17
Tages-Anzeiger – Mittwoch, 16. Juni 2010
Zürich
Das neue Selbstbewusstsein in der Agglo Optisch ist das Limmattal schon lange mit der Stadt Zürich verwachsen. Allmählich wird es auch emotional urban.
In Affoltern am Stadtrand schiessen Wohnungen wie Pilze aus dem Boden. Die Mühlackerstrasse im Bild führte vor kurzem noch durchs Grüne. Fotos: Doris Fanconi
«Zürich hat noch Platz» Die Stadt wächst und wächst – 20 000 zusätzliche Einwohner werden erwartet. Weil der Boden knapp ist, wird Zürich immer mehr verdichtet – und grossstädtischer. Mit Brigit Wehrli-Schindler sprach Janine Hosp Zürich platzt aus allen Nähten. Die Stadt findet kaum einen Platz für ein Kongresszentrum oder ein Eisstadion. Auch der Boden für Wohnungen wird knapp. Kann sich die Stadt überhaupt noch entwickeln? Ja, es hat noch Entwicklungsmöglichkeiten, mehr als man meint. Die Bau- und Zonenordnung bietet noch Möglichkeiten für zusätzliche Wohnungen, und es hat auch noch Platz für ein Kongresszentrum – wir haben ja sogar noch eine Auswahl an Standorten. Aber die Entwicklung wird nicht mehr ewig innerhalb der Stadtgrenzen stattfinden können. Wir müssen Zürich grösser denken. Im Grunde ist Zürich grösser als es die Stadtgrenze glauben macht: Schlieren, Kilchberg oder Opfikon gehören längst zur Stadt. Müssten nicht die politischen Strukturen an die Realität angepasst werden? Im Kanton Zürich ist es – anders als in Luzern oder Lugano – kein Thema, Gemeinden einzugemeinden. Es besteht kein Leidensdruck. Solange die Gemeinden finanziell über die Runden kommen, gibt es für sie keinen Anlass, ihre Selbstständigkeit aufzugeben. Wichtiger als über Eingemeindungen nachzudenken, ist es deshalb, gute Formen der Zusammenarbeit zu finden. Ein gewisser Leidensdruck besteht höchstens für die vielen Leute, die nach Zürich ziehen wollen und keine Wohnung finden. Aber auch ihnen muss man sagen: Die Stadt hört nicht an der Stadtgrenze auf. Ob man im «Quartier» Dübendorf, Opfikon oder Zollikon wohnt – das ist nicht wesentlich anders als in Zürich selbst. Könnte nicht auch ein Anti-ZürichReflex der Grund sein, dass sich
Gemeinden nicht der Stadt anschliessen wollen? Ich habe das Gefühl, diesen vielzitierten Anti-Zürich-Reflex gibt es nicht mehr so ausgeprägt. Nach meinem Empfinden ist er kaum mehr spürbar. Warum? Die Stadt hat viel getan. Sie lädt die Gemeinden zum Beispiel regelmässig zu Aussprachen ein, und man kennt sich durch die intensivere Zusammenarbeit, etwa in der Metropolitankonferenz besser. Vielleicht hatte die Stadt früher einen Dünkel gegenüber den kleinen Gemeinden, aber der besteht heute nicht mehr. Sie musste schon in den 90er-Jahren umdenken, als der Stadtpräsident auf dem Land für den kantonalen Lastenausgleich werben musste. Die Haltung gegenüber Städten hat sich aber ganz allgemein verändert. Sie werden nicht mehr als Moloch betrachtet, als Wurzel aller Übel, sondern als Ort, wo man gerne wohnen möchte. Was halten Sie von der Idee, wichtige Bauten wie das Kongresszentrum in die Agglomeration auszulagern, wie es kürzlich eine ETH-Studie vorgeschlagen hat? Das ist grundsätzlich sehr wohl denkbar. In vielen Städten steht das Kongresszentrum beim Flughafen und nicht in der City. Wichtig ist aber, dass solche Einrichtungen für die Besucher gut erreichbar sind. Es macht keinen Sinn, einen Ort zu wählen, der zwar schön, aber schlecht erschlossen ist. Die Stadt will das Kongresszentrum aber in der City bauen, damit auch Läden, Restaurants und Hotels davon profitieren. Ja, das ist so. Man weiss, dass sich das auch viele Kongressbesucher wünschen, um eben vom Angebot der Stadt profitieren zu können.
Wenn in der Stadt gebaut wird, bedeutet das meistens verdichten. Und das provoziert Widerstand. Ja, es gibt Beispiele für Widerstand gegen Verdichtung, so bei der geplanten städtischen Siedlung an der Rautistrasse. Die Bevölkerung wehrt sich gegen eine allzu starke Verdichtung, wenn die Neubauten ihrer Meinung nach nicht ins Quartier passen. Verdichten heisst aber nicht zwingend, grosse Kästen zu bauen. Die Altstadt etwa ist eines der dichtesten Quartiere der Stadt, dennoch hat sie hohe Qualitäten, weil sie differenziert und kleinteilig gestaltet ist.
fen, was die Grenze noch stärker verwischen würde. Das ist für mich ein Beispiel für das Zusammenwachsen von Stadt und Umland.
Dann müsste man beim Verdichten die Altstadt simulieren? Das kann man wohl nicht wirklich. Aber es gibt quartieradäquate Formen der Verdichtung. In meinem Wohnquartier Witikon etwa kann man eine moderate Quartierverdichtung sehen, die vor allem durch Überbauen von unbebauten Grundstücken mit quartierüblichen Bauten geschieht.
In Zürich-West ist der nächtliche Verkehr das grosse Problem, in Zürich-Nord, dass die Erdgeschosse kaum belebt sind. Welche Lehren zieht die Stadt daraus? An jedem Ort ist die Situation wieder anders. In Zürich-West war bereits vieles vorhanden, auch der Verkehr. Man hat kein neues Quartier gebaut. Dass dort heute an den Wochenenden sehr viel läuft, ist wohl eine Übergangsphase; manche Klubs werden sich von alleine an andere Orte verschieben, denn mit dem Realisieren neuer Bauten verschwinden immer mehr der heutigen Nischen. In Oerlikon hingegen hat man völlig neu begonnen. Was die Erdgeschossnutzung anbelangt, hätte man vielleicht von Anfang an eine zentrale Achse mit Läden und Restaurants planen müssen, aber das Gebiet ist daran, sich auch so immer mehr zu beleben. Das neuste Entwicklungsgebiet in der Manegg ist der 2000-Watt-Gesellschaft verpflichtet; es steht bereits für eine neue Generation von Entwicklungsplanungen, in denen man sich noch expliziter auf Nachhaltigkeit ausrichtet.
Die Glattalbahn ist im Bau, die Limmattalbahn in Planung. Werden sie die Stadt verändern? Die beiden Bahnen sind wie Trams, die in die Agglomeration hinausfahren. Sie lassen die Gemeinden miteinander verschmelzen. Das sieht man nirgends so gut wie zwischen Leutschenbach und Opfikon. Dort verläuft die Stadtgrenze, aber man nimmt sie heute gar nicht mehr wahr. Die Stadt und die Gemeinde Opfikon überlegen sich, der Grenze entlang, wo der 11er fährt, ein neues Zentrum mit Läden und Restaurants zu schaf-
Lange trug Zürich den Claim «Little Big City». Passt der noch? Wenn man die klassischen Bilder von der Innenstadt anschaut – die Altstadt, der See, die Bahnhofstrasse – haben sie etwas Liebliches. Das ist für mich Little Big City. Aber jetzt entwickelt sich mit der Europaallee oder dem Kreis 5 eine neue Urbanität, eine grossstädtischere, rauere Wirklichkeit, die auch einen Teil unserer Innenstadt darstellt. Wir sind gewachsen, obwohl wir mit 380 000 Einwohnern immer noch klein sind. Aber Little Big City passt nicht mehr.
Brigit Wehrli-Schindler Die studierte Soziologin ist Direktorin der Stadtentwicklung Zürich, die der Stadtpräsidentin unterstellt ist.
Von Helene Arnet Im zürcherischen Limmattal entstehen derzeit weit über 2000 Wohnungen. Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2025 fast ein Drittel mehr Menschen im Tal wohnen werden als heute. Nämlich 135 000. Die Grenze zwischen Schlieren und Oberengstringen zu Zürich ist optisch schon lange verwischt, und die Berührungsängste zum aargauischen Limmattal (Spreitenbach bis Baden) und dem Mutschellengebiet schwinden zusehend. Die in den 50er-Jahren postulierte Bandstadt Limmattal ist Realität. Der Realität folgt allmählich auch das Selbstverständnis. Nicht zuletzt aufgrund überkommunaler Projekte entdeckt die Region, dass sie nur zusammen stark ist: Der Widerstand gegen den Container-Standort Gateway in Dietikon machte den Anfang. Nachhaltiger aber wirkt die Limmattalbahn: In rund zehn Jahren soll sie von Altstetten nach Killwangen-Spreitenbach führen. Weiter eint ein Projekt des Bundes das Tal und festigt die Verbindung zu Zürich: Entlang der Limmat soll eine Parklandschaft als grüne Lunge für das dicht besiedelte Tal entstehen. Dass das Vorhaben offiziell den Namen Agglopark trägt, zeigt exemplarisch eine Bewusstseinsänderung. Agglo ist nicht mehr ein Schimpfwort, sondern eine aufmüpfige Bezeichnung einer aufstrebenden, lange stiefmütterlich behandelten Region. Vorab in den Städten Dietikon und Schlieren hat auch das Wort «urban» einen Sinneswandel erfahren. Es wird nicht mehr als «gesichtslos verstädtert» verstanden, sondern als «selbstbewusst modern». In Schlieren und Dietikon entstehen ganz neue Stadtteile, oft auf zentral gelegenen Industriebrachen. Schlieren erhält überdies ein komplett neues Zentrum. Wo der Verkehr ausser Rand und Band geraten ist, wurden mittels Planungszonen befristete Baustopps verhängt. Eine Notbremse, die lange kaum denkbar war, weil damit Investoren verärgert werden. Die Investoren lassen sich das heute gefallen. Bei der Firma Halter, die im Limmattal als Entwicklerin fast omnipräsent ist, heisst es: Das Limmattal ist für Investoren bereits ein A-Standort. Einst rechtfertigten sich die Limmattaler fast schon gewohnheitsmässig für ihre Wohnortswahl. Heute fassen selbst trendige Stadtzürcher die Agglo Limmattal als Wohnraum ins Auge. «Züri West» Goes West. Anzeige
sen Dienat: Mo tze/ ri Lak anille V
Jeden Tag frisch in Zürich – auch Ihr Lieblingsaroma Confiserie Sprüngli Telefon 044 224 47 11 bestell-service@spruengli.ch www.spruengli.ch