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FAMILIE

VON DEM ZEITPUNKT, AN DEM DU DICH OMA NENNEN DARFST, IST ALLES ANDERS. DU HAST EIN ENKELKIND. SELTEN EINMAL IM LEBEN STRAHLEN FRAUEN SO VOR GLÜCK. DAS WAR VORHER ANDERS. DA WAREN SIE MÜTTER. DAS IST EIN RIESENUNTERSCHIED.

Text: Andrea Wolfmayr, Illustrationen: Marijana X Jakelic

t s i b u D Oma

Als Mutter musst du alles machen, und zwar rund um die Uhr. Hast du jede Menge Sorgen. Ums tägliche Brot, Gesundheit und Job, die Finanzen. Bist unsicher, gestresst, unausgeschlafen, überlastet. Als Großmutter kriegst du das Kind nur zwischendurch – und dann gibst du es wieder zurück. Genießt jede Sekunde. Darfst es verwöhnen. Musst nicht so streng sein. Bist die Liebe, Verständnisvolle, (fast) immer Freundliche. – Freilich gibt’s auch andere, egoistische Omas, zwidere, meckernde, nörgelnde … Aber von denen reden wir heute nicht. Die „richtige“ Oma ist die Verlässliche, der Fels in der Brandung, die andere, die „große“ Mutter. Sie ist lebenserfahren. Sie liebt ihre Kinder und Kindeskinder. Sie ist heiter und gelassen, kann bisweilen streng sein, manchmal eigen, gar schrullig. Sie ist nicht immer da, aber sie springt ein, wenn sie gebraucht wird. Sie ist zugehörig und doch ein wenig weiter weg. Sie bildet den zweiten Kreis. Aber der ist unendlich wichtig.

DIE UNENTBEHRLICHE OMA Wir wissen, und neuere Forschungen bestätigen es, dass soziale Systeme mit Großmüttern einfach besser funktionieren. Eine menschliche Überlebensstrategie, die sich herausgebildet hat im Lauf der Evolution. Die Primaten haben sie noch nicht, bei ihnen gibt es keine Menopause, sondern Fruchtbarkeit und neue Kinder lebenslang. Aber diese jahrzehntelange Zeit im Frauenleben ohne „neue“ Kinder, mit Zeit für die Beschäftigung mit der nächsten Generation, hat Vorteile: Die Jungen lernen mehr, werden mit den sozialen Gesetzen vertraut gemacht, entwickeln sich sprachlich besser. Da hat jemand Zeit für sie. Kümmert sich liebevoll und verantwortungsbewusst um sie. Da herrscht ein Vier-Augen-Prinzip, da wachsen Vertrauen und Zuversicht. Das Angenommensein in einer größeren Gemeinschaft gibt Sicherheit, bestätigen die Studien. Vor allem in Zeiten, wo plötzlich dringend Hilfe benötigt

„Wir wissen, und neuere Forschungen bestätigen es, dass soziale Systeme mit Großmüttern einfach besser funktionieren.“

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FAMILIE wird. Extremfall Kriegszeiten oder Tod eines Elternteils. Oder wenn beide Eltern Fulltime Jobs haben und kaum zuhause sind. Vor allem bei Alleinerziehenden.

❢ DIE SOUVERÄNE OMA Sie fühlt sich manchmal wie die große weise Alte. Wie bei den Indianern. Das innere Bild entspricht jedem Klischee. Sie sitzt im großen Ohrensessel, schart die Kinder, also die ein, zwei vorhandenen – wenn sie Glück hat, kommen ein paar Freunde mit, – um sich und erzählt. Oder liest vor. Oder backt Kekse mit ihnen, pflückt Erdbeeren. So siehts aus im Bilderbuch. Die moderne Realität gestaltet sich anders. Liberaler, flexibler. Oma muss turbomäßig und aus dem Stand reagieren – mit einer Predigt oder Standpauke, einer Erklärung, einem Rat, einer kleinen Weisheit. Jedenfalls schreit Oma kaum einmal entsetzt auf vor Schreck bei kleinen Wunden oder Wespenstichen, Kinderkrankheiten oder Herzeleid – Großmütter sind meist über jede Unbill des Lebens erhaben, wirken tröstlich, hilfreich und besänftigend in jeder Situation.

✺ DIE VERUNSICHERTE OMA Die heutigen Omas werden natürlich mit schrecklichen Dingen konfrontiert, mit denen sie nicht umgehen können. Jedenfalls nicht so locker wie ihre Enkel. Computer zum Beispiel, Handys, Tablets, dem ganzen elektronischen Schmarren, den jeder heute – außer der Oma – braucht und mit dem jeder umgehen kann. Und Mobilität tut not, nicht immer wohnen die Kinder in der Nähe,

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ständig müssen die Enkel irgendwohin gefahren werden – aber die Oma mag vielleicht nicht mehr mit dem Auto unterwegs sein, weil der Verkehr auf den Straßen immer grässlicher wird, all die Baustellen und der Stress, und vielleicht sieht sie auch nicht mehr so gut und reagiert nicht mehr so schnell. Oma regt das alles auf, einfach weil sie älter geworden ist. Aber das interessiert niemanden. Unsere Welt ist jung.

✪ DIE JUNGE OMA Sie ist zwischen 50 und 60, manchmal sogar darunter. Sie hat noch eine Menge Energie, aber sie ist auch nicht mehr 20 und kann nicht mehr aus dem Stand auf 180 durchstarten. Das wollen ihre Kinder oft nicht verstehen, sie appellieren knallhart an das, was Mami immer war und gefälligst bleiben soll: ein unerschöpfliches Energiebündel. „Der Apfelstrudel ist dir doch immer gelungen!“, „Das Rezept hast du doch gewusst!“, „Du warst doch immer …, du hast doch immer …, geh nein, jetzt tu nicht so…“ In der Werbung kreischen agile Achtzigjährige vergnügt auf der Achterbahn und Kukident-Träger laufen lachend Eis und fahren Schi mit den Fünfjährigen. Unternehmungslustige Großeltern nehmen die Enkel mit in den Abenteuerurlaub und erklären ihnen, wie man ein Feuer macht und Wildwasser fährt, auf Berge klettert und auf Grashalmen pfeift – super.

❈ DIE ALTE OMA Aber unweigerlich kommen die Zeiten, wo es ein bisserl mühsamer wird. Manchmal

„Die junge Oma hat noch eine Menge Energie und ist für verschiedenste Abenteuer zu haben.“


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vergisst man, was man früher nie vergessen hätte. Agiert nicht mehr multitasked und muss das Radio abdrehen, während jemand spricht – Nebengeräusche stören. Überhaupt hat man es lieber still. Wenigstens manchmal. Und Pausen braucht man auch. Ein Nickerchen zwischendurch, vor allem zu Mittag. Das ist heilig. „Nein, ich kann dir jetzt nicht helfen bei der Aufgabe, nein, ich kann das Geschirr jetzt nicht abwaschen, zuerst einmal muss ich mich hinlegen…“ Und schnelles Bücken macht schwindlig und fürs Aufstehen braucht man Zeit. Wird bedächtiger. Drosselt das Tempo. In unserer schnelllebigen Zeit, mit den oft nervösen, überreizten Kindern, ist das vielleicht gar nicht so schlecht. Sie erleben Verweigerung. „Nein, das kann ich nicht. Nein, das mag ich nicht. Nein, da tu ich nicht mit. – Das machst du besser allein.“ – Aber es gibt auch Interessantes zu überliefern aus der Historie: „Damals hatten wir kein Handy. Niemand hatte eines. Und es gab keinen Farbfernseher, nicht einmal einen in Schwarz-Weiß. Und wir haben ohne Kühlschrank gelebt und ohne Waschmaschine…“

„Ich hätte mir nicht gedacht, dass es eine so fantastische Erfahrung sein würde, ein Enkelkind zu haben.“ ✼

DIE SICH RAUSHALTENDE OMA Manchmal haben Omis die göttliche Weisheit so weit verinnerlicht, dass sie nicht eingreifen, weder in Familienstreitigkeiten noch in Raufhändel zwischen Geschwistern. Sie warten erst einmal ab. Sagen nicht Halt, wenn der Enkel auf einen Baum klettert.

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Verkneifen sich zu rufen: „Nicht so schnell…!“, weil sie wissen, dass Stürze und Verletzungen zum Leben gehören. Erst durch Fehler lernt man. Den Mund halten. Nicht einmischen. Das ist manchmal die schwerste Prüfung. Aber Gott sei Dank ist die Beziehung zu ihren Eltern meist nicht die einzige für Jan und Julia, Teres oder Thomas. Denn da gibt es noch Oma und Opa – wenn man Glück hat, sogar doppelt…

ICH SELBST BIN RASEND GERN OMA Ich hätte mir nicht gedacht, dass es eine so fantastische Erfahrung sein würde, ein Enkelkind zu haben. Das eigene Kind ist schon ein Wunder, aber später, wenn man schön langsam spürt, dass man nicht alt, aber doch älter wird, tut sich davon ausgehend eine neue Welt auf, weit weg und doch so nah und vertraut. Nichts ist verblüffender als ein Enkelkind, nichts fantastischer. Eine Nähe, eine „Verwandtschaft“, da kannst du sagen, was du willst, der genetische Hintergrund birgt Überraschungen und sorgt bisweilen für ein ganz automatisches, wortloses Verständnis, eine Vertrautheit, die gefühlt wird von der ersten Sekunde des jungen Menschenlebens an. Schon gar die ganz besondere Nähe von Oma oder Opa zu dem einen auserwählten Enkel oder der Enkelin – auch wenn natürlich alle Enkel vollkommen gleich geliebt werden, klar! – ist für dieses Kind eine zusätzliche ungeheure Aufwertung, ein Gewinn, eine Auszeichnung, die das ganze Leben prägen kann.

Ich war das Lieblingskind meiner Oma väterlicherseits, meine Mama erzählte mir immer wieder, dass sie mich am liebsten bei sich behalten hätte. Und niemals habe ich mich so sicher und behütet gefühlt wie in dem großen alten Bett am Hauptplatz in Gleisdorf, wo meine Oma wohnte. Das Aufstehen in der Früh, die Butterbrote, die so ganz anders schmeckten als zuhause, weil Oma immer einen Wecken kaufte, der „feiner“ war, und echte Butter aufs Brot strich, keine Margarine, die wir zuhause

hatten aus Sparsamkeitsgründen, und das Muster, das sie mit einer Gabel auf die Brote zeichnete, die kleinen Schnitten, die sie mir servierte, und wie sie darauf achtete, dass ich meinen Kakao auch austrank – das war alles so aufregend, so anders, so wunderbar. Das kleine Glas, in dem sie Preiselbeeren mit Wasser verrührte, weil Preiselbeeren so gesund waren. Bei der Oma gabs noch Milchrahmstrudel und Linzertorte, die Sachertorte hatte eine „kalte“ Glasur, nämlich mit ein bisserl Kokosöl. Das Geheimnis des Schweineschmalz, das alles so köstlich schmecken ließ, wurde mir anvertraut, es gab gelbes Rapsöl im Salat und kein Kernöl wie daheim, die Wärme in der Küche, die vom Sparherd kam, geheizt mit Holz und Kohle, das Knistern im Ofen, die kleinen Scheiter, die sie reinsteckte, das Kohletragen und Wasserholen, das Zapferlklauben und im Wald Schwammerl suchen und Heidelbeeren…- ach, Oma!

Andrea Wolfmayr veröffentlicht seit Ende der Siebzigerjahre literarische Texte. Sie studierte an der Grazer Musikhochschule sowie Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Graz. 1983 nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Von 1999 bis 2006 war sie Abgeordnete im Österreichischen Nationalrat. Seit 2006 lebt sie als freie Schriftstellerin in Gleisdorf und arbeitete von 2007 bis 2013 in Graz im Kulturamt des Magistrats. Sie erhielt zahlreiche Preise für ihre Romane, zuletzt erschienen in der edition Keiper „Roter Spritzer“ (2015) und „Vom Leben und Sterben des Herrn Vattern“ (2016).

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Foto: © Ulrike Rauch

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