unstrittiger Ansicht der Treuhänder, nicht der Treugeber stimmberechtigt. Ein Treugeber hat nicht etwa eine aus seiner gesellschafterähnlichen Stellung abgeleitete Teilrechtsposition innerhalb der Gesellschaft, Gesellschafter ist vielmehr ausschließlich der Treuhänder. Er allein ist Träger der gesellschaftlichen Rechte und Pflichten. Selbst bei einer offenen Treuhand besteht zwischen dem Treugeber und der Gesellschaft keine Rechtsbeziehung. Gem § 78 Abs 1 GmbHG gilt daher im Verhältnis zur Gesellschaft nur derjenige als Gesellschafter, der im Firmenbuch als solcher aufscheint. Zur Stimmabgabe zugelassen sind nur Gesellschafter, die im Firmenbuch eingetragen sind. Wird ein Beschluss von oder unter Beteiligung von Nichtgesellschaftern gefasst, so liegt nach der Rsp ein Scheinbeschluss vor, der keine Rechtswirkung entfaltet.
Die Prozessvollmacht für den Revisionsrekurs wurde im vorliegenden Fall im Namen der Einschreiterin (GmbH) von einer Person erteilt, die ihre behauptete Geschäftsführungsbefugnis aus einem Umlaufbeschluss ableitet. Die darin als Gesellschafter bezeichneten Personen waren aber niemals im Firmenbuch als Gesellschafter eingetragen, sodass ihnen auch keine Berechtigung zur Stimmab-
rdw.lexisnexis.at 24 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 20
ART.-NR.: 23
gabe zukam. Für eine Stimmberechtigung reicht nach der Rsp weder die behauptete Treugeberstellung dieser Personen bei Fassung des Umlaufbeschlusses noch die Annahme des Abtretungsangebots für die angeblich treuhändig gehaltenen Geschäftsanteile am gleichen Tag. Der Umlaufbeschluss wurde somit von Personen gefasst, die als Nichtgesellschafter anzusehen sind, und ist daher wirkungslos. Die nie wirksam zum Geschäftsführer bestellte Person konnte daher auch nicht wirksam Prozessvollmacht für den Revisionsrekurs erteilen, weshalb der Revisionsrekurs mangels ausreichenden Nachweises der Bevollmächtigung der für die Einschreiterin auftretenden Rechtsanwälte zurückzuweisen war.
PRIVATSTIFTUNGSRECHT
Haftung des Stiftungsvorstands –Verjährungsfrist
» RdW 2023/22
ABGB: § 1489
PSG: §§ 21, 29
UGB: § 275
OGH 24. 10. 2022, 8 Ob 123/22d
Die generelle Haftungsnorm des § 29 PSG enthält keine gesonderte, von den Regelungen des allgemeinen Zivilrechts abweichende Verjährungsfrist, insb auch nicht für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen gegen Mitglieder des Stiftungsvorstands. Sehr wohl besteht dagegen eine solche Sonderbestimmung für die Haftung des Stiftungsprüfers durch den Verweis in § 21 Abs 2 PSG auf § 275 Abs 5 UGB. Angesichts dieser differenzierten Regelung ist eine unbeabsichtigte Regelungslücke nicht zu erkennen, die Voraussetzung für eine Analogie wäre.
Entscheidung
Einer näheren Auseinandersetzung mit der in der Revision zitierten (einzigen) gegenteiligen Literaturstimme (Eder/Gruber/ Rastegar, Die Verjährung von Schadenersatzansprüchen gegen Organmitglieder einer Kapitalgesellschaft, PSR 2019/27, 132) bedarf es im Anlassfall schon deswegen nicht, weil diese Autoren zwar eine analoge Anwendung der fünfjährigen Frist des GmbHG und AktG befürworten, aber unter dem Gesichtspunkt einer objektiven Verjährungsfrist, die unabhängig von der Kenntnis mit dem Entstehen des Schadens beginnt. Der dem Bekl vorgeworfene Schaden wurde aber bereits im Jahre 2011 bzw 2012 verwirklicht, sodass auch eine solche fiktive Frist bei Klagseinbringung bereits abgelaufen gewesen wäre.
Mitstifter: Abweichen vom Einstimmigkeitsprinzip
» RdW 2023/23
AußStrG: § 2
FBG: § 15
PSG: §§ 3, 9, 10, 33
OGH 29. 8. 2022, 6 Ob 100/22g
Nach der (dispositiven) Regelung des § 3 Abs 2 PSG können die Rechte, die den Stiftern zustehen oder vorbehalten sind, von ihnen nur gemeinsam ausgeübt werden (Einstimmigkeitsprinzip), „es sei denn, die Stiftungsurkunde sieht etwas anderes vor“. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs 2 PSG ist eine Abänderung des Einstimmigkeitsprinzips somit ausdrücklich der Stiftungsurkunde (nicht auch der Stiftungszusatzurkunde) vorbehalten. Regelungen über das Abweichen vom Einstimmigkeitsprinzip müssen daher bei sonstiger Unwirksamkeit gem § 3 Abs 2 PSG in deutlicher, zu keinem Zweifel Anlass gebender Weise in die Stiftungsurkunde aufgenommen werden. Handelt es sich dabei gleichzeitig um eine Regelung über die Änderung der Stiftungserklärung, folgt dies auch aus § 9 Abs 2 Z 6 iVm § 10 Abs 2 PSG.
Einem (Mit-)Stifter kommt im Eintragungsverfahren über die Änderung seines in der Stiftungsurkunde festgelegten Änderungsrechts Rekurslegitmation zu.
Eine unwirksame Bestimmung der Stiftungserklärung erlangt auch durch ihre Eintragung in das Firmenbuch keine Wirksamkeit. Der Umstand, dass eine Stiftungsurkunde bzw deren Änderung im Firmenbuch eingetragen ist, steht also einer späteren Prüfung hinsichtlich deren Gesetzmäßigkeit und Gültigkeit nicht entgegen. Die Argumentation, eine einmal erfolgte Eintragung dürfe auf ihre Zulässigkeit hin vom Firmenbuchgericht nicht mehr überprüft werden, muss im Übrigen schon wegen § 10 Abs 2 FBG scheitern, der im Fall unzulässiger Eintragungen eine Durchbrechung der Rechtskraft (und Löschung) ermöglicht.
Ausgangsfall
Im vorliegenden Fall ergäbe sich eine eindeutige Regelung (für den Fall des Ablebens oder der dauernden Geschäftsunfähigkeit eines von zwei bestimmten Stiftern) erst durch die Begünstigtenquote, die sich aus der Stiftungszusatzurkunde ergibt. Erst dann bestünde Klarheit, ob und in welchem Umfang welchem Stifter Stimmgewicht zukommt. Wurde (hier: 2014) unter Anwendung dieser Klausel der Stiftungszusatzurkunde (gegen den Willen eines Mitstifters) die schon bestehende Klausel der Stiftungsurkunde modifiziert, in der ein Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip verankert war und ist („Änderungsklausel“), ist dies unzulässig und die „Änderungsklausel“ in dieser Fassung unwirksam, was im vorliegenden Fall wiederum die Unwirksamkeit des Beschlusses der
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 25 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR
Stifter nach sich zieht, der nun zur Eintragung begehrt wird. Dieser hatte bei der Abstimmung nur die Stimmen zweier (von vier) Stiftern für sich und erfüllt damit bloß die Mehrheitserfordernisse nach der unwirksamen „Änderungsklausel“ aus dem Jahr 2014 –nicht aber nach den vorhergehenden Fassungen.
Mangels wirksam zustande gekommenen Beschlusses hat das RekursG frei von Rechtsirrtum das Eintragungsgesuch unter Hinweis auf seinen einheitlichen, in sich geschlossenen Regelungskomplex abgewiesen.
SCHULDRECHT
Wirtschaftstreuhandberufe:
Ungewöhnliche Klausel in AAB 2011
»
RdW 2023/24
ABGB: § 864a
OGH 23. 9. 2022, 4 Ob 69/22h
Im vorliegenden Einzelfall strittig ist eine Regelung in den „Allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftstreuhandberufe (AAB 2011)“. Diese bestehen aus „Präambel und Allgemeines“ (neun Seiten ohne Zwischenüberschriften) sowie den Teilen I.–IV. mit durchnummerierten 31 Zwischenüberschriften. Auf der ersten der neun Seiten der „Präambel und Allgemeines“ lautet der letzte (sechste) Absatz (in der Folge: „Klausel“): „(6) Der Auftraggeber verpflichtet sich, Mitarbeiter des Berufsberechtigten während und binnen eines Jahres nach Beendigung des Auftragsverhältnisses nicht in seinem Unternehmen oder in einem ihm nahestehenden Unternehmen zu beschäftigen, widrigenfalls er sich zur Bezahlung eines Jahresbezuges des übernommenen Mitarbeiters an den Berufsberechtigten verpflichtet.“
Im Rahmen der Rsp erachtete das BerufungsG diese Klausel als unwirksam iSd § 864a ABGB: Dabei berücksichtigte es va, dass der durchschnittlich aufmerksame Leser an dieser Stelle keine Klausel dieses Inhalts erwartet (sondern allgemeine, vertragseinleitende Bestimmungen), sodass sie als „versteckt“ anzusehen ist. Ohne Überschrift oder sonstige Hervorhebungen weist die Klausel auch keinen Zusammenhang zu den übrigen Absätzen „Präambel und Allgemeines“ auf. Insb in Passagen der AAB 2011, in denen Pflichten des Auftraggebers näher geregelt werden (zB Punkt II.4 oder II.11), wäre zumindest eine Erwähnung oder ein Hinweis auf eine solche gravierende Verpflichtung zur Pönalezahlung zu erwarten gewesen, zumal auf andere Bestimmungen von „Präambel und Allgemeines“ wiederholt sehr wohl hingewiesen wird oder besondere Regelungen durch Fettdruck oder Überschrift hervorgehoben werden.
Außerdem betont das BerufungsG die Ungewöhnlichkeit der auch im Verhältnis zur Honorarhöhe unangemes-
sen hohen Pönale, ohne dass zwischen den Parteien ein Konkurrenz- und Wettbewerbsverhältnis oder zwischen der Beendigung des Auftragsverhältnisses und der Beschäftigung eines Mitarbeiters ein Zusammenhang erforderlich wäre. Zudem umfasst die Klausel sämtliche Mitarbeiter, die nicht einmal in die Geschäftsbeziehung mit Kunden eingebunden sein müssten, in anderen Niederlassungen oder Filialen beschäftigt oder – nach dem Wortlaut – sogar erst nach der Beendigung des Auftragsverhältnisses (innerhalb der Jahresfrist) angestellt gewesen sein könnten. Ungewöhnlich ist die Bestimmung auch insofern, als nicht nur ein „aktives Abwerben“ erfasst ist, sondern ein generelles Verbot der Mitarbeiterbeschäftigung unabhängig davon besteht, ob der Mitarbeiter in das Vertragsverhältnis in irgendeiner erkennbaren Form eingebunden wurde oder der Vertragspartner ursächlich für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses des Mitarbeiters war.
Entscheidung
Nicht nachvollziehbar ist, woraus die Revision ableiten will, dass der Klausel – vergleichbar einer zulässigen Konkurrenzklausel nach § 36 AngG – eine sachliche Einschränkung zu entnehmen sein sollte, insb eine Einschränkung auf den Geschäftszweig der Kl oder auf Mitarbeiter, die Abwerbeversuchen besonders ausgesetzt sind bzw direkt beim Kunden in dessen Geschäftsbetrieb eingesetzt würden.
Auch der Hinweis auf 4 Ob 174/12k (= RdW 2013/314; Branchenüblichkeit einer Klausel, weil sie von einer gesetzlichen Interessenvertretung stammt) überzeugt nicht, weil es nicht zwingend auf die Üblichkeit oder Verbreitung von Klauseln ankommt. Ob die Bekl selbst allenfalls gesetzwidrige Klauseln ähnlichen Gegenstands verwendet, ist für die Frage der Unzulässigkeit der vorliegenden Klausel irrelevant.
Haftung aus Finanzierungszusage
» RdW 2023/25
ABGB: §§ 914 ff
OGH 8. 9. 2022, 3 Ob 88/22w
Die bekl GmbH ist Alleingesellschafterin der Nebenintervenientin. Zum Jahresende 2017 wies die Bilanz der Nebenintervenientin ein negatives Eigenkapital auf und die Geschäftsführer der Bekl gaben für die Nebenintervenientin eine uneingeschränkte Finanzierungszusage und eine „Rückstehungserklärung“ ab, um die Insolvenz der Nebenintervenientin zu verhindern.
Im vorliegenden Drittschuldnerprozess macht die Kl die Forderung der Nebenintervenientin aus der Finanzierungszusage geltend, die diese von der Bekl erhalten hat. Es ist nicht korrekturbedürftig, wenn die Vorinstanzen bei
rdw.lexisnexis.at 26 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 24
der Auslegung dieser Zusage zu dem Ergebnis kamen, dass es der Haftung der Bekl nicht entgegenstehe, dass nach den Feststellungen die „Bezahlung“ der (damals bereits titulierten) Forderung der Kl bei Abgabe dieser Erklärung durch die beteiligten Geschäftsführer „nicht ihre Absicht“ gewesen sei. Abgesehen vom Hinweis darauf, dass die Geschäftsführer bei dieser Finanzierungszusage „va“ an die Bezahlung der Mindestkörperschaftsteuer und Kosten der Erstellung der Jahresabschlüsse „dachten“, findet sich –entgegen der Rechtsansicht der Bekl – im Sachverhalt kein Anhaltspunkt dafür, dass die Zusage gegenüber der Nebenintervenientin auf diese Kosten beschränkt worden wäre. (Fehlende) Zusagen der Bekl gegenüber der Kl sind im vorliegenden Drittschuldnerprozess ohne Relevanz.
Erlag: Ausfolgung unter Bedingung (rk E über Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer)
»
RdW 2023/26
ABGB: § 1425
OGH 24. 10. 2022, 8 Ob 106/22d
Nach stRsp kann der Erleger im Verfahren außer Streitsachen Bedingungen für die Ausfolgung des erlegten Geldbetrags setzen. Die Ausfolgung des Geldbetrags kann nur erfolgen, wenn der Erleger und der Erlagsgegner zustimmen oder die Bedingungen erfüllt sind, die beim Erlag für die Ausfolgung gesetzt wurden. Die Frage, ob der Erleger eine Bedingung mit Recht gesetzt hat, kann im Erlagsverfahren nicht geprüft werden.
Im vorliegenden Fall wurde die Ausfolgung von einer rechtskräftigen Entscheidung über die aufrechte Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer der Erlagsgegnerin abhängig gemacht. Der OGH hat bereits zu 4 Ob 11/22d darauf hingewiesen, dass eine solche rechtskräftige Entscheidung (bereits) vorliegt, weil im firmenbuchrechtlichen Verfahren ausgesprochen wurde, dass der Wechsel der Geschäftsführer wirksam ist und die nunmehrigen Geschäftsführer für die Erlagsgegnerin handeln können. Darüber hinaus wurde mittlerweile auch in dem Verfahren, das der E 4 Ob 155/21d (= Zak 2022/165) zugrunde liegt, ausdrücklich bejaht, dass die nunmehrigen Geschäftsführer für die Erlagsgegnerin wirksam Vertretungshandlungen setzen können (Erteilung einer Prozessvollmacht). Die im Erlagsantrag vermisste Klarheit, wer wirksam als Geschäftsführer handeln kann, ist damit bereits hergestellt. Für die Erfüllung der Bedingung kommt es nicht darauf an, ob der Generalversammlungsbeschluss – und damit die Umbestellung der Geschäftsführer – auch der Anfechtungsklage standhalten wird
KAPITALMARKTRECHT
EuGH: Verwaltung von Anlageprodukten – Vergütungspolitik
» RdW 2023/27
RL 2009/65/EG idF RL 2014/91/EU: Art 14–14b
RL 2011/61/EU: Art 13, Anhang II
EuGH 1. 8. 2022, C-352/20, HOLD Alapkezelő; zu einem ungarischen Vorabentscheidungsersuchen.
Die Vergütungspolitik und -praxis, die in den RL 2009/65/ EG [zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW)] idF RL 2014/91/ EU und RL 2011/61/EU [über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIF)] geregelt ist, soll einem soliden und wirksamen Risikomanagement förderlich sein und nicht zur Übernahme von Risiken ermutigen, die mit den Risikoprofilen, Vertragsbedingungen oder Satzungen der OGAW bzw AIF nicht vereinbar sind. Zur Umsetzung dieser Ziele bestimmen diese Richtlinien, insb Art 14b Abs 1 Buchst m RL 2009/65/EG idF RL 2014/91/EU und Anhang II Nr 1 Buchst m RL 2011/61/EU, dass die Vergütungspolitik Mechanismen umfassen muss, die darauf abzielen, die Anreize an den Interessen der Verwaltungsgesellschaft und der von ihr verwalteten OGAW bzw an den Interessen des AIFM und der von ihm verwalteten AIF sowie an den Interessen der OGAW- bzw AIF-Anleger auszurichten. Um die Erreichung der Ziele und die praktische Wirksamkeit der Richtlinien zu gewährleisten, müssen deren Bestimmungen über die Vergütungspolitik und -praxis auf alle Zahlungen oder Vorteile anwendbar sein, die eine OGAW-Verwaltungsgesellschaft oder ein AIFM (über die Gehälter hinaus) an Angestellte zahlt, die in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Bestimmungen fallen, wenn diese Zahlungen oder Vorteile geeignet sind, die Angestellten zur Übernahme von Risiken zu veranlassen und somit die Umgehung der Anforderungen zu erleichtern, die sich aus den Richtlinienbestimmungen ergeben.
Zahlt eine Gesellschaft, deren reguläre Tätigkeit die Verwaltung von OGAW und AIF ist, unmittelbar oder mittelbar an bestimmte ihrer Angestellten – nämlich Geschäftsleiter, Anlageleiter bzw Portfoliomanager – aufgrund deren Eigentumsrechts an den Aktien dieser Gesellschaft Dividenden, sind die Richtlinienbestimmungen über die Vergütungspolitik und -praxis auch auf diese Dividenden anwendbar, wenn die Politik der Ausschüttung dieser Dividenden diese Angestellten dazu verleiten kann, Risiken einzugehen, die den Interessen der verwalteten OGAW bzw AIF und den Interessen der Anleger schaden, und daher geeignet ist, die Umgehung der Anforderungen der Richtlinien zu erleichtern.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 27 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR
27
ART.-NR.:
VERSICHERUNGSRECHT
Betriebsunterbrechungsversicherung:
Betretungsverbot iZm COVID-19
» RdW 2023/28
ABGB: §§ 914 f
OGH 28. 9. 2022, 7 Ob 106/22x
Mit der „MaßnahmenV“ wurde ua das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt.
Die ABUB 2007 (Allgemeine Bedingungen für die Betriebsunterbrechungs-Versicherung für freiberuflich und selbstständig Tätige) definieren nach ihrem klaren Wortlaut einen Personenschaden als Umstand, dass die Person, die den Betrieb verantwortlich leitet (der Versicherte), entweder (durch Krankheit oder Unfall) arbeitsunfähig ist (lit a und b) oder durch andere Umstände an der Arbeit gehindert wird (vgl lit e). Hier einschlägig ist lit c: „Maßnahmen oder Verfügungen einer Gesundheitsbehörde oder ihr gleichgestellter Organe, die anlässlich einer Seuche oder Epidemie ergehen und die namentlich genannte, den Betrieb verantwortlich leitende Person (versicherte Person) betreffen (Quarantäne)“. Aus dem Zusammenhang der Bestimmungen über den Personenschaden ergibt sich, dass auch mit lit c Umstände angesprochen sind, die – ebenso wie Unfallfolgen (lit d) oder persönliche Schicksalsfälle (lit e) – den Versicherten individuell und konkret an seiner betrieblichen Arbeit hindern, sodass der Betrieb ganz oder teilweise unterbrochen wird. Dies ergibt sich auch – für einen verständigen Versicherungsnehmer (Versicherten) erkennbar – aus dem Zweck einer Betriebsunterbrechungsversicherung für Freiberufler und Selbstständige, wonach der Kern der betrieblichen Tätigkeit im Einsatz ihrer persönlichen Arbeitskraft liegt und dementsprechend deren persönliche Arbeitsunfähigkeit oder sonstige Arbeitsverhinderung die Risiken sind, die zur Unterbrechung des Betriebs führen und versichert werden sollen.
So wie aber ein Betretungsverbot schon begrifflich etwas anderes ist als eine Schließung eines bestimmten Betriebs (mag sich das Betretungsverbot für einzelne Betriebe auch faktisch wie eine Betriebsschließung auswirken), ist auch hier der Umstand, dass Kunden den Betrieb des Kl nicht betreten durften, schon ausgehend vom Wortlaut der ABUB 2007 qualitativ ein gänzlich anderes Risiko als eine Unfähigkeit oder Verhinderung der Arbeitsleistung, die bedingungsgemäß als Personenschaden definiert ist und beim Versicherten konkret und individuell eintritt. Bei einem Betretungsverbot, das auf Umstände außerhalb des
einzelnen Betriebs bzw abseits von individuellen Verhältnissen des Freiberuflers/Selbstständigen abzielt, ist dem Versicherten selbst weiterhin das Betreten seiner Betriebsräumlichkeiten, die Erbringung seiner Arbeitsleistung und damit die Aufrechterhaltung des Betriebs zumindest teilweise möglich (etwa durch Aktenbearbeitung oder Kommunikation mit Kunden per Post, E-Mail, Telefon oder über Videokonferenzen). Durch eine allenfalls bloß faktisch als Nebenwirkung dennoch eingetretene Betriebsschließung oder -einschränkung wurde der Versicherte dagegen nicht iSd ABUB 2017 „betroffen“, weil sich das Betretungsverbot nach der MaßnahmenV nicht konkret gegen ihn persönlich und seine Arbeitsfähigkeit bzw -möglichkeit und damit auch nicht gegen seinen Betrieb richtete. Dieses Risiko ist daher hier nicht versichert
Klarstellung der Rechtslage
Entscheidung
Im Hinblick auf die dargelegte Zusammenschau der Bestimmungen, die den Personenschaden als Arbeitsunfähigkeit bzw -verhinderung umschreiben, die den Versicherten persönlich betreffen, teilt der Senat nicht die gegenteilige Ansicht von Prader/Weber in Zak 2020/264, 164, auf die sich die Revision weitestgehend stützt.
Doppelversicherung – Subsidiaritätsklausel
» RdW 2023/29
ABGB: §§ 914 f VersVG: § 59
OGH 28. 9. 2022, 7 Ob 117/22i
Eine Subsidiaritätsklausel ist eine der Risikoabgrenzung dienende Bestimmung, wonach der Versicherer nicht haftet, wenn ein anderer Versicherer die Gefahrtragung für das betreffende Wagnis unternommen hat; sie soll unerwünschte Doppelversicherungen hintanhalten. Bei der qualifizierten (uneingeschränkten) Subsidiarität kommt es schlechthin auf das Bestehen der anderweitigen Versicherung für dasselbe Risiko an, während bei der einfachen (eingeschränkten) Subsidiarität darauf abgestellt wird, ob die anderweitige Versicherung nicht nur besteht, sondern auch Deckung gewährt, wobei dies noch näher ausgeführt werden kann. Bei letzterer Form haftet der Versicherer also nur dann subsidiär, wenn und soweit der Versicherungsnehmer aus einer anderen Versicherung Entschädigung erlangen kann.
Die in § 59 Abs 1 VersVG definierte Doppelversicherung ist ein Sonderfall einer Neben- bzw Mehrfachversicherung nach § 58 VersVG. In jedem Fall gehört es zu den Vorausset-
rdw.lexisnexis.at 28 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 28
zungen der Doppelversicherung, dass dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr bei mehreren Versicherern versichert ist. Voraussetzung der Doppelversicherung ist immer, dass in zwei Versicherungsverträgen dasselbe Interesse versichert wird. Dies muss aber nicht durch dieselbe Person geschehen; Doppelversicherung ist daher auch dann anzunehmen, wenn – wie hier – dasselbe Interesse etwa durch eine Eigenversicherung und durch eine Versicherung für fremde Rechnung geschützt wird. Nicht Identität des Versicherungsnehmers begründet Doppelversicherung, sondern Identität des versicherten Interesses.
Daraus erhellt, dass eine Subsidiaritätsklausel als Mittel der Risikoabgrenzung zur Vermeidung von Doppelversicherungen zwangsläufig ebenso wie diese an das versicherte Interesse anknüpft.
Entscheidung
Gebäude- und Haushaltsversicherung
Nach den Feststellungen besteht einerseits eine Gebäudeversicherung des Vermieters (dessen Eigenversicherung) und andererseits eine Haushaltsversicherung des Kl, die dasselbe Interesse des Vermieters an der Integrität des vermieteten Objekts deckt.
Nach dem klaren Wortlaut der AHB (Art 15.1.2.3. AHB: „soweit dafür keine Entschädigung aus einer Gebäudeversicherung verlangt werden kann“) wäre daher die Bekl nur dann zur Deckung in Ansehung der Sachversicherung verpflichtet, wenn die Gebäudeversicherung dem Vermieter – ihrem Versicherungsnehmer –den Schaden am vermieteten Objekt nicht ersetzt hätte. Dies war aber nach dem unstrittigen Sachverhalt nicht der Fall, sodass die ausdrückliche Subsidiaritätsklausel greift. Nach der klaren Bedingungslage kommt es auf diese Leistung aus der Gebäudeversicherung an und nicht auf die Frage, ob der Versicherer des Vermieters, auf den dessen Schadenersatzansprüche nach § 67 VersVG übergegangen sind, Ersatz vom Schädiger – hier dem Kl –fordert.
Abwehr von Schadenersatzansprüchen?
Mit der Haushaltsversicherung war im vorliegenden Fall auch eine Privat-Haftpflichtversicherung verbunden. Zwar umfasst der Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung grds auch die erforderlichen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Feststellung und Abwehr einer von einem Dritten behaupteten Schadenersatzpflicht (vgl Art 25.2.1.2 ABH, Art 1.2.1.2 AHVB). Versicherungsschutz besteht aber nur für die Abwehr jener Ansprüche, die grds von der Deckungspflicht des Versicherers umfasst sind. Die Kostendeckung für die Anspruchsfeststellung und -abwehr reicht nicht weiter als das materiell gedeckte Risiko (RS0132326).
Zu dieser Frage der Deckungspflicht aus der Haftpflichtversicherung verweist die Revision auf die Ansicht des ErstG, gem Abschnitt A.2.3 EHVB wären Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers aus der Innehabung von Gebäuden oder für
Wohnzwecke benützten Räumlichkeiten versichert. Abschnitt A EHVB bezieht sich aber nach seinem völlig klaren Wortlaut auf –hier nicht vorliegende und auch nicht versicherte (Art 26.1 ABH) –Betriebsrisiken; diese Bestimmungen über eine hier nicht abgeschlossene Betriebshaftpflichtversicherung sind daher für den vorliegenden Fall nicht relevant, sodass es keines weiteren Eingehens darauf bedarf.
Rechtsschutzversicherung:
Ausschluss betreffend „sonstiges
Wettbewerbsrecht“
» RdW 2023/30
ABGB: §§ 914 f
OGH 7. 7. 2022, 7 Ob 95/21b
Der vorliegende Art 7.1.6 ARB 2009 schließt die „Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem Bereich des Kartelloder sonstigen Wettbewerbsrechts“ vom Versicherungsschutz aus. Der Ausschluss nach Art 7.1.6 ARB 2009 ist für einen durchschnittlich verständigen Verbraucher nur dahin zu verstehen, dass der Versicherer keine Deckung für die Verfolgung von Ansprüchen übernimmt, die ihm nach Kartell- oder sonstigem Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehen.
Rechtsschutzversicherung: kein ungewöhnlicher Risikoausschluss
» RdW 2023/31
ABGB: §§ 864a, 914 f VersVG: § 33
OGH 24. 8. 2022, 7 Ob 48/22t
Gem § 33 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat. Eine Bedingung, die eine Ausschlussfrist regelt und allein auf einen objektiven fristauslösenden Zeitpunkt abstellt, ist iZm § 33 Abs 1 VersVG ungewöhnlich, weil dadurch der Anspruch erlischt, auch wenn unverzüglich nach Kenntnis des Versicherungsfalls eine Schadensanzeige erstattet wurde. Hat der Versicherungsnehmer vor Ablauf der Ausschlussfrist keine wie immer gearteten Hinweise darauf, dass sich während der Vertragszeit ein Versicherungsfall ereignet haben könnte, ist der Anspruchsverlust auch im Fall der unverzüglichen Meldung nach § 33 Abs 1 VersVG als objektiv und subjektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB zu beurteilen.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 29 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR
31
ART.-NR.:
Dies ist aber hier gerade nicht der Fall. Gem Art 3.3. ARB 2014 besteht nämlich kein Versicherungsschutz, wenn der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrags geltend gemacht wird, es sei denn, der Versicherungsnehmer würde den Deckungsanspruch nach Kenntnis des Versicherungsfalls iSv § 33 VersVG unverzüglich geltend machen. Der Risikoausschluss des Art 3.3. ARB 2014 ist daher nicht ungewöhnlich iSv § 864a ABGB. Nach den Feststellungen hat sich der Versicherungsfall (Fehlbehandlung der Erstkl) vor dem Laufzeitende des Vertrags (Kündigung per 1. 10. 2017) ereignet und der Zweitkl vom Versicherungsfall jedenfalls Mitte des Jahres 2019 Kenntnis davon erlangt, also vor Ablauf der ZweijahresFrist. Zwischen Ende des Jahres 2019 und 22. 6. 2020 meldete er den Versicherungsfall seinem derzeitigen Rechtsschutzversicherer, der wegen Vorvertraglichkeit den Versicherungsschutz ablehnte. Daraus musste der Zweitkl zwingend den Schluss ziehen, dass für eine Rechtsschutzdeckung nur die Bekl infrage kommt, bei der er unmittelbar davor rechtsschutzversichert war. Wenn der Zweitkl unter diesen Umständen neuerlich (zumindest) mehr als sechs Monate verstreichen ließ, bis er die Meldung an die Bekl erstattete, ist die Anzeige jedenfalls nicht unverzüglich iSv Art 3.3. zweiter Satz ARB 2014 erstattet worden und es greift der Risikoausschluss des Art 3.3. ARB 2014.
Da es somit auch nicht um das Entstehen und die allfällige Verletzung der Obliegenheit zur Anzeige ieS geht, sondern um das Vorliegen des vereinbarten Risikoausschlusses, stellt sich weder die Frage nach dem Grad des Verschuldens des Zweitkl noch nach dem Kausalitätsgegenbeweis.
Erste Rechtsprechung
IMMATERIALGÜTERRECHT
Marke: Einwand im Widerspruchsverfahren
» RdW 2023/32
MarkSchG: §§ 29a ff
OGH 23. 9. 2022, 4 Ob 40/22v
Das 2009 eingeführte Widerspruchsverfahren ist als idR schriftliches Eilverfahren ausgestaltet. Es ist daher nicht für eine umfassende Prüfung des älteren Rechts geeignet. Im Widerspruchsverfahren vor der Rechtsabteilung des Patentamts kann nur der Einwand der Nichtbenutzung der Widerspruchsmarke erhoben werden; andere Bedenken gegen die Eintragung der Widerspruchsmarke können – al-
lenfalls aufgrund eines Löschungsantrags des Antragsgegners – nur von der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts aufgegriffen werden.
Den Senat überzeugt die Rechtsansicht des Rechtsmittels nicht, dass jede Verwechslungsgefahr verneint werden müsse, wenn das ältere Zeichen mangels Kennzeichnungskraft eigentlich gar nicht registrierungsfähig gewesen wäre: Das Widerspruchsverfahren besteht im Kern aus einem Ähnlichkeitsvergleich. Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, eine umfangreiche Prüfung der Widerspruchsmarke aus dem Eilverfahren herauszunehmen, kann nicht dadurch umgangen werden, dass eine mangelnde Kennzeichnungskraft stattdessen als Voraussetzung bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu untersuchen wäre.
Markenrecht versus Namensrecht
» RdW 2023/33
MarkSchG: § 10
OGH 18. 10. 2022, 4 Ob 131/22a
Handelt es sich um eine natürliche Person, ist in § 10 Abs 3 Z 1 MarkSchG als Ausnahmetatbestand für eine erlaubte Nutzung vorgesehen, dass die eingetragene Marke ihrem Inhaber nicht das Recht gibt, einem Dritten zu verbieten, seinen Namen oder seine Adresse im geschäftlichen Verkehr zu benutzen, sofern dies den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel entspricht. Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Markenrecht eng auszulegen. Bei der Beurteilung, ob eine Angabe den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel iSd § 10 Abs 3 MarkSchG entspricht, kommen als Unlauterkeitskriterien va Rufausbeutung, Rufschädigung, Aufmerksamkeitsausbeutung und Verwässerung oder das Vortäuschen einer vertraglichen Beziehung in Betracht.
Die Verwendung des (Vor- und Zu-)Namens entspricht im konkreten Fall nicht den „anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel“ iSd § 10 Abs 3 MarkSchG, sondern ist als unlauter zu qualifizieren: Die Bekl trägt den Firmennamen „A* GmbH“, den sie nach den Feststellungen jedoch weder im Ganzen noch in seinem phantasiegeprägten und nicht beschreibenden Teil zur Kennzeichnung ihrer Waren verwendete; sie verwendete dafür vielmehr nur den Teil, der auch dem Namen ihres Geschäftsführers und Alleingesellschafters entspricht und der wiederum im Familiennamen mit der prioritätsälteren Wortmarke der Kl ident ist. Die Bekl hat sich damit von ihrem eigenen Namen entfernt und sich der klägerischen Marke angenähert, um ihre gleichartigen Waren zu kennzeichnen. Das BerufungsG qualifizierte diese voll-
rdw.lexisnexis.at 30 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 32
ständige Übernahme der Wortmarke der Kl als prägenden Bestandteil der Produktbezeichnung als unlauter und im Widerspruch zu den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel, weil es dadurch zu einer Aufmerksamkeitsausbeutung der Marke gegenüber dem Durchschnittskonsumenten komme, der wegen des Vertriebs beider Produkte ua in Lebensmittelmärkten potenziell angesprochen wird. Diese Ansicht ist im Einzelfall vertretbar, zumal sich die (Firmen-)Namensgebung der Bekl von der Marke und der Firma der Kl abhebt und schon daraus deutlich wird, dass sich die Bekl des Umstands der prekären Kennzeichennähe zur Kl bewusst war; außerdem würde und im Sinne des oben Gesagten zudem auch eine Rufausbeutung naheliegen. Entgegen der Revision folgt daraus keineswegs, dass die Nutzung einprägsamer Nachnamen niemals lauteren Gepflogenheiten entspräche. Was die Bekl daran gehindert hätte, etwa ihren ganzen Firmennamen zu verwenden oder den Teil hervorzuheben, der sich nicht mit der Marke der Kl überschneidet, vermag ihre Revision nicht nachvollziehbar darzulegen.
Ausgangsfall
Zwei Brüder betreiben je eine Sektkellerei in Form von GmbHs. Die hier kl GmbH besteht schon länger und zu ihren Gunsten sind – gegenüber der Firma der jüngeren bekl Gesellschaft – ältere Wortmarken registriert, die nur aus dem gemeinsamen Familiennamen der Brüder bestehen.
Die bekl GmbH trägt neben dem vollen Namen des Firmeneigners und Geschäftsführers auch andere Bestandteile in ihrer Firma und ließ eine Wortbildmarke eintragen, die als Wortbestandteil auffällig den Vor- und Familiennamen des Firmeneigners (nicht jedoch die volle Firma) enthielt. Die ältere GmbH bezeichnet ihren Sekt mit der Wortmarke (dem Familiennamen) und verlangt von der bekl GmbH, es zu unterlassen, deren Sekt mit dem Vor- und Familiennamen ihres Eigentümers und Geschäftsführers zu bezeichnen.
Entscheidung
Der Geschäftsführer der Bekl war im Jahr 2017 aus der kl GmbH ausgeschieden und hatte im Abtretungsvertrag seine ausdrückliche Einwilligung erklärt, dass die Kl „die bisherigen Bezeichnungen uneingeschränkt weiterführen darf“.
Auch wenn die Kl ihrem scheidenden Gesellschafter die Nutzung der Marke nicht ausdrücklich untersagt haben mag, ist vor diesem Hintergrund schlichtweg nicht nachvollziehbar, wie die Revision daraus auf eine konkludente Zustimmung der Kl zur Markennutzung durch die Bekl schließen will.
Da zusätzliche Umstände hier nicht vorliegen und auch nicht behauptet wurden, hält sich die Rechtsansicht des BerufungsG (keine Anhaltspunkte für eine Zustimmung zur Markennutzung) im Rahmen der Rsp; eine erhebliche Rechtsfrage ist nicht erkennbar.
EuGH: Erschöpfung des Markenrechts bei wiederbefüllbarer Flasche
» RdW 2023/34
VO (EU) 2017/1001: Art 15
RL (EU) 2015/2436: Art 15
EuGH 27. 10. 2022, C-197/21, Soda-Club (CO2 ) und SodaStream International; zu einem finnischen Vorabentscheidungsersuchen.
Der Inhaber einer Marke, der in einem Mitgliedstaat Waren (hier: Kohlendioxid-Flaschen) vertrieben hat, die mit dieser Marke versehen sind und mehrmals wiederverwendet und wiederbefüllt werden sollen, darf sich nach Art 15 Abs 2 VO (EU) 2017/1001 (UnionsmarkenVO) und Art 15 Abs 2 RL (EU) 2015/2436 (MarkenRL) dem weiteren Vertrieb dieser Waren in diesem Mitgliedstaat durch einen Wiederverkäufer nicht widersetzen, der sie wiederbefüllt und das die ursprüngliche Marke aufweisende Etikett durch eine andere Etikettierung ersetzt hat, wobei aber auf diesen Waren die ursprüngliche Marke sichtbar bleibt, sofern diese Neuetikettierung bei den Verbrauchern nicht den irrigen Eindruck hervorruft, dass zwischen dem Wiederverkäufer und dem Markeninhaber eine wirtschaftliche Verbindung besteht. Diese Gefahr einer Verwechslung ist anhand der Angaben auf der Ware und auf ihrer Neuetikettierung sowie anhand der Vertriebspraktiken des betreffenden Wirtschaftszweigs und des Bekanntheitsgrades dieser Praktiken bei den Verbrauchern umfassend zu beurteilen.
Hinweis: Auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, der im Juni 2016 begann, sind teils die VO (EG) 207/2009 (aufgehoben durch VO [EU] 2017/1001) und die RL 2008/95/EG (aufgehoben durch RL [EU] 2015/2436) und teils die VO (EU) 2017/1001 und die RL (EU) 2015/2436 anwendbar. Da jedoch die Bestimmungen in ihrem Wortlaut im Wesentlichen übereinstimmen und die Antworten auf die Vorlagefragen wegen dieser Übereinstimmung die gleichen sind, hat der EuGH zur Beantwortung der Fragen allein auf Art 15 VO (EU) 2017/1001 und Art 15 RL (EU) 2015/2436 abgestellt.
EuGH: Parallelimport von Arzneimitteln, Umpacken
» RdW 2023/35
Der EuGH hat am 17. 11. 2022 verschiedene Vorlagefragen im Zusammenhang mit Parallelimporten und der Umverpackung von Arzneimitteln beantwortet (ua betreffend Rufschädigung und Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion).
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 31 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 35
Vorabentscheidungen
Umverpackung, Barcode
1. Art 9 Abs 2 und Art 15 der VO (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 6. 2017 über die Unionsmarke sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Unionsmarke nicht berechtigt ist, sich dem Vertrieb eines Arzneimittels, das in eine neue äußere Umhüllung umgepackt wird, auf der diese Marke angebracht wird, durch einen Parallelimporteur zu widersetzen, wenn die Ersetzung der Vorrichtung gegen Manipulation der äußeren Originalumhüllung dieses Arzneimittels gem Art 47a Abs 1 RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die RL 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2012 geänderten Fassung sichtbare Öffnungsspuren auf dieser Umhüllung hinterlassen würde und diese Spuren auf dem Markt des Einfuhrmitgliedstaats oder auf einem beträchtlichen Teil dieses Marktes einen derart starken Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegen die so umgepackten Arzneimittel hervorrufen würden, dass er ein Hindernis für den tatsächlichen Zugang zu diesem Markt darstellen würde, was für jeden Einzelfall festzustellen ist.
2. Art 5 Abs 3 der DelVO (EU) 2016/161 der Kommission vom 2. 10. 2015 zur Ergänzung der RL 2001/83 ist dahin auszulegen, dass er nicht dem entgegensteht, dass der Barcode, der das individuelle Erkennungsmerkmal iSv Art 3 Abs 2 Buchst a dieser Delegierten Verordnung enthält, auf der äußeren Umhüllung eines Arzneimittels mittels eines Klebeetiketts anzubringen ist, sofern dieses Etikett nicht ohne Beschädigung entfernt werden kann und insb der Barcode entlang der gesamten Lieferkette und während des gesamten in Art 6 der Delegierten Verordnung genannten Zeitraums einwandfrei lesbar bleibt.
EuGH 17. 11. 2022, C-147/20, Novartis Pharma; zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.
Neue Umhüllung, Neuetikettierung
1. Art 47a RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die RL 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass, sofern alle in diesem Artikel genannten Anforderungen erfüllt sind, das Umpacken in eine neue Umhüllung und die Neuetikettierung von parallel importierten Arzneimitteln in Bezug auf die gleichermaßen gegebene Geeignetheit der in Art 54 Buchst o dieser Richtlinie in der durch die RL 2012/26 geänderten Fassung genannten Sicherheitsmerkmale gleichwertige Formen des Umpackens sind, ohne dass die eine Form der anderen vorgeht.
2. Art 10 Abs 2 und Art 15 RL (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sind
dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke berechtigt ist, sich dem Vertrieb eines Arzneimittels, das in eine neue äußere Umhüllung umgepackt wird, auf der diese Marke angebracht wird, durch einen Parallelimporteur zu widersetzen, wenn eine Neuetikettierung des betreffenden Arzneimittels unter Beachtung der Anforderungen des Art 47a RL 2001/83 in der durch die RL 2012/26 geänderten Fassung objektiv möglich ist und das in dieser Weise neu etikettierte Arzneimittel tatsächlich Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats erlangen könnte.
3. Art 10 Abs 2 und Art 15 RL 2015/2436 sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke berechtigt ist, sich dem Vertrieb eines Arzneimittels, das in eine neue äußere Umhüllung umgepackt wird, auf der diese Marke angebracht wird, durch einen Parallelimporteur zu widersetzen, wenn die sichtbaren Spuren der Öffnung der äußeren Originalumhüllung, die gegebenenfalls durch eine Neuetikettierung dieses Arzneimittels verursacht wurden, eindeutig auf das so durchgeführte Umpacken durch diesen Parallelimporteur zurückzuführen sind, es sein denn, diese Spuren rufen auf dem Markt des Einfuhrmitgliedstaats oder auf einem beträchtlichen Teil dieses Marktes einen derart starken Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegen die so umgepackten Arzneimittel hervor, dass er ein Hindernis für den tatsächlichen Zugang zu diesem Markt darstellen würde, was für jeden Einzelfall festzustellen ist.
EuGH 17. 11. 2022, C-204/20, Bayer Intellectual Property; zu einem deutschen Vorabentscheidungsersuchen.
Umverpackung, Gefährdung der Versorgung
1. Art 9 Abs 2 und Art 15 VO (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 6. 2017 über die Unionsmarke und Art 10 Abs 2 und Art 15 RL (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken iVm den Art 34 und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke berechtigt ist, sich dem Vertrieb eines Arzneimittels, das in eine neue äußere Umhüllung umgepackt wird, auf der diese Marke angebracht wird, durch einen Parallelimporteur zu widersetzen, wenn die Ersetzung der Vorrichtung gegen Manipulation der äußeren Originalumhüllung dieses Arzneimittels gem Art 47a Abs 1 RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die RL 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2012 geänderten Fassung sicht- oder tastbare Öffnungsspuren auf dieser Umhüllung hinterlassen würde, sofern
kein Zweifel besteht, dass diese Öffnungsspuren auf das Umpacken des Arzneimittels durch den Parallelimporteur zurückzuführen sind, und
diese Spuren auf dem Markt des Einfuhrmitgliedstaats oder auf einem beträchtlichen Teil dieses Marktes keinen derart starken Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Ver-
rdw.lexisnexis.at 32 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 35
ART.-NR.: 36
braucher gegen die so umgepackten Arzneimittel hervorrufen, dass er ein Hindernis für den tatsächlichen Zugang zu diesem Markt darstellen würde.
2. Die RL 2001/83 in der durch die RL 2012/26 geänderten Fassung und die DelVO (EU) 2016/161 der Kommission vom 2. 10. 2015 zur Ergänzung der RL 2001/83 sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, vorzuschreiben, dass parallelimportierte Arzneimittel grds in eine neue Umhüllung umgepackt werden müssen und dass auf eine Neuetikettierung und das Anbringen neuer Sicherheitsmerkmale auf der äußeren Originalumhüllung dieser Arzneimittel nur nach Antragstellung und in außergewöhnlichen Fällen, wie zB der Gefährdung der Versorgung mit dem betreffenden Arzneimittel, zurückgegriffen werden kann.
3. Art 9 Abs 2 und Art 15 VO 2017/1001 sowie Art 10 Abs 2 und Art 15 RL 2015/2436 iVm den Art 34 und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats, die vorschreibt, dass parallelimportierte Arzneimittel grds in eine neue Umhüllung umgepackt werden müssen und dass auf eine Neuetikettierung und das Anbringen neuer Sicherheitsmerkmale auf der äußeren Originalumhüllung dieser Arzneimittel nur nach Antragstellung und in außergewöhnlichen Fällen zurückgegriffen werden kann, den Inhaber einer Marke nicht daran hindert, sein Recht auszuüben, sich dem Vertrieb eines Arzneimittels, das in eine neue äußere Umhüllung umgepackt wird, auf der diese Marke angebracht wird, durch einen Parallelimporteur zu widersetzen.
4. Art 9 Abs 2 und Art 15 Abs 2 VO 2017/1001 sowie Art 10 Abs 2 und Art 15 Abs 2 RL 2015/2436 iVm den Art 34 und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass die erste der fünf in Rn 79 des Urteils vom 11. 7. 1996, Bristol-Myers Squibb ua (C-427/93, C-429/93 und C-436/93, EU:C:1996:282), genannten Voraussetzungen – wonach der Inhaber einer Marke sich rechtmäßig dem weiteren Vertrieb eines mit dieser Marke versehenen und aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Arzneimittels in einem Mitgliedstaat widersetzen kann, wenn der Importeur dieses Arzneimittels dieses umgepackt und diese Marke erneut darauf angebracht hat und dieses Umpacken des Arzneimittels in eine neue äußere Umhüllung für seinen Vertrieb im Einfuhrmitgliedstaat objektiv nicht erforderlich ist – erfüllt sein muss, wenn die Marke, die auf der äußeren Originalumhüllung des betreffenden Arzneimittels angebracht war, durch einen anderen Produktnamen auf der neuen äußeren Umhüllung dieses Arzneimittels ersetzt worden ist, sofern die Primärverpackung des Arzneimittels mit dieser Marke versehen ist und/oder diese neue äußere Umhüllung auf sie Bezug nimmt.
5. Art 9 Abs 2 und Art 15 Abs 2 VO 2017/1001 sowie Art 10 Abs 2 und Art 15 Abs 2 RL 2015/2436 sind dahin auszulegen, dass sich der Inhaber einer Marke dem Vertrieb eines aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Arzneimittels in einem Mitgliedstaat durch einen Parallelimporteur, das dieser in eine neue äußere Umhüllung umgepackt hat, auf die er die produktspezifische Marke des Markeninhabers wieder angebracht hat, nicht aber die übrigen Marken und/oder Unterscheidungszeichen, die auf der äußeren Originalumhüllung dieses Arzneimittels angebracht waren, widersetzen kann, wenn die Aufmachung dieser
neuen äußeren Verpackung tatsächlich geeignet ist, den Ruf der Marke zu schädigen, oder wenn diese Aufmachung es dem normal informierten und angemessen aufmerksamen Verbraucher nicht oder nur schwer ermöglicht zu erkennen, ob dieses Arzneimittel vom Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder im Gegenteil von einem Dritten stammt, und damit die herkunftshinweisende Funktion der Marke beeinträchtigt wird.
EuGH 17. 11. 2022, C-224/20, Merck Sharp & Dohme ua; zu einem dänischen Vorabentscheidungsersuchen.
Referenzarzneimittel, Generikum
Art 9 Abs 2 und Art 13 VO (EG) 207/2009 des Rates vom 26. 2. 2009 über die Unionsmarke in der durch die VO (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 2015 geänderten Fassung sowie Art 5 Abs 1 und Art 7 RL 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sind im Licht der Art 34 und 36 AEUV dahin auszulegen, dass der Inhaber der Marke eines Referenzarzneimittels und der Marke eines Generikums sich dem Inverkehrbringen dieses aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Generikums durch einen Parallelimporteur in einem Mitgliedstaat widersetzen kann, wenn das Generikum in eine neue äußere Verpackung umgepackt wurde, auf der die Marke des entsprechenden Referenzarzneimittels angebracht wurde, es sei denn, dass die beiden Arzneimittel in jeder Hinsicht identisch sind und für die Ersetzung der Marke die in Rn 79 des Urteils vom 11. 7. 1996, Bristol-Myers Squibb ua (C-427/93, C-429/93 und C-436/93, EU:C:1996:282), in Rn 32 des Urteils vom 26. 4. 2007, Boehringer Ingelheim ua (C-348/04, EU:C:2007:249), sowie in Rn 28 des Urteils vom 17. 5. 2018, Junek Europ-Vertrieb (C-642/16, EU:C:2018:322), aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind.
EuGH 17. 11. 2022, C-253/20 und C-254/20, Impexeco; zu belgischen Vorabentscheidungsersuchen.
EuGH: Kabelweiterverbreitung
» RdW 2023/36
RL 93/83/EWG: Art 1, Art 8
EuGH 8. 9. 2022, C-716/20, RTL Television; zu einem portugiesischen Vorabentscheidungsersuchen.
In Auslegung von Art 1 Abs 3 RL 93/83/EWG [zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung] iVm Art 8 Abs 1 dieser Richtlinie hält der EuGH fest:
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 33 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR
Diese Vorschrift sieht für Sendeunternehmen kein ausschließliches Recht vor, die Kabelweiterverbreitung im Sinne dieser Vorschrift zu erlauben oder zu verbieten.
Es stellt keine solche Kabelweiterverbreitung dar, wenn Fernseh- oder Radiosendungen, die durch Satellit übermittelt werden und zum öffentlichen Empfang bestimmt sind, zeitgleich, unverändert und vollständig verbreitet werden und diese Weiterverbreitung durch eine andere Person als ein Kabelunternehmen im Sinne dieser Richtlinie erfolgt, wie etwa ein Hotel. Einrichtungen wie Hotels fallen nicht unter die Begriffe „Kabelnetzbetreiber“ bzw „Kabelunternehmen“ iSd RL 93/83/EWG.
ZIVILPROZESSRECHT
Zweiseitig geführtes Sicherungsverfahren
»
RdW 2023/37
EMRK: Art 6
EO: § 389
OGH 30. 6. 2022, 4 Ob 25/22p
Beabsichtigt das RekursG in einem zweiseitig geführten Sicherungsverfahren, seine Entscheidung auf Beweismittel zu stützen, zu denen die gegnerische Partei in erster Instanz nicht Stellung nehmen konnte, muss es dieser vor seiner Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung geben. Diesem Zweck kann aber im Einzelfall auch die Stellungnahme in einer Rekursbeantwortung genügen. Der in der Literatur geäußerten Gefahr eines „perpetuum mobile“ kann gegebenenfalls durch Abhaltung einer mündlichen Verhandlung begegnet werden, und zwar nicht nur in erster, sondern auch in zweiter Instanz (insoweit ungeachtet § 526 Abs 1 ZPO, vgl RS0122288).
Eine Gegenäußerung des Antragstellers wird dann nicht erforderlich sein, wenn der Antragsgegner in seiner Äußerung schlicht behauptet, das Vorbringen im Sicherungsantrag sei unrichtig und dazu die Aufnahme entsprechender Bescheinigungsmittel beantragt. Bringt der Antragsgegner in seiner Äußerung hingegen neue Tatsachen oder Rechtsausführungen vor, die der Antragsteller bislang gar nicht angesprochen hat, so wird es idR angemessen erscheinen, Letzterem eine Stellungnahmemöglichkeit einzuräumen.
Entscheidung
Die Zweit- bis Sechstbekl sind unbeschränkt haftende Gesellschafter der Erstbekl, einer Kommanditgesellschaft. Der Unter-
lassungsanspruch gegen einen unbeschränkt haftenden Gesellschafter ergibt sich nicht aus den Haftungsbestimmungen des Personengesellschaftsrechts (§§ 128, 161 UGB), sondern aus der regelmäßig bestehenden Möglichkeit des Gesellschafters, das rechtswidrige Verhalten der Gesellschaft zu unterbinden (RS0112076 [T4]). Diese Möglichkeit der Zweit- bis Sechstbekl ist im vorliegenden Fall (mangels gegenteiliger Bescheinigung) anzunehmen:
Bei den beanstandeten Verhaltensweisen (Logo „Tirol“, Werbung mit „Original“) handelt es sich um Geschäftsführungsmaßnahmen. Die unbeschränkt haftenden Gesellschafter sind ex lege einzeln geschäftsführungsbefugt, bei Widerspruch eines Gesellschafters zu Geschäftsführungsmaßnahmen eines anderen muss die Handlung unterbleiben (§ 115 Abs 1 zweiter Halbsatz UGB). Ex lege ist daher jeder Komplementär in der Lage, gegen Lauterkeitsverstöße eines anderen einzuschreiten. Zwar sind diese gesetzlichen Bestimmungen dispositiv und die Gesellschafter könnten abweichende Geschäftsführungsbestimmungen vereinbaren. Derartige Vereinbarungen sind aber nicht publik, weil der Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft (etwa im Firmenbuch) nicht offengelegt werden muss und die Geschäftsführungsbefugnis (im Gegensatz zur Vertretungsbefugnis) auch kein Gegenstand einer Firmenbucheintragung ist.
Es wäre daher im vorliegenden Fall an den Zweit- bis Sechstbekl gelegen, zu behaupten und zu bescheinigen, dass ihnen ungeachtet der einschlägigen Normen des UGB ein Einschreiten gegen Lauterkeitsverstöße nicht möglich gewesen wäre, etwa weil sie gesellschaftsvertraglich von der Geschäftsführung ausgeschlossen seien. Derartige Behauptungen wurden nicht aufgestellt, sodass von einer Haftung der Zweit- bis Sechstbekl für die Lauterkeitsverstöße der Erstbekl auszugehen ist (vgl auch 4 Ob 96/19z, Pkt 3, RdW 2020/265).
VERGABERECHT
Vergabe: Rahmenvereinbarung ohne vorherige Bekanntmachung
» RdW 2023/38
BVergG 2018: §§ 334, 353 VwGH 26. 9. 2022, Ra 2021/04/0005
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 334 Abs 3 Z 3 BVergG 2018 (Zuständigkeitsbestimmung) und des § 353 Abs 1 Z 2 BVergG 2018 (Einleitung des Feststellungsverfahrens) sehen auf Antrag die Feststellung des BVwG vor, ob die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung rechtswidrig gewesen sei. Diese Zuständigkeit des BVwG besteht gemäß dem Einleitungssatz des § 334 Abs 3 BVergG 2018 „nach Zuschlagserteilung“
rdw.lexisnexis.at 34 RdW 1/2023 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 37
ART.-NR.: 40
Der Abschluss einer Rahmenvereinbarung ohne vorherige Bekanntmachung ist als Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung iSd § 334 Abs 3 Z 3 bzw des § 353 Abs 1 Z 2 BVergG 2018 anzusehen und kann somit zum Gegenstand einer dahin gehenden Feststellung gemacht werden, was – im Fall der Rechtswidrigkeit – die Nichtigerklärung der Rahmenvereinbarung nach sich zieht.
Wenn also § 334 Abs 3 Z 3 BVergG 2018 auch die Feststellung der rechtswidrigen Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung erfasst, das zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung führt, dann muss der Begriff „Zuschlagserteilung“ im Einleitungssatz des § 334 Abs 3 BVergG 2018 für diese Konstellationen konsequenterweise auch den Abschluss der Rahmenvereinbarung umfassen. Die Feststellungskompetenz des BVwG besteht daher sofort nach Abschluss der Rahmenvereinbarung und somit vor dem ersten Abruf; der Abschluss der Rahmenvereinbarung muss ohne Verzug bekämpfbar sein.
Erste Rechtsprechung
EuGH: Einheitliche Europäische Eigenerklärungen (EEE) bei Gemeinschaftsunternehmen
» RdW 2023/39
DurchführungsVO (EU) 2016/7: Anhang 1
RL 2014/24/EU: Art 2, Art 59, Art 63
EuGH 10. 11. 2022, C-631/21, Taxi Horn Tours; zu einem niederländischen Vorabentscheidungsersuchen.
Ein Gemeinschaftsunternehmen, das – ohne eine juristische Person zu sein – die Form einer Gesellschaft hat, die dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Handelsregister eingetragen ist, sowohl vorübergehender als auch dauerhafter Natur sein kann und deren Gesellschafter auf dem gleichen Markt tätig sind wie das Unternehmen und gesamtschuldnerisch für die ordnungsgemäße Erfüllung der vom Unternehmen eingegangenen Verpflichtungen haften, muss dem öffentlichen Auftraggeber ausschließlich seine eigene Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) vorlegen, wenn es in eigenem Namen an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilnehmen oder ein Angebot abgeben möchte und den Nachweis erbringt, dass es den Auftrag ausschließlich mit eigenem Personal und Material ausführen kann.
Meint das Gemeinschaftsunternehmen hingegen, für die Ausführung des öffentlichen Auftrags auf die Mittel
bestimmter Gesellschafter zurückgreifen zu müssen, ist dies als eine Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen gem Art 63 RL 2014/24/EU (VergabeRL) zu betrachten, und das Unternehmen muss dann nicht nur seine eigene EEE, sondern auch eine EEE für jeden Gesellschafter vorlegen, dessen Kapazitäten es in Anspruch nehmen möchte.
BEIHILFENRECHT
Vorabentscheidungsersuchen:
Landwirtschaft – Rückforderung
einer Förderung
» RdW 2023/40
ABGB: § 1489 VO (EG) 2988/95 (Euratom): Art 3
OGH 17. 10. 2022, 6 Ob 224/21s
Der OGH hat dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 3 VO (EG) 2988/95 (Euratom) des Rates vom 18. 12. 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl L 312/1 vom 23. 12. 1995, unmittelbar auf solche Ansprüche anzuwenden, mit denen die Republik Österreich Beihilfen, die sie im Rahmen eines Programms, das eine Agrarumweltmaßnahme gem VO (EG) 1698/2005 des Rates vom 20. 9. 2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), ABl L 277/1 vom 21. 10. 2005, darstellt, den Förderungswerbern vertraglich gewährte, mit den Mitteln des Privatrechts zurückfordert, weil der Förderungsnehmer gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen hat?
2. Falls die erste Frage bejaht wird, ist Art 3 Abs 1 UAbs 3 der in Frage 1 genannten Verordnung dahin auszulegen, dass eine die Verjährung unterbrechende Ermittlungsoder Verfolgungshandlung auch dann vorliegt, wenn der Beihilfegeber den Beihilfenehmer nach der ersten außergerichtlichen Einforderung eines Rückzahlungsanspruchs neuerlich, allenfalls auch mehrfach, zur Zahlung auffordert und außergerichtlich mahnt, anstatt seinen Rückzahlungsanspruch gerichtlich geltend zu machen?
3. Falls die erste Frage verneint wird, ist die Anwendung einer 30-jährigen Verjährungsfrist des nationalen Zivilrechts auf die in Frage 1 bezeichneten Rückforderungsansprüche mit dem Unionsrecht, insb mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vereinbar?
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 35 WIRTSCHAFTSRECHT JUDIKATUR
ARBEITSRECHT
All-in-Gehälter: Anpassung wegen Elternteilzeit
Entscheidungsbesprechung OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, und 24. 10. 2022, 8 ObA 22/22a1
»RdW 2023/41
Der OGH hat vor einigen Jahren entschieden, dass eine Überstundenpauschale für den Zeitraum der Elternteilzeit ruht, weil ansonsten das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung erheblich gestört wäre.2 Diese Entscheidung wurde in der Literatur mehrheitlich positiv angenommen und vielfach besprochen.3 Offen geblieben ist, ob sich das Ergebnis auch auf All-in-Vereinbarungen übertragen lässt. Der wesentliche Unterschied zwischen einer Überstundenpauschale und einem All-in-Gehalt liegt, sehr vereinfacht, darin, dass bei der Überstundenpauschale idR klar ist, welcher Entgeltanteil auf wie viele Überstunden entfällt, wohingegen bei der typischen Allin-Klausel oft nicht klar definiert ist, wie viele Überstunden abgedeckt sind, und auch nicht immer ganz eindeutig ist, welcher Entgeltteil überhaupt auf Mehrarbeit und Überstunden entfällt. Kann der Arbeitgeber trotzdem vor der anteiligen Anpassung des All-in-Gehalts auf das verringerte Arbeitszeitausmaß einen Überstundenanteil herausrechnen und wie ist dieser zu bestimmen? In zwei neuen Entscheidungen4 hat der OGH diese Fragen teilweise beantwortet.
Das Ergebnis vorweg: Auch die auf Mehr- und Überstunden entfallenden Entgeltteile eines All-in-Gehalts ruhen während der Elternteilzeit, wenn diese Anteile bestimmbar sind. In beiden Sachverhalten waren die abgedeckten Mehr- und Überstunden schon anhand des Dienstvertrages bestimmbar. Offen bleibt, wie eine Allin-Vereinbarung zu behandeln ist, bei der das Ausmaß der Mehr- und Überstunden im Dienstvertrag nicht konkret vereinbart ist. Auch sind weiterhin noch nicht alle Berechnungsfragen endgültig höchstgerichtlich geklärt.
1 Die VerfasserInnen waren an einem der Verfahren beteiligt.
2 OGH 24. 6. 2015, 9 ObA 30/15z.
3 Hahn, Überstundenpauschale & All-in während der Elternteilzeit, RdW 2015, 725; schon zuvor Peschek, Anpassung von All-in-Vereinbarungen in der Elternteilzeit, ecolex 2014, 985 (988). Weitere umfassende Nachweise finden sich in der hier besprochenen Entscheidung OGH 24. 10. 2022, 8 ObA 22/22a, Punkt 1.
4 OGH 8. 9. 2022, 9 ObA 83/22d; 24. 10. 2022, 8 ObA 22/22a.
Wir stellen im Folgenden zunächst die Rechtslage und die Rechtsprechung vor den beiden besprochenen Entscheidungen dar (Abschnitt 1.) und danach die beiden Entscheidungen (Abschnitt 2.). In Abschnitt 3. werden die noch offenen Themen erörtert.
1. Ausgangslage: Entfall der Überstundenpfl icht in der Elternteilzeit und damit verbundener Wegfall von Überstundenpauschalen
Die Elternteilzeit ermöglicht es Müttern und Vätern, das Ausmaß und/oder die Lage ihrer Arbeitszeit nach der Geburt eines Kindes (und einer etwaigen Karenz) einseitig zu verändern (§§ 15h ff MSchG, §§ 8 ff VKG). Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen besteht ein gesetzlicher Anspruch der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers auf die Veränderung der Arbeitszeit. Das Entgelt ist während der Elternteilzeit grundsätzlich aliquot im Ausmaß der Stundenreduktion zu reduzieren.5
Im Rahmen von Elternteilzeit ist die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet, Mehr- oder Überstunden zu leisten (§ 19d Abs 8 AZG). Eine anderweitige Regelung würde dem Wesen der Elternteilzeit zuwiderlaufen, da die Betreuungspflichten vorgehen.6 Die Nichtanwendbarkeit des § 19d Abs 3 AZG bei Elternteilzeitbeschäftigung bedeutet zwar einen klaren Vorrang der Betreuungsinteressen vor etwaigen Mehrarbeitsverpflichtungen, jedoch kein Verbot von Mehrarbeit.7 Der Arbeitgeber kann daher keine Mehr- und Überstunden mehr einfordern, die er aber durch eine Überstundenpauschale oder ein All-in-Entgelt bezahlt; ob er dafür eine Gegenleistung bekommt, hängt von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer ab.
Für den Fall eines vereinbarten Überstundenpauschales hat der OGH diese für den Arbeitgeber unbefriedigende Situation wie
rdw.lexisnexis.at 36 RdW 1/2023 ART.-NR.: 41
5 Schrank in Schrank (Hrsg), Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht (90. Lfg 2022) Geschützte Elternteilzeit bis zum 7. bzw 4. Lebensjahr Rz 126.
6 Schrank, Arbeitszeit Kommentar6 § 19d AZG Rz 119; Mosler in Neumayr/ Reissner, ZellKomm3 § 19d AZG Rz 7.
7 OGH 24. 6. 2015, 9 ObA 30/15z; Schrank, Arbeitszeit Kommentar6 § 19d AZG Rz 56.
RA Dr. Matthias Unterrieder/RAAin Mag. Dorothea Arlt • Wien
folgt gelöst: Da das Überstundenpauschale, wie (im Anlassfall) schon der vereinbarte Widerrufsvorbehalt erkennen ließ, in der beiderseitigen Annahme der Parteien vereinbart wurde, dass solche Überstunden von der Arbeitnehmerin auch tatsächlich geleistet werden, wäre das von den Parteien dem Arbeitsvertrag zugrunde gelegte Synallagma zwischen Arbeitsleistung und Entgelt erheblich gestört, wäre die Arbeitgeberin verpflichtet, der Arbeitnehmerin das Überstundenpauschale weiter zu bezahlen, obwohl sie von der Klägerin nicht einmal die Leistung von Mehrstunden fordern kann. Es sei daher nur konsequent und sachgemäß, wenn auch für die Dauer der Elternteilzeit der Anspruch auf die Überstundenentlohnung grundsätzlich ruht.8
Der Widerrufsvorbehalt war in diesem Fall nur ein Indiz, aber keine Voraussetzung für den Entfall der Überstundenpauschalvergütung.9 Offen geblieben ist, wie eingangs erwähnt, ob sich diese Grundsätze auch auf All-in-Vereinbarungen umlegen lassen. Zu Recht wurde die Meinung vertreten, dass auch All-inÜberstundenanteile jedenfalls dann entfallen, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Leistung von Mehr- und Überstunden grundsätzlich ablehnt. Ist die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hingegen zur Mehrarbeitsleistung bereit und ist diese auch realistisch, habe eine angemessene Anpassung des All-in-Gehalts zu erfolgen.10 Als eine Möglichkeit der angemessenen Anpassung wurde in der Literatur bei Fehlen einer vereinbarten Überstundenerwartung die Anpassung auf Grundlage des Durchschnitts der geleisteten Überstunden auf Basis der letzten 12 Monate angesehen.11 Das Gehalt wäre nach dieser Ansicht zunächst um den Wert der durchschnittlichen Überstunden zu kürzen. Leisten Dienstnehmer während der Elternteilzeit dann Mehr- und Überstunden, haben sie dafür ohnehin das entsprechende Entgelt zu erhalten.12
2. Entscheidungen OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, und 24. 10. 2022, 8 ObA 22/22a
Vor diesem Hintergrund hat sich der OGH nunmehr in zwei Entscheidungen der Anpassung des All-in-Entgelts in der Elternteilzeit gewidmet. Die Entscheidungen werden im Folgenden zunächst grundsätzlich und noch ohne Berechnungsdetails zusammengefasst.
2.1. OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d
Im Anlassfall des Verfahrens OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, wurde zwischen den Parteien vereinbart, dass für alle Angestellten in einer dem Kläger (Arbeitnehmer) vergleichbaren Position
8 OGH 24. 6. 2015, 9 ObA 30/15z, Punkt 3.
9 Das folgt schon daraus, dass die Parteien zwar einen Widerrufsvorbehalt vereinbart hatten, ein Widerruf der vereinbarten Überstundenpauschale jedoch weder ausdrücklich noch konkludent erfolgte: OGH 24. 6. 2015, 9 ObA 30/15z, Punkt 1.
10 Schrank, Arbeitszeit Kommentar6 § 19d AZG Rz 47.
11 Peschek, ecolex 2014, 985 (988).
12 OGH 24. 6. 2015, 9 ObA 30/15z, Punkt 9.
im monatlichen Basisgehalt 15 Überstunden im Monat enthalten seien. Der Arbeitnehmer verstand den Dienstvertrag sinngemäß so, dass (darüber hinaus) jegliches von ihm geleistete Ausmaß an Arbeitsstunden durch das Pauschalentgelt im Vertrag abgegolten sei. Der Arbeitnehmer war unstrittig gehalten, Mehrleistungen zu erbringen, sofern dies für die Arbeitgeberin erforderlich war.
In der Folge nahm der Arbeitnehmer Elternteilzeit in Anspruch. Die Arbeitgeberin teilte dem Arbeitnehmer daraufhin mit, dass der Anspruch auf die vereinbarte Überstundenpauschale ruhe, weil Arbeitnehmer in Elternteilzeit gem § 19d Abs 8 AZG von der Verpflichtung zur Erbringung von Mehr- und Überstunden ausgenommen seien. Bei Berechnung der Entgelthöhe während der Elternteilzeit rechnete die Arbeitgeberin 15 Überstunden aus dem Gesamtentgelt heraus. Während der folgenden Elternteilzeit verlangte die Arbeitgeberin vom Arbeitnehmer keine Mehr- und Überstundenleistungen. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin die Entgeltdifferenz für den Zeitraum der Elternteilzeit ein, wie sie sich aus der (aus seiner Sicht unberechtigten) Kürzung der Mehr- und Überstundenpauschale um den Wert der 15 Überstunden ergab.
Der OGH erörtert zunächst eingehend die Literatur zur Frage, ob die Grundsätze der E 9 ObA 30/15z betreffend Überstundenpauschalen auch auf All-in-Verträge übertragbar sind.13 Er kommt zu folgenden Ergebnissen:
Ausgangspunkt ist weiterhin die Rechtsprechung, wonach das Synallagma zwischen Arbeitsleistung und Entgelt erheblich gestört wäre, wäre die Arbeitgeberin verpflichtet, der Arbeitnehmerin die Überstundenpauschale weiter zu bezahlen, obwohl sie von der Arbeitnehmerin nicht einmal die Leistung von Mehrstunden fordern könne.14
Daraus folgt für All-in-Vereinbarungen:15 Haben die Arbeitsvertragsparteien eine All-in-Vereinbarung abgeschlossen, dann ruht während der Elternteilzeit (nur) jener Teil des Arbeitsentgelts, der über das Grundentgelt hinaus für die Leistung von Mehr- und Überstunden bezahlt wird.
Ein Widerrufsvorbehalt ist keine unabdingbare Voraussetzung für die Kürzung des Entgelts eines Elternteilzeitbeschäftigten um die Überstundenpauschale.
Der OGH geht wie folgt auf die konkrete Entgeltvereinbarung ein: Die Parteien haben eine Entgeltvereinbarung getroffen, mit der jedenfalls eine bestimmte Anzahl von Mehr- und Überstundenleistungen abgegolten ist. Diese Vereinbarung lag in der gegenseitigen Annahme der Vertragsparteien, dass diese Mehr- bzw Überstunden vom Arbeitnehmer auch tatsächlich geleistet werden (dürfen). Zwar waren durch das Grundgehalt und sonstige Bezüge wohl auch alle über die 15 Stunden hinausgehenden Mehrleistungsstunden abgegolten und es habe daher kein Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung für Über-
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 37 ARBEITSRECHT
41
ART.-NR.:
13 OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, Punkt 3. 14 OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, Punkt 1. 15 Das Folgende fasst OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, in den Punkten 4. und 5. zusammen.
stunden bestanden. Das ändert aber nichts daran, dass das Jahresfixgehalt um jenen Betrag gekürzt werden kann, der der konkret bestimmten Anzahl an im Gesamtentgelt enthaltenen (zuletzt 15) Mehr- und Überstunden (samt Zuschlag) entspricht. Hinsichtlich der Leistung dieser 15 Stunden bestand nämlich eine vertragliche Erwartungshaltung. Jenen Teil der pauschalen Abgeltung, der die Leistung von 15 Mehr- und Überstunden betrifft, hat der OGH jedenfalls als ausreichend konkret bestimmt und transparent angesehen.
2.2. OGH 24. 10. 2022, 8 ObA 22/22a
Der Entscheidung OGH 24. 10. 2022, 8 ObA 22/22a liegt ein etwas abweichender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien gingen laut Dienstvertrag davon aus, „dass im Durchschnitt 25 Mehr- und Überstunden pro Monat geleistet werden“. Abgegolten waren ausdrücklich alle Mehr- und Überstunden. Der Arbeitnehmer (in beiden Sachverhalten waren Väter die Kläger) nahm Elternteilzeit in Anspruch und sein Entgelt wurde von der Arbeitgeberin gekürzt. Dem Arbeitnehmer wurde mitgeteilt, dass tatsächlich anfallende Mehr- und Überstunden während der Elternteilzeit einzeln verrechnet würden. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin die aus der Kürzung um den Überstundenanteil entstandene Entgeltdifferenz ein.
Während im Dienstvertrag in 9 ObA 83/22d also die Anzahl der im Fixgehalt inkludierten Überstunden festgelegt wurde, wurde in 8 ObA 22/22a nur die Erwartung der Leistung einer bestimmten Anzahl von Überstunden vereinbart. Auch diese Formulierung könne laut OGH16 aber objektiv betrachtet so verstanden werden, dass Überstunden in diesem Ausmaß vom Arbeitgeber verlangt werden können, bei Bedarf zu leisten sind und mit dem Fixgehalt pauschal abgegolten werden.
Es stehe auch nicht fest, dass die laufend erbrachte Mehrund Überstundenleistung des Klägers von diesem Durchschnitt wesentlich und dauernd nach unten abgewichen sei. Der vorliegende All-in-Vertrag lasse damit eine ausreichende Abgrenzung eines bestimmten Überstundenanteils in zeitlicher Hinsicht, der pauschal abgegolten werden soll, zu. Auch in diesem Fall hat der OGH daher entschieden, dass der auf die Leistung von Mehr- und Überstunden entfallende Teil des All-in-Gehalts während der Elternteilzeit ruht.
Während das Prinzip der Kürzung von All-in-Vergütungen bei Elternteilzeit damit feststeht, kann die Berechnung des Umfangs der Entgeltreduktion in manchen Fällen weiterhin Schwierigkeiten bereiten. Darauf wird im folgenden Abschnitt eingegangen.
2.3. Berechnung der Entgeltreduktion nach der Rechtsprechung
All-in-Vereinbarungen gelten oft nicht bloß die Leistung von Mehr- und Überstunden ab, sondern auch weitere Dienstleistun-
gen, wie bspw Zuschläge für Wochenend-, Feiertags- oder Nachtarbeit, auch wenn keine Überstundenleistung erfolgt. Zudem gibt es weiterhin All-in-Vereinbarungen, in denen das Grundgehalt nicht betragsmäßig angeführt ist.17
Der OGH hat nunmehr in 8 ObA 22/22a im Anschluss an die Vorinstanzen Berechnungsgrundsätze auch für Fälle aufgestellt, in denen kein Grundgehalt vereinbart wurde.18 In solchen Fällen ist laut OGH das kollektivvertragliche Mindestgehalt zur Berechnung der Mehr- und Überstunden heranzuziehen. Bis zur Höhe des Mindestentgelts sei eine (im Anlassfall) für 25 Mehr- und Überstunden gebührende Entlohnung eindeutig betraglich bestimmbar, weil die Streitteile im Dienstvertrag davon gar nicht wirksam nach unten abweichen hätten können. Im Ergebnis werde damit das niedrigstmögliche, dem Mindestlohn entsprechende Überstundenpauschale aus dem All-in-Gehalt herausgerechnet.
UE kann dieses Ergebnis auch auf § 914 ABGB gestützt werden: Mangels Vereinbarung eines anderen Grundgehalts würden redliche Parteien vom kollektivvertraglichen Mindestgehalt ausgehen, um den Wert der abgegoltenen Mehr- und Überstunden zu berechnen.
3. Offene Themen
3.1. Berechnung bei Fehlen eines Mindestgehalts
Schwieriger ist die Berechnung, wenn im Arbeitsvertrag kein Grundgehalt vereinbart wurde und auch kein kollektivvertragliches Mindestgehalt herangezogen werden kann, weil auf das Arbeitsverhältnis kein Kollektivvertrag anwendbar ist. Auch in diesem Fall ist aber die Ermittlung eines Grundgehalts anhand der in § 2g AVRAG erstellten Grundsätze möglich. Nach § 2g AVRAG hat ein Arbeitnehmer, wenn das Grundgehalt gem § 2 Abs 2 Z 9 AVRAG nicht betragsmäßig im Arbeitsvertrag (oder Dienstzettel) angeführt ist, Anspruch auf das Grundgehalt, einschließlich der branchen- und ortsüblichen Überzahlungen, der am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmer von vergleichbaren Arbeitgebern. Als vergleichbare Arbeitnehmer sind zB Arbeitnehmer beim selben Arbeitgeber in einer ähnlichen Position mit vergleichbarer Ausbildung heranzuziehen.19 Die Höhe eines derartigen Grundgehalts wäre mithilfe eines Sachverständigen zu ermitteln. Letztlich entscheidet das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung über die Höhe des Grundgehalts.20 Ergibt sich eine Bandbreite, wird iSd §§ 914 f ABGB und der Rechtsprechung bei Berechnung des auf die Mehr- und Überstunden entfallenden Pauschalbetrages wohl das niedrigstmögliche Grundgehalt heranzuziehen sein.
17 Die Transparenzregeln für Pauschalentgeltvereinbarungen (§ 2 Abs 2 Z 9 und § 2g AVRAG) sind in vollem Umfang erst mit 29. 12. 2015/1. 1. 2016 in Kraft getreten und gelten nicht für Pauschalentgeltvereinbarungen, die vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen wurden (§ 19 Abs 1 Z 34 AVRAG).
18 Die folgenden Ausführungen sind eine Zusammenfassung von OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, Punkt 5., Rn 36–38.
19 Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 2g AVRAG Rz 21.
20 F. G. Burger in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 2g Rz 33.
rdw.lexisnexis.at 38 RdW 1/2023 ARBEITSRECHT ART.-NR.: 41
16 OGH 24. 10. 2022, 8 ObA 22/22a, Punkt 5. (Rn 33–35).
3.2. Fehlende arbeitsvertragliche Konkretisierung der Mehr- und Überstunden
Oft enthält der Arbeitsvertrag allerdings auch keinen Hinweis darauf, wie viele Mehr- und Überstunden mit einer All-in-Vereinbarung abgedeckt sein sollen. Der OGH verlangt aber, wie dargestellt, dass der Anteil der durch das All-in-Gehalt abgedeckten Mehr- und Überstunden bestimmbar sein muss, damit eine Mehrleistungspauschale ruht.21
Zur Bestimmbarkeit bei Fehlen einer vertraglichen Vereinbarung führt der OGH in den besprochenen Entscheidungen nichts aus, weil das aufgrund der Sachverhalte nicht notwendig war. Daher bleibt in solchen Fällen weiterhin bis zur höchstgerichtlichen Klärung nur der Rückgriff auf frühere, gut begründete Literaturmeinungen:
Peschek schlägt vor, den Durchschnitt der bisher geleisteten Überstunden zB auf Basis der letzten 12 Monate als Berechnungsgrundlage heranzuziehen. Aus dieser Durchschnittsbetrachtung könne man auch die entsprechende Erwartungshaltung der Arbeitsvertragsparteien ableiten. Dies diene auch dem Nachweis der tatsächlichen Störung der Äquivalenz durch die Elternteilzeit.22
Auch nach Risak sei die Vertragslücke durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen.23 Er erachtet dabei einen Betrachtungszeitraum der letzten voll gearbeiteten 12 Monate als angemessen. Aus diesem Ausmaß sei dann der Überstundenanteil zu ermitteln.
Diese Meinungen zeigen, dass der Mehr- und Überstundenanteil in nahezu allen Fällen bestimmbar ist. Nachdem es um die Beseitigung einer Äquivalenzstörung geht, sind im Einzelfall nicht nur die vereinbarten Stunden, sondern subsidiär, vor allem bei Fehlen einer derartigen Vereinbarung, auch die in der Vergangenheit tatsächlich geleisteten Überstunden heranzuziehen. Für das Heranziehen eines Jahreszeitraums spricht auch die Rechtsprechung zur Deckungsprüfung: Die Deckungsprüfung dient zur Überprüfung, ob die das Grundgehalt übersteigende Überzahlung die tatsächlich erbrachten Überstunden abdeckt.24 Sofern kein kürzerer Zeitraum vereinbart wurde, ist dafür eine Periode von einem Jahr laut OGH angemessen.25 Zuzustimmen ist darü-
21 OGH 28. 9. 2022, 9 ObA 83/22d, Rn 35.
22 Peschek, ecolex 2014, 985 (988); diesem weitgehend folgend Nitzl/ Schirmer, Die All-in-Vereinbarung – Problemstellungen in der täglichen Praxis, ASoK 2017, 202 (208).
23 Risak, Ruhen einer Überstundenpauschale während der Elternteilzeit, DRdA 2016/16 (189).
24 Siehe zB Nitzl/Schirmer, ASoK 2017, 202 (203).
25 OGH 2. 6. 2009, 9 ObA 65/09p.
ber hinaus Risak, dass es auf die letzten voll gearbeiteten 12 Monate ankommt;26 sobald eine Überstundenleistung zB nach § 8 MSchG verboten ist, wird die vertragliche Äquivalenz ja bereits durch eine zwingende gesetzliche Vorschrift gestört. Daher ist nicht das Kalenderjahr, sondern das letzte voll gearbeitete Jahr vor Einsetzen des Schutzes nach dem MSchG heranzuziehen.
4. Fazit
Es ist nunmehr wohl stRsp, dass die Elternteilzeit zu einem Ruhen des auf Mehr- und Überstunden entfallenden Teils eines Allin-Gehalts führt, sofern dieser Bestandteil bestimmbar ist. Wenn die Anzahl der erwarteten und/oder abgedeckten Überstunden schon vertraglich festgelegt ist, dann ist diese vorrangig zur Bestimmung des Überstundenanteils heranzuziehen. Ist hingegen die Anzahl der erwarteten und/oder abgedeckten Überstunden nicht vertraglich festgelegt, ist richtigerweise (aber noch nicht höchstgerichtlich bestätigt) der Durchschnitt der letzten vor der Elternteilzeit voll gearbeiteten 12 Monate heranzuziehen.
Ist im Vertrag kein Grundgehalt vereinbart, dann hat nach der neuen Rechtsprechung die Berechnung auf Grundlage des kollektivvertraglichen Mindestgehalts zu erfolgen. Ist ein kollektivvertragliches Mindestgehalt nicht feststellbar, ist das Grundgehalt uE nach den Regeln des § 2g AVRAG zu ermitteln; die höchstgerichtliche Bestätigung steht aus.
Die sich daraus ergebende Praxisempfehlung lautet, bei All-inVereinbarungen sowohl das Grundgehalt als auch die Überstundenerwartung klar und in plausibler Höhe zu vereinbaren.
26 Risak, DRdA 2016/16 (189).
Der Autor:
RA Dr. Matthias Unterrieder ist Partner bei WOLF THEISS in Wien.
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Die Autorin:
Mag. Dorothea Arlt ist Rechtsanwaltsanwärterin im Arbeitsrechtsteam von WOLF THEISS in Wien.
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rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 39 ARBEITSRECHT ART.-NR.: 41
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Martin Lanner • Wien Entlassung wegen beharrlicher Pfl ichtverletzung
»RdW 2023/42
Obwohl es in letzter Zeit Angleichungsbestrebungen hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Behandlung von Arbeitern einerseits und Angestellten andererseits gegeben hat,1 bestehen bei den jeweiligen Entlassungsgründen immer noch (teils erhebliche) Unterschiede. Nicht zuletzt sind die Entlassungstatbestände der Arbeiter in § 82 GewO 1859 taxativ,2 jene der Angestellten in § 27 AngG hingegen bloß demonstrativ3 angeführt. Es gibt jedoch auch Parallelen in den jeweiligen Entlassungstatbeständen. Eine davon ist der Entlassungsgrund der beharrlichen Pflichtverletzung (auch „Pflichtenvernachlässigung“) in § 27 Z 4 2. und 3. Fall AngG und § 82 lit f 2. Fall GewO 1859, die einander nach hA völlig entsprechen.4 Aus Anlass einer rezenten Entscheidung des OGH sollen im Folgenden die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Entlassung aufgrund einer beharrlichen Pflichtverletzung, insb das Erfordernis einer vorhergehenden Verwarnung, näher beleuchtet werden.
1. Entscheidung des OGH: Mangels Verwarnung ist Entlassung aufgrund eines Fehlverhaltens gegenüber Kunden unzulässig
In der E 9 ObA 105/22i hatte der OGH im Rahmen einer außerordentlichen Revision des beklagten AG folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Der AN war als Wachorgan für die Überwachung einer Baustelle eines Kunden des beklagten AG zuständig. Er hatte die Aufgabe, ein- und ausfahrende Lkw sowie Arbeiter zu überprüfen. Im letzten halben Jahr vor seiner Entlassung rief der AN in alkoholisiertem Zustand drei- oder viermal seinen Vorgesetzten auf dessen privaten Handy an und bezeichnete alle auf der Baustelle beschäftigten Mitarbeiter des Kunden als „Trotteln“ (wie der Entscheidung des Berufungsgerichts, OLG Wien 9 Ra 121/21m,5 zu entnehmen ist). Nachdem der AN auch in einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin des Kunden dieser gegenüber äußerte, dass alle auf der Baustelle „Trotteln“ seien, wurde er entlassen. Etwa zwei Wochen vor diesem Vorfall war der AN von seinem AG wegen verschiedener Verletzungen von Dienstpflichten im Zusammenhang mit der Dienstübergabe sowie wegen eines ungebührlichen
1 Siehe nur § 1159 ABGB idF BGBl I 2017/153, der weitgehend § 20 AngG entspricht.
2 Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 86 GewO 1859 Rz 3.
3 Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 27 AngG Rz 1.
4 Vgl nur Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 86 GewO 1859 Rz 13.
5 ARD 6822/6/2022.
Verhaltens gegenüber seinem Vorgesetzten (aggressives Auftreten) verwarnt worden.
Der OGH hat in seiner rechtlichen Beurteilung zugestanden, dass Beleidigungen betriebsfremder Dritter den Entlassungsgrund der beharrlichen Pflichtenvernachlässigung gem § 82 lit f GewO 1859 erfüllen können. Im vorliegenden Fall hatte der OGH allerdings an der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dieser Entlassungstatbestand hier nicht erfüllt ist, nichts auszusetzen.
Dazu führt der OGH einerseits aus, dass das Verhalten des AN nicht derart schwerwiegend gewesen sei, dass es gar keiner Verwarnung bedurft hätte. Andererseits habe sich die tatsächlich ausgesprochene Verwarnung (nur) auf Verletzungen von Dienstpflichten im Zusammenhang mit der Dienstübergabe sowie wegen eines ungebührlichen Verhaltens des AN gegenüber seinem Vorgesetzten bezogen. Dadurch habe der AN nicht erkennen müssen – und diese Formulierung ist durchaus bemerkenswert –dass der AG auch das ungebührliche Verhalten gegenüber Mitarbeitern des Kunden in keiner Weise toleriert, sondern der AG „auch eine anständige Begegnung mit [seinen] Kunden als Inhalt seiner Dienstpflichten ansieht und verlangt“.
2. Voraussetzung der „Beharrlichkeit“ –Ausspruch einer Verwarnung
Nicht jede Pflichtverletzung berechtigt den AG zum Ausspruch einer Entlassung, diese muss vielmehr „beharrlich“ sein. Aus diesem Grund verlangt die hA vor Ausspruch einer Entlassung idR den Ausspruch einer Verwarnung.6 Der AN muss aber nicht wegen Vernachlässigung gerade der Pflichten verwarnt worden sein, deren Nichteinhaltung dann zur Entlassung führte;7 es reicht, dass der AN auf die Vernachlässigung seiner Pflichten hingewiesen und in einer dem Ernst der Lage angepassten Weise zur Einhaltung seiner Pflichten aufgefordert wird.8
In der oben zitierten Entscheidung führte der OGH in dieser Hinsicht ergänzend aus, dass eine Verwarnung erkennen lassen muss, auf welches Verhalten des AN sie sich bezieht, worin also der AG die Nichterreichung des Arbeitserfolgs erblickt, und welches Verhalten der AG vom AN in Hinkunft verlangt. Aus einer Verwarnung wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber dem Vorgesetzen sei demnach nicht ableitbar, dass der AG auch ungebührliches Verhalten gegenüber (Mitarbeitern von) Kunden nicht toleriert.
rdw.lexisnexis.at 40 RdW 1/2023 ARBEITSRECHT ART.-NR.: 42
6 Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 27 AngG Rz 138.
7 RIS-Justiz RS0060643 [T5].
8 Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 27 Rz 333.
Mag.
Wann ist eine (erneute) Verwarnung erforderlich?
Diese höchstgerichtliche Beurteilung ist mE verfehlt. Nach dem festgestellten Sachverhalt ist der AN seinem Vorgesetzten gegenüber „aggressiv aufgetreten“, wofür er verwarnt wurde, während er später in einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin eines Kunden des AG alle Mitarbeiter dieses Kunden als „Trotteln“ bezeichnet hat, wofür er schließlich entlassen wurde.
Aus der aufgrund des erstgenannten Vorfalls ausgesprochenen Verwarnung musste für den AN mE klar ersichtlich sein, dass der AG vom ihm ein anständiges, dem Arbeitsumfeld angemessenes Verhalten einfordert. Dass dies intern (gegenüber Kollegen) ebenso wie extern (gegenüber Kunden oder Lieferanten) gilt, ist für einen redlichen AN eindeutig ersichtlich. Die vom OGH offenbar geforderte genaue Bezeichnung des Fehlverhaltens in einer Verwarnung, bevor aufgrund eben diesen Fehlverhaltens eine Entlassung ausgesprochen kann, überspannt die vom AG einzuhaltenden Formalitäten im Vorfeld einer Entlassung und zwingt ihn uU dazu, wiederholtes Fehlverhalten seiner AN zu tolerieren, ohne mit einer Entlassung reagieren zu können, solange dieses Verhalten jeweils nur (einigermaßen) verschieden gelagert ist. Dies widerspricht zudem der Vorjudikatur, wonach sich eine Verwarnung – wie oben ausgeführt – eben nicht auf genau jenes Verhalten beziehen muss, das letztlich zur Entlassung geführt hat.
Der OGH sieht die erteilte Verwarnung insofern nicht als ausreichend an, als der AN aufgrund der erteilten Verwarnung demnach nicht erkennen musste, dass der AG von ihm auch eine anständige Begegnung mit Kunden als Inhalt der Dienstpflichten ansieht und verlangt. Diese Ausführungen gehen an der betrieblichen Realität vorbei.
Ein anständiges Verhalten gegenüber Kunden (im konkreten Fall: diese nicht zu beschimpfen) ist bereits ohne entsprechenden ausdrücklichen Hinweis als Inhalt der Dienstpflichten eines jeden AN zu betrachten, zumal der Verlust von Kunden zu weitreichenden Folgen bis hin zur Insolvenz des AG führen kann. Bei einem derart gravierenden Fehlverhalten gegenüber Kunden (Beschimpfen) kann daher hinterfragt werden, ob eine Verwarnung überhaupt erforderlich ist.9 Umso mehr ist aber bei einem Sachverhalt wie dem hier vorliegenden von einer „Beharrlichkeit“ im entlassungsrechtlichen Sinn auszugehen, wurde der AN doch aufgrund ungebührlichen Verhaltens (wenn auch gegenüber seinem Vorgesetzen) verwarnt, bevor er (bloß zwei Wochen später) ein Fehlverhalten gegenüber einem Kunden gesetzt hat. In lebensnaher Betrachtung des betrieblichen Arbeitsalltags wäre daher mE eine beharrliche Pflichtverletzung zu bejahen und die Klage abzuweisen gewesen.
Im gegenständlichen Fall hat möglicherweise der Umstand den Ausschlag gegeben, dass sich der AN bereits in drei bis vier Telefonaten mit seinem Vorgesetzten ähnlich über die Mitarbeiter des Kunden geäußert hat, ohne dafür eine Verwarnung erhalten zu haben. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der AG bereits bei diesen Gelegenheiten auf das Erfordernis eines angemessenen Umgangstons hätte hinweisen sollen (wobei sich der
9 Vgl RIS-Justiz RS0029746.
Entscheidung des OLG Wien keine Ausführungen zur Wissenszurechnung des Vorgesetzen an den AG entnehmen lassen).10 Der Unterschied zwischen einer Beschimpfung eines Kunden bzw seiner Mitarbeiter im internen Gespräch und einer direkt dem Kunden gegenüber geäußerten Beschimpfung muss aber mE für jeden redlichen AN einsichtig sein, sind doch nur mit Letztgenanntem potenziell gravierende Folgen für den AG, insb der Abbruch der Geschäftsbeziehung, verbunden. Vor diesem Hintergrund ist eine fehlende Verwarnung aufgrund der unangemessenen internen Kommunikation nicht hinreichend, um einen Entlassungstatbestand auf Basis einer unmittelbar an einen Kunden gerichteten Beschimpfung zu verneinen.
3. Resümee und Empfehlungen für die Praxis
Die hier besprochene Entscheidung des OGH reiht sich nahtlos in eine Rechtsprechung ein, die oftmals außerordentlich hohe Ansprüche an wirksame Entlassungen stellt. Insb neigt die Judikatur bei auf beharrliche Pflichtverletzungen gestützten Entlassungen nur in seltenen Fällen dazu, Fehlverhalten als derart schwerwiegend zu beurteilen, dass eine vorhergehende Verwarnung unterbleiben kann.
AG ist daher zu empfehlen, in Fällen von Fehlverhalten stets Verwarnungen zu erteilen. Das sollte aus Beweisgründen jedenfalls schriftlich erfolgen. In Verfahren betreffend Entlassungsanfechtungen oder Kündigungsentschädigungen sind in Bezug auf vorhergehende Verwarnungen vielfach Non-liquet-Feststellungen zu beobachten, da mündliche Verwarnungen nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden können. Dies geht aufgrund der Beweislastverteilung zulasten des AG11 und kann zur Unwirksamkeit einer Entlassung führen.
Im Lichte des vorstehend beschriebenen Judikats sollten das für die Verwarnung kausale Fehlverhalten bzw die vom AN einzuhaltenden Dienstpflichten zudem nicht zu eng angeführt werden, um eine „Warnfunktion“ für eine möglichst breite Palette an Pflichtverletzungen zu erfüllen. Das Risiko einer im Nachhinein als unzulässig qualifizierten Entlassung kann damit reduziert werden.
10 Vgl Födermayr, Unverzüglichkeitsgrundsatz beim Ausspruch von Entlassungen, DRdA 2011, 449. 11 RIS-Justiz RS0028971.
Der Autor:
Mag. Martin Lanner ist als Rechtsanwalt bei Schindler Rechtsanwälte tätig. Er berät schwerpunktmäßig in allen Fragen des Arbeitsrechts und vertritt seine Mandanten regelmäßig auch vor Gericht.
Publikationen:
Dienstrecht der Gemeinden (Kapitel „Versetzungen, Dienstzuteilungen, Verwendungsänderungen“) sowie regelmäßige Beiträge in (Fach-)Zeitschriften.
lesen.lexisnexis.at/autor/Lanner/Martin
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 41 ARBEITSRECHT
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ART.-NR.:
Foto: Ernst Kainerstorfer
ARBEITSRECHT JUDIKATUR
ALLGEMEINES ARBEITSRECHT
Einmalige Nachlässigkeit einer angestellten Ärztin stellt keinen Entlassungsgrund dar
» RdW 2023/43
AngG: § 27 Z 1 letzter Fall
OGH 31. 8. 2022, 9 ObA 75/22b
1. Da die Vorbereitung und Verabreichung von Injektionen und Infusionen zu den gesetzlich geregelten Kompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege handelt, darf diese Tätigkeit von den Ärzten an diplomierte Pflegepersonen delegiert werden. Dabei verbleibt die Anordnungsverantwortung bei den Ärzten, die Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheitsund Krankenpflege tragen die Durchführungsverantwortung, eine Aufsichtspflicht des Arztes entfällt für diese delegierten Tätigkeiten.
2. Hat eine Ärztin einer Diplomkrankenpflegerin die Vorbereitung einer Spritze mit Adrenalin aufgetragen, durfte sie darauf vertrauen, dass diese das angeordnete Medikament richtig vorbereitet. Wurde nun aber aufgrund von Missverständnissen statt Adrenalin das Medikament Noradrenalin vorbereitet und in der Folge von der Ärztin auch verabreicht, ohne die von der Diplomkrankenpflegerin in einer Nierentasse abgelegte Ampulle zu kontrollieren, liegt trotz grundsätzlicher fehlender Kontrollpflicht ein Fehlverhalten der Ärztin vor, wenn sie in der konkreten Situation doch den bei der Vorbereitung der Spritze unterlaufenen Fehler erkennen hätte können, hätte sie das Etikett mit dem Inhalt der Spritze verglichen. Aber selbst wenn sie nach den konkreten Umständen zu dieser Überprüfung auch verpflichtet gewesen ist, war diese einmalige Nachlässigkeit der Ärztin in der konkreten Notsituation eines anaphylaktischen Schockgeschehens im konkreten Fall nicht so schwerwiegend, dass der AGin die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar war. Die Entlassung war somit nicht berechtigt.
Sachverhalt
Im Zuge der Akutbehandlung einer Patientin in der Klinik der Bekl trug die dort angestellte Ärztin (Kl) der zuständigen Diplomkrankenpflegerin telefonisch ua auf, eine Spritze mit
1 mg Adrenalin vorzubereiten. Diese verstand jedoch anstatt Adrenalin „Noradrenalin“, weshalb sie nochmals hinsichtlich der Vorbereitung des Medikaments bei der Kl nachfragte. Diese wiederholte schließlich „1 mg Adrenalin“. Die Diplomkrankenpflegerin verstand abermals „Noradrenalin“, das ihr grds untypisch vorkam, weil es nur bei Blutdruckabfall eines Patienten verabreicht wird. Sie bereitete dann „Noradrenalin“ vor. Anschließend fragte sie bei der Kl nochmals nach, ob sie tatsächlich „Noradrenalin“ spritzen wolle. Die Kl verstand „Adrenalin“ und bestätigte die beabsichtigte Verabreichung von 1 mg Adrenalin.
Zur Behandlung des in der Folge bei der Patientin auftretenden anaphylaktischen Schocks entschied sich die Kl, Adrenalin zu spritzen. Sie nahm die vorbereitete Spritze, ohne die von der Diplomkrankenpflegerin in einer Nierentasse vorbereitete und abgelegte Ampulle zu kontrollieren. Sie ging davon aus, dass es sich um – wie angeordnet – 1 mg Adrenalin handelte, verdünnt auf 5 ml. Nachdem die Kl der Patientin die Spritze verabreicht und von der Diplomkrankenpflegerin erfahren hatte, dass in der Spritze Noradrenalin war, leitet die Kl sofort und erfolgreich die Notfallbehandlung der Patientin ein.
Wegen dieses Vorfalls wurde die Kl entlassen. Im Gegensatz zum ErstG, das den Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG nicht erfüllt sah, wies das BerufungsG die Klage ab. Der OGH stellte nun aber das Ersturteil wieder her:
Entscheidung
Keine Verletzung der Aufsichtspfl icht
Zutreffend vertritt die Kl die Rechtsauffassung, dass sie im vorliegenden Fall keine ärztliche Aufsichtspflicht gegenüber der Diplomkrankenpflegerin getroffen habe. Die Beurteilung des ErstG, die Kl hätte sich vor der Gabe des Medikaments über den Inhalt und die richtige Zusammensetzung der von ihr verabreichten Infusion informieren müssen, bedarf jedoch einer differenzierten Betrachtung:
Nach § 49 Abs 3 ÄrzteG 1988 kann der Arzt im Einzelfall ärztliche Tätigkeiten an Angehörige anderer Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen übertragen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind. Er trägt die Verantwortung für die Anordnung. Die ärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener ärztlicher Tätigkeiten keine ärztliche Aufsicht vorsehen.
K*** ist diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin iSd § 1 Z 1 GuKG und damit voll ausgebildete Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Nach
rdw.lexisnexis.at 42 RdW 1/2023 ART.-NR.: 43
bearbeitet von Manfred Lindmayr und Bettina Sabara
§ 15 GuKG umfassen die Kompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege bei medizinischer Diagnostik und Therapie die eigenverantwortliche Durchführung medizinisch-diagnostischer und medizinisch-therapeutischer Maßnahmen und Tätigkeiten nach ärztlicher Anordnung. Die Kompetenzen der DGKP sind in § 15 Abs 4 GuKG aufgezählt, dazu zählt ua nach § 15 Abs 4 Z 2 GuKG die Vorbereitung und Verabreichung von Injektionen und Infusionen
Diese Regelung stellt klar, welche ärztliche Tätigkeiten an diplomierte Pflegepersonen delegiert werden dürfen. Dabei verbleibt die Anordnungsverantwortung bei den Ärzten, die Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege tragen die Durchführungsverantwortung. Aufgrund der ärztlichen Diagnose sind die angeordneten Maßnahmen durch das diplomierte Pflegepersonal eigenverantwortlich durchzuführen.
Für die in § 15 GuKG angeführten Kompetenzen der diplomierten Krankenpflegeberufe entfällt somit die Aufsichtspflicht des Arztes gem § 49 Abs 3 letzter Satz ÄrzteG 1988 zur Gänze. Die Vorbereitung der von der Kl (mit 1 mg Adrenalin) angeordneten Injektion durch die Diplomkrankenpflegerin K*** konnte somit eigenverantwortlich erfolgen und musste von der Kl nicht mehr überprüft werden. Sie durfte darauf vertrauen, dass K*** das von ihr angeordnete Medikament 1 mg Adrenalin richtig vorbereitet
Einmalige Nachlässigkeit
Nachdem jedoch die Kl das Etikett der Ampulle mit der Aufschrift „1 mg pro ml“ las und wusste, dass sich in der Ampulle insgesamt 5 ml befanden, hätte sie erkennen können, dass es sich dabei nicht um 1 mg Adrenalin verdünnt auf 5 ml handelte. Auch wenn die Kl grds keine Kontrollp fl icht der von K*** vorbereiteten Spritze traf, so hätte sie in der konkreten Situation doch den bei der Vorbereitung der Spritze unterlaufenen Fehler erkennen können , hätte sie das Etikett mit dem Inhalt der Spritze verglichen. Zu dieser Überprüfung wäre sie nach den konkreten Umständen auch verpfl ichtet gewesen .
Diese einmalige Nachlässigkeit der Kl in der konkreten Notsituation eines anaphylaktischen Schockgeschehens war aber nicht so schwerwiegend, dass der AGin die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar war. Aus objektiver Sicht konnte nicht davon ausgegangen werden, dass die Kl ihren ärztlichen Pflichten wegen dieses einmaligen Fehlverhaltens in Zukunft nicht mehr zuverlässig nachkommen würde. Fehldiagnosen hat die Kl im konkreten Fall nicht gestellt. Auf andere Sorgfaltspflichtverletzungen hat die AGin die Entlassung nicht gestützt. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ist der Kl kein ähnlicher Fehler unterlaufen, sie war auch zuvor nie wegen eines Fehlverhaltens verwarnt worden.
Der Revision der Kl ist daher Folge zu geben und das klagsstattgebende Ersturteil wiederherzustellen.
Rechtzeitigkeit einer am Folgetag ausgesprochenen Entlassung nach einer Tätlichkeit gegen Kollegen
» RdW 2023/44
AngG: § 27 Z 6
OGH 31. 8. 2022, 9 ObA 48/22g
Wird ein AN, der einen Arbeitskollegen während der Arbeit gewürgt hat, zwar vom stellvertretenden Abteilungsleiter ermahnt, lässt ihn dieser aber noch die Schicht beenden, weil er keine Entlassungsbefugnis hat, ist die am nächsten Tag nach der Befassung des Personalleiters ausgesprochene Entlassung sowohl berechtigt als auch noch rechtzeitig. Aus der Aufforderung, die Schicht zu Ende zu arbeiten, konnte nach den konkreten Umständen des Falles nicht auf eine endgültige Bereinigung der Angelegenheit geschlossen werden oder darauf, dass eine Beschäftigung für die Dauer der Kündigungsfrist für den AG zumutbar ist.
Entscheidung
Der Vorfall ereignete sich am 29. 10. 2020 gegen 19.00 Uhr. Der herbeigerufene stellvertretende Abteilungsleiter ermahnte den Kl und verdeutlichte, dass tätliche Übergriffe nicht akzeptiert werden. Er war aber nicht befugt, eigenständig eine Entlassung auszusprechen, da dies der Geschäftsführung, dem Leiter der Personalabteilung und dem Werksleiter vorbehalten war; ihm war es jedoch gestattet, Mitarbeiter aufgrund derartiger Vorfälle vorläufig freizustellen. Dennoch forderte er den Kl auf, seine Schicht zu beenden. Er wollte den reibungslosen Ablauf der Schicht nicht gefährden, indem er den als Prüfer tätigen Kl der Schicht entzog.
Am nächsten Morgen informierte der stellvertretende Abteilungsleiter im Laufe des Vormittags den Leiter der Personalabteilung sowie den Werksleiter von dem Zwischenfall. In der Folge wurde die Geschäftsführung informiert und die Beteiligten zu einem weiteren Gespräch eingeladen. Der Kl traf gegen 13:00 Uhr ein. Nachdem mit ihm, dem betroffenen Arbeitskollegen und dem Schichtleiter nochmals Gespräche geführt wurden, wurde der Kl gegen 15.00 Uhr vom Leiter der Personalabteilung entlassen
Der OGH bestätigte die Ansicht des BerufungsG, dass vom zeitlichen Ablauf her die Entlassung noch rechtzeitig erfolgte. Am Abend des Geschehens war kein zur Entlassung Befugter anwesend, diese wurden aber bereits am nächsten Tag in der Früh informiert und wurde noch am selben Tag die Entlassung ausgesprochen. Dass zuvor den Beteiligten die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Sichtweise darzulegen, stellt keine Verzögerung dar, die geeignet war, den Eindruck zu erwecken, dass die Angelegenheit nicht weiterverfolgt wird. Auch wenn der Sachverhalt nicht
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 43 ARBEITSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 44
besonders komplex war und der Kl die Tätlichkeit auch sofort zugab, kann dem AG nicht vorgeworfen werden, dass die Personalverantwortlichen sich ein eigenes Bild vom Vorfall verschaffen wollten. Von einer zeitlichen Verspätung des Entlassungsausspruchs ist daher nicht auszugehen
Der vom BerufungsG angenommene Verzicht auf das Entlassungsrecht durch den Ausspruch der Ermahnung und die zugelassene Weiterarbeit bis zum Ende der Schicht wird vom OGH aber verneint:
Nun ist zwar richtig, dass dann, wenn der AG ihm zur Kenntnis gelangte Vorfälle bloß zum Anlass für eine Ermahnung genommen hat, eine derartige Erklärung nach hL und stRsp nur dahin verstanden werden kann, dass der AG auf das Recht, den AN wegen dieses Verhaltens zu entlassen, verzichtet hat. Daraus ist aber im konkreten Fall für den Kl nichts zu gewinnen. Zum einen hat sich der für einen Verzicht behauptungs- und beweispflichtige Kl auf eine solche Ermahnung nicht berufen. Zum andern wurde auch nicht vorgebracht und steht auch nicht fest, dass der stellvertretende Abteilungsleiter über eine Personalverantwortlichkeit verfügte, die es ihm erlaubt hätte, den Kl förmlich zu ermahnen und mit Wirkung für den AG auf das Recht zur Entlassung zu verzichten.
Allein der Umstand, dass der stellvertretende Abteilungsleiter die Befugnis hatte, den Kl wegzuschicken, und sich stattdessen dafür entschied, ihn die Schicht zu Ende arbeiten zu lassen, reicht für einen Verzicht auf das Entlassungsrecht nicht aus. Dem Kl musste bewusst sein, dass der stellvertretende Abteilungsleiter, der keine Entlassungsbefugnis hat, auch keine endgültige Entscheidung in dieser Angelegenheit treffen kann und aus der Aufforderung, die Schicht zu Ende zu arbeiten, nicht auf eine endgültige Bereinigung der Angelegenheit geschlossen werden kann oder darauf, dass eine Beschäftigung für die Dauer der Kündigungsfrist für den AG zumutbar ist.
Der Ausspruch der Entlassung ist damit rechtzeitig erfolgt, das Recht zur Entlassung war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht verwirkt.
Entlassung nach Drohung mit Strafanzeige
» RdW 2023/45
AngG: § 27 Z 6
OGH 30. 8. 2022, 8 ObA 38/22d
1. Die Entlassungserklärung ist grds nicht an die Schriftform gebunden und kann infolgedessen auch in jeder anderen Form erklärt werden, sie bedarf auch keiner firmenmäßigen Fertigung.
Auch aus den für Vertretungsregelungen relevanten Zeichnungsvorschriften in § 77 AKG und § 25 GeoAK OÖ lassen sich keine Formvorschriften ableiten, deren Einhal-
tung für eine wirksame Entlassungsmitteilung erforderlich wäre.
2. Bei einem strafrechtswidrigen Verhalten des AG ist ein AN im Interesse der Allgemeinheit zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, sofern die erhobenen Anschuldigungen wahr sind oder der AN zumindest hinreichende Gründe hatte, die Behauptung für wahr zu halten. Bloße unsubstantiierte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verhaltens des AG können hingegen keine Schritte rechtfertigen, die geeignet sind, dem AG schweren Schaden zuzufügen. Haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen begründen deshalb einen Entlassungsgrund
Entscheidung
Der bei der Arbeiterkammer beschäftigte Kl wurde mit einem von der Direktor-Stellvertreterin A*** unterfertigten Schreiben gekündigt, woraufhin er ein Schreiben an den Präsidenten der Arbeiterkammer richtete, in dem er ihn mit dem Vorwurf konfrontierte, dass er ein „geschlechtliches Verhältnis“ zu A*** gehabt habe und der Posten als zweite Direktor-Stellvertreterin im Jahr 2015 ohne weitere Zuständigkeiten nur für sie geschaffen worden sei. Der Kl forderte den Präsidenten deshalb auf, die Bestellung von A*** als Direktor-Stellvertreterin bis zu einem bestimmten Termin rückgängig zu machen, widrigenfalls er den Vorstand wegen des Straftatbestands der Untreue nach § 153 StGB anzeigen würde, wobei er auch darauf aufmerksam machte, dass dann nicht auszuschließen sei, dass „das Ganze“ an die Öffentlichkeit komme.
Daraufhin wurde der Kl entlassen. Berechtigt, wie der OGH nun bestätigte: Zwar sei ein AN bei strafrechtswidrigem Verhalten des AG im Interesse der Allgemeinheit auch zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt. Doch sei ein solches Verhalten nur dann gerechtfertigt, wenn die erhobenen Anschuldigungen wahr sind oder der AN zumindest hinreichende Gründe hatte, die Behauptung für wahr zu halten. Da der Kl keine Kenntnis von den Umständen hatte, die zur Ernennung von A*** zur zweiten Direktor-Stellvertreterin führten, und er seine schwerwiegenden Anschuldigungen auch nicht überprüft hat, obwohl ihm bewusst sein musste, dass er den Ruf des AG durch eine Strafanzeige schwer beschädigen würde, war die Entlassung gerechtfertigt.
rdw.lexisnexis.at 44 RdW 1/2023 ARBEITSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 45
Ihr
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KV-Bord:
Unverschuldeter Lizenzverlust kein Entlassungsgrund
» RdW 2023/46
AngG: § 27 Z 2
KV-Bord: Punkt 32.6
OGH 19. 5. 2022, 9 ObA 7/22b
Wird einem Piloten oder einem Flugbegleiter die behördliche Erlaubnis zur Ausübung der in seinem Dienstvertrag bedungenen Dienste aus seinem Verschulden dauerhaft entzogen, kann das Dienstverhältnis gem Punkt 32.6 des KollV für das Bordpersonal der AUA durch den AG aus wichtigem Grund aufgelöst werden. Damit wird der Entlassungstatbestand der Dienstunfähigkeit nach § 27 Z 2
AngG im Anwendungsbereich des KV-Bord auf den vom AN verschuldeten Entzug der behördlichen Erlaubnis zur Ausübung seiner im Dienstvertrag bedungenen Dienste eingeschränkt; diese Einschränkung ist auch zulässig.
Ist die dauerhafte Fluguntauglichkeit und damit der Verlust der Fluglizenz eines Piloten durch psychische Erkrankung verursacht, ist die (dauernde) Dienstunfähigkeit jedoch als unverschuldet zu beurteilen, sodass eine Entlassung aus diesem Grund unberechtigt ist.
Betreuung früherer Kunden –kein unlauterer Wettbewerb
» RdW 2023/47
UWG: § 26c
OGH 18. 7. 2022, 8 ObA 49/22x
Eine Geheimhaltungsvereinbarung über Geschäftsgeheimnisse ist keine Konkurrenzklausel iSd § 36 AngG, die vor der Benützung dieser Geheimnisse als Mitbewerber schützen würde. Die Kontaktaufnahme mit Kunden des früheren AG verstößt zwar gegen eine Kundenschutzklausel, stellt für sich allein genommen aber noch keinen Verstoß gegen eine Geheimhaltungsvereinbarung dar. Etwas anderes würde etwa unter dem Aspekt der §§ 1, 11 UWG gelten, wenn weitere Tatbestandselemente hinzutreten, aus denen sich die Sittenwidrigkeit eines solchen Verhaltens ergibt, etwa weil Kundenlisten auf unlautere Weise beschafft wurden.
Im Abwerben von Kunden des bisherigen AG zugunsten des neuen AG liegt ohne das Hinzutreten weiterer Tatbestandselemente auch kein Verstoß gegen § 26c UWG („Rechtswidriger Erwerb, rechtswidrige Nutzung und rechtswidrige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen“).
Nach § 26c Abs 2 UWG ist die Nutzung oder Offenlegung
eines Geschäftsgeheimnisses nur dann unzulässig, wenn sie durch eine Person erfolgt, die (Z 1) das Geschäftsgeheimnis auf rechtswidrige Weise erworben hat oder (Z 2) gegen eine Vertraulichkeitsvereinbarung oder eine vertragliche oder sonstige Verpflichtung, das Geschäftsgeheimnis nicht offenzulegen oder nur beschränkt zu nutzen, verstößt. Dass der AN jene Kunden des AG, die sich an ihn gewendet haben, an seinen neuen AG weitergeleitet hat, bedeutet schon deshalb keinen Verstoß gegen die Vertraulichkeitsvereinbarung, weil damit keine geheimen Informationen offengelegt wurden. Dass der AN die Kundenlisten rechtswidrig erlangt hätte, wurde im vorliegenden Fall nicht behauptet.
Erweiterter Kündigungsschutz nach dem KollV-Universitäten
» RdW 2023/48
KollV-Universitäten: § 22 Abs 1
OGH 14. 7. 2022, 9 ObA 76/22z
Nach § 22 Abs 1 des KollV für die Arbeitnehmerinnen der Universitäten dürfen AN, die seit 20 Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind oder die das 45. Lebensjahr vollendet haben und seit 15 Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, oder die das 50. Lebensjahr vollendet haben und seit zehn Jahren bei der jeweiligen Universität beschäftigt sind, nur mit Angabe eines Grundes gekündigt werden. Die Voraussetzung des 45. oder 50. Lebensjahres muss dabei zum Kündigungszeitpunkt vorgelegen sein und nicht erst zum Zeitpunkt des Endes des Dienstverhältnisses. Dies folgt aus dem Wortlaut der Bestimmung („nur mit Angabe eines Grundes gekündigt werden“) und entspricht auch der Lehre (Pfeil, Personalrecht der Universitäten § 22 KollV Rz 6).
Notwendige Einschulung in neuem Job begründet keine wesentliche Interessenbeeinträchtigung
» RdW 2023/49
ArbVG: § 105 Abs 3 Z 2
OGH 31. 8. 2022, 9 ObA 88/22i
Dass die spezifische Ausbildung eines AN bei seinem bisherigen AG anderweitig nicht verwertbar ist und er für einen neuen Job eine Ein- oder Umschulung benötigt, macht die Kündigung noch nicht sozialwidrig. In einer allenfalls not-
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 45 ARBEITSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 49
wendigen Ein- oder Umschulung liegt nicht schon als solche eine berücksichtigungswürdige Interessenbeeinträchtigung, weil eine solche Maßnahme nicht mit einer finanziellen oder andersgearteten Schlechterstellung im Verhältnis zum bisherigen Arbeitsplatz einhergehen muss.
Fortsetzungsantrag nach Unterbrechung des Kündigungsanfechtungsverfahrens
» RdW 2023/50
ABGB: § 863
OGH 14. 7. 2022, 9 ObA 5/22h
Der die Leistungsbereitschaft des AN voraussetzende Fortsetzungsanspruch wegen behaupteter Unwirksamkeit einer Auflösungserklärung kann nicht zeitlich unbegrenzt geltend gemacht werden, sondern muss der Anspruch auf Fortsetzung des Dienstverhältnisses innerhalb angemessener Fristdurch Klage geltend gemacht werden. Die zeitliche Grenze für die rechtzeitige Geltendmachung des Fortsetzungsanspruchs ist unter Bedachtnahme auf § 863 ABGB zu ziehen und zu beurteilen, ob das Verhalten des DN als stillschweigendes Einverständnis mit der Beendigung oder als Verzicht auf die Geltendmachung der Unzulässigkeit der Beendigung aufzufassen ist. Es kommt nicht nur auf die Dauer der Untätigkeit, sondern auch darauf an, ob der Kl triftige Gründe für sein Zögern ins Treffen führen kann. Denn die berücksichtigungswürdigen Gründe für die Untätigkeit muss der Kl vorbringen und unter Beweis stellen.
Diese Grundsätze sind auch auf die Fortsetzung eines ruhenden oder unterbrochenen Verfahrens anzuwenden.
Entscheidung
Mit seiner Klage begehrt der Kl, die Kündigung des Dienstverhältnisses nach § 105 ArbVG für rechtsunwirksam zu erklären, außerdem liege eine Diskriminierung iSd § 17 Abs 1 Z 7 GlBG vor. Am 13. 9. 2018 wurde das Verfahren auf Antrag der Parteien bis zur rechtskräftigen Erledigung der Strafsache hinsichtlich des Kl bzw bis zur rechtskräftigen Anklageerhebung bzw jedoch spätestens bis zum 31. 3. 2019 (für den Fall, dass bis zu jenem Zeitpunkt noch keine rechtskräftige Erledigung vorliegt) unterbrochen
Damit war zwar zwischen den Parteien das Abwarten des Strafverfahrens ein Motiv für den Unterbrechungsantrag, zugleich war dieses Zuwarten aber zeitlich limitiert. Es bestand daher kein Einvernehmen darüber, dass unbefristet auf den Ausgang des Strafverfahrens gewartet wird. Erst am 26. 3. 2020 beantragte der Kl nach Einstellung des Strafverfahrens die Fortsetzung des Verfahrens. Somit hat der Kl nach Ablauf des im Be-
schluss genannten Termins der AG gegenüber ohne weitere Begründung mehr als 11 Monate nicht zum Ausdruck gebracht, an einer Fortsetzung des Verfahrens interessiert zu sein. Berücksichtigt man das Klarstellungsinteresse des AG, dem der Gesetzgeber gerade auch in den kurzen Fristen zur Einleitung des Verfahrens Rechnung getragen hat, hält sich die Ansicht der Vorinstanzen, dass der Kl damit aus objektiver Sicht kein Interesse an einer Verfahrensfortführung erkennen ließ, im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
SOZIALVERSICHERUNGSRECHT
Schwerarbeit bei Ausübung mehrerer Tätigkeiten – alle Tätigkeiten sind zu berücksichtigen
» RdW 2023/51
SchwerarbeitsV: § 1 Abs 1, § 4
OGH 28. 7. 2022, 10 ObS 64/22t
Nach § 4 SchwerarbeitsV ist ein Schwerarbeitsmonat jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV in dem für das Vorliegen eines Versicherungsmonats erforderlichen Ausmaß (also 15 Versicherungstage) ausgeübt wurden. Bei Beurteilung der Frage, ob bei Ausübung mehrerer selbstständiger oder unselbstständiger Tätigkeiten die Voraussetzung für Schwerarbeit erfüllt sind, sind alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen an einem Arbeitstag der Prüfung, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt ist, zugrunde zu legen. Damit wird das Ergebnis vermieden, dass je nach Ausübung einer schweren körperlichen Arbeit im Rahmen desselben oder unterschiedlicher versicherungspflichtiger Verhältnisse einmal Schwerarbeit vorliegt und einmal nicht, obwohl die die Lebenserwartung vermindernde und daher vom Zweck der Schwerarbeitspension erfasste Auswirkung auf den Körper des Versicherten völlig gleichartig ist.
Somit sind ua die aus mehreren – selbstständigen oder unselbstständigen – Tätigkeiten verbrauchten Arbeitskilokalorien für die Beurteilung des Vorliegens von Schwerarbeitszeiten iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV zusammenzurechnen.
Sachverhalt
Der 1967 geborene Kl arbeitete im maßgeblichen Zeitraum als Lagerist und verbrauchte bei einer Nettoarbeitszeit von 9,75 Stunden 2.219 kcal und bei 8,5 Stunden 1.935 kcal, wobei
rdw.lexisnexis.at 46 RdW 1/2023 ARBEITSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 50
die Überschreitung der maßgeblichen Grenze von 2.000 kcal nach 8,8 Nettoarbeitsstunden erfolgt. Der Kl arbeitete nur im Dezember 2008 und Jänner 2017 an 15 Arbeitstagen 8,8 Nettostunden.
Die bekl PVA stellte mit Bescheid fest, dass der Kl bis zum 1. 3. 2021 insgesamt 464 Versicherungsmonate erworben hat, lehnte aber die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1. 8. 2007 bis 30. 6. 2020 ab. Mit seiner Klage begehrt der Kl, die in diesem Zeitraum festgestellten Versicherungszeiten als Schwerarbeitszeiten iSd § 1 SchwerarbeitsV festzustellen. Zusätzlich zur Tätigkeit als Lagerist machte er geltend, dass er seit 15. 12. 1995 als Landwirt tätig sei, im Jahresdurchschnitt mit ca drei Stunden täglich.
Die Vorinstanzen stellten die Versicherungszeiten im Dezember 2008 und Jänner 2017 als Schwerarbeitszeiten fest. Die Tätigkeit als Landwirt sei nicht zu berücksichtigen, weil bei Ausübung mehrerer Tätigkeiten neben- oder nacheinander jede dieser Tätigkeiten für sich die Kriterien des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllen müsse.
Der OGH hat nun der Revision des Kl Folge gegeben und die Sache zu neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das ErstG zurückverwiesen:
Entscheidung
Dem grundsätzlichen Zweck der Schwerarbeitspension, eine durch besondere Belastung verursachte verminderte Lebenserwartung auszugleichen, entspricht ein weiteres Begriffsverständnis, das nicht nur Verrichtungen eines bestimmten Berufs, sondern sämtliche vom Versicherten in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich (versicherungspflichtig) ausgeübten Verrichtungen umfasst
Es gilt eine tageweise Betrachtung, sodass jeder Arbeitstag, an dem eine Tätigkeit nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV verrichtet wurde, als Tag iSd § 4 SchwerarbeitsV zählt. Die tageweise Betrachtung führt zu einer Zusammenrechnung von Schwerarbeits-Tagen, auch wenn einzelne Tage in unterschiedlichen Versicherungsverhältnissen zurückgelegt oder an einzelnen Tagen jeweils verschiedene Tatbestände nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt wurden.
In den E 10 ObS 89/18p und 10 ObS 84/20f folgerte der OGH aus der Formulierung „eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“ in § 4 SchwerarbeitsV, dass bei überschneidender Ausübung mehrerer selbstständiger oder unselbstständiger Tätigkeiten für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats iSd § 4 SchwerarbeitsV nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen seien, die (für sich) besonders belastende Tätigkeiten gem § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV sind. Daran ist im Grundsatz weiterhin festzuhalten, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Zi ffern des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV alternativ („oder“) aufgezählt sind. Die jeweiligen Tatbestandselemente müssen somit je für sich genommen erfüllt sein und können nicht durch Vorliegen von Elementen anderer Tatbestände ausgeglichen werden.
Dies ist aber nur für eine „tatbestandsübergreifende“ Kombination zwingend; die Kumulierung innerhalb einzelner Ziffern wird dadurch nicht ausgeschlossen. Das weite Verständnis des Begriffs der Tätigkeit führt – in Abkehr von der in den E 10 ObS 89/18p und 10 ObS 84/20f vertretenen Ansicht – dazu, dass alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen (an einem Arbeitstag) der Prüfung zugrunde gelegt werden müssen, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV (an diesem Tag) erfüllt ist. Die Wendung „eine oder mehrere“ ist dementsprechend auf „Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“, also auf unterschiedliche Ziffern (Tatbestände) des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zu beziehen (und nicht auf – in diesem Zusammenhang nicht zu unterscheidende – Berufe oder Dienstverhältnisse des Versicherten), wobei ein und dieselbe Zeit freilich immer nur einmal zu zählen ist, auch wenn an einem Tag gleichzeitig unterschiedliche Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt sein sollten.
Damit wird das – in der Literatur kritisierte (Greifeneder/ Scharinger, in ÖZPR 2022/25, 43 [45]; Bell, in DRdA 2019/50, 527 [531]; Heckenast in ZAS 2019/50, 281 [283]) – Ergebnis vermieden, dass je nach Ausübung einer schweren körperlichen Arbeit im Rahmen desselben oder unterschiedlicher versicherungspflichtiger Verhältnisse einmal Schwerarbeit vorliegt und einmal nicht, obwohl die (die Lebenserwartung vermindernde und daher vom Zweck der Schwerarbeitspension erfasste) Auswirkung auf den Körper des Versicherten völlig gleichartig ist.
Ausgehend davon ist für die Frage, ob beim Kl eine Tätigkeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV vorliegt, nicht nur seine Tätigkeit als Lagerist, sondern die weitere von ihm behauptete Tätigkeit als (nach dem BSVG pflichtversicherter) Landwirt zu berücksichtigen.
Im weiteren Verfahren wird das ErstG der Berechnung der pro Arbeitstag verbrauchten Arbeitskalorien die gesamte versicherungspflichtige Tätigkeit des Kl zugrunde zu legen und sodann zu ermitteln haben, ob die erforderliche energetische Belastung im klagsgegenständlichen Zeitraum an zumindest 15 Tagen im Monat erreicht oder überschritten wurde.
Geschäftsführerhaftung für Beitragsschulden noch vor Eintragung im Firmenbuch
» RdW 2023/52
ASVG: § 67 Abs 10
VwGH 3. 8. 2022, Ra 2022/08/0079
Wird ein handelsrechtlicher Geschäftsführer einer GmbH vom SV-Träger nach § 67 Abs 10 ASVG zur Haftung für offene Beitragsschulden der Gesellschaft herangezogen, kann er sich nicht damit rechtfertigen, dass er im maßgeblichen Zeitraum noch nicht als Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen gewesen sei und dementsprechend auch
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 47 ARBEITSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 52
keine Verfügungsgewalt über die Geschäftskonten gehabt habe, da ihm aufgrund der Publizitätswirkung des Firmenbuchs keine Bank Zugang zu den Konten gewährt hätte. Die nach der Bestellung zum Geschäftsführer mit selbstständigem Vertretungsrecht mit Gesellschafterbeschluss ab Beschlussfassung erfolgte Eintragung im Firmenbuch hat nur deklarative Bedeutung; die Bestellung ist nach Zustimmung des Geschäftsführers sofort wirksam, und ist der Geschäftsführer bereits vor der Eintragung zu Vertretungshandlungen für die Gesellschaft berechtigt. Das muss auch eine kontoführende Bank gegen sich gelten lassen, sobald ihr (iSd § 15 Abs 1 UGB) die Geschäftsführerbestellung bekannt gemacht wird.
Geschäftsführerhaftung für Verzugszinsen von SV-Beiträgen
» RdW 2023/53
ASVG: § 67 Abs 10
VwGH 29. 8. 2022, Ra 2018/08/0003
Die Haftung des Geschäftsführers gem § 67 Abs 10 ASVG für aushaftende SV-Beiträge umfasst grds auch die Verpflichtung zur Entrichtung von Verzugszinsen, wenn die Beiträge nicht (fristgerecht) gezahlt werden. Werden allerdings die Beitragszahlungen im Insolvenzverfahren erfolgreich angefochten und zahlt der Versicherungsträger den Betrag an die Insolvenzmasse zurück, kommt ein Zuspruch von Verzugszinsen für jenen Zeitraum, in dem der Versicherungsträger ohnehin die zunächst an ihn gezahlten Beiträge zu seiner Verfügung hatte, grds nicht in Betracht Würden in einer solchen Konstellation dennoch Verzugszinsen zugesprochen, würde dies zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Krankenversicherungsträgers führen. Bis zum Zeitpunkt der Rückerstattung der SV-Beiträge an die Insolvenzmasse ist daher von keiner Verzugszinsenpflicht auszugehen.
Ermittlungspflicht der Behörde bei behaupteten Meldeverstößen
» RdW 2023/54
ASVG: §§ 33, 67 Abs 10
VwGH 3. 8. 2022, Ra 2018/08/0229
Wurde einem Geschäftsführer ua eine „Aufstellung der Meldepflichtverletzungen“ im Rahmen des Parteiengehörs mit Schreiben der Behörde übermittelt, wozu er in seiner Äußerung sowie in der Beschwerde gegen den behördlichen Bescheid dahin gehend Stellung genommen hat, dass das Vorliegen der angelasteten Meldepflichtverletzungen bestritten werde, weil der Bescheid nämlich auf den Forderungen angeblicher DN gegenüber dem Insolvenz-Entgelt-Fonds basiere, die ohne Beweisaufnahme und ungeprüft zugrunde gelegt worden seien, die betreffenden Personen seien aber tatsächlich großteils nicht für die GmbH tätig gewesen, vielmehr habe es sich um Verwandte von DN oder DN von Subunternehmern gehandelt, die zur Forderungsanmeldung nicht befugt gewesen seien, hat der Geschäftsführer durchaus konkrete sachbezogene Behauptungen über das Nichtvorliegen der ihm angelasteten Meldeverstöße aufgestellt, die auch nicht schon von vornherein aus rechtlichen Gründen unmaßgeblich sind. Im Hinblick darauf hätte ihn jedoch das Verwaltungsgericht vorerst zur weiteren Präzisierung und Konkretisierung und zu Beweisanboten auffordern müssen, um – nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens – beurteilen zu können, ob bzw in welchem Umfang die im Blick stehenden Dienstverhältnisse tatsächlich bestanden haben und demzufolge die vorgeworfenen Meldepflichtverletzungen stattgefunden haben oder nicht. Dadurch, dass es dies unterlassen hat, ist das Verwaltungsgericht seiner diesbezüglichen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, was zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führen muss.
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rdw.lexisnexis.at 48 RdW 1/2023 ARBEITSRECHT JUDIKATUR ART.-NR.: 53
STEUERRECHT
Highlights aus dem LohnsteuerrichtlinienWartungserlass 2022
Schwerpunkt Mitarbeitergewinnbeteiligung
»RdW 2023/55
Im Rahmen der laufenden Wartung 2022 werden gesetzliche Änderungen aufgrund des 1. und 2. Finanz-Organisationsreformgesetzes (BGBl I 2019/104 und BGBl I 2020/99), der Änderung des Einkommensteuergesetzes 1988, des Körperschaftsteuergesetzes 1988 etc (BGBl I 2021/227), des Ökosozialen Steuerreformgesetzes 2022 (BGBl I 2022/10), der Änderung des Einkommensteuergesetzes 1988, des Erdgasabgabegesetzes, des Elektrizitätsabgabegesetzes und des Mineralölsteuergesetzes 2022 (BGBl I 2022/63), der Änderung des Studienförderungsgesetzes 1992 (BGBl I 2022/75), des Teuerungs-Entlastungspaketes (BGBl I 2022/93), des Abgabenänderungsgesetzes 2022 (BGBl I 2022/108), der Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 und des Einkommensteuergesetzes 1988 (BGBl I 2022/135), der Änderung des Einkommensteuergesetzes 1988, des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes und des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BGBl I 2022/138), des TeuerungsEntlastungspaketes Teil II (BGBl I 2022/163), des Teuerungs-Entlastungspaketes III (BGBl I 2022/174), der Änderung der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für Werbungskosten (BGBl II 2021/500), der Änderung der Familienbonus Plus-Absetzbeträge-EU-Anpassungsverordnung (BGBl II 2022/309) und der Familienleistungs-Valorisierungsverordnung 2023 – FamValVO 2023 (BGBl II 2022/413), höchstgerichtliche Entscheidungen, redaktionelle und sonstige Aktualisierungen in die LStR 2002 eingearbeitet.
1. Mitarbeitergewinnbeteiligung
Mit dem Ökosozialen Steuerreformgesetz 2022 wurde in § 3 Abs 1 Z 35 EStG 1988 eine Steuerbefreiung für Mitarbeitergewinnbeteiligungen an aktive Arbeitnehmer bis zu 3.000 € im Kalenderjahr eingeführt, um die Partizipation von Mitarbeitern am Erfolg des Unternehmens attraktiver zu machen und um zu einer nachhaltigen finanziellen Absicherung und Erhöhung der liquiden Mittel von Arbeitnehmern beizutragen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung sind:
Die Gewinnbeteiligung muss allen Arbeitnehmern oder bestimmten Gruppen von Arbeitnehmern gewährt werden.
Die Summe der vom Arbeitgeber jährlich gewährten Gewinnbeteiligung darf das unternehmensrechtliche Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) der im letzten Kalenderjahr endenden Wirtschaftsjahre nicht übersteigen. Wird der Gewinn nach § 4 Abs 1 EStG 1988 ermittelt, kann auf die entsprechenden steuerlichen Werte abgestellt werden, ansonsten ist der steuerliche Vorjahresgewinn maßgeblich. Bei Konzernunternehmen kann auf das EBIT des Konzerns abgestellt werden. Bei Kreditinstituten kann auf das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit gem Anlage 2 zu § 43 BWG abgestellt werden.
Die Zahlung darf nicht aufgrund einer lohngestaltenden Vorschrift gem § 68 Abs 5 Z 1–6 EStG 1988 erfolgen.
Die Gewinnbeteiligung darf nicht anstelle des bisher gezahlten Arbeitslohns oder einer üblichen Lohnerhöhung geleistet werden.
Diese Befreiungsbestimmung hat zahlreiche Auslegungsfragen aufgeworfen, die bspw im Rahmen einer Info des BMF vom 25. 3. 2022 (2022-0.227.090) beantwortet und nun mit dem Wartungserlass 2022 in die Lohnsteuerrichtlinien eingearbeitet wurden.
1.1. Gruppenmerkmal – Rz 76
In Rz 76 wurden hinsichtlich der Gruppenbildung und leitenden Angestellten Aussagen ergänzt, wonach auch der Verantwortungsgrad für das Unternehmen für die Gruppenbildung herangezogen werden kann (vgl VwGH 27. 7. 2016, 2013/13/0069), wenn der Verantwortungsgrad anhand objektiver, nachvollziehbarer Kriterien (wie bspw nach einem anerkannten Stellenbewertungssystem) präzisiert ist. Innerhalb einer Gruppe sind aber sämtliche Arbeitnehmer gleich zu behandeln und unter denselben objektiven, nachvollziehbaren Kriterien zu berücksichtigen. Unter diesen Voraussetzungen können auch leitende Angestellte eine Gruppe darstellen. Im Übrigen sind sämtliche Aussagen der Rz 76 unverändert beibehalten worden, es wurde in diesem Zu-
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 49 ART.-NR.: 55
Mag. Karin Kufner/Mag. Helga Ruhdorfer-Grasl • Bundesministerium für Finanzen
sammenhang jedoch ein veraltetes Beispiel in Rz 10076 betreffend Stock Options bei leitenden Angestellten gestrichen.
1.2. Arbeitgeber – Arbeitnehmer – Rz 112e
In Rz 112e, in welcher bisher der Beschäftigungsbonus verankert war, wurde konkretisiert, wer hinsichtlich der Mitarbeitergewinnbeteiligung als Arbeitgeber und als Arbeitnehmer gilt. Beim Arbeitgeber wird darauf abgestellt, wer Arbeitslohn iSd § 25 EStG 1988 auszahlt. Als aktive Arbeitnehmer gelten Personen mit Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, die bei Gewährung der Gewinnbeteiligung ein aufrechtes Dienstverhältnis zum Arbeitgeber haben, und zwar unabhängig davon, wie lange dieses Dienstverhältnis dauert. Daher kann die Mitarbeitergewinnbeteiligung auch dann steuerfrei gewährt werden, wenn das Dienstverhältnis zwar unterbrochen aber arbeitsrechtlich aufrecht ist, wie dies bspw bei Karenz, Präsenzdienst, Freizeitphase bei geblockter Altersteilzeit, Sabbatical oder ähnlichen Dienstfreistellungen der Fall ist. Da die Mitarbeitergewinnbeteiligung vergangenheitsbezogen als Beteiligung am Vorjahresergebnis angesehen wird, gelten auch Personen, deren Dienstverhältnis im Zeitpunkt der Gewährung der Gewinnbeteiligung bereits beendet ist (zB wegen Alterspension), die aber in dem für die Gewinnbeteiligung maßgeblichen Wirtschaftsjahr beim Arbeitgeber beschäftigt waren, als aktive Arbeitnehmer im Sinne dieser Befreiungsbestimmung. Wenn das Entgelt von dritter Seite kommt, kommt die Steuerbefreiung jedoch nicht zur Anwendung, wie zB bei einer Mitarbeitergewinnbeteiligung, die die Konzernmutter den Arbeitnehmern der Konzerntöchter gewährt. Bei nicht vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern kann die gewährte Gewinnbeteiligung anhand des Beschäftigungsausmaßes aliquotiert werden, eine aliquote Gewährung ist aber nicht vorgeschrieben.
1.3. Höhe der Gewinnbeteiligung – Rz 112ea, 112ec
Die steuerfreie Gewinnbeteiligung muss allen Arbeitnehmern oder bestimmten Gruppen von Arbeitnehmern gewährt werden. Als Gruppen von Arbeitnehmern werden Großgruppen oder abgegrenzte Berufsgruppen angesehen (siehe Rz 76). Wenn die Mitarbeitergewinnbeteiligung eine individuelle Leistungsbelohnung darstellt oder willkürlich nur bestimmte Personen eine Gewinnbeteiligung erhalten, wird die Voraussetzung des Gruppenmerkmales nicht erfüllt. Es ist demnach entscheidend, dass alle Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern am Gewinn beteiligt werden und eine Gruppenbildung anhand objektiver Kriterien nachvollziehbar ist und nicht eine Umgehung für eine individuelle Belohnung darstellt.
Bei Erfüllung der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen kann die Höhe der Gewinnbeteiligung auch an betriebsbezogene Kriterien geknüpft werden, wie bspw Umsatz, Erlös oder Deckungsbeitrag. Sie kann aber auch auf nicht-finanziellen Kriterien oder auf der Gewährung von erfolgsunabhängigen Beträgen beruhen. Die Höhe der jeweiligen Gewinnbeteiligung muss dabei anhand objektiver Kriterien sachlich begründet und aus der freiwil-
ligen Vereinbarung bestimmbar und nachvollziehbar sein. Die Anknüpfung an ein objektives Merkmal, wie zB ein einheitlicher Prozentsatz des Bruttobezuges, kann demnach zu einer unterschiedlich hohen Gewinnbeteiligung innerhalb einer Gruppe führen. Individuelle Zielvorgaben oder Leistungsziele stellen jedoch keine sachliche Begründung für die Höhe der ausbezahlten Mitarbeitergewinnbeteiligung dar und sind auch als Abgrenzungsmerkmal zur Gruppenbildung nicht geeignet. Die Steuerbefreiung steht demnach insoweit nicht zu, als einzelne Arbeitnehmer einer Gruppe ohne sachliche Begründung höhere Gewinnbeteiligungen erhalten. Wenn hingegen einzelne Arbeitnehmer aus bestimmten Gründen keine Mitarbeitergewinnbeteiligung erhalten sollen, müssen diese Gründe bereits im Vorhinein nach objektiven, nachvollziehbaren Kriterien festgelegt werden, damit die Steuerbefreiung für die übrigen Mitarbeiter erhalten bleibt.
Beispiel: Der Arbeitgeber hat mit allen angestellten Lagerarbeitern eine Mitarbeiterbeteiligungsvereinbarung geschlossen. Hiervon sollen all jene Lagermitarbeiter, welche im für die Beteiligung relevanten Wirtschaftsjahr Dienstpflichtverletzungen begangen haben, ausgeschlossen werden. Trotz dieser zusätzlichen, sachlich gerechtfertigten Einschränkung kann die Mitarbeiterbeteiligung unter den sonstigen Voraussetzungen an die übrigen Lagerarbeiter steuerfrei gewährt werden.
Erhalten sowohl Arbeitnehmer, welche die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit erfüllen, als auch Arbeitnehmer, welche die Voraussetzung nicht erfüllen, eine Mitarbeitergewinnbeteiligung, ist die Zuwendung nur für Erstere steuerfrei und die Steuerfreiheit wird durch steuerpflichtige Zuwendungen an andere Mitarbeiter nicht beeinträchtigt.
Beispiel: Mit den Arbeitnehmern wurde vereinbart, dass alle Mitarbeiter ab dem vollendeten fünften Dienstjahr eine Mitarbeitergewinnbeteiligung iHv 2.000 € erhalten. Zusätzlich soll ein Mitarbeiter im dritten Dienstjahr aufgrund besonderer Qualifikationen ebenso in den Genuss der Mitarbeiterbeteiligung kommen. Im gegenständlichen Fall wurde die notwendige Gruppe grundsätzlich sachlich (fünf Dienstjahre) nachvollziehbar gebildet. Die gewährte Mitarbeitergewinnbeteiligung an den Mitarbeiter, der das Gruppenmerkmal nicht erfüllt, ist steuerpflichtig, führt jedoch für die übrigen Gruppenmitglieder nicht zum Verlust der Steuerbefreiung.
1.4. Begrenzung durch EBIT des Vorjahres – Rz 112eb
Die Summe der jährlich gewährten Gewinnbeteiligung darf das unternehmensrechtliche Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) der im letzten Kalenderjahr endenden Wirtschaftsjahre nicht übersteigen. Dabei ist das EBIT des Vorjahres heranzuziehen,
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das sich aus der unternehmensrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung ableitet (idR auf Basis von § 231 Abs 2 Z 17 zuzüglich Z 15 UGB oder § 231 Abs 3 Z 16 zuzüglich Z 14 UGB). Ermittelt das Unternehmen des Arbeitgebers den Gewinn nicht nach § 5 EStG 1988, sondern gem § 4 Abs 1 EStG 1988 kann auf die entsprechenden steuerlichen Werte abgestellt werden; ansonsten ist der steuerliche Vorjahresgewinn heranzuziehen.
Besondere Regelungen gibt es auch, wenn das Unternehmen des Arbeitgebers zu einem Konzern gehört. In diesen Fällen ist es alternativ möglich, dass sämtliche Unternehmen des Konzerns einheitlich auf das EBIT des im letzten Kalenderjahr endenden Wirtschaftsjahres des Konzerns abstellen. Das gilt auch, wenn die Einbeziehung des Arbeitgeberunternehmens in den Konzernabschluss nicht gesetzlich verpflichtend vorgesehen ist, sondern diese faktisch auf freiwilliger Basis erfolgt. Gehört das Unternehmen des Arbeitgebers zu einem internationalen Konzern und ist nach § 245 UGB von der Erstellung eines (Teil-)Konzernabschlusses befreit, weil es in den Konzernabschluss des übergeordneten ausländischen Mutterunternehmens einbezogen wird (befreiender Konzernabschluss), kann das EBIT des befreienden Konzernabschlusses herangezogen werden, der nach den für das Mutterunternehmen geltenden Rechnungslegungsvorschriften zu erstellen ist. Ist das übergeordnete ausländische Mutterunternehmen in einem Drittstaat ansässig, liegt ein befreiender Konzernabschluss nur dann vor, wenn dieser nach den gem VO (EG) 1606/2002 angenommenen Rechnungslegungsstandards erstellt wurde (zB US-GAAP).
Sämtliche Konzernunternehmen, die als Arbeitgeber einen freiwilligen oder verpflichtenden Lohnsteuerabzug gem § 47 Abs 1 EStG 1988 vornehmen, haben demnach im Zusammenhang mit der Gewährung von Mitarbeitergewinnbeteiligungen das Unternehmensergebnis oder das Ergebnis des Konzerns heranzuziehen. Ist die diesbezügliche Vorgehensweise innerhalb der Konzernunternehmen uneinheitlich, kann nur das jeweilige eigene EBIT herangezogen werden. Wird hingegen von sämtlichen Konzernunternehmen auf das Konzern-EBIT abgestellt, ist dieses für Zwecke der Begrenzung den einzelnen Konzernunternehmen im Verhältnis des Personalaufwandes der jeweiligen Konzerngesellschaft zum Personalaufwand des Konzernabschlusses zuzuordnen, wobei auf die für den Konzernabschluss geltenden Rechnungslegungsvorschriften abzustellen ist. Das Herausschälen eines Teilbereichs des Konzerns, wie zB nur das EBIT der inländischen Konzernbetriebe unter Ausblendung ausländischer Konzerngesellschaften, ist jedoch nicht erlaubt.
In Rz 112eb wurde zudem klargestellt, dass bei der Ermittlung des Unternehmensergebnisses bzw des Konzernergebnisses bereits getroffene Vorsorgen für Mitarbeitergewinnbeteiligungen nicht berücksichtigt werden, weshalb sowohl die Bildung als auch die Auflösung einer Rückstellung für Mitarbeitergewinnbeteiligungen für die Berechnung der Grenze außer Betracht bleiben.
Weiters enthält Rz 112eb Aussagen betreffend Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Bei Versicherungsunternehmen ist das EBIT nach den unternehmensrechtlichen Vorschriften – die auch die für Versicherungsunternehmen geltenden Sondervorschriften des VAG mitumfassen – auf Basis des Ergebnis-
ses aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit gem § 146 Abs 5 Z 7 VAG zuzüglich der Zinsaufwendungen gem § 146 Abs 5 Z 3 lit c VAG zu berechnen. Dies gilt auch, wenn sämtliche Unternehmen des Konzerns einheitlich auf die jeweilige Größe im Konzernabschluss abstellen.
Für Kreditinstitute wurde mit dem BGBl I 2022/194 in § 3 Abs 1 Z 35 lit b dritter Teilstrich EStG 1988 eine gesetzliche Grundlage geschaffen, dass statt dem EBIT auf das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit gem Anlage 2 zu § 43 BWG abgestellt werden kann, da Kreditinstitute spezifischen Rechnungslegungsbestimmungen unterliegen und das EBIT bei bestimmten Geschäftsmodellen (klassisches Bankgeschäft) nicht aussagekräftig ist. Dies gilt auch, wenn sämtliche Unternehmen des Konzerns einheitlich auf die jeweilige Größe im Konzernabschluss abstellen.
1.5. Maximal 3.000 € im Kalenderjahr – Rz 112ec
Für den einzelnen Arbeitnehmer sind maximal 3.000 € im Kalenderjahr steuerfrei. Die Beschäftigungsdauer im Jahr des Zuflusses ist dabei nicht relevant. Bei Überschreiten des jährlichen Freibetrages – bspw bei Gewährung von Mitarbeitergewinnbeteiligungen durch mehrere Arbeitgeber – liegt ein Pflichtveranlagungstatbestand gem § 41 Abs 1 Z 14 EStG 1988 vor. Wenn ein Arbeitgeber mehr als 3.000 € im Kalenderjahr als Mitarbeitergewinnbeteiligung gewährt, ist der übersteigende Betrag gem § 67 Abs 1 und 2 bzw Abs 10 EStG 1988 zu versteuern, sofern es sich grundsätzlich um einen sonstigen Bezug handelt. Dies gilt daher nicht bei Vorliegen von laufenden Bezügen bzw auch nicht bei laufenden Bezügen aufgrund einer „Sechsteloptimierung“ iSd Rz 1052 LStR 2002.
1.6. Haftung und Nachversteuerung – Rz 112ed
Wenn steuerfrei gewährte Mitarbeitergewinnbeteiligungen das Unternehmensergebnis übersteigen (siehe Abschnitt 1.4.), sind die Gewinnbeteiligungen insoweit steuerpflichtig. Der Arbeitgeber hat in diesen Fällen die Möglichkeit bis spätestens 15. Februar des Folgejahres eine Aufrollung gem § 77 EStG 1988 durchzuführen. Erfolgt keine Aufrollung, haftet der Arbeitgeber nach § 82 EStG 1988 für die zu wenig einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer. Eine Haftung bzw Nachversteuerung hat aliquot im Verhältnis des Unternehmensergebnisses zu den tatsächlich gewährten Gewinnbeteiligungen zu erfolgen.
Beispiel:
Der Arbeitgeber gewährt seinen 11 Mitarbeitern jeweils eine Gewinnbeteiligung iHv 3.000 €. Das Unternehmensergebnis des im vorangegangenen Kalenderjahr endenden Wirtschaftsjahres beträgt 25.000 €. Das Unternehmensergebnis beträgt daher 75,76 % (25.000 im Verhältnis zu 33.000) der insgesamt gewährten Mitarbeitergewinnbeteiligungen. Daher sind 24,24 % der Mitarbeitergewinnbeteiligung steuerpflichtig.
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1.7. Keine lohngestaltende Vorschrift, keine Bezugsumwandlung – Rz 112ee, 112ef
Erfolgt die Zahlung der Gewinnbeteiligung aufgrund einer lohngestaltenden Vorschrift gem § 68 Abs 5 Z 1–6 EStG 1988, fällt diese nicht unter die Steuerbefreiung. Innerbetriebliche Vereinbarungen gem § 68 Abs 5 Z 7 EStG 1988 sind jedoch zulässig. Aus diesem Grund ist die steuerfreie Behandlung von bisher aufgrund einer innerbetrieblichen Vereinbarung gewährten Prämien – wie bspw nach § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG – möglich, wenn die übrigen Voraussetzungen vorliegen.
Wird eine Mitarbeitergewinnbeteiligung hingegen (ganz oder teilweise) anstelle von bisher gezahltem Arbeitslohn oder einer üblichen Lohnerhöhung, auf welche jeweils ein arbeitsrechtlicher Anspruch besteht (Bezugsumwandlung), geleistet, ist sie steuerpflichtig. Individuell vereinbarte, vom Arbeitgeber bisher freiwillig unter Anspruchsvorbehalt gewährte Leistungsbelohnungen gelten nicht als bisher gezahlter Arbeitslohn und können bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen (§ 3 Abs 1 Z 35 lit a, b und d EStG 1988) als steuerfreie Gewinnbeteiligung gewährt werden.
1.8. Abzugsverbot Sozialversicherung – Rz 112eg
Dienstnehmeranteile zur Sozialversicherung, die auf die steuerfreie Gewinnbeteiligung entfallen, dürfen nicht von der Bemessungsgrundlage für die Lohnsteuer abgezogen werden, da sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen (§ 20 Abs 2 EStG 1988). Im Lohnzettel (L16 ab 2022) ist dies in der Vorkolonne zur Kennzahl 243 und in der Kennzahl 226 entsprechend berücksichtigt.
Beispiel:
Die Arbeitnehmerin A erhält im Kalenderjahr 2022 laufende Bezüge iHv 36.000 €, sonstige Bezüge iHv 6.000 € und eine zukünftig jährlich wiederkehrende Mitarbeitergewinnbeteiligung iHv 3.000 €.
Lohnzettel (L16) für 2022:
KZ 21045.000,00
KZ 220- 6.000,00
Insgesamt einbehaltene SV-Beiträge:7.550,40
KZ 2251.027,20
KZ 226 (3.000 * 17,12 %)513,60
KZ 230- 6.009,60
Mitarbeitergewinnbeteiligung3.000,00
KZ 243- 3.000,00
KZ 24529.990,40
2. Carsharing – Rz 92m
Mit dem Teuerungs-Entlastungspaket Teil II (BGBl I 2022/163) wurde in § 3 Abs 1 Z 16d EStG 1988 eine neue Steuerbefreiung ab dem Kalenderjahr 2023 geschaffen, wonach Zuschüsse des Arbeit-
gebers für die Nutzung CO2 -emissionsfreier Fahrzeuge im Rahmen von Carsharing-Plattformen für nicht beruflich veranlasste Fahrten bis zu einer Höhe von 200 € pro Jahr steuerfrei sind. Die Befreiung umfasst die Nutzung von E-Autos, E-Motorräder, E-Bikes und E-Scooter (Kraftfahrzeuge, Fahrräder und Kraftfahrrädern iSd §§ 4 und 4b Sachbezugswerteverordnung). Gem Rz 92m betrifft die Befreiung die entgeltliche Nutzung von Fahrzeugen, die einer unbestimmten Anzahl von Fahrern auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung und eines die Energiekosten miteinschließenden Zeit- und Kilometertarifs (oder Mischformen solcher Tarife) angeboten werden und vom Arbeitnehmer selbstständig reserviert und genutzt werden können. Voraussetzung für die Befreiung ist, dass der Arbeitgeber den Zuschuss entweder direkt an den Fahrzeuganbieter leistet oder der Arbeitnehmer einen Gutschein erhält. Der Arbeitgeber hat dabei sicherzustellen, dass mit dem Zuschuss nur CO2 -freie Fahrzeuge genutzt werden können.
3. Pendlerpauschale und Pendlereuro
3.1. Befristete Erhöhung – Rz 249a, 273
Aufgrund der Erhöhung der Treibstoffkosten wurde das Pendlerpauschale für die Kalendermonate Mai 2022 bis Juni 2023 befristet um 50 % erhöht. In die LStR wurde die Rz 249a mit den für diese Monate geltenden Werte, wenn der Arbeitnehmer an zumindest 11 Tagen von der Wohnung zur Arbeitsstätte fährt, eingefügt:
Monatliches
Massenbeförderungsmittel
Befristet erhöhtes Pendlerpauschale Mai 2022 bis Juni 2023 (§ 124b Z 395 EStG 1988)
Im Rahmen der laufenden Lohnverrechnung ist aufgrund der befristet erhöhten Werte des Pendlerpauschales in den Monaten Mai 2022 bis Juni 2023 ist keine erneute Abgabe des Ergebnisses des Pendlerrechners erforderlich. Sofern keine sonstige Änderung der Verhältnisse eintritt, hat der Arbeitgeber die geänderten Werte zu berücksichtigen (Rz 273).
Weiters wurde der Pendlereuro für diesen Zeitraum vervierfacht.
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Pendlerpauschale gem § 16 Abs 1 Z 6 EStG 1988
mindestens 20 km bis 40 km 58
mehr als 40 km bis 60 km 113 Euro169,50 Euro mehr als 60 km168 Euro252 Euro Massenbeförderungsmittel unzumutbar: mindestens 2 km bis 20 km 31 Euro46,50 Euro mehr als 20 km bis 40 km 123 Euro184,50 Euro mehr als 40 km bis 60 km 214 Euro321 Euro mehr als 60
zumutbar:
Euro87 Euro
km306 Euro459 Euro
3.2. Auswirkungen eines Öffi-Tickets auf das Pendlerpauschale ab 2023 – Rz 271a
Erhält der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber unentgeltlich eine Wochen-, Monats- oder Jahreskarte oder übernimmt der Arbeitgeber einen Teil der Kosten des Öffi-Tickets (siehe Rz 750a–750c), ist das Pendlerpauschale zunächst so zu berechnen, als ob keine Zurverfügungstellung eines Öffi-Tickets erfolgt. Demnach ist die gesamte Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte heranzuziehen und eine entsprechende Abfrage im Pendlerrechner (siehe Rz 252a) durchzuführen. Von dem so errechneten Pendlerpauschale ist jener Betrag bzw Wert, den der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber als Öffi-Ticket gem § 26 Z 5 lit b EStG 1988 erhält, in Abzug zu bringen. Bei einem für mehrere Monate gültigen Ticket ist der Wert gleichmäßig auf die Monate der Gültigkeit des Öffi-Tickets zu verteilen, weshalb ein Öffi-Ticket in mehreren Veranlagungsjahren zu einer Reduktion des Pendlerpauschales führen kann. Zu beachten ist dabei, dass der Anspruch auf den (erhöhten) Verkehrsabsetzbetrag erhalten bleibt, auch wenn ein vom Arbeitgeber bezahltes Öffi-Ticket das Pendlerpauschale auf null kürzt. Ebenso bleibt der Anspruch des Arbeitnehmers auf den Pendlereuro von der Kürzung des Pendlerpauschales unberührt.
Beispiel (ohne Berücksichtigung der befristeten Erhöhung von Mai 2022 bis Juni 2023, siehe Rz 249a):
A pendelt von ihrem Wohnort Mattersburg an 19 Arbeitstagen zu ihrer Arbeitsstätte in Wien; es steht A laut Pendlerrechner ein kleines Pendlerpauschale iHv 2.016 € pro Jahr (168 € pro Monat) sowie der Pendlereuro iHv 142 € pro Jahr zu.
Variante a:
Der Arbeitgeber wendet A ab Jänner 2023 die Kosten einer Wiener Jahreskarte im Wert von 365 € zu. Er berücksichtigt das Pendlerpauschale in der laufenden Lohnverrechnung; mit der Übernahme der Kosten des Wiener Jahrestickets ist ab Jänner 1/12 (= 30,42 €) vom monatlichen Pendlerpauschale abzuziehen (168 – 365/12). Somit erhält A monatlich 137,58 € an Pendlerpauschale, der Pendlereuro steht für die gesamte Strecke ungekürzt zu.
Variante b:
A erhält von ihrem Arbeitgeber das Klimaticket für das gesamte Bundesgebiet iHv 1.095 €. Ihr steht daher ein Pendlerpauschale iHv 921 €/Jahr (= 2.016 – 1.095) zu, der jährliche Pendlereuro iHv 142 € steht für die gesamte Strecke Wohnung-Arbeitsstätte zu.
Variante c:
Der Arbeitgeber übernimmt 500 € der Kosten für ein VOR Klimaticket MetropolRegion (860 €), die restlichen
360 € muss A selbst begleichen. A steht daher ein Pendlerpauschale von 1.516 €/Jahr (= 2.016 – 500) und ein Pendlereuro für die gesamte Strecke Wohnung-Arbeitsstätte iHv 142 € zu.
Variante d:
Der Arbeitgeber übernimmt 800 € der Kosten für ein VOR Klimaticket MetropolRegion (860 €). Dieses ist von Juli 2023 bis einschließlich Juni 2024 gültig. Die Zuwendung iHv 800 € wird im Juli 2023 an A geleistet. Die restlichen 60 € der Kosten für das VOR Klimaticket MetropolRegion muss A selbst begleichen.
Die Zuwendung von 800 € ist verhältnismäßig auf den Zeitraum der Gültigkeit zu verteilen. Da sowohl im Jahr 2023 als auch 2024 jeweils für sechs Monate eine Kostenübernahme stattfindet, ist die Zuwendung in beiden Jahren je zur Hälfte vom Pendlerpauschale abzuziehen: A steht daher in beiden Jahren ein Pendlerpauschale von 1.616 €/Jahr (= 2.016 – 400) und ein Pendlereuro für die gesamte Strecke Wohnung – Arbeitsstätte iHv 142 € zu.
4. Arbeitsmittel
4.1. Digitale Arbeitsmittel – Rz 277
In Rz 277 erfolgte eine Klarstellung hinsichtlich digitaler Arbeitsmittel. Als digitale Arbeitsmittel sind demnach alle Aufwendungen zu qualifizieren, die mit digitaler Datenverarbeitung in unmittelbarem Zusammenhang stehen (zB Computer, Bildschirme, Tastaturen, Drucker, Mobiltelefone sowie die erforderlichen Datenanbindungen).
4.2. Mobiliar – Rz 277f
Erzielt ein Steuerpflichtiger sowohl Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit als auch Einkünfte aus selbstständiger Arbeit und wird ergonomisch geeignetes Mobiliar gemischt verwendet, sind die dafür angefallenen Kosten zur Gänze entweder als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Eine Aufteilung hat in diesem Fall zu unterbleiben. Das Arbeitsplatzpauschale nach § 4 Abs 4 Z 8 EStG 1988 kann für Aufwendungen der betrieblichen Nutzung zusätzlich geltend gemacht werden.
Beispiel: G arbeitet im Rahmen seines Dienstverhältnisses an mindestens 26 Tagen im Jahr in seiner Wohnung im Homeoffice und hat sich dafür im Jahr 2022 ergonomisch geeignetes Mobiliar im Gesamtbetrag von 600 € angeschafft. Daneben ist er selbstständiger Fachschriftsteller. Für diese Tätigkeit steht ihm kein Raum außerhalb seiner Wohnung zur Verfügung. G hat im Jahr 2022 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit iHv 35.000 € erzielt. Bei Ermittlung der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit steht G ein Arbeitsplatzpauschale von 300 € zu. Die Aufwendungen für ergonomisch geeignetes Mobiliar kann er wahlweise bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit oder bei seinen Einkünften aus selbstständi-
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ger Arbeit berücksichtigen. Unabhängig davon, welcher Einkunftsquelle sie zugeordnet werden, sind die Aufwendungen iHv 600 € somit im Jahr 2022 zu beantragen und wirken sich im Jahr 2022 und 2023 je iHv 300 € als Freibetrag aus.
5. Sonderausgaben – Rz 573a–573h
Mit dem Ökosozialen Steuerreformgesetz 2022 wurde die Möglichkeit geschaffen, Ausgaben für die thermisch-energetische Sanierung von Gebäuden und den Austausch eines fossilen Heizungssystems durch ein klimafreundliches Heizungssystem steuerlich als Sonderausgaben pauschal zu berücksichtigen.
Die Definition bzw die Abgrenzung der Begriffe „thermischenergetische Sanierung von Gebäuden“ und „Ersatz eines fossilen Heizungssystems durch ein klimafreundliches Heizungssystem“ ergibt sich aufgrund des Umweltförderungsgesetzes. Die Abzugsfähigkeit ist an eine Förderungsauszahlung gem dem 3. Abschnitt des Umweltförderungsgesetzes – UFG (BGBl 1993/185) geknüpft (§ 18 Abs 1 Z 10 lit a sublit aa sowie lit b sublit aa EStG 1988). Es werden ausschließlich Förderungen des Bundes berücksichtigt, wie sie etwa von der Kommunalkredit Public Consulting GmbH (KPC) gewährt werden.
Entsprechend dem Sonderausgabenbegriff können nur Ausgaben berücksichtigt werden, die in die private Sphäre des Steuerpflichtigen fallen. Demnach berechtigen Ausgaben, die Betriebsausgaben oder Werbungskosten (Ausgaben im Zusammenhang mit betrieblich genutzten Gebäuden bzw Gebäudeteilen oder im Rahmen von Vermietung und Verpachtung) darstellen, nicht zum Sonderausgabenabzug. Der Abzugsfähigkeit steht nicht entgegen, dass eine Eigentümergemeinschaft, etwa iSv § 18 Wohnungseigentumsgesetz 2002 – WEG 2002 (BGBl I 2002/70), Sanierungsmaßnahmen vornehmen lässt. Gleichfalls ist es nicht erheblich, ob die finanzielle Deckung entsprechender Maßnahmen aus der Rücklage nach § 31 WEG 2002 gegeben ist –diesfalls kommt den Miteigentümern eine anteilige Abzugsfähigkeit zu.
Da die Abzugsfähigkeit an eine Förderungsauszahlung gem dem 3. Abschnitt des Umweltförderungsgesetzes – UFG (BGBl 1993/185) geknüpft ist, kann nur der Empfänger der Förderung den Sonderausgabenabzug in Anspruch nehmen. Bei Eigentümergemeinschaften ist jeder Eigentümer anspruchsberechtigt.
Eine weitere Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug ist eine Datenübermittlung gem § 40g Transparenzdatenbankgesetz – TDBG 2012 (BGBl I 2012/99). Liegt eine Einwilligung des Förderungswerbers bei Beantragung der Förderung vor und sind alle Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug erfüllt, erfolgt im Rahmen der Veranlagung eine automatische Berücksichtigung. Wird das Pauschale trotz bestehender Voraussetzungen nicht berücksichtigt, weil es zu keiner Datenübermittlung gem § 40g TDBG 2012 gekommen ist, kann eine entsprechende Berücksichtigung des Pauschales nur auf Grundlage einer (nachträglichen) Datenübermittlung erfolgen. Dementsprechend muss eine solche vom Förderungsempfänger bei der förderge-
währenden Stelle initiiert werden. Auf Grundlage der durchgeführten Datenübermittlung ist das Pauschale sodann im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten durch Bescheidänderung zu berücksichtigen.
Für die steuerliche Berücksichtigung müssen die getätigten Ausgaben die gesetzlich vorgesehenen Betragsgrenzen überschreiten:
Im Falle einer thermisch-energetischen Sanierung 4.000 €.
Im Falle eines Austausches eines fossilen Heizungssystems 2.000 €.
Bei der Ermittlung der Betragsgrenze sind sämtliche, die konkrete Maßnahme betreffenden Förderungen (öffentliche Mittel gem § 3 Abs 4 EStG 1988) abzuziehen, die vom Bund, von einem Land, von einer anderen Gebietskörperschaft (zB Gemeinde) oder von einer der öffentlichen Hand zurechenbaren bzw in deren Auftrag tätig werdenden Einrichtung des Förderungswesens (zB Förderungsgesellschaft in Rechtsform einer GmbH) ausbezahlt wurden oder voraussichtlich ausbezahlt werden.
Relevant für das Pauschale sind ausschließlich Ausgaben, die auf privat genutzte Gebäudeteile entfallen.
Beispiel:
Ein gemischt genutztes Gebäude, das zu 25 % betrieblichen Zwecken und zu 75 % eigenen Wohnzwecken dient, wird thermisch-energetisch saniert. Die Ausgaben betragen nach Abzug öffentlicher Förderungen 23.000 € und entfallen zu 75 %, somit iHv 17.250 €, auf privat genutzte Gebäudeteile. Die Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Öko-Sonderausgabenpauschales ist erfüllt.
Wurde eine betraglich ausreichend hohe Ausgabe getätigt und liegen alle weiteren Voraussetzungen vor, werden im Kalenderjahr der Auszahlung der Förderung und in den folgenden vier Kalenderjahren – ohne Antrag oder weiteren Nachweis – jeweils ein Pauschbetrag von 800 € (im Falle einer thermisch-energetischen Sanierung) bzw von 400 € (bei Austausch eines fossilen Heizungssystems) als Sonderausgabe berücksichtigt.
Werden eine oder mehrere weitere begünstigte Maßnahmen (thermisch-energetische Sanierung bzw Austausch eines fossilen Heizungssystems) innerhalb des fünfjährigen Berücksichtigungszeitraumes getätigt, werden diese nicht durch einen eigenständigen Pauschalabzug, sondern im Wege der Verlängerung des Zeitraumes für die erste begünstigte Maßnahme berücksichtigt. In derartigen Fällen verdoppelt sich der Berücksichtigungszeitraum von fünf Jahren und beträgt somit zehn Jahre. Bei Zusammentreffen von Maßnahmen, die unterschiedlichen Pauschalsätzen unterliegen, wird zunächst der höhere Pauschalsatz berücksichtigt. Eine Verlängerung des Berücksichtigungszeitraumes erfolgt auch dann, wenn eine oder mehrere weitere begünstigte Maßnahmen innerhalb der vier Folgejahre vorgenommen werden. In diesem Fall ist die Höhe des ab dem sechsten Jahr zu berücksichtigenden Pauschalsatzes von der zusätzlichen Maßnahme abhängig.
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Beispiel:
Im August 2022 wird ein Heizkessel getauscht. Eine Förderung gem dem 3. Abschnitt UFG wurde ausbezahlt. Der im Jahr 2022 bezahlte Betrag nach Abzug der Förderung beträgt mehr als 2.000 €. Bei den Veranlagungen für die Kalenderjahre 2022 bis 2026 wird jeweils ein Betrag von 400 € als Sonderausgabe berücksichtigt. Im Mai 2025 werden Ausgaben für eine thermisch-energetische Sanierung getätigt. Eine Förderung gem dem 3. Abschnitt UFG wurde ausbezahlt. Der im Jahr 2025 bezahlte Betrag nach Abzug von Förderungen beträgt mehr als 4.000 €. Ab der Veranlagung 2027 bis zur Veranlagung 2031 wird jeweils ein Betrag von 800 € als Sonderausgabe berücksichtigt.
Betrifft eine Förderungsmaßnahme mehrere Eigentumswohnungen, die demselben Förderungsempfänger gehören, vermittelt nicht jede Eigentumswohnung ein Pauschale, da jede Wohnung von der derselben geförderten Maßnahme betroffen ist. Dieselbe geförderte Maßnahme führt nicht zu einer Verdoppelung des Pauschales. Der Sonderausgabenabzug gilt erstmals für das Veranlagungsjahr 2022, jedoch muss die Förderung nach dem 30. Juni 2022 ausbezahlt worden sein und das Förderansuchen muss nach dem 31. März 2022 bei der Förderstelle eingebracht worden sein.
6. Zufluss-Abfluss-Prinzip – Rz 631c, 631d, 640
Mit dem AbgÄG 2022 (BGBl I 2022/108) wurde § 19 EStG 1988 insofern geändert, dass bei bestimmten Leistungen und deren Rückzahlung ab 1. Jänner 2022 nicht mehr das Zufluss-Abfluss-Prinzip zur Anwendung kommt, sondern auf das Anspruchsjahr abgestellt wird. Dies wurde in die Rz 631c, 631d und 640 eingearbeitet. Nunmehr werden neben Nachzahlungen von Pensionen, über deren Bezug bescheidmäßig abgesprochen wurde, Zahlungen und Rückzahlungen von Bezügen aus einer gesetzlichen Kranken- und Unfallversorgung (§ 25 Abs 1 Z 1 lit c EStG 1988), Rehabilitationsgeld (§ 143a ASVG), Wiedereingliederungsgeld (§ 143d ASVG) sowie von versicherungsmäßigem Arbeitslosengeld, Umschulungsgeld (§ 39b AlVG) und Notstandshilfe oder an deren Stelle tretende Ersatzleistungen jenem Kalenderjahr zugeordnet, für das der Anspruch besteht bzw für das sie getätigt werden.
Bezüglich Rückzahlungen wurde für den Übergang vom Zufluss- zum Anspruchsprinzip zudem eine gesetzliche Übergangsregelung geschaffen, wonach die Rückzahlung dem Jahr der Versteuerung zugerechnet werden kann, wenn das Kalenderjahr, für das der Anspruch bestand bzw für das die Zahlung getätigt worden ist, nicht mit dem Kalenderjahr der steuerlichen Berücksichtigung der Einnahmen übereinstimmt.
Beispiel:
Erfolgt der Zufluss für das Anspruchsjahr 2020 im Kalenderjahr 2021, die Versteuerung im Zuflussjahr 2021 und die Rückzahlung im August 2022, wäre die Rückzahlung ohne Übergangsregelung dem Anspruchsjahr 2020 zu-
zurechnen. Aufgrund der Übergangsregelung kann die Rückzahlung dem Jahr der steuerlichen Berücksichtigung 2021 zugerechnet werden.
Bei offenen Veranlagungsfällen ist die Anwendung der Neuregelung auch über Antrag des Steuerpflichtigen möglich. Wenn das Zuflussjahr noch nicht rechtskräftig veranlagt ist, das Anspruchsjahr hingegen schon, dann stellt die antragsgemäße Umstellung auf das Anspruchsprinzip für die vorangegangenen Jahre ein rückwirkendes Ereignis gem § 295a BAO dar und sämtliche Zahlungen und Rückzahlungen können entsprechend der neuen Rechtslage dem Anspruchsjahr zugeordnet werden.
Beispiel:
Wird im Jahr 2020 das Rehabilitationsgeld für die Jahre 2018 und 2019 nachgezahlt, ist ein Antrag auf Anwendung der Neuregelung auch dann möglich, wenn lediglich das Jahr 2020 noch nicht rechtskräftig veranlagt ist.
7. Dienstreisen mit dem eigenen Kraftfahrzeug trotz Öffi-Ticket – Rz 750b
In Rz 750b wurden Klarstellungen zu Dienstreisen aufgenommen. Als Grundregel gilt unverändert, dass bei Verwendung eines vom Arbeitgeber bezahlten Öffi-Tickets (Rz 750a–750c) für Dienstreisen keine zusätzlichen Fahrtkostenersätze für die vom Ticket umfassten Strecken nicht steuerbar geleistet werden dürfen. Zahlt der Arbeitgeber zunächst nicht die vollen Kosten des ÖffiTickets, können weitere Kostenbeiträge (§ 26 Z 5 lit b EStG 1988) bis zur Höhe der Gesamtkosten des Öffi-Tickets gewährt werden. Ergänzt wurde, dass wenn bei einer Dienstreise Fahrtkosten außerhalb der vom Öffi-Ticket abgedeckten Fahrtstrecke anfallen oder das Öffi-Ticket nachweislich nicht für Dienstreisen verwendet wird, der Arbeitgeber Fahrtkostenersätze – wie zB Kilometergelder oder Taxikosten – im Rahmen des § 26 Z 4 EStG 1988 nicht steuerbar gewähren kann. Dies gilt analog bei Aufzahlungen bspw für die 1. Klasse oder ein Business-Ticket.
Verwendet der Arbeitnehmer nachweislich sein privat gekauftes Öffi-Ticket für Dienstreisen, kann der Arbeitgeber die fiktiven Kosten für das günstigste öffentliche Verkehrsmittel nicht steuerbar ersetzen (Reisekostenersätze gem § 26 Z 4 EStG 1988). Ergänzt wurde in Rz 750b, dass wenn der Arbeitgeber in diesen Fällen die Reisekosten nicht oder nur teilweise ersetzt, der Arbeitnehmer für die von ihm durchgeführten beruflichen Fahrten (mit Ausnahme der Fahrten Wohnung – Arbeitsstätte) die fiktiven Kosten für das günstigste öffentliche Verkehrsmittel im Schätzungswege als (Differenz-)Werbungskosten ansetzen kann.
8. Pflichtveranlagungstatbestände – Rz 909
Rz 909 wurde um die durch gesetzliche Änderungen im Jahr 2022 neu geschaffenen Pflichtveranlagungstatbestände ergänzt. Eine Veranlagung ist demzufolge verpflichtend,
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 55 STEUERRECHT
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wenn im Kalenderjahr mehr als 3.000 € Mitarbeitergewinnbeteiligung gem § 3 Abs 1 Z 35 EStG 1988 steuerfrei berücksichtigt wurde,
wenn in den Kalenderjahren 2022 und 2023 mehr als 3.000 € Teuerungsprämie gem § 124b Z 408 EStG 1988 steuerfrei berücksichtigt wurde bzw in Summe mehr als 3.000 € Teuerungsprämie und Mitarbeitergewinnbeteiligung steuerfrei berücksichtigt wurde (§ 124b Z 408 lit b und d EStG 1988),
wenn eine Wochen-, Monats- oder Jahreskarte gem § 26 Z 5 lit b EStG 1988 für ein Massenbeförderungsmittel zur Verfügung gestellt wurde oder Kosten einer solchen Karte übernommen wurden, aber die Voraussetzungen nicht vorlagen oder ein nicht zustehender Betrag unversteuert belassen wurde,
wenn der Anti-Teuerungsbonus an einen Empfänger ausbezahlt wurde, der im Zuflussjahr ein Einkommen von mehr als 90.000 € erzielt hat (§ 8 Abs 5 Klimabonusgesetz),
wenn eine außerordentliche Gutschrift gem § 398a GSVG und § 392a BSVG gewährt wurde und das Einkommen des Empfängers im Zuflussjahr mehr als 24.500 € betragen hat (§ 124b Z 411 lit b EStG 1988).
9. Antragslose Veranlagung – Rz 912e, 912i
Mit dem AbgÄG 2022 wurden betreffend die antragslose Veranlagung gesetzliche Änderungen beschlossen, die nun in die LStR 2002 Eingang fanden. In Rz 912e wurde ergänzt, dass eine antragslose Arbeitnehmerveranlagung nur durchzuführen ist, wenn sie zu einer Steuergutschrift von zumindest 5 € führt.
In Rz 912i wurden Ausführungen aufgenommen, welche Folgen es hat, wenn nach einer bereits erfolgten antragslosen Veranlagung dem Finanzamt im Rahmen der automatischen Datenübermittlung noch Informationen übermittelt werden. Wenn der Bescheid aus der antragslosen Veranlagung aufgrund der nachträglichen Übermittlung von Daten betreffend Sonderausgaben, einer Behinderung oder eines Lohnzettels (§ 41 Abs 2 Z 2 lit a dritter Teilstrich EStG 1988) durch einen neuen Bescheid ersetzt wurde und sich die Steuergutschrift gegenüber dem vorherigen Bescheid erhöht, dann sind die Regelungen gem § 41 Abs 2 Z 2 lit c und e EStG 1988 (Antragsveranlagung innerhalb der Fünfjahresfrist bzw Beschwerde auf ersatzlose Aufhebung des Bescheides möglich) auch auf diesen Bescheid anzuwenden, außer ein Pflichtveranlagungstatbestand ist erfüllt.
Beispiel:
Der antragslose Bescheid betreffend das Kalenderjahr 2021 ergeht im August 2022. Anfang September 2022 wird der Finanzverwaltung nachträglich eine Spende aus dem Jahr 2021 im Wege einer automatischen Meldung der Spendenorganisation übermittelt. Der antragslos ergangene Bescheid wird aufgrund der nachträglich eingegangenen Meldung im Rahmen der verfahrensrechtlichen Vorschriften durch einen neuen Bescheid ersetzt, der zu einer zusätzlichen Gutschrift führt. Der Steuerpflichtige kann in-
nerhalb der Fünfjahresfrist eine Abgabenerklärung abgeben. In diesem Fall ist der zuletzt ergangene Bescheid aufzuheben und über die Abgabenerklärung zu entscheiden.
10. Tarif
10.1. Inflationsanpassung – Rz 767,
768a–768d
Aufgrund der mit dem Teuerungs-Entlastungspaket Teil II (BGBl I 2022/163) eingeführten Inflationsanpassung wurde die Rz 767 aktualisiert und die Rz 768a–768d neu eingefügt.
Ab dem Kalenderjahr 2023 werden folgende in § 33 Abs 1a EStG 1988 aufgezählte Beträge im Rahmen der Inflationsanpassung nach § 33a EStG 1988 erhöht:
Grenzbeträge, die für die Anwendung der Steuersätze für Einkommensteile bis 1 Mio € maßgebend sind (§ 33 Abs 1 EStG 1988),
der Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag sowie der Unterhaltsabsetzbetrag (§ 33 Abs 4 EStG 1988),
der Verkehrsabsetzbetrag, der erhöhte Verkehrsabsetzbetrag und der Zuschlag zum Verkehrsabsetzbetrag samt Einschleifgrenzen (§ 33 Abs 5 Z 1–3 EStG 1988),
die Pensionistenabsetzbeträge samt Einschleifgrenzen (§ 33 Abs 6 EStG 1988),
die Erstattung des Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrages, die SV-Rückerstattung und der SV-Bonus (§ 33 Abs 8 EStG 1988),
der in § 1 Abs 4 EStG 1988 normierte Grenzbetrag der nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte für den Antrag auf Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig,
der in § 34 Abs 4 zweiter Teilstrich und § 35 Abs 1 dritter Teilstrich EStG 1988 normierte Grenzbetrag für die Partnereinkünfte,
die in § 42 Abs 1 Z 3 und Abs 2 EStG 1988 normierten Grenzbeträge für die Steuererklärungspflicht,
der in § 99 Abs 2 Z 2 EStG 1988 genannte Grenzbetrag betreffend die Abzugsteuer bei beschränkter Steuerpflicht,
der in § 102 Abs 3 EStG 1988 genannte Hinzurechnungsbetrag für beschränkt Steuerpflichtige sowie
der in § 4 Abs 4 Z 8 lit b EStG 1988 genannte Grenzbetrag für Einkünfte aus einer aktiven Erwerbstätigkeit für die Anwendung des Arbeitsplatzpauschales.
Von der Erhöhung sind nur Betragswerte und keine Prozentwerte umfasst. Die ermittelten Beträge sind auf ganze Euro aufzurunden.
10.2. Familienbonus Plus – Rz 769 ff
Der EuGH hat mit Urteil 16. 6. 2022, C-328/20, ausgesprochen, dass die ab 1. Jänner 2019 geltende Indexierung der familienbezogenen Absetzbeträge (Familienbonus Plus, Kindermehrbetrag, Alleinverdiener-, Alleinerzieher- und Unterhaltsabsetzbetrag) für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder im
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Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufgehalten haben oder aufhalten, nicht dem EU-Recht entspricht. Daher wurden die Rz 769, 769b, 770, 770a und 810a angepasst.
Für Kinder, die sich ständig in Bulgarien, Deutschland, Estland, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn oder Zypern (nach unten indexierte Länder) aufhalten, sind rückwirkend ab dem Veranlagungsjahr 2019 die nicht indexierten familienbezogenen Absetzbeträge anzuwenden (§ 124b Z 410 lit a EStG 1988).
Für Kinder, die sich ständig in Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Island, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz oder dem Vereinigten Königreich (nach oben indexierte Länder) aufhalten, sind die familienbezogenen Absetzbeträge in der (nach oben) indexierten Höhe sind für die Kalenderjahre 2019 bis 2021 weiterhin anzuwenden.
Bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 2022 ist zwischen Monats- (Familienbonus Plus, Unterhaltsabsetzbetrag) und Jahresbeträgen (Alleinverdiener-, Alleinerzieherabsetzbetrag, Kindermehrbetrag) zu unterscheiden.
Beim Familienbonus Plus und beim Unterhaltsabsetzbetrag (Monatsbeträge) sind für die Kalendermonate Jänner bis Juli 2022 die höher indexierten Beträge und für die Kalendermonate August bis Dezember 2022 die nicht indexierten Beträge heranzuziehen (siehe § 124b Z 410 lit c EStG 1988).
Beim Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag sowie beim Kindermehrbetrag (Jahresbeträge) ist in der Veranlagung 2022 für die Kalendermonate Jänner bis Juli 2022 jeweils ein Zwölftel der höher indexierten Beträge und für die Kalendermonate August bis Dezember 2022 ein Zwölftel der einheitlich nicht indexierten Beträge heranzuziehen (§ 124b Z 410 lit c EStG 1988). Die genauen Beträge ergeben sich aus § 4 Abs 7 und 8 Familienbonus Plus-Absetzbeträge-EU-Anpassungsverordnung, welche mit 1. Jänner 2023 außer Kraft tritt.
Ab dem Kalenderjahr 2023 sind die einheitlich nicht indexierten Beträge erstmalig ganzjährig anzuwenden (§ 124b Z 410 lit b EStG 1988).
Mit dem Ökosozialen Steuerreformgesetz 2022 Teil I (BGBl I 2022/10) bzw dem Teuerungs-Entlastungspaket (BGBl I 2022/93) wurde der Familienbonus Plus erhöht.
Der Familienbonus Plus beträgt nunmehr für Kinder, die sich ständig in Österreich, in einem anderen Mitgliedstaat der EU, in Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes oder in der Schweiz aufhalten, monatlich:
166,68 € (bis 2021: 125 €) bis zu dem Monat, in dem das Kind den 18. Geburtstag hat, und
54,18 € (bis 2021: 41,68 €) ab dem Monat nach dem 18. Geburtstag, so lange für das Kind Familienbeihilfe gewährt wird.
10.3. Kindermehrbetrag – Rz 810a
Der Kindermehrbetrag wurde ebenfalls erhöht, von bisher 250 € auf 550 € pro Kind. Weiters wurde der Kreis der Anspruchsberech-
tigten ausgeweitet. Ab der Veranlagung 2022 besteht Anspruch auf den Kindermehrbetrag, wenn der Alleinverdiener- oder Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht und eine errechnete Tarifsteuer unter 550 € vorliegt oder wenn in einer (Ehe-)Partnerschaft beide Partner Einkünfte erzielen und die darauf entfallende Tarifsteuer jeweils weniger als 550 € beträgt. Der Kindermehrbetrag steht in diesen Fällen nur einmal pro Kind der familienbeihilfenberechtigten Person zu. Voraussetzung ist, dass zumindest 30 Tage im Kalenderjahr steuerpflichtige aktive Erwerbseinkünfte erzielt werden (darunter fallen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus selbstständiger Arbeit, aus Gewerbebetrieb oder aus nichtselbstständiger Arbeit). Ein Anspruch auf den Kindermehrbetrag besteht außerdem, wenn ganzjährig Kinderbetreuungsgeld oder Pflegekarenzgeld bezogen wurde.
10.4. Teuerungsabsetzbetrag – Rz 811e
Steuerpflichtigen mit geringem Einkommen und Anspruch auf den Verkehrsabsetzbetrag oder Pensionistenabsetzbetrag steht gem § 124b Z 407 EStG 1988 einmalig für das Kalenderjahr 2022 ein Teuerungsabsetzbetrag iHv bis zu 500 € zu. Davon ausgeschlossen sind Pensionsbezieher, die eine außerordentliche Einmalzahlung gem § 772a ASVG, § 400a GSVG, § 394a BSVG, § 95h PG 1965 oder § 60 Abs 9 BB-PG erhalten haben.
Bei Anspruch auf den Verkehrsabsetzbetrag steht der Teuerungsabsetzbetrag bis zu einem Jahreseinkommen von 18.200 € iHv 500 € zu und reduziert sich bis zu einem Jahreseinkommen von 24.500 € gleichmäßig einschleifend auf null. Der Teuerungsabsetzbetrag vermindert sich um die außerordentliche Gutschrift gem § 398a GSVG und § 392a BSVG.
Bei Anspruch auf einen Pensionistenabsetzbetrag steht der Teuerungsabsetzbetrag bis zu laufenden Pensionseinkünften von 20.500 € im Jahr iHv 500 € zu und reduziert sich bis zu Pensionseinkünften von 25.500 € gleichmäßig einschleifend auf null. Der Teuerungsabsetzbetrag vermindert sich um außerordentliche Gutschriften gem § 398a GSVG und gem § 392a BSVG.
Die Autorin:
Mag. Karin Kufner ist Leiterin der Abteilung für Lohnsteuer im Bundesministerium für Finanzen.
lesen.lexisnexis.at/autor/Kufner/Karin
Die Autorin:
Mag. Helga Ruhdorfer-Grasl ist stellvertretende Leiterin der Abteilung für Lohnsteuer im Bundesministerium für Finanzen.
lesen.lexisnexis.at/autor/Ruhdorfer-Grasl/Helga
Foto: privat
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rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 57 STEUERRECHT ART.-NR.: 55
VwGH zu Stock Option für Vorstandsmitglied
»RdW 2023/56
Dem Mitglied des Vorstands einer AG wurde 2008 die –frei übertragbare – Option zu Erwerb von Aktien des Konzerns eingeräumt. Im Jahr 2015 erzielte er als Differenzausgleich aus der Glattstellung dieser Option den Betrag von ca 370.000 €, dessen Besteuerung im Jahr 2015 strittig wurde. – VwGH 19. 10. 2022, Ra 2021/15/0011.
Die Y-AG ist die Tochtergesellschaft der X-AG. HH wurde ab 1. 9. 2008 zum Vorstandsmitglied der X-AG und zudem ab 1. 10. 2008 auch zum Vorstandsmitglied der Y-AG bestellt. HH schloss am 16. 9. 2008 mit der X-AG einen Optionsvertrag. Mit dem Optionsvertrag erhielt HH das frei übertragbare Recht, 10 % des Grundkapitals der Y-AG sowie auch 10 % des Stammkapitals einer nahestehenden Z-GmbH zu erwerben. Der künftige Kaufpreis („Basispreis“) für die Anteile wurde mit 1,850.000 € festgelegt. Als Entgelt für die Optionseinräumung hatte HH 30.000 € zu zahlen. Der Vereinbarung zufolge hat die X-AG bei Ausübung der Option die Beteiligungen an den Kapitalgesellschaften zu liefern, darf sich dann aber auch dafür entscheiden, statt dessen den Differenzbetrag zwischen dem „Basispreis“ und dem dann aktuellen Verkehrswert der Beteiligungen zu zahlen. In Bezug auf diesen Differenzbetrag war vereinbart, dass ihn die X-AG um 25 % kürzen darf, falls im Zeitpunkt der Ausübung der Option HH bereits fristlos als Vorstandsmitglied entlassen sein sollte. Im Optionsvertrag wird weiters festgelegt, dass die Option vom 1. 9. 2011 bis 28. 8. 2012 ausgeübt werden kann, wobei sich diese Frist aber verlängert, falls und solange die Funktionsperiode des HH als Vorstandsmitglied der X-AG verlängert wird. In der Präambel des Optionsvertrages wird festgehalten, dass HH schon in der Zeit vor seiner Bestellung in den Vorstand der X-AG beratend für die Y-AG tätig war und ihm deshalb ein Optionsrecht in Aussicht gestellt worden war.
Im August 2015 übte HH die Option zu einem Viertel aus (Kauf von 2,5 % des Grundkapitals der Y-AG und dem entsprechenden Anteil an der Z-GmbH); für die verbleibenden drei Viertel blieb ihm die Option erhalten. Die X-AG machte von ihrem Recht Gebrauch, lediglich den Differenzbetrag zu leisten, und zahlte an HH 369.500 €; allerdings unterzog sie diesen Betrag (vermindert um die seinerzeit von HH gezahlten 30.000 €) im Jahr 2015 der Lohnsteuer.
HH argumentierte in der Folge gegenüber dem Finanzamt, es liege kein steuerpflichtiger Vorgang vor, weil es sich gegenständlich um eine völlig frei übertragbare Option handle. Außerdem habe er diese seinerzeit zum Verkehrswert von 30.000 € gekauft; zudem sei sie wegen seiner Leistungen an die Y-AG in der Zeit vor seinem Dienstverhältnis zur X-AG gewährt worden.
Entscheidung von Finanzamt und BFG
Das Finanzamt argumentierte, dass gegenständlich ein steuerpflichtiger Vorteil im Rahmen des Dienstverhältnisses zur X-AG
(§ 25 EStG) im Streitjahr 2015 zugeflossen sei, wobei es nicht auf die Wirtschaftsguteigenschaft eines Vorteils ankomme. Es erfasste den Vorteil im Einkommensteuerbescheid 2015 im Rahmen der nichtselbstständigen Einkünfte.
Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das BFG keine Folge und begründete, es sei für den hier gegebenen Zufluss irrelevant, ob eine Option handelbar sei oder nicht. Es vertrat allerdings die Auffassung, dass der im Jahr 2015 zugeflossene Vorteil mit der behaupteten ehemaligen Beratungstätigkeit des HH gegenüber der Y-AG zusammenhänge und daher als sonstige Einkünfte gem § 29 Z 3 EStG zu erfassen sei.
Entscheidung des VwGH
Aufgrund einer Revision des HH, die sich gegen das Vorliegen von Einkünften nach § 29 Z 3 EStG wandte, hob der VwGH mit Erk 19. 10. 2022, Ra 2021/15/0011, die Entscheidung des BFG auf, weil in keiner Weise nachvollziehbar begründet war, warum die Einkunftsart der Leistungen nach § 29 Z 3 EStG vorliegen solle. Laufende Beratungsleistungen könnten allenfalls zu betrieblichen Einkünften führen, aber auch dazu fehle ein Sachverhaltssubstrat.
Im Weiteren lässt das VwGH-Erkenntnis erkennen, dass gegenständlich der Vorteil wohl – wie bereits vom Finanzamt angenommen – durch die nichtselbstständige Tätigkeit als Vorstand der X-AG veranlasst ist:
„42 Die verfahrensgegenständliche Option wurde dem Revisionswerber am 16. September 2008 von der X AG eingeräumt. Am selben Tag schloss der Revisionswerber mit der X AG und der Y AG einen Vorstandsvertrag ab, worauf in der Optionsvereinbarung mehrfach Bezug genommen wird. Die Option wurde dem Revisionswerber also zeitgleich mit seiner Bestellung zum Vorstandsmitglied der X AG sowie der Y AG eingeräumt. Sie bezieht sich auf von der X AG gehaltene Aktien an der Y AG und auf eine Beteiligung an der Z GmbH, wobei die X AG die Garantie abgab, dass gegebenenfalls die Gesellschafter der Z GmbH den entsprechenden Geschäftsanteil zur Verfügung stellen würden. Bereits dieser Konnex legt nahe, dass der Revisionswerber das Optionsrecht ohne die Vorstandsposition nicht erhalten hätte und ein Vorteil aus der Option daher zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählt. Außerdem ist bei der gegebenen Konstellation ein Zusammenhang zwischen einer (künftigen) erfolgreichen Vorstandstätigkeit des Revisionswerbers und dem Anstieg des Wertes der Option – das im Jahr 2008 geleistete Entgelt entsprach nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts dem seinerzeitigen Verkehrswert – anzunehmen. Wesentlich ist auch, dass der Zeitraum, innerhalb dessen die Option ausgeübt werden konnte, mit 28. Februar [wohl August] 2012 abgelaufen wäre. Ausschließlich wegen der Verlängerung bzw. Erneuerung der
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Funktionsperiode des Revisionswerbers als Vorstandsmitglied der X AG verlängerte sich – dem Optionsvertrag vom 16. September 2008 zufolge – das Recht des Revisionswerbers zur Ausübung der Option, und zwar bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Ende der letzten Funktionsperiode als Vorstand, was dem Revisionswerber die Ausübung der in Rede stehenden Option im Jahr 2015 überhaupt erst ermöglichte. Zudem legt der Optionsvertrag fest, dass die X AG im Falle der Optionsausübung an Stelle der Übertragung der optionsgegenständlichen Beteiligungen einen Barausgleich in Geld (Abfindungsbetrag) leisten kann, wobei eine spezielle Regelung für den Fall der fristlosen Entlassung oder des unberechtigten vorzeitigen Austritts des Revisionswerbers vorgesehen war. Diese spezielle Regelung hat sich allerdings nur auf die Kürzung des Abfindungsbetrages bezogen, woraus geschlossen werden kann, dass im Fall einer Entlassung oder eines unberechtigten vorzeitigen Austritts des Revisionswerbers keinesfalls die optionsgegenständlichen Beteiligungen übertragen, sondern jedenfalls nur der gekürzte Barausgleich geleistet würde, was einen weiteren Hinweis auf einen Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis darstellt.
43 Das angefochtene Erkenntnis entbehrt einer nachvollziehbaren Begründung, warum das Bundesfinanzgericht bei dieser Sachlage einen Veranlassungszusammenhang mit dem Dienstverhältnis zur X AG und somit zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ausgeschlossen hat. Im Übrigen ist auch die X AG davon ausgegangen, dass der Vorteil im Rahmen des zu ihr bestehenden Dienstverhältnisses erwachsen ist, hat sie doch darauf Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt. [...]
45 Über die Frage des Zuflusses eines geldwerten Vorteils aus einer Option im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit hat der Verwaltungsgerichtshof im Übrigen bereits im Erkenntnis vom 15. 12. 2009, 2006/13/0136, unter Verweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 20. 11. 2008, VI R 25/05, sowie den Beitrag von Busch, DStR 2009, 898 f, abgesprochen.“
Anmerkung
1. Mit der Steuerpflicht des Vorteils aus Stock Options haben sich jüngst Daxkobler und Moldaschl (in RdW 2022, 429) befasst und dargelegt, dass der Zeitpunkt des Zuflusses des Vorteils in der Literatur umstritten ist (siehe auch Eckerstofer/Marchgraber, ÖStZ 2010, 201; Mayr/Hayden in Doralt et al, EStG18 § 19 Tz 30). Es finden sich Stimmen für den Zufluss bei Optionseinräumung und solche für den Zufluss bei Optionsausübung (vgl Toifl in Bertl et al [Hrsg], Mitarbeiterbeteiligung im Unternehmens- und Steuerrecht [2010] 148 ff ). Zum Teil wird danach unterschieden, ob die Option frei übertragbar ist oder nicht (vgl LStR Rz 211).
Im gegenständlichen Fall war die Option frei übertragbar, und zwar bis August 2012 ohne jegliche Beschränkung. Erst für die
Zeit danach war das Weiterlaufen der Optionsfrist von der Verlängerung der Vorstandstätigkeit des HH abhängig. Bei Einräumung der Option war von HH – dem Vorbringen zufolge – der volle Marktpreis bezahlt worden.
Das VwGH-Erkenntnis legt – mit näherer Begründung – einen Veranlassungszusammenhang zwischen dem Dienstverhältnis (zur X-AG) und der Option dar. Einem Außenstehenden wäre wohl nicht die Option auf 10 % des Grund- bzw Stammkapitals der Konzerngesellschaften eingeräumt worden.
Zur Frage des Zuflusses eines vermögenswerten Vorteils im Rahmen des Dienstverhältnisses verweist der VwGH lediglich auf sein Vorerk 15. 12. 2009, 2006/13/0136 (ÖStZ 2010, 69, 116), und den in diesem Vorerkenntnis enthaltenen Verweis auf das Urteil des BFH 20. 11. 2008, VI R 25/05, BStBl II 2009, 382 (ebenso BFH 12. 11. 2013, VI B 87/13, und 18. 9. 2012, VI R 90/10), sowie den Beitrag von Busch, DStR 2009, 898. Der VwGH ist hier offensichtlich auf einen Gleichklang mit der Rechtsprechung des BFH bedacht. Der BFH sieht im genannten Urteil in der Option – unabhängig, ob frei handelbar oder nicht – eine Chance des Arbeitnehmers, die sich erst im Ausübungszeitpunkt steuerpflichtig realisiert (siehe Busch, DStR 2009, 898).
Unergiebig ist in diesem Zusammenhang § 7 der SachbezugswerteVO (aA Varro, RdW 2010, 597). § 7 der auf § 15 Abs 2 EStG gestützten Verordnung regelt nichts anderes als die Bewertung eines bestimmten Vorteils. Sollte sich auch aus den §§ 25 und 19 EStG die Erfüllung eines (weiteren) Steuertatbestandes ergeben, kann dies nicht durch eine reine Bewertungsregelung (auf Verordnungsebene) hintangehalten werden. Es könnte sich höchstens ergeben, dass auf einen durch die §§ 25 und 19 EStG normierten steuerpflichtigen Zugang keine Bewertungsregel der SachbezugswerteVO passt und die Bewertung eben unmittelbar auf § 15 Abs 2 EStG gestützt werden muss.
2. Für Optionen, die ab 1. 4. 2012 erworben worden sind (bzw ab 1. 10. 2011, vgl § 124b Z 184) dürfte die Brisanz der gegenständlichen Rechtsfrage deutlich gemildert sein: Bei den seither erworbenen Optionen führt ein Vorteil aus dem Differenzausgleich durch Glattstellung der Option nämlich ohnedies in jedem Fall zu steuerpflichtigen Einkünften, nämlich (subsidiär, soweit nicht Einkünfte nach § 2 Abs 3 Z 1–4 EStG vorliegen) zu Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 27 Abs 4 EStG (bzw beim Erwerb vor dem 1. 4. 2012 zu Spekulationsgeschäften, § 124b Z 184 EStG), vgl Doralt/Ruppe, Steuerrecht I12 86. Und auch im Falle von Einkünften aus Kapitalvermögen erfolgt die Besteuerung nach dem normalen Tarif (Beiser, RdW 2017, 114 [116]). Nur wenn aufgrund der Option tatsächlich die Aktien selbst (unterpreisig) angekauft werden, führt dies im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen zunächst noch nicht zur Steuerpflicht.
Nikolaus Zorn
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rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 59 STEUERRECHT ART.-NR.: 56
VwGH zur Steuerpfl icht bei Option auf ein Grundstück
»RdW 2023/57
Das Entgelt für die Einräumung der Option auf den Kauf eines Grundstücks führt im Privatvermögen zur Steuerpflicht bei „Abwicklung“ der Option, also bei deren Ausübung oder ungenütztem Verfall. – VwGH 20. 10. 2022, Ra 2022/13/0017.
Mit Optionsvertrag vom 28. 10. 2011 zwischen Frau MA als „Optionsgeberin“ und der P-GmbH als Optionsberechtigte wurde vereinbart, dass die P-GmbH berechtigt ist, eine konkrete Liegenschaft um den Kaufpreis von ca 1,59 Mio € zu kaufen, wobei das Recht zur Ausübung der Option am 20. 1. 2013 erlischt. Die Optionsberechtigte musste für die Optionseinräumung ein (fälschlich als „Angeld“ bezeichnetes) Entgelt (Stillhalterprämie, Optionsprämie) von 200.000 € leisten; das Entgelt wurde bis zum 31. 10. 2011 an Frau MA überwiesen. Im Optionsvertrag war vereinbart, dass im Fall der Ausübung der Option durch die P-GmbH die Stillhalterprämie auf den Grundstückskaufpreis angerechnet wird.
Die Option wurde nicht ausgeübt. Das Finanzamt ging davon aus, dass das Entgelt für die Option (die Stillhalterprämie) bei Frau MA im Jahr 2013 zu steuerpflichtigen Einkünften führte, und zwar zu Einkünften nach § 30 Abs 1 Z 2 EStG idF vor dem BBG 2011.
Das BFG gab der dagegen erhobenen Beschwerde statt, weil ein Zufluss der Stillhalterprämie jedenfalls nicht im Streitjahr 2013 erfolgt sei, also keinesfalls das Einkommen 2013 betreffe.
Aufgrund der Revision des Finanzamtes hob der VwGH mit Erk 20. 10. 2022, Ra 2022/13/0017, die BFG-Entscheidung als rechtswidrig auf.
Nach dem aktuellen § 27 Abs 4 EStG 1988 (idF ab BBG 2011) gehört zu den Kapitaleinkünften aus Derivaten auch die Stillhalterprämie. Nach § 124b Z 185 EStG 1988 idF AbgÄG 2011 ist § 27 Abs 4 EStG ab 1. 4. 2012 erstmals anzuwenden auf Derivate iSd § 27 Abs 4, die nach dem 31. 3. 2012 entgeltlich erworben worden sind.
Aus § 124b Z 184 EStG idF AbgÄG 2011 ergibt sich, dass nach dem 30. 9. 2011 und vor dem 1. 4. 2012 angeschaffte Derivate unabhängig vom Veräußerungszeitpunkt stets den „Spekulationstatbestand“ des alten § 30 EStG erfüllen („ewige Spekulationsfrist“). Bei einem Stillhalter aus einem Optionsvertrag (hier: Frau MA) kommt es nicht auf die „Anschaffung“ eines Derivates an, sondern auf das Datum des Abschlusses des Derivatvertrages; dieser erfolgte gegenständlich am 28. 10. 2011, sodass im Revisionsfall noch der alte Spekulationstatbestand anwendbar war.
Für den Stillhalter erfüllt die Abwicklung der Option den Steuertatbestand. Der VwGH schreibt:
„29 [...] Insbesondere betreffend den Stillhalter ist dabei auf die Abwicklung des Schuldverhältnisses abzustellen, das das Op-
tionsrecht begründet hatte. Dieses Schuldverhältnis ist dann abgewickelt, wenn die Hauptleistungspflichten erloschen sind (vgl. neuerlich Konezny, ÖBA 2000, 392 ff ). Auch der ungenutzte Ablauf der Frist, bis zu deren Ende das Recht hätte ausgeübt werden können, führt zum Erlöschen der Hauptleistungspflichten. Der Verfall der Option ist somit ebenfalls als (sonstige) Abwicklung der Option anzusehen (in diesem Sinne z.B. auch Jakom/ Kanduth-Kristen, EStG 2012 § 30 Tz 19 ff; Tumpel in Doralt-FS 485 [491]).
30 [...] Dieser Tatbestand ist sohin mit der Abwicklung erfüllt und unterliegt erst in diesem Zeitpunkt der Besteuerung (vgl. Biegler/Wöber, SWK 2003, S 702 ff ). Bei diesen Optionsgeschäften hat daher die Ermittlung des Überschusses oder Verlustes (erst) zu diesem Zeitpunkt zu erfolgen. Betreffend diese Spekulationsgeschäfte (Optionsgeschäfte) wird sohin das Zu- und Abflussprinzip auch einnahmenseitig modifiziert. Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts sind damit die Einnahmen aus diesem Spekulationsgeschäft erst im Jahr der Abwicklung (Verfall der Option), also im Jahr 2013 zu berücksichtigen.“
Anmerkung
Da der Abschluss des außerbetrieblichen Optionsvertrages am 28. 10. 2011, also zwischen dem 30. 9. 2011 und dem 1. 4. 2012 erfolgte, war die Abwicklung der Option noch als Spekulationsgeschäft iSd alten § 30 EStG zu erfassen. Das Erkenntnis stellt klar: In Bezug auf die Besteuerung der Stillhalterprämie bei Nichtausübung der Option ist das Geschäft mit dem Verfall der Option (ungenützter Ablauf der Optionsfrist) abgewickelt und gilt in diesem Zeitpunkt die Stillhalterprämie steuerlich als zugeflossen.
Wäre der Optionsvertrag des Privatvermögens nach dem 31. 3. 2012 abgeschlossen worden, hätte Frau MA Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 27 Abs 4 EStG (statt nach § 30 EStG alt) erzielt, das steuerliche Ergebnis wäre dabei im Übrigen betragsmäßig gleich hoch geblieben. § 27a Abs 3 Z 3 lit b EStG führt die Stillhalterprämie ausdrücklich als Bemessungsgrundlage an. Der Zufluss wäre wiederum mit dem Zeitpunkt des Verfalls der Option anzunehmen. Auch bei Einkünften aus Kapitalvermögen erfolgt die Besteuerung nach dem Tarif, weil es sich hier um Einkünfte aus einem nicht verbrieften Derivat handelt und außerdem kein public placement vorliegt (vgl Beiser, RdW 2017, 114 [116]; ein freiwilliger KESt-Abzug nach § 27a Abs 3 Z 7 EStG idF AbgÄG 2022 wird nicht vorliegen können).
Es kann noch überlegt werden, welche Steuer für Frau MA nach aktueller Rechtslage im Falle der tatsächlichen Ausübung der Option angefallen wäre. Diesfalls wäre es zum Grundstücksverkauf gekommen. Ab 1. 4. 2012 abgeschlossene private Grundstücksverkäufe unterliegen der neuen Immobilienbesteuerung
rdw.lexisnexis.at 60 RdW 1/2023 STEUERRECHT ART.-NR.: 57
iSd § 30 idF ab dem 1. StabG 2012 und somit auch im Falle der Abwicklung einer Grundstücksoption einer im Verhältnis zu § 27 Abs 4 EStG spezielleren Regelung. Da gegenständlich vereinbart war, die Stillhalterprämie auf den Liegenschaftskaufpreis anzurechnen, hätte die Immobilienbesteuerung auf der Basis dieses vereinbarten Liegenschaftsverkaufspreises zu erfolgen (nach § 30 Abs 3 oder 4 EStG idF ab 1. StabG 2012). Sollte hingegen die Stillhalterprämie nicht auf den Kaufpreis angerechnet wer-
den, erfolgte die Immobilienbesteuerung auf der Basis des um die Stillhalterprämie erhöhten Liegenschaftsverkaufspreises (vgl Beiser, RdW 2017, 114 [115]). Grundstücksgeschäfte des Privatvermögens folgen dem Zuflussprinzip; die Stillhalterprämie gilt dabei als erst im Zeitpunkt der Ausübung der Option zum Grundstückskauf zugeflossen.
Bereits Vermietungsabsicht verhindert ImmoEStHerstellerbefreiung
»RdW 2023/58
Wird ein Gebäude in objektiv erwiesener Vermietungsabsicht errichtet und werden im Hinblick auf die Vermietungsabsicht Vorsteuern geltend gemacht, steht dies beim Verkauf der Herstellerbefreiung nach § 30 Abs 2 Z 2 EStG entgegen. – VwGH 19. 10. 2022, Ro 2020/15/0017.
Ein Ehepaar errichtete auf einer Liegenschaft, die den beiden gemeinsam gehörte, ab dem Jahr 2011 ein Wohngebäude. Noch während der Bauausführung wurden zwecks Mietersuche Makler beauftragt und Inserate in Zeitungen und im Internet geschaltet.
Mit der im Jänner 2013 eingereichten Umsatzsteuererklärung 2011 begehrte die Miteigentumsgemeinschaft im Hinblick auf die geplante Vermietung Vorsteuern aus den Errichtungskosten. Die Umsatzsteuer 2011 wurde erklärungsgemäß festgesetzt. Weitere Vorsteuern machte die Miteigentümergemeinschaft für 2012 und 2013 geltend. Im Zuge einer Außenprüfung im Jahr 2013 hatte das Finanzamt die ernsthafte Vermietungsabsicht geprüft; durch den Steuerberater wurde die Vermietungsabsicht bestätigt und belegt.
Einkünfte aus der Vermietung wurden für die Jahre 2011 bis 2014 nicht erklärt. Mit Kaufvertrag vom 27. 12. 2013 verkauften das Ehepaar das bebaute Grundstück um 4,645.000 €. Bei Berechnung der ImmoESt (sowohl für die Ehefrau wie auch für den Ehemann) wurde die Herstellerbefreiung gem § 30 Abs 2 Z 2 EStG 1988 angewendet.
Im Einkommensteuerbescheid 2014 schrieb das Finanzamt der Ehefrau in Bezug auf den halben Verkaufspreis Einkünfte aus der privaten Grundstücksveräußerung iSd § 30 EStG vor. Wegen der Widmung zur Vermietung greife die Herstellerbefreiung nicht.
Das BFG gab der Beschwerde Folge und gewährte die Herstellerbefreiung. Das Gebäude könne nicht dem Erzielen von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gedient haben, wenn es tatsächlich gar nicht zur Vermietung gekommen sei, weil letzt-
lich die Vermietungsabsicht aufgegeben und die Liegenschaft verkauft worden sei.
Aufgrund der Revision des Finanzamtes hob der VwGH mit Erk 19. 10. 2022, Ro 2020/15/0017, die Entscheidung des BFG als inhaltlich rechtswidrig auf.
„21 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Werbungskosten und damit negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter Umständen bereits steuerliche Berücksichtigung finden, bevor noch der Steuerpflichtige aus einer Vermietung Einnahmen im einkommensteuerlichen Sinn erzielt. [...] Voraussetzung einer Berücksichtigung von Werbungskosten vor der Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung ist, dass die ernsthafte Absicht zur späteren Einnahmenerzielung auf Grund bindender Vereinbarungen oder sonstiger, über die Absichtserklärung hinausgehender Umstände als klar erwiesen angesehen werden kann. [...].
23 Im gegenständlichen Fall hat das Bundesfinanzgericht das Vorliegen der Vermietungsabsicht aufgrund konkreter, über die Absichtserklärung hinausgehender Umstände als klar erwiesen angenommen.
25 Zu den (vorweggenommenen) Werbungskosten im Zusammenhang mit künftigen Mieteinnahmen gehört – neben Kosten, wie etwa jenen der Mietersuche, der Rechtsberatung, der Abwicklung der umsatzsteuerlichen Agenden – insbesondere die AfA (§ 16 Abs. 1 Z 8 EStG 1988). [...]
26 Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts können sohin (negative) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auch vorliegen, bevor Mieteinnahmen erzielt werden, selbst wenn die Erzielung von Mieteinnahmen gänzlich ausbleibt. Die als Voraussetzung für derartige Einkünfte erforderliche objektiv erwiesene Vermietungsabsicht wurde im gegenständlichen Fall unstrittig festgestellt.
27 Ein Gebäude dient auch dann der ‚Erzielung von Einkünften‘ iSd Herstellerbefreiung des § 30 Abs 2 Z 2 EStG 1988, wenn
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 61 STEUERRECHT
ART.-NR.: 58
Nikolaus Zorn
diese Einkünfte negativ sind. Demgegenüber ist das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen, dass – im gegebenen Zusammenhang – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nur vorliegen, wenn tatsächlich Einnahmen aus der Vermietung erzielt worden sind, und hat damit die Rechtslage verkannt.“
Anmerkung
Die für die Herstellerbefreiung schädliche „Erzielung von Einkünften“ setzt nicht zwingend den Zufluss von Einnahmen voraus, weil der Begriff „Einkünfte“ auch negative Ergebnisse umfasst (Kanduth-Kristen, immo aktuell 2020, 134; EStR Rz 6647). Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung liegen auch im Zeitraum vor der eigentlichen Vermietung vor, wenn die ernsthafte Absicht zur späteren Einnahmenerzielung durch Vermietung im Wege objektiv nachprüfbarer Umstände erwiesen ist. Im gegenständlichen Fall haben sich offensichtlich im Zusammenhang mit der Geltendmachung der Vorsteuern solche Umstände ergeben. Der Sinnhaftigkeit der Herstellerbefreiung steht die Literatur generell kritisch gegenüber (vgl Herzog, SWK 2012, 563 [569]; Beiser, SWK 2012, 826 [832]; Bodis/Hammerl in Doralt/Kirchmayr/ Mayr/Zorn, EStG17 § 30 Tz 169; Varro, taxlex 2015, 52 f; Kanduth-
Kristen in Gedenkschrift Herbert Kofler [2020] 55). Der Zweck der Herstellerbefreiung liegt in der Linderung des Schicksals jener kleinen „Häuslbauer“, die sich finanziell übernehmen und während oder unmittelbar nach der Bauphase das (fertig oder halb fertig) bebaute Grundstück verkaufen müssen. Da die eigene Arbeitsleistung des Häuslbauers und der unentgeltlich mitarbeitenden Familienmitglieder keinen Niederschlag in den Herstellungskosten findet, würde das Fehlen einer Begünstigung zur nachträglichen Besteuerung dieser Arbeitsleistungen führen. Der Zweck dieser Herstellerbefreiung ist also bereits verfehlt, wenn die Bauleistungen durch eine Baufirma erbracht werden.
Im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist im Übrigen auch der Umfang der Steuerbefreiung für Hauptwohnsitze gem § 30 Abs 2 Z 1 EStG zu diskutieren. Es scheint schwer zu rechtfertigen, Wohnhäuser jeglicher Größe generell zur Gänze zu befreien. Die betragsmäßige Höhe der Steuerbefreiung steht diesfalls in keinem sinnvollen Verhältnis zur individuellen Leistungsfähigkeit. Sachlich eher gerechtfertigt wäre die Befreiung bloß einer bestimmten Nutzfläche (zB von 180 m2 mitsamt dem anteiligen Boden).
Nikolaus Zorn
Übertragung stiller Reserven bei Privatstiftungen
»RdW 2023/59
Die Privatstiftung darf aufgedeckte stille Reserven insoweit nicht auf die Anschaffungskosten einer Ersatzbeteiligung übertragen, als diese Anschaffungskosten auf einen Gesellschafterzuschuss oder auf ein dem Gesellschafterzuschuss entsprechendes Agio entfallen. –VwGH 17. 11. 2022, Ra 2021/15/0053.
Eine österreichische Privatstiftung veräußerte im März 2008 ihre 100%-Beteiligung an der MI-AG und übertrug die dadurch aufgedeckten stillen Reserven auf eine Rücklage gem § 13 Abs 4 KStG 1988. Im Jänner 2009 erwarb die Privatstiftung 100 % der Anteile an der F-GmbH. Bei dieser wurde mit Beschluss vom selben Tag eine ordentliche Kapitalerhöhung von 35.000 € auf 1,000.000 € durchgeführt und ein Agio von 10,200.000 € vereinbart. Die Privatstiftung übertrug gem § 13 Abs 4 KStG 1988 die vollen stillen Reserven aus der Veräußerung der MI-AG iHv 11,169.687 € auf die Anschaffungskosten der F-GmbH inklusive des Agios.
Die Übertragung der stillen Reserven auf den Betrag, der dem Agio entspricht, anerkannte das Finanzamt nicht. Das Agio sei nicht geleistet worden, um beim Anteilserwerb eine Wertdiskre-
panz zwischen Gesellschaftern auszugleichen, sondern lediglich deshalb, um eine bestehende Tochtergesellschaft der Privatstiftung mit weiterem Kapital auszustatten.
Die gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2009 erhobene Beschwerde wies das BFG ab.
Die Revision der Privatstiftung wies der VwGH mit Erk 17. 11. 2022, Ra 2021/15/0053, als unbegründet ab:
„16 Gemäß § 13 Abs. 4 KStG 1988 können durch eine Veräußerung von Beteiligungen aufgedeckte stille Reserven auf eine im Veräußerungsjahr angeschaffte Beteiligung übertragen werden. Voraussetzung ist, dass damit ein Anteil von mehr als 10 % an der Körperschaft erworben wird. Durch eine Übertragung können die Anschaffungskosten der Ersatzbeteiligung nicht negativ werden (vgl. König/Rief in FS Wiesner, 231). Das ergibt sich schon aus einer Parallele zu § 12 EStG 1988 (vgl. Jakom/Kanduth Kristen, EStG 2022, § 12, Rz 35). [...]
18 Eine Übertragbarkeit der stillen Reserven ist auch gegeben, wenn eine Tochtergesellschaft durch die Privatstiftung neu gegründet wird. Gleiches gilt in der Regel auch, wenn eine ordentliche Kapitalerhöhung bei einer Gesellschaft erfolgt und die Privatstiftung durch eine solche einen mindestens 10%igen An-
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teil an der Körperschaft (zusätzlich) erwirbt. Kann an der Kapitalerhöhung nur teilnehmen, wer für die neuen Anteile ein Agio leistet, steht dieses, den Anschaffungskosten der neu erworbenen Anteile zuzuordnende Agio beim Erwerber der neuen Anteile für eine Übertragung stiller Reserven iSd § 13 Abs. 4 KStG 1988 zur Verfügung; es liegen keine nachträglichen Anschaffungskosten der bestehenden Beteiligung vor.
19 Zahlungen für einen Gesellschafterzuschuss stellen demgegenüber weitere Anschaffungskosten auf die Beteiligung dar, sind aber im gegebenen Zusammenhang nicht als Anschaffung einer Beteiligung zu werten (vgl. König/Rief in FS Wiesner, 232). Dies ergibt sich schon aus dem Zweck der Bestimmung als Investitionsbegünstigung, die eine Ersatzanschaffung von neuen Anteilen ermöglichen, nicht aber die Ausstattung von bestehenden Tochtergesellschaften mit zusätzlichen Mitteln fördern soll. Ein Erwerb neuer Beteiligungen ist bei Gesellschafterzuschüssen –unabhängig davon, ob sie im Jahr des Erwerbs oder später geleistet werden – nicht gegeben, weil sie nicht für die Anschaffung eines Anteiles gewährt werden, sondern vielmehr deshalb, um diese Beteiligung mit Kapital auszustatten. [...]
21 Im Fall einer Kapitalerhöhung durch die 100%ige Alleingesellschafterin, die nur von ihr gezeichnet werden soll, liegt weder eine Änderung des Beteiligungsausmaßes noch ein Erwerb einer zusätzlichen 10%igen Beteiligung vor. Durch die Kapitalerhöhung hat die Revisionswerberin keinen zusätzlichen Anteil an ihrer Tochtergesellschaft von über 10 % erworben, weil sie bereits zu 100 % an der Gesellschaft beteiligt war. Es wurden somit keine neuen Anteile in Höhe von über 10 % im Sinne des § 13
Abs. 4 KStG 1988 angeschafft, weshalb die Kapitalerhöhung nicht zu einer Übertragung stiller Reserven berechtigt. Da das Agio den neu ausgegebenen Anteilen zuzuordnen ist und im Revisionsfall zudem nicht im Ausgleich der Beiträge der verschiedenen Gesellschafter der Kapitalgesellschaft seine Ursache hat, kann auch keine Übertragung stiller Reserven auf das Agio erfolgen.“
Anmerkung
Gem § 13 Abs 4 KStG kann die Privatstiftung aufgedeckte stille Reserven auf die Anschaffungskosten einer neu angeschafften Kapitalgesellschaftsbeteiligung (von mehr als 10 %) übertragen. Aus dem Erkenntnis folgt: Eine solche Übertragung ist aber ausgeschlossen
hinsichtlich nachträglicher Anschaffungskosten, die auf Gesellschafterzuschüsse zurückzuführen sind;
hinsichtlich eines Agios, falls diesem lediglich die Funktion eines normalen Gesellschafterzuschusses zukommt, weil es nicht deshalb geleistet wird, um bei einer Kapitalerhöhung einen Wertverlust für die Altgesellschafter zu vermeiden;
soweit die stillen Reserven die Anschaffungskosten der Ersatzbeteiligung übersteigen (negative Anschaffungskosten sind also untersagt).
Im Falle einer Kapitalerhöhung muss sich das Beteiligungsausmaß der Privatstiftung um mehr als 10 % erhöhen, um eine Übertragung zu ermöglichen.
Nikolaus Zorn
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rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 63 STEUERRECHT
ART.-NR.: 59
Mag. Dr. Helene Hayden/StB Mag. Dr. Tobias Hayden, LL.M., LL.B., BSc./Mag. Marco Thorbauer • Wien
Gequälte Suche nach der fremdüblichen Miethöhe bei
Luxusimmobilien
Korrespondierende gesellschaftsrechtliche Rückforderungsverpflichtung? (Teil I)
»RdW 2023/60
Die Anschaffung/Errichtung von Luxusimmobilien durch Körperschaften und anschließende Vermietung an Gesellschafter bzw Stifter/Begünstigte erschien in der Vergangenheit steuerlich attraktiv. Insb die Finanzverwaltung geht seit Jahrzehnten gegen diese Gestaltungen vor: Die Kriterien für die Bemessung der zugrunde gelegten „fremdüblichen Miete“ wurden im Laufe der Zeit im Steuerrecht aber mehrfach grundlegend geändert. Neben erheblichen Steuernachzahlungen begründen derartige Vermietungen mitunter auch Verstöße gegen das gesellschaftsrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr einschließlich schadenersatz- oder bereicherungsrechtlicher Rückforderungsansprüche der Körperschaft. Die Beiträge legen die wandelhaften Entwicklungen im Steuerrecht sowie deren grundlegende Kritikpunkte dar (Teil I) und beleuchten die steuer- und gesellschaftsrechtlichen Grundlagen und Grenzen der (Renditemiete-)Bewertung (Teil II).
1. Einleitung
Österreich gewährt als einziger EU-Mitgliedstaat für die Errichtung von Wohnraum den vollen Vorsteuerabzug (20 %) und unterwirft Umsätze aus Wohnraumvermietung einem ermäßigten USt-Satz (10 %). Die Errichtung von Luxusimmobilien mit Vorsteuerabzug und anschließende Vermietung an Gesellschafter oder Stifter/Begünstigte einer Privatstiftung ist daher umsatzsteuerlich attraktiv.
Neben steuerlichen Erwägungen waren jedoch auch grundverkehrsbehördliche Überlegungen in einzelnen Bundesländern in der Vergangenheit ausschlaggebend für den Ankauf von Luxusimmobilien mittels in- oder EU-ausländischer, doppelstöckiger Kapitalgesellschaftsstrukturen durch drittlandsansässige natürliche Personen. Angesichts der gegenständlichen „Renditemiete-Diskussion“ wären aus steuerlicher Sicht Personengesellschaften letztlich vorzuziehen gewesen.
Gegen Anschaffungen/Errichtungen von Luxusimmobilien durch Körperschaften mit anschließender Vermietung, die bis zu einem gewissen Grad rechtspolitisch vom österreichischen Gesetzgeber zugelassen wurden, gehen Finanzverwaltung und (verwaltungsgerichtliche) Rechtsprechung seit Jahrzehnten mit verschiedenen Argumenten vor. Im Kern dreht sich die Diskussion stets um die konkrete, fremdübliche Miethöhe bei einer Luxusimmobilie. In der Praxis ist es oft schwer, eine fremdübliche Miet-
höhe zu berechnen, weil sich die Kriterien für die Berechnung im Laufe der Zeit erheblich verändert haben.
2. Historische Entwicklung der RenditemieteRechtsprechung
Hinsichtlich der Bemessungsmethode einer fremdüblichen Miete bei Luxusimmobilien wurden in den letzten Jahrzehnten zahllose Ansätze vertreten. Bis heute hat eine Körperschaft jedoch im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses keine Gewissheit, ob die Höhe des vereinbarten Mietzinses für eine Luxusimmobilie von der Finanzverwaltung und Rechtsprechung später anerkannt werden wird. Dies zeigt anschaulich die historische Entwicklung der Rechtsprechung, Finanzverwaltung und Literatur zu dieser Thematik:
Nach der insb seit den 1980er-Jahren vertretenen Judikaturlinie des VwGH ergab sich ein fremdüblicher Mietwert zunächst aus dem Mittelwert des Wertverzehrs in Form der AfA samt Nebenkosten sowie einer angemessenen Verzinsung des investierten Kapitals (Obergrenze) einerseits und aus dem bei Fremdvermietung erzielbaren Betrag (Untergrenze) andererseits.1 Bei fremdunüblicher Vermietung sollte diesfalls auf Ebene der Kapitalgesellschaft zur Gänze kein steuerliches Betriebsvermögen vorliegen, während die verdeckte Ausschüttung auf Ebene des Gesellschafters bloß in der Differenz zwischen fremdüblichem und tatsächlich bezahltem Mietentgelt vorliegt.2 Die österreichische Finanzverwaltung nahm den Ermittlungsansatz des VwGH auf, der für „verdeckte Ausschüttungen“ bei „gewöhnlichen“ Immobilien bis heute in den KStR 20133 sowie in den bislang unver-
1 VwGH 20. 4. 1982, 81/14/0120 ua mit Verweis auf BFH 19. 4. 1972, I R 62/70, BStBl 1972 II 594; 20. 6. 2000, 98/15/0169 und 98/15/0170; Bruckner, ÖStZ 2003, 110; Pernegger, ÖStZ 2002, 91; Marschner/Renner, GES 2013, 459 f; Marschner, Optimierung der Familienstiftung4 (2019) Rz 1308; Lechner in FS Herbert Kofler (2009) 585 f; Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften (2004) 125; krit etwa Pröll, UFS 2004, 190 ff, wonach ausschließlich auf die um AfA und Nebenkosten erhöhte Verzinsung mittels umgekehrten Ertragswertverfahrens abgestellt werden sollte; ebenso Pröll, UFS-Journal 2009, 317 ff; ebenso auch BFH 27. 7. 2016, I R 8/15, BStBl 2017 II 214, wonach die Kostenmiete zuzüglich eines Gewinnaufschlags relevant sein soll; BFH 27. 7. 2016, I R 12/15, BStBl 2017 II 217.
2 VwGH 20. 6. 2000, 98/15/0169 und 98/15/0170 zu einer Penthouse-Wohnung als „Dienstwohnung“ des Gesellschafter-Geschäftsführers mit Verweis auf Bauer/Quantschnigg/Schellmann/Werilly, KStG § 8 Tz 66, Stichwort „Dienstwohnung“.
3 KStR 2013 Rz 857.
rdw.lexisnexis.at 64 RdW 1/2023 STEUERRECHT ART.-NR.: 60
änderten StiftR 2009 4 (zuvor StiftR 2001)5 für Luxusimmobilien festgeschrieben ist: Demnach ist zB bei Villen von Privatstiftungen die Errechnung eines Mittelwerts aus der Summe der angemessenen Verzinsung des investierten Kapitals und AfA einerseits und dem üblichen Mittelpreis des Verbrauchsortes (als reine Rechengröße) andererseits geboten. Dieser Mittelwert gilt demnach als fremdüblicher Mietzins (Nutzungswert) und eine allfällige Differenz der tatsächlichen Miete zu diesem Mittelwert wird als verdeckte Ausschüttung bzw Zuwendung qualifiziert.6
Zuvor lehnte die Finanzverwaltung im ESt-Protokoll 2001 noch jegliche renditeorientierte Betrachtung bei einer Privatstiftung ausdrücklich ab, weil sich die Frage der Gewinnoptimierung anders als bei Kapitalgesellschaften nicht stellen soll.7 Vielmehr gestand auch die Finanzverwaltung im Jahr 2001 (noch) zu, dass die Rendite in der Privatstiftung in der erwarteten zukünftigen Wertsteigerung der Luxusimmobilie bestehe.8
Davon abweichend akzeptieren die UStR 2000 bei der Vermietung von Grundstücken durch ausgegliederte Rechtsträger von Gebietskörperschaften an dieselbe Gebietskörperschaft die unternehmerische Tätigkeit (bislang unverändert), wenn das Mietentgelt (i) die Betriebskosten iHv §§ 21–24 MRG sowie (ii) eine jährliche AfA-Komponente abdeckt.9
In der Literatur wurde Mitte der 2000er-Jahre diesen Ansätzen widersprechend eine (verdeckte) Ausschüttung bzw Zuwendung „an der Wurzel“ an den Gesellschafter bzw Stifter/Begünstigten in Höhe des verlorenen Bauaufwands bei Luxusimmobilien (Differenz zwischen überhöhten Anschaffungskosten und Verkehrswert) vertreten, wobei sich eine allfällige fremdübliche Miete vom Nutzwert als Verkehrswert zu bemessen hätte.10 Die Theorie des verlorenen Bauaufwands wurde später auch vom UFS judiziert.11 Teilweise wurde eine ertragsteuerliche Ausschüttung der gesamten Bruttoinvestitionskosten (und nicht bloß des verlorenen Bauaufwands) an den Gesellschafter mit Steuermissbrauch iSd § 22 Abs 2 BAO begründet.12 Die Qualifikation als Steuermissbrauch wurde allerdings nur bis in die 2000er-Jahre
vom VwGH bei der Vermietung von Luxusimmobilien bestätigt und in der jüngsten Rechtsprechung bislang stets verneint.13
Entgegen Teilen der Lehre14 sowie dem deutschen BFH15 hat der VwGH16 anschließend das Bestehen einer „außerbetrieblichen Sphäre“ bei Kapitalgesellschaften auch im Falle sozietär veranlasster Erwerbe/Errichtungen von (Luxus-)Immobilien bejaht (zuvor etwa schon bei Liebhaberei) und diese der steuerneutralen Sphäre einer Körperschaft zugeordnet. Ab 2010 setzte er die außerbetriebliche Sphäre begrifflich einer „Ausschüttung an der Wurzel“ auf Ebene der Körperschaft gleich;17 eine fiktive Ausschüttung der Anschaffungs-/Herstellungskosten auf Ebene des begünstigten Gesellschafters sollte eine solche Ausschüttung an der Wurzel jedoch (inkonsequenterweise) gerade nicht begründen. Dies stellte der VwGH im Jahr 2013 klar, wonach ertragsteuerliche Voraussetzung für eine Ausschüttung an der Wurzel auf Gesellschafterebene der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an der Immobilie und damit der Übergang der wirtschaftlichen Dispositionsbefugnis auf den Gesellschafter sei:18
13 Etwa VwGH 29. 11. 1988, 87/14/0200, ÖStZB 1989, 174; 30. 6. 2005, 2001/15/0081 zur Vermietung von Einrichtungsgegenständen einer Luxusvilla; ebenso UFS 28. 1. 2010, RV/3992-W/08 zur USt; abweichend VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; ebenso VwGH 20. 10. 2021, Ra 2019/13/0041; zust Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, SWK-Spezial (2017) 175.
14 Etwa Bruckner, ÖStZ 2003, 112 ff; Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 132 ff; Stangl, ÖStZ 2005, 41 ff; Urtz, GES 2007, 400 ff; Mair, RdW 2012, 627; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 17 f; aA etwa Bauer/Quantschnigg/ Schellmann/Werilly, KStG § 8 Tz 40, 62; ebenso Wiesner, RWZ 2000, 230; Wiesner, RWZ 2004, 226 f; Wiesner in FS Bauer (1986) 352 ff; Zorn, RdW 2007, 621; vgl allg Kumer/Behrendt-Krüglstein in Haunold/Kovar/ Schuch/Wahrlich, Immobilienbesteuerung5 (2021) 15 f.
15 Etwa BFH 4. 12. 1996, I R 54/95, DStR 1997, 492; 8. 7. 1998, I R 123/97, NZG 1999, 130; 27. 7. 2016, I R 8/15, BStBl 2017 II 214 mwN; ebenso BFH 27. 7. 2016, I R 12/15, BStBl 2017 II 217 mwN; dazu etwa Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 113 ff; Kofler in FS H. Kofler 106 ff; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 12 f; Raab, taxlex 2020, 200; Achatz/Bieber in Achatz/ Kirchmayr, KStG § 7 Rz 155.
4 StiftR 2009 Rz 252; Marschner, Optimierung der Familienstiftung4 Rz 1308.
5 StiftR 2001 Rz 238; dazu Lechner in FS H. Kofler 586.
6 StiftR 2009 Rz 252 Beispiel.
7 ESt-Protokoll 2001 zu „§ 27 EStG 1988“.
8 ESt-Protokoll 2001 zu „§ 27 EStG 1988“.
9 UStR 2000 Rz 274 f.
10 Doralt, RdW 2004, 571; zust Pröll, SWK 2008, 496 f; Beiser, SWK 2009, 908 und 912; Pröll, ÖStZ 2015, 255; vgl auch Schaunig, taxlex 2014, 419; vgl zuvor in diese Richtung Bauer/Quantschnigg, KStG § 8 Rz 40 und 62 unter „Dienstwohnung“.
11 UFS 29. 5. 2013, RV/0541-S/11 und RV/0481-S/12; vgl allg Raab/Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 1039 und 1071.
12 Pröll, ÖStZ 2009, 294; vgl in diese Richtung auch etwa VwGH 29. 11. 1988, 87/14/0200, ÖStZB 1989, 174; in diese Richtung auch ESt-Protokoll 2001 zu „§ 27 EStG 1988“, wobei dies dort nicht mit Missbrauch iSd § 22 BAO aF begründet wurde; allg offengelassen Kofler in FS H. Kofler 117; EhrkeRabel/Kofler, ÖStZ 2009, 460; einschränkend etwa Achatz/Kirchmayr, taxlex 2011, 425, zum Missbrauch in der USt; aA BFG 5. 8. 2016, RV/7102731/2013, wonach die Investition in Luxusimmobilien als wertstabile Anlage liquider Mittel als außersteuerlicher Grund geeignet erscheint.
16 VwGH 20. 6. 2000, 98/15/0169 und 98/15/0170; 24. 6. 2004, 2001/15/0002; 26. 3. 2007, 2005/14/0091; 19. 4. 2007, 2005/15/0020; 16. 5. 2007, 2005/14/0083; 23. 2. 2010, 2007/15/0003; 19. 3. 2013, 2009/15/0215 und 0216; 25. 4. 2013, 2010/15/0139; 29. 1. 2014, 2013/13/0111; Wiesner/ Schneider/Spanbauer/Kohler, KStG (1996) 134; Pernegger, ÖStZ 2002, 87; Bruckner, ÖStZ 2003, 111 f; Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 123 ff; Urtz, GES 2007, 390 ff; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 13 ff.
17 VwGH 23. 2. 2010, 2007/15/000; 19. 3. 2013, 2009/15/0215 und 0216; 25. 4. 2013, 2010/15/0139; vgl auch Schaunig, taxlex 2014, 379; Raab/Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 1034; Schaunig, taxlex 2020, 159; Renner, PSR 2019, 191; zu Recht krit Schaunig, taxlex 2014, 304 f; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 82 und 156; ebenso Kirchmayr in Brandl/Karollus/Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 (2021) 226 und 326 f.
18 So ausdrücklich VwGH 19. 3. 2013, 2009/15/0215 und 0216; vgl auch Bruckner, ÖStZ 2003, 114; Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 132 und 140; Achatz/Bieber in Achatz/Kirchmayr, KStG § 7 Rz 158; Aigner/Kofler/Moshammer/Tumpel, SWK 2013, 1226 ff; Mayr/Hayden in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG19 § 15 Rz 165; Hayden, PSR 2016, 217; Varro, ecolex 2017, 561 f; Kirchmayr in Brandl/Karollus/ Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3
299; Schaunig, taxlex 2014, 377 und 418; Hayden/Thorbauer, PSR 2019, 154; Raab/Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 1038; Heinrich in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG33 § 7 Rz 208; Zorn, ÖStZ 2021, 74; Lachmayr, SWK 2021, 128; zuvor bereits Urtz, GES 2007, 399 f.
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Als Fazit kann seitdem die Luxusimmobilie als solche nur entweder (i) der betrieblichen oder außerbetrieblichen Sphäre der Körperschaft (entspricht dem Begriff der „Ausschüttung an der Wurzel“ laut VwGH) oder (ii) dem Gesellschafter bzw Stifter/Begünstigten im Sinne eines „Entweder-Oder-Prinzips“ zugerechnet werden.19 Der außerbetrieblichen Sphäre zuzuordnen sind laut VwGH insb Gebäude, die schon ihrer Erscheinung nach (etwa besonders repräsentative Gebäude oder speziell auf die Bedürfnisse des Gesellschafters abstellende Gebäude) für die private Nutzung des Gesellschafters bestimmt sind.20
Die Zuordnung der Luxusimmobilie zur betrieblichen oder außerbetrieblichen Sphäre auf Ebene der Körperschaft hat bis heute erhebliche Bedeutung für die „KöSt-Korrektur“ für die vermietende Körperschaft bei fremdunüblicher Vermietung: Bei Vermietung eines (jederzeit im betrieblichen Geschehen einsetzbaren) dem steuerlichen Betriebsvermögen zuzurechnenden Wohngebäudes einer GmbH zu einem unangemessen niedrigen Mietzins an ihren Gesellschafter kann es – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen einer verdeckten Ausschüttung – körperschaftsteuerlich zum nachträglichen Ansatz fremdüblicher Mieterträge der Kapitalgesellschaft kommen.21 Im Gegensatz dazu ist bei Zugehörigkeit einer Luxusimmobilie zur außerbetrieblichen Sphäre eine zusätzliche Hinzurechnung des angemessenen Mietzinses auf Ebene der Körperschaft nach hM ausgeschlossen.22
19 UFS 30. 5. 2012, RV/0094–L/12; BFG 5. 8. 2016, RV/7102731/2013; Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 161 ff; Stangl, ÖStZ 2005, 42; Ehrke-Rabel/Kofler, ÖStZ 2009, 460 f; Kofler in FS H. Kofler 121 f; Achatz/Bieber in Achatz/Kirchmayr, KStG § 7 Rz 158 f; Marschner/ Renner, GES 2013, 471 f; Brugger, SWK 2013, 614; nach W/S/S/K § 7 Anm 26 ist wirtschaftliches Eigentum „denkbar“; Mair, RdW 2012, 626; Riedler, VWT 2013, 94; Zorn, GES 2014, 316; Schaunig, taxlex 2014, 308; Schaunig, taxlex 2014, 377 und 380; Raab/Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 971; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 17, 82 und 182; Hayden/Thorbauer, PSR 2019, 154; Canbay/J. Knesl/P. Knesl, PSR 2019, 198 f; Heinrich in Lachmayer/ Strimitzer/Vock, KStG33 § 7 Rz 208.
20 VwGH 16. 5. 2007, 2005/14/0083; 23. 2. 2010, 2007/15/0003; 19. 3. 2013, 2009/15/0215 und 0216; 25. 4. 2013, 2010/15/0139; 29. 1. 2014, 2013/13/0111.
21 So VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; Bruckner, ÖStZ 2003, 114; Ehrke-Rabel/Kofler, ÖStZ 2009, 461; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 17; Bodis, SWK 2021, 571; Lachmayr, SWK 2021, 128; Zorn, ÖStZ 2021, 71 f; Kampitsch, immo aktuell 2021, 19; krit Kirchmayr in Brandl/Karollus/ Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 227.
22 UFS Linz 11. 7. 2003, RV/0603-L/02; BMF 5. 12. 2008, BMF-010216/ 0155-VI/6/2008 Punkt 2.4; König, RdW 2002, 313 f; Pernegger, ÖStZ 2002, 89; Bruckner, ÖStZ 2003, 114; Urtz, GES 2007, 391 und 397 f mit Verweis auf VwGH 20. 6. 2000, 98/15/0169 und 98/15/0170, 26. 3. 2007, 2005/14/0091 und 16. 5. 2007, 2005/14/0083; Ehrke-Rabel/Kofler, ÖStZ 2009, 461; Kofler in FS H. Kofler 119; Aigner/Kofler/Moshammer/Tumpel, SWK 2013, 1225; Schaunig, taxlex 2014, 306; Raab/Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 958; Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 135, 144, 153, 160 und 163; Kirchmayr in Achatz/Kirchmayr, KStG § 8 Tz 327 und 358; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 17; Kirchmayr in Brandl/Karollus/Kirchmayr/ Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 224; Prodinger, taxlex 2019, 203; Lachmayr, SWK 2021, 128; Ressler/Rohm in Kofler/Lang/Rust/ Schuch/Spies/Staringer, KStG3 § 8 Rz 144; Kampitsch, immo aktuell 2021, 19; Zorn, ÖStZ 2021, 73 FN 50; Kumer/Behrendt-Krüglstein in Haunold/ Kovar/Schuch/Wahrlich, Immobilienbesteuerung5 108; aA Doralt, RdW 2002, 126 f.
Das Unterbleiben einer Hinzurechnung im außerbetrieblichen Bereich entspricht jedoch nicht dem historischen Willen den Gesetzgebers im Jahr 1993.23 Während die Finanzverwaltung diese Ansicht bei Kapitalgesellschaften erst seit 2021 vertritt,24 wurde dies bei Privatstiftungen seit Jahrzehnten postuliert.25
Die Finanzverwaltung vertrat zudem lange Zeit, dass die Zuordnung einer Luxusimmobilie zum außerbetrieblichen Bereich stets zur (vollen) verdeckten Ausschüttung der Anschaffungskosten an den Gesellschafter führen muss.26
Nach dem Salzburger Steuerdialog 2010 sollte das wirtschaftliche Eigentum an einer Villa im Gegensatz zum Salzburger Steuerdialog 2008 (zur vergleichbaren außerbetrieblichen Sphäre bei Kapitalgesellschaften) dem Stifter oder der Privatstiftung nach allgemeinen Zurechnungskriterien ermittelt werden.27 Irrelevant war nach dem Salzburger Steuerdialog 2010 für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an einer Villa insb, ob die Villa ausschließlich auf die Bedürfnisse des Stifters zugeschnitten ist oder ob es sich um Luxuswirtschaftsgüter handelt.28 Zudem änderte die österreichische Finanzverwaltung ihre Sichtweise gegenüber den StiftR 2009 (siehe zuvor) ab,29 wonach bei „Fehlen eines Mietenmarktes“ im Rahmen der Bewertung ausschließlich auf die Summe von angemessener Verzinsung des investierten Kapitals und AfA (im Sinne einer vereinfachten Renditeberechnung) für eine (verdeckte) Zuwendung abgestellt werden soll.30
Unklarer wurde die Abgrenzung zwischen Ausschüttung an der Wurzel einerseits und fremdunüblicher nachträglicher Vermietung andererseits auf Ebene des Gesellschafters bzw Stifters/Begünstigten wiederum im Jahr 2013: Die österreichische Finanzverwaltung legte die VwGH-Rechtsprechung zur außerbetrieblichen Sphäre einer Kapitalgesellschaft in den unverbindlichen KStR 2013 Rz 637 f (seit der Stammfassung vom 13. 3. 2013) neu aus. Demnach liege das wirtschaftliche Eigentum beim Anteilsinhaber (und nicht mehr bei der Körperschaft), wenn es zum Überschreiten der Renditemiete über die (fremdübliche) Marktmiete kommt.31 In diesen Fällen wurde vom BMF
23 ErläutRV 1132 BlgNR 18. GP 40; Doralt, RdW 2002, 126; abweichend König, RdW 2002, 313 f, wonach die Gesetzesmaterialien „unpräzise“ sind und „Verwirrung stiften“.
24 Siehe KStR 2013 Rz 638 idF vor Wartungserlass 2019; dazu Haubeneder, BBi 2022 H 2, 3 f.
25 StiftR 2001 Rz 81; BMF 5. 12. 2008, BMF-010216/0155-VI/6/2008 Punkt 2.9; StiftR 2009 Rz 86; dazu etwa Lechner in FS H. Kofler 585; krit Doralt, RdW 2002, 126 f.
26 BMF 5. 12. 2008, BMF-010216/0155-VI/6/2008 Punkt 2.4; vgl auch Wiesner, RWZ 2007, 130; Marschner/Renner, GES 2013, 469; Mayr, RdW 2013, 303 f; Renner, PSR 2019, 193; aA Pröll, ÖStZ 2009, 293; ebenso Ehrke-Rabel/ Kofler, ÖStZ 2009, 461; Kofler in FS H. Kofler 120 ff; abweichend etwa Pröll, UFS-Journal 2009, 316 ff
27 BMF 22. 10. 2010, BMF-010216/0071-VI/6/2010 (Alternativer Fall 2).
28 BMF 22. 10. 2010, BMF-010216/0071-VI/6/2010 (Alternativer Fall 2).
29 BMF 22. 10. 2010, BMF-010216/0071-VI/6/2010.
30 Marschner, Optimierung der Familienstiftung4 Rz 1308.
31 Dazu etwa Mayr, RdW 2013, 304; Bodis/Lachmayr, ÖStZ 2013, 228; aA etwa UFS 29. 5. 2013, RV/0541-S/11 und RV/0481-S/12; BFG 5. 8. 2016, RV/7102731/2013; ebenso Brugger, SWK 2013, 614; Aigner/Kofler/ Moshammer/Tumpel, SWK 2013, 1226 ff; Marschner/Renner, GES 2013, 469 ff; Marschner, BFGjournal 2014, 367; Schaunig, taxlex 2014, 415 ff;
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grds eine Ausschüttung „an der Wurzel“ vertreten, die in Form einer KESt-pflichtigen, verdeckten Ausschüttung der gesamten Anschaffungs- und Herstellungskosten auch auf Ebene des Anteilsinhabers vollzogen wurde: Die außerbetriebliche Sphäre einer Kapitalgesellschaft wurde damit entgegen der VwGHRechtsprechung dem wirtschaftlichen Eigentum des Anteilsinhabers gleichgesetzt (kein Entweder-Oder-Prinzip).32 Nach Ansicht der Finanzverwaltung entschied zudem – entgegen den allgemeinen Grundsätzen – einzig die Höhe der Renditemiete über die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an einer Immobilie. Schließlich sollte bei der abstrakten Renditemiete-Berechnung, soweit möglich, auf die Rendite von Objekten vergleichbarer Größe und Lage abgestellt werden33 (dh Renditen exklusiver Luxusimmobilien anstelle von Vorsorgewohnungsprojekten).34
Für die Praxis schien bis zur Klarstellung durch den VwGH weiters fraglich, auf welche Weise eine fremdübliche Renditemiete zu errechnen war. Vertreter der Finanzverwaltung35 vertraten zunächst die Notwendigkeit der Durchführung eines „umgekehrten Ertragswertverfahrens“ und lehnten pauschale „Praktikermethoden“ ab. Um die angemessene Miete für eine Liegenschaft zu ermitteln, sollte das übliche Ertragswertverfahren zur Liegenschaftsbewertung umgekehrt werden, indem nicht der Immobilienwert aus den Erträgen (Mietzins), sondern der Mietzins aus dem Wert der Immobilie abgeleitet wird: Hierfür wird zwischen Bodenwert und Gebäudeanteil differenziert und ein Jahresreinertrag durch einen rechnerischen Vervielfältiger sowie eine Bodenwertverzinsung ermittelt.36 Diese Verzinsung wird um gewisse unterstellte Wagnisse und Kosten prozentuell erhöht.37 Ab dem Jahr 2016 präzisierte der VwGH38 seine Judikatur, indem er Kriterien für die steuerliche Anerkennung von Vermietungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter (einschließlich Privatstiftungen) erarbeitete:
1. Prüfschritt: Bei der fremdüblichen Miete sei primär auf einen funktionierenden Mietenmarkt abzustellen. Ein Nachweis, dass Objekte tatsächlich nachgefragt und in weiterer Folge (gewinnbringend) vermietet worden sind,39
Patloch/Petrikovic, SWK 2016, 1351 ff; Prodinger, SWK 2017, 1476; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 154 ff und 184; Prodinger, taxlex 2019, 200; Wilplinger/Teuschler, ecolex 2019, 627.
32 KStR 2013 Rz 638 idF vor Wartungserlass 2019; krit etwa Marschner/ Renner, GES 2013, 471 f; Schaunig, taxlex 2014, 417 f.
33 KStR 2013 Rz 637 idF vor Wartungserlass 2019; Mayr, RdW 2013, 304.
34 Mayr, RdW 2013, 304 f.
35 Pröll, UFS 2004, 191; Pröll, UFS-Journal 2009, 318 ff; Pröll/Baumgartner/ Brückner, SWK 2014, 834; Pröll, SWK 2014, 1215 ff; Pröll, BFGjournal 2015, 262 f; Pröll, ÖStZ 2015, 232 ff; Pröll, ÖStZ 2015, 253.
36 Etwa Stangl, SWK 2014, 514 ff; Pröll, BFGjournal 2015, 264.
37 Stangl, SWK 2014, 514 ff
38 Vgl etwa VwGH 15. 9. 2016, 2013/15/0256; 29. 6. 2016, 2013/15/0301; 18. 10. 2017, Ra 2016/13/0050; 22. 3. 2018, Ra 2017/15/0047; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004 zur USt; ebenso VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067 zur USt.
39 VwGH 22. 3. 2018, Ra 2017/15/0047; so auch Pröll, SWK 2016, 509 f; Pröll, BFGjournal 2018, 191 (und 194) mit Verweis auf ua Seiser/Kainz, Der Wert von Immobilien 369, Funk/Hubner/Stocker in Bienert/Funk, Immobilienbewertung Österreich 180, Kothbauer in Kothbauer/Reithofer, Liegenschaftsbewertungsgesetz § 4, 90 f.
ist dem Abgabepflichtigen allerdings praktisch nicht möglich: Schließlich sind lediglich Informationen zu unverbindlichen Angeboten frei verfügbar und der Inhalt abgeschlossener Mietverträge vergleichbarer Luxusimmobilien samt den daraus erzielten Mietgewinnen nicht öffentlich bekannt.40 Darüber hinaus wird es wohl einer größeren Anzahl an konkreten Vergleichspreisen bedürfen: Bei der ähnlichen Kaufpreisbewertung mittels Vergleichswertverfahren werden ca sieben bis acht geeignete Vergleichsobjekte verlangt.41
2. Prüfschritt: Bei Fehlen eines funktionierenden Mietenmarktes habe eine abstrakte Renditemiete-Berechnung zu erfolgen, wobei „im Allgemeinen ein Renditezinssatz in der Bandbreite von 3 bis 5 % (idR in Abhängigkeit von den Marktverhältnissen beim Beginn der Vermietung) erzielt werden kann“.42 Hinsichtlich der Ermittlung der Renditemiete folgt der VwGH demnach einer pauschalen Ermittlung („Praktikermethode“) und gerade keinem (umgekehrten) Ertragswertverfahren 43 Aus der Wortfolge im Allgemeinen ergibt sich, dass dieser Zinssatz – abstellend auf einen Einzelfallvergleich –ausnahmsweise sowohl geringer als auch höher ausfallen kann.44
Als Ermittlungsmethode für den Liegenschaftszinssatz akzeptierten VwGH45 und BFG46 auch den Ansatz eines Mittelwerts aus adaptiertem Kapitalmarkt- und Liegenschaftszinssatz in Anlehnung an Kranewitter
Eine sofortige Ausschüttung in Höhe des verlorenen Bauaufwands, wie sie in der Literatur teilweise bis dahin vertreten wurde (siehe zuvor), lehnte der VwGH schließlich ausdrücklich ab.47
Die skizzierten Bewertungsgrundsätze sollen nach dem VwGH ohne Differenzierung für die Ebene der Körperschaft (§ 8 Abs 2 KStG) bzw Gesellschafter und Stifter/Begünstigten einer Privatstiftung (fiktive Anschaffungskosten gem § 15 Abs 3 Z 2 EStG) gel-
40 Vgl auch das Vorbringen des Beschwerdeführers in BFG 4. 5. 2017, RV/6100603/2016 iVm VwGH 22. 3. 2018, Ra 2017/15/0047; ebenso Prodinger, SWK 2017, 1473 f; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 72; Kampitsch, immo aktuell 2021, 18; Schaunig, taxlex 2020, 161 f; vgl auch Pröll, SWK 2016, 509 ff. 41 Funk/Hubner/Stocker in Bienert/Funk, Immobilienbewertung Österreich 178, zu Kaufpreisbewertung mittels Vergleichswertverfahren; in diese Richtung auch Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 71, zur Ermittlung der Miethöhe mittels Vergleichswertverfahren.
42 Etwa VwGH 15. 9. 2016, 2013/15/0256; 22. 3. 2018, Ra 2017/15/0047-3; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; ebenso VwGH 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026; vgl auch BFG 4. 5. 2017, RV/6100603/2016
43 VwGH 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026; zuvor bereits Hayden, PSR 2016, 216 f; Mayr/Hayden in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG19 § 15 Rz 165; zust Marschner, Optimierung der Familienstiftung4 Rz 1309; ebenso Ebner/ Marschner, Jakom 202215 § 15 Rz 69; Wilplinger/Teuschler, ecolex 2019, 627; offengelassen Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 49 und 70.
44 Leyrer/Luka, SWK 2019, 100 f; Wilplinger/Teuschler, ecolex 2019, 629; Canbay/J. Knesl/P. Knesl, PSR 2019, 198.
45 VwGH 22. 3. 2018, Ra 2017/15/0047; 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026.
46 BFG 4. 5. 2017, RV/6100603/2016; dazu ausf Leyrer/Luka, SWK 2019, 101 ff; ebenso Marschner, ZFS 2017, 86 f.
47 VwGH 15. 9. 2016, 2013/15/0256; dazu Hayden, PSR 2016, 217.
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ten.48 Unklar ist bis heute, inwieweit dies auch für die Bewertung von verdeckten Ausschüttungen an Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft (üblicher Endpreis am Abgabeort gem § 15 Abs 2 Z 1 EStG) gelten soll.
Die österreichische Finanzverwaltung ergänzte in Anlehnung an diese VwGH-Rechtsprechung ihre bisherige Ansicht zunächst mittels einer unverbindlichen BMF-Information vom 17. 4. 2019:49 Eine verdeckte Ausschüttung bis zur Höhe einer fiktiven Renditemiete werde angenommen, wenn kein funktionierender Mietenmarkt vorliegt. Für die konkrete Ermittlung der Renditemiete einschließlich der Herleitung eines Liegenschaftszinssatzes werde auf die Renditeerwartung eines marktüblich agierenden Immobilieninvestors abgestellt; maßgeblich sei jene Rendite, die üblicherweise aus dem eingesetzten Kapital durch Vermietung erzielt wird.50 Nur ausnahmsweise komme eine Zuordnung zur außerbetrieblichen Sphäre der Körperschaft in Betracht: nämlich wenn diese schon ihrer Erscheinung nach offensichtlich für die private Nutzung durch den Gesellschafter bestimmt ist (wie insb bei besonders repräsentativen und luxuriösen Gebäuden, die speziell auf die Wohnbedürfnisse des Gesellschafters abstellen). Bei Zugehörigkeit zur außerbetrieblichen Sphäre liege im Körperschaftsteuerrecht automatisch eine nichtunternehmerische Vermietung in der Umsatzsteuer vor. Ein Wechsel des wirtschaftlichen Eigentümers von der Körperschaft zum Anteilsinhaber wird seitens der Finanzverwaltung bei Unterschreiten der Renditemiete jedoch nicht mehr behauptet.
Diese BMF-Information widerspricht jedoch den unveränderten StiftR 2009 sowie dem Ergebnis des Salzburger Steuerdialogs 2010 (siehe oben). Die KStR 2013 und die UStR 2000 wurden hingegen (jeweils am 28. 11. 2019) an die BMF-Information vom 17. 4. 2019 angepasst.51
Am 15. 7. 2019 erschien die neue ÖNORM B 1802-1 zur Liegenschaftsbewertung nach dem LBG, die keine Ableitung des Liegenschaftszinses aus einem Kapitalmarktzins mehr enthält. Nach Vertretern der Finanzverwaltung handelt es sich bei dem von BFG und VwGH in der Vergangenheit akzeptierten Verfahren zur Herleitung eines adaptierten Kapitalmarktzinssatzes für einen Liegenschaftszinssatz um „willkürliche Kaffeesatzleserei“, die bestenfalls zufällig auf den Liegenschaftszinssatz führt.52 Begründet wurde diese Sichtweise ua damit, dass sich der Gesamt-
48 VwGH 15. 9. 2016, 2013/15/0256 zu § 15 Abs 3 Z 2 EStG; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067 zu § 8 Abs 2 KStG; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004 zu § 8 Abs 2 KStG; 20. 10. 2021, Ra 2019/13/0041 zu § 8 Abs 2 KStG; 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026 zu § 8 Abs 2 KStG.
49 BMF-Info 17. 4. 2019, BMF-010216/0002-IV/6/2019; dazu etwa PatlochKofler/Petrikovic, immo aktuell 2019, 102 ff; Prodinger, taxlex 2019, 201 ff
50 BMF-Info 17. 4. 2019, BMF-010216/0002-IV/6/2019 Punkt 2.
51 KStR 2013 Rz 637 f idF Wartungserlass 2019.
52 Vgl bereits Pröll, UFS 2004, 462; Pröll, ÖStZ 2015, 235; Pröll, SWK 2019, 1324 f; ebenso Pröll, BFGjournal 2019, 480, mit Verweis auf ua Engelbrecht, Grundsätze und Technik ordnungsgemäßer Immobilienbewertung 133, Seiser/Kainz, Der Wert von Immobilien 640; Pröll, immo aktuell 2020, 148; zust Prodinger/Ziller, Immobilienbewertung im Steuerrecht4 70 f; aA zuvor Pröll/Baumgartner/Brückner, SWK 2014, 837, zur Ermittlung eines Mobiliarzuschlags; ebenso Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 64.
profit einer Immobilieninvestition aus einem Teil „Ausschüttung“ und einem Teil „Wertsteigerung“ zusammensetzt, während die Rendite der Kapitalanlage bei Ermittlung eines Kapitalmarktzinses ausschließlich die Ausschüttung berücksichtigt.53 Die Herleitung eines Liegenschaftszinssatzes soll stattdessen nach dem aktuellen Stand der Immobilienbewertungswissenschaft erfolgen: Der Liegenschaftszinssatz berechnet sich demnach auf Basis geeigneter Verkaufspreise und der ihnen entsprechenden Reinerträge (periodische Bewirtschaftungserträge abzüglich Bewirtschaftungsaufwendungen) für gleichartig bebaute und genutzte Liegenschaften unter Beachtung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer sowie aus dem Bodenwertanteil, wiederum durch Umkehrung des Ertragswertverfahrens.54
An das ertragsteuerliche Prüfschema anknüpfend, hat der VwGH für die Umsatzsteuer am 7. 12. 2020 sein dreistufiges Prüfschema zusammengefasst, wonach
(i) eine bloße „Gebrauchsüberlassung“ bei fehlender unternehmerischer Betätigung oder
(ii) bei unternehmerischer Betätigung
a. bei jederzeit betrieblich einsetzbaren Gebäuden und nicht überwiegend (50 %) fremdüblicher Miete eine laufende verdeckte Ausschüttung mit Ausschluss des Vorsteuerabzugs gem § 12 Abs 2 Z 2 lit a UStG,
b. bei besonders repräsentativen Gebäuden und Nichterreichung einer nahezu (und nicht bloß überwiegend) fremdüblichen Miete eine Ausschüttung „an der Wurzel“ mit Ausschluss des Vorsteuerabzugs gem § 12 Abs 2 Z 2 lit a UStG vorliegen kann.55
Die besondere Repräsentanz einer Luxusimmobilie leite sich laut VwGH ua aus der geografischen Lage sowie dem rechnerischen Verhältnis der tatsächlichen Baukosten zu den üblichen Baukosten ab.56 Ab welchem prozentualen Überschreiten eine besondere Repräsentanz einer (Luxus-)Immobilie gegeben sein soll, ist wiederum offengelassen worden.
Bei jederzeit betrieblich einsetzbaren Gebäuden und überwiegend (50 %) fremdüblicher Miete stehe hingegen ein Vorsteuerabzug zu, wobei die Miete (ab 2016) auf die Renditemiete als Normalwert iSd § 4 Abs 9 UStG anzuheben sei.57 Die Anwendung des Normalwerts müsste uE auch sinngemäß bei besonders repräsentativen Gebäuden und nahezu fremdüblicher Miete gelten. Bezüglich der Ermittlung der Fremdüblichkeit wird auf
53 Pröll, UFS 2004, 462.
54 Pröll, immo aktuell 2020, 149; ebenso Pröll, SWK 2019, 1325.
55 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; vgl zuvor etwa VwGH 10. 2. 2016, 2013/15/0284 und Ra 2015/15/0013; ebenso VwGH 3. 9. 2019, Ra 2018/15/0118; 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026; vgl dazu auch Zorn, ÖStZ 2021, 69 ff; Zorn, RdW 2021, 58; Fuchs, ÖStZ 2021, 262 f; Bodis, SWK 2021, 571 ff; Prodinger, SWK 2021, 729 ff; M. Mayr, SWK 2021, 625; Lachmayr, SWK 2021, 119 ff; Beiser, ÖStZ 2021, 285 f; Kampitsch, immo aktuell 2021, 13 ff
56 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; Lachmayr, SWK 2021, 123; zu den Errichtungskosten vgl ausf Pröll/Baumgartner, BFGjournal 2021, 281 ff; ebenso Pröll/Baumgartner, SWK 2021, 1207 ff; Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 57 f und 153.
57 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; Fuchs, ÖStZ 2021, 263; M. Mayr, SWK 2021, 625; Bodis, SWK 2021, 572.
rdw.lexisnexis.at 68 RdW 1/2023 STEUERRECHT ART.-NR.: 60
das ertragsteuerliche Konzept des VwGH verwiesen,58 wobei hinsichtlich des Vergleichsobjekts wiederum eine neue Ergänzung normiert wird: „Maßgeblich ist demnach jener Renditesatz, der sich bei Veranlagung des Gesamtbetrages der Anschaffungs- und Herstellungskosten in ‚gut rentierliche‘ Immobilien (also in Immobilien von jener Art, die eine hohe Rendite erwarten lassen) ergibt [...]“.59 Laut VwGH muss die tatsächlich erzielte Miete jene Höhe erreichen, die erfahrungsgemäß gute Renditen erwarten lässt (zB kleinere Wohnungen im urbanen Bereich).60
Im Mai 2021 wurde in der Literatur vorgeschlagen, die Vermietung von Luxusimmobilien an Gesellschafter von Kapitalgesellschaften über das gesellschaftsrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr und der daraus resultierenden ertrag- und umsatzsteuerlichen Konsequenzen de lege lata konsistent zu lösen:61 Demnach wäre stets ein angemessenes Mietentgelt für die Überlassung einer Immobilie an den Gesellschafter zu Wohnzwecken geschuldet, das ertragsteuerlich als Betriebseinnahme zu qualifizieren sei und umsatzsteuerpflichtig wäre.62 Einer Differenzierung zwischen verschiedenen Immobilienkategorien (Luxusimmobilien, besonders repräsentative Immobilien oder „gewöhnliche“ Immobilien) einschließlich der Annahme einer außerbetrieblichen Sphäre/Ausschüttung an der Wurzel auf Ebene der Kapitalgesellschaft bedürfe es nach dieser Ansicht nicht.63 Inwieweit dieser theoretische Ansatz auch für Vermietungen von Privatstiftungen gelten soll, wurde wohl aufgrund des (möglicherweise) abweichend geregelten Verbots der Einlagenrückgewähr in § 17 PSG (bewusst) ausgespart.64
Am 20. 10. 2021 konkretisierte der VwGH seine Rechtsprechung zur Renditemiete in KöSt und USt weiter, wonach es bei einer Ausschüttung an der Wurzel und damit der Zuordnung der Luxusimmobilie zur außerbetrieblichen Sphäre in der KöSt bzw Vorsteuerausschluss in der USt auf das Vorliegen eines (vergleichbaren) Mietenmarktes nicht ankomme; es bedürfe jedoch Feststellungen zur Fremdüblichkeit der Miete.65 Zuvor wurde das Nichtvorliegen eines Mietenmarktes als Teil der Fremdvergleichsprüfung in der Literatur gerade als Voraussetzung für die Zuordnung zur außerbetrieblichen Sphäre angesehen.66
58 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067.
59 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; ebenso VwGH 20. 10. 2021, Ra 2019/13/0041; Zorn, ÖStZ 2021, 70; Zorn, RdW 2021, 58; Prodinger, SWK 2021, 731; Lachmayr, SWK 2021, 124; Bodis, SWK 2021, 572.
60 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; 20. 10. 2021, Ra 2019/13/0041; 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026; Zorn, ÖStZ 2021, 71; Zorn, RdW 2021, 58; Lachmayr, SWK 2021, 124; vgl zuvor bereits Raab/ Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 1095 und 1100, wonach die Renditen etwa von Kleinwohnungen, Garconnieren und Studentenwohnungen relevant sein sollen; ebenso Renner, PSR 2019, 192; zu Recht krit Prodinger, SWK 2021, 731 ff; ebenso Kirchmayr in Brandl/ Karollus/Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3
228 f.
61 Beiser, ÖStZ 2021, 285 ff; siehe zuvor bereits Beiser, SWK 2009, 906 f.
62 Beiser, ÖStZ 2021, 287 ff
63 Beiser, ÖStZ 2021, 288; abweichend Beiser, SWK 2009, 908.
64 Siehe jedoch zuvor Beiser, SWK 2009, 911 f.
65 Ausdr VwGH 20. 10. 2021, Ra 2019/13/0041.
66 Raab/Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 1102.
Am 8. 9. 2022 stellte der VwGH schließlich fest, dass ein funktionierender Mietenmarkt nur vorliege, wenn der Nachweis erbracht ist, dass das konkrete Wohnobjekt der Körperschaft Mietrenditen erbringt, wie sie bei gut rentierlichen Immobilien erzielbar sind (dh 3–5 % der Anschaffungs-/Herstellungskosten).67 Im Ergebnis ist daher der bislang postulierte 1. Prüfschritt (Prüfung eines funktionierenden Mietenmarktes – siehe zuvor) praktisch nicht mehr relevant, weil es nur noch auf die Erreichung einer fiktiven Renditemiete (2. Prüfschritt – siehe zuvor) ankommen soll. Nach dem jüngsten VwGH-Erkenntnis zu einer Privatstiftung müsse die fiktive Renditemiete zudem nicht bloß anhand des tatsächlich investierten Kapitals der Körperschaft, sondern unter zusätzlicher Berücksichtigung von unentgeltlich erhaltenem, nachgestifteten Grund und Boden berechnet werden.68 Schließlich akzeptierte der VwGH die Bemessung des Liegenschaftszinssatzes mithilfe der Ableitung des Liegenschaftszinses aus einem Kapitalmarktzins (siehe dazu zuvor).69
3. Persönliche Stellungnahme
Ad Ausschüttung an der Wurzel: Die Notwendigkeit der Schaffung eines eigenständigen Instituts der Ausschüttung an der Wurzel (außerbetriebliche Sphäre) bei besonders repräsentativen Gebäuden auf Ebene einer Kapitalgesellschaft durch den VwGH bleibt zu hinterfragen. Ein vergleichbares, ertragsteuerliches und umsatzsteuerliches Ergebnis hätte auch mit der bekannten Liebhabereiprüfung auf Ebene der Kapitalgesellschaft erzielt werden können:70 Schließlich ist nach dem VwGH bei Liebhaberei im betrieblichen Bereich und damit bei Fehlen der betrieblichen Einkunftsquelleneigenschaft auch das dieser Betätigung zuzurechnende Vermögen nicht als Betriebsvermögen zu qualifizieren.71 Da primär die Höhe einer fehlenden oder zu gering gezahlten Miete und damit das Wirtschaftlichkeitsprinzip im Mittelpunkt der Diskussion steht, wäre die konkrete Prognoserechnung im Zusammenhang mit der Liebhaberei für die Zuordnung zu einer außerbetrieblichen Sphäre einer Körperschaft uE als Vorfrage zu klären: Schließlich kann eine Liebhaberei-Betätigung einer Körperschaft mangels körperschaftsteuerpflichtiger Einkünfte zu keiner subsidiären Einkommensminderung anlässlich einer verdeckten Ausschüttung führen.72 Ebenfalls lässt ein besonders repräsentatives Gebäude keinesfalls den zwingenden Schluss einer privaten Nutzung zu (Abgrenzung von Betriebsvermögen und notwendigem
67 VwGH 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026; in diese Richtung zuvor bereits Kampitsch, Immo aktuell 2021, 18.
68 VwGH 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026.
69 VwGH 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026.
70 Vgl allg auch Bauer/Quantschnigg et al, KStG § 7 Rz 41; Wiesner, RWZ 2007, 131; Pröll, ÖStZ 2009, 289; Marschner/Renner, GES 2013, 473; aA VwGH 24. 6. 2004, 2001/15/0002; ebenso LRL 2012 Rz 135; Raab/Renner in Lachmayer/Strimitzer/Vock, KStG32 § 8 Rz 1127.
71 VwGH 24. 9. 1996, 93/13/0166; LRL 2012 Rz 2; vgl auch Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 70 ff; Kofler in FS H. Kofler 110 f.
72 Stoll, Verluste und Verlustquellen im Steuerrecht 21 ff; aA VwGH 24. 6. 2004, 2001/15/0002; im Ergebnis ebenso LRL 2012 Rz 135; Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 75 f und 122.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 69 STEUERRECHT
ART.-NR.: 60
Privatvermögen auf Gesellschaftsebene), weswegen auch aus dieser Erwägung heraus das Rekurrieren auf Liebhaberei in den Entscheidungsbegründungen uE vorzuziehen wäre.
Durch das Institut der (verdeckten) Ausschüttung sowie Liebhaberei bestanden daher bereits bisher ausreichend Korrekturmechanismen auf Gesellschafts- sowie Gesellschafterebene, ohne dass es der Kreation einer „Ausschüttung an der Wurzel“ bei Luxusimmobilien bedurft hätte.
Ad funktionierender Mietenmarkt: Die Verneinung eines (Mieten-)Marktes für Luxusimmobilien bei gleichzeitigem Ansatz von Betriebseinnahmen auf Ebene einer Körperschaft außerhalb ihrer außerbetrieblichen Sphäre steht zunächst im Widerspruch zur allgemeinen Einkünftezurechnungslehre (Markteinkommenstheorie) von Ruppe:73 Demnach ist nur eine entgeltliche Leistung „am Markt“ im Sinne einer Ausnutzung der Marktchancen überhaupt den steuerbaren Einkünften zuzurechnen.74 Bei Fehlen eines funktionierenden Mietenmarktes dürften entgegen der hM daher keine Betriebseinnahmen auf Ebene der Körperschaft mit einer Luxusimmobilie in der betrieblichen Sphäre angesetzt werden. Bei Nutzungszuwendungen ohne alternative entgeltliche Verwertungsmöglichkeit am Markt stünde dem uE – entgegen der hM75 – auch § 8 Abs 2 KStG nicht zwingend entgegen, weil es sich beim Ansatz einer derart erhöhten, „fremdüblichen“ Miete auf Ebene der Körperschaft nicht um eine Einkommensverwendung iSd § 8 Abs 2 KStG ieS handelt, sondern um eine bloße fiktiv zusätzliche, bislang nicht realisierte Einkommenserhöhung nur aufgrund der Zugehörigkeit zur betrieblichen Sphäre der Körperschaft. Festzuhalten ist zudem, dass auch Privatstiftungen ihre Mieteinkünfte aus Immobilien in der außerbetrieblichen Sphäre grds der KöSt unterwerfen müssen und daher eine Differenzierung zwischen betrieblicher und außerbetrieblicher Sphäre für die Versteuerung der durch das Renditemietekonzept korrigierten Mieteinkünfte aus einer Luxusimmobilie fragwürdig erscheint:76 Eine Rechtfertigung für die Differenzierung zwischen Kapitalgesellschaften und Privatstiftungen ist einzig im fehlenden Zufluss derartiger fiktiver Mieterträge bei der Privatstiftung zu finden, während das Zuflussprinzip für Kapitalgesellschaften keine Anwendung findet. Auch in diesem Zusammenhang wäre jedoch die vergleichbare Lösung über das Rekurrieren auf Liebhaberei uE sachgerechter.
Die Ablehnung von Angebotspreisen und das Abstellen auf tatsächliche Marktpreise (analog zu § 4 Abs 1 LBG) wird ua mit der tatsächlichen Verhandlungsspanne auf Immobilienmärkten, die idR zwischen 10 und 20 % liegt, begründet.77 Festzuhalten ist
73 Zur Anwendbarkeit der Markteinkommenstheorie auf Körperschaften siehe etwa allg Bodis, Einkünftezurechnung bei zwischengeschalteten Kapitalgesellschaften (2011) 103 ff; ausf Stieber in Macho/Schwaiger/ Stieber, Steueroasen im Visier (2015) 71 ff mwN; Fellinger/Rohn in Urnik/ Urtz/Hirschler/Fellinger, Handbuch Körperschaften (2022) Rz 2.4 mwN; abw etwa Tanzer, GesRZ 1999, 211 ff; ebenso Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften 37 f.
74 Etwa Ruppe in Tipke, Übertragung von Einkunftsquellen2 (1979) 16.
75 Etwa Achatz/Bieber in Achatz/Kirchmayr, KStG § 7 Rz 158.
76 Vgl auch Doralt, RdW 2002, 126 f.
77 Etwa Funk/Hubner/Stocker in Bienert/Funk, Immobilienbewertung Österreich 180; Pröll, SWK 2016, 510; vgl allg auch Seiser/Kainz, Der Wert von Immobilien 369.
allerdings, dass auch das subsidiäre Renditemiete-Konzept des VwGH (im Allgemeinen ein Renditezinssatz in der Bandbreite von 3 bis 5 % des investierten Kapitals) keine exakte Ermittlung gewährleistet.
Weiters besteht uE für (beinahe) jede Immobilienvermietung wohl ein (unterschiedlicher regionaler oder überregionaler) Markt, dessen praktischer Nachweis jedoch nicht durch die Nichtakzeptanz von (bloßen) Angebotspreisen ausgeschlossen werden kann. Schließlich ist Hintergrund der Nichtakzeptanz bei der Liegenschaftsbewertung gem § 4 Abs 1 LBG, dass tatsächliche Immobilienkaufpreise durch das Grundbuch für jedermann leicht abrufbar sind.78 Eine vergleichbare öffentlich zugängliche Datenbank für Miethöhen existiert jedoch nicht.79
Schließlich ist uE die Höhe der fremdüblichen Miete zwischen nahen Angehörigen grds durch die Finanzverwaltung sowie das BFG in freier Beweiswürdigung zu ermitteln; sie stellt eine vor dem VwGH nicht revisible Tatsachenfrage dar (ausführlich in Teil II).80 Das Vorliegen eines Mietenmarktes und dessen konkrete Nachweisbarkeit sollte daher der Prüfung im Einzelfall durch die Finanzverwaltung und das BFG vorbehalten bleiben.
Ad fiktive Renditemiete (Pauschalwertmodell) aus Sicht des Gesellschafters bzw Stifters/Begünstigten: Es handelt sich um eine Fiktion einer Renditeerwartung des anbietenden Immobilieneigentümers, die nicht dem zugeflossenen Vorteil beim tatsächlich mietenden Gesellschafter entsprechen muss.81 Die entsprechende Mietertragserwartung (samt Berücksichtigung der Inflationserwartung etc) ist am Markt aufgrund der Verneinung eines funktionierenden Mietenmarktes als Vorfrage gerade nicht möglich: Die Renditemiete dürfte daher nicht in der gleichen Höhe dem mietenden Gesellschafter zugeflossen sein und damit der KESt in dieser Höhe unterliegen. Vielmehr müsste der Wert der verdeckten Ausschüttung auf Ebene der Körperschaft vom Wert der verdeckten Ausschüttung aus Sicht des mietenden Gesellschafters abweichen,82 was unstrittig der hM83 bei anderen verdeckten Ausschüttungskonstellationen entspricht: Bewertungsmaßstab ist zwingend der mit den um übliche Preisnachlässe verminderte übliche Endpreis des Abgabeortes iSd § 15 Abs 2 Z 1 EStG,84 der mangels ergänzender Rechtsgrundlage nicht etwa um fiktive Renditeerwartungen eines Investors erhöht werden darf. Dies gilt uE auch sinngemäß für verdeckte Zuwendungen an Stifter/Begünstigte, für die § 15 Abs 3 Z 2 EStG als be-
78 Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 71.
79 Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 71.
80 Etwa BFG 12. 3. 2021, RV/7100947/2018 zu einer Vermietung; vgl allg auch VwGH 29. 3. 2017, Ra 2016/15/0048; ebenso VwGH 29. 9. 2022, Ra 2021/15/0115; Fiala, TPI 2021, 114.
81 In diese Richtung auch UFS 29. 5. 2013, RV/0541-S/11 und RV/0481-S/12; ebenso Achatz/Kirchmayr, taxlex 2021, 53.
82 Achatz/Kirchmayr, taxlex 2021, 53.
83 Etwa Wiesner, SWK 1990, A I 368.
84 Marschner, ZFS 2013, 161; vgl allg etwa Mayr/Hayden in Doralt/Kirchmayr/ Mayr/Zorn, EStG19 § 15 Rz 43.
rdw.lexisnexis.at 70 RdW 1/2023 STEUERRECHT ART.-NR.: 60
sondere Bewertungsvorschrift (etwa notwendige Berücksichtigung individueller Verhältnisse) zudem mit zu bedenken ist.85
Ad ÖNORM B 1802-1: Die Herleitung eines Liegenschaftszinssatzes für Luxusimmobilien kann uE nicht anhand entsprechender Reinerträge (periodische Bewirtschaftungserträge abzüglich Bewirtschaftungsaufwendungen) für gleichartig bebaute und genutzte Liegenschaften unter Beachtung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer hergeleitet werden. Diese Forderung der Finanzverwaltung ist in der Praxis für Luxusimmobilien nicht umsetzbar, zumal ein funktionierender Mietenmarkt als Vorfrage und damit mögliche Vergleichswerte für Reinerträge derartiger Immobilien stets verneint werden musste.86 Die teilweise Heranziehung eines adaptierten Kapitalmarktzinssatzes, die auch vom VwGH in der Vergangenheit akzeptiert wurde (siehe zuvor), dürfte daher weiterhin geboten sein.
Ad Nichtmitberücksichtigung von Substanzwertsteigerungen (wirtschaftliche Betrachtungsweise): Die Höhe des Renditemiete-Zinssatzes nach VwGH-Rechtsprechung und Finanzverwaltung widerspricht der Entwicklung der Liegenschaftszinssätze am Immobilienmarkt. Während der VwGH mittlerweile 3–5 % der Anschaffungs-/Herstellungskosten verlangt, sind die Kapitalisierungszinssätze insb für hochwertige Wohnliegenschaften in den letzten 20 Jahren tatsächlich gefallen:
marktüblich agierender Immobilieninvestor nimmt daher stets auch auf die Substanzwertsteigerungen der Immobilie und nicht nur auf den Ertrag durch Mieteinnahmen Bedacht.87 Schließlich verlangt auch der VwGH im Rahmen seines Renditemiete-Konzepts nicht nur das Vorliegen einer „fremdüblichen“ Marktmiete, sondern unterwirft die gesamte Investition einem Fremdvergleich,88 lässt aber im Widerspruch dazu in der Praxis tatsächlich eingetretene, hohe Wertsteigerungen in den Anschaffungs- und Herstellungskosten bei der Höhe des gebotenen Liegenschaftszinssatzes außer Betracht.
Im Allgemeinen würde die wirtschaftliche Betrachtungsweise iSd § 21 Abs 1 BAO uE erfordern, auch Substanzwertsteigerungen mitzuberücksichtigen, weil sich nur in Zusammenschau von Substanzwertsteigerung und laufenden Erträgen die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit der Investitionen zeigt und die Rendite vergleichbarer Investitionen (etwa Wertpapiere, Bankeinlagen etc) in den letzten Jahrzehnten bei Weiten überstiegen haben.
Beispiel: Aktuell sind daher Investitionen in leer stehende Luxusimmobilien durch Kapitalgesellschaften und Privatstiftungen unproblematisch. Will die Körperschaft allerdings ein „Zubrot“ neben den erheblichen Substanzwertsteigerungen der Luxusimmobilie durch laufende Mieteinnahmen erzielen, zieht dies bei Vermietung an nahe Angehörige die gegenständlich behandelte Problematik nach sich. Sogar bei der Vermietung an fremde Dritte könnte der Geschäftsführung der Vorwurf eines gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsverstoßes drohen (ausführlich zur gesellschaftsrechtlichen Beurteilung in Teil II),89 weil das Renditemiete-Konzept des VwGH die notwendig zu erzielende Mietrendite einer Körperschaft im Sinne einer gewinnmaximierenden Vergleichsinvestition vor Augen hat. Schließlich soll eine solche (zu geringe) Mietentgelthöhe gerade nicht einem marktüblich agierenden, nur90 am Mietertrag interessierten Immobilieninvestor und damit einem gewissenhaften, nur auf die wirtschaftlichen Interessen der Körperschaft Bedacht
Quelle: Der Sachverständige Heft 2/2022
Entgegen dem VwGH ist jedoch die Nachfrage von Immobilieninvestoren nach Wohnliegenschaften bisher stetig steigend, weil diese insb die Bodenwertsteigerungen miteinkalkulieren. Ein
85 UFS 29. 5. 2013, RV/0541-S/11 und RV/0481-S/12; siehe dazu auch Marschner, ZFS 2013, 161, wobei sich insb Bewertungsunterschiede bei fehlendem Mietenmarkt nach Marschner ergeben können.
86 In diese Richtung zuvor auch Prodinger, Immobilienvermietung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter 64.
87 Varro, ecolex 2017, 563; ebenso Prodinger, SWK 2017, 1471; PatlochKofler/Petrikovic, immo aktuell 2019, 104; Achatz/Kirchmayr, taxlex 2021, 53; Prodinger, SWK 2021, 732 ff; Kirchmayr in Brandl/Karollus/Kirchmayr/ Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 228 f; Schaunig, taxlex 2020, 161; aA etwa VwGH 15. 9. 2016, 2013/15/0256; 27. 6. 2018, Ra 2017/15/0019 zur USt; ebenso VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067.
88 Ausdr Lachmayr, SWK 2021, 124; ebenso Kirchmayr in Brandl/Karollus/ Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 326 f.
89 Vgl in diese Richtung bereits Varro, ecolex 2017, 564; vgl auch Prodinger, SWK 2017, 1471.
90 So VwGH 15. 9. 2016, 2013/15/0256; 18. 10. 2017, Ra 2016/13/0050; 31. 1. 2018, Ra 2015/15/0006; 22. 3. 2018, Ra 2017/15/0047; 27. 6. 2018, Ra 2017/15/0019; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/67; ebenso Lachmayr, SWK 2021, 125 f; Pröll/Brückner, ÖStZ 2018, 251; Canbay/J. Knesl/P. Knesl, PSR 2019, 200; krit Varro, ecolex 2017, 563; ebenso Prodinger, SWK 2017, 1471; Patloch-Kofler/Petrikovic, immo aktuell 2019, 104; Achatz/Kirchmayr, taxlex 2021, 53; Prodinger, SWK 2021, 732 ff; Kirchmayr in Brandl/Karollus/ Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 228 f; Schaunig, taxlex 2020, 161.
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 71 STEUERRECHT
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Liegenschaftsart Lage hochwertigsehr gutgutmäßig Wohnliegenschaft 0,5–2,0 % 1,0–3,0 %2,0–4,0 %2,5–4,5 % Büroliegenschaft2,0–4,0 %3,0–5,0 %3,5–5,5 %4,0–6,0 % Geschäftsliegenschaft 2,5–4,5 %3,0–5,5 %4,0–6,0 %4,5–6,5 % Einkaufszentrum, Supermarkt 3,0–6,0 %3,5–6,5 %4,0–7,0 %4,5–7,5 % Gewerblich genutzte Liegenschaft 3,5–6,5 %4,0–6,5 %4,5–7,5 %5,5–8,5 % Industrieliegenschaft 3,5–7,5 %4,0–8,0 %5,0–8,5 %5,5–9,5 % Landwirtschaftliche Liegenschaften 1,0–3,0 % Forstwirtschaftliche Liegenschaften 0,5–2,0 %
nehmenden Geschäftsleiter91 entsprechen. Schließlich soll eine solche (zu geringe) Mietentgelthöhe gerade nicht einem marktüblich agierenden, nur am Mietertrag interessierten Immobilieninvestor und damit einem gewissenhaften, nur auf die wirtschaftlichen Interessen der Körperschaft Bedacht nehmenden Geschäftsleiter entsprechen. Der gesellschaftsrechtliche Sorgfaltsmaßstab dürfte jedoch auch bei den eingangs erwähnten lukrativen Investitionen erfüllt sein: Schließlich wird bei Organen von Körperschaften, die die Gesamtrentabilität einer Immobilie aus Substanzwertsteigerung und Mietertrag vor Augen haben, idR kein Sorgfaltsverstoß der investierenden Organwalter vorliegen.
Ein errechneter Liegenschaftszinssatz als Vergleichswert für eine fremdübliche Miete muss daher auch Wertsteigerungs- und Verwertungschancen berücksichtigen und wäre entgegen der stRsp entsprechend zu reduzieren. Schließlich ist einer der (systembildenden) Grundsätze des österreichischen Steuerrechts der Grundsatz der Einheitlichkeit wirtschaftlicher Vorgänge bzw das Gebot der Gesamtbetrachtung wirtschaftlich verbundener Sachverhalte.92 Als differenzierende Lösung könnte nach Aufgabe der sogenannten „Einheitstheorie“ (Behandlung von Grund und Boden und Gebäude als einheitliches steuerliches Wirtschaftsgut) für das UGB als auch für das Ertragsteuerrecht zudem zwischen der Vermietung von Grund und Boden einerseits und Gebäuden93 andererseits als Investitionsobjekt aus Sicht eines marktüblich agierenden Investors differenziert werden.94
91 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004 zur USt; ebenso VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; 20. 10. 2021, Ra 2019/13/0041; 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026; ebenso Zorn, ÖStZ 2021, 71; Lachmayr, SWK 2021, 126; Zorn, RdW 2021, 58.
92 Stoll, Verluste und Verlustquellen im Steuerrecht 227 f, zu vergleichbaren Überlegungen bei der Liebhabereibeurteilung.
93 In Anwendung der zum Spezialleasing entwickelten Grundsätze der Zurechnung zum Leasingnehmer (in diese Richtung etwa UFS 30. 5. 2012, RV/0094–L/12) würde auch das wirtschaftliche Eigentum am Gebäude (nicht Grund und Boden) unmittelbar im Zeitpunkt der Anschaffung/Errichtung diesfalls auf den Gesellschafter bzw Stifter/Begünstigten in krassen Fällen isoliert übergehen, weil der Körperschaft faktisch in derartigen Fällen die Dispositionsbefugnis darüber genommen wird: Schließlich handelt es sich um unrentable Investitionskosten als stranded costs, denn für derartige Gebäude bestehen idR keine Chancen auf Wertsteigerungen mehr und die Wertminderung wurde bereits mit Anschaffung/Errichtung in Kauf genommen. Faktisch begibt sich die Körperschaft daher bereits mit Anschaffung/Errichtung der Möglichkeit von Wertsteigerungen im Veräußerungsfall und eine laufende andere Nutzungsmöglichkeit ist ihr aufgrund der Beschaffenheit des Gebäudes ebenfalls praktisch genommen. Die errichtende/anschaffende Körperschaft begibt sich demnach der wirtschaftlichen Einwirkungsmöglichkeit bei derartigen luxuriösen Gebäuden mangels anderweitiger Nutzung; dem formellen Recht zur Veräußerung oder Belastung bei der Zuordnung von wirtschaftlichem Eigentum an der Luxusimmobilie kommt nur untergeordnete Bedeutung zu (in diese Richtung etwa UFS 30. 5. 2012, RV/0094–L/12, wobei die nahestehenden Mieter ein lebenslängliches, unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht trotz behaupteten Mietvertrags innehatten).
94 Siehe dazu etwa allg ErläutRV zum 1. StabG 2012, 1680 BlgNR 24. GP 7 zum Ertragsteuerrecht; EStR 2000 Rz 6654 zum Ertragsteuerrecht; Reinold, Immobilienertragsteuer und Umgründungen (2017) 7 f; Bertl/ Hirschler, Bilanzsteuerrecht – Frage und Antwort D1 zum UGB und Ertrag-
Beispiel: Seit Jahren werden aufgrund des Städtewachstums Agrarflächen um Städte von Investoren in der Hoffnung auf eine Umwidmung in Bauland teuer gekauft und sehr billig (die Anschaffungskosten niemals deckend) an die Flächen bewirtschaftende Bauern verpachtet. Der niedrige Pachtzins ist nur durch die Hoffnung auf Substanzwertsteigerungen durch die Umwidmung zu erklären und dient lediglich als Zubrot.
Wie zuvor erwähnt, ist die Beurteilung der Fremdüblichkeit einer Vermietung zwischen nahen Angehörigen grds eine Tatsachenfrage und daher wohl keiner Revision an den VwGH zugänglich.95 Der Ansatz eines (auch niedrigeren) Zinssatzes samt der Nichtberücksichtigung von Substanzwertsteigerungen sollte daher uE der Prüfung im Einzelfall durch die Finanzverwaltung und das BFG vorbehalten bleiben.
Ad Mitberücksichtigung von nachgestiftetem Grund und Boden: VwGH und Finanzverwaltung fordern, dass die Körperschaft vor der Anschaffung oder Errichtung des Mietobjektes den entsprechenden Mietenmarkt (im gegebenen geografischen Einzugsgebiet) erkundet hat und sich auf dieser Basis als ökonomisch agierender Investor für die Anschaffung oder Errichtung der Immobilie entschieden hat.96 Wird einer Privatstiftung Vermögen unentgeltlich zugewendet, fehlt es jedoch denklogisch an der Möglichkeit einer Investitionsentscheidung auf Ebene der empfangenden Körperschaft, sofern keine zusätzlichen Aufwendungen zu leisten sind. Andernfalls wäre die Privatstiftung zum sofortigen (oftmals treuwidrigen) Verkauf des nachgestifteten Vermögens steuerlich gezwungen. Es sprechen daher gute Gründe dafür, unentgeltlich empfangene Werte nicht bei der Berechnung der Höhe der Renditemiete auf Ebene der Körperschaft sowie des Gesellschafters bzw Begünstigten zu berücksichtigen: Vielmehr dürften nur die nachträglichen, zusätzlichen Aufwendungen (etwa Renovierungs- und Umbaukosten), die originär von der Körperschaft vor Beginn der erstmaligen Vermietung getätigt wurden, bei Berechnung einer Renditemiete entsprechend den Aussagen des VwGH und der Finanzverwaltung berücksichtigt werden. Schließlich waren nur derartige Aufwendungen überhaupt einer Investitionsentscheidung auf Ebene der empfangenden Körperschaft zugänglich und müssen sich daher aus Sicht eines marktüblich agierenden Investors rentieren. In diese Richtung dürfte auch eine Aussage von Zorn zu deuten sein: „Die Basis, auf welcher der Zinssatz der Renditemiete anzusetzen ist, ist das ‚eingesetzte Kapital‘. Im Normalfall, nämlich bei einer kompletten Neuinvestition, entspricht dieses dem Gesamt-
steuerrecht; Bertl/Hirschler, RWZ 2014, 12; ausf BFH 16. 7. 1968, GrS 7/67, BStBl II 1969, 108 (großer Senat); differenzierend Zorn in Doralt/Kirchmayr/ Mayr/Zorn, EStG21 § 4 Rz 220/20 ff zum Ertragsteuerrecht; aA etwa VwGH 18. 10. 2018, Ro 2016/15/0013; ähnl auch UFS 30. 5. 2012, RV/0094–L/12 zu einem Renditemiete-Fall.
95 Etwa BFG 12. 3. 2021, RV/7100947/2018 zu einer Vermietung; vgl allg auch VwGH 29. 3. 2017, Ra 2016/15/0048; ebenso VwGH 29. 9. 2022, Ra 2021/15/0115; Fiala, TPI 2021, 114.
96 VwGH 22. 3. 2018, Ra 2017/15/0047 zur Anschaffung; ausdr KStR 2013 Rz 638.
rdw.lexisnexis.at 72 RdW 1/2023 STEUERRECHT ART.-NR.: 60
ART.-NR.: 60
betrag der Anschaffungs- und Herstellungskosten für Boden samt Gebäude.“97
Ad Orientierung an Renditen von kleineren Wohnungen im urbanen Bereich: Kirchmayr weist zu Recht darauf hin, dass „der VwGH damit – außerhalb der Möglichkeiten des § 8 Abs 2 KStG –selbst zum Unternehmer [wird], weil er über sein als angemessen und fremdüblich angenommenes, alternatives Geschäftsmodell Mindestmietrenditen verlangt, die es beim konkreten Sachverhalt nicht gibt bzw idR auch nicht geben kann“.98 Da der VwGH99 kleinere Wohnungen im urbanen Bereich nur beispielhaft nennt, sind andere Vergleichspaare (insb die gewerbliche Vermietung oder kurzfristige Vermietungen über AirBnB etc) wohl jedenfalls nicht ausgeschlossen.100 Der VwGH versucht durch derartige Vergleichsobjekte für die Organe einer Körperschaft letztlich ein Gebot der Gewinnmaximierung zu normieren, wonach die bloße Wirtschaftlichkeit einer Vermietung unbeachtlich wäre. Orientiert man sich fiktiv am Mietzins für derartigen Kleinwohnungen, wird man jedenfalls nicht noch erhöhende Risikofaktoren berücksichtigen dürfen, die gerade Luxusimmobilien und nicht urbanen Kleinwohnungen immanent sein sollen (geografische Lage, Leerstandsanfälligkeit, erhöhtes Ertragsrisiko, große Wohnfläche etc).
Wie zuvor bereits erwähnt, ist die Beurteilung der Fremdüblichkeit einer Vermietung zwischen nahen Angehörigen grds eine Tatsachenfrage und daher wohl keiner Revision an den VwGH zu-
gänglich.101 Die Wahl des konkret geeigneten Vergleichsobjekts sollte daher uE der Prüfung im Einzelfall durch die Finanzverwaltung und das BFG vorbehalten bleiben.
Hinweis: Teil II des Beitrages folgt in der nächsten Ausgabe der RdW 2/2023.
101 Etwa BFG 12. 3. 2021, RV/7100947/2018 zu einer Vermietung; vgl allg auch VwGH 29. 9. 2022, Ra 2021/15/0115; ebenso VwGH 29. 3. 2017, Ra 2016/15/0048; 29. 9. 2022, Ra 2021/15/0115; Fiala, TPI 2021, 114.
Die Autorin:
Dr. Helene Hayden ist wissenschaftliche Projektmitarbeiterin (Post Doc) am Institut für Wirtschafts- und Unternehmensrecht der Universität Wien und Staatsanwältin, dz. dienstzugeteilt im Evidenzbüro des OGH (6. Senat).
lesen.lexisnexis.at/autor/Hayden/Helene
Der Autor:
StB Mag. Dr. Tobias Hayden, LL.M., LL.B., BSc hat die StB- und RA-Prüfung erfolgreich abgelegt und ist derzeit Konzipient bei Schönherr Rechtsanwälte GmbH.
lesen.lexisnexis.at/autor/Hayden/ Tobias
Der Autor:
97 Zorn, ÖStZ 2021, 70 f.
98 Kirchmayr in Brandl/Karollus/Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 229; vgl ausf auch Prodinger, SWK 2021, 731 ff
99 VwGH 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0004; 7. 12. 2020, Ra 2020/15/0067; 20. 10. 2021, Ra 2019/13/0041; 8. 9. 2022, Ra 2020/15/0026.
100 AA wohl Kirchmayr in Brandl/Karollus/Kirchmayr/Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung3 230.
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RA Mag. Marco Thorbauer ist Rechtsanwalt bei Schönherr Rechtsanwälte GmbH und spezialisiert auf nationales und internationales Steuerrecht.
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rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 73 STEUERRECHT
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Udo Eversloh • Köln
Die Funktionsverlagerungsverordnung 2022
»RdW 2023/61
Mit der Funktionsverlagerungsverordnung 2022 (FVerlV 2022) vom 18. 10.2022 (BGBl I 2022, 1803) erfolgt eine Anlehnung an die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2017 sowie die Angleichung der Regelungen zum Fremdvergleich in § 1 AStG. Auch werden Zweifelsfragen, die sich in der Betriebsprüfung und unabhängig von den OECD-Vorgaben gestellt haben, geklärt. Sie löst die FVerlV vom 12. 8. 2008 (BGBl I, 1680) ab. Im Folgenden werden Details der Verordnung und auch kritische Aspekte dargestellt.
1. Begriffsdefi nitionen (§ 1 FVerlV 2022)
Eine Funktion ist eine Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden. Sie ist ein organischer Teil eines Unternehmens, ohne dass ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinn vorliegen muss (Abs 1).
Eine Funktionsverlagerung iSd § 1 Abs 3b des Außensteuergesetzes [AStG] liegt vor, wenn eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile ganz oder [FVerlV aF: und] teilweise übertragen oder überlassen wird, sodass das übernehmende Unternehmen diese Funktion ausüben oder eine bestehende Funktion ausweiten [Anm: Dies ist neu] kann. Die nach Satz 1 verlagerte Funktion als Ganzes bildet das Transferpaket. Geschäftsvorfälle, die innerhalb von fünf Wirtschaftsjahren verwirklicht werden, sind zu dem Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des Satzes 1 durch ihre gemeinsame Verwirklichung wirtschaftlich erfüllt sind, als einheitliche Funktionsverlagerung zusammenzufassen (Abs 2).
Immaterielle Wirtschaftsgüter sind in Fällen von Funktionsverlagerungen wesentlich iSd § 1 Abs 3b Satz 2 des Gesetzes, wenn sie für die verlagerte Funktion erforderlich sind und ihr Fremdvergleichspreis insgesamt mehr als 25 % der Summe der Einzelpreise aller Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile des Transferpakets beträgt und dies unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Funktionsverlagerung, die aus den Aufzeichnungen iSd § 2 Satz 2 hervorgehen, glaubhaft ist (Abs 3).
Erbringt ein übernehmendes Unternehmen die bisher ausschließlich gegenüber dem verlagernden Unternehmen erbrachten Leistungen eigenständig, ganz oder teilweise, gegenüber anderen Unternehmen zu Preisen, die höher sind als das Ent-
gelt nach der Kostenaufschlagsmethode oder die entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz höher anzusetzen sind, ist zum Zeitpunkt der erstmaligen Erbringung gegenüber den anderen Unternehmen für bisher unentgeltlich vom verlagernden Unternehmen für die Leistungserbringung zur Verfügung gestellte Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile ein Entgelt entsprechend § 2 zu verrechnen; die betreffenden Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile gelten als ein Transferpaket, soweit hierfür die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind (Abs 4).
Eine Funktionsverlagerung iSd Abs 2 liegt nicht vor, wenn es innerhalb von fünf Jahren nach Aufnahme der Funktion durch das übernehmende Unternehmen zu keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion beim verlagernden Unternehmen kommt, obwohl die übrigen Voraussetzungen des Abs 2 Satz 1 erfüllt sind (Funktionsverdoppelung). Kommt es innerhalb dieses Zeitraums zu einer solchen Einschränkung, liegt zum Zeitpunkt, in dem die Einschränkung eintritt, insgesamt eine Funktionsverlagerung vor, es sei denn, der Steuerpflichtige macht glaubhaft, dass diese Einschränkung nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Funktionsverdoppelung steht (Abs 5).
2. Wirtschaftliche Gründe für eine Funktionsverlagerung (§ 2 FVerlV 2022)
In der FVerlV nF hat der Verordnungsgeber das bis dato als doppelte Bewertung bezeichnete bestehende Kausalitätserfordernis zwischen Funktionsverlagerung aus Sicht des abgebenden Unternehmens (wegfallendes Gewinnpotenzial) einerseits (zB weil es Funktionen wegen aus seiner Warte aus unrentabler Aspekte abgeben möchte) und Funktionsaufnahme aus Sicht des übernehmenden Unternehmens (zuwachsendes künftiges Gewinnpotenzial) andererseits aufgegeben. Die FVerlV nF enthält nur noch das Erfordernis, dass eine Funktion inklusive Chancen/ Risiken überlassen werden muss, sodass das übernehmende Unternehmen die Funktion selbst ausüben kann.
Kritik: Eine derart weitreichende Regelung sollte nicht in einer Verordnung, sondern im AStG selbst normiert werden (Schreiber/ Retzer, DB 2022, 2756 [2758]).
3. Wert des Transferpakets
Nach § 2 FVerlV nF ist der Einigungsbereich (§ 6) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage
rdw.lexisnexis.at 74 RdW 1/2023 STEUERRECHT ART.-NR.: 61
einer Funktions- und Risikoanalyse vor und nach der Funktionsverlagerung zu ermitteln, wobei neben tatsächlich bestehenden Handlungsalternativen auch Standortvorteile oder -nachteile, Synergieeffekte sowie Steuereffekte zu berücksichtigen sind [ Anm des Verf : Diese Effekte waren bislang explizit nicht in die FVerlV einbezogen.]. Ausgangspunkt für die Berechnungen sind die Unterlagen betreffend die Grundlage für die Unternehmensentscheidung zur Funktionsverlagerung. Für die Berechnung des Einigungsbereichs ist eine kapitalwertorientierte Bewertungsmethode zu verwenden. Hierfür sind die dem Maßstab des § 1 Abs 1 Satz 3 des Gesetzes entsprechenden Erwartungen der finanziellen Überschüsse der beteiligten Unternehmen, angemessene Kapitalisierungszinssätze (§ 4) und ein von den Umständen der Funktionsausübung abhängiger Kapitalisierungszeitraum (§ 5) zugrunde zu legen.
Hinweis: Die FVerlV nF enthält nicht mehr den Vorrang der allgemeinen Verrechnungspreismethoden in Fällen der Funktionsverlagerung, in denen die Preisbestimmung für das Transferpaket als Ganzes aufgrund (un)eingeschränkt vergleichbarer Vergleichswerte erfolgt – obwohl diese Methoden den Prinzipien in den OECD-Verrechnungspreisrichtlinien entsprechen. Grund: § 1 Abs 3 AStG enthält den Bezug auf diese Methode nicht mehr explizit. Ob dies sinnvoll ist?
4. Bestandteile des Transferpakets (§ 3 FVerlV 2022)
Bei unterschiedlichen Vereinbarungen für einzelne Teile des Transferpakets oder sind solche dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend anzunehmen, sind für alle Teile des Transferpakets Fremdvergleichspreise anzusetzen, die insgesamt dem nach § 2 bestimmten Wert des Transferpakets als Ganzem entsprechen.
5. Kapitalisierungszinssatz (§ 4 FVerlV 2022)
Nach § 4 FVerlV 2022 ist der angemessene Kapitalisierungszinssatz anhand eines risikolosen Zinssatzes zuzüglich eines risikoadäquaten Zuschlags zu bestimmen.
6. Kapitalisierungszeitraum (§ 5 FVerlV 2022)
Werden keine Gründe für einen bestimmten, von den Umständen der Funktionsausübung abhängigen Kapitalisierungszeitraum nachgewiesen, wird ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum fingiert.
Hinweis: Bislang reichte die Glaubhaftmachung eines kürzeren als des unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums seitens des Steuerpflichtigen. Da ein fremder Dritter in der
Praxis eine unbegrenzte Laufzeit annehmen würde, sollte regelmäßig von einer begrenzten Nutzungsdauer ausgegangen werden (so auch Schreiber/Jasmund, DB 2022, 2756 [2759]).
7. Einigungsbereich (§ 6 FVerlV 2022)
Erwartet ein verlagerndes Unternehmen fi nanzielle Überschüsse aus der Funktion, ergibt sich die Untergrenze des Einigungsbereichs (Mindestpreis) iSd § 1 Abs 3a Satz 5 des Außensteuergesetzes aus dem Ausgleich für den Wegfall oder die Minderung der fi nanziellen Überschüsse zuzüglich der ggf anfallenden Schließungskosten. Maßgebend ist der Barwert. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen, die das verlagernde Unternehmen als vom übernehmenden Unternehmen unabhängiges Unternehmen hätte, sind zu berücksichtigen (Abs 1). Kann das verlagernde Unternehmen die Funktion mit eigenen Mitteln selbst nicht mehr ausüben, entspricht der Mindestpreis dem Liquidationswert (Abs 2). Verlagert ein Unternehmen eine Funktion, aus der es dauerhaft keine finanziellen Überschüsse zu erwarten hat, kann der Geschäftsleiter des verlagernden Unternehmens zur Verlustbegrenzung als Mindestpreis ein Entgelt für die Funktionsverlagerung akzeptieren, der die anfallenden Schließungskosten nur teilweise deckt, oder eine Ausgleichszahlung an das übernehmende Unternehmen für die Übernahme der Verlustquelle leisten (Abs 3). Der Barwert der zu erwartenden fi nanziellen Überschüsse des übernehmenden Unternehmens aus der übernommenen Funktion ist regelmäßig die Obergrenze des Einigungsbereichs (Höchstpreis) iSd § 1 Abs 3a Satz 5 des Gesetzes. Tatsächlich bestehende Handlungsalternativen sind zu berücksichtigen (Abs 4). Liegt der Mindestpreis des verlagernden Unternehmens bei null oder darunter, ist nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu prüfen, welchen Preis ein unabhängiger Dritter bereit wäre, für die Übernahme der Funktion zu bezahlen (Abs 5).
8. Schadensersatz-/Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche (§ 7 FVerlV 2022)
Gesetzliche/vertragliche Schadensersatz-, Entschädigungsund Ausgleichsansprüche sowie Ansprüche, die voneinander unabhängigen Dritten zustünden, wenn ihre Handlungsalternativen vertraglich/tatsächlich ausgeschlossen würden, können der Besteuerung einer Funktionsverlagerung zugrunde gelegt werden, wenn der Steuerpfl ichtige glaubhaft macht, dass solche Dritte unter ähnlichen Umständen in vergleichbarer Art und Weise verfahren wären. Zudem muss er nachweisen , dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile übertragen oder zur Nutzung überlassen worden sind (Ausnahme: die Übertragung/Überlassung ist zwingende Folge von Ansprüchen iSd Satzes 1).
rdw.lexisnexis.at RdW 1/2023 75 STEUERRECHT
ART.-NR.: 61
Hinweis: Das Nachweiserfordernis statuiert de facto eine –diskussionswürdige – Beweislastumkehr, da idR die Finanzverwaltung die Beweislast für Einkünfte erhöhende Tatsachen trägt.
Weiterführende Literatur: Ditz/Seibert, Ubg 2022, 298; Busch, DB 2021, 1908; Stein/Schwarz, DB 2021, 1292.
REZENSIONEN
ICC-SchO/DIS-SchO. Praxiskommentar zu den Schiedsgerichtsordnungen. Herausgegeben von Jan Heiner Nedden, Axel Benjamin Herzberg und Ulrich Kopetzki Verlag Dr. Otto-Schmidt KG, Köln 2022. 2., neu bearbeitete Auflage, 1.362 Seiten, geb. 199 €.
»RdW 2023/62
Kürzlich ist der „Nedden/Herzberg“, der Kommentar zu den ICC- und DIS-Schiedsordnungen, neu erschienen. In der zweiten Auflage ist mit Ulrich Kopetzki ein neuer Mitherausgeber aus Österreich an Bord gekommen, der – wie seine beiden Kollegen im Herausgeberteam – selbst Erfahrung im ICC-Sekretariat gesammelt hat. Alle 15 Autorinnen und Autoren sind in Deutschland bekannte und anerkannte Schiedspraktiker*innen.
Das deutschsprachige Werk enthält eine Kommentierung der einzelnen Vorschriften der ICC- und DIS-Schiedsordnungen, keine Gegenüberstellung der jeweiligen Schiedsordnungen. Das ist allerdings für den täglichen Gebrauch auch nicht nötig. Gegenstand der Kommentierung sind jeweils die letzten Fassungen der Schiedsordnungen, dh die DIS-SchO 2018 und die ICC-SchO 2021 einschließlich ihrer Anlagen bzw Anhänge. Damit ist das Werk auf dem neuesten Stand und die erste, umfassende deutschsprachige Kommentierung beider Schiedsordnungen in ihrer neuesten Fassung.
Inhaltlich sind die Kommentierungen der Vorschriften insofern gleich strukturiert, als sie jeweils einen Abschnitt zu Normzweck und Änderungsgeschichte bzw Reform enthalten sowie das Verhältnis mit dem deutschen Schiedsrecht, dh der einschlägigen Norm der deutschen ZPO, behandeln und einen Vergleich mit den im staatlichen Verfahren geltenden Vorschriften anstellen. Obwohl gerade die letzten beiden Punkte für österreichische Nutzer*innen weniger relevant scheinen, können sie doch sehr hilfreich sein. Denn das deutsche Schiedsverfahrensrecht basiert, wie das österreichische, weitgehend auf dem UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (UNCITRAL Model Law). Im Detail gibt es leichte Abweichungen bei der Umsetzung des UNCITRAL Model Law in beiden Ländern, dennoch können die Ausführungen
Der Autor: Udo Eversloh, Rechtsanwalt i.R. und Fachpublizist in Köln, war jahrelang Ressortleiter Steuerrecht der deutschen Fachzeitschrift Betriebs-Berater. Er ist Autor etlicher Fachbeiträge und Kommentierungen zum Steuerund Gesellschaftsrecht sowie zum Recht der betrieblichen Altersversorgung (bAV) und tritt auch als Referent bei Seminaren für Angehörige der steuerberatenden Berufe auf.
lesen.lexisnexis.at/autor/Eversloh/Udo
zur deutschen ZPO auch österreichischen Leserinnen und Lesern nützlich sein. Das Gleiche gilt für den Vergleich zum staatlichen Verfahren. Hier sind die Unterschiede in Deutschland und Österreich deutlich größer als im Schiedsverfahrensrecht, doch bestehen noch genug Parallelen in den Vorschriften zum Erkenntnisverfahren, um die Überlegungen zu den deutschen Vorschriften oft auch für österreichische Leser*innen fruchtbar zu machen, selbst wenn eine Übertragung eins zu eins in den meisten Fällen nicht möglich ist.
Die Kommentierungen sind allesamt ausführlich und auf hohem Niveau. Man merkt ihnen an, dass die Autorinnen und Autoren aus erster Hand Erfahrung mit den von ihnen kommentierten Schiedsordnungen gesammelt haben. Das heißt aber nicht, dass sie nur die praktische oder pragmatische Seite der Verfahrensführung beleuchten. Ausgangspunkt jeder Kommentierung sind immer rechtliche Überlegungen, die notwendige Basis für die praktische Anwendung sind. Auch Spezialfragen werden in den Kommentierungen beantwortet. Das ist insb bei den sonst hin und wieder vernachlässigten Fragen zu den Kosten des Schiedsverfahrens besonders zu bemerken. Ohne Kenntnis der Praxis der Schiedsinstitution ist es häufig schwierig, sich den genauen Rahmen, der nicht nur in den Schiedsordnungen selbst, sondern auch in den jeweiligen Anhängen geregelt ist, zu erschließen. Aber auch hier gilt, dass nicht nur die praktische Seite, sondern auch rechtliche Probleme im Detail abgearbeitet werden.
Besonders zu erwähnen und vor allem für Praktiker*innen, die nicht täglich Schiedsverfahren betreuen, sehr hilfreich, sind die vorgeschlagenen Muster für bestimmte Anträge und Schriftsätze, die auf Englisch und Deutsch zur Verfügung gestellt werden. Auch Anwältinnen und Anwälten, die bereits eigene Muster für Schiedsverfahren zur Hand haben, können diese Vorlagen zum Abgleich dienen, sodass sicher alle relevanten Punkte aufgenommen werden.
Insgesamt eine sehr gelungene Neuauflage, in der nicht nur die Kommentierungen aktualisiert, sondern auch vertieft wurden. Sie ist allen deutschsprachigen Praktikerinnen und Praktikern empfohlen, die Schiedsverfahren nach der ICC- und/oder DIS-SchO führen, sei es nur gelegentlich oder regelmäßig, als Schiedsrichter*in oder Parteivertreter*in.
Friederike Schäfer
rdw.lexisnexis.at 76 RdW 1/2023 REZENSIONEN ART.-NR.: 62
Foto: Studio Schloen, Köln
Weil Vorsprung entscheidet.
Körperschaften im Steuerrecht
Anlässlich des 65. Geburtstages von Senatspräsident
Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Zorn widmen ihm Steuerrechtsexpert:innen aus Deutschland und Österreich diese Festschrift zu „Körperschaften im Steuerrecht“.
Der Kreis der namhaften Autor:innen umfasst Vertreter:innen aus Wissenschaft, Gerichtsbarkeit, Finanzverwaltung und Steuerberatung.
Die Beiträge beschäftigen sich mit Grundsatzfragen der Besteuerung von Körperschaften, Praxisfragen zur Besteuerung von Körperschaften, Körperschaften in der Umsatzsteuer und im Verfahrensrecht, Körperschaften im internationalen Steuerrecht uvm.
Die Herausgeberinnen und die Herausgeber:
Univ.-Prof. Dr. Reinhold Beiser
Univ.-Prof.in Dr.in Daniela Hohenwarter-Mayr, LL.M.
Univ.-Prof. DDr. Gunter Mayr
Univ.-Prof.in MMag.a Dr.in Sabine Kirchmayr-Schliesselberger
Preis € 145,–Wien 2022
728 Seiten
Best.-Nr. 13108001
ISBN 978-3-7007-8292-6
Ab 40 Euro Bestellwert versandkostenfrei innerhalb von Österreich
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Ausschreibung Wolfgang Gassner
Wissenschaftspreis 2023
Die Landesgruppe Österreich der International Fiscal Association (IFA) schreibt hiermit den
Wolfgang Gassner-Wissenschaftspreis 2023
aus. Der Wolfgang Gassner-Wissenschaftspreis 2023 ist mit insgesamt bis zu € 17.500,- dotiert. Er wird in Form eines oder mehrerer Hauptpreise, eines oder mehrerer Förderungspreise sowie in Form von Reisestipendien zum Besuch des IFA-Kongresses 2023 in Cancún (Mexiko) vergeben.
Die Reisestipendien in Höhe von insgesamt € 14.000,- werden von der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, EY, BDO, Binder-Grösswang, Deloitte, KPMG, LeitnerLeitner, und PwC zur Verfügung gestellt und können auch auf mehrere Stipendiat/inn/en aufgeteilt werden.
Über die Zuerkennung des Hauptpreises und eines allfälligen Förderungspreises entscheidet eine wissenschaftliche Jury unter Ausschluss des Rechtsweges. Diese Jury besteht aus Prof. Dr. Caroline Heber, Univ.-Prof. Dr. Daniela Hohenwarter-Mayr, Univ.-Prof. DDr. Georg Kofler und Univ.-Prof. Dr. Karoline Spies. Für den Hauptpreis und den allfälligen Förderungspreis kommen Habilitationsschriften und Dissertationen, die einem Thema des Internationalen Steuerrechts in rechtsdogmatischer, rechtsvergleichender oder rechtspolitischer Sicht gewidmet sind, in Frage. Einzureichen ist die Arbeit mit den Beilagen: Anschreiben, Lebenslauf, Publikationsliste, sowie optional Gutachten und weitere relevante Dokumente.
Bewerber/innen für die Reisestipendien zum Besuch des IFA-Kongresses in Cancún müssen ihr Interesse am Internationalen Steuerrecht durch einschlägige Veröffentlichungen oder Seminararbeiten bereits nachgewiesen oder ein einschlägiges Diplomarbeits-, Master- oder Dissertationsthema erhalten haben. In erster Linie sollen Personen zum Zug kommen, die sich auch für das Posterprogramm der zentralen IFA beworben haben. Stipendiat/inn/en übernehmen die Verpflichtung zur Berichterstattung über die wissenschaftlichen Arbeiten des Kongresses bei dem jeweiligen Sponsor und in österreichischen Fachzeitschriften. Über die Zuerkennung der Reisestipendien entscheidet unter Ausschluss des Rechtsweges das Präsidium der österreichischen IFA. Dafür einzureichen sind ein kurzes Anschreiben, Lebenslauf und Publikationsliste.
Bewerbungen für den Hauptpreis des Wolfgang Gassner-Wissenschaftspreises, den Förderungspreis und die von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, BDO, Binder-Grösswang Deloitte, EY, KPMG, LeitnerLeitner und PwC gesponserten Reisestipendien sind bis 17. Februar 2023 per E-Mail bei Frau Myriam Pereira de Milinic (myriam.pereira.de.milinic@wu.ac.at) einzureichen, das Anschreiben bitte adressiert an die Landesgruppe Österreich der International Fiscal Association (IFA), pA Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der WU, 1020 Wien, Welthandelsplatz 1, Gebäude D3.
Univ.-Prof. Dr. DDr. h.c. Michael Lang Präsident der IFA Landesgruppe Österreich
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Herausgeber:
Hofrätin des OGH Hon.-Prof. Dr. Wilma Dehn
Univ.-Prof. DDr. Gunter Mayr
Univ.-Prof. Dr. Franz Schrank
Univ.-Prof. Dr. Ulrich Torggler, LL.M.
Sen.-Präs. Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Zorn
Schriftleitung:
Univ.-Prof. DDr. Gunter Mayr
Impressum:
Offenlegung gemäß § 25 MedienG:
Beirat:
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Dr. Christian Hammerl
HR Dr.in Edeltraud Lachmayer
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RA Dr. Matthias Öhler
Univ.-Prof. DDr. Michael Potacs
OStA Dr. Matthias Potyka, LL.M.
Dr. Wolfgang Reisinger
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Univ.-Prof. MMag. Dr. Martin Trenker
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Medieninhaber und Herausgeber iSd § 1 Abs 1 Z 8 und Z 9 MedienG: LexisNexis Verlag ARD Orac GmbH & Co KG | Sitz: Trabrennstraße 2A, 1020 Wien | Unternehmensgegenstand: LexisNexis ARD Orac ist ein führender Fachverlag in Österreich im Bereich Steuern, Recht und Wirtschaft, der die Tradition der Verlagshäuser Orac und ARD unter internationalem Dach fortführt. LexisNexis ARD Orac ist ein Tochterunternehmen der international tätigen Verlagsgruppe RELX Group, deren Legal Division weltweit unter dem Namen LexisNexis rmiert. | Grundlegende Richtung: Rechtsinformation und Wirtschaftsinformation; aktuelle rechtliche Neuerungen | Geschäftsführung: Mag. Susanne Mortimore | Unbeschränkt haftender Gesellschafter: Orac Gesellschaft m.b.H., Trabrennstraße 2A, 1020 Wien | Kommanditist: Reed Messe Salzburg Gesellschaft m.b.H., Am Messezentrum 6, 5021 Salzburg | Beteiligungsverhältnisse: Alleiniger Gesellschafter der Orac Gesellschaft m.b.H.: Reed Elsevier Austria GmbH, Am Messezentrum 6, 5021 Salzburg | Gesellschafter der Reed Messe Salzburg Gesellschaft m.b.H.: Reed Elsevier Overseas B.V., Radarweg 29, 1043 NX Amsterdam (0,1 %), Reed Elsevier Austria GmbH, Am Messezentrum 6, 5021 Salzburg (99,9 %) | Alleiniger Gesellschafter der Reed Elsevier Austria GmbH: Reed Elsevier Overseas B.V., Radarweg 29, 1043 NX Amsterdam | Alleiniger Gesellschafter der Reed Elsevier Overseas B.V.: Reed Elsevier Holdings B.V., Radarweg 29, 1043 NX Amsterdam | Gesellschafter der Reed Elsevier Holdings B.V.: RELX Group plc, 1-3 Strand (http://www.relxgroup.com/aboutus/Pages/Home.aspx), London WC2N 5JR (50 %), Reed Elsevier Holdings Ltd., 1-3 Strand, London WC2N 5JR (50 %) | Gesellschafter der RELX Group plc: RELX PLC (52,9 %), RELX NV (47,1 %) | Gesellschafter der RELX PLC: mehr als 75 % im Streubesitz | Gesellschafter der RELX NV: mehr als 75 % im Streubesitz | Gesellschafter der Reed Elsevier Holdings Ltd.: RELX Group plc (100 %) | Redaktion: Trabrennstraße 2A, 1020 Wien. Derzeit gilt Anzeigenpreisliste Stand 2023 | Verlags- und Herstellungsort: Wien | Die Zeitschrift erscheint einmal im Monat | Einzelheftpreis 2023: 43 €; Jahresabonnement 2023: 502 € inkl. MwSt bei Vorauszahlung; Preisänderungen vorbehalten | Bankverbindung: Bank Austria, IBAN: AT841200050423468600, BIC: BKAUATWW | Abbestellungen sind nur zum
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80 rdw.lexisnexis.at 80 RdW 1/2023
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Wien 2022 | 848 Seiten
Best.-Nr. 32156001
ISBN 978-3-7007-8385-5
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