Aktuelle Gesetzesänderungen 2023
»RWZ 2023/1
Im letzten Jahr traten zahlreiche Gesetze und Verordnungen in Kraft, von denen im Folgenden die bedeutendsten kurz dargestellt werden. Der Überblick erfolgt in chronologischer Ordnung (Erscheinen der Bundesgesetzblätter).* Nicht behandelt werden jene Gesetze und Verordnungen, die der Gesetzgeber im Speziellen aufgrund steigender Energiepreise und Inflation erlassen hat.1 Zudem wird auf die COVID-19-Gesetzgebung nicht näher eingegangen. Zuletzt wurden allerdings zahlreiche diesbezügliche Maßnahmen bzw Regelungen (neuerlich) verlängert.2
Verordnung: Elektronischer Rechtsverkehr (ERV 2021) BGBl II 2021/5873
Die ERV 2021 trat am 24. 12. 2021 in Kraft. Eingaben und Beilagen dürfen nunmehr (ausnahmsweise) nur dann in gescannter Form
* Dr. Thomas Wenger ist Partner, Dr. Gabriel Ebner ist Rechtsanwalt bei der Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien.
1 Vgl dazu etwa das Teuerungs-Entlastungspaket Teil I (BGBl I 2022/93), das Teuerungs-Entlastungspaket Teil II (BGBl I 2022/163), das Teuerungs-Entlastungspaket Teil III (BGBl I 2022/174), das Unternehmens-Energiekostenzuschussgesetz (BGBl I 2022/117) oder das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-Strom, das Bundesgesetz über den Energiekrisenbeitrag-fossile Energieträger sowie die Änderung des Einkommensteuergesetzes (BGBl I 2022/220).
2 Vgl exemplarisch BGBl I 2022/224, insb zur Verlängerung der Aufstellungsund Offenlegungsfristen für Unterlagen der Rechnungslegung und der Möglichkeit zur Abhaltung virtueller Versammlungen im Gesellschaftsrecht bis 30. 6. 2023. Vgl aber auch BGBl I 2022/222 zur Verlängerung der COVID-19Bestimmungen im Bundes-Verfassungsgesetz, im Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetz und im COVID-19 Begleitgesetz Vergabe.
3 Verordnung der Bundesministerin für Justiz, mit der die Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2021) erlassen wird und die Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Urkundenarchive von Körperschaften öffentlichen Rechts für den elektronischen Urkundenverkehr mit den Gerichten (Urkundenarchivverordnung 2007 – UAV 2007), die Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Formerfordernisse in mit Hilfe von automationsunterstützter Datenverarbeitung durchgeführten gerichtlichen Verfahren sowie Erstellung von Erledigungen in gekürzter Form (ADV-Form-Verordnung 2002 – AFV 2002), die Verordnung der Bundesministerin für Justiz über die Abbuchung und Einziehung der Gerichtsgebühren (Abbuchungsund Einziehungs-Verordnung – AEV), die Verordnung des Bundesministers für Justiz über die Verwendung von Formblättern für die offenzulegende Bilanz und den offenzulegenden Anhang von kleinen Gesellschaften mit beschränkter Haftung (UGB-Formblatt-V), die Verordnung des Bundesministers für Justiz zur näheren Regelung der Vorgangsweise bei der verein-
eingebracht werden, wenn diese nicht in originär elektronischer Form der einbringenden Person zur Verfügung stehen. Damit soll die Praxis unterbunden werden, PDF-Schriftsätze auszudrucken, zu unterschreiben und wieder einzuscannen.4
Seit 1. 7. 2022 besteht zudem die Verpflichtung zur Einbringung von Firmenbuchanmeldungen in strukturierter Form. Zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr sind insb die in § 89c Abs 5 und 5a GOG genannten Personen (etwa Rechtsanwälte oder Notare) verpflichtet. Diese müssen nunmehr – derzeit aber nur hinsichtlich der GmbH und Einzelunternehmen – Firmenbuchgesuche in strukturierter Form, die eine automationsunterstützte Weiterverarbeitung ermöglicht, gemäß der Schnittstellenbeschreibung (nach § 7 ERV 2021) nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten übermitteln.5
Zivilverfahrens-Novelle 2022 (ZVN 2022)
BGBl I 2022/616
Die ZVN 2022 trat im Wesentlichen mit 1. 5. 2022 in Kraft und hat zahlreiche punktuelle Änderungen des Zivilverfahrensrechts bewirkt. Der Schwerpunkt der Novelle liegt in der Schaffung der Voraussetzungen für eine möglichst vollständig digitale Aktenführung („digitaler Akt“).7 Gerichtsakten in zivilgerichtlichen Verfahren können nach wie vor auf Papier oder ganz digital geführt wer-
fachten GmbH-Gründung nach § 9a GmbHG (Vereinfachte GmbH-Gründungsverordnung – VGGV), die Verordnung des Bundesministers für Justiz über die Aufnahme von Urkunden in die Datenbank des Firmenbuchs zum Zweck der Abfrage (Firmenbuch-Rückerfassungs-Verordnung (FBR-V) und die Verordnung des Bundeskanzlers über den elektronischen Verkehr zwischen Bundesverwaltungsgericht und Beteiligten (BVwG-elektronischerVerkehr-Verordnung – BVwG-EVV) geändert werden.
4 Vgl dazu Moser, ERV 2021, AnwBl 2022, 135.
5 Vgl zum strukturierten Firmenbuchantrag Jennewein, Der strukturierte Firmenbuchantrag – Erste Erfahrungen aus der Firmenbuchpraxis, ecolex 2022/640.
6 Bundesgesetz, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Sachverständigen- und Dolmetschergesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz, das E-Commerce-Gesetz, das Rechtspflegergesetz, das Strafvollzugsgesetz, das Kinderbetreuungsgeldgesetz und das Familienzeitbonusgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2022 – ZVN 2022).
7 Vgl dazu überblicksartig Kolmasch, Zivilverfahrens-Novelle 2022 (Lexis Briefings in lexis360.at); Asen, Kundmachung Zivilverfahrens-Novelle 2022 (ZVN 2022), AnwBl 2022, 291, und Spiegel, ZVN 2022: Digitalisierung im Zivilverfahren, ecolex 2022/420.
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 1 ART.-NR.: 1
Mag. (rer.soc.oec.) Dr. (iur.) Thomas Wenger/Dr. Gabriel Ebner • Schönherr Rechtsanwälte GmbH, Wien
den. Die ZVN 2022 passte die bestehenden Verfahrensregeln im Wesentlichen an die Erfordernisse des digitalen Akts an. Weitere notwendige Anpassungen in Bezug auf Gebühren, deren Einbringung, Geldstrafen und Kosten wurden ebenfalls durch die ZVN 2022 vorgenommen. Zu diesem Zweck wurden insb Änderungen in der JN, der ZPO, dem ASGG, dem GOG und dem GGG notwendig.
Die Änderungen in der ZPO betreffen insb die Möglichkeit, unstrittige Vergleiche vor Gericht abzuschließen, über Mediationsvergleiche hinaus auf Vergleiche nach dem AlternativeStreitbeilegung-Gesetz (§ 433a ZPO). Zudem erfolgte die Klarstellung, dass in einem Beschluss auf Entziehung der Verfahrenshilfe und in einem Nachzahlungsbeschluss auch über die Höhe der Nachzahlungspflicht zu entscheiden ist (§ 68 und § 71 ZPO). Außerdem erfolgte eine Erstreckung der für das streitige Scheidungsverfahren bewilligten Verfahrenshilfe auf das Verfahren über den Antrag auf einvernehmliche Ehescheidung, der während des anhängigen Rechtsstreits gestellt wird (§ 460 Z 10a ZPO). Durch § 502 Abs 5 Z 6 ZPO sind zudem die Wertgrenzen für die Revisionszulässigkeit in Streitigkeiten nach dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz für die Dauer von zehn Jahren entfallen.
Das GOG enthält nunmehr eine Regelung zur elektronischen Akteneinsicht (§ 89i GOG).
Die Änderungen der JN umfassen insb (Wahl-)Gerichtsstände für Streitigkeiten wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten in elektronischen Kommunikationsnetzen (§ 92b JN) und für Klagen nach der Fluggastrechte-VO 261/2004 (§ 101a JN). Schließlich brachte die ZVN 2022 auch eine Modernisierung der Regelungen über Laienrichter in Handelssachen (§§ 15 ff JN).
Insb wurden die Informationspflichten für Geschäfte mit professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien gelockert, so etwa in Bezug auf standardisierte Kosteninformationen und obligatorische Serviceberichte. Die standardmäßige Kommunikation zwischen Wertpapierfirma und Kunden soll nunmehr in elektronischer Form erfolgen, wobei Kleinanleger auf Wunsch Informationen weiterhin in Papierform erhalten können.11
Modernisierungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (MoRUG) BGBl I 2022/10912
Mit der Modernisierungsrichtlinie (auch „Omnibus-Richtlinie“)13 wurden insgesamt vier Richtlinien geändert, nämlich die „Klausel-Richtlinie“, die „Preisangabenrichtlinie“, die „Unlautere Geschäftspraktiken-Richtlinie“ (auch „UGP-Richtlinie“) und die „Verbraucherrechte-Richtlinie“. Mit dem MoRUG sollen die durch die Modernisierungsrichtlinie herbeigeführten Änderungen in der „Klausel-Richtlinie“ und in der „Verbraucherrechte-Richtlinie“ und damit Änderungen im FAGG und KSchG umgesetzt werden. Das MoRUG trat am Tag nach der Kundmachung (20. 7. 2022) in Kraft.14
Neben Fern- und Auswärtsgeschäften, bei denen der Verbraucher zu einer Zahlung verpflichtet ist, fallen nunmehr ausdrücklich auch Verträge, bei denen die Bereitstellung von digitalen Leistungen, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden sollen, gegen die Hingabe von personenbezogenen Daten des Verbrauchers vorgesehen ist (Verträge über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen), in den Anwendungsbereich des FAGG.
Änderung
des
Börsegesetzes 2018,
des Wertpapieraufsichtsgesetzes 2018 und des Kapitalmarktgesetzes 2019 BGBl I 2022/698
Mit diesem Bundesgesetz wurde einerseits das Capital Markets Recovery Package9 in das österreichische Recht umgesetzt. Andererseits wurde auch eine Verweisanpassung im Hinblick auf Prospektnachträge vorgenommen, die sich aus der Flankierung der CMRP-Prospekt-VO10 ergeben hat. Insgesamt waren daher entsprechende Anpassungen des BörseG 2018, des WAG 2018 und des KMG erforderlich.
8 Bundesgesetz, mit dem das Börsegesetz 2018, das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 und das Kapitalmarktgesetz 2019 geändert werden.
9 Richtlinie (EU) 2021/338 vom 16. Februar 2021 zur Änderung der Richtlinie 2014/65/EU im Hinblick auf die Informationspflichten, die Produktüberwachung und die Positionslimits sowie der Richtlinien 2013/36/EU und (EU) 2019/878 im Hinblick auf ihre Anwendung auf Wertpapierfirmen, zur Förderung der wirtschaftlichen Erholung von der COVID-19-Krise.
10 Verordnung (EU) 2021/337 vom 16. Februar 2021 zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1129 im Hinblick auf den EU-Wiederaufbauprospekt und gezielte Anpassungen für Finanzintermediäre und der Richtlinie 2004/109/EG im Hinblick auf das einheitliche elektronische Berichtsformat für Jahresfinanzberichte zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung von der COVID-19-Krise.
Das MoRUG schuf auch Änderungen bei den Informationspflichten des Unternehmers. Im Anwendungsbereich des FAGG hat der Unternehmer in Hinkunft darüber zu informieren, wenn der Preis auf der Grundlage einer automatisierten Entscheidungsfindung personalisiert worden ist. Darüber hinaus werden die Informationspflichten an die technologische Entwicklung angepasst (zB Angabe von Online-Kommunikationsmitteln statt Faxnummer).15
Darüber hinaus sieht das MoRUG vor, dass bestimmte Transparenzpflichten für Online-Marktplätze bestehen sollen. Die Verbraucherrechte-Richtlinie regelt nämlich neue Informationspflichten für Betreiber von Online-Marktplätzen (die Richtlinie verwendet für sie den Ausdruck „Anbieter des Online-Marktplatzes“), die im FAGG umgesetzt wurden. Diese Informationspflich-
11 Vgl dazu ErläutRV 1441 BlgNR 27. GP 1.
12 Bundesgesetz, mit dem das Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz, das Konsumentenschutzgesetz und das Verbraucherbehördenkooperationsgesetz geändert werden (Modernisierungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz –MoRUG).
13 Richtlinie (EU) 2019/2161 vom 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinien 93/13/EWG, 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union.
14 Vgl zu den Änderungen durch das MoRUG I und II näher etwa Wolfbauer/ Woller, Omnibus? MoRUG I & II? And what’s in it for me? ecolex 2022/456.
15 Vgl dazu ErläutRV 1529 BlgNR 27. GP 1.
rwz.lexisnexis.at 2 RWZ 1/2023 GESELLSCHAFTS- UND STEUERRECHT ART.-NR.: 1
ART.-NR.: 1
ten betreffen die Reihung der Angebote („Ranking“, also die Reihung von Angeboten), die Unternehmereigenschaft des Dritten, der die Waren, Dienstleistungen oder digitalen Inhalte anbietet, die Nichtanwendung von Verbraucherrechten bei Fehlen dieser Unternehmereigenschaft und die Aufteilung der vertraglichen Verpflichtungen zwischen dem Anbieter des Online-Marktplatzes und dem Dritten.
Bedeutend sind auch die Änderungen beim Rücktrittsrecht. Bei den Ausnahmen vom Rücktrittsrecht in Fällen, in denen auf Wunsch des Verbrauchers noch vor Ablauf der Rücktrittsfrist mit der Vertragserfüllung begonnen wurde, ist zwischen solchen Verträgen, die den Verbraucher zu einer Zahlung verpflichten, und solchen, aufgrund derer der Verbraucher lediglich personenbezogene Daten bereitstellt, zu unterscheiden. Bei Verträgen ohne Zahlungsverpflichtung (bei denen also der Verbraucher ausschließlich zur Hingabe personenbezogener Daten verpflichtet ist) führt schon die vollständige Dienstleistungserbringung zu einem Entfall des Rücktrittsrechts. Bei Verträgen mit einer Zahlungsverpflichtung des Verbrauchers muss dafür – neben der vollständigen Dienstleistungserbringung –zusätzlich noch eine ausdrückliche Zustimmung zum Beginn der Vertragserfüllung sowie als drittes Element die Bestätigung des Verbrauchers über seine Kenntnis vom Verlust des Rücktrittsrechts vorliegen.16
Sowohl die „Klausel-Richtlinie“ als auch die „Verbraucherrechte-Richtlinie“ verlangen, dass bei der Ergreifung von Durchsetzungsmaßnahmen zur Ahndung weitverbreiteter Verstöße auch Geldstrafen innerhalb eines sehr hohen Strafrahmens verhängt werden können. Diese Vorgaben werden teils im Verwaltungsstrafverfahren, teils im Exekutionsverfahren erfüllt. Das Schwergewicht bei der Sanktionierung von Richtlinienverstößen wird aber weiterhin in individuellen zivilrechtlichen Rechtsfolgen und in der Abstellung rechtswidriger Praktiken durch Verbandsklagen bestehen.17
Zweites
Modernisierungsrichtlinie-Umsetzungs-
gesetz (MoRUG II) BGBl I 2022/11018
Das MoRUG II dient der Umsetzung der „Preisangaben-Richtlinie“ durch Änderung des PrAG und der „UGP-Richtlinie“ durch Anpassungen im UWG. Auch das MoRUG II trat am Tag nach der Kundmachung (20. 7. 2022) in Kraft.
Die Umsetzung der Änderungen in der „UGP-Richtlinie“ brachte folgende Neuerungen im UWG: Die „UGP-Richtlinie“ wurde dahin gehend erweitert, dass die idente Vermarktung einer Ware in mehreren Mitgliedstaaten trotz wesentlicher Unterschiede in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen als ir-
16 Vgl dazu ErläutRV 1529 BlgNR 27. GP 2.
17 ErläutRV 1529 BlgNR 27. GP 2.
18 Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 und das Bundesgesetz über die Auszeichnung von Preisen geändert werden (Zweites Modernisierungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz – MoRUG II).
reführende Geschäftspraktik gilt (Dual Quality). Auch das UWG war um diese irreführende Geschäftspraktik zu erweitern.19
Zudem wurden im UWG die Informationspflichten teilweise reduziert (iZm Verfahren zum Umgang mit Beschwerden in der Werbephase) oder ausgebaut (iZm Online-Marktplätzen). Ferner wurden Informationspflichten betreffend Ranking normiert: Die UGP-Richtlinie sieht neue Informationspflichten hinsichtlich „Rankings“ samt Definition des Begriffs vor, die ebenfalls im UWG umgesetzt werden. Zu informieren ist in Hinkunft über die Hauptparameter für die Festlegung des Rankings sowie über deren relative Gewichtung im Vergleich zu anderen Parametern. Nicht detailliert offengelegt werden muss die Funktionsweise von Ranking-Systemen, einschließlich der Algorithmen.
Da die Zahl an sog „Fake Reviews“ steigt, wurde zudem mit den neuen Vorgaben in der UGP-Richtlinie auch dieser Punkt aufgegriffen. Wenn Verbraucherbewertungen von Unternehmern zugänglich gemacht werden, sollen diese darüber informieren, ob und wie sichergestellt wird, dass die veröffentlichten Bewertungen von Verbrauchern stammen, welche die Produkte tatsächlich verwendet oder erworben haben.
Die Novelle der „UGP-Richtlinie“ sieht außerdem ein neues Sanktionenregime vor, sodass nunmehr bei der Verhängung von Sanktionen bei weitverbreiteten Verstößen Geldbußen von bis zu 4 % des Jahresumsatzes des Unternehmers verhängt werden können.20
Im PrAG waren in Umsetzung der neuen Vorgaben in der „Preisangaben-Richtlinie“ Regelungen für Preisermäßigungen zu ergänzen, sodass bei Rabatten auch der vorherige niedrigste Preis anzugeben ist, der zumindest einmal innerhalb von 30 Tagen vor der Preisermäßigung in demselben Vertriebskanal angewendet wurde.21
Übernahmegesetz-Novelle 2022 (ÜbG-Nov 2022)
BGBl I 2022/12422
Der EuGH23 hat ausgesprochen, dass Entscheidungen der Übernahmekommission von einem nationalen Gericht überprüfbar sein müssen. Dieses nationale Gericht muss zu diesem Zweck zur Prüfung aller relevanten Sach- und Rechtsfragen befugt sein. Der Rekurs an den OGH entsprach dieser Vorgabe nicht, weil dafür die Bestimmungen über den Revisionsrekurs gelten und eine unrichtige Tatsachenfeststellung keinen Revisionsrekursgrund iSd § 66 AußStrG darstellt. Um die österreichische Rechtslage in Einklang mit diesem Urteil zu bringen, wurde das ÜbG so adaptiert, dass gegen Entscheidungen der Übernahmekommission nunmehr Rekurs an das Oberlandesgericht Wien erhoben werden kann.24
19 Vgl dazu ErläutRV 1530 BlgNR 27. GP 1.
20 Vgl dazu ErläutRV 1530 BlgNR 27. GP 2.
21 Vgl dazu ErläutRV 1530 BlgNR 27. GP 2.
22 Bundesgesetz, mit dem das Übernahmegesetz und das Gerichtsgebührengesetz geändert werden (Übernahmegesetz-Novelle 2022 – ÜbG-Nov 2022).
23 Vorabentscheidungsverfahren C-546/18.
24 Vgl dazu ErläutRV 1526 BlgNR 27. GP 1.
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 3 GESELLSCHAFTS-
STEUERRECHT
UND
Zudem wurde die Möglichkeit der Parteistellung im Feststellungsverfahren nach § 33 ÜbG erweitert. Außerdem wurde die Regelung zum „Creeping-in“ in Teilbereichen liberalisiert.25 Unter „Creeping-in“ ist der weitere Ausbau einer bereits kontrollierenden Beteiligung gemeint.
Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2022 (GesDigG 2022) BGBl I 2022/18626
Die „Digitalisierungs-Richtlinie“27 war großteils bis 1. 8. 2021 umzusetzen. Zentrales Anliegen der „Digitalisierungs-Richtlinie“ ist es, die Gründung von (Kapital-)Gesellschaften, die Eintragung von Zweigniederlassungen solcher Gesellschaften in anderen Mitgliedstaaten sowie die spätere Einreichung von Urkunden und Informationen zum jeweiligen nationalen Unternehmensregister vollständig online zu ermöglichen. Den diesbezüglichen und auch zahlreichen anderen Vorgaben der Richtlinie wurde allerdings bereits durch die bisher geltende österreichische Rechtslage entsprochen. Allerdings ergibt sich das nicht aus einem einzelnen Gesetz oder gar einer einzelnen Bestimmung, sondern aus dem Zusammenspiel mehrerer Regelungen.28 Mit dem GesDigG 2022 wurden nunmehr das UGB, das FBG, das GmbHG, das AktG, das SpaltG, das GenG und das GGG an die übrigen Bestimmungen der Digitalisierungs-Richtlinie angepasst. Die Änderungen traten ganz überwiegend mit 1. 12. 2022 in Kraft.
Die Änderungen des UGB betreffen im Wesentlichen Bestimmungen zur Offenlegung von Urkunden und Informationen im Firmenbuch. In Österreich wurde diese Offenlegung von Firmenbucheintragungen (die im Gesetz als Bekanntmachung oder Veröffentlichung bezeichnet wird) bislang in der Ediktsdatei sowie im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vorgenommen. An der Dualität von Ediktsdatei und Amtsblatt zur Wiener Zeitung wurde zwar (vorerst) nichts geändert. Der Zeitpunkt, mit dem eine Eintragung als bekannt gemacht gilt, richtet sich allerdings nunmehr ausschließlich nach dem Firmenbuch (§ 10 UGB). Dieser Umstand (Abstellung auf „Eintragung“ im Firmenbuch) musste daher in zahlreichen Gesetzen entsprechend umgesetzt werden. Eine weitere Änderung im UGB ist, dass großen Aktiengesellschaften künftig ein Wahlrecht bei der Veröffentlichung von Jahresabschlüssen offensteht: Sie können die Veröffentlichung des Jahresabschlusses im Amtsblatt zur Wiener Zeitung entweder wie bisher selbst veranlassen oder bei der Einreichung der Unterlagen der Rechnungslegung zum Firmenbuch verlangen, dass das Gericht die Übermittlung an die Wiener Zeitung GmbH vornimmt.
25 Vgl dazu ErläutRV 1526 BlgNR 27. GP 1.
26 Bundesgesetz, mit dem das Unternehmensgesetzbuch, das Firmenbuchgesetz, das GmbH-Gesetz, das Aktiengesetz, das Spaltungsgesetz, das Genossenschaftsgesetz und das Gerichtsgebührengesetz geändert werden (Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2022 – GesDigG 2022).
27 Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, ABI L 186 vom 11. 7. 2019.
28 IA 2893/A 27. GP 10.
Die Änderungen des FBG sehen insb vor, dass über Anmeldungen betreffend die erstmalige Eintragung eines Rechtsträgers, sofern es sich nicht um eine Umgründung handelt, und über Anmeldungen der inländischen Zweigniederlassung eines ausländischen Rechtsträgers mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat ehestmöglich zu entscheiden ist. Kann die Entscheidung in diesen Fällen nicht innerhalb von fünf Arbeitstagen nach dem Einlangen der Anmeldung bei Gericht getroffen werden, so ist dies dem Antragsteller unverzüglich mitzuteilen (§ 20a FBG). Vom Anwendungsbereich des § 20a FBG ausgeschlossen ist die erstmalige Eintragung eines Rechtsträgers, der durch eine Umgründung – etwa durch eine Verschmelzung oder Spaltung zur Neugründung – entsteht. Weitere Änderungen im FBG sind etwa die Regelung über einen erweiterten Katalog von jedenfalls kostenlos zur Verfügung zu stellenden Informationen (§ 34 Abs 1b FBG) sowie Regelungen zum BRIS (§ 37 Abs 1, 3 und 4 FBG).
Die Änderung im GmbHG besteht im Wesentlichen darin, dass nunmehr in § 10 GmbHG die Klarstellung erfolgt ist, dass die bei der Gründung einer Kapitalgesellschaft erforderliche Zahlung von Gesellschaftskapital online auf ein Konto einer in der Europäischen Union tätigen Bank geleistet werden kann. § 10 Abs 2 GmbHG wurde dahin gehend geändert, dass die Zahlung entweder an ein inländisches Kreditinstitut oder an ein CRR-Kreditinstitut iSd § 9 BWG geleistet werden kann.29
Die Änderungen im AktG sind sprachlicher Natur. Die derzeitigen aktienrechtlichen Regelungen zum Gläubigerschutz bei Kapitalherabsetzungen (§ 178), Verschmelzungen (§ 226) und Umwandlungen einer AG in eine GmbH (§ 243) stimmen inhaltlich weitgehend überein. Bei den Formulierungen bestehen allerdings geringfügige Unterschiede. Im Zuge der Anpassung dieser Bestimmungen an den geänderten § 10 Abs 1 UGB soll daher auch ihr Wortlaut vereinheitlicht werden. Entsprechendes gilt auch für die Änderungen im SpaltG und im GenG. 30
Eine Umsetzung von Art 13i der Digitalisierungs-Richtlinie betreffend disqualifizierte Geschäftsführer soll bis zum 1. 8. 2023 erfolgen.31
Änderung des Einkommensteuergesetzes 1988, des Umsatzsteuergesetzes 1994, des Versicherungssteuergesetzes 1953 und des Nationalen Emissionszertifi katehandelsgesetzes 2022 BGBl I 2022/19432
Im Zuge der Ökosozialen Steuerreform33 wurde die Möglichkeit einer steuerfreien Mitarbeiter-Gewinnbeteiligung vorgesehen. Die Summe der gewährten Mitarbeiter-Gewinnbeteiligun-
29 Kritisch zur alten Rechtslage etwa Arnreither/Traußner, Inlandsbankkonto als Gründungshindernis? ecolex 2020, 114.
30 IA 2893/A 27. GP 21 f.
31 IA 2893/A 27. GP 12.
32 Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Umsatzsteuergesetz 1994, das Versicherungssteuergesetz 1953 und das Nationale Emissionszertifikatehandelsgesetz 2022 geändert werden.
33 Vgl dazu etwa Adrian, Aktuelle Gesetzesänderungen 2022, RWZ 2022/6.
rwz.lexisnexis.at 4 RWZ 1/2023 GESELLSCHAFTS- UND STEUERRECHT ART.-NR.: 1
ART.-NR.: 1
gen darf nicht das (unternehmensrechtliche) Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) des Vorjahres übersteigen.
Da im Finanzbereich spezifische Rechnungslegungsbestimmungen vorgesehen sind und die bisher vorgesehene Größe bei bestimmten Geschäftsmodellen (klassisches Bankgeschäft) nicht aussagekräftig war, wurde gesetzlich die Möglichkeit geschaffen, alternativ an für die jeweiligen Bereiche aussagekräftigere Größen aus den spezifischen Rechnungslegungsvorschriften anzuknüpfen, nämlich an das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit für Kreditinstitute (Anlage 2 zu § 43 BWG) bzw an das versicherungstechnische Ergebnis (§ 146 Abs 2 Z 12 VAG) für Versicherungsunternehmen. Die übrigen Änderungen im EStG wurden im Wesentlichen vor dem Hintergrund der Inflationsentwicklung, eines VfGH-Erkenntnisses34 und eines Redaktionsversehens gefasst.
Zudem wurden Änderungen im UStG vorgenommen, um (wegen der anhaltenden COVID-19-Situation) die echte Steuerbefreiung für die Lieferung, den innergemeinschaftlichen Erwerb und die Einfuhr von COVID-19-In-vitro-Diagnostika und COVID-19Impfstoffen sowie für eng mit diesen Diagnostika oder Impfstoffen zusammenhängende sonstige Leistungen bis zum 30. 6. 2023 beibehalten zu können.35 Weitere Änderungen betreffen das Versicherungssteuergesetz 1953 und das NEHG 2022 und werden in diesem Beitrag nicht behandelt.
Wertpapierfi rmengesetz sowie Änderung des Alternative Investmentfonds Manager-Gesetzes, des Bankwesengesetzes, des Einlagensicherungsund Anlegerentschädigungsgesetzes, des Finanzkonglomerategesetzes, des Finanzmarktaufsichtsbehördengesetzes, des Investmentfondsgesetzes 2011, des Sanierungs- und Abwicklungsgesetzes und des Wertpapieraufsichtsgesetzes 2018 BGBl I 2022/23736
Wertpapierfirmen unterlagen bislang neben der MiFID II-Richtlinie37 in unterschiedlicher Ausprägung der CRR-Verordnung38 und der CRD IV-Richtlinie.39 Die Europäische Kommission hat im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans zur Europäischen Kapitalmarktunion ein Legislativpaket für einen einheitlichen Aufsichts-
34 VfGH G 228/2021.
35 IA 2892/A 27. GP 7.
36 Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen (Wertpapierfirmengesetz – WPFG) erlassen wird und das Alternative Investmentfonds Manager-Gesetz, das Bankwesengesetz, das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz, das Finanzkonglomerategesetz, das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz, das Investmentfondsgesetz 2011, das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz und das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 geändert werden.
37 Richtlinie 2014/65/EU vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU.
38 Verordnung (EU) Nr 575/2013 vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 646/2012.
39 Richtlinie 2013/36/EU vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG.
rahmen für Wertpapierfirmen („Investment Firm Review“) vorgelegt. Das Legislativpaket beinhaltet die IFR-Verordnung40 und die IFD-Richtlinie.41
Die IFR harmonisiert im Wesentlichen die Eigenmittel- und Kapitalanforderungen, Liquiditätsanforderungen sowie Berichterstattungs- und Offenlegungspflichten für Wertpapierfirmen. Inhalt der IFD sind die Befugnisse der Aufsichtsbehörden, Anfangskapitalbestimmungen, Aufsichtsmaßnahmen, Ermittlungsbefugnisse, die Beurteilung der Angemessenheit des internen Kapitals, die interne Risikobewertung, das aufsichtliche Überprüfungs- und Bewertungsverfahren, die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmengruppen und ein entsprechendes Sanktionsregime.
Mit dem oben stehenden Bundesgesetz wurde die IFD umgesetzt.42 Zu diesem Zweck wurde ein neues Wertpapierfirmengesetz erlassen, welches mit 1. 2. 2023 in Kraft tritt. Wertpapierfirmen werden nach der IFR nach unterschiedlichen Risikoprofilen kategorisiert und haben jeweils spezifische Anforderungen zu erfüllen („Klasse 1-Wertpapierfirmen“, „Klasse 1 minus-Wertpapierfirmen“, „Klasse 2-Wertpapierfirmen“, „Klasse 3-Wertpapierfirmen“). Daran anknüpfend werden für bestimmte Wertpapierfirmen insb Regelungen zu Anfangskapital und Liquidität, zur Beurteilung der Angemessenheit des internen Kapitals, zur Vergütung und Governance, zum aufsichtsrechtlichen Überprüfungs- und Bewertungsverfahren und zur Beaufsichtigung von Wertpapierfirmengruppen geschaffen.
Außerdem wurden punktuelle Änderungen anderer Gesetze, insb des AIFMG, des BWG, des BaSAG und des WAG 2018 beschlossen. Diese Änderungen treten ebenfalls mit 1. 2. 2023 in Kraft.
Mobilitätsrichtlinie-RL (EU) 2019/212143
Die „Mobilitäts-Richtlinie“ ist bis 31. 1. 2023 in nationales Recht umzusetzen.44 Zentrales Anliegen der Mobilitäts-Richtlinie ist eine Ausweitung der Möglichkeiten für grenzüberschreitende Umgründungen von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU bzw des EWR. Sie soll in Österreich durch ein neues EU-Umgründungsgesetz umgesetzt werden, das die grenzüberschreitende Umwandlung (Sitzverlegung), Verschmelzung und Spaltung von Kapitalgesellschaften regelt.
Am 20. 1. 2023 wurde der Begutachtungsentwurf dieses Bundesgesetzes, mit dem zur Umsetzung der Mobilitäts-Richtlinie ein Bundesgesetz über grenzüberschreitende Umgründungen von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union (EU-UmgrG) erlas-
40 Verordnung (EU) 2019/2033 vom 27. November 2019 über Aufsichtsanforderungen an Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr 1093/2010, (EU) Nr 575/2013, (EU) Nr 600/2014 und (EU) Nr 806/2014.
41 Richtlinie (EU) 2019/2034 vom 27. November 2019 über die Beaufsichtigung von Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinien 2002/87/EG, 2009/65/EG, 2011/61/EU, 2013/36/EU, 2014/59/EU und 2014/65/EU.
42 Vgl zu allem ErläutRV 1757 BlgNR 27. GP 1 ff
43 Richtlinie (EU) 2019/2121 über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen.
44 Vgl dazu aktuell Potyka/Rieder, Die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie in Österreich, RdW 2022/610.
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 5 GESELLSCHAFTS-
STEUERRECHT
UND
sen werden und mit dem auch das Firmenbuchgesetz, das Rechtspflegergesetz, das Übernahmegesetz sowie das Gerichtsgebührengesetz geändert werden sollen (GesMobG), im RIS veröffentlicht.
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Dr. Gabriel Ebner ist Rechtsanwalt in der Praxisgruppe Corporate/M&A bei der Schönherr Rechtsanwälte GmbH und war davor Universitätsassistent am Institut für Unternehmensrecht der Johannes Kepler Universität Linz.
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Der Autor:
Mag. (rer.soc.oec.) Dr. (iur.) Thomas Wenger ist Rechtsanwalt und seit 1994 Partner bei Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Umgründungen und Mergers & Acquisitions. Er ist seit 1999 Mitherausgeber der Zeitschrift RWZ Recht, Rechnungswesen und Autor zahlreicher Publikationen, vor allem auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts.
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Neues bei der Besteuerung von Kryptowährungen:
Kryptowährungsverordnung
»RWZ 2023/2
Mit der KryptowährungsVO1 wird nun von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die im Rahmen des ÖkoStRefG 2022 eingeführten Regelungen zur Besteuerung von Kryptowährungen weiter zu determinieren. Dabei sieht die Verordnung einerseits genauere Vorgaben für die Abzugsverpflichteten der Kapitalertragsteuer für Einkünfte aus Kryptowährungen vor, enthält aber andererseits auch darüber hinausgehende Vereinfachungen im Rahmen der Besteuerung.
1. Allgemeines
Seit 1. März 2022 besteht mit § 27b EStG eine eigene Rechtsgrundlage zur Besteuerung von Kryptowährungen. Danach führen nunmehr sowohl laufende Einkünfte als auch realisierte Wertsteigerungen von Kryptowährung zu Einkünften aus Kapitalvermögen. Ab 2024 sind zudem inländische Schuldner und Dienstleister2 (insb Betreiber von Kryptobörsen) zum Abzug der Kapitalertragsteuer für diese Einkünfte verpflichtet. Zur praktischen Durchsetzbarkeit der Abzugsteuer werden nun durch die Kryptowährungsverordnung genauere Rahmenbedingungen festgelegt. Diese betreffen die Form der Angabe von Daten durch
1 Verordnung zur Ermittlung der Steuerdaten von Kryptowährungen (Kryptowährungsverordnung – KryptowährungsVO) BGBl II 2022/455.
2 Als inländische Dienstleister gelten dabei gem § 95 EStG Anbieter elektronischer Geldbörsen gem § 2 Z 22 lit a FM-GwG sowie Dienstleister, die gem § 2 Z 22 lit b FM-GwG einen Umtausch von Kryptowährungen in Fiatwährung (Echtgeld) vornehmen (siehe auch Wild, Die Neuregelung der Besteuerung von Kryptowährungen, RdW 2022, 210 [215]).
die Steuerpflichtigen zur Bestimmung der Anschaffungskosten für Zwecke der KESt, die notwendigen Überprüfungshandlungen für die Abzugsverpflichteten sowie weitere Klarstellungen und Vereinfachungen bei der praktischen Umsetzung der Besteuerung. Insb soll von der Möglichkeit zur Einführung eines gleitenden Durchschnittspreises Gebrauch gemacht werden.
Die mit 1. Jänner 2023 in Kraft tretende Verordnung sieht dabei nicht nur Regelungen für Zwecke des KESt-Abzuges vor, sondern enthält auch Bestimmungen, die für die Besteuerung im Rahmen der Veranlagung relevant sind. Aus diesem Grund ergeht die Verordnung nicht nur aufgrund der ausdrücklichen Verordnungsermächtigung in § 93 Abs 4a EStG, sondern auch auf Grundlage von § 27a Abs 4 EStG, der Bestimmung zur Ermittlung der Anschaffungskosten im Rahmen der Besteuerung von Kapitalvermögen.
2. Form der Übermittlung von Steuerdaten
Eine Besonderheit beim KESt-Abzug für Einkünfte aus Kryptowährungen liegt darin, dass bei Kryptowährungen dem Abzugsverpflichteten in vielen Fällen die Anschaffungskosten sowie die Anschaffungszeitpunkte nicht bekannt sind. Dies liegt daran, dass Kryptowährungen häufig nicht durchgängig bei zum KESt-Abzug verpflichteten Dienstleistern gehalten werden, sondern zwischenzeitig an sichere andere Adressen übertragen werden.3 Zudem ist auch keine Möglichkeit zur dienstleisterüber-
3 Vgl dazu auch Wild, RdW 2022, 210 (215); vgl auch zu sogenannten self hosted Wallets Wild/Luka, Die neue Kryptowährungsverordnung, SWK 2022, 1370 (FN 8).
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Dr. Alexandra Wild • Bundesministerium für Finanzen
ART.-NR.: 2
greifenden Mitteilung der Anschaffungskosten vorgesehen, wenn die Kryptowährungen von einem Dienstleister zu einem anderen übertragen werden. Zur praktischen Durchsetzbarkeit der Abzugsteuer in Fällen, in denen Kryptowährungen erstmals zu einem Dienstleister transferiert werden, enthält § 93 Abs 4a EStG daher die umfassende Möglichkeit für die Abzugsverpflichteten, vom Steuerpflichtigen bekannt gegebene Informationen zu übernehmen, soweit beim Abzugsverpflichteten keine entgegenstehenden Daten vorhanden sind. § 1 KryptowährungsVO legt nun für diese Datenbekanntgabe eine Vorgehensweise fest.
Nach § 1 Abs 2 KryptowährungsVO können vom Steuerpflichtigen folgende Steuerdaten angegeben werden:
Anschaffungszeitpunkt
Dabei handelt es sich entweder um das konkrete Anschaffungsdatum oder wenn der Erwerb in zeitlicher Reihenfolge vorgenommen wurde, um den Anschaffungszeitraum. Diese Daten sind für den Abzugsverpflichteten für Zwecke der Plausibilitätsprüfung notwendig.4 Ebenso muss der Abzugsverpflichtete anhand dieser Angaben eine Zuordnung der Kryptowährungen zu Alt- und Neubestand vornehmen können, weil eine KESt-Abzugsverpflichtung nur für Neubestand zur Anwendung gelangt. Daher kommt mE aufgrund des Verweises auf § 2 KryptowährungsVO die Angabe eines Anschaffungszeitraums nur dann in Betracht, wenn auf die übertragenen Kryptowährungen der gleitende Durchschnittspreis anzuwenden ist.5 Insb kann die Angabe des Anschaffungszeitraums dann nicht genügen, wenn es sich bei den übertragenden Kryptowährungen um einen Mischbestand aus Alt- und Neubestand handelt, weil bei Zeitraumangaben keine Zuordnung der einzelnen Einheiten zu Alt- und Neubestand vorgenommen werden kann.
Anschaffungskosten
Hier sind die steuerlich relevanten Anschaffungskosten6 der Kryptowährungen anzugeben, wobei für Kryptowährungen, die ab dem 1. Jänner 2023 auf einer Kryptowährungsadresse bzw -wallet gehalten wurden, bereits der gleitende Durchschnittspreis (siehe dazu Abschnitt 3) anzusetzen ist.
Tausch
Zudem ist anzugeben, ob seit dem Erwerb der betroffenen Kryptowährung ein steuerneutraler Tausch einer Kryptowährung in eine andere Kryptowährung stattgefunden hat, bei dem es zu einer Übertragung der Anschaffungskosten7 der getauschten Kryptowährung gekommen ist. Dies hat der Abzugsverpflichtete in pauschaler Weise im Rahmen seiner Plausibilitätsprüfung zu berücksichtigen.8
4 Vgl dazu auch Wild/Luka, SWK 2022, 1370 (1372).
5 Dies ist immer dann der Fall, wenn sich die Kryptowährungen des Neubestands auf einer Kryptowährungsadresse oder -wallet befinden.
6 Diese beinhalten auch Anschaffungsnebenkosten (§ 27a Abs 4 Z 2 EStG; Wild, RdW 2022, 210 [214]).
7 Siehe dazu Wild, RdW 2022, 210 (213); Marschner/Jakom, EStG15 (2022) § 27b Rz 9.
8 Dem Abzugsverpflichteten steht es jedoch frei, auch detailliertere Informationen zum Zwecke der Plausibilitätsprüfung abzuverlangen; eine Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht (Wild/Luka, SWK 2022, 1370 [1372]).
§ 1 Abs 3 KryptowährungsVO erlaubt dem Abzugsverpflichteten in weiterer Folge, die Struktur der zu übermittelnden Steuerdaten selbst vorzugeben. Dabei kann sich dieser bspw einer Webmaske bedienen.9 Ausdrücklich zugelassen ist die Einbeziehung externer Dienstleister in den Datenübermittlungsprozess, wodurch etwa automatische Schnittstellen zu Steuersoftwareanbietern geschaffen werden können. Die Einbeziehung solcher Dienstleister ist unzulässig, wenn der Abzugsverpflichtete im Vorhinein Informationen hat, die zu begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der übermittelten Daten durch die externen Dienstleister führen. Dies könnte zB der Fall sein, wenn bekannt ist, dass der einbezogene Dienstleister die Steuerdaten nicht nach österreichischen Rechtsvorschriften ermittelt.
Abs 4 erlaubt es den Abzugsverpflichteten, eine standardisierte automatisationsunterstützte Plausibilitätsprüfung ausschließlich anhand der übermittelten Steuerdaten vorzunehmen. Dabei wird insb ein Abgleich der übermittelten Anschaffungskosten mit historischen Kurswerten erfolgen, wobei der Abzugsverpflichtete angemessene Schwankungen berücksichtigen kann.10 Sofern der Steuerpflichtige Anschaffungskosten in Höhe von null11 bekannt gibt, kann eine Plausibilitätsprüfung unterbleiben.12 Dem Abzugsverpflichteten steht es in weiterer Folge frei, weitere Nachweise vom Steuerpflichtigen zu verlangen, sofern dieser keine standardisierte Prüfung vornimmt oder die Plausibilität der Daten nicht automatisiert festgestellt werden kann. In diesem Fall kann auch eine manuelle Einzelfallprüfung erfolgen, bei der etwa Kauf- und Tauschbelege von anerkannten Börsen oder eine Bestätigung eines Steuerberaters herangezogen werden können. Ob eine solche Einzelfallprüfung vorgenommen wird, steht in der Wahlfreiheit des Abzugsverpflichteten. Soweit die Plausibilität der Daten nicht gewährleistet ist, sind die Kryptowährungen gem § 93 Abs 4a Z 2 EStG mit dem halben Veräußerungserlös anzusetzen. Ein auf Basis dieser Daten erfolgter KESt-Abzug hat keine Endbesteuerungswirkung. Der Steuerpflichtige muss daher im Rahmen der Veranlagung seine tatsächlichen Anschaffungskosten bekannt geben (ggf sind diese zu schätzen).13
Die Verordnung selbst enthält keine Angaben zum Zeitpunkt, zu dem die Steuerdaten übermittelt werden müssen. In den erläuternden Bemerkungen wird jedoch festgehalten, dass die Bekanntgabe der Daten samt Plausibilisierung umgehend im Rahmen der Übertragung der Kryptowährung an den Ab-
9 Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der KryptowährungsVO 2, https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Begut&Titel=Kryptow %c3%a4hrungsverordnung&Einbringer=&DatumBegutachtungsfrist=&Im RisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultP ageSize=100&Suchworte=&Position=1&SkipToDocumentPage=true&Res ultFunctionToken=80118ecd-0999-4ed7-92bb-a2c8ef063289&Dokumentnummer=BEGUT_CD5EFCE3_2148_4695_9DD3_B4916BA018D6 (abgerufen am 10. 1. 2023).
10 Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der KryptowährungsVO 2.
11 ZB für im Rahmen von Staking, Airdrops, Bounties oder Hardforks erworbene Kryptowährungen.
12 Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der KryptowährungsVO 2.
13 Vgl dazu allgemein auch Wild, RdW 2022, 210 (215).
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 7 GESELLSCHAFTS- UND STEUERRECHT
zugsverpflichteten erfolgen kann, jedoch spätestens unmittelbar vor einer allfälligen Realisierung zu erfolgen hat.14 Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch wenn die Datenabfrage erst vor der Realisierung erfolgt, dennoch zur Ermittlung des gleitenden Durchschnittspreises eine Bewertung aller auf der Kryptowährungsadresse bzw -wallet befindlichen Kryptowährungen zu erfolgen hat.
Erfolgt der KESt-Abzug auf Grundlage von richtig übermittelten Steuerdaten, entfaltet dieser Abgeltungswirkung. Wurden jedoch unrichtige Daten übermittelt, entfällt – selbst wenn diese von Abzugsverpflichteten als plausibel eingestuft wurden – die Endbesteuerungswirkung, und auch in diesem Fall ist der Steuerpflichtige im Rahmen der Veranlagung zur Bekanntgabe seiner tatsächlichen Anschaffungskosten verpflichtet.
3. Gleitender Durchschnittspreis
§ 2 KryptowährungsVO greift die in § 93 Abs 4a Z 1 EStG vorgesehene Möglichkeit zur Einführung eines gleitenden Durchschnittspreises auf. Hervorzuheben ist, dass dieser nicht nur für Zwecke des KESt-Abzuges, sondern auch stets im Rahmen der Veranlagung zum Tragen kommt. Das bedeutet, dass auch wenn die Kryptowährungen nicht bei einem inländischen Dienstleister veräußert werden – und damit schon dem Grunde nach keine KEStAbzugsverpflichtung besteht – dennoch die Bewertung zum gleitenden Durchschnittspreis in Euro vorzunehmen ist, wenn sich auf einer Kryptowährungsadresse bzw -wallet mehrere Einheiten einer Kryptowährung befinden, die nicht zum selben Zeitpunkt angeschafft worden sind.
Bezugsgröße für den gleitenden Durchschnittspreis stellt primär eine Kryptowährungsadresse dar.15 Darunter versteht § 6 Z 1 KryptowährungsVO eine „eindeutige Kennung, die ein mögliches Ziel für eine Kryptowährungstransaktion darstellt“, und meint damit die primäre Zuordnungseinheit auf einer Blockchain (public key oder öffentlicher Schlüssel). Sollten die Kryptowährungen jedoch auf einer Kryptowährungswallet verwahrt werden, das bedeutet bei einem „Dienst oder eine[r] Applikation, die eine oder mehrere Kryptowährungsadressen als Einheit verwaltet, wobei keine standardisierte Auslesungsmöglichkeit der einzelnen Kryptowährungsadressen vorgesehen ist“, kann alternativ der Durchschnittspreis auf alle sich auf dieser Wallet befindlichen Kryptowährungen bezogen werden. Dadurch soll eine praktische Handhabung sichergestellt sein, um die Norm auch in Fällen problemlos anwenden zu können, in denen eine separate Auslesung der einzelnen Adressen nicht oder nur schwer möglich ist. Wird vom Abzugsverpflichteten eine Bezugsgröße (Kryptowährungs-
adresse oder -wallet) herangezogen, ist diese Bezugsgröße auch stets im Rahmen der Veranlagung bindend.16
Kryptowährungen des Altvermögens fließen nicht in den gleitenden Durchschnittspreis ein, wodurch deren steuerfreie Veräußerung nach Ablauf der Frist des § 31 EStG17 sichergestellt wird. Ebenso gehen Kryptowährungen, deren Anschaffungskosten gem § 93 Abs 4a Z 2 EStG pauschal angesetzt wurden, nicht in den gleitenden Durchschnittspreis ein. Dies entspricht der gleichlautenden Regelung bei klassischem Kapitalvermögen gem § 27a Abs 4 Z 3 EStG. § 2 Abs 3 KryptowährungsVO sieht stattdessen für pauschal bewertete Kryptowährungen eine Verwendungsreihenfolge vor: Befinden sich auf derselben Kryptowährungsadresse bzw -wallet Einheiten derselben Kryptowährung, die mit dem gleitenden Durchschnittspreis bewertet sind, und Kryptowährungen, deren Anschaffungskosten gem § 93 Abs 4a Z 2 EStG angesetzt worden sind, gelten die mit pauschalen Anschaffungskosten angesetzten Kryptowährungen als zuerst veräußert.18
4. Verwendungsreihenfolge bei Altbestand
§ 3 KryptowährungsVO regelt das Verhältnis von Kryptowährungen des Altbestands und des Neubestands, wenn auf einer Kryptowährungsadresse bzw -wallet sowohl Altbestand als auch Neubestand derselben Kryptowährung vorhanden ist. Dabei steht es dem Steuerpflichtigen gem § 3 Z 1 KryptowährungsVO grundsätzlich frei, festzulegen, ob zuerst Einheiten des Altbestands oder des Neubestands veräußert bzw auf eine andere Kryptowährungsadresse oder -wallet übertragen werden. Jedoch kann auch der Abzugsverpflichtete vom Steuerpflichtigen ermächtigt werden, die Auswahl vorzunehmen (zB in dessen AGB). Auch in diesem Fall gilt, dass eine im Rahmen des KESt-Abzuges vorgenommene Reihung stets auch für die Veranlagung maßgeblich ist. Wird insb bei Kryptowährungen, die keinem KESt-Abzug unterliegen, eine Auswahl unterlassen, gilt die früher erworbene Einheit der Kryptowährung als zuerst veräußert.19
Die Regelung einer Verwendungsreihenfolge für Neuvermögen ist hingegen entbehrlich, weil durch die Anwendung des gleitenden Durchschnittspreises die Reihenfolge der Veräußerung für steuerliche Zwecke irrelevant ist.
16 Siehe zu den Praktikabilitätsüberlegungen in diesem Zusammenhang ausführlich Wild/Luka, SWK 2022, 1370 (1374).
14 Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der KryptowährungsVO 2, mit dem Hinweis, dass dies insb bei Custody Providern, die im Rahmen der Veräußerung in die Abwicklung der Realisierung eingebunden sind, möglich ist.
15 Im Rahmen von Wertpapieren stellt die Bezugsgröße immer ein Depot dar (§ 27a Abs 4 Z 3 EStG).
17 Zur steuerlichen Einstufung der Veräußerung von Kryptowährungen vor dem 1. 3. 2022 vgl Salzburger Steuerdialog 2014 vom 3. 10. 2014, BMF010203/0312-VI/6/2014, Einkommensteuer Pkt 2.3. Sämtliche Veräußerungen von Kryptowährungen des Altbestandes nach dem 1. 3. 2022 sind daher steuerfrei möglich, weil die Spekulationsfrist bereits abgelaufen ist; eine Besteuerung nach § 27 Abs 3 EStG (siehe dazu EStR 2000 Rz 6143 idF Wartungserlass 2021) scheidet ebenfalls aus, weil Einkünfte aus der Überlassung von Kryptowährungen ab 1. 3. 2022 gem § 124b Z 384 lit b EStG bereits zu Einkünften nach § 27b Abs 2 EStG und nicht mehr zu Einkünften gem § 27 Abs 2 EStG führen.
18 Siehe auch Wild/Luka, SWK 2022, 1370 (1374 f).
19 Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der KryptowährungsVO 2 f.
rwz.lexisnexis.at 8 RWZ 1/2023 GESELLSCHAFTS- UND STEUERRECHT ART.-NR.: 2
5. Bewertung der laufenden Einkünfte aus Kryptowährungen
5.1. Allgemeines
§ 4 KryptowährungsVO sieht spezielle Regelungen zur Ermittlung der laufenden Einkünfte aus Kryptowährungen und damit zur Bewertung der zugeflossenen Kryptowährungen vor. Auch diese Regelung hat über den KESt-Abzug hinaus Bedeutung und kommt auch im Rahmen der Veranlagung zum Tragen. § 4 Abs 1 KryptowährungsVO sieht zunächst die deklarative Aussage vor, dass der Wert der bezogenen Kryptowährungen im Zuflusszeitpunkt als Einkünfte und zugleich als deren Anschaffungskosten anzusetzen ist, um nachfolgend nähere Vorgaben zur Wertermittlung aufzustellen. Der dabei angesetzte Wert geht in weiterer Folge auch in den gleitenden Durchschnittspreis ein.
5.2. Ermittlung des Werts einer Kryptowährung
In Anlehnung an die deutsche Verwaltungspraxis20 soll primär ein vorhandener Kurswert einer Kryptowährungsbörse zur Wertbestimmung herangezogen werden. Als „Kryptowährungsbörse“ definiert § 6 Z 3 KryptowährungsVO einen Dienstleister, der den Tausch von Kryptowährungen in gesetzlich anerkannte Zahlungsmittel und umgekehrt bzw in andere Kryptowährungen anbietet, wobei Käufer und Verkäufer der Kryptowährungen unter den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unmittelbar miteinander kontrahieren. Ist kein solcher Börsenkurs vorhanden, ist der Kurswert eines Kryptowährungshändlers anzusetzen. Als „Kryptowährungshändler“ gilt gem § 6 Z 4 ein Dienstleister, der den Tausch von Kryptowährungen in gesetzlich anerkannte Zahlungsmittel und umgekehrt bzw in andere Kryptowährungen anbietet, wobei Käufer und Verkäufer der Kryptowährungen direkt mit dem Kryptowährungshändler kontrahieren (zB Kraken, Coinbase und Bitpanda). Ist auch ein solcher Kurs nicht vorhanden, ist der Kurs einer allgemein anerkannten und vom Steuerpflichtigen unabhängigen, webbasierten Liste, die aktuelle Kaufpreise für Kryptowährungen abbildet, anzusetzen (zB https://coinmarketcap.com/de).21 Bei der Bewertung ist zudem das Prinzip der Bewertungsstetigkeit zu beachten, sodass ein willkürliches Wechseln der Bewertungsquellen ausscheidet.
5.3. Vereinfachte Bewertung bei häufigen Zuflüssen
§ 4 Abs 2 KryptowährungsVO enthält darüber hinaus eine Vereinfachungsvorschrift, wenn laufende Einkünfte aus Kryptowäh-
20 Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token vom 10. 5. 2022, IV C 1 - S 2256/19/10003 :001, Rz 43, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/ BMF_Schreiben/Steuerarten/Einkommensteuer/2022-05-09-einzelfragenzur-ertragsteuerrechtlichen-behandlung-von-virtuellen-waehrungen-undvon-sonstigen-token-bmf-schreiben.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 10. 1. 2023).
21 Vgl auch Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der KryptowährungsVO 3.
rungen aus demselben Vorgang (zB einem Verleihvorgang) öfter als dreimal pro Monat zufließen. Da einzelne Protokolle zum Teil einen sekündlichen Zufluss vorsehen, soll durch diese Vereinfachung eine praktikable Bewertungsmöglichkeit sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Finanzverwaltung vorgesehen werden, indem die zugeflossenen Kryptowährungen jeweils mit dem Tagesendkurs am Monatsersten des Zuflussmonats anzusetzen sind.
Dem KESt-Abzugsverpflichteten steht jedoch die Möglichkeit offen, eine Bewertung zum tatsächlichen Zuflusszeitpunkt vorzunehmen, wobei auch in diesem Fall die im Rahmen des KESt-Abzuges vorgenommene Bewertung für die Veranlagung maßgeblich ist. Diese Wahlmöglichkeit zur zeitpunktgenauen Bewertung soll aus Gründen der Verwaltungsökonomie und der Nachvollziehbarkeit ausschließlich dem Abzugsverpflichteten zustehen; sofern Einkünfte aus Kryptowährungen keinem KESt-Abzug unterliegen, sind diese daher jedenfalls mit dem Tagesendkurs am Monatsersten des Zuflussmonats zu bewerten, wenn laufende Einkünfte aus demselben Vorgang öfter als dreimal pro Monat zufließen.
6. Einstufung als Kryptowährung
Die neuen Regelungen zur Besteuerung von Kryptowährungen kommen nur auf solche Krypto-Assets zu Anwendung, die die Legaldefinition in § 27b Abs 4 EStG erfüllen.22 § 5 KryptowährungsVO sieht nun ausschließlich für Zwecke des KESt-Abzuges eine Zweifelsregelung vor. Danach soll der Abzugsverpflichtete im Zweifel davon ausgehen können, dass ein Krypto-Asset als Kryptowährung iSd § 27b Abs 4 EStG einzustufen ist und daher ein KESt-Abzug zu erfolgen hat. In diesem Fall hat die Einstufung im Rahmen des KESt-Abzuges jedoch keine Auswirkungen auf die Besteuerung im Rahmen der Veranlagung: Handelt es sich tatsächlich um keine Kryptowährung, hat die richtige Besteuerung im Rahmen der Veranlagung durch den Steuerpflichtigen zu erfolgen – die KESt als reine Sicherungssteuer kann angerechnet werden.
7. Inkrafttreten
Die Verordnung ist mit 1. 1. 2023 in Kraft getreten (§ 7 KryptowährungsVO). Dies gilt insb auch für die Bewertung mit dem gleitenden Durchschnittspreis. Dieser ist für sämtliche Einkünfte aus realisierten Wertsteigerungen von Kryptowährungen anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2022 zufließen. Für Einkünfte, die davor zufließen, gilt die früher erworbene Einheit der Kryptowäh-
22 „Eine Kryptowährung ist eine digitale Darstellung eines Werts, die von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und nicht zwangsläufig an eine gesetzlich festgelegte Währung angebunden ist und die nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristischen Personen als Tauschmittel akzeptiert wird und die auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden kann.“ Siehe dazu ausführlich Wild, RdW 2022, 210 (211 f).
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 9 GESELLSCHAFTS- UND STEUERRECHT
ART.-NR.: 2
rung als zuerst veräußert, sofern technisch keine abweichende Zuordnung nachgewiesen werden kann.23 Da auch § 3 KryptowährungsVO erst mit 1. 1. 2023 in Kraft trat, gilt für Veräußerungen bis zum 31. 12. 2022 primär Altbestand als veräußert – das Zuordnungswahlrecht besteht erst ab 2023.
Dem folgend hat zum 1. 1. 2023 eine Neubewertung für sämtliche sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Kryptowährungsadresse bzw -wallet befindlichen Kryptowährungen des Neuvermögens derart zu erfolgen, dass sämtliche Anschaffungskosten zu addieren und gleichteilig auf die sich noch auf der Kryptowährungsadresse bzw -wallet befindlichen Kryptowährungen des Neuvermögens aufzuteilen sind.24
Beispiel:
A hat folgende Erwerbsvorgänge des A-Coin getätigt, wobei sämtliche A-Coins auf derselben Kryptowährungsadresse verwahrt werden:
AnschaffungsdatumAnschaffungskostenMenge
5. 3. 2021151 A-Coin
5. 5. 2021602 A-Coins
19. 6. 2022 105 A-Coins
Am 10. 10. 2022 hat er bereits einen A-Coin um 20 wieder veräußert. Am 3. 1. 2023 veräußert er zwei weitere A-Coins um 30.
Die Veräußerung im Jahr 2022 erfolgt noch vor Inkrafttreten von § 2 KryptowährungsVO. Für Einkünfte, die da-
23 Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der KryptowährungsVO 3; vgl dazu auch Wild, RdW 2022, 210 (216).
24 Siehe auch Wild/Luka, SWK 2022, 1370 (1375).
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vor zufließen, gilt die früher erworbene Einheit der Kryptowährung als zuerst veräußert, sofern A keine abweichende Zuordnung nachweisen kann. Dadurch erzielt A steuerpflichtige Einkünfte iHv 5 (Veräußerungserlös [20] minus Anschaffungskosten [15]).
Am 1. 1. 2023 sind alle verbliebenen A-Coins mit dem Durchschnittspreis zu bewerten, sodass auf jeden A-Coin Anschaffungskosten iHv 10 entfallen (Summe Anschaffungskosten [70] : Summe verbliebene A-Coins [7]). Im Rahmen der Veräußerung am 3. 1. 2023 werden daher Einkünfte iHv 10 (Veräußerungserlös [30] minus Anschaffungskosten für 2 A-Coins [20]) erzielt.
Eine Ausnahme vom Inkrafttreten sieht die Verordnung für die Bewertungsvereinfachung des § 5 Abs 2 KryptowährungsVO vor. Aus Praktikabilitätsgründen soll die vereinfachte Bewertung bereits für Zuflüsse im Jahr 2022 freiwillig angewendet werden können, sofern der Steuerpflichtige keine Bewertung zum tatsächlichen Zuflusszeitpunkt vornimmt.
Die Autorin:
Dr. Alexandra Wild ist Mitarbeiterin in der Abteilung für Einkommen- und Körperschaftsteuer im Bundesministerium für Finanzen und Lektorin am Postgraduate Center an der Universität Wien. Zuvor war sie Universitätsassistentin am Institut für Finanzrecht an der Universität Wien.
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RECHNUNGSWESEN
Mag. Werner Fleischer/Mag. Helmut Kerschbaumer
IFRS im Jahresabschluss – ein weiterer Schritt zur „Modernisierung“ der Rechnungslegung in Österreich?
»RWZ 2023/3
Mehrere Gründe sprechen für die Einführung eines Wahlrechts zur Aufstellung des Jahresabschlusses nach den Grundsätzen der IFRS. Damit könnte ein weiterer Schritt in Richtung einer „Modernisierung“ der Rechnungslegung in Österreich gesetzt werden. Allerdings müssen in diesem Fall die Steuerbemessungs- und die Ausschüttungsbemessungsfunktion des Jahresabschlusses besondere Beachtung finden.
1. Einleitung und Zielsetzung
Das Rechnungslegungs-Änderungsgesetz 2014 (RÄG 2014)1 hat die im Unternehmensgesetzbuch (UGB) kodifizierten Rechnungslegungsvorschriften einen wesentlichen Schritt in Richtung der Verbesserung der Vergleichbarkeit, Verständlichkeit und Relevanz der für den Jahresabschluss geforderten Informationen gebracht und damit zu einer „Modernisierung“ beigetragen.2 Die Grundlagen dafür finden sich einerseits in der überarbeiteten EU-Bilanzrichtlinie,3 aber auch in Vorschlägen des AFRAC.4 Als möglicher weiterer Schritt in Richtung einer „Modernisierung“ der Rechnungslegung in Österreich steht nun zur Diskussion, alternativ (in Form eines Wahlrechts) als Rechnungslegungsgrundsätze für den Jahresabschluss auch die von der EU übernommenen International Financial Reporting Standards (IFRS) zuzulassen. Aktuell befasst sich eine Arbeitsgruppe im AFRAC und im Fachsenat für Unternehmensberichterstattung bei der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen mit den Fragen und Möglichkeiten der IFRS-Anwendung auch im Jahresabschluss.
Die Verordnung (EG) Nr 1606/2002 5 räumt den Mitgliedstaaten in Art 5 lit b ein Wahlrecht für die Anwendung der IFRS im Jahresabschluss ein. Während eine größere Anzahl von Mitgliedstaaten von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat,6 erfolgte in Österreich wie auch in Deutschland bisher keine entsprechende Umsetzung in nationales Recht. Dies zum einen, weil in Österreich ein auf langjähriger Erfahrung basierendes und breiten Kreisen vertrautes Rechnungslegungsrecht besteht. Zum anderen, weil der Jahresabschluss in Österreich über die Information der Stakeholder (Informationsfunktion) hinaus noch einige andere Aufgaben erfüllt: Er ist maßgeblich für die steuerliche Gewinnermittlung (Steuerbemessungsfunktion) und dient als Grundlage für die Gewinnausschüttung bei Kapitalgesellschaften und Genossenschaften und damit der Sicherstellung der Kapitalerhaltung (Ausschüttungsbemessungsfunktion).7 Eine Änderung der Rechnungslegungsregeln für den Jahresabschluss hätte daher wesentliche Auswirkungen auf die Steuer- und Ausschüttungsbemessung, aber auch Rechtsfolgen für das Gesellschafts- und Insolvenzrecht.
Dieser Beitrag befasst sich mit den Gründen für eine Zulassung der IFRS als Wahlrecht für die Aufstellung des Jahresabschlusses und zeigt wesentliche sich daraus ergebende inhaltliche Fragestellungen sowie erste Lösungsansätze dazu auf. Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über die mit einer solchen Maßnahme verbundenen Fragen zu bieten und die Diskussion zu diesem Themenbereich anzuregen.
2. Warum IFRS für den Jahresabschluss?
Für ein Wahlrecht zur Aufstellung des Jahresabschlusses nach IFRS sprechen mehrere Gründe:
1 Vgl BGBl I 2015/22.
2 Vgl dazu auch die Erläuterungen zum RÄG 2014, Allgemeiner Teil, 1.
3 Richtlinie 2013/34/EU vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl L 2013/182, 19.
4 AFRAC, Diskussionspapier „Modernisierung und Vereinheitlichung der Rechnungslegung“ (Juni 2008), https://www.afrac.at/wp-content/uploads/ AFRAC_Mod_Vereinh_Diskussionspapier_Juni08.pdf.
Ein zentraler Vorteil ergibt sich uE aus der Verwendung derselben Zahlenbasis für den Jahres- und den Konzernabschluss und damit der Möglichkeit einer einheitlichen Kommunikation des Zahlenwerks nach innen und nach außen. In der Praxis schaffen voneinander abweichende finanzielle Eckdaten
5 Verordnung (EG) Nr 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards („IAS-VO“).
6 Vgl Grünberger, IFRS 2022, Ein systematischer Praxisleitfaden (2022) 19.
7 Vgl Erläuterungen zum Rechnungslegungsänderungsgesetz 2004, BlgNR 27. GP – Regierungsvorlage, 1 und 3.
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 11 ART.-NR.: 3
und Kennzahlen, die aus den unterschiedlichen Rechnungslegungsbestimmungen resultieren, regelmäßig erhöhten Erklärungsbedarf – bspw gegenüber Aufsichtsorganen.
Wachstumsunternehmen oder Unternehmen mit internationalen Gesellschaftern könnten ihren Jahresabschluss von Beginn an nach IFRS aufstellen. Dies würde einen späteren Umstieg vermeiden und die Verständlichkeit verbessern.
Unternehmen, die auf Fremdfinanzierung und damit verbundene Ratings angewiesen sind, werden dafür in Zukunft mit IFRS-Abschlüssen in zunehmendem Maße bessere Ratingergebnisse und günstigere Finanzierungskonditionen erzielen.
In den vergangenen zehn bis 20 Jahren, vor allem verbunden mit der verpflichtenden Einführung der IFRS für den Konzernabschluss bei börsennotierten Unternehmen, hat sich die Ausbildung und Erfahrung iZm den IFRS wesentlich weiterentwickelt. Die Anwendung der IFRS im Jahresabschluss sollte daher nicht nur gut möglich sein, sondern auch die Verständlichkeit und den internationalen Austausch fördern.
Als weiterer Vorteil wird regelmäßig eine mögliche Verwaltungsvereinfachung für Tochtergesellschaften von Konzernen, die nach IFRS berichten, genannt, weil bei Anwendung der IFRS im Jahresabschluss die Überleitung von Posten des Jahresabschlusses von IFRS auf UGB-Werte entfällt. Dem steht allerdings der zusätzliche Aufwand bei Aufstellung des IFRS-Jahresabschlusses aufgrund des größeren Umfangs der geforderten Angaben im IFRS-Anhang gegenüber. Eine wesentliche Erleichterung könnte dabei der vom IASB in Arbeit befindliche Standard „Subsidiaries without Public Accountability: Disclosures“8 mit sich bringen. Nach diesem geplanten Standard soll es nicht öffentlich rechenschaftspflichtigen Tochterunternehmen von nach IFRS berichtenden Konzernen möglich sein, den Anhang in ihrem IFRS-Jahresabschluss auf einen geringeren Umfang einzuschränken. Ob dieser Entwurf in der Folge auch als Standard verabschiedet und von der EU übernommen wird, ist noch offen. Wie die Ausführungen weiter unten in diesem Beitrag noch zeigen werden, erfordert ein nach IFRS aufgestellter Jahresabschluss darüber hinaus zusätzliche Überleitungsposten im Rahmen der Ausschüttungsbemessung bzw in der steuerlichen Mehr-Weniger-Rechnung, was ebenfalls der Verwaltungsvereinfachung entgegensteht. Insgesamt erscheint uns daher ein möglicher Vorteil aus der Verwaltungsvereinfachung – abhängig vom Einzelfall – eher gering zu sein.
Nicht alle genannten Gründe werden für die jeweiligen Unternehmen gleich relevant sein. Die Vielfalt an Unternehmen unterschiedlicher Größe, Finanzierung, Gesellschafterstruktur und Governance und die damit verbundenen unterschiedlichen Anforderungen an Zweck und Qualität der Rechnungslegung dieser Unternehmen verlangen nach einem weiteren Spektrum von für die jeweilige Situation geeigneten Regelwerken. Zentrales Element unserer Überlegungen ist es daher, dass die Anwendung der IFRS im Jahresabschluss ausschließlich als Wahlrecht ausgestaltet wird.9
8 Vgl IASB, ED/2021/7 (Juli 2021).
9 Vgl Buchberger/Hirschböck/Kerschbaumer, Vorschläge zur Modernisierung der Rechnungslegung in Österreich, in Mittelbach-Hörmanseder/
3. Grundsätzliche Fragen zur Einführung von IFRS als Wahlrecht für den Jahresabschluss
In diesem Beitrag gehen wir davon aus, dass der Jahresabschluss nach IFRS alle Funktionen des UGB-Jahresabschlusses übernimmt, diesen daher zur Gänze ersetzt und damit einen „vollwertigen Abschluss“ darstellt. Eine Einschränkung auf bestimmte Rechtsformen, Unternehmen oder Branchen ist nicht angedacht. So erlaubt zB auch die Capital Requirements Regulation (CRR) die Bewertung von Vermögenswerten und außerbilanziellen Posten und die Ermittlung der Eigenmittel bei Banken nach den Internationalen Rechnungslegungsstandards.10
Für die Einführung der IFRS als Wahlrecht für den Jahresabschluss liegt daher eine entsprechende Anpassung der allgemeinen Vorschriften des UGB nahe. Ein separates „IFRS-Gesetz“ erscheint nicht sinnvoll. Weil das Wahlrecht nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern für alle Rechtsformen gelten soll, bietet sich eine entsprechende Gesetzesbestimmung des dritten Buches des UGB (§ 189 ff UGB) an.
Besonderes Augenmerk muss bei Einführung des Wahlrechts auf mögliche Auswirkungen einer Umstellung auf gesetzliche und vertragliche Bestimmungen außerhalb der Rechnungslegung gelegt werden. Naheliegend sind dabei Bestimmungen im Gesellschafts- und Insolvenzrecht sowie in Verträgen mit Bedingungen, die auf bestimmte Kennzahlen abstellen. Eine erste Diskussion in der im Fachsenat für Unternehmensberichterstattung (vormals Fachsenat für Unternehmensrecht und Revision) eingerichteten Arbeitsgruppe hat gezeigt, dass in den meisten Fällen der IFRSJahresabschluss ohne weitere Anpassungserfordernisse an die Stelle des UGB-Abschlusses treten kann. Dies betrifft vor allem die Vorlage, Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses nach AktG und GmbHG. Die Wahl der Rechnungslegungsgrundlage sollte auf die Gültigkeit dieser Rechtsakte keine Auswirkung haben, solange die gewählte Grundlage und die Anwendung den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Etwas schwieriger könnte die Beurteilung im Bereich der Unternehmensreorganisation sein, weil sich relevante vom Jahresabschluss abgeleitete Kennzahlen (vor allem Eigenkapital- und andere URG-Kennzahlen) nach IFRS wesentlich von jenen im UGB-Abschluss unterscheiden können. Aber auch dabei kann argumentiert werden, dass auch im UGB Ansatz- und Bewertungswahlrechte bestehen, die diese Kennzahlen wesentlich beeinflussen können.
Eine ähnliche Diskussion betrifft auch die Frage, ob die Möglichkeit zur Anwendung der IFRS im Jahresabschluss verfassungsrechtlich bedenklich sein könnte. Das Argument, dass die IFRS von einem privaten Standard-Setter entwickelt werden, ist uE insofern nicht angebracht, als alle IFRS dem Übernahmeverfahren in europäisches Recht gem Art 3 IAS-VO unterliegen und
Schiebel (Hrsg), Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung, FS Bertl (2021) 843.
10 Vgl Verordnung (EU) Nr 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 646/2012 Art 24, Art 24 Abs 2.
rwz.lexisnexis.at 12 RWZ 1/2023 RECHNUNGSWESEN ART.-NR.: 3
damit geltendes EU-Recht darstellen. Ebenso halten wir Bedenken, dass dieses Wahlrecht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen könnte, für nicht erheblich, weil dieses Wahlrecht allen bilanzierenden Unternehmen zur Verfügung stehen soll. Darüber hinaus besteht ein solches Wahlrecht bereits für die Aufstellung des Konzernabschlusses bei nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen.
4. Ausschüttungsbemessung
4.1. Methoden zur Ausschüttungsbegrenzung
Bereits oben haben wir ausgeführt, dass die Ausschüttungsbemessung eine der wesentlichen Funktionen des Jahresabschlusses nach UGB darstellt. Es ist daher zu prüfen, ob und in welcher Form auch ein Jahresabschluss nach IFRS Ausschüttungen in einer Weise begrenzen kann, die den Kriterien eines (parallel weiter gültigen) UGB-Abschlusses annähernd entspricht und den strengen Anforderungen an den Gläubigerschutz gerecht wird.
In Theorie und Praxis werden folgende Methoden zur Begrenzung des ausschüttbaren Betrags vorgeschlagen:11
a) Begrenzung auf Basis eines Solvenztests;
b) Begrenzung (nur) durch die Treuepflicht der Organe der Gesellschaft (Company-Option-Ansatz);
c) Begrenzung durch den ermittelten (Bilanz-)Gewinn (RegulatorOption-Ansatz).
a) Solvenztest
In Variante a) wird der ausschüttbare Betrag auf Basis der Rechnungslegungsvorschriften der IFRS ermittelt und durch einen Solvenztest begrenzt. In einem solchen Solvenztest wird geprüft, ob die Ausschüttung ausreichend durch aktuelle und/oder zukünftige Zahlungsströme gedeckt wäre. Die EU-Kommission hat bereits 2008 KPMG mit einer Studie zur Eignung von Jahresabschlüssen nach IFRS zur Ausschüttungsbemessung beauftragt.12
Diese Studie hat zum Ergebnis geführt, dass ein Jahresabschluss nach IFRS in Verbindung mit einem Solvenztest grundsätzlich zur Bemessung und Begrenzung der Ausschüttung geeignet wäre. In mehreren Bundesstaaten der USA ist ein solches System durch die Regelungen des Revised Model Business Corporation Act (RMBCA) seit einigen Jahren gängige Praxis.13
Solche (zwingenden) Solvenztests könnten folgende Vorteile haben:
Weitgehende Abkoppelung der Ausschüttung von der Ergebnisermittlung und damit auch von den zugrunde liegenden Rechnungslegungsgrundsätzen;
11 Vgl dazu auch Kasapovic, Die Eignung der IFRS als Ausschüttungsbemessungsgrundlage, RwSt 3/2022, 65 (88), und die dort angeführten Quellen.
12 Feasibility study on an alternative to the capital maintenance regime established by the Second Company Law Directive 77/91/EEC of 13 December 1976 and an examination of the impact on profit distribution of the new EU-accounting regime – Main Report (2008), verfügbar unter https:// ec.europa.eu/docsroom/documents/42762?locale=en (5. 12. 2022).
13 Ebenda 4 und 155 ff
kein Abstellen auf in der Vergangenheit realisierte Ergebnisse, sondern Fokus auf die (künftige) Zahlungsfähigkeit;
Synergien mit der ohnehin gebotenen Prüfung der Going-Concern-Prämisse;
Synergien mit Impairment Tests nach IAS 36.
Der Vorteil einer solchen auf (künftigen) Zahlungsströmen basierenden Ausschüttungsbegrenzung ist allerdings mit einer Reihe von noch zu klärenden Fragen verbunden:
Soll auf den Zahlungsmittelbestand zum Ausschüttungszeitpunkt abgestellt oder soll auch dessen zukünftige Entwicklung einbezogen werden?
Wie kann im letztgenannten Fall die Qualität der CashflowPrognose gewährleistet werden?
Wie lang ist dabei der Planungszeitraum (mit allen damit verbundenen Planungsunsicherheiten)?
Werden durch die (notwendige) Offenlegung von Liquiditätsplanungen Dritten wettbewerbsrelevante Informationen zugänglich?
Wie werden langfristige Schulden, deren Tilgungszeitpunkt nach Ende des Planungszeitraums liegt, berücksichtigt?
Wie können vergleichbare Regeln für die Erstellung des Solvenztests normiert werden?
Wie kann ein Abschlussprüfer darüber ein verlässliches Urteil abgeben?
Werden mögliche Einsparungen durch Wegfall des UGB-Abschlusses durch die zusätzlichen Kosten für Solvenztests (über)kompensiert?
Diese lange Liste an zu lösenden Fragen lässt daran zweifeln, dass der Solvenztest als Instrument der Ausschüttungsbegrenzung bei Aufstellung des Jahresabschlusses nach IFRS eine empfehlenswerte Alternative für eine Novelle des Unternehmensrechts darstellt.
b) Company-Option-Ansatz
Der Company-Option-Ansatz sieht vor, dass die Begrenzung der Ausschüttung nur durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Unternehmensleitung gegenüber der Gesellschaft gewährleistet wird. Ein solches extrem liberales Ausschüttungsregime ist aufgrund der strengen Anforderungen an den Gläubigerschutz, auch im Gesamtkontext der Rechtsnormen in Österreich, nicht vorstellbar.
c)
Die österreichische Rechtslage basiert derzeit auf dem Regulator-Option-Ansatz, wobei durch die (konservativen) Ansatzund Bewertungsvorschriften im UGB die Beschränkungen der Ausschüttung in den meisten Fällen bereits in der Ergebnisentstehungsphase wirksam werden. Diese Beschränkungen werden ergänzt durch eine taxativ normierte Zahl zusätzlicher Ausschüttungssperren für die Gewinnverwendungsphase. Weitere Beschränkungen durch Solvenztests oder die Treuepflicht der Geschäftsleitung sind bei diesem Ansatz daher nicht mehr notwendig. Verwiesen sei allerdings auf die gesellschaftsrechtliche Norm des § 82 Abs 5 GmbH, die vorsieht, dass Gewinne insoweit
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 13 RECHNUNGSWESEN
ART.-NR.: 3
Regulator-Option-Ansatz
nicht ausgeschüttet werden dürfen, als zwischen dem Ende des Geschäftsjahres und der Beschlussfassung der Gesellschafter über den Jahresabschluss der Vermögensstand der Gesellschaft durch eingetretene Verluste oder Wertverminderungen erheblich und voraussichtlich nicht bloß vorübergehend geschmälert worden ist. Diese Regelung wird analog auch als für Aktiengesellschaften anwendbar erachtet.14
Die Rechnungslegungsgrundsätze des UGB führen somit zu einer angemessenen Balance zwischen Gläubiger- und Eigentümerinteressen. Allerdings kann die Möglichkeit zur Bildung und insb zur Auflösung stiller Reserven auch zur Verschleierung der Auswirkungen nicht werthaltiger Investitionen und zur verzögerten Einsicht in für die Gesellschaft existenzbedrohende Situationen führen. Die Rechnungslegung nach IFRS versucht hingegen, den Gläubigerschutz primär durch bessere Information der Stakeholder zu gewährleisten.
Falls daher die Anwendung der IFRS im Jahresabschluss ermöglicht werden soll, erscheint es am zweckmäßigsten, die bewährten Regeln des im UGB verankerten Regulator-Option-Ansatzes weiterzuentwickeln. Dabei sollte allerdings folgenden Aspekten besondere Bedeutung beigemessen werden:
Die konservative Bewertung und eine darauf aufbauende Ausschüttungsbemessung stellen wesentliche Säulen des Gläubigerschutzes dar.
Eine unterschiedliche Behandlung von UGB- und IFRS-Jahresabschlüssen könnte – auch als Wahlrecht ausgestaltet – verfassungsrechtlich problematisch sein.
An das Verbot der Einlagenrückgewähr gem § 52 AktG bzw § 82 GmbHG knüpfen bedeutende gesellschaftsrechtliche, abgabenrechtliche und auch strafrechtliche Konsequenzen an.
Eine gänzliche Abkehr von der in Österreich seit vielen Jahrzehnten etablierten Bilanzierungspraxis würde die Durchsetzbarkeit einer solchen Reform wesentlich erschweren. Aus den genannten Gründen dürfte die Ausschüttung auf Basis von IFRS-Jahresabschlüssen daher nicht signifikant von solchen auf Basis konventioneller UGB-Abschlüsse abweichen. Um dies zu gewährleisten, müsste durch gesonderte Überleitungs- bzw Ergänzungsrechnungen eine Ausschüttungsbegrenzung vorgenommen werden, die der von UGB-Jahresabschlüssen annähernd gleichkommt.
4.2. Methoden der Überleitungs- bzw Ergänzungsrechnungen
Um ein solches, den UGB-Grundsätzen entsprechendes Gläubigerschutzniveau bei der Ausschüttung zu gewährleisten, kommen folgende Methoden infrage:
a) Vollumfängliche Überleitungsrechnung;
b) Selektive Überleitungsrechnung.
14
a) Vollumfängliche Überleitungsrechnung
In einer vollumfänglichen Überleitungsrechnung wird das Ergebnis nach IFRS vollständig in einen Bilanzgewinn nach UGB –unter Berücksichtigung aller Ausschüttungssperren – übergeleitet. Der Vorteil wäre eine gänzliche Gleichschaltung mit konventionellen UGB-Abschlüssen und damit die Aufrechterhaltung aller gläubigerschutzorientierten Vorschriften des UGB. Allerdings entstünde damit der gleiche Aufwand wie bei einer Überleitung von UGB-Abschlüssen in IFRS-Abschlüsse, wie sie derzeit häufig für die Aufstellung von IFRS-Konzernabschlüssen angewendet wird (falls nicht ohnehin der „Leading Ledger“ nach IFRS-Grundsätzen konzipiert ist). Ein weiterer Nachteil ist, dass die Positionen des Other Comprehensive Income separat in Bestandteile des UGB-Ergebnisses übergeleitet werden müssten. Diese Methode ist daher aus den genannten Gründen nicht zu präferieren.
b) Selektive Überleitungsrechnung
Diese Variante basiert auf einer empirischen Untersuchung von Kasapovic, 15 aus der hervorgeht, dass in der Praxis die Zahl von Unterschieden zwischen den Jahresabschlüssen nach IFRS und nach UGB überschaubar ist. Die Untersuchung hat weiters aufgezeigt, dass sich bei österreichischen Gesellschaften signifikante Unterschiede der Ausschüttungsniveaus zwischen IFRS- und UGB-Abschlüssen nur bei folgenden Themenkomplexen ergeben würden:16
Modell des beizulegenden Zeitwerts im Bereich der als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien;
Finanzinstrumente (FVTPL);
Freistehende Derivate (FVTPL);
Teilgewinnrealisierung im Zuge der PoC-Methode.
Es wäre daher geboten, die aus diesen Themenkomplexen resultierenden Ergebniseffekte jedenfalls einer Ausschüttungssperre zu unterwerfen. Formal könnte dies in Form einer Ergänzungsrechnung oder durch den Ansatz ausschüttungsgesperrter Rücklagen erfolgen.17 Positive Ergebniseffekte, die bereits nach IFRS im Sonstigen Ergebnis (Other Comprehensive Income) erfasst werden, sind dabei sui generis ohnehin schon (temporär) von einer Ausschüttung ausgeschlossen. Allerdings werden im Sonstigen Ergebnis auch negative Ergebniseffekte, zB aus Pensionsrückstellungen, erfasst. Diese müssten daher separat einer Ausschüttungssperre unterworfen werden, weil es ansonsten sogar zu einer ungewollten Erhöhung der Ausschüttungsbasis käme.
Weitere Elemente einer Überleitungsrechnung wären Sachverhalte, die nach IFRS bzw UGB völlig unterschiedlich behandelt werden, zB die Folgebewertung von Firmenwerten, Leasinggüter und die Aktivierung von selbst erstellten immateriellen Vermögenswerten.
Der Vorteil für die Aufsteller von Jahresabschlüssen liegt bei dieser Variante in einem geringeren Aufwand von Überleitungs-/
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Vgl dazu Moser, Ausschüttungsverbot bei Verschlechterung der Vermögenslage auch im AktG analog § 82 Abs 5 GmbHG? GES 2020, 183.
15 Vgl Kasapovic, RwSt 3/2022, 65 (65 ff ).
16 Vgl Kasapovic, RwSt 3/2022, 65 (89 f).
17 Vgl Kasapovic, RwSt 3/2022, 65 (92 f).
ART.-NR.: 3
Ergänzungsrechnungen im Vergleich zur Aufstellung zweier paralleler Abschlüsse.
Aus Sicht des Gesetzgebers wären bei dieser Variante allerdings weiter gehende Anpassungen des UGB notwendig. Die auf Fair-Value-Bewertungen nach IFRS beruhenden Unterschiede könnten zwar in Form einer Generalklausel geregelt werden, punktuelle Unterschiede der Bilanzierungsgrundsätze müssten allerdings nach Maßgabe neu eingeführter IFRS im UGB immer wieder „nachgeführt“ werden.
5. IFRS-Jahresabschluss und Steuerbemessung
5.1. Herleitung des steuerlichen Ergebnisses
Nach dem in § 5 Abs 1 EStG normierten Maßgeblichkeitsprinzip bildet der nach UGB aufgestellte Jahresabschluss den Ausgangspunkt für die steuerliche Gewinnermittlung.18 Würde nun ein Unternehmen seinen Jahresabschuss nach IFRS aufstellen, wäre zu klären, welche Auswirkungen sich daraus auf die Maßgeblichkeit des unternehmensrechtlichen Abschlusses für die steuerliche Gewinnermittlung ergäben.
Konzeptionell bestehen auch hier (mindestens) zwei Lösungsansätze. Der erste Lösungsansatz geht davon aus, dass bei entsprechender Anpassung des UGB und des EStG der IFRSJahresabschluss als unternehmensrechtlicher Abschluss iSd § 5 Abs 1 EStG gilt und damit unmittelbar für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich ist. Der zweite Lösungsansatz folgt dem Argument, dass der IFRS-Jahresabschluss keinen unternehmensrechtlichen Abschluss iSd § 5 Abs 1 EStG darstellt und aus einkommensteuerrechtlicher Sicht daher die Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG erfolgen muss.19 In diesem Fall besteht keine Maßgeblichkeit des IFRS-Abschlusses für die steuerliche Gewinnermittlung. Die steuerliche Gewinnermittlung muss daher auf Basis eines selbstständigen Steuerbilanzrechts, und zwar der bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG geltenden (steuerlichen) Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und der Regelungen der §§ 6–14 EStG, erfolgen. Dazu ist gem § 4 Abs 2 EStG eine nach diesen Grundsätzen aufgestellte Vermögensübersicht (Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung) erforderlich. Aufgrund der in der Praxis überschaubaren Anzahl zwingender Abweichungen zwischen den Rechnungslegungsregeln nach IFRS und UGB könnte diese Anforderung auch eine auf dem IFRS-Abschluss aufbauende Überleitungsrechnung erfüllen.20 Diese beiden Lösungsansätze sollen in der Folge aus praktischer Sicht näher betrachtet werden.
5.2. Unmittelbare Ableitung des steuerlichen Ergebnisses aus
dem IFRS-Abschluss
Übernimmt der IFRS-Jahresabschluss die Funktion des unternehmensrechtlichen Abschlusses und ist er daher nach § 5 Abs 1 EStG maßgeblich für die steuerliche Gewinnermittlung, kommt es zu keiner Änderung des bestehenden Konzepts der Maßgeblichkeit. Den unterschiedlichen Grundsätzen zwischen den Rechnungslegungsvorschriften nach UGB und IFRS könnte dadurch Rechnung getragen werden, dass zB die gemäß den Kapitalerhaltungsgrundsätzen ausschüttungsgesperrten Beträge (vgl oben Abschnitt 4.1.) nicht in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließen.21 Dieser Ansatz erfordert keinen zweiten „Ledger“, der IFRS-Abschluss mit der entsprechenden Überleitungsrechnung gilt als Steuerbilanz. Der Überleitungsaufwand kann sich daher – je nach konkretem Sachverhalt – in Grenzen halten. Diesen Vorteilen steht jedoch eine Reihe von Nachteilen gegenüber. Als grundsätzlichen Nachteil sehen wir den Weiterbestand der Maßgeblichkeit des IFRS-Abschlusses für die steuerliche Gewinnermittlung. Damit kann auch weiterhin die Aufstellung des Jahresabschlusses nicht unbeeinflusst von den steuerlichen Überlegungen und der Steuerpolitik des Unternehmens erfolgen, und der Zielkonflikt zwischen der nach IFRS verlangten „Neutralität“ und der „Optimierung der Steuerbelastung“ bleibt bestehen. Die „Neutralität“ bildet ein Grundprinzip der IFRS22 und verlangt ein objektives, am möglichst getreuen Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ausgerichtetes Anwenden der Rechnungslegungsregeln, während die am subjektiven Optimierungsziel ausgerichtete Nutzung der bestehenden Wahlrechte und Ermessensspielräume im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung für die Unternehmensleitung sogar geboten ist.23 Oder anders gesagt: Dieses Konzept vergibt die Gelegenheit, die steuerliche Gewinnermittlung völlig vom unternehmensrechtlichen Abschluss zu entkoppeln und damit die mit dem Maßgeblichkeitsprinzip verbundenen Probleme wie den beschriebenen Zielkonflikt oder auch die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Rechtssetzung und die Rechtsprechung24 zu lösen.
5.3. Eigenständige steuerliche Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG
Der zweite Lösungsansatz geht von einem eigenständigen Steuerbilanzrecht aus. Auch wenn ein solches nicht oder zumindest nicht umfassend kodifiziert ist,25 besteht bereits in § 4 Abs 1 EStG und in den §§ 6–14 EStG eine Grundlage dafür und damit auch die entsprechende Praxis und Rechtsprechung. Dass diese
18 Zu den verschiedenen Aspekten des Maßgeblichkeitsprinzips vgl Bertl/ Hirschler, Internationalisierung der Rechnungslegung und Einheitsbilanz, in Kanduth-Kristen/Urnik/Fritz-Schmied (Hrsg), Gedenkschrift Herbert Kofler (2020) 422 ff
19 Vgl Zöchling/Dziurdz, Gewinnermittlung im Unternehmens- und Steuerrecht, in Beiser/Hohenwarter/Kirchmayr/Mayr (Hrsg), Körperschaften im Steuerrecht, FS Zorn (2022) 698.
20 Vgl Zöchling/Dziurdz in FS Zorn 699.
21 Vgl Zöchling/Dziurdz in FS Zorn 698.
22 Vgl IASB Conceptual Framework 2.15.
23 Vgl Buchberger/Hirschböck/Kerschbaumer in FS Bertl 835.
24 Vgl Bertl/Hirschler in GS H. Kofler 427.
25 Vgl Staringer, Thesen zur Einheitsbilanz in Österreich, Vortrag anlässlich der IFA 2021, sowie Langer, Aktueller Status der Maßgeblichkeit in der Rechtsprechung, Vortrag anlässlich des 6. Wiener Symposiums zum Unternehmenssteuerrecht (2016).
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Vorschriften zB durch Rückgriff auf die unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und die unternehmensrechtlichen Rechnungslegungsbestimmungen noch ergänzt werden, ist sehr wahrscheinlich, aber Angelegenheit des Steuergesetzgebers. Auch eine Zusammenfassung der Gewinnermittlungsvorschriften von § 4 Abs 1 EStG und § 5 Abs 1 EStG und eine weitgehende Harmonisierung der steuerlichen und der UGB-Rechnungslegung stehen im Raum.26 Im Ergebnis bestünde ein nach einem selbstständigen Steuerbilanzrecht aufgestellter Abschluss zur Steuerbemessung neben dem für die Unternehmensberichterstattung aufgestellten IFRS-Abschluss27. Damit hätte die Wahl der Rechnungslegungsvorschriften für die unternehmensrechtliche Finanzberichterstattung keine Auswirkung auf die steuerliche Gewinnermittlung: Unabhängig davon, ob die Finanzberichterstattung nach UGB oder IFRS erfolgte, der Betrag des zu versteuernden Einkommens bliebe derselbe.
Eine solche „Entkoppelung“ löst auch die Frage der „Hoheit“ über die Gesetzgebungs- und Auslegungskompetenz. Diese verbleibt für die Steuerbemessung weitgehend beim nationalen Gesetzgeber bzw bei der nationalen Gerichtsbarkeit, während sie für den IFRS-Abschluss auf EU-Ebene liegt. Die Einführung steuerlicher Lenkungsmaßnahmen, wie zB konjunkturfördernder Steueranreize, hätte keine Beeinträchtigung der Unternehmensberichterstattung zur Folge. Als „Nebeneffekt“ könnte eine weitere Zusammenführung der steuerlichen und der UGB- Bilanzierungsvorschriften stattfinden und damit für die große Anzahl der auch in Zukunft nicht nach IFRS bilanzierenden Unternehmen das Ziel der „Einheitsbilanz“ wesentlich näher rücken. Aber auch dieser Lösungsansatz ist mit Nachteilen verbunden. So sind zwei „Ledger“ zu führen, und soweit die UGB-Bilanzierungsvorschriften Teil des Steuerbilanzrechts sind, bleiben diese in der Praxis weiterhin relevant. Die Liste der Überleitungserfordernisse von einem IFRS-Abschluss wird jedenfalls um einiges länger. Vereinfachungen und Einsparungen halten sich bei dieser Variante daher in Grenzen.
6. Zusammenfassung und Ausblick
Der vorliegende Beitrag hatte zum Ziel, dazulegen, ob und in welcher Form Jahresabschlüsse auch nach den Grundsätzen der IFRS aufgestellt werden könnten. Damit entfiele im Sinne einer Weiterentwicklung und „Modernisierung“ der Rechnungslegung eine parallele Aufstellung der Jahresabschlüsse nach UGB und nach IFRS für alle in einem IFRS-Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen. Weitere Vorteile für die betroffenen Unternehmen wären eine klare und einheitliche Kommunikation von Jahresabschlussinfor-
26 Vgl Zöchling/Dziurdz in FS Zorn (2022) 699.
27 Zur Existenz und Bedeutung einer (eigenständigen) Steuerbilanz nach geltendem Steuerrecht (siehe dazu jüngst VwGH 22. 9. 2021, Ro 2020/15/0026) vgl Hirschler/Sulz, Die Bedeutung der Steuerbilanz im Zusammenhang mit der Bilanzberichtigung bei Bilanzierung nach UGB, RWZ 2021/68, bzw Hirschler/Sulz, Steuerbilanz und Bilanzberichtigung –Gibt es einen negativen Buchwert? in Beiser/Hohenwarter/Kirchmayr/Mayr (Hrsg), Körperschaften im Steuerrecht, FS Zorn (2022) 197.
mationen an alle internen und externen Adressaten sowie die internationale Vergleichbarkeit und Akzeptanz ihrer Jahresabschlüsse. Gewinnausschüttungen basieren derzeit auf den stark am Gläubigerschutz orientierten Vorschriften des UGB. Eine Weiterentwicklung der Rechnungslegungsvorschriften sollte daher der Maxime folgen, vom bestehenden Ausschüttungsniveau nicht zu stark abzuweichen. Für die Begrenzung der Ausschüttung kommen in Theorie und Praxis mehrere Methoden infrage: der Solvenztest, das (alleinige) Abstellen auf die Treuepflicht der Unternehmensleitung („Company Option“) sowie modifizierte Normen im Rahmen des UGB („Regulator Option“). Die Verwendung des Solvenztests wurde wegen der Vielzahl noch ungelöster, aber auch schwer normierbarer Aspekte derzeit als nicht zweckmäßig angesehen. Das alleinige Abstellen auf die Treuepflicht erschien als zu liberal und daher kaum mit den Prinzipien der österreichischen Rechtsordnung kompatibel.
Falls daher Jahresabschlüsse nach IFRS zugelassen werden sollten, erweist sich als gangbarer Weg zur Weiterentwicklung der Rechnungslegung eine entsprechende Anpassung der bestehenden Regelungen des UGB. Dabei sollten Ausschüttungen auf Basis von IFRS-Abschlüssen annähernd auf demselben Niveau wie von „konventionellen“ UGB-Abschlüssen liegen. Dafür müssten einige IFRS-spezifische Bewertungseffekte, vor allem aufgrund von Fair Values, einer Ausschüttungssperre unterworfen werden. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zahl solcher Abweichungen durchaus überschaubar ist.28
Für eine Überleitung von IFRS-Jahresabschlüssen für Zwecke der Ausschüttungsbemessung bieten sich als Methoden eine vollumfängliche und eine selektive Überleitungsrechnung an. Die erste Variante erscheint nicht zweckmäßig, weil sie genauso aufwendig ist wie die derzeit übliche Überleitung von UGB-Abschlüssen in IFRS-Abschlüsse. Methode der Wahl ist daher die selektive Überleitung, bei der nur die oben angeführten IFRS-spezifischen Effekte in Form von Ergänzungsrechnungen oder speziellen Rücklagen der Ausschüttungssperre unterworfen werden. Nicht unerwähnt soll daher bleiben, dass eine „Generalklausel“ zur Normierung der (ausschüttungsgesperrten) IFRS-Effekte wohl nicht ausreichen wird, wenn neue relevante IFRS-Vorschriften erlassen würden.
Jahresabschlüsse nach UGB bilden nach derzeitigem Recht (Maßgeblichkeitsprinzip gem § 5 Abs 1 EStG) die Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung. Sollten Abschlüsse auch nach IFRS-Grundsätzen aufgestellt werden dürfen, müssten die Vorschriften für die steuerliche Gewinnermittlung entsprechend angepasst werden. Eine Möglichkeit wäre, das für Ausschüttungszwecke adaptierte IFRS-Ergebnis auch für die steuerliche Gewinnermittlung heranzuziehen. Dies hätte allerdings zur Folge, dass es durch die Nutzung steuerlicher Wahlrechte wie bisher zu einer „umgekehrten Maßgeblichkeit“ käme, was den Zielsetzungen eines „neutralen“ IFRS-Abschlusses zuwiderläuft.
Eine weitere Lösung wäre, die steuerliche Gewinnermittlung basierend auf den Vorschriften des § 4 Abs 1 EStG zu einer eigen-
rwz.lexisnexis.at 16 RWZ 1/2023 RECHNUNGSWESEN ART.-NR.: 3
28 Kasapovic, RwSt 3/2022, 65 (65 ff ).
ART.-NR.: 4
ständigen, von der unternehmensrechtlichen Rechnungslegung abgekoppelten Norm weiterzuentwickeln. Damit bestünde eine vollkommene Entkoppelung der steuerlichen Gewinnermittlung von der unternehmensrechtlichen Finanzberichterstattung nach IFRS. Dies würde allerdings wiederum eine zusätzliche Rechnung für die Zwecke der Steuerbemessung erfordern. Durch eine gleichzeitige weitere Harmonisierung der steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften mit den Rechnungslegungsvorschriften im UGB könnten für kleinere und mittlere Unternehmen wesentliche Erleichterungen erreicht werden.29
Wie ausgeführt, spricht eine Reihe von Argumenten dafür, Unternehmen die Aufstellung eines Jahresabschlusses nach den Grundsätzen der IFRS – in Form eines Wahlrechts – zu ermöglichen. Um eine solche Weiterentwicklung in das österreichische Rechtssystem ohne ungewollte „Nebenwirkungen“ zu integrieren, aber auch um überhaupt eine entsprechende Akzeptanz zu finden, muss jedenfalls auf die bestehenden Normen zur Kapitalerhaltung Rücksicht genommen werden. Darüber hinaus bedarf es aufgrund der großen Bedeutung von UGB-Abschlüssen für die steuerliche Gewinnermittlung eines sorgfältigen Vorgehens bei der notwendigen Anpassung der entsprechenden steuerlichen Bestimmungen. Gleichzeitig kann eine solche Entwicklung auch positive Impulse für die Weiterentwicklung dieser für die Unternehmen wichtigen gesetzlichen Regelungen bringen.
Mag. Rainer Wolfbauer
»RWZ 2023/4
BMSVG: §§ 28, 29, 31 Abs 1 Z 3a
International Accounting Standard (IAS) 39
BVwG 22. 3. 2022, W276 2240024-1/8E
1. Einleitung
In den beiden finanzmarktrechtlichen Rahmenwerken des Pensionskassengesetzes (PKG) sowie des Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetzes (BMSVG) finden sich vor dem Hintergrund der (nicht zuletzt auch systemisch erforderlichen) langfristigen Stabilität der jeweiligen Veranlagungsgemeinschaften zwingende Bewertungs- und Behaltevorschriften
Der Beitrag sollte eine Anregung darstellen, den mehrere Rechtsgebiete betreffenden Diskussionsprozess fortzuführen und durch Klärung noch offener Fragen in naher Zukunft gangbare Lösungen für eine weitere Modernisierung der Rechnungslegung in Österreich zu entwickeln.
Der Autor:
Mag. Werner Fleischer ist Steuerberater und Senior Advisor in Wien. Er ist Präsidiumsmitglied des AFRAC und leitet dessen Arbeitsgruppe „IFRS im Jahresabschluss“.
lesen.lexisnexis.at/autor/Fleischer/Werner
Der Autor:
Mag. Helmut Kerschbaumer ist Wirtschaftsprüfer und ehemaliger Partner bei KPMG in Wien. Er betreute nationale und internationale Klienten mit Schwerpunkt Abschlussprüfung und Beratung im Bereich Internationale Rechnungslegung. Er ist Mitglied des AFRAC, des Fachsenats für Unternehmensberichterstattung sowie des Fachsenats für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht & Corporate Governance bei der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und (Mit-)Autor mehrerer Fachbücher und Fachartikel im Bereich Rechnungslegung und Abschlussprüfung.
lesen.lexisnexis.at/autor/Kerschbaumer/Helmut
in Bezug auf näher definierte Finanzinstrumente, die aufgrund einer gesonderten Widmung dazu bestimmt sind, bis zur Endfälligkeit gehalten zu werden. Diese Vorschriften sind dem Vorbild des IAS 39 nachgebildet.1 Dementsprechend sehen § 23 Abs 1 Z 3 PKG sowie § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG im – praktisch wortidentischen – Gleichklang vor, dass über ein von der Pensionskasse bzw von der Betrieblichen Vorsorgekasse (BVK) als Daueranlage (HtM) gewidmetes Wertpapier vor Endfälligkeit nur bei Vorliegen besonderer Umstände und nach vorheriger (bescheidmäßiger) Bewilligung der FMA verfügt werden darf („Entwidmung“).2
Einschlägige Fragen einer solchen Entwidmung haben die zuständigen Gerichte3 und das Schrifttum4 in der Vergangenheit
1 Siehe zu § 23 Abs 1 Z 3a PKG die ErlRV 59 BlgNR 22. GP 260; § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG idF BGBl I 2009/152 wiederum orientiert sich an der vorgenannten Bestimmung des PKG, ErlRV 478 BlgNR 24. GP 8 f.
2 Vgl auch TP III.F.3. sowie TP IV.A.3 der Verordnung der FMA über die Gebühren der Finanzmarktaufsicht (FMA-Gebührenverordnung – FMA-GebV) betreffend die für einen solchen Bewilligungsbescheid an die FMA zu erstattenden Gebühren.
3 VwGH 15. 12. 2014, 2013/17/0497 ZFR 2015/141, 274 f; VwGH Beschluss 9. 4. 2019, Ro 2018/02/0012 ZFR 2022/153, 360 f; BVwG 11. 4. 2018, W230 2174977-1/6E ZFR 2018/149, 300 f.
4 Wolfbauer, VwGH zu IAS 39.9 (Held-to-Maturity-Methode) bei einer Betrieblichen Vorsorgekasse, RWZ 2015/29, 104 ff; Lehecka/Zöchbauer/
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 17 RECHNUNGSWESEN
29 Vgl Zöchling/Dziurdz in FS Zorn 694 f.
WILKE
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Freiwillig anwendbare Nachhaltigkeitskriterien rechtfertigen keine HTM-Entwidmung durch eine betriebliche Vorsorgekasse
bereits mehrmals beschäftigt. Dabei wurde der rechtliche Rahmen für eine vorzeitige Verfügung über HtM-gewidmete Finanzinstrumente regelmäßig sehr eng gesteckt. Zudem hat der VfGH die Verfassungskonformität der Vorschrift des BMSVG zur „Entwidmung“ bzw „Verfügung“ bestätigt.5
In einem weiteren Anlassfall hatte das BVwG zuletzt den Fall der Entwidmung zweier Anleihen zu entscheiden, die infolge der Geschäftstätigkeit des Emittenten (eines fossile Energieträger fördernden Unternehmens) nicht mehr den Nachhaltigkeitskriterien des Österreichischen Umweltzeichens entsprachen. Ungeachtet der politischen Großwetterlage im Rahmen des „Green Deal“ der Europäischen Kommission scheiterte die BVK mit ihrem Ansinnen, über die beiden Anleihen vor deren Endfälligkeit verfügen zu dürfen. Das Erkenntnis des BVwG setzt damit auch die Latte dafür, ein bestehendes Portfolio durch Umschichtungen auf ausschließlich „grüne Veranlagungen“ umzustellen, sehr hoch an. Bestrebungen, ein bestehendes Veranlagungsspektrum aus eigenem Antrieb gleichsam aus ökologischen Gesichtspunkten „auszuputzen“, wird damit jedenfalls in Bezug auf als Daueranlage gewidmete Finanzinstrumente ein Riegel vorgeschoben.
2. Sachverhalt und erstinstanzliches Verfahren der FMA
Die FMA hatte den Antrag der bf BVK gem § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG auf Verfügung über zwei Anleihen im Nominale von je 800.000 €, sohin insg im Nominale 1,6 Mio €, vor deren Endfälligkeit zum 27. 9. 2027 abgewiesen. Die beiden Wertpapiere waren seit 2012 und 2013 „HtM“-gewidmet. Zum 29. 9. 2020 habe der HtM-Kurs 1,632.445,31 €, der Kurs zum Tageswert hingegen sogar 1,960.668,27 € betragen. Beide Anleihen entsprachen im Zeitpunkt des Ankaufs den Veranlagungsbestimmungen der bfP, deren interner Nachhaltiger Veranlagungsrichtlinie in der damals gültigen Fassung sowie auch den damaligen Bedingungen des Österreichischen Umweltzeichens idF vom 1. 1. 2012. Die Bedingungen des Österreichischen Umweltzeichens Nachhaltige Finanzprodukte UZ 49 („UZ 49“) wurden jedoch mit Wirksamkeit zum 1. 1. 2020 geändert, indem als Ausschlusskriterium mit Gültigkeit für alle Anlageprodukte, die insb nicht von spezifischen Titeln eines Fonds verletzt werden dürfen, „fossile Brennstoffe“ aufgenommen wurden. Unternehmen mit bzw Projekte in diesem Geschäftsfeld sind von einem Investment ausgeschlossen. Die Bedingungen sehen keine Übergangsfrist vor.
Pkt 2.2 dieser UZ 49 regelt Folgendes:
„2.2 Ausschlusskriterien (mit Gültigkeit für alle Anlageprodukte)
Im Rahmen des Umweltzeichens werden Ausschlusskriterien formuliert, die über alle verschiedenen Anlageprodukte hinweg Gültigkeit besitzen. Diese dürfen somit weder
Darlap, Die Held-to-Maturity-Bewertung von Schuldverschreibungen durch Pensionskassen und Betriebliche Vorsorgekassen aus regulatorischer Perspektive, ZFR 2017/161, 316 ff
5 VfGH 10. 6. 2013, B 1327/2012 ZFR 2015/59, 116 (nicht im RIS enthalten).
von spezifischen Titeln/Assets im Portfolio eines Fonds, noch von Green-Bond-Emittenten sowie Öko- oder Ethikbanken und auch nicht
von mittels Green Bonds oder Nachhaltigen Sparprodukten finanzierten Projekten verletzt werden.“
Die Veranlagungsbestimmungen der BVK sehen die Zuerkennung des Österreichischen Umweltzeichens als Investitionsvoraussetzung nicht vor, enthalten aber folgende Passage: „Die Veranlagungsentscheidungen der X [BVK] berücksichtigen die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit, ausgedrückt in Sicherheit, Ertragskraft und Liquidität der Veranlagung, die ökologische und vor allem die soziale Dimension. Die nachhaltige Vermögensveranlagung soll weder zu Mehrkosten oder zu höheren Risiken noch zu Performancenachteilen verglichen mit konventioneller Veranlagung führen. Sie leistet vielmehr einen positiven Beitrag zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.“
Der Kundenbeirat der BVK änderte am 5. 10. 2020 die Nachhaltige Veranlagungsrichtlinie. Diese sieht einen Ausschluss von Unternehmen im Geschäftsfeld Erdöl und Erdgas für eine Investition vor (ausgenommen zur Stromerzeugung bis zu einem geringen Prozentsatz). Die Nachhaltige Veranlagungsrichtlinie wird in den Veranlagungsbestimmungen der bf BVK freilich nicht erwähnt. Die BVK brachte ua vor, die vorzeitige Verfügung über die Anleihe erscheine aus risikotechnischer Sicht für die Veranlagungsgemeinschaft unerlässlich.
3. Rechtsausführungen des BVwG
3.1. Zur rechtlichen Beurteilung der von der BVK beantragten Entwidmung der verfahrensgegenständlichen Anleihe
3.1.1. Die bfP ist eine konzessionierte BVK (§ 18 BMSVG) und erwarb im Jahr 2012 bzw im Jahr 2013 (...) die verfahrensgegenständliche Anleihe in einem Nominale von insg 1,600.000 € und nahm bei der Bewertung dieser Anleihe (als Ausnahme von der allgemeinen Bewertung nach dem Tageswertprinzip) die abweichende Bewertungsregel des § 31 Abs 1 BMSVG in Anspruch. Diese gestattet, bestimmte Wertpapiere mit einer festen Laufzeit, die aufgrund einer gesonderten Widmung zuvor dafür bestimmt werden, bis zur Endfälligkeit gehalten zu werden, mit ihren fortgeführten Anschaffungskosten oder ihrem fortgeführten Tageswert zum Zeitpunkt der Widmung unter Verwendung der Effektivzinsmethode zu bewerten (Hold-to-Maturity-Widmung, „HtM-Widmung“).
Mit Eingabe vom 2. 10. 2020 stellte die bfP für die HtM-gewidmete Anleihe bei der FMA gem § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG den Antrag auf Bewilligung der „Entwidmung“, um von der Bewertung nach dem fortgeführten Tageswert zum Widmungszeitpunkt unter Verwendung der Effektivzinsmethode abzugehen, und berief sich dafür auf „besondere Umstände“.
Zur Begründung dieser „besonderen Umstände“ brachte sie zusammengefasst vor, dass ein Verbleib der Anleihe im Portfolio der bfP als Verstoß gegen die im Jahr 2020 geänderten Kriterien zur Erlangung des „Österreichischen Umweltzeichens – Nachhaltige Finanzprodukte“ („UZ 49“) zu werten wäre, das vom Bundes-
rwz.lexisnexis.at 18 RWZ 1/2023 RECHNUNGSWESEN ART.-NR.: 4
ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie vorgegeben werde. Konkret dürfe gem dem UZ 49 ab dem Jahr 2021 nicht mehr in Unternehmen investiert werden, die in die Kategorie „Fossile Brennstoffe“ fallen. Im Jahr 2020 gelte diesbezüglich noch eine Übergangsfrist. Ab 2021 würde die Anleihe jedoch unter das angeführte Ausschlusskriterium fallen.
3.1.2. Ausgehend von den (...) zusammengefasst wiedergegebenen Bestimmungen des BMSVG lassen sich die wesentlichen Aspekte der anwendbaren Rechtslage wie folgt zusammenfassen (vgl zu alldem auch VwGH 15. 12. 2014, 2013/17/0497):
Abweichend von den Bewertungsregeln des § 31 Abs 1 Z 3 BMSVG sind in Z 3a angeführte Wertpapiere unter den dort aufgestellten Voraussetzungen mit ihren fortgeführten Anschaffungskosten oder ihrem fortgeführten Tageswert zum Widmungszeitpunkt zu bewerten, wenn sie aufgrund einer gesonderten Widmung dazu bestimmt sind, bis zur Endfälligkeit gehalten zu werden.
Es steht einer BV-Kasse somit grds frei, ein Wertpapier durch die gesonderte Widmung dem Bewertungsregime des § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG zu unterwerfen oder die Bewertungsregeln des § 31 Abs 1 Z 3 BMSVG anzuwenden. Entscheidet sie sich dafür, ein Wertpapier als Daueranlage zu widmen, so darf über dieses gem § 31 Abs 1 Z 3a 5. Satz BMSVG vor Endfälligkeit nur bei Vorliegen besonderer Umstände und mit Bewilligung der FMA verfügt werden.
3.1.3. Aus den Mat zu dieser mit BGBl I 2009/152 eingefügten Bestimmung (vgl die ErlRV 478 BlgNR 24. GP 8 f) geht hervor, dass sich der Gesetzgeber an der Bestimmung des § 23 Abs 1 Z 3a PKG 1990 orientieren wollte.
Die Erläut zu § 23 Abs 1 Z 3a PKG 1990 führen zur Einführung der „Held-to-Maturity“-Methode Folgendes aus (vgl die ErlRV 59 BlgNR 22. GP 260):
3.1.4. Der International Accounting Standard (IAS) 39 enthält hinsichtlich bis zur Endfälligkeit zu haltender Finanzinvestitionen Folgendes:
Der bezogene Anhang lautet auszugsweise:
3.1.5. Die VO (EG) 1126/2008 der Kom vom 3. 11. 2008 zur Übernahme bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards gem der VO (EG) 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates übernahm IAS 39 in den eben zitierten Teilen wörtlich.
Den angeführten Tatbeständen wohnt iSd Definition in Paragraph 9 inne, dass es sich um Veränderungen handeln muss, die außerhalb der Sphäre des Unternehmens liegen und die so wesentlich sind, dass das Unternehmen faktisch gezwungen ist, seine als Daueranlage gewidmeten Wertpapiere zu veräußern.
3.1.6. Die bfP hat sich entschieden, die hier in Rede stehende Anleihe nach der HtM-Methode zu bewerten. Wie aus den bereits zitierten Mat ersichtlich, darf eine einmal vorgenommene Widmung nicht mehr rückgängig gemacht werden. Nur besondere Umstände, die sich der Kontrolle der BV-Kasse entziehen oder von einmaliger Natur sind oder von der BV-Kasse nicht vorher-
gesehen werden konnten, berechtigen – nach Bewilligung durch die FMA – zu einer Verfügung über gewidmete Wertpapiere vor ihrer Endfälligkeit.
Zwischen den Regelungen darüber, welche Forderungen prinzipiell für eine HtM-Widmung in Betracht kommen, und jener, die eine Entwidmung an das Vorliegen besonderer Umstände bindet, ist grds zu unterscheiden. Fallen die Umstände, die die Voraussetzung der (prinzipiellen Eignung zur) Widmung bildeten, nachträglich weg, hat die BV-Kasse die HtM-Widmung zwingend aufzuheben, ohne dass es dafür einer behördlichen Genehmigung bedürfte (vgl dazu näher Lehecka/Zöchbauer/Darlap, ZFR 2017, 316). Darüber hinaus ist die Möglichkeit einer Entwidmung ungeachtet des Weiterbestands der prinzipiellen Widmungseignung aufgrund „besonderer Umstände“ vorgesehen; diesfalls darf die Entwidmung aber nur nach vorheriger behördlicher Genehmigung erfolgen.
Da im Verfahren keine Umstände hervorgekommen sind (und auch nicht behauptet wurden), aufgrund derer davon auszugehen wäre, dass die Voraussetzung der (prinzipiellen Eignung zur) Widmung der Anleihe nachträglich weggefallen wäre, ist zu prüfen, ob im Beschwerdefall sonstige Umstände vorliegen, die als „besondere Umstände“ iSd § 31 Abs 1 Z 3a lit c BMSVG zu qualifizieren sind.
3.1.7. Dabei ist zunächst, in Anlehnung an die Auffassung Wolfbauers (RWZ 2015, 104) zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid den IAS 39 (iSd einschlägigen VwGH-Erk vom 15. 12. 2014, 2013/17/0497) nicht nur als Methode der Bewertung, sondern auch für die Auslegung des Begriffs der „besonderen Umstände“ und damit zur Beantwortung der Frage heranziehen durfte, wann von solchen besonderen Umständen ausgegangen werden kann.
Auch nach dem IAS 39 stellt die Held-to-Maturity-Bewertungsmethode eine Ausnahme von einer allgemeineren Regel (der Bewertung zum beizulegenden Zeitwert) dar. Der IAS 39 lässt die Inanspruchnahme dieser Ausnahmemethode nicht willkürlich, sondern nur unter definierten Bedingungen zu („Ein Unternehmen darf finanzielle Vermögenswerte nicht als bis zur Endfälligkeit zu halten einstufen, wenn ...“). Soweit der IAS 39 vorsieht, dass – nicht bloß unwesentlich – (frühere) Verkäufe vor Endfälligkeit einer Widmung desselben Vermögenswerts als „bis zur Endfälligkeit gehalten“ entgegenstehen, jedoch eine Ausnahme davon zulässt, wenn es sich um Verkäufe handelte, die „auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführen sind, das sich der Kontrolle des Unternehmens entzieht, sich nicht wiederholen wird und von diesem praktisch nicht vorhergesehen werden konnte“, gibt dies zu erkennen, dass die der HtM-Methode zugrunde liegende Rechtfertigung (als Ausnahme von der Regel) nach dem Konzept des IAS durch Umstände dieser Art nicht infrage gestellt wird. Der erkennende Senat geht daher im Einklang mit dem VwGH davon aus, dass Umstände, wie sie im IAS 39 als einer Widmung unschädlich definiert werden, da sie „auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführen sind, das sich der Kontrolle des Unternehmens entzieht, sich nicht wiederholen wird und von diesem praktisch nicht vorhergesehen werden konnte“, nach den aus den Mat ersichtlichen Regelungsintentionen des § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG auch gesetzlich als „besondere Umstände“ anerkannt sind. Der erkennende Senat hegt daher auch keine Bedenken dagegen,
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(„...“)
(„...“)
(„...“)
jene Fallgruppen, die der IAS 39 zur Illustration solcher Umstände beschreibt, zur Auslegung heranzuziehen.
Davon ausgehend ist im konkreten Fall zu prüfen, ob beim Erwerb der Anleihen und der Entscheidung zur HtM-Widmung dieser Wertpapiere die späteren Änderungen für die Erlangung des Österreichischen Umweltzeichens (i) sich der Kontrolle der bfP entziehen, (ii) diese von einmaliger Natur sind oder (iii) von der bfP nicht vorhergesehen werden konnten.
3.1.8. Es ist zunächst zutreffend, dass die Änderung der Voraussetzungen zur Erlangung des Österreichischen Umweltzeichens nicht in der Ingerenz der bfP lagen. Das mit 1. 1. 2020 eingeführte Ausschlusskriterium „fossile Brennstoffe“ (...) war vielmehr einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und der Einsicht geschuldet, dass eine Vermeidung irreversibler Schäden des Klimas und der Umwelt nur durch den Ausstieg aus fossilen Energieträgern und den Umstieg auf erneuerbare, solare Quellen möglich ist.
Die von der bfP ihren Investitionsentscheidungen zugrunde gelegten Veranlagungsbestimmungen (...) sehen eine solche Bindung an das Österreichische Umweltzeichen aber nicht vor. Im Gegenteil werden in § 6 Z 3 der Veranlagungsbestimmung (...) die „Grundsätze der Veranlagungspolitik iSd §§ 29 f BMSVG“ wie folgt definiert:
a) die Sicherheit, Rentabilität und den Bedarf an flüssigen Mitteln,
b) eine angemessene Mischung und Streuung der Vermögenswerte und
c) die Risikotragfähigkeit der VG.
Insoweit die Veranlagungsbestimmungen auf die Frage der Nachhaltigkeit eingehen, so wird dieser Aspekt primär auf ökonomischer Ebene verstanden:
„Grundsätze der nachhaltigen Veranlagungspolitik:
Die Veranlagungsentscheidungen der BVK berücksichtigen die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit, ausgedrückt in Sicherheit, Ertragskraft und Liquidität der Veranlagung“ und erst danach die „ökologische“ und „vor allem [sic!] die soziale Dimension“.
Die nachhaltige Vermögensveranlagung soll „weder zu Mehrkosten oder zu höheren Risiken noch zu Performancenachteilen verglichen mit konventioneller Veranlagung führen. Sie leistet vielmehr einen positiven Beitrag zur Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.“ (...).
Die Veranlagungsbestimmungen der BVK nehmen demnach keinen Bezug auf das Österreichische Umweltzeichen, sie machen die Erfüllung von dort definierten Vorgaben nicht zur Voraussetzung einer Investitionsentscheidung und legen den Schwerpunkt eher auf ökonomische als auf ökologische Aspekte.
Darüber hinaus wurde die (neben den Veranlagungsbestimmungen) erlassene „Nachhaltige Veranlagungsrichtlinie“ gem dem Vorbringen der Bf von dieser selbst erst nach Einbringung des Antrages, konkret am 5. 10. 2020, derart geändert, dass diese nunmehr Unternehmen ausschließt, die Erdöl und Erdgas konventionell sowie nicht konventionell fördern bzw Erdöl raffinieren oder daraus Energie erzeugen. Insofern ist der FMA beizupflichten, dass die Nachhaltige Veranlagungsrichtlinie durch die bfP jederzeit ohne Bewilligung der FMA oder die Einbindung von Kunden geän-
dert werden kann (anders als die Veranlagungsbestimmungen, die aber wiederum keine konkreten Investitionsvorgaben bzw Ausschlusskriterien in Bezug auf Nachhaltigkeit beinhalten).
Zum Zeitpunkt der HtM-Widmung der gegenständlichen Wertpapiere existierte noch eine andere Fassung der Nachhaltigen Veranlagungsrichtlinie. Insofern die Bf die Nachhaltige Veranlagungsrichtlinie zwischenzeitig (konkret am 5. 10. 2020) änderte und Unternehmen im Geschäftsfeld Erdöl und Erdgas für eine Investition ausschließt, sodass die gegenständliche Anleihe erst nachträglich diesen Vorgaben nicht mehr entspricht, hat sie auf den insofern geänderten Umstand selbst unmittelbar Einfluss genommen.
Nach Auffassung der FMA steht bereits die Möglichkeit einer solchen unmittelbaren Einflussnahme auf den gegenständlichen Sachverhalt der Wertung als „besonderer Umstand“ iSd § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG entgegen. Sofern nämlich eine BV-Kasse unmittelbar Einfluss nehmen kann, wie etwa durch Änderung ihrer internen Veranlagungsrichtlinien, könnte sie damit beliebig die Voraussetzungen für eine HtM-Entwidmung herbeiführen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine solche HtM-Entwidmung aber nur bei „besonderen Umständen“ zulässig sein, die insb außerhalb der Einflusssphäre der BV-Kasse liegen.
Das BVwG folgt diesen Überlegungen, zumal nachvollziehbar und im Einklang mit der gesetzliche Vorgabe dargelegt wird, dass die Einflussnahme auf die für eine Entwidmung erforderlichen „besonderen Umstände“ unzulässig wäre.
3.1.9. Es ist weiters zu prüfen, ob die ab 1. 1. 2020 eingeführten Änderungen für die Zuerkennung des Österreichischen Umweltzeichens im Bereich der Finanzprodukte (UZ 49), hier insb der Ausschluss bei Investitionen in Unternehmen, die „fossile Brennstoffe“ explorieren, fördern oder verkaufen, von „einmaliger Natur“ sind, also so in dieser Art weder zu erwarten oder ob diese unüblich waren. (...)
Die hier gegenständlichen Änderungen bei den Vorgaben der Zuerkennung des UZ 49, gerade betreffend Unternehmen, die Ölund Gasgeschäfte betreiben und die insofern mit einem Gütezeichen für umweltfreundliche und nachhaltige Energiebereitstellung erkennbar unvereinbar sind, sind nachvollziehbar und nicht überraschend. Derartige Änderungen der Zuerkennungsvoraussetzungen sind nicht von einmaliger Natur, die als „besondere Umstände“ iSd § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG zu werten wären.
3.1.10. Schließlich ist zu prüfen, ob die Bf beim Ankauf der Anleihen nicht vorhersehen konnte, dass eine Änderung der Erlangungsvoraussetzungen des Österreichischen Umweltzeichens innerhalb der Laufzeit der Veranlagung möglich ist und sich eine Investition in ein großes Mineralölunternehmen mit diesen Voraussetzungen dann mit den eigenen Vorgaben an Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht mehr vereinbaren lässt. (...)
Es mag nun durchaus sein, dass die Datenlage zur Frage der Beurteilung der Nachhaltigkeit von Unternehmenszielen im Jahr 2012 noch nicht so deutlich und homogen war, wie das heute der Fall ist. Es war aber schon im Jahr 2012 nicht davon auszugehen, dass der größte österreichische Mineralölkonzern (X) sein ureigenstes Geschäftsfeld, nämlich die Exploration, die Förderung und den Verkauf fossiler Energien, in absehbarer Zeit aufgeben
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wird. Die Eröffnung einer einzigen Wasserstofftankstelle oder einer Testanlage zur Gewinnung von Biotreibstoffen konnte schon damals nicht als Grundlage für die Annahme herangezogen werden, die X würde sich aus ihrem Unternehmensfeld zurückziehen und nur noch auf alternative Treibstoffe setzen. Es war vielmehr schon damals davon auszugehen, dass dieses Unternehmen auch weiterhin auf fossile Energieträger setzen wird, und war umgekehrt die Annahme, die X würde sich von Erdöl und Erdgas in absehbarer Zeit verabschieden, wenig realistisch.
Dies umso mehr, als die gegenständliche Anleihe eine Laufzeit bis in das Jahr 2027 hat und damit eine Behaltedauer aufweist, bei der auch im Jahr 2012 schon absehbar war, dass eine derart langfristige Ausbeutung fossiler Quellen mit der immer stärker voranschreitenden Klimakrise unvereinbar sein wird.
3.1.11. Aber auch abgesehen von diesen Erwägungen ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass die Bf das Gütezeichen UZ 49 verlieren könnte, wenn sie die gegenständliche Anleihe in ihrem Portfolio behält.
Denn in Pkt 2.2 der UZ 49 werden, wie festgestellt, zwar die generellen Ausschlusskriterien („mit Gültigkeit für alle Anlageprodukte“) für die Erlangung des Umweltzeichens festgelegt. Gleichzeitig wird an dieser Stelle aber auch normiert, dass sich diese Ausschlusskriterien, um diese „im Sinne einer Nachweisgrenze operativ umsetzbar zu halten“, „auf einen Anteil von mindestens 95 % des Unternehmensumsatzes“ beziehen müssen. (...)
Anders gewendet: Wenn sich in einem Gesamtportfolio Anlageprodukte befinden, die den Nachhaltigkeitsvorgaben des UZ 49 nicht entsprechen, weil sie unter die Ausschlusskriterien von Pkt 2.1.1 der UZ 49 fallen, führt dies dann nicht (gleichsam automatisch) zum Verlust des Gütezeichens, wenn dieser Anteil die Grenze von 5 % nicht übersteigt. Das Österreichische Umweltzeichen führte damit nichts anderes als eine Entzugsgrenze ein, bei deren Unterschreiten ein Verlust des Gütezeichens gar nicht droht.
Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass die Bf weitere Anlageprodukte in ihrem (auf ihrer Homepage veröffentlichten) Portfolio in ihrem Bestand hält, die ebenfalls unter die Ausschlusskriterien (Pkt 2.1.1 der UZ 49) fallen und daher insg die angeführte Entzugsgrenze überschritten wird. Da der Verlust des Gütezeichens aber gar nicht droht, ist das Vorliegen „besonderer Umstände“, wie sie § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG fordert, auch in diesem Zusammenhang nicht hervorgekommen.
Der bfP ist es im Ergebnis, unter Berücksichtigung der Veranlagungsbestimmungen und der geänderten Ausschlusskriterien des Österreichischen Umweltzeichens, nicht gelungen, einen „besonderen Umstand“ iSd § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG darzulegen, der eine vorzeitige Bewilligung der Verfügung über die gegenständliche Anleihe rechtfertigen würde.
Zudem ist es der bf BVK nicht gelungen darzulegen, dass der Verbleib der Anleihe im Portfolio der BVK, verbunden mit einem (ebenso nicht erwiesenen) Verlust des Österreichischen Umweltzeichens einen unmittelbaren Einfluss auf die Anleihe hat.
Ausgehend von den oa rechtlichen Vorgaben, dem Vorbringen der BVK und den hier ausgeführten rechtlichen Erwägungen zeigt
die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
4. Kernaussagen des BVwG
4.1. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine HtM-Entwidmung nur bei „besonderen Umständen“ zulässig sein, die insb außerhalb der Einflusssphäre der BV-Kasse liegen. Sofern eine BV-Kasse unmittelbar etwa durch Änderung ihrer internen Veranlagungsrichtlinien Einfluss nehmen könnte, steht dies der Entwidmung entgegen, weil sie beliebig die Voraussetzungen für eine HtM-Entwidmung herbeiführen könnte.
4.2. Existierte zum Zeitpunkt der HtM-Widmung der Wertpapiere noch eine andere Fassung der internen Nachhaltigen Veranlagungsrichtlinie und änderte die Bf die Veranlagungsrichtlinie zwischenzeitig, indem sie Unternehmen im Geschäftsfeld Erdöl und Erdgas für eine Investition ausschließt, sodass die gegenständliche Anleihe erst nachträglich diesen Vorgaben nicht mehr entspricht, hat sie auf den insofern geänderten Umstand selbst unmittelbar Einfluss genommen.
4.3. Änderungen bei den Vorgaben der Zuerkennung des Österreichischen Umweltzeichens betreffend Unternehmen, die Öl- und Gasgeschäfte betreiben und die insofern mit einem Gütezeichen für umweltfreundliche und nachhaltige Energiebereitstellung erkennbar unvereinbar sind, sind nachvollziehbar, nicht überraschend und nicht von einmaliger Natur, die als „besondere Umstände“ iSd § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG zu werten wären.
4.4. Es steht der Entwidmung entgegen, wenn die Bf beim Ankauf der Anleihen eines großes Mineralölunternehmens vorhersehen konnte, dass eine Änderung der Erlangungsvoraussetzungen des Österreichischen Umweltzeichens innerhalb der Laufzeit der Veranlagung möglich ist und sich diese Investition mit diesen Voraussetzungen dann mit den eigenen Vorgaben an Umweltschutz und Nachhaltigkeit nicht mehr vereinbaren lässt.
4.5. Droht gar kein Verlust des Gütezeichens, weil – wie hier –5 % der Anlageprodukte nicht zwingend den Vorgaben entsprechen müssen, ist das Vorliegen „besonderer Umstände“, wie sie § 31 Abs 1 Z 3a BMSVG fordert, nicht hervorgekommen.
Der Autor:
Mag. Rainer Wolfbauer ist als Leiter Recht, AML und Compliance bei der SIGMA Investment AG sowie bei der FAME Investment AG tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen seit vielen Jahren ua in den Bereichen Bankrecht, Compliance und Revision. Im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit übte er bei mehreren Banken und Finanzdienstleistern beratend die Funktion eines Compliance-Verantwortlichen aus. Bis 2001 leitete er die Rechts- und Verfahrensabteilung der Bundeswertpapieraufsicht (BWA, Vorgängerbehörde der FMA). Zahlreiche Publikationen im Kapitalmarktbereich mit Schwerpunkt öffentliches Aufsichtsrecht, seit 2014 ständiger Mitarbeiter, seit 2017 Mitherausgeber der ZFR. Herausgeber eines Kommentars zum PfandBG (gemeinsam mit Florian Heindler).
lesen.lexisnexis.at/autor/Wolfbauer/Rainer
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 21 RECHNUNGSWESEN
3.2. Fazit
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Die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Prüfungsausschuss
Neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten in der Unternehmensüberwachung
»RWZ 2023/6
Mit Umsetzung der nun durch Europäisches Parlament und Rat beschlossenen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)1 in Österreich werden die Pflichten des Prüfungsausschusses (PA) im Hinblick auf die Überwachung der Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung konkretisiert und erweitert. Doch auch über die Richtlinie hinaus erfordert good governance, dass sich der Aufsichtsrat und mit ihm der Prüfungsausschuss mit Fragen der Nachhaltigkeit befasst. Der vorliegende Beitrag soll die Rolle des PA beleuchten und Anregungen zur Verankerung von Nachhaltigkeit und der dazugehörigen Berichterstattung im PA geben.
1. Ausgangslage – die bisherigen Pfl ichten im Aufsichtsrat
Bereits mit der Richtlinie zu Angaben nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen,2 umgesetzt in Österreich mit dem Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (NaDiVeG)3, wurde festgelegt, dass die Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane eines Unternehmens die Verantwortung haben, die geforderten nichtfinanziellen Informationen entsprechend aufzubereiten und zu berichten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten die Ausgestaltung überlassen, welche Leitungsorgane für die interne Überprüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung zuständig sein sollen. In Österreich wurden diese Verantwortlichkeiten wie folgt umgesetzt:4
1 Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, http://data. europa.eu/eli/dir/2022/2464/oj; für einen Überblick vgl Aschauer/Schneider/Strakova, Aktuelle Entwicklungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung, RWZ 2022, 21 ff
2 Richtlinie (EU) 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, http://data. europa.eu/eli/dir/2014/95/oj.
3 BGBl I 2017/20.
4 Vgl dazu insb die Ausführungen in Rödler/Hartmann/Sternisko, Zur Rolle des Aufsichtsrats kapitalmarktorientierter Unternehmen im Rahmen der
rwz.lexisnexis.at 24 RWZ 1/2023 REVISION & KONTROLLE ART.-NR.: 6
Gem § 222 Abs 1 iVm § 243b Abs 5 bzw § 267a Abs 6 UGB ist der Vorstand für die Aufstellung der nichtfinanziellen Erklärung bzw des nichtfinanziellen Berichts verantwortlich.
Der Aufsichtsrat muss im Zuge der Überwachung der Geschäftsführung gem § 96 AktG die nichtfinanzielle Berichterstattung nach Vorlage durch den Vorstand prüfen und in einem Bericht darlegen, wie und in welchem Umfang diese Prüfung stattgefunden hat.
Somit hat der Gesetzgeber die inhaltliche Prüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung dem Aufsichtsrat als Organ zugewiesen und normiert, dass diese Prüfung gleichrangig zum Jahres- bzw Konzernabschluss und dem Lagebericht stattzufinden hat.5 Anzumerken ist weiters, dass der Abschlussprüfer bisher im Rahmen seiner Prüfung ergänzend lediglich die Einhaltung der gesetzlichen Mindestvorschriften zu überprüfen hat.6 Hinsichtlich weiterer Prüfinstanzen sei auch erwähnt, dass die Österreichische Prüfstelle für Rechnungslegung (OePR) und die Finanzmarktaufsicht (FMA) die nichtfinanzielle Berichterstattung von Unternehmen, welche dem Rechnungslegungskontroll-Gesetz unterliegen, ebenfalls zu überprüfen haben. Dies erfolgt regelmäßig auf Basis von Empfehlungen der ESMA im Rahmen der jährlichen Festlegung der Prüfungsschwerpunkte.7
Die Umsetzung der CSRD bringt in diesem Corporate-Governance-Umfeld ab 2024 wesentliche Änderungen und definiert die Prüfungspflichten der internen Überwachungsorgane (namentlich des Prüfungsausschusses) sowie der externen Prüfer neu und umfassender.
2. Aufgaben des Prüfungsausschusses nach CSRD
Mit der CSRD werden mehrere Richtlinien und die Abschlussprüferverordnung geändert. In den neuen Art 19a (29a) der Bilanzrichtlinie8 werden die Inhalte des (Konzern-)Nachhaltigkeitsberichts, welcher zwingender Bestandteil des Lageberichts ist, festgelegt. Diese erstrecken sich auf die folgenden fünf Bereiche: Geschäftsmodell, Konzepte einschließlich der angewandten Due-Diligence-Prozesse, Ergebnisse dieser Konzepte, Risiken und deren Handhabung sowie die wichtigsten Leistungsindikatoren. Eine weitere Präzisierung der Inhalte des Nachhaltigkeitsberichts erfolgt in den europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS), welche von
Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung, in Mittelbach-Hörmanseder/Schiebel (Hrsg), Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung – FS für Romuald Bertl (2021) 666 ff
5 Vgl Erläuterungen zu Artikel 2 (Änderung des Aktiengesetzes) in ErläutRV 1355 BlgNR 25. GP.
6 Vgl Gedlicka, Aufgaben und Rolle des gesetzlichen Abschlussprüfers zur nichtfinanziellen Berichterstattung gemäß NaDiVeG, RWZ 2018, 18 (21).
7 Vgl bspw die Darstellung der aktuellen Prüfungsschwerpunkte 2022 gemäß § 1 Abs. 2 RL-KG, https://www.fma.gv.at/querschnittsthemen/ enforcement/#collapse-63b3fe6e9 ff5c.
8 Richtlinie (EU) 2013/34 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen (BilRL) idgF.
EFRAG bereits ausgearbeitet wurden und werden.9 Der Nachhaltigkeitsbericht ist vom Abschlussprüfer oder, falls die dafür vorgesehenen Mitgliedstaatenwahlrechte umgesetzt werden, von einem anderen Wirtschaftsprüfer oder einem unabhängigen Erbringer von Bestätigungsleistungen (independent assurance provider) zu prüfen, zunächst mit begrenzter (limited assurance) und frühestens ab 2028 mit hinreichender Prüfungssicherheit (reasonable assurance).10
Die CSRD ändert auch Art 39 Abs 6 der Abschlussprüferrichtlinie,11 in welchem die Aufgaben des PA normiert werden. Diese Bestimmung wird um die entsprechenden Agenden bezüglich Nachhaltigkeitsbericht und Prüfung desselben ergänzt. Konkret hat der PA daher zusätzlich:
den Aufsichtsrat über das Ergebnis der Bestätigung der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu unterrichten und darzulegen, wie dessen Bestätigung zur seiner Integrität beigetragen hat und welche Rolle der Prüfungsausschuss in diesem Prozess gespielt hat;
den Nachhaltigkeitsberichterstattungsprozess, einschließlich des Prozesses der elektronischen Berichterstattung nach dem nun neuen Art 29d der Bilanzrichtlinie und den vom Unternehmen durchgeführten Prozess zur Ermittlung der Informationen, über die Bericht erstattet wurde, im Einklang mit den Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu beobachten und Empfehlungen oder Vorschläge zur Gewährleistung seiner Integrität zu unterbreiten;
die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems sowie gegebenenfalls der internen Revision des Unternehmens, die die Nachhaltigkeitsberichterstattung des Unternehmens berühren, einschließlich des Prozesses der elektronischen Berichterstattung, zu beobachten, ohne dass seine Unabhängigkeit verletzt wird;
die Bestätigung der jährlichen und konsolidierten Nachhaltigkeitsberichterstattung zu beobachten;
die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer oder Prüfungsgesellschaften in Bezug auf die Bestätigung auch des Nachhaltigkeitsberichts zu überprüfen und zu beobachten. Dies betrifft vor allem berufsethische Grundsätze (neuer Art 25b AP-RL) und Nichtprüfungsleistungen (neuer Art 25c AP-RL). Sofern nicht ein Wirtschaftsprüfer, sondern ein unabhängiger Erbringer von Bestätigungsleistungen die Nachhaltigkeitsberichterstattung bestätigt, hat der PA nach dem neuen Abs 4 des Art 34 der BilRL auch dessen Unabhängigkeit zu überwachen.
Allerdings hat die Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht zwingend durch den PA zu erfolgen. Die CSRD räumt ein Mitgliedstaatenwahlrecht ein, diese die Nachhaltigkeitsberichterstattung betreffenden Aufgaben nicht dem PA, sondern dem Ple-
9 Vgl https://www.efrag.org/lab6.
10 Art 26a Abs 3 der Richtlinie (EU) 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen (AP-RL) idgF.
11 Art 39 Abs 6 AP-RL idgF.
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 25 REVISION & KONTROLLE ART.-NR.: 6
num oder einem gesondert einzurichtenden Ausschuss, zB einem Nachhaltigkeitsausschuss, zu übertragen (Art 39 AP-RL, neuer Abs 4a).12
3. Empfehlungen für die Arbeit im Prüfungsausschuss
Auch ohne Berücksichtigung der CSRD ändern sich die Pflichten des PA schon allein aufgrund des generellen Erfordernisses einer starken Governance in einer Zeit, in welcher die strategische Ausrichtung des Unternehmens einer Neuorientierung hin zu nachhaltig(er)em Wirtschaften unterliegt.13 Das Erfordernis der starken Governance erstreckt sich daher auch auf den Prüfungsausschuss, der durch die Überwachung von internen Kontrollprozessen und Risiken beitragen kann. Dies findet Niederschlag auch in den zuvor angeführten Änderungen der BilRL und der AP-RL, aus denen sich zusammenfassend ergibt, dass die bisherigen Aufgaben des PA sich nun auch auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung, deren Prüfung und die dazugehörigen Kontroll- und Überwachungsprozesse erstrecken.
Hinzu kommen noch Aufgaben, welche sich voraussichtlich aus der Lieferkettenrichtlinie14 (Corporate Sustainable Due Diligence Directive, CS3D) ergeben. Nach dem Entwurf der Europäische Kommission umfassen die Sorgfaltspflichten des Unternehmens das Management der Risiken für Menschenrechte und Umwelt für den Konzern und die Wertschöpfungskette. Zwar weist der Richtlinienentwurf dem PA keine ausdrückliche Zuständigkeit zu, gleichwohl aber ist zu empfehlen, für das interne Kontrollsystem, das Risikomanagementsystem sowie die interne Revision entsprechende Prüfprozesse zu etablieren, deren Kontrolle ohnehin im PA vorgesehen ist. Damit weiten sich der Arbeitsauftrag des PA – und die dafür erforderliche Sitzungszeit –deutlich aus.15
Diese aktuellen Entwicklungen waren Anlass für die Vorlage eines Positionspapiers der Accountancy Europe16 , in dem ein Überblick über die erwartete Rolle und die Verantwortlich-
12 Art 39 Abs 4a AP-RL: „Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass die dem Prüfungsausschuss übertragenen Aufgaben im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung und im Zusammenhang mit der Bestätigung der Nachhaltigkeitsberichterstattung von dem Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan in seiner Gesamtheit oder von einem vom Verwaltungsoder Aufsichtsorgan eigens eingerichteten Gremium wahrgenommen werden.“
13 Vgl zB Accountancy Europe, ESG Governance: Recommendations for Audit Committees, Position paper, April 2022, 4, https://www.accountancyeurope.eu/publications/esg-governance/. Schacht/Sengipel, Nachhaltigkeitsexpertise wird auch von Aufsichtsräten immer mehr erwartet, Aufsichtsrat aktuell 5/2022, 190 ff. Vgl zur geltenden Rechtslage nach NaDiVeG zB Rödler/Hartmann/Sternisko in FS Romuald Bertl 666 ff
14 Vgl https://ec.europa.eu/info/publications/proposal-directive-corporatesustainable-due-diligence-and-annex_de.
15 Kritisch sei angemerkt, dass die schon bisher bestehende hohe Dichte an dem PA übertragenen Aufgaben nun noch einmal erhöht wird und sich die rechtspolitische Frage der Überfrachtung des PA und überschießender Erwartungen an den PA verstärkt stellt.
16 Accountancy Europe, ESG Governance: Recommendations for Audit Committees.
keiten von Prüfungsausschüssen im Lichte der einschlägigen EU-Rechtsvorschriften und der Forderungen verschiedener Anspruchsgruppen enthalten ist. In dem Positionspapier werden verschiedene Empfehlungen für Prüfungsausschüsse in Bezug auf ihre Verantwortlichkeiten iZm ESG,17 insb betreffend Kompetenzen und Zusammensetzung sowie Verantwortlichkeiten für die ESG-Berichterstattung und -Zusicherung, vorgelegt.
Es ist davon auszugehen, dass bestehende PA im Regelfall gut darauf vorbereitet sein werden, da ihnen die Auseinandersetzung mit Prüfern und Prüfungsprozessen, internem Kontrollsystem, Risikomanagement und interner Revision geläufig ist.18 Eine größere Herausforderung wird aber möglicherweise die Anwendung dieser Kenntnisse für spezielle Nachhaltigkeitsthemen darstellen. So ist zB denkbar, dass für die Beurteilung eines Prozesses zur richtigen Erfassung der Scope 1-, Scope 2und Scope 3-Emissionen eines Industriebetriebes technische Kenntnisse hilfreich sind oder dass für die Beurteilung möglicher Menschenrechtsverletzungen entlang der Wertschöpfungskette Kenntnisse einer unternehmensfremden Branche in einem anderen Land bedeutsam sind.
Aus diesem Grund wurde auf europäischer Ebene überlegt, mit der CSRD die Möglichkeit vorzusehen, dass ein spezieller Nachhaltigkeitsausschuss sich nicht nur mit der strategischen und operativen Verankerung von Nachhaltigkeit iwS im Unternehmen befasst, sondern auch mit der entsprechenden Berichterstattung und Prüfung. Es bleibt dem weiteren Gesetzwerdungsprozess und der Diskussion mit den verschiedenen Anspruchsgruppen überlassen, ob in Österreich diese Möglichkeit ausdrücklich gesellschaftsrechtlich vorgesehen wird. Es obliegt daher der Selbstorganisation des Aufsichtsrats unter Berücksichtigung der Unternehmensspezifika, zu entscheiden, ob erstens überhaupt19 ein Nachhaltigkeitsausschuss eingerichtet werden soll oder ob, was uE vorzuziehen ist, das Thema als Querschnittsmaterie ohnehin in allen Ausschüssen verankert sein muss, und ob zweitens der Prüfungsausschuss oder der allenfalls bestehende Nachhaltigkeitsausschuss besser zur Behandlung von Berichterstattung und deren Kontrolle und Prüfung geeignet ist. Geht man davon aus, dass in bestehenden Prüfungsausschüssen ausreichende Kompetenz und Erfahrung mit Berichtsprozessen und Kontrollen im Unternehmen vorhanden sind, bietet es sich jedenfalls an, wenn spezielle, die Nachhaltigkeitsberichterstattung betreffende Fachfragen auftreten, diese durch eine Erweiterung des PA bzw durch die Hinzuziehung von Experten zu adressieren. Eine Behandlung im Plenum erscheint in den meisten Fällen angesichts der Fülle der Aufgaben ungeeignet. Nur sehr kleine Aufsichtsräte werden von der Zuweisung zu einem Ausschuss absehen können oder müssen.
17 ESG = Environmental, Social & Governance, umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit, 2004 erstmalig von der „Global Compact Initiative“ der Vereinten Nationen eingeführt, https://www.unglobalcompact.org/.
18 Accountancy Europe, ESG Governance: Recommendations for Audit Committees 5.
19 Eventuell für eine begrenzte Zeit zum Zweck der Begleitung bedeutender strategischer Änderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit.
rwz.lexisnexis.at 26 RWZ 1/2023 REVISION & KONTROLLE ART.-NR.: 6
Für Prüfungsausschüsse20 ergeben sich eine Reihe von Empfehlungen:21
Zunächst sollten sich nicht nur alle Mitglieder des Aufsichtsrats, sondern auch die Mitglieder des PA über die für das jeweilige Unternehmen bedeutsamen Aspekte der Nachhaltigkeit informieren. Dies ergibt sich ohnedies aus der steten Fortbildungsobliegenheit aller Aufsichtsratsmitglieder.22 Denkbar sind hier Sondersitzungen oder Schulungen mit hausinternen oder externen Expert:innen, oder die Teilnahme an den zurzeit ohnedies zahlreich angebotenen einschlägigen Veranstaltungen.
Es besteht überdies die Möglichkeit, eine Person mit Spezialwissen, dh eine Nachhaltigkeitsexpertin oder einen -experten in den AR zu nominieren. Dies mag für einzelne Unternehmen eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden Expertise in Hinsicht auf Branchenkenntnisse, Finanzwissen, Rechtskundigkeit, Internationalität uÄ sein und die vom Gesetz (§ 87 Abs 2 AktG) geforderte Diversität des Gremiums in seiner Gesamtheit fördern.
Es kann fallweise auch sinnvoll sein, andere Aufsichtsratsmitglieder mit profunder Erfahrung in einschlägigen Themen in die Arbeit des PA einzubeziehen.23 Eine gesetzliche Pflicht zur Nominierung einer Nachhaltigkeitsexpertin oder eines -experten besteht jedoch nicht und erscheint auch nicht sinnvoll.24
Auch hier sollte der Selbstorganisation des Aufsichtsrats in Abhängigkeit von den spezifischen Bedürfnissen des Unternehmens Vertrauen geschenkt werden.
Selbstverständlich sollten die Mitglieder der PA die Fähigkeit, Informationen kritisch zu hinterfragen, auch für die Nachhaltigkeitsberichterstattung anwenden25 und insb die Konsistenz
20 Oder – falls vom Wahlrecht Gebrauch gemacht wird – für Nachhaltigkeitsausschüsse.
21 Vgl dazu auch Accountancy Europe, ESG Governance: Recommendations for Audit Committees, Position paper, April 2022, 6 ff; Accountancy Europe, Sustainability Assurance under the CSRD, Discussion Paper, May 2022, https://www.accountancyeurope.eu/wp-content/uploads/220401Sustainability-assurance-under-the-CSRD-1-1.pdf; Dingel/Schmidt/ Oehlmann, Grundlagen der Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren dynamische Weiterentwicklung, in Buhleier/Probst/Schenk (Hrsg), Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates4 (2022) 345.
22 Kalss/Schimka, Handbuch für den AR, Qualifikationsanforderungen der AR Mitglieder2 (2016) 106.
23 Dohm: „… die Nachhaltigkeitsberichterstattung als Teil der ‚Standing Agenda‘ zu verankern …“, vgl Dohm, Prüfungsausschuss und Nachhaltigkeitsberichterstattung – ein Interview, in Buhleier/Probst/Schenk (Hrsg), Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates4 (2022) 510 f.
24 Vgl zur Diskussion zB Velte, Regulierung der Sustainable Board Governance –das fehlende Glied in der Kette des „EU Green Deal“-Projekts? IRZ 2022, 66 ff
25 Accountancy Europe, ESG Governance: Recommendations for Audit Committees 9:
„ACs should reflect on the following questions to ensure ESG disclosures’ integrity:
What policies and methodologies are used to develop metrics to ensure ESG information accuracy, reliability, and consistency? Does the company management have the expertise necessary to determine which metrics are most appropriate to a sector of a company and its activities, its circumstances, and the risks faced? Are the KPIs set by management appropriate? How may the AC be sure that answers from management to the above questions are reliable? Is there any need for internal and/or external assurance? How does the AC assess the interconnectedness of ESG,
zwischen finanzieller und nichtfinanzieller Information prüfen.26 Eine regelmäßige Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung wird zunehmend bedeutsam.27 Gerade im Hinblick auf außerplanmäßige Wertminderungen aus Klimawandel (zB Werthaltigkeit von Immobilien, Werthaltigkeit von Forderungen gegenüber besonders vom Klimawandel betroffenen Industrien, Nutzungsdauer von klimaschädlichen Sachanlagen) oder anderen Risikovorsorgen kann dies bedeutsam sein. Auch sollte der Inhalt von Anhangangaben mit der Nachhaltigkeits- und Risikoberichterstattung im Einklang stehen.
Zu den Aufgaben des PA gehört auch, die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems sowie der internen Revision zu überwachen. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit und die diesbezügliche Berichterstattung können dabei zB folgende Aspekte von Bedeutung sein: Die Definition von Kennzahlen und Zielen, die Sicherstellung der zuverlässigen und nach Möglichkeit automatisierten Datenerhebung im gesamten Konzern,28 die Prozesse zur Konsolidierung dieser Daten, die definierten Kontrollen, die Qualität des Risikomanagementsystems und der Mitigierungsmaßnahmen sowie die Beurteilung des Einflusses auf das Geschäftsmodell und der damit zusammenhängenden finanziellen Planung und Budgetierung.29 Durch eine angemes-
non-financial and financial risks? Does management plan work accordingly? Are these interconnections reported accurately? Does the AC monitor senior management’s adherence to the company’s risk appetite? How can the AC consider determination of relevant factors based on stakeholder engagement? Is there a potential fraud risk in relation to linking the directors’ variable remuneration to the achievement of sustainability objectives?“
26 Dies findet sich auch in den Prüfungsschwerpunkten der ESMA für 2023, vgl ESMA, European common enforcement priorities for 2022 annual financial reports, 28 October 2022, ESMA32-63-1320, https://www.esma. europa.eu/sites/default/files/library/esma32-63-1320_esma_statement_ on_european_common_enforcement_priorities_for_2022_annual_reports.pdf.
27 So empfiehlt zB Dohm, die Nachhaltigkeitsberichterstattung als Teil der „Standing Agenda“ zu verankern, vgl Dohm in Buhleier/Probst/Schenk, Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates4 510.
28 Vgl auch Dohm in Buhleier/Probst/Schenk, Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates4 506.
29 Accountancy Europe, ESG Governance: Recommendations for Audit Committees 8:
„ACs should reflect on the following questions in order to monitor the effectiveness of a company’s internal control and risk management systems: Does the company have a robust system in place for identifying, collecting, analysing and reporting sustainability information, including its impact on financial risk and reporting? Is the control environment for producing sustainability metrics and targets as strong as the control system for financial metrics, objectives and reports? How does management ensure risk management and internal control effectiveness when it comes to ESG? Are there weaknesses and what is being done to address them? Can the AC be sure that answers provided by management to the above questions are reliable? Does the company implement comprehensive mitigation processes for adverse social and environmental impacts in their own operations and in their value chains? How can the AC support compliance with new sustainable corporate due diligence measures companies will have to follow?
The AC may also help boards and management by overseeing ESG risks related resiliency planning given the potentially significant financial impact of ESG risks. To this end, the AC may consider the following questions:
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sene Überwachung der Prozesse und Kontrollen sollte daher auch „Greenwashing“ in der Berichterstattung unterbunden werden.
Zu den Aufgaben des PA gehört schließlich auch die Auseinandersetzung mit dem Prüfer des Nachhaltigkeitsberichts. Die CSRD stellt umfangreiche Anforderungen an die Qualifikation des Abschlussprüfers und, falls in Österreich umgesetzt, auch an alle anderen unabhängigen Erbringer von Bestätigungsleistungen. Der PA hat jedenfalls die Qualität der Prüfung zu überwachen. Die dazu erforderlichen Schritte, wie zB die Auseinandersetzung mit der Qualifikation der involvierten Personen, mit deren Zeitaufwand, mit deren Qualität der Berichterstattung und Diskussion, mit der Unabhängigkeit oder mit der Auswahl, sind dem PA aus der Überwachung des Abschlussprüfers geläufig.30 Gleichzeitig sollte der PA den Nachhaltigkeitsprüfer über seine Sicht der ESGRisiken informieren und die Prüfungsschwerpunkte kritisch hinterfragen.
4. Schlussbemerkungen
Schon bisher war der Nachhaltigkeitsbericht Teil der Berichterstattung die idR dem PA überantwortet war. Durch die CSRD kommen dem PA – oder einem möglicherweise gesondert eingerichteten Nachhaltigkeitsausschuss – umfassende zusätzliche Aufgaben zu. Einerseits ist der PA für diese Aufgaben gut geeignet, da Qualität und Kontrolle der Berichterstattung, der Prozesse und der Prüfung auch jetzt Kernaufgaben des PA sind. Andererseits sind die neuen Aufgaben inhaltlich durchaus herausfordernd und es bedarf der Auseinandersetzung der einzelnen PA-Mitglieder mit Nachhaltigkeitsthemen sowie den spezifischen und umfangreichen Anforderungen an die Berichterstattung, Überwachung und Prüfung. Die Aufwertung der Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Spiegelung der bisherigen Pflichten des PA in der finanziellen Berichterstattung lassen erwarten, dass die Zeit, die der Prüfungsausschuss seinen Aufgaben widmet, deutlich zunehmen wird – die Ausübung der zusätzlichen Pflichten kann nicht zulasten der bisherigen Pflichten gehen.
Die Autorin:
What is management’s understanding of company exposure to ESG risks –their likelihood and impact, in the short, medium and long term? How does management assess the business-model viability, including data analysis and verification to ensure the integrity of the information feeding into the models? What is management’s assessment of physical, human, and transition risks, and their potential impact?“
30 Accountancy Europe, ESG Governance: Recommendations for Audit Committees 9 f:
„ ACs should reflect on the following questions related to their overall responsibilities on ESG assurance: How does the AC keep up to date with relevant legal, regulatory or other developments regarding ESG assurance? What factors does the AC need to take into account when selecting the appropriate service provider for sustainability assurance? Where there is a role for external assurance, how will the AC oversee the relationship between the internal and external auditor or assurance provider and the execution of such assurance to the desired standard? How can the AC be sure that these auditors have the necessary competence to provide assurance over ESG risk management and sustainability reporting? What factors should the AC consider in monitoring the assurance of sustainability reporting? For instance, is there sufficient communication between the auditor and the AC? How can the AC ensure the external audit’s focus on key ESG risks? How can the AC facilitate effective monitoring of a company’s due diligence? How can the AC ensure the auditor’s independence? How can an internal audit provide additional insight and foresight? Is internal audit adequately resourced to address additional ESG audits? How can assurance make company due diligence efforts more reliable and effective?“
Univ.-Prof. Mag. Dr. Eva Eberhartinger, LL.M. ist Leiterin der Abteilung für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre am Institut für Accounting and Auditing der WU Wien. Sie ist Mitglied des AFRAC und Autorin zahlreicher Fachpublikationen.
lesen.lexisnexis.at/autor/Eberhartinger/Eva Foto: privat
Der Autor:
WP Dr. Aslan Milla ist Mitglied des österreichischen Rechnungslegungsbeirates (AFRAC), des Präsidiums des Fachsenats für Unternehmensrecht und Revision der KSW, des Österreichischen Arbeitskreises für Corporate Governance sowie seit 2010 Berufsgruppenobmann der Wirtschaftsprüfer in der KSW (zuvor Präsident des iwp).
Er ist Partner bei PwC, verfügt über langjährige Erfahrung in der Prüfung von Jahres- und Konzernabschlüssen nationaler und internationaler Mandanten und bei der Einrichtung von Kontroll- und Risikomanagementsystemen sowie in Fragen der Rechnungslegung.
lesen.lexisnexis.at/autor/Milla/Aslan
Beide Autor:innen sind Mitglieder in der Corporate Governance Policy Group der Accountancy Europe.
Foto: beigestellt
rwz.lexisnexis.at 28 RWZ 1/2023 REVISION & KONTROLLE ART.-NR.: 6
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UNTERNEHMENSBEWERTUNG
Marie-Therese Beck, B.A. (HNU)/Dr. Markus Patloch-Kofler, MSc (WU) CVA
Bewertung
von Start-ups – Bericht zur Forschungsinitiative Business Valuation
»RWZ 2023/7
Im Rahmen der Forschungsinitiative Business Valuation wurde am 18. 10. 2022 das Thema „Bewertung von Startups“ thematisiert – ein Thema, das in der Bewertungspraxis zu zahlreichen Problemstellungen führt, die nach wie vor strittig sind. Die Vortragenden gaben Einblicke in mögliche Lösungsansätze.
1. Einleitung
Ein kontinuierlich bedeutsamer werdender Bereich in der Unternehmensbewertung betrifft die Bewertung von Start-ups oder jungen Wachstumsunternehmen. Zahlreiche Bewertungsanlässe (bspw Beteiligungsbewertung im Rahmen der Rechnungslegung oder die Bewertung im Zuge einer Transaktion) erfordern eine Bewertung dieser Unternehmensklasse, welche aufgrund der steigenden Anzahl an Start-ups immer größer wird.
Seit nunmehr einigen Jahren gewannen Start-ups auch im heimischen Umfeld an Bedeutung. In den letzten Jahren wurden jährlich mehr als 200 Start-ups in Österreich gegründet.1 Dabei erreichte ein großer Anteil davon (26,2 %) innerhalb kurzer Zeit einen Unternehmenswert von 1–2,5 Mio €, der im Rahmen von Transaktionen aufgerufen wird. Auch auf Investorenseite ist ein stark gestiegenes Interesse an Start-ups zu verzeichnen. So lag das Investitionsvolumen in Österreich im Jahr 2021 mit ca 1,2 Mrd € deutlich über dem des Vorjahres (262 Mio €).
Die Bewertungspraxis tut sich mit dieser zunehmenden Bedeutung von Start-ups allerdings sichtlich schwer. Denn wie eine sachgerechte Wertermittlung in dieser Unternehmensklasse zu erfolgen hat, ist bisweilen strittig. Die Meinungen dazu divergieren in Wissenschaft und Praxis. Der Grund dafür sind einerseits erhebliche Schwierigkeiten iZm Start-ups bei der Bewertung mittels herkömmlicher Bewertungsmethoden und andererseits der Mangel an etablierten Bewertungsmethoden zur Start-up-Bewertung als Alternative.
Die zunehmende ökonomische Bedeutung von Start-ups und die fehlenden Standards machen die Auseinandersetzung mit diesem Thema notwendig.
Vor diesem Hintergrund fand am 18. 10. 2022 die Forschungsinitiative Business Valuation mit dem Titel „Die Bewertung von Startups“ an der WU Wien statt, in deren Rahmen Prof. Dr. Bernhard Schwetzler und Mag. David Gloser referierten. Im Folgenden beschäftigt sich dieser Beitrag mit der kritischen Auseinandersetzung mit zwei Praktiker-Ansätzen, die im Zuge der Veranstaltung thematisiert wurden. Der vorliegende Beitrag stellt einerseits eine Zusammenfassung der Veranstaltung dar und soll andererseits die wesentlichen Problemfelder in der Start-up-Bewertung beleuchten.
2. Problemstellungen bei der Bewertung von Start-ups
Ist ein Start-up oder junges Wachstumsunternehmen zu bewerten, können die herkömmlichen Bewertungsmethoden und Standards, wie das Fachgutachten KFS/BW 1, nicht ohne Weiteres angewendet werden. Denn weitgehend basieren diese auf der Prämisse, dass es sich beim Bewertungsobjekt um ein reifes Unternehmen handelt. Folgende Charakteristika sind damit idR verbunden:
Lange wirtschaftliche Existenz (Grundstabilität),3 um eine aussagekräftige und umfassende Vergangenheitsanalyse zu erstellen und iSd Fachgutachtens KFS/BW 1 Rz 53 darauf aufbauen bzw als „Orientierungshilfe“ zukünftige Ergebnisse prognostizieren zu können.
Abbildung 1: Investitionsvolumen in Österreich2
1 Vgl Statista, Anzahl der Start-up Gründungen in Österreich von 2010 bis 2020 (2021) (abgerufen am 9. 11. 2022).
2 Quelle: Statista, Investitionsvolumen der Finanzierungsrunden von Startups in Österreich von 2015 bis 2021 (abgerufen am 5. 11. 2022).
Gut ausgebautes Rechnungswesen inkl mittel- und langfristiger Planung, wodurch eine Planungsrechnung für den Bewerter wahrscheinlicher zur Verfügung steht.
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 29 ART.-NR.: 7
3 Hayn‚ Bewertung junger Unternehmen, in Peemöller (Hrsg), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung7 (2019).
Etablierte Produkte, die am Markt bewertungsrelevante Zahlungsströme genieren können.
Bei Auftreten von Veränderungen, wie zB erhöhter Wettbewerbssituation, werden diese im Einklang mit der Geschäftspolitik durch Anpassungsprozesse handgehabt.
Konträr dazu weisen Start-up-Unternehmen regelmäßig folgende Charakteristika auf:
Relativ kurze rechtliche und wirtschaftliche Existenz, wodurch Vergangenheitsdaten oftmals nicht zur Verfügung stehen.
Dynamik, Flexibilität und Innovationsfähigkeit: Sind Vergangenheitsdaten vorhanden, ist deren Aussagekraft für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens oftmals deutlich eingeschränkt.4
Relativ hohes Risiko: Start-ups weisen idR ein deutlich höheres Insolvenzrisiko auf. Empirische Studien bestätigen die hohe Ausfallsquote innerhalb der ersten Jahre nach der Unternehmensgründung.
Relativ hoher Kapitalbedarf: Einem hohen Kapitalbedarf zur Finanzierung erster Entwicklungsphasen steht häufig ein negatives Ergebnis aufgrund fehlender Marktreife gegenüber.
Unterentwickeltes Rechnungswesen: Die Qualität und der Umfang des vorhandenen Rechnungswesens sind oftmals unzureichend, um darauf aufbauend eine (integrierte) Planungsrechnung erstellen zu können.
Einseitige Planungsrechnungen: Ist eine Planungsrechnung vorhanden, ist diese nicht selten einseitig dargestellt bzw für bestimmte Zwecke erstellt worden, wie die Gewinnung zusätzlicher Investoren usw.
Die aufgezählten Attribute beziehen sich insb auf Start-ups in der Wachstumsphase. Damit zeichnet sich ein weiteres Kriterium ab, das Auswirkung auf die Bewertung haben bzw die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode entfachen kann: Start-ups durchlaufen unterschiedliche Lebenszyklen, wie Abbildung 2 schematisch darstellt.
Abhängig von der jeweiligen Phase, in der sich ein Start-up befindet, werden in der Literatur unterschiedliche Bewertungsmethoden empfohlen.
In der Early Stage befindet sich das Unternehmen in der Gründung, sucht nach Investitionen, generiert idR noch keine (nennenswerten) Cashflows und betreibt vorrangig Forschung und Entwicklung. In diesem Zyklus ist das Unternehmen davon geprägt, dass die Finanzierung primär über Eigenmittel und öffentliche Fördermittel und sekundär über Venture Capital als eine Form der Beteiligungsfinanzierung, die regelmäßig als Eigenkapital zu klassifizieren ist, aufgebracht wird. Die Finanzierung über Venture Capital markiert oftmals auch das Ende der Early Stage.6
Im Lichte der Bewertungsmethoden werden im Schrifttum in Early Stage überwiegend die sog Venture Capital-Methode, relative und operative Multiplikatorverfahren und Realoptionen vorgeschlagen.7 Die Anwendung einer DCF-Methode würde sich dem Schrifttum zufolge in dieser Phase nicht eignen. Diese werde erst ab der Expansionsphase nutzbar.
Die Kriterien basieren somit nicht auf dem Bewertungsobjekt allgemein, sondern letztlich auf Kapitalbedarf, Cash flows, Wachstumsstärke und darauf, wie ausgereift die Geschäftsidee ist.
Insb hinsichtlich der Bewertung von Start-ups ist es somit erforderlich, sie nicht zu generalisieren, sondern auf den Lebenszyklus einzugehen und darau ffolgend die Bewertungsmethode zu wählen. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend die Vorträge im Rahmen der Forschungsinitiative Business Valuation an der WU Wien zusammengefasst, in denen im Wesentlichen Ansätze zur Bewertung aus der Praxis beleuchtet wurden.
Abbildung 2: Lebenszyklen Start-up5
4 Vgl Montani/Gervasio/Pulcini, Startup Company Valuation: The State of Art and Future Trend, International Business Research 9/2022.
5 Vgl Havlik/Riegler‚ Start-up-Finanzierung und Venture Capital, in Mittendorfer/Mittermair (Hrsg), Handbuch Unternehmensfinanzierung (2017) 60.
6 Vgl Kollmann‚ Finanzierung von jungen Unternehmen in der Net Economy, in Börner/Grichnik (Hrsg), Entrepreneurial Finance (2005) 73 f.
7 Vgl Maehrle/Friedrich/Jaslowitzer, Bewertung junger High Tech-Unternehmen, FB 12/2005; Schwetzler‚ Bewertungsverfahren für Early-Stage-Finanzierungen, in Börner/Grichnik (Hrsg), Entrepreneurial Finance (2005); Rzepka/Hille/Schieszl, Die Bewertung von Start-up-Unternehmen, CF 9/2016.
rwz.lexisnexis.at 30 RWZ 1/2023 UNTERNEHMENSBEWERTUNG ART.-NR.: 7
3. Bewertungsansätze
3.1. Vortrag Schwetzler
Die Forschungsinitiative vom 18. 10. 2022 wurde mit dem akademischen Vortrag von Prof. Dr. Bernhard Schwetzler eingeleitet. Dieser griff die Problematik der Start-up-Bewertung bereits im Titel seines Vortrags auf, der „Zur (Fehl-)Bewertung von StartUpUnternehmen“ lautete. Eingangs ging er zunächst auf Fehlbewertungen insb von Unicorns8 ein und zeichnete ein Bild davon, was Gründe für eine Fehlbewertung dieser Unternehmen sein können. Ein wesentlicher Treiber sind die (letzten) Finanzierungsrunden, in denen ein Start-up Kapital von Investoren beschafft. Im Rahmen dieser werden oftmals beträchtliche Wertsteigerungen („Post-Money-Bewertung“) aufgerufen, die fundamental nur schwer erklärbar sind.
Damit verbunden sind allerdings nicht nur tendenzielle Überbewertungen der Unternehmen, wie Prof. Schwetzler festhielt, sondern auch zusätzliche Problemstellungen iZm der sog Liquidationspräferenz. Eine Liquidationspräferenz führt dazu, dass ein Venture-Capital-Investor im Rahmen einer Veräußerung oder sonstigen Erlösverteilung vorrangig gegenüber anderen Gesellschaftern bedient wird. Sie führen zu einer vermögensrechtlichen Bevorzugung von Venture-Capital-Investoren und stellen einen zentralen Bestandteil bei der vertraglichen Dokumentation von Venture-Capital-Finanzierungen iZm der Exit-Lösung, also dem Fall einer Veräußerung des Start-ups, dar. Es gibt dabei eine Vielzahl von verschiedenen Gestaltungsvarianten, wie anrechenbare und nicht anrechenbare, einfache und mehrfache oder auch unverzinsliche und verzinsliche Liquidationspräferenzen.9 Die Vermögensverteilung weicht letztlich aufgrund der Liquidationspräferenz – unabhängig von ihrer Ausgestaltung – bei Start-ups regelmäßig vom reinen Beteiligungsverhältnis ab und führt allerdings auch dazu, dass spätere Investitionen in ein Start-up „wertvoller“ werden, wie Prof. Schwetzler ausführte.
Wie drastisch dabei die Überbewertung ausfällt, zeigte Prof. Schwetzler anhand einer empirischen Studie von Gornall/ Strebulaev aus dem Jahr 2017, die Bewertungen von 135 amerikanischen Unicorns nachvollzogen und zum Schluss kamen, dass deren Post-Money-Bewertungen durchschnittlich 51 % überbewertet sind.10 In einer ähnlichen Studie des Vortragenden selbst kam dieser für europäische Start-ups zum Ergebnis, dass diese durchschnittlich um 22,1 % überbewertet sind.
Dabei fließen noch andere Faktoren, wie IPO-Wahrscheinlichkeit und jährliche Volatilität, mit ein. Allgemeine Auswirkungen von Einflussfaktoren auf die Überbewertung können dennoch gemessen werden. Finanzierungsrunden, die früher stattfinden, sind tendenziell stärker überbewertet.
Prof. Schwetzler konkludierte zwischenzeitlich, dass Überbewertungen somit einerseits bekannt und auch messbar sind, andererseits aber auch Vorteile mit sich bringen können – zumindest für bestimmte Stakeholder. Denn generell haben diese Überbewertungen einen unterschiedlichen Effekt auf die betroffenen Parteien, wie Prof. Schwetzler weiters festhielt. Die Gründer könnten dem Reiz, ein Unicorn zu sein, nachgeben und eine Überbewertung hinnehmen, um entsprechende Medienpräsenz zu erhalten. Die Manager des Venture Capital Fonds könnten aufgrund des Wettbewerbsdruck einen Anreiz haben, überhöhte Beteiligungswerte in ihren Fonds aufzunehmen. Durch diese Überhöhung können Investoren mit Liquiditätspräferenzen die Investitionsperformance überschätzen.
Vor diesem Hintergrund beschrieb Prof. Schwetzler im weiteren Vortrag zwei vom Schwierigkeitsgrad der Anwendung unterschiedliche Ansätze für die Bewertung von Wachstumsunternehmen und Unicorns. Praktiker bevorzugen die relativ einfach anzuwendende Venture-Capital-Methode. Diese stellt auf künftige Exit-Erlöse des Venture Capital ab und verläuft in vier Schritten:
Schritt 1: Zuerst erfolgt die Schätzung des zukünftigen Exit Value. Dies erfolgt auf der Basis von Ergebnisgrößen der Planungsrechnung zu einem zuvor bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, multipliziert mit einem Multiplikator, bevorzugt dem P/E-Ratio.
Schritt 2: Danach wird der Future Value berechnet. Hierfür wird das investierte Kapital (Venture Capital) mit der Renditeforderung über die Laufzeit bis zum Exit aufgezinst.
Schritt 3: Der erforderliche Anteil am Eigenkapital ist dann das Verhältnis des Future Value (Schritt 2) zum Terminal Value (Schritt 1).
Schritt 4: Der gegenwärtige Unternehmenswert ist schließlich das investierte Venture Capital durch den Eigenkapitalanteil (Schritt 3).
Mögliche Verwässerungen durch spätere Finanzierungsrunden sind dabei zu berücksichtigen.
Ein komplexeres Modell geht auf die Arbeit von Schwartz/ Moon11 zurück und beinhaltet als wesentliche Komponente die voneinander unabhängige Modellierung der Umsatz- und der Kostenseite. Dabei können auch negative Cashflows berücksichtigt werden, die bei Start-ups insb in den ersten Jahren nach der Gründung vorkommen. Analytisch ist das Modell aufgrund der Komplexität nicht zu lösen, wie Prof. Schwetzler anmerkte. Monte-Carlo-Simulationen seien notwendig. Empirische Ergebnisse bestätigen jedoch zufriedenstellende Ergebnisse dieses Bewertungsverfahrens.12
8 Als Unicorn wird ein Start-up-Unternehmen mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar bezeichnet.
9 Vgl Grisar/Zantopp, Liquidationspräferenzen in Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen, DStR 2020, 1768 (1773 f).
10 Vgl Gornall/Strebulaev, Squaring venture capital valuations with reality, Journal of Financial Economics 1/2020.
rwz.lexisnexis.at RWZ 1/2023 31 UNTERNEHMENSBEWERTUNG ART.-NR.: 7
11 Vgl Schwartz/Moon, Rational Pricing of Internet Companies Revisited, Financial Review 4/2001.
12 Vgl bspw Klobucnik/Sievers, Valuing high technology growth firms, Journal of Business Economics 2013.
3.2. Vortrag Gloser
Mag. David Gloser beschrieb anschließend die Situation rund um die Start-up-Bewertung aus dem Blickwinkel eines Wirtschaftstreuhänders, hielt zunächst aber ebenfalls fest, wie wichtig die Start-up-Bewertung in der Praxis sei, und nannte dazu zahlreiche Bewertungsanlässe, die eine Bewertung erfordern.
Da für einen Wirtschaftstreuhänder das Fachgutachten KFS/ BW 1 (idF 2014) das maßgebliche Regelwerk zur Bewertung von Unternehmen (unabhängig von ihrer Größe, Rechtsform oder Phase ihres Lebenszyklus) ist, müssen auch die Problemstellungen iZm der Bewertung von Start-ups in diesem Kontext beleuchtet werden. Zwar enthält das Fachgutachten KFS/BW 1 keine separaten Vorgaben zur Bewertung von Start-ups, es bietet allerdings zahlreiche Instrumentarien, um dennoch auf deren Besonderheiten einzugehen. Mag. Gloser nannte in diesem Zusammenhang insb drei Möglichkeiten, auf die er in weiterer Folge im Detail einging:
Anwendung einer Szenarioanalyse zur Abbildung unterschiedlicher Umweltzustände;
Berücksichtigung von Insolvenzwahrscheinlichkeiten;
Adjustierung des Diskontierungssatzes um einen zusätzlichen Risikozuschlag.
Hinsichtlich der Szenarioanalyse ist auf Rz 77 bzw Rz 136 zu verweisen. So wird in Rz 77 die Anwendung einer Szenarioanalyse vorgeschlagen, wenn keine geeignete Planungsrechnung vorgelegt werden kann und diese vom Bewerter selbst zu erstellen ist. Im Kontext einer Start-up-Bewertung kann dies durchaus Anwendung finden. Das bereits zuvor unterentwickelte Rechnungswesen von Start-ups und Planungsrechnungen, die zu anderen Zwecken als zu einer Unternehmensbewertung erstellt wurden, stellen sich sehr oft als ungeeignet dar und sind entsprechenden Anpassungen durch den Bewerter zu unterziehen. Die Anwendung einer Szenarioanalyse kann dabei unterschiedliche Umweltzustände oder mögliche Entwicklungen des Unternehmens in der Zukunft abbilden.
Das Fachgutachten KFS/BW 1 sieht die Anwendung der Szenarioanalyse aber auch in Rz 136 im speziellen Subkapitel für Wachstumsunternehmen vor, worin bereits einleitend festgehalten wird (Rz 134), dass sich eine Vergangenheitsanalyse für derartige Unternehmen regelmäßig nicht eignet, da die Vergangenheit oftmals nicht für die zukünftige Entwicklung aussagekräftig ist. Eine Szenarioanalyse kann dann helfen, dieses Defizit in der Planungsrechnung abzuschwächen und auch Insolvenzrisiken, die vor allem bei Start-ups im erhöhten Maße auftreten können, zu berücksichtigen.
Hierbei leitete Mag. Gloser auf das zweite Instrumentarium des Fachgutachtens KFS/BW 1 über, welches im Rahmen einer Start-up-Bewertung nach KFS/BW 1 von Bedeutung sein könnte, und zwar die Berücksichtigung von Insolvenzrisiken. Der Vortragende verwies auf die Empfehlung E7 „zur Berücksichtigung des Insolvenzrisikos“, welche vom Fachsenat für Betriebswirtschaft am 30. 5. 2017 verö ffentlicht wurde. Darin werden Wachstumsunternehmen explizit als Indizien für
das Vorhandensein bewertungsrelevanter Insolvenzrisiken angeführt.
Hinsichtlich der Berücksichtigung derartiger Insolvenzrisiken hält die Empfehlung weiters fest, dass diese ausschließlich im Cashflow zu berücksichtigen sind. Hierfür eignet sich die Bildung von Erwartungswerten oder – wiederum – die Anwendung von Szenarioanalysen. Wird das Insolvenzrisiko auf diese Art berücksichtigt, sind die bewertungsrelevanten Cashflows mit dem Diskontierungssatz, der entsprechend den Vorgaben in den Rz 95 ff des Fachgutachtens KFS/BW 1 abzuleiten ist, abzuzinsen.
Diesen Übergang nutzte Mag. Gloser in der Folge, um auf die Relevanz des Diskontierungssatzes bei der Start-up-Bewertung einzugehen. Denn wie der Vortragende festhielt, ist eine Anpassung des Diskontierungssatzes um die Besonderheiten eines Start-ups gem Fachgutachten KFS/BW 1 nicht zulässig, wenn ein objektivierter Unternehmenswert zu ermitteln ist. Hierfür kommt zur Ermittlung des Diskontierungssatzes gem Fachgutachten KFS/BW 1 Rz 101 das Capital Asset Pricing Model (CAPM) zur Anwendung. Eine gesonderte Berücksichtigung eines erhöhten Risikos des Start-ups ist vom modelltheoretischen Rahmen des CAPM nicht umfasst.
Abschließend konkludierte Mag. Gloser, dass die Bewertung von Start-ups auch aus seiner Sicht durchaus mit Problemstellungen behaftet ist, die bei der Bewertung von etablierten Unternehmen nicht zu Tragen kommen. Unabhängig davon gebietet allerdings gerade das Fachgutachten KFS/BW 1, auch Start-ups analog zu anderen Unternehmensformen zu bewerten. Das bedeutet, die Anwendung des DCF-Verfahrens zur Bestimmung des Unternehmenswerts eines Start-ups wird vorausgesetzt.
4. Kritische Würdigung und Zusammenfassung
Die Forschungsinitiative Business Valuation offenbarte am 18. 10. 2022 an der WU Wien einmal mehr, wie heterogen die Bewertungslandschaft auf die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode von Start-ups reagiert.
Prof. Schwetzler und Mag. Gloser präsentierten die Bewertung von Start-ups im Lichte zwei sich unterscheidender Bewertungsansätze. Die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode lässt sich aber ohnehin nicht pauschal beantworten, sondern hängt wesentlich von der Lebensphase ab, in welcher sich ein Start-up befindet. So eignet sich die Venture-Capital-Methode für Phasen, in denen das Start-up noch sehr jung ist und der Bewerter auf nur wenig Information zurückgreifen kann – so auch der Konsensus der beiden Vorträge.
Die Frage nach der geeigneten Bewertungsmethode birgt aber jedenfalls ein Spannungsfeld mit dem Fachgutachten KFS/BW 1. Denn erst, wenn ein Start-up einen stabileren Lebenszyklus erreicht, in dem Prognosen von Cashfl ows leichter möglich sind, kann auch auf die DCF-Methode zurückgegriffen werden. Die Anwendung einer solchen ist notwendig, wenn eine Bewertung in Konformität mit dem Fachgutachten KFS/
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BW 1 erstellt werden soll. Prognoseunsicherheiten und andere Problemstellungen iZm Start-ups sind dann aber weiterhin immanent. Zwar präsentierte Mag. Gloser hierfür zwei Instrumentarien aus dem Fachgutachten KFS/BW 1, die hierbei Abhilfe scha ffen sollen, allerdings bleiben andere Problemfelder bestehen.
Eine abschließende Lösung, wie Start-ups am besten zu bewerten sind (und das im Einklang mit dem Fachgutachten KFS/ BW 1), konnte im Rahmen der Forschungsinitiative nicht gefunden werden. Das war angesichts des Umfangs der Problemstellungen, die sich im Rahmen der Start-up-Bewertung ergeben können, allerdings auch nicht zu erwarten. Die Vorträge und die daran anschließenden Diskussionen markieren allerdings einen Startpunkt für eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung zu diesem Thema, die gleichermaßen notwendig wie auch von der Bewertungspraxis gefordert ist. Einen weiteren Beitrag dazu wird Prof. Schwetzler jedenfalls in einer der kommenden RWZ-Ausgaben liefern.
Literaturhinweise
Die Autorin:
Marie-Therese Beck , B.A. (HNU) ist im Fachbereich Corporate Finance | Valuation der BDO Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft tätig.
marie-therese.beck@bdo.at lesen.lexisnexis.at/autor/Beck/Marie-Therese
Der Autor:
Dr. Markus Patloch-Kofler, MSc (WU) CVA ist als Universitätsassistent (post doc) an der Wirtschaftsuniversität Wien in der Abteilung Unternehmensrechnung und Revision und im Fachbereich Corporate Finance | Valuation der BDO Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft tätig. markus.patloch-kofler@wu.ac.at lesen.lexisnexis.at/autor/Patloch-Kofler/Markus
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