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Alina Bronsky: „Barbara stirbt nicht”
Über den Wandel eines Ehemannes
Alina Bronsky schreibt über Herrn Schmidt mit Tiefgang durch die Hintertür
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Eines Morgens erwacht Herr Schmidt ohne den gewohnten Kaffeeduft in der Nase – sollte seine Frau Barbara ihre häuslichen Pflichten vernachlässigt haben? Sie liegt hingestürzt im Flur und ist fortan ein Pflegefall.
Die Rollenverteilung in ihrer langjährigen Ehe war immer klar getrennt. Während er bestimmte, wo‘s lang ging, hatte er die Küche nur betreten, um die Mahlzeiten einzunehmen. Nun nimmt er es fast als Kränkung, dass er in die Niederungen des Haushalts hinabsteigen muss. Wie konnte Barbara ihm das antun, wo sie doch bisher immer kerngesund war?!
Ungeahnte Probleme tun sich auf: Wie funktioniert die Zubereitung von Kaffee? Wie kocht man Kartoffeln? Wie geht das mit dem Wäschewaschen und Aufräumen? Welches Futter braucht der Hund? Entrüstet und mürrisch weist er die besorgten Hilfsangebote und Ratschläge seiner beiden erwachsenen Kinder Sebastian und Karin zurück, die ihm mit ihren ständigen Besuchen auf die Nerven gehen. Er gerät an ei-
nen prominenten Fernsehkoch und holt sich auf dessen Facebook-Seite erste Tipps und zunehmend auch seelischen Beistand. Seine wachsende Souveränität in Haushaltsdingen muss aber auch immer wieder Rückschläge hinnehmen.
Erstaunt und missmutig stellt er fest, dass Barbara früher eigene Interessen gepflegt hat: Yoga, Computerkurs, ehrenamtliche Mitarbeit im Frauentreff des Stadtteils mit „unzähligen Kontakten“. Über die Aktivitäten seiner Frau jenseits der Haustür wusste er offenbar wenig, wie auch überhaupt alle, seine Kinder, die Bekannten und Nachbarn, ja selbst seine Freunde vom Stammtisch mehr über Barbaras Krankheitszustand zu wissen scheinen als er selbst.
Ein grantiger Pascha, der bis zum Schluss ausschließlich „Herr Schmidt“ heißt, wird hier mit seinen Ansichten von gestern vorgeführt, aber erstaunlich: Wir sehen die Welt mit seinen Augen, er wächst einem zunehmend ans Herz, wie er sich da beharrlich und letztlich erfolgreich aus seiner Hilflosigkeit herauskämpft. Dabei mag man nicht nur ihm, sondern auch seinen Mitmenschen auf die Sprünge helfen, die vermeintlich alles besser wissen.
Unterhaltsam, berührend und auch witzig schreibt Bestsellerautorin Alina Bronsky von einem Mann, der es unvermutet schafft, sein verknöchertes Weltbild zu überdenken. Man freut sich mit ihm nicht nur über seinen ersten selbstgebackenen Kuchen und liest amüsiert, wie er sogar zum Internetstar seines Koch-Blogs wird.
Erzählt wird auch die Geschichte seiner Ehe mit Barbara, sein verkorkstes Verhältnis zu seinen Kindern mit all den wortlosen Missverständnissen und hilflosen Streitereien. Herr Schmidt beschließt: „Barbara stirbt nicht“ und begreift das als Verpflichtung, der er sich stellen will und, mehr noch, als Chance, vermeintlich verpasste Gelegenheiten wieder gutzumachen. Überraschung am Schluss: er stellt sich einem lange totgeschwiegenen Familiengeheimnis.
Alina Bronsky wurde 1979 in Russland geboren, kam Anfang der 1990er-Jahre nach Deutschland und lebt heute in Berlin. Bekannt wurde sie 2008 mit ihrem Roman „Scherbenpark“, der ihr die Nominierung für einige Literaturpreise einbrachte und auch verfilmt wurde. Weitere Bestseller wie „Der Zopf meiner Großmutter“ (2019) folgten. Ihre Bücher überzeugen durch ironischen Humor.
Leicht zu lesen, aber mit Tiefgang durch die Hintertür, so schreibt man gute Unterhaltung – gerne mehr davon, bitte!
Alina Bronsky: „Barbara stirbt nicht”, 255 Seiten, Kiepenheuer & Witsch 2020, 20,00 €, ISBN 978-3-462-00072-6
Uta Koch, Dipl. Bibliothekarin StadtBibliothek Bad Homburg
Das Buch kann auch in der StadtBibliothek ausgeliehen werden.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Samstag 11.00 bis 14.00 Uhr, Tel. 06172-921360, wwwopac.bad-homburg.de.