Filmzeitschrift "Schnitt"

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16 Darius Ghanai gestaltet mit seiner Firma lichtrausch.com seit zehn Jahren Titelsequenzen vor und nach dem Film, aber auch Plakatmotive und Trailer. Er hat mit allen gearbeitet: Becker, Dietl, Wenders, Tykwer, Roehler, Glasner, Haußmann, Dresen, Graf, Klier, Levy, Rosenmüller, Buck, Schipper, Rothemund und Delpy. Ein Gespräch mit der deutschen Vorspannautorität. autor ¦ daniel bickermann

thema der titelkämpfer Ein gespräch mit darius ghanai

»Good Bye, Lenin!« (Wolfgang Becker, 2002; Vorspann: Darius Ghanai)


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Ausgabe # 55 03 ¦ 2009

Schnitt Das Filmmagazin

thema vorspann

Es gibt ja keine klassische Ausbildung für Deinen Beruf. Wie war Dein Werde­ gang?

deutsche Filme mal ähnlich aufwendig gestaltet werden, dann machen das nur wirkliche Liebhaber. Ich habe irgendwann für mich diese Nische ­entdeckt und besetzt. Ich wäre auch zu eigensinnig für die Werbung gewesen, wo man ­einen Kunden und einen Art Director hat, und alle wollen sich selbst künstlerisch­ ­verwirklichen.

»In den allermeisten Fällen wer­ den die Titel nichtmal budgetiert. Die Macher merken, daß sie ein dramaturgisches Problem haben, und dann rufen sie mich an.«

Ich habe eine klassische Ausbildung zum Graphiker gemacht, noch nicht mal als Studium, sondern an so einer Schule. Das war noch in den 1980ern, und damals bedeutete Graphik noch Schneiden und Kleben. Dauerhaft konnte ich mir das nicht vorstellen. Dann habe ich lange Musik gemacht, produziert und Platten aufgenommen. Film ist ja wie Musik, und alle Regisseure, die ich bisher kennengelernt habe, sind auch große Musikliebhaber, die kriegt man alle immer über das Rhythmusgefühl. Und als es dann eben graphisch doch losging in meinem Leben, hat mir meine musikalische­Ausbildung geholfen. Mitte der 90er kamen die Computer, da habe ich dann noch eine Ausbildung gemacht, wo es aber nur darum ging, die Graphikprogramme auf dem Mac zu ­beherrschen. Alles weitere habe ich mir eigentlich selbst beigebracht. Irgendwann habe ich mal ein Tape mit einer kleinen Animation an eine Produktionsfirma geschickt, und zu meinem Schrecken riefen die an und sagten: »Wir brauchen einen Visual Effect Supervisor für eine Produktion in Prag.« Für diesen Film habe ich dann eine Titelsequenz gestaltet, und die hat Pro7 gesehen. Die machen ihre Vorspänne eigentlich immer »inhouse«, aber das war eine der wenigen Arbeiten, die sie mal angekauft haben. Wir schnitten­den Film bei Arri in München, und im Raum nebenan saß die Editorin von Helmut Dietl, sah das und zeigte es ihm, und der sagte: »Kannst du dir vorstellen,­ sowas für meinen neuen­ Film zu machen?« Und das war dann gleich das nächste Projekt.

Wie kommt denn für gewöhnlich das Gros der deutschen Vorspänne zustande?

Klassischerweise wird ein Film gedreht und dann geschnitten, und dann hat der Herstellungsleiter bei sich im Plan »Titelarbeiten« stehen. Gewöhnlich nimmt man den geschnittenen Film und legt etwas Typographisches darüber. Das macht zum Beispiel jemand wie Lutz Lemke bei Arri, den ich seit Jahren kenne und sehr schätze. Bei den großen Post-Häusern ist nie die Zeit, sich so knietief hineinzuhängen, wie ich das mittlerweile mit einem ganzen Team mache. Wir recherchieren und entwickeln Konzepte und pitchen die dann den Regisseuren und Produzenten. Aber oft passiert das wie bei Herr Lehmann, wo mich Leander Haußmann ansprach, weil sie den Film genau wie das Buch anfangen ließen: Der Protagonist schließt eine Tür ab, wankt über die Straße und trifft auf diesen Hund. Bei den Testvorführungen kam das nicht rüber, dieser Subtext aus dem Roman. Die haben mir das gezeigt, und ich habe gesagt: »Man muß die Nacht vorher zeigen. Wo kommt der her? Warum ist der so gaga?« Aber es war schon längst abgedreht, alle Sets waren abgebaut. Wir haben dann die ganze Kneipe nochmal aufgebaut, und Ulmen kam extra dafür nochmal rein, bis fünf Uhr morgens haben wir ein Storyboard der Titelsequenz als Stop-Motion-Fotostrecke produziert.

Was ist der Unterschied zwischen deutschen­ und internationalen Vor­ spannproduktionen?

Läuft das häufig so, daß es vorher gar keine Ideen gibt?

Filme, die weltweit vertrieben werden, haben einfach eine ganz andere Rechtfertigung, das Production Value an solchen Stellen auch zu heben. Aber bei deutschen Filmen redet man meistens über das Auswertungsfenster Deutschland, Österreich, Schweiz. Und wenn

In den allermeisten Fällen werden die Titel nichtmal budgetiert. Die Macher merken, daß sie ein dramaturgisches Problem haben, und dann rufen sie mich an. Es gibt aber auch schon Leute, die mich vor Drehbeginn engagieren. Da geht es darum, daß ich einen ganzheitlichen­

zitat

Ansatz verfolge, das heißt, ich versuche, die Verleiher und die Produzenten eines Films zusammenzubringen und zu sagen: Ich habe ein Schlüsselmotiv im Film. Und daraus kann man dann ­Plakat, ­Vorspann, Nachspann, Teaser, alles in einer großen Kombi-Aktion produzieren. Und während des Drehs fülle ich dann meinen Köcher. Wir haben zwei Teams, eins für Print und eins für Motion. Dabei ist es natürlich wichtig, daß die sich ständig austauschen. Und natürlich kommen immer wieder Leute von außerhalb dazu, je nachdem, was gebraucht wird: ein Kameramann, ein Fotograph oder ein 3DSpezialist. Bei Michael Kliers Alter und Schönheit gab es ja diese alte Villa, die nicht mehr bewohnt ist, mit dem völlig verdreckten, leeren Pool, und das war mein Bild, davor setze ich die Protagonisten und ließ sie hineinschauen. Der leere Pool als Symbol für die midlifecrisis. Der erste Film, für den ich dieses ganzheitliche Konzept konsequent umgesetzt habe, war Good Bye, Lenin!. Bei X Filme sind die Verleiher und die Produzenten eigentlich dieselben Leute. Ich habe damals die Idee für den Filmanfang gepitcht und auch produziert und dadurch Vertrauen gewonnen. X Verleih steckte damals bei der Posterentwicklung fest, also habe ich was gepitcht. Ich habe dann mit Daniel Brühl und Kathrin Saß nochmal neue Fotos gemacht und diesen Plakat-Look kreiert. Das Tolle daran war natürlich, daß ich durch die Arbeit am Film schon eine gewisse Sicherheit im Umgang mit dem ganzen Thema und mit den Beteiligten hatte – man weiß schon, was geht und was nicht. Und der Erfolg hat der ganzen Sache rechtgegeben. Die Musik ist ja sehr wichtig für Titel­ sequenzen. Wo kommt die her?


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»sophie scholl – die letzten Tage« (Marc rothemund, 2004; nachspann: darius ghanai)

Der Normalfall ist der, daß man im Schneideraum die vorläufigen Temp Tracks hat und die dann sukzessive austauscht. Bei Das Sams zum Beispiel habe ich Nicola ­Piovani ein animiertes Storyboard geschickt, auf das er dann seinen Score komponierte. Und zu der Musik habe ich dann die Animation ausgearbeitet.­ Das ist ein Szenario, wie ich es liebe. Denn wenn ich nach Musik arbeite, dann kann ich ganz andere Akzente in der Animation noch mit einbauen. Im Kino spürt man sofort, wenn Bild und Musik miteinander arbeiten. Bei Good Bye, Lenin! habe ich mit einem Temp Track gearbeitet, und dann hat Yann Tiersen auf den fertigen ­Vorspann seine Musik komponiert. Die haben die Musik in zwei Tagen ­aufgenommen und gemischt, und ­Peter Adam hat es im Schneideraum angelegt, und es hat perfekt gepaßt. Bei Vic ­Chesnutt und dem neuen SebastianSchipper-Film Mitte Ende August war das genauso: Vic hat über den Film große Bögen gespannt, das ist einfach genial. Bei Mädchen, Mädchen dagegen gab es einen internationalen Hit als Vorgabe, zu dem ich wochenlang die Titelsequenz angepaßt habe, bis es wirklich perfekt war – und dann kriegten wir die Musik doch nicht, es mußte jemand neue ­Musik schreiben, die diesen Welthit kopiert. Ich selbst habe auch schon Musik für Titelsequenzen geschrieben… Kommt es häufig vor, daß Regisseure oder Produzenten mit eigenen Ideen kommen, die man dann nur noch umset­ zen muß?

Ich muß überlegen, aber ich glaube, das ist mir noch nie passiert. Manchmal haben Leute bestimmte Vorstellungen, die aber nicht funktionieren, und dann rufen sie mich an. Sie brauchen den frischen Blick von ganz außerhalb. Das wichtigste ist, immer das zu suchen, was der Film braucht. Manchmal braucht es der Film, daß die Titel sich total zurücknehmen. Wolke 9 von ­Andreas Dresen ist so ein Beispiel. Ich habe für den Film ein Logo kreiert und das Plakat gemacht. Aber wir haben sehr schnell gemerkt, daß

»Das wichtigste ist, immer das zu ­suchen, was der Film braucht. Manchmal braucht es der Film, daß die Titel sich total zurück­ nehmen. W ­ olke 9 von Andreas Dresen ist so ein Beispiel.« zitat

das ­tänzelnde Logo im Film deplaziert wirkte. Und so ist das Corporate­Design von Wolke 9 eben uneinheitlich: Der Film brauchte seins, und das Plakat ist anders. Wenn man im Film sitzt, wird man über die Sprache und den Rhythmus­langsam reingezogen, aber das Plakat muß die Leute anders ansprechen, sonst laufen die einfach dran vorbei. Wie viel Freiheiten hast Du bei den Titel­ sequenzen?

Ich hatte das Glück, daß ich in den ­allermeisten Fällen ziemlich gut gelandet bin mit dem, was ich entwickelt habe.

­ atürlich macht man das erstmal grob N und schaut dann, wie die Leute darauf reagieren. Bei Herr Lehmann habe ich mit Joachim Gern die Fotos für die ­Titelsequenz gemacht und innerhalb von zehn ­Tagen selbst montiert, und dann habe ich es Leander gezeigt, und der meinte nur: ­»Super.« Bei Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken­ dagegen hatte er schon mit James Last und den tanzenden Schauspielern vor Greenscreen Material produziert, und damit sollte ich mal probieren. Und ­daraus habe ich dann das Ende des Films entwickelt – was ein wahnsinniger ­Aufwand war, aber es hat sich sehr gelohnt. Aber manchmal ist es wichtig, ­meine ganze Energie auf das Filmende zu konzentrieren. Sophie Scholl – Die letzten­ Tage ist ein gutes Beispiel für einen Film, bei dem es wichtig war, den Zuschauer wieder einzufangen und langsam auf den Boden zurückzubringen. Wenn man den Film nach einem so dramatischen Ende einfach aufhören ließe, wäre das wirklich total grausam. Da mußten wir etwas Lebensbejahendes entgegensetzen, die Bilder von der Weißen Rose, wie sie Jugendliche waren und am See abhingen und fahrradfuhren und dazu die Musik von Ella Fitzgerald. Ich wollte Julie ­Delpy bei Die Gräfin davon überzeugen, daß der Film am Ende auch so etwas braucht. Ich hatte eine komplette Sequenz einer verwelkenden Rose produziert, aber leider wollte Julie, daß die Titel am Ende des Films ganz streng ­typographisch bleiben.


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