Phantom Vater

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VATER

t i m n e b e L em ein r e t a V m o t n a h P

Meine väterlichen Ratgeber hießen Springsteen, Bukowski oder Nietzsche.

DIE SELTENEN TREFFEN MIT MEINEM VATER FÜHLTEN SICH SCHON IMMER AN WIE EIN PERFEKTES ERSTES DATE, BEI DEM ALLES WUNDERBAR LÄUFT – BEVOR MAN FESTSTELLEN MUSS, DASS SICH DER ANDERE DANACH NICHT MEHR MELDET.

Text: Marina Ebersbacher

Mein Uniabschluss steht vor der Tür, die Arbeit ist fertig geschrieben, es fehlt nur noch die Defensio. Gefeiert soll es werden, das Ende eines turbulenten und lehrreichen Lebensabschnittes, hat der Kleinfamilienrat beschlossen. Ich füge mich seinen Wünschen, schließlich steht er als Sponsor meines akademischen Grades an oberster Stelle. Während ich die Gästeliste schreibe, halte ich inne. Soll ich ihn auch einladen? Würde er kommen? Interessiert es ihn überhaupt? Bald ist es wieder ein Jahr her, dass ich ihn gesehen habe. Er, der Idealisierte. Er, der Verteufelte. Er, der Unerreichbare. Mein Vater. Ein Jahr in dem viel passiert ist, wir wissen vom anderen

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allerdings nicht mehr, als in eine SMS passt. Und auch diese sind äußerst rar. Ich weiß, wenn wir uns wiedersehen, wird es prächtig laufen. EIN IDEALBILD ZERBRICHT AN DER WIRKLICHKEIT Wir werden Bier trinken, uns stundenlang unterhalten, niemals wird uns der Gesprächsstoff ausgehen. Dazu sind wir uns zu ähnlich. Nicht nur äußerlich. Wir verstehen uns gut. Haben wir eigentlich immer. Trotzdem war er nie greifbar. Wie ein Phantom. Treffen mit meinem Vater fühlten sich seit jeher an wie ein perfektes erstes Date, bei dem alles wunderbar läuft

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VATER Ohne prägenden Vater wurden Emanzipation und Feminismus gelebte Wirklichkeit.

– bevor man feststellen muss, dass sich der andere danach nicht mehr meldet. Lange Jahre sahen wir uns bloß einmal im Monat für ein paar Stunden. Zuwenig, um eine normale Eltern-Kind Bindung aufzubauen. Das hielt mich nicht davon ab, ihn lange Zeit gnadenlos zu idealisieren und umso mehr zu leiden, je mehr ich mein Idealbild an den rauen Klippen der Wirklichkeit zerbersten sah. Phasen des Trotzes, der Wut und der Trauer folgten. Irgendwann war ich es überdrüssig, mich mit den Gründen zu beschäftigen, warum andere Kinder einen Vater hatten, der sich um sie kümmerte und sie vergötterte, und ich nicht. So begann ich, meine Einstellung zum vaterlosen Leben zu überdenken.

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väterlichen Rat als es mein echter Vater jemals gekonnt hätte. Der unerreichbare, gehasste, enttäuschende Vater löste sich immer mehr auf, bis nur noch der Mensch dahinter übrig blieb. Mit all seinen Stärken, Schwächen, Unzulänglichkeiten etc. Natürlich könnte ich ihn hassen, jede meiner Fehlentscheidungen, jede gescheiterte Beziehung, jede Unsicherheit weiter auf ihn schieben und mein ganzes Leben die Rolle des verlassenen Kindes spielen. Aber erstens wäre das zu einfach und zweitens möchte ich es nicht.

MAN SUCHT SICH ANDERE VATERFIGUREN Ohne eine prägende Vaterfigur aufzuwachsen ist in meiner Familie mehr die Norm als die Ausnahme. Das hatte zur Folge, dass Emanzipation und Feminismus keine abstrakten Konzepte, sondern gelebte Wirklichkeit waren und sind. Haushalt, Karriere und „Brutpflege“ unter einen Hut zu bringen ist dabei eine notwendige Selbstverständlichkeit. Erst als ich erwachsen wurde, merkte ich, wie viele positive Dinge selbstverständlich für mich waren, bei denen sich andere plagten oder noch gar nie darüber nachgedacht hatten. Wenn es keinen greifbaren Vater im Leben gibt, sucht man sich einen. Ich habe meine Vaterfiguren in Philosophie, Literatur und Musik gefunden. Bruce Springsteen, Charles Bukowski oder Friedrich Nietzsche etwa gaben mir durch ihre Werke mehr

BESUCHE IN DEN SOMMERFERIEN Einen Phantom-Vater zu haben ist nicht leicht und ich wünsche es niemandem. Kein Kind hat es verdient, nicht die Liebe und Zuneigung, die ihm zusteht, von beiden seiner Elternteile zu bekommen. Dennoch wäre es falsch, jede Schuld bei ihm zu suchen. Abgesehen davon, dass ich einem einzigen Menschen gar nicht so viel Macht über mein Leben geben will, möchte ich nicht auf ewig die Rolle des verlassenen Kindes innehaben. Natürlich gibt es Kinder, die gänzlich ohne Vater aufwachsen, diesen nicht einmal kennengelernt haben. Zu sagen, dass mein Vater sich nie gekümmert hätte, wäre in meinem Fall falsch. Er zahlte Alimente und ich durfte ihn in den Sommerferien besuchen. Und wenn wir uns sahen, verstanden wir uns so prächtig, dass ich mich jedes Mal aufs Neue fragte, warum dennoch der Kontakt immer so limitiert ist. Mein Vater pflegte auf diese Frage mit „Besser Qualität als Quantität“ zu antworten. Das mag in den meisten Fällen auch stimmen, jedoch leider nicht, wenn es um die Zeit geht, in der Kinder ihre Eltern brauchen. Trotzdem hatte ich ihn lieb. Habe ich noch immer.

GLÜCKLICH AUCH OHNE PAPPI Bis zum heutigen Tag ist es schön, aber manchmal auch schwierig, „normale“ Vater-Kind Beziehungen in meinem Umfeld zu beobachten. Schwierig deswegen, weil es immer einen Teil geben wird, der schmerzt, wenn etwas Essentielles fehlt. Trotzdem bin ich durch diese Erfahrung auch zu einem großen Teil der Mensch geworden, der ich heute bin, weil die Dinge so waren, wie sie waren. Und auch wenn der Wunsch nach einer „normalen“ Familie wahrscheinlich immer auf die eine oder andere Art präsent sein wird, bin ich dennoch mächtig stolz, auch ohne Pappi aber dafür mit Hilfe einer Amazonen-Mutter und zwei wunderbaren Großmüttern eine glückliche und zufriedene junge Frau geworden zu sein, die weder mit Parallel-Parken, noch mit Elektrobohrmaschinen oder Alleine-in-der-Nacht-heimgehen ein Problem hat. Und schon gar nicht damit, für sich selbst einzustehen. An dieser Stelle möchte ich also meinen Dank aussprechen an den Vater, der keiner sein wollte. Danke, dass deine Nichtanwesenheit mich mit zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin und der ich immer sein wollte. Manchmal zerbrechen Mädchen an einer fehlenden Vaterfigur, manchmal wachsen sie über sich hinaus. Nach unserem letzten Treffen drehte sich mein Vater noch einmal um und teilte mir mit Bewunderung mit, dass er keine Frau kenne, die so viel Bier verträgt wie ich. Lachend antworte ich: „Du bist ja doch irgendwie auch mit mir verwandt.“ Wir umarmen uns ein letztes Mal. Dann gehen wir in verschiedene Richtungen nach Hause.

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