Leseprobe "Bedingungslos: Roman nach dem gleichnamigen Film"

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NACH DEM GLEICHNAMIGEN FILM

LESEPROBE


Kapitel 3 ... Die dunkle Wolke schwebte über der nördlichen Mitte Tennessees wie die Hand eines zornigen Gottes. Zwei Tage lang hatte es geregnet, so wie in der Nacht damals. Zwei Tage lang hatte es kein Anzeichen dafür gegeben, dass die Stürme nachlassen oder weiterziehen würden. Am dritten Regentag, auf den Tag genau drei Jahre nach Billys Ermordung, entschied ich mich, den Regen als Zeichen zu verstehen. Ich war entschlossen, die Qual zu beenden. Schluss zu machen mit den Albträumen. Es würde keine Träumereien über Liebe und Sonnenschein mehr geben, nur um am Morgen im Bewusstsein aufzuwachen, dass all das nie mehr wahr werden würde. Keine Träume mehr über ein Leben, das von der Kugel eines Mörders ausgelöscht worden war. Ich war randvoll mit Schmerz. So angefüllt mit Bitterkeit und Trauer, dass kein Lebenswille mehr übrig war. Ohne Billy war alles sinnlos. Egal, ob ich Gott anflehte oder einen Pakt mit dem Teufel schloss – nichts würde ihn mir zurückbringen. Alle meine Bemühungen, nach vorn zu sehen und mit meinem Leben zurechtzukommen, waren gescheitert. Ich


konnte nicht essen. Schlief kaum. Arbeitete nicht. Ich lebte von Billys Lebensversicherung, aber selbst in meiner Trauer war ich klug genug zu wissen, dass dieses Geld nicht ewig reichen würde. Am späten Nachmittag zog ich mir eine Jogginghose von Billy an. Obwohl ich das Zugband möglichst fest schnürte, hing sie mir lose am Leib. Nur meine hervorstehenden Hüftknochen verhinderten, dass sie mir bis zu den Knöcheln hinabrutschte. Ich wühlte ein Unterhemd aus dem Wäschekorb und zog die passende Kapuzenjacke von Billy darüber. Ich schlüpfte in ein Paar Laufschuhe, band sie zu, schnappte meine Handtasche vom Türknauf unseres Schlafzimmers und schlurfte nach draußen zu Billys altem Lieferwagen. An diesem Abend fuhr ich nach Nashville wie vor drei Jahren. Nichts war anders. Ich war völlig durchnässt, genau wie damals. Im Licht meiner Scheinwerfer sah ich nichts als den Regen, der sintflutartig auf den Asphalt prasselte. Wie letztes Mal steuerte ich die Gasse hinter „Murphys Spirituosen“ an. Als ich in die Straße einbog, hatte der Regen ein wenig nachgelassen. Die Lichter des alten Fords durchdrangen die Dunkelheit. Nichts bewegte sich auf dem Bürgersteig oder unter den Markisen. Die Straßenlaternen flackerten, die Beleuchtung in den Läden war


schummrig. Ich parkte den Lieferwagen direkt vor Murphys Geschäft. Ich öffnete das Handschuhfach und beobachtete, wie mein Atem kleine Wölkchen bildete, die zum Armaturenbrett trieben. Ich fasste in das Fach und zog rasch den Revolver hervor, den Billy dort aufbewahrt hatte. Ich holte eine Schachtel mit .44 Magnum-Patronen heraus und ließ sie auf den Beifahrersitz fallen. Ich öffnete die Schachtel und entnahm eine Patrone. Nur eine. Ich brauchte nur eine einzige. Nach einigen kurzen schnellen Atemstößen öffnete ich die Tür, stieg aus dem Lieferwagen und betrat den regenglatten Bürgersteig. Ich machte die Tür nicht einmal mehr zu. Wozu auch? Der Gestank eines nahe gelegenen Müllcontainers durchdrang die Luft, doch das hielt mich nicht ab. Ich ging weiter, an den vergitterten Fenstern und den heruntergekommenen Läden vorbei, auf das gähnende Maul der Gasse zu. Der Durchgang zwischen den dunklen Gebäuden sah so trostlos aus wie vor drei Jahren. Ich stand da und starrte auf die Stelle, an der Billys Blut auf die Straße geflossen war, an der er seinen letzten Atemzug getan hatte … nur ein paar Meter von einem weiteren Container entfernt, als wäre er nicht mehr wert gewesen als ein Stück Müll.


Bevor ich die Gasse betrat, fragte ich mich – wie ich es seit drei Jahren immer wieder tat –, was seine letzten Gedanken gewesen waren. Hatte er an mich gedacht? Oder hatte der Mörder so schnell zugeschlagen, dass Billys Leben einfach … aufgehört hatte? Ich fragte mich, ob er sehr gelitten hatte. Ob er gespürt hatte, wie die Kugel sein Herz durchschlug. Oder ob er, gnädigerweise, überhaupt nichts gefühlt hatte. Und ich fragte mich wieder, wo Gott in diesen Momenten gewesen war. Das Böse hatte triumphieren dürfen, und das Gute war dem Tod ausgeliefert worden. Wo war da der große Herr der Welt? Ich taumelte an die Stelle, wo Billy gestorben war. Ich ließ mich auf die Knie fallen, dann auf die Brust, und schließlich legte ich die Wange auf den kalten, nassen Asphalt. Der Dreck auf der Straße war zu Matsch geworden. Ich fühlte, wie er sich rau in meine Haut rieb. Aber das war mir egal. Ausdünstungen von Öl und Benzin hingen in der Luft und vermischten sich mit dem Geruch des Regens in der Stadt. Dicke Tropfen klatschten mir schmerzhaft auf Kopf und Hände. Obwohl ich einen Hass auf den Regen entwickelt hatte – weil er mich so viel gekostet hatte, weil er Billy in jener Nacht aus dem Haus und in diesen gottverlassenen Teil der Stadt gerufen hatte –, machte mir das nichts aus. Ich schloss die Augen und


versetzte mich in Billy hinein. Ich stellte mir vor, das Blut würde mir aus dem Körper sickern und das Leben aus meinen Lungen entweichen. Als ich die Augen öffnete, merkte ich, dass sich mein Finger um den Abzug der Pistole krallte. Ich rappelte mich auf. Billys Jacke und seine Joggingklamotten hingen schwer an mir, als ich zu einer Betonziegelmauer ging, mich umdrehte und dagegen lehnte. Ich öffnete den Zylinder des Revolvers und schob die einzelne Patrone in die oberste Kammer. Ich schloss den Zylinder und er rastete mit einem Klicken ein. Ich rutschte an der Wand entlang nach unten, bis ich, die Knie an die Brust gedrückt und die Füße eng zusammengepresst, am Boden saß. Ich schluckte zwei Mal, hob die Pistole und stieß den kalten Lauf gegen die nasse Haut unter meinem Kinn. Ich kniff die Augen zu, holte ein letztes Mal Luft und flüsterte ein einziges Wort zum Abschied. „Billy.“ Meine Hand fing an zu zittern. Lag es an der Kälte? Oder hatte ich Angst? Nein. Nein. Ich würde das durchziehen. Ein Ende machen. Welchen Schmerz auch immer die Kugel verursachen würde, wenn sie in mein Gehirn eindrang, es war nichts im Vergleich zu dem, was ich täglich durchlitt. Ich musste … ich musste ...


Genau jetzt. Genau – Ein dumpfer Schlag und ein Schrei ertönten von der Straße am anderen Ende der Gasse. Ich riss die Augen auf und ließ die Waffe neben mir auf die Erde fallen. „Keisha!“ Der Schrei eines Jungen übertönte das Prasseln des Regens. „Keisha!“ Ich schnappte die Pistole und schob sie in meine Jackentasche. Ich fing an zu laufen. Schneller und immer schneller, bis ich die Vorderseite von Murphys Laden sehen konnte. Die Straßenlampe leuchtete auf den zusammengekrümmten Körper eines kleinen Mädchens herab, das nicht älter als sechs zu sein schien. Ein weiteres Kind, ein ungefähr neunjähriger Junge – er hatte die dunkelblaue Kapuze übers Gesicht gezogen, trug einen Rucksack auf dem Rücken, seine weißen Zähne hoben sich von seiner nassen, dunklen Haut ab – rief wieder ihren Namen. „Keisha!“ Ich blieb, wie versteinert, ein Stück vor ihm stehen. Schließlich sah er mich. Seine Augen wirkten wild, seine Hände lagen auf dem Mädchen, als wäre sie das Wertvollste auf der Welt. „Sie – sie ist angefahren worden“, brüllte er in den Regen. „Von dem Wagen dort. Sie ist angefahren worden!“ Ich rannte die restliche Entfernung zwischen uns, nahm das Kind in meine Arme, fühlte, wie das warme


Blut zwischen meinen Fingern durchsickerte und wie schwer sich der Kopf an meine Schulter legte. Eine Hand des Mädchens lag zitternd an meiner Brust. Sie war schön. Und bewusstlos. „Das ist mein Wagen“, sagte ich zu dem Jungen. „Steig ein.“ Er hob einen fliederfarbenen Rucksack auf, den ich bisher nicht bemerkt hatte. „Wissen Sie, wo das Krankenhaus ist?“, fragte er und rutschte auf den Beifahrersitz des Wagens. „Pass auf, du wirst sie festhalten müssen“, sagte ich und legte das Mädchen auf seinen Schoß. Ich spannte den Sicherheitsgurt über beide Kinder. Nachdem er mit einem Klick eingerastet war, zerrte ich daran, um sicherzugehen, dass er funktionierte. „Ja, und? Wissen Sie es?“, fragte der Junge erneut mit angsterfüllter Stimme. Ich wusste es nicht. „Und du?“ „Nein, Mann! Nein.“ Ich schaute in beiden Richtungen die Straße entlang. Kein Mensch war hier. Kein Laden hatte geöffnet. Mein Handy hatte ich zu Hause gelassen. „Mach dir keine Sorgen“, sagte ich. „Wir finden es schon.“ Ich schloss die Tür. Wir durften keine kostbare Zeit verschwenden. * * *


2–5 Jahre

Brent McCorkle / Amy Parker Der kleine Feuervogel

... liebte die Sonne über alles

Gebunden + Schutzumschlag · 28 Seiten € [D] 11,99 · € [A] 12,40 · sFr 17.9 0 ISBN 978-3-94015-847-5 Idee zum Kinderbuch stammt aus dem Film BEDINGUNGSLOS

Zentrale Botschaft

Gott ist immer bei mir, auch dann wenn ich Angst habe oder mich alleine fühle.


In den dunkelsten Stunden des Lebens leuchtet die Liebe Gottes strahlend hell. Als ihr Ehemann Billy in einem sinnlosen Ausbruch von Gewalt getötet wird, verliert Samantha ihren Glauben und ihren Lebenswillen. Doch ein unerwartetes Zusammentreffen mit zwei Kindern in einem Kampf auf Leben und Tod führt sie wieder mit ihrem alten Freund „Papa“ Joe Bradford zusammen. Samantha beobachtet Joe, wie er die Kinder in seinem Problemviertel, einem US-amerikanischen Ghetto, liebt und sich um sie kümmert. Dabei beginnt sie zu verstehen: Ganz egal, wie uns das Leben mitspielt – Gottes Liebe streckt sich immer nach uns aus. EIN ROMAN NACH DEM BEKANNTEN US-KINOFILM

INSPIRIERT VON WAHREN BEGEBENHEITEN

.................................................................... Eva Marie Everson · Bedingungslos ISBN 978-3-940158-46-8 € [D] 12,99 · € [A] 13,40 · sFr 19.50


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