Kulinarisches Arabien - Auszüge

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Flo ri a n Ha rm s | Lu t z Jä kel

Kulinarisches

Arabien Marokko · Tunesien · Libyen · Ägypten Dubai · Jordanien · Syrien · Libanon Mit 90 Rezepten



I n h a lt Ein neuer Blick, ein neuer Geschmack 6 Von der Heiligkeit des Gastes und der Liebe zur Finesse 8

Marokko

L a n d d e r V i elf a l t , L a n d d e s S c hle m m e n s 1 4 Re z e p t e 3 4 Gewürze – die Seele der arabischen Küche 46 Arabische Küchengeräte 48

Tunesien

D i e r o t e K ü c he i m G a r t e n N o r d a f r i k a s 5 4 Re z e p t e 7 4 Handelswege als Lebensadern 82 Feste – Kulinarische Höhepunkte 85

Libyen

D i e b o d e n s t ä n d i ge K ü c he d e r B e r be r 8 6 Re z e p t e 1 0 2 Kamele – Leckerbissen auf vier Beinen 108 Schächten – „Schlachtung auf islamisch“ 111

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Agypten

D a s k u l i n a r i s c he E r be d e r Ph a r a o n e n 1 1 2 Re z e p t e 1 3 2 Der Suq – Quell des Genusses 142 Brot – so wichtig wie das Leben 144

Dubai

H o c hge n u s s z w i s c he n T r a d i t i o n u n d M o d e r n e 1 4 6 Re z e p t e 1 5 8 Kaffeehaus – Ort der Entspannung und des Genusses 170 Die Süße des Orients 172

Jordanien

K u l i n a r i s c he s E r be d e r B e d u i n e n u n d d i e K u n s t d e s S t ü r z e n s 1 7 4 Re z e p t e 1 9 0 Hochprozentiges aus Arabien 196 Al-Baghdadi und Ziryab – Zwei Glanzlichter der Esskultur 197

Syrien

K u l i n a r i s c he r K r e u z u n g s p u n k t d e r H o c hk u l t u r e n 1 9 8 Re z e p t e 2 1 6 Kolonialhotels – Charme der Vergangenheit 228

Libanon

S o gege n s ä t z l i c h w i e J o gh u r t u n d We i n 2 3 0 Re z e p t e 2 5 0 Arabiens berühmtester Koch – Chef Ramzi 248 Unmögliche Gerichte 260

Anhang 262 Danksagung & Restauranttipps 264 · Einkaufstipps 266 Kulinarisches Register 267 · Rezeptregister 269 · Ortsregister 270


Vorwort Ein neuer Blick, ein neuer Geschmack Die arabische Welt ist in jüngster Zeit Schauplatz einer dramatischen politischen Umwälzung geworden. Ausgehend von Tunesien hat der Funke der Revolution in fast allen Ländern der Region Aufstände, Massendemonstrationen oder sogar Umstürze entfacht. Dieser für die meisten Beobachter überraschend aufgeflammte Protest ist noch lange nicht verglüht. Er wirbelt ein Land ums andere auf – und er verändert den europäischen Blick auf den Orient. Allzu lang war dieser Blick von zwei Stereotypen geprägt: einerseits einem verklärten Traumbild aus Turbanträgern, Wüstendünen und Kamelen, andererseits einem Schreckgespenst aus Gewalt und Extremismus. Dieses zugleich faszinierende und abschreckende Zerrbild hat in seiner Pauschalität nur wenig mit der vielgestaltigen Realität zwischen Maghreb, Arabischer Halbinsel und Vorderem Orient gemein. Wenn der Protest der Jugendlichen und Greise, der Studenten und Tagelöhner, all der Tausenden von Menschen in Tunis, Kairo, Sanaa, Damaskus und andernorts auch dazu führt, dass immer mehr Europäer ihre Klischeevorstellungen vom Morgenland infrage stellen, hat die arabische Revolution bereits einen wichtigen Erfolg errungen. Die Neuauflage dieses Textbildbandes, der im Jahr 2004 erstmals erschienen ist, soll einen kleinen Teil dazu beitragen, diesen Perspektivwechsel zu fördern. Denn noch immer mangelt es an Büchern, die dem Bedürfnis vieler Leser nachkommen, den Alltag der Menschen in den arabischen Ländern kennenzulernen, um dann selbst entscheiden zu können, welches Bild sie sich vom Orient machen wollen. Dieses Manko und die rasanten Veränderungen in der Region haben uns dazu bewogen, das „Kulinarische Arabien“ neu aufzulegen. Wo nötig, haben wir die Texte überarbeitet und wo möglich ältere durch aktuellere Fotos ausgetauscht – so haben wir beispielsweise das Kapitel zu Dubai komplett neu gestaltet. Dabei haben wir immer darauf geachtet, dass das Grundkonzept dieses Buches erhalten bleibt: ein anregender, von vielen neuen Erlebnissen und Bekanntschaften belebter kulinarisch-kultureller Spaziergang durch die arabische Welt. Neben 90 Rezepten stellen wir Ihnen Menschen, Essgewohnheiten, Bräuche, Traditionen, historische Hintergründe und kulinarische Anekdoten aus acht Ländern der Region vor, die wir – zum Teil mehrfach – bereist haben. Bei der Auswahl der Rezepte haben wir weniger bekannten, aber besonders schmackhaften Speisen den Vorzug gegeben. Das sind zum einen einfache Familiengerichte, die wir uns an Herd und Feuer von Hausfrauen haben zeigen lassen. Zum anderen sind es Kreationen von Spitzenköchen, die althergebrachte Speisetraditionen überraschend auffrischen. Das bedeutet zwangsläufig, dass einige bekannte arabische Gerichte zwar in den Texten, nicht aber als Rezepte auftauchen. Aber wer möchte sich schon mit einem Falafel begnügen, wenn er

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Kirsch-Kebab mit Pinienkernen oder Linsensuppe mit Meeresfrüchten schlemmen kann? Einige Leser, die sich bereits in die arabische Küche verliebt haben, mögen in einigen Rezepten Unterschiede zu ihrer gewohnten Rezeptur finden. Probieren Sie sie dennoch aus! Jede Köchin und jeder Koch hat seine eigenen Geheimnisse, in jedem Gericht lassen sich neue, überraschende Geschmacksnuancen entdecken. Weil viele Speisen von mehreren Ländern als ihr ureigenes kulinarisches Erbe in Anspruch genommen werden und die Herkunft oft nicht mehr eindeutig bestimmt werden kann, finden Sie manche Gerichte vielleicht an einer anderen als der erwarteten Stelle. Wer es eilig hat, möge im Register nachschlagen. Die arabische Kochkunst ist keine schnelle Küche. Wer sich ihr widmet, sollte Zeit und Gelassenheit mitbringen – und vielleicht arabische Musik, einen libanesischen Wein oder einen leckeren Fruchtsaft, die das Schneiden und Mahlen, Pürieren und Abschmecken versüßen. Die Belohnung ist großartig: wunderbar intensive, mal fein austarierte, mal eindeutige Geschmacksvarianten, mit denen Sie auch Gäste entzücken können. Gern werden Sie dann deren Lob entgegennehmen, zum Beispiel mit einem ägyptischen Sprichwort: Nafsak heluu fi-l-akl! – Deine Seele ist süß im Essen! Wir haben die Rezepte so formuliert, dass sie problemlos nachgekocht werden können. Das beliebte arabische Bratfett Samna bzw. Smen (Butterschmalz aus Schafs- oder Ziegenmilch) und das Fett des Fettschwanzschafs (Alya) haben wir durch Margarine, zerlassene Butter und Öl ersetzt. Alle anderen Zutaten bekommen Sie im Supermarkt, in arabischen, türkischen, persischen, zum Teil auch in asiatischen Lebensmittelgeschäften oder im Internet. Bei der Schreibweise der arabischen Begriffe haben wir uns einem Kompromiss gebeugt: Eigennamen und vertraute Worte geben wir in der gängigen deutschen Schreibung wieder, also Damaskus statt Dimaschq und Koran statt Qur`aan. Alle anderen arabischen Begriffe schreiben wir – soweit sich das mit lateinischen Buchstaben bewerkstelligen lässt – so, wie man sie ausspricht, also etwa Tadschiin. Doppelvokale stehen immer für eine betonte Dehnung, „th“ steht für das englische „th“ und „gh“ für ein kehliges „r“. Diese Schreibung ermöglicht es auch der arabischen Sprache Unkundigen, die kulinarischen Genüsse korrekt auszusprechen. Abschließend hoffen wir, dass die Verschiedenartigkeit der in diesem Buch vorgestellten Länder Ihnen, liebe Leser, den Reichtum der arabischen Küche ebenso vermitteln kann wie einen neuen Blickwinkel auf eine sich wandelnde Region. Florian Harms (Text) und Lutz Jäkel (Fotos) Hamburg, im Sommer 2011



V o n d e r H e i l i gke i t d e s G a s t e s u n d d e r L i ebe z u r F i n e s s e Die arabische Küche verbindet beduinische Traditionen mit den kulinarischen Meisterleistungen zahlreicher Hochkulturen. Eines Tages kam eine Gruppe von Beduinen auf der Reise zu Hatim at-Ta’i und bat ihn um Unterkunft. Hatim, der dem südarabischen Stamm der Tayy angehörte, hieß die Männer ohne zu zögern mit freudiger Miene willkommen, obwohl er wusste, dass er kein Schaf mehr hatte, das er hätte schlachten können, um die Gäste zu verköstigen. Also ging er hin und schlachtete das Kostbarste, das er hatte: sein Pferd. Dann bat er die Gäste in sein Zelt, füllte ihnen die Teller und löschte das Licht. So konnten sie nicht sehen, dass er selbst nichts aß, um ganz sicherzugehen, dass die Gäste gesättigt würden.

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Gleich nach dem Urvater Ibrahim (Abraham) ist Hatim atTa’i ob seiner legendären Großzügigkeit der berühmteste Gastgeber der arabischen Welt. Er lebte im 6. Jahrhundert, also aus der Sicht der Muslime in der vorislamischen „Zeit der Unwissen­heit“, und verkörperte wie kein Zweiter die schönsten Tugenden des beduinischen Sittenkodexes, der Muruuwwa. Darin galt die Gastfreundschaft als heilig – nicht Pflicht, sondern Ehre. Eine gesellschaftliche Errungenschaft, ohne die der Reise- und Handelsverkehr zwischen den Stämmen im kargen Wüsten­klima der Arabischen Halbinsel unmöglich gewesen wäre. Neben dem Schutz für Leib und


Leben war die Versorgung mit Essen und Trinken eines der wichtigsten Gebote, das als Gemeinschaftserlebnis gepflegt wurde. Das hat sich bis heute nicht geändert: Wenn möglich, vermeiden es die Menschen in den arabischen Ländern, alleine zu essen. Durch den Islam erfuhr die arabische Gastfreundschaft, die neben der Bewirtung auch Herzlichkeit und Anteilnahme an den Freuden und Sorgen des Gastes einschließt, eine religiöse Prägung. So ist sie nicht nur in der arabischen, sondern in der ganzen islamischen Welt zu einem der wichtigsten sozialen Prinzipien geworden, heilig und spontan zugleich. Immer wird eine Hausfrau mehr kochen als nötig, denn es könnte ja ein unerwarteter Gast kommen. Die Gastgeber tragen reichlich Essen und Trinken auf, viel mehr, als der Gast verzehren könnte, und drücken damit ihre Wert­schätzung des Gegenübers aus. Der Eingeladene wiederum wird sich nicht heißhungrig über das Dargebotene hermachen, sondern sich erst nach zweimaliger höflicher Ablehnung am Tisch oder auf den Kissen am Boden niederlassen. Der Hausherr sucht seinem Gast die schönsten Stücke Fleisch heraus und schiebt ihm immer wieder die Schüsseln zu: Inschaallah ’Adschabak – Hoffentlich schmeckt es dir! Ist der Gast gesättigt, bedankt er sich, zum Beispiel mit der in der Levante gebräuch­lichen Formel Daime – (Dein Lohn) sei ewig! –, worauf der Gastgeber Sahteen! – Zwei Gesundheiten (seien dir gegeben)! – antwortet, und der Gast den Reigen mit ’Ala Qalbak! – Deinem Herzen! – beschließt. So wie die Gastfreundschaft zu den wichtigsten und dauerhaftesten gesellschaftlichen Institu­tionen der arabischen Welt zählt, stellt die arabische Küche eine große, verbindende Tradition dar, die zwar in den verschiedenen Ländern zwischen Nordwestafrika und dem Vorderen Orient allein schon aus klimatischen und geografischen Gründen Unterschiede in den Zutaten, in den Gerichten und in deren Bezeichnungen aufweist, die dank eines regen gegenseitigen Austauschs aber doch ein gemeinsames Erbe bildet. Die Ursprünge der arabischen Speisen lassen sich auf die Gerichte der Beduinen der Arabischen Halbinsel, der Berber Nordafrikas und der Landbevölkerung Ägyptens und der Levante zurückverfolgen. Aufgrund der Kargheit ihres Lebens­raums waren die arabischen Beduinen auf einfache Gerichte aus Datteln, Milch und Fleisch von Schaf und Kamel beschränkt. Als die muslimischen Araber sich Mitte des 7. Jahrhunderts aufmachten, die damals bekannte Welt zu erobern, stießen sie auf hoch entwickelte Kulturen, die auch kulinarisch Meisterleistun­gen hervorgebracht hatten. Da waren zunächst die persischen Sassaniden, die in ihrer Speisenkultur neben indischen auch römische und altgriechische Einflüsse verarbeitet hatten und an deren Königshof man auf opulenten Banketten so ausgesuchte Leckereien wie Hammel mit Granatapfelsirup, in Honig geschmorte Hühnchen, Zicklein auf Spinat und Quittenmarmelade zu vertilgen pflegte. Die Araber nahmen diese kulinarischen Künste begierig auf und bereicherten ihren Speiseplan durch so delikate Zutaten

wie Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Geflügel, Kräuter und – besonders wichtig – Gewürze aus Fernost. Diese Einflüsse veränderten die arabische Küche grundlegend, und nachdem die Abbasiden Mitte des 8. Jahrhunderts die Haupt­stadt des muslimischen Reichs von Damaskus in das neu gegründete Bagdad verlegt hatten, nahm der persische Einfluss noch zu. Bagdad wurde bald auch kulinarisch zum Nabel der Welt – die Bankette der Kalifen sind Legende, und zahlreiche Kochbücher wurden verfasst, von denen leider nur wenige erhalten sind. Einige der Speisen am Hof kennen wir dennoch: Hühnchen mit Rhabarber, mit Spinat gefüllte Pastetchen und Mandelsalat wanderten in hungrige Münder. Sänger unter­hielten die Tafelnden, die selbstverständlich die feinen Speisen gebührend würdigen konnten: Kochen war zur Zeit der Abbasiden die Liebhaberei einer ganzen Gesellschaftsschicht, zu wissen, wie man würzt, brät und sottet, gehörte zum guten Ton. Der Kalif Al-Mu’tasim (reg. 833–842) veranstaltete gelegentlich ein Wettkochen, bei dem jeder Teilnehmer ein bestimmtes Gericht zubereiten musste, das der Kalif dann abschmeckte und bewertete. Am Hofe der andalusischen Umayyaden in Córdoba tat man alles, um im Zeremoniell und in der Kochkunst zum östlichen Rivalen aufzuschließen. Im ältesten erhaltenen Kochbuch der arabischen Welt, verfasst im 10. Jahrhundert von Al-Musaffa bin Sayyar, sind über 400 Rezepte niedergeschrieben. Schon darin fallen die starke Wür­zung und die häufige Verwendung von Nüssen und Obst in Fleischgerichten auf, die typisch für die arabische Küche wurden. Rund 100 Jahre später schrieb der persische Gelehrte Muhammad Al-Ghazzali ein Buch Über die guten Sitten beim Essen und Trinken, in dem er dem Gastgeber von Welt ans Herz legte, für seine Gäste auf einen Zettel zu schrei­ben, welche Gerichte er anbieten könne – eine frühe Form der Speisekarte. Den vielleicht nachhaltigsten Einfluss auf die arabische Küche hinterließen die Osmanen, die ihr türkisches Erbe auf köstliche Weise mit der persisch-levantinischen Esskultur verbanden. Am deutlichsten wird diese Prägung in allen erdenk­lichen Arten von gefülltem Gemüse, fein austarierten Würzmischungen für Fleischgerichte, süßen Nachspeisen und Gebäck. Die drei wichtigsten Regeln beim arabischen Essen sind allerdings viel älter als Osmanen und Abbasiden. Sie sollen


Rechts: Gemeinsames allabendliches Fastenbrechen während des Ramadans im Hof der UmayyadenMoschee von Damaskus.

schon vom Propheten Muhammad bestätigt worden sein und gelten in der ganzen arabischen Welt bis heute: Erstens soll man vor dem Essen seinem Schöpfer hörbar oder im Stillen für die Gabe danken: Muslime sagen Bismillah – Im Namen Gottes –, Christen verwenden verschiedene Formeln, etwa Allahu Mabaarik – Gott segne es. Zweitens isst man nur mit der rechten Hand, da die linke zum Waschen verwendet wird und als unrein gilt. Und drittens möge jeder Essende sich nur von jenen Gerichten bedienen, die in seiner unmittelbaren Umge­bung stehen, statt über den Tisch oder die Decke zu greifen, um sich ein besonders schönes Stück zu angeln. Zwei weitere Benimmregeln komplettieren die Tafeletikette: Es ziemt sich, dass speisende Gäste immer etwas übrig lassen, um deutlich zu machen: In diesem Haus wurde mein Hunger gestillt. Und schließlich braucht sich niemand zu wundern, wenn zwar die Bewirtung eines Gastes sich über mehrere Stunden hinzieht, das eigentliche Essen aber verhältnismäßig schnell vonstatten geht – selbst wenn die Frau des Hauses stundenlang in der Küche gestanden hat. Man setzt sich, isst ohne langes Gespräch und steht dann rasch wieder auf, um es sich im Wohnzimmer auf Kissen

bequem zu machen, wo man sich bei Verdauungs­kaffee und Süßigkeiten unterhält. „Ein höflicher Gast isst und steht auf“, lautet ein syrisches Sprichwort.

Küche an ihre Töchter weiter. Allerdings interessieren sich in jüngster Zeit – angeregt durch zahlreiche Kochsendungen im Fernsehen – auch immer mehr Männer fürs Kochen. Zudem sind die meisten Spitzenköche, die heute mit mindestens Zwar hebt der Koran ausdrücklich hervor, dass Muslime bei- ebenso großer Finesse arabische Gerichte veredeln wie die derlei Geschlechts gemeinsam essen können (Sure 24,61), doch Küchenchefs zur Zeit der Abbasiden, Männer. Das beliebte speisen, wenn Gäste da sind, in strenggläubigen Familien die Stereotyp, dass es nur in einfachen Familien so richtig gut Frauen oft getrennt von den Männern. Die arabische Koch- schmecke, erweist sich spätestens dann als unhaltbar, wenn kunst ist nach wie vor überwiegend eine Domäne der Frauen. man einige Kreationen dieser Meisterköche gekostet hat – Hausfrauen pflegen die kulinarischen Traditionen ihrer Vor- etwa jene des Marokkaners Moha Fedal oder des Ägypters fahren, Mütter reichen ihr Wissen in der Vertraulichkeit der Badawy Abdel Hamid.

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In jedem der sehr unterschiedlichen arabischen Länder hegen die Menschen heute ihre eigenen kulinarischen Geheimnisse und sind, bei aller gebotenen Bescheidenheit, Ăźberzeugt, viele ausgezeichnete, wenn nicht die besten arabischen Gerichte zu haben. Die Wahrheit ist: Sie haben alle recht. Die folgenden Seiten bezeugen das. Schahiiya Tayyiba – Guten Appetit!




Marokko

Land der Vielfalt, Land des Schlemmens

Durch EinflĂźsse zahlreicher VĂślker konnte sich im Nordwesten Afrikas eine bunte Kultur entwickeln, die eine der besten KĂźchen der Welt hervorgebracht hat.

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Marokko Zehn Uhr abends auf dem Platz der Vereinten Nationen in

Seite 14: Ob gelb, braun, weiß, rot oder sogar grün: Im Suq von Marra­ kesch ist süßes Gebäck in jeder Farbe und Form zu bekommen. Vorhergehende Seiten: Hier wird jeder satt:  Muschel­­verkäufer und Garköche auf dem Platz Dschemaa el-Fna in Marrakesch.

Casablanca. Nach einem warmen Tag hat ein kurzer, aber heftiger Regenschauer Straßen, Gebäude und Menschen abgekühlt, in den Pfützen spiegeln sich Leuchtreklamen. Auf einem trockenen Eckchen des Trottoirs schichtet ein schwarzafrikanischer Junge arabische und französische Zeitungen zu Stapeln, die er zum Schutz vor dem Meereswind mit seinen Schuhen beschwert. Passanten erhaschen im Vorbeieilen die neuesten Schlagzeilen zum Nahostkonflikt: Bankangestellte in feinem Tuch und Straßenkehrer im Hosen­anzug, Frauen im Kostüm und Greise in der Dschellaaba, dem traditionellen hemdartigen Gewand. Groß gewachsene Afrikaner hasten neben Arabern mit markanten und Berbern mit ebenmäßigen Gesichtszügen, helle neben dunkelhäutigen Menschen. Vielen Passanten ist anzusehen, dass sich in ihrem Stammbaum mehrere Ethnien vermischt haben. Unter Arabern gelten die Marokkaner als besonders humorvoll. Gerne darf es auch mal Galgenhumor sein: Ein Mann mit roter Mütze knattert auf seinem Moped um die Ecke, gefolgt von seinem Hund, der im Maul ein Schild mit der Aufschrift Laa li-l-harb! – Nein zum Krieg! – trägt. Wie man friedlich miteinander lebt, müssen die Marokkaner nicht erst umständlich erlernen, sie praktizieren es von Kindesbeinen an. Ihre Kultur ist so vielfältig, dass sie nur auf der Basis von Toleranz funktioniert – im Großen ebenso wie im Kleinen: Aus den mit elektronischem Krimskrams vollgestopften Buden an der Altstadtmauer kreischen britische Popsongs, französische Chansons und disko­taugliche Varianten der marokkanische Volksmusik Schabbi. Junge Frauen in hautengen Tops stolzieren vorüber und setzen ihre Wimpern gekonnt zum Flirten ein. Am Straßenrand lässt ein Familienvater seinen mit Einkäufen überpackten Wagen im Leerlauf röcheln und wartet, bis seine verschleierte Frau auf dem Beifahrersitz ihr Abendgebet verrichtet hat. Wegen der Tüten auf ihrem Schoß kann sie die vorgeschriebenen Verbeu­gungen nur andeuten. „Attendez-nous, amis!“ – eine Gruppe Französisch sprechender Geschäftsmänner bahnt sich einen Weg durch den Verkehr, und in einem Torbogen scharen sich junge und alte Hungrige um den Karren eines Schneckenverkäufers, der mit tiefem Bass seine prall gefüllten Schälchen anpreist: „Seyyyn! Seyyyn!“ – „Köööstlich! Köööstlich!“ An einem Abend wie diesem macht der Platz der Vereinten Nationen in Casablanca nicht nur seinem Namen alle Ehre, er ist auch ein Abbild der marokkanischen Gesellschaft. Syrien ausgenommen, wurde keine andere Region der arabischen Welt in ihrer Geschichte von so vielen verschiedenen Kulturen beeinflusst wie das Land, das die Europäer Marokko nennen. Seinen arabischen Namen bekam der ursprünglich nur von Berberstämmen besiedelte Landstrich von den muslimischen Eroberern des 7. Jahrhunderts: Aus deren Sicht war dies einfach al-Maghrib, „das im Westen Liegende“. Den

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Arabern folgten zahlreiche weitere Völker – und alle waren sie von der atemberaubenden Vielfalt der Landschaft fasziniert: den saftig-grünen Hügeln im Norden und den schneebedeckten Bergen des Hohen Atlas, den gelben Dünen im Südosten und den mal schroffen, mal sanften Küsten des Mittelmeers und des Atlantiks. Durch Handel und kulturellen Austausch bereicherten all die Neuankömmlinge auch die Küche des Landes, und so entstand nach und nach eine kulina­rische Tradition, die heute aufgrund ihres Abwechslungs­reich­tums und ihres Raffinements zu den besten Küchen der Welt gezählt wird. Zwar sind viele Einflüsse fast bis zur Unkennt­lich­keit miteinander verschmolzen, doch lassen sich einzelne Zutaten und Würzungen noch verschiedenen Ursprüngen zuordnen.

Oben: Das Fischer­örtchen Essaouira an der marokkanischen Atlantik­küste. Unten: Ein Kamel schultert viele rote Zwiebeln auf der Küstenstraße zwischen Al-Dschadida und Essaouira.


Marokko R e z e p t e



Marokko Raffinessen von Chef Moha aus Marrakesch

Verschiedene Vorspeisen Zutaten 2 Auberginen

Auberginen mit Mandeln und Honig

3 EL Honig 100 g Mandeln 1 EL Zucker

Zubereitungszeit ca. 20 Min. Zubereitung

Olivenöl

Auberginen längs in dünne Scheiben schneiden und in reichlich Olivenöl anbraten. Mandeln blanchieren, schälen und grob hacken, mit etwas Zucker vermischen und in die Auberginenscheiben einrollen. Honig darüber träufeln und 3 Min. im Ofen bei 220 °C leicht überbacken.

Zutaten

Kartoffelpuffer mit Koriander

2 mittelgroße Kartoffeln 1 Eigelb 1-2 EL frisches Koriandergrün Salz Pfeffer

Zutaten

Zubereitungszeit ca. 15 Min. Zubereitung

Kartoffeln schälen und grob reiben. Koriander, Salz, Pfeffer und Eigelb zugeben und vermischen. Sofort kleine Plätzchen formen und in reichlich heißem Öl braten.

ZucchiniSalat

1 mittelgroßer Zucchino, in Würfel geschnitten Saft ½ Zitrone 1 EL frisches Koriander­grün, klein gehackt ½ TL Kumin Salz, Pfeffer Olivenöl ½ eingelegte Zitrone

Zubereitungszeit 25 Min. Zubereitung

Zucchinowürfel in Salzwasser und dem Zitronensaft bissfest garen, in ein Sieb geben und abkühlen lassen. Aus Koriander, Kumin, Pfeffer, Salz und Olivenöl eine Marinade zubereiten und mit den Zucchinowürfeln mischen. Schale der eingelegten Zitrone in Streifen schneiden und darüber drapieren. Mit Orangenscheiben garnieren.

(s. Seite 41) ½ Orange Zutaten Zutaten

Mandarinen-Karotten-Salat

150 ml Mandarinensaft, frisch gepresst 1 TL Orangenblütenwasser 500 g Karotten 75 g Mandeln 1 TL Zucker ½ TL Salz geröstete Sesam­samen

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(auch Ackerbohnen Zubereitungszeit 10 Min. Zubereitung

Karotten reiben und mit dem Mandarinensaft und dem Orangenblütenwasser vermischen. Mandeln blanchieren, schälen, in Olivenöl leicht rösten, raspeln und mit Zucker und Salz dazugeben. Mit reichlich Sesamsamen bestreuen.

SaubohnenSalat

450 g Saubohnen ge­­­nannt) aus der Dose 1 TL Kumin ½ TL Piment 1 TL Korianderpulver 1 Knoblauchzehe, gehackt ½ TL Salz glatte Petersilie, gehackt

Zubereitungszeit 10 Min. Zubereitung

Alles miteinander vermischen – fertig.


Zutaten

Schukschuka Dipp aus rotem Paprika

4 große, längliche rote Paprika (beim Türken oder Araber zu kaufen) 2 Knoblauchzehen, klein gehackt 20 g Mandeln, blan­ chiert, geschält und fein ge­mah­ len oder gehackt Salz

Zubereitungszeit 25 Min. Zubereitung

Paprikaschoten entkernen, in Stücke schneiden und mit Knoblauch, Mandeln und etwas Salz im Mixer zerkleinern. In einer Kasserolle Olivenöl erhitzen und das Gemisch auf sehr kleiner Flamme langsam erhitzen, sodass es leicht vor sich hin blubbert. 10 Min. unter ständigem Rühren köcheln (aufpassen, dass es nicht anbrennt!). Abkühlen lassen, dann 1 Std. in den Kühlschrank stellen. Eine ½ Std. vor dem Servieren herausnehmen.

Olivenöl

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Zutaten 500 g Suppenfleisch

Suppe, marokkanisches Nationalgericht

Hariira

vom Rind ohne Knochen 1 große Zwiebel,

Nach einem Rezept von Madame El Hayar aus dem Dar Ziryab, Fès

klein gehackt

Personen 4–5

ca. 75 g glatte

Zubereitungszeit ca. 1 ½ Std.

Petersilie, klein gehackt ca. 75 g gehackte Sellerieblätter

Dieses Gericht ist einfach zuzubereiten, braucht aber seine Zeit. Wichtig ist, dass man die Suppe regelmäßig behutsam umrührt, um ein Anbrennen zu verhindern.

(alternativ Blätter von Staudensellerie) 1 großer Bund frisches Koriander­ grün, gehackt 300 g Kichererbsen, eingeweicht oder aus der Dose 4 große Fleischtomaten 100 g grüne Linsen, blanchiert ½ Tasse Reis 3 TL Tomatenmark 1 EL Butter 4 EL Mehl oder Mondamin 1 TL Safranfäden 2 Zimtstangen 1 TL Ingwerpulver ½ TL Kurkuma Pfeffer und Salz

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Zubereitung

Hintergrund

Fleisch in kleine Würfel schnei­den, Safran in 5 EL Wasser einweichen. In einem großen Topf Fleisch und Zwiebel in der Butter 5 Min. auf mittlerer Hitze anschwitzen. Während­ dessen 1 TL Pfeffer, 1 EL Salz, ½ TL gemahlenen Ingwer, den Safran samt Wasser und die Zimt­stangen zugeben. Mit 1 l Wasser auffüllen und zum Kochen bringen. Petersilie, Sellerie-Blätter, Kichererbsen und die ungeschälten Tomaten zugeben. Bei schwacher Hitze unbedeckt köcheln. Nach 15 Min. Tomaten einmal wenden, Kurkuma zugeben und Topfdeckel schließen. Nach weiteren 15 Min. Tomaten herausnehmen, schälen, pürieren und wieder zur Suppe geben. 1 ½ Liter Wasser einrühren. Bei geschlossenem Deckel ½ Std. köcheln. Linsen mit Reis und Tomatenmark in die Suppe rühren und diese weitere 15 Min. köcheln. 4 EL Mehl in 1 Glas kaltem Wasser glatt rühren und langsam in die Suppe gießen. Mit Koriander, Salz und ½ TL Ingwerpulver würzen und bei geringer Hitze noch 15 Min. ziehen lassen, damit der Koriander sein Aroma entfalten kann. Beim Abschmecken prüfen, ob Reis und Linsen weich sind. Schmeckt heiß oder lauwarm.

Die Hariira ist so etwas wie ein marokkanisches Nationalgericht und wird in zahlreichen Varian­ten zubereitet. Das hier aufgeführte Rezept stammt aus Fès. Natürlich hütet jede marokkanische Hausfrau ihr persönliches Geheimnis der besten Hariira, deren Name vermutlich auf das arabische Wort für Seide, Hariir, zurückgeht: Wie die Seide, so ist auch die Hariira weich und fließend. Traditionell wird diese nahrhafte Suppe vor allem während des Ramadan zum allabendlichen Fastenbrechen gegessen. Menschen, die hart arbeiten, schätzen sie auch als kräftigendes Frühstück. In den Altstädten von Marrakesch und Fès lassen sich viele junge Männer abends in einer der zahlreichen Imbissbuden eine Hariira schmecken. Denn mit einem Preis von umgerechnet 50 Cent für eine Portion ist das Gericht auch für jene erschwinglich, die sich sonst kein auswärtiges Essen leisten können. Wegen ihrer langen Zubereitungszeit gilt die Hariira auch als Lackmustest bei einem Restau­ rantbesuch: Schmeckt die Suppe, dann können auch die übrigen Gerichte nicht schlecht sein.


Hauptgericht Zutaten 1,6 kg Lammkeule 2 TL Kumin

Tandschia Marrakschiia Lammkeule Nach einem Rezept von Rachid Agourray,

2 TL Ingwerpulver

Chefkoch des Restaurants im

1 TL Safranfäden,

Hotel La Mamounia, Marrakesch

zerstoßen 1 eingelegte Zitrone (s. Seite 41)

Personen 4 Zubereitungszeit ½ Std. Garzeit mind. 5 Std.

3 große Knoblauch­ zehen, gehackt 1 Muskatnuss, gerieben ½ Tasse Olivenöl 1 ½ TL weißer Pfeffer, frisch gemahlen Salz Nach Belieben 1 Messer­­­spitze Kurkuma Kochgerät Ein Tandschia-Topf (siehe Foto) und ein Stück Butterbrot­

Zubereitung

Hintergrund

Fleisch waschen, trockentupfen und in eine große Schale legen. Olivenöl mit den Gewürzen und der klein geschnittenen Schale der eingelegten Zitrone mischen und unter das Fleisch mengen. Nach Belieben Kurkuma zuge­ben. Das so gewürzte Fleisch und ½ Glas Wasser in den Tandschiaoder Römertopf füllen und diesen schütteln, damit sich die Masse setzt. Eingeöltes Butterbrotpapier mit einem Zahn­stocher mehrfach durchstechen. Topf mit dem Papier und einem Bindfaden verschließen.

Wie die Tadschiin hat auch die Tandschia ihren Namen von dem verwendeten Gartopf, der in seiner Form an eine tönerne Amphore erinnert. Das Gericht wird vor allem in Marrakesch gern gegessen und ist besonders unter den Hand­werkern im Suq beliebt, weil sie ein leicht zuzubereitendes, aber köstliches Gericht ist: Nach der Arbeit, meist donnerstagabends, sprechen die Handwerker sich ab: „Wollen wir morgen eine Tandschia zusammen essen?“ Jeder trägt eine der Zutaten bei, die überall im Suq erhältlich sind. Damit wird die Tandschia gefüllt und zum öffentlichen Back­ofen gebracht, wo sie bis zum nächsten Abend in heißer Ascheglut ruht. Den Freitag (der Feiertag in der islamischen Welt) verbringen die Männer mit ihren Familien, bevor sie abends mit ihren Kollegen zum Tandschia-Essen zusammenkommen. Frauen nehmen an diesen kulinari­schen Herren­runden nicht teil – ja, sie sollen den Tandschia-Topf noch nicht einmal berühren. Traditionell wird das geschmorte Fleisch nur mit etwas Brot ohne weitere Zutaten gegessen. Wenn zusätzlich Couscous oder gegrilltes Gemüse aufgetischt wird, isst man die verschie­ denen Gerichte getrennt, niemals vermischt.

Kochvorgang

Traditionell: Tandschia-Topf in eine Erdkuhle legen, mit heißer Ascheglut zudecken und dort 6 Std. köcheln lassen.

papier (alternativ: Römertopf)

Moderne Variante

Tandschia-Topf schräg in den Ofen legen und dabei darauf achten, dass die verschlossene Öffnung leicht erhöht ist, so dass der Inhalt nicht auslaufen kann. Römertopf entweder mit dem Deckel oder Butterbrotpapier verschließen. 5 Std. (eventuell länger) bei 120–130 °C garen lassen. Hauptgericht

Brochette (Kebaab von Lamm oder Rind) mit Bohnen und Bratkartoffeln Zutaten 1 kg Lammfleisch (von Schulter, Keule oder Rücken) oder Rinderfilet

Personen 4 Zubereitungszeit 45 Min. Kochgerät 12 lange EisenspieSSe Holzkohlenglut oder Elektrogrill

1 Bund glatte Petersilie 1 große weiße Zwiebel 1 TL Kumin 750 g Kartoffeln 500 g grüne Bohnen 1 Knoblauchzehe, gehackt Salz, Pfeffer Bsar (s. Gewürze, Seite 48) Butter

Zubereitung

Das Fleisch in kleine Würfel schneiden und in eine Schüssel geben. Petersilie samt Stängel und Zwiebel sehr klein schneiden. Kumin, 1 TL Salz, ½ TL Pfeffer, Zwiebel und die Hälfte der Peter­silie dazugeben. Alles vermengen und

½ Std. stehen lassen, damit das Fleisch das Aroma der Gewürze annehmen kann. Kartoffeln schälen, vierteln und kochen. Bohnen an den Enden kappen, in einem Topf mit ca. ½ l Salzwasser garen, abgießen und zusammen mit den Kartoffeln in 2–3 EL Butter 5 Min. anbraten. Knob­lauch dazugeben, mit Bsar und Salz würzen. Fleischwürfel auf Eisenspieße stecken, jeweils ca. 5 Würfel pro Spieß (pro Person rechnet man 3 Spieße). Fleisch­­spieße ca. 6 Min. auf Holzkohlen­glut oder einem Elektrogrill (höchste Stufe) grillen. Mit Petersilienblättern garnieren und sofort servieren.


Gewürze die Seele der arabischen Küche Groß ist die Familie der Aromen, die arabischen Vor-, Haupt- und Nachspeisen erst ihren typischen Geschmack verleihen.

Sie können schmeicheln und entzücken, sie können Fein-

heiten hervorheben und Schales unterdrücken, sie können betören und sogar süchtig machen, sie können regelrecht explodieren, und wenn sie sich allzu selbstbewusst aufdrängen, dann können sie auch stören – Gewürze sind die Seele der arabischen Küche. Jede Region der arabischen Welt hat ihre Lieblinge, aber immer ist es eine ganze Familie, die in der Küche darauf wartet, Gemüse, Fleisch, Fisch, Obst, Getreideoder Milchprodukte verfeinern zu dürfen. In den vergangenen 20 Jahren haben auch die Mitteleuropäer wiederentdeckt, dass Pfeffer und Salz in der Küche nicht alleine bleiben müssen, sondern so interessante Kameraden wie Sesam oder Ingwer an die Seite gestellt bekommen können. Im Orient dagegen schöpfen Köchinnen und Köche seit Jahrhunderten aus der vollen Vielfalt der Aromen – Geschmacksvielfalt und Farbenpracht statt schwarz-weißer Tristesse. Die meisten Gewürze lernten die Araber in Indien kennen, von wo sie die kostbaren Würzstoffe nach Westen handelten. Im Mittelalter waren Gewürze ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, weshalb die arabischen und persischen Händler ihre Quellen verschwiegen und allerlei Schreckliches über blutrünstige Feinde und fürchterliche Fabelwesen erfanden, die sich angeblich am Herkunftsort der wertvollen Ware tummelten, um potenzielle Konkurrenten abzuschrecken. So kontrollierten sie jahrhundertelang den Gewürzhandel zwischen Indien und dem Mittelmeer. Die verschiedenen Regionen in der Levante, auf der Arabischen Halbinsel und in Nordafrika profitierten freilich in unterschied­licher Weise von dem aromatischen Segen. So drangen wenige Gewürze zu den Tuaareg in der Sahara vor, während die Beduinen im Osten der Arabischen Halbinsel die volle Palette der indischen Würzmittel schätzen lernten, denn zwischen der Westküste Indiens und der ostarabischen Küste bestand ein reger Schiffsverkehr. Die Osmanen, die mehrere Hundert Jahre lang große Teile der arabischen Welt unter ihrer Herrschaft vereinten, trugen wesentlich zur Verbreitung der Gewürze bei und verdienten kräftig daran. Aber warum üben so kleine Gesellen wie Pfefferkörner oder

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Muskatnüsschen eine so gewaltige, fast schon magische Faszination auf uns Menschen aus, dass sie zeitweise sogar kostbarer als Gold waren? Warum empfinden wir Glück, Neugier und Vorfreude, wenn wir eine Küche betreten, die vom Duft eines gut gewürzten Gerichts erfüllt ist? Natürlich gibt es logische Erklärungen für dieses Phänomen: Gewürze wirken appetitanregend, weil sie die Speicheldrüse reizen. Sie wirken geschmacksverbessernd, teils antibakteriell und teils verdauungsfördernd, weil sie die Gallensekretion


steigern, und sie fördern die Durchblutung der Organe. Sie sind also auch noch gesund. Eine menschliche Zunge kann nur süß (an der Spitze), salzig (an der Spitze und an den Rändern), bitter (hinten) und sauer (Ränder) unterscheiden, alle differenzier­teren Empfindungen beim Schmecken einer Speise kommen nur durch den Geruchssinn zustande, und zwar sowohl in der Nase als auch im hinteren Rachenraum: Rund 4000 Geschmacks­nuancen sind es insgesamt, allein 150 in einer einzigen Erdbeere. Ab dem 20. Lebensjahr baut der Geschmackssinn ab, und ein 80-jähriger Mensch

schmeckt nur noch ein Fünftel dessen, was ein Säugling schmecken kann. So weit, so nüchtern. Aber können diese Fakten den Zauber erklären, der uns befällt, wenn wir in einem arabischen Suq schon von weitem das Aroma von Gewürznelke, Kumin und Sesam wittern, wenn wir näher kommen und nun auch Kurkuma und Thymian riechen, wenn wir schließlich vor den Säcken und Töpfen eines Händlers stehen und gebannt auf die bunten Verlockungen starren, mal hierhin, mal dorthin schnuppern und schließlich überwältigt den Ladenbesitzer,

Zeit für ein Glas Tee und eine Ziga­ rette muss immer sein: ein Händler im damaszener Gewürzmarkt (Suq al-Busuriiye).

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Tunesien

Die rote Küche im Garten Nordafrikas

Ob Paprika, Tomate oder Olive – die Bewohner einer der fruchtbarsten Regionen am Mittel­ meer veredeln vielfältige Einflüsse zu kulinari­ schen Köstlichkeiten.

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Tunesien Knorrige Bäume soweit das Auge reicht, akkurat in Reih

Seite 54: Für die Olivenernte stül­ pen sich tunesi­sche Bauern abgesägte Hammel­­hörner oder Metall­kappen über die Finger, zwi­schen denen sie die Zweige durch­ streifen lassen, sodass die Früchte zu Boden fallen. Seite 55: Ein klei­ nes Mädchen hilft bei der Oliven­ ernte. Vorhergehende Doppelseite: Wiss­ begieriger Händler in der Markthalle von Tunis. Unten: Junge Schä­ ferin bei Kairouan.

und Glied gewachsen. Goldenes Nachmittagslicht umflutet die silbriggrünen Blätter und lässt ihre Schatten auf der roten Erde tanzen. Durch die aufgewärmte Luft zieht ein fruchtigherber Duft mit dezenten Noten von Nuss und Pfeffer. Es gibt nur eine Pflanze, deren Früchte so riechen. Und es gibt nur wenige Pflanzen, die so viel Arbeit machen. „Setz dich lieber hin, Vater! Kamil, Sliman und ich machen das schon. Du wirst sehen, heute Abend werden wieder zehn Bäume abgeerntet sein.“ Nuraddin Siala weiß, dass sein Vater es gut meint, wenn dieser über seinen Stock gebeugt zwischen den Bäumen umhertappt, weil er doch helfen möchte. Aber der alte Mann ist mittlerweile wirklich zu gebrechlich für die anstrengende Olivenernte. „Erzähl uns lieber eine Geschichte von früher“, schlägt Nuraddin vor, während er sich den nächsten Ast greift. Der Greis mit der mächtigen Hornbrille auf der Nase und dem braunen Kapuzenmantel über den schmalen Schultern zögert: „Früher? Ach, früher. Das kann ich euch sagen: Früher war die Ernte härter als heute.“ Nuraddin lächelt, er weiß, dass das nicht stimmt. Schließlich ernten er, sein Bruder und sein Cousin die Oliven auf dieselbe Art, wie es schon sein Vater und dessen Vater und auch dessen Vorfahren getan haben: Sie stülpen sich abgesägte Hammelhörner über die Finger und lassen die Zweige zwischen diesen durchstreifen, sodass die Früchte auf Tücher am Boden fallen. Seine Frau, die Tochter und das Söhnchen klauben daneben gerollte Früchte auf. „Auch heute noch ist es hart, Vater“, sagt Nuraddin und fügt dann, um dem Älteren nicht offen zu widersprechen, hinzu: „Denn dank Gottes Hilfe ist die Ernte in diesem Jahr sehr reichlich. Lasst uns froh darüber sein.“ Bis zu 160 Kilogramm Oliven kann ein guter Ölbaum im Jahr hervorbringen, das ergibt zwischen 20 und 40 Kilo­gramm Öl. Zehn Bäume können Nuraddin und seine Verwand­ ten, die ihre Arbeit nur für die islamischen Pflichtgebete und eine kurze Mittagspause unterbrechen, an einem Tag abernten; pro Baum benötigen sie eine Stunde. Eine harte Arbeit – egal, ob die Oliven unreif geerntet und dann ein halbes Jahr lang in Salzwasser eingelegt oder erst schwarz glänzend von den Zweigen gestreift und sofort zu Öl gepresst

werden. Eine harte Arbeit mit herrlichem Nutzen für das körperliche Wohl. „Olivenöl ist die köstlichste Nahrung, die es gibt, und außerdem eine hervorragende Medizin“, meint Nuraddin. Ganz unrecht hat er nicht: Olivenöl enthält kein Cholesterin, dafür umso mehr ungesättigte Fettsäuren und die Vitamine A und E, die den Zellaufbau im Blut begünstigen, die Adern vor Verkalkung schützen und so den Alterungsprozess verlangsamen. Viele alte Menschen in Nordafrika und im Vorderen Orient trinken jeden Morgen statt Tee oder Kaffee ein Gläschen Olivenöl. Das hält den Körper frisch. In Tunesien ist die Olive vor allen anderen Früchten und Gemüse­sorten die wichtigste Anbaupflanze.


Oben: Nuraddin Siala und seine Familie bei der Olivenernte im Umland von Sfax. Rechts: Oliven­ maische wird in fla­ chen Körben zu Öl gepresst.

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Tunesien

Langsam, aber sicher: Familie auf einer Pferdekut­ sche in der Nähe von Sfax.

terentwicklung ihrer Küche zu begreifen. Neben der Hariissa und den Gewürzmischungen sind die Brick (s. Seite 76) ein weiterer Ausdruck dieser Neigung. Denn diese mit Fisch, Fleisch oder Ei gefüllten, frittierten Teigtaschen haben sich weit vom osmanischen Vorbild Börek entfernt. Auch das beliebte Sommergericht Salata Meschwiiya zählt zu den typischen tunesischen Kreationen: Ein Püree aus gegrillten Tomaten und Paprika, das mit Knoblauch und Zitronensaft abgeschmeckt und mit Thunfisch, Kapern, Oliven und Eiern garniert wird (s. Seite 78). Ob als Vorspeise, Beilage oder Hauptgericht – Salata Meschwiiya geht immer. Kommt sie als Vorspeise auf den Tisch, wird sie meistens von mehreren Appetithappen begleitet, der sogenannten Kimiiya (Menge): beispielsweise eingelegten Oliven und Paprikastreifen. Dazu reicht man in gehobenen Kreisen gerne den eisgekühlten Feigenschnaps Buucha, der aus der jüdischen Tradition Tunesiens stammt (s. Exkurs, Seite 69). Er wurde erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts von der Familie Buu Chubsa (Vater des Brots) gebrannt, deren Name von den Liebhabern des angenehm milden, dezent fruchtigen Wässer­chens der Einfachheit halber zu Buucha zusammengezogen wurde. Der Palmschnaps Laghmi, der im Frühjahr in den südli-

chen Oasen Tunesiens aus dem Harz fast abgestorbener Dattel­palmen gewonnen wird, kann nur frisch getrunken werden – anders als der süße Kräuterlikör aus dem französischen Kloster Thibarine und das mit Karamell­zucker gefärbte, süffige Bier Celtia. Ausgenommen im Libanon wird der öffentliche Alkohol­ konsum in keiner arabischen Region so liberal gehandhabt wie in Tunesiens Großstädten. Allerdings müssen viele Schänken gegen 19 Uhr zumindest offiziell schließen, und die zum Teil hervorragenden tunesischen Weine bekommt man dort nicht, da sie überwiegend für den Export bestimmt sind. Die besten Anbaugebiete, etwa Magon und Mornag,

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liegen im Norden zwischen Tunis und dem Cap Bon. Schon der griechische Philosoph Plato berichtete von den strengen Wein-Trink­vorschriften der Karthager. Der moderne Weinbau geht aller­dings auf französische und italienische Kolonisten zurück. „Wir Tunesier keltern schwere, aber weiche Rotweine von hoher Qualität“, sagt Slim Maraoui, Verkaufsdirektor der Weinko­opera­tive Bou Argoub auf dem Cap Bon, „das Problem ist unser Image. Die Leute in Europa denken, Tunesien sei ein muslimi­sches Land – also kann der Wein nicht gut sein. Das ist ein Trug­schluss.“ Wer trotzdem keinen Alkohol trinken mag, der hält sich an den tunesischen Tee, der – besonders anlässlich von Hochzei-


Oben und rechts: Alles, was das Herz begehrt: in der Markthalle von Tunis.



ten und Geburten – mit Pinienkernen serviert wird. Die Gastgeber drücken durch die Zugabe der teuren Nüsse ihre Wert­schätzung der Gäste aus. Der beliebte Minztee wurde erst um 1910 eingeführt, vorher nippte man schwarzen Tee und türki­schen Kaffee. Letzterer ist mittlerweile vom französischen Café au Lait weitgehend verdrängt worden, zum Beispiel im Café Mrabet in der Altstadt von Tunis: In diesem umgewid­meten Mausoleum eines osmanischen Ministers trifft sich die Jugend, um bei einer Tasse Milchkaffee ihre Flirtkünste zu erproben. Einen Kilometer weiter, in der Großen Markthalle aus der Kolonialzeit, drängen sich derweil die Einkäufer. Fischhändler haben auf Steintischen Meerwölfe, Sardinen, Tintenfische und andere Schätze des Mittelmeers aufgetürmt. Ihr Singsang, mit dem sie Kunden anlocken, verschwimmt zu einem brausenden Chor, der von den weißen Mauern widerhallt: „Doraden heute für nur …“ „Gar-ne-len! Frische Gar-ne-…“ „Kauft Muscheln! Miesmuscheln im Angebot …“ Grelle Glühbirnen hängen wie kleine Sonnen über den Tischen, damit die Kunden sich von der Qualität der Ware überzeugen können – ein Brauch, den fast alle arabischen Fischhändler und Fleischer pflegen. Von alters her fischen die Tunesier hauptsächlich vor dem südlichen Teil ihrer Küste und meiden die nördlichen Gewässer: Von dort kamen meistens die Feinde. In dem Marktgetümmel ist man bald benommen von Gerü­chen, Geräuschen und

Gegenüber­ liegende Seite:

Ein Hoch auf die Gewürze – die jüdische Küche in Tunesien

Eine warme Mahl­ zeit zwischen­

Bis  zum Sechstagekrieg 1967 lebten in vielen der

durch finden

überwiegend muslimischen Länder Nord­afrikas

Hungrige fast an

und des Vorderen Orients zahlrei­che Juden, meist

jeder Ecke.

in eigenen Dörfern oder Stadt­vierteln. Seither

Rechts: Der tune­

sind die meisten von ihnen nach Israel ausge­

sische Feigen­

wandert. Tunesien bildet eine Ausnahme, weil es

schnapps Buucha

noch mehrere aktive jüdi­sche Gemeinden beher­

stammt von einer

bergt, obwohl sich auch hier die Zahl der Juden

jüdischen Familie.

von rund 100.000 im Jahr 1948 (Staatsgründung Isra­els) auf heute 2000 verringert hat. Das Zusammen­leben mit den muslimi­schen Nach­barn ver­ läuft überwiegend reibungs­ los. Wahrscheinlich siedelten schon seit der Römer­zeit Juden auf dem Gebiet des heutigen Tunesiens, denn der Legende nach waren die ersten nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. hierher geflohen. Die meisten lebten auf der Insel Dscherba, wo sie die Ghriba-Synagoge errichteten, das heute älteste intakte jüdische Gotteshaus mit einer ununterbrochenen Geschich­te, auf das militante Isla­mis­ten im April 2002 einen grausamen Terror­ anschlag verübten. Später folgten Juden aus Portugal und Spanien, die vor der Reconquista und der Inqui­sition u. a. auf das Cap Bon im Norden flüchte­ten. Wie alle Neuankömmlinge in der Region bereicherten auch die Juden die lokale Esskul­tur, was sich vor allem in der gleichzeitigen Verwendung mehrerer intensiver Gewürze niederschlug: Geschmacks­­betörer wie Knob­lauch, Kümmel, Koriander, Pfeffer, Ingwer, Minze und Zimt können dabei durchaus in ein und dem­selben Topf konkurrieren, etwa im Rind­fleisch-Bohnen-Eintopf zum Neujahrsfest (Rosch Haschana). Dazu werden Grießbrot und Granatäpfel gereicht, deren Kerne die guten Taten des neuen Jahres symbolisieren. Eine Schüs­sel Sesam­körner steht für unzählige Tugen­den, Kürbis und Zitronen­saft wirken als Beschützer, und Spinat wehrt Feinde ab. Feigen,

Müßiggang in

Quitten und Datteln versinnbildlichen ein süßes

einem typisch

neues Jahr, und der obligatorische Fisch­kopf, der

gekachelten Café

rituell den Beginn des neuen Jahres symboli­siert,

in der Altstadt von

duftet nach Koriander und Kümmel.

Kairouan.

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Libyen

Die bodenständige Küche der Berber

Ergänzt durch römische und italienische Einflüsse, werden zwischen Mittelmeer und Sahara die kulinarischen Traditionen der nordafrikanischen Nomaden gepflegt.

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Libyen Tripolis, Suq al-Huut in der Raschid-Straße am Donnerstag­

Seite 86: Zwischen dem fruchtbaren Küstenstreifen und dem trockenen Fesaan erstreckt sich die Bergregion Tripolitaniens, wo Ölbäume sogar im Sand gedeihen. Seite 87: Der Targi Ali Muhammad Salim und sein Lieblings­kamel Ebeydisch („das Weiße“) in der libyschen Sahara. Vorhergehende Doppelseite: Auf dem Großmarkt in Tripolis. Unten: Suq al-Huut in der RaschidStraße in Tripolis.

abend um 20 Uhr. Wieder einmal ein Stromausfall. Man kennt das hier schon – Gewöhnungssache. Also schnell die Kerzen heraus­geholt und auf den Konservendosen-Türmen, zwischen Ledertaschen, Marken-Jeans-Kopien und natürlich auf den Tischchen der Schnellrestaurants aufgestellt. Ein ganzer Straßen­zug im Schein tropfender Kerzen und flackernder Ölfunzeln: Man bekommt eine Ahnung davon, wie das abendliche Leben in arabischen Innenstädten vor 100, 200 Jahren abgelaufen sein muss, lange bevor das kalte, aber billige Neonlicht seinen Siegeszug antrat: die Schatten­spiele an den Innenwänden der zwei, drei Quadratmeter kleinen Läden, wenn die Besitzer gestenreich einen Kunden becircen. Das plötzliche Auftauchen eines Straßenhändlers aus dem Dunkel der Straße: „Schau! Diese! Wunderschöne! Melone!“ Jedes Wort eine Verheißung. Für 2 Dinar ist sie dein. Zwar sah die Raschid-Straße zwischen Kolonialviertel und Hafenpromenade vor 100 Jahren ganz anders aus. Aber die Menschen, die sich hier Abend für Abend dem Verkaufen, dem Kaufen und vor allem dem entscheidenden Prozess widmen, der diese beiden Handlungen unverzichtbar verbindet, dem Feilschen nämlich, die können damals nicht viel anders agiert haben als heute. So wie auch die Marta, das rund 15 Kilo­ gramm fassende Standardmaß für Oliven und Grieß, schon vor Jahrhunderten dasselbe war wie heute. Manche Dinge ändern sich nicht, selbst wenn die ganze Welt sich ändert. Die Gesetze und die Lebendigkeit eines arabischen Markts gehören dazu (s. auch Der Suq, Seite 142). Und doch hat jeder Markt seine eigenen Gestalten. Charakteris­ tisch für Tripolis sind zum Bespiel die jungen Schwarzafrikaner mit ihren überladenen Schubkarren, auf denen sich Pyramiden von Schokoriegeln, Türme aus Thunfischdosen und Gebirge aus Frischkäse stapeln. Mobiler kann ein „Verkaufsstand“ nicht sein. Links geht es zum Grünen Platz, von dem die kurze Ägyptische Gasse abzweigt. Ein leicht verruchter Ort, aber immerhin bekommt ein müder Angestellter hier nach einem langen Arbeitstag ein dickes Falafel-Sandwich mit höllenscharfer Hariissa und hinterher eine anständige Mikyaata, einen Milch­kaffee zum Entspannen. Kaffee mit Milch in

Arabien? Oh ja, denn wobei sich jedem Syrer oder Marokkaner die Nackenhaare sträuben würden, greift ein Libyer gerne zu diesem beliebten Erbe der kolonialen Vergangenheit. Der von den Italienern, die Libyen von 1911 bis 1943 besetzt hielten, eingeführte Macchiato schmeckte den Bewohnern Nordlibyens so gut, dass sie ihn kurzerhand übernahmen, zur Mikyaata verballhornten und seither täglich schlürfen – ob Berber, Araber oder Schwarz­afrikaner. Die libysche Hauptstadt Tripolis ist zwar kein Schmelztiegel, wohl aber ein Sammelpunkt zahlreicher Nationalitäten. Mali, Niger, Tschad, Sudan, Ägypten, Marokko – kaum ein nordafrikanisches Land, aus dem hier nicht einige Tausend Migranten anzutreffen sind. Die Ägyptische Gasse ist der Mittelpunkt dieses

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Oben: Wohnzimmer statt Wüste. Die meisten Tuaareg in Libyen sind heute sesshaft geworden. Rechts: Krämerladen in der Sahara-Stadt Sabha. In Lädchen wie diesem finden Käufer alles – vom Shampoo über Bohnenkonserven bis zum Ersatzreifen.


Libyen kulturellen Flickenteppichs. Hier sitzen arabisierte Berber und Schwarzafrikaner, durch gegenseitige Ressentiments säuberlich getrennt, Abend für Abend an wackligen Tischen und halten sich an ihren Pappbechern mit Milchkaffee fest. Wie alle Staaten der arabischen Welt ist Libyen ein Kunst­ gebilde der jüngsten Vergangenheit, geschaffen durch die Grenzziehungen der europäischen Kolonialmächte und die „Neuordnung“ Afrikas nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch krasser als im Vorderen Orient wurden in Libyen dadurch gewachsene Kulturlandschaften auseinandergerissen. Es ist keine Vereinfachung, Libyen als das zu bezeichnen, was nach den willkürlichen Grenzziehungen zwischen Ägypten, Tunesien und Algerien übrig blieb. Es interessierte die über ihre Reiß­bretter gebeugten Europäer nicht, dass sie da drei sehr unter­schiedliche Regionen zusammenschusterten: das von den antiken Hochkulturen Karthago und Rom geprägte Tripolitanien im Nordwesten, die griechisch beeinflusste, rebellische Kyrenaika um den Grünen Küstenberg im Nordosten und in der Mitte der trockene Fesaan, der in die endlose Weite der Wüste und Felszüge des Südens übergeht. Noch heute verbindet einen Tripolitaner mehr mit einem Tunesier als mit einem Landsmann aus den süd­lichen Oasen Libyens. Diese Gegensätze in der Bevölkerung gelten, neben der chaotisch-brutalen Politik von Staatschef Muammar al-Gaddafi, als einer der entscheidenden Gründe für den Ausbruch des Bürgerkriegs im Frühjahr 2011.

Rechts: Einer der aus Süßwasser gespeisten Mandara-Seen in der Sahara. Unten: Abendstimmung auf den Dünen des großen Sandmeeres im Zentrum der Libyschen Wüste.

Zwar wurde das Volk der Libu schon im 13. Jahrhundert v. Chr. von den Beamten des ägyptischen Pharaos Ramses II. schriftlich erwähnt, doch gibt es „den Libyer“ bis heute nicht; es sind verschiedene Stämme und Völker, die im heutigen Staatsgebiet Libyens siedeln. Grob vereinfacht lassen sich vier Volksgruppen unterscheiden. Die verschiedenen Berberstämme sind die ältesten Einwohner des Landes. Früher bezeichneten sie sich als Imazirgh, freie re­spektive edle Männer. Für die griechischen Kolonisten der Antike waren sie einfach nur „Stammler“ (barbaroi), da sie kein Griechisch sprachen und damit in ihren Augen keine Kultur besaßen. Unter den Berbern nehmen die Tuaareg, ehemalige Nomaden aus dem Süden, eine Sonderstellung ein (s. Brotbacken in der Wüste, Seite 100). Als die Araber im Zuge der muslimischen Eroberungen im 7. Jahrhundert in die Region

vordrangen, vermischten sie sich bald mit der einheimischen Bevölkerung. Heute kommen die Zuwanderer aus dem Süden: Tausende von Schwarzafrikanern aus verschiedenen Staaten und Stämmen strömen jährlich auf der Suche nach einem besseren Leben ins Land, viele von ihnen wagen die lebensgefährliche Überfahrt auf Booten übers Mittelmeer nach Europa. All diese Völker bilden die kleine, aber bunte Schar der Einwohner Libyens. Alle Versuche Gaddafis, seinen Untertanen ein genuines Zusammengehörigkeitsgefühl zu oktroyieren, sind an den heterogenen Fliehkräften in der Bevölkerung


gescheitert. Dass sich die inneren Spannungen des Staates erst jetzt entladen haben, lag neben dem vergleichsweise hohen Lebens­standard – Libyen ist dank seiner Öl- und Gasvorkommen das „reichste“ Land Afrikas – und der Überwachung des alltäglichen Lebens durch diverse Sicherheitsdienste vor allem daran, dass sich hier gerade einmal sechs Millionen Einwohner auf der fünf­fachen Fläche Deutschlands verlieren. Von diesen siedeln wiederum 90 Prozent im mediterranen Klima des schmalen grünen Küstenstreifens am Mittelmeer, wo einige Zitrusfrüchte, Korn und Gemüse gedeihen. Nur


Libyen 1 Kilometer weiter im Landesinneren beginnt das Steppenklima, der Boden ist viel trockener, bis er schließlich in die Wüste übergeht, wo bis auf einige Wüstenmelonen fast gar nichts mehr wächst. Für Menschen sind diese gelben Bällchen, die vom Wind durch die Wüste gerollt werden, aufbrechen und ihre Samen verstreuen, ungenießbar. Nur Kamele schätzen sie als willkommenen Happen. Die Wüste. Libyen hat genug davon. Sie beherrscht mehr als neun Zehntel des Landes, bloß vier Prozent seiner Fläche sind landwirtschaftlich nutzbar. Zwangsläufig ist das Angebot an frischem Gemüse und Obst bescheiden. Besonders im Ver­gleich zum üppig gesegneten Nachbarland Tunesien mit seinen überquellenden Märkten fällt die libysche Kargheit auf. Die Zucchini und Auberginen auf den Suqs in Tripolis, Sabha und Benghasi kommen selten frisch vom Feld. Kein Wunder also, dass die libysche Küche seit eh und je stark von Grieß, Mehl und Fleisch geprägt ist. Gleichwohl hat sie eine lange Tradition: Höhlen­zeichnungen im Fesaan belegen die Käsezubereitung bereits für das 5. Jahrtausend v. Chr., also zeitgleich mit der Kultur der Sumerer in Mesopotamien. Auch wenn ihre Küche naturgemäß einfach und bodenständig ist, sind die libyschen Frauen gute Köchinnen. Die meisten Libyer essen selten und nur sehr ungern in Restaurants. Die wenigen Lokale werden fast ausnahmslos von marokkanischen oder ägyptischen Immigranten geführt, sind relativ teuer und entsprechen keinesfalls dem Geschmack der Berber. Auf Reisen achten Libyer darauf, abends bei Freunden oder bei Bekannten von Bekannten unterzu­schlüpfen, um dort zu essen. Kennen sie an einem Ort nieman­den, kaufen sie das Nötigste auf dem Markt und kochen neben dem Auto am Straßenrand. Womöglich ist die fehlende Restaurantkultur neben dem geringen Urbanisie­rungsgrad des Landes mitverantwortlich dafür, dass Bachschi­isch, jenes berühmt-berüchtigte arabische Trinkgeld, in Libyen absolut unüblich ist und eher zu einem beleidigten Gesicht als zu einem dankbaren Lächeln führt. Besonderheiten wie diese sind in Libyen nicht selten. Da ist zum Beispiel die Milch, die hier im Gegensatz zu den anderen arabischen Ländern auch von gestande­

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Libyen nen Männern außerordentlich geschätzt wird. Ob zu Hause oder in den wenigen Cafés – ein Glas Kamel- oder Kuhmilch ist so selbstverständlich wie Tee. Auch Herr Gaddafi greift gern und oft zur Kamel­milch, die dank ihrer Säure den Magen reinigt. Überhaupt ist der Oberst ein großer Freund der Höckertiere. „Züchtet Kamele, mit Kamelen kann man nichts falsch machen!“, geruhte er gelegent­lich den Berbern der tripolitaner Bergregion ans Herz zu legen. Auch wenn er leidenschaftlich gerne berberische Traditionen beschwor, konnte Gaddafi die europäischen Einflüsse nicht aus dem Alltag seiner Untertanen tilgen. Zeugen der italienischen Kolonialzeit sind neben der Mikyaata das an der Küste verbreitete gerollte Stangenweißbrot und das libysche Alltags­gericht Makaruuna – womit nicht nur Makkaroni, sondern Nudeln in jeder Form gemeint sind, die meist mit Tomaten­sauce gelöffelt werden. Natürlich muss die Sauce scharf sein. Wie die Tunesier essen die meisten Libyer für ihr Leben gerne die mit Chilischoten zubereitete Hariissa (s. Seite 105) – oder gleich ganze Chili­schoten als Gemüsebeilage. Neben Makaru­una ist Couscous sehr beliebt, das in Libyen öfter als in Marokko oder Tunesien mit Fleisch verzehrt wird. Kein Wunder: Im Gegensatz zu Gemüse mangelt es hier an Tieren nie, und neben Hammel-, Lamm- und Ziegen- wird das billigere Kamelfleisch auf den Tafeln im ganzen Land geschätzt. Meist nimmt man das Fleisch von Hengsten, da die Stuten ja noch für den Nach­wuchs sorgen müssen. Als Delikatesse gilt das zarte Fleisch einjähriger Kamelfohlen. Wie überall in Nordafrika haben die Araber und die Osmanen natürlich auch im Gebiet des heutigen Libyen ihre kulinarischen Spuren hinterlassen: Falafel geht auf die Ägypter, mit Hackfleisch gefülltes Gemüse auf die Türken zurück, und wegen des Mangels an Auberginen, Zucchini und Weinblättern füllen die Libyer eben Zwiebeln und Kartoffeln (s. Seite 105). Daneben lebt die ursprüngliche kulinarische Tradition der Region ungebrochen fort. Sie ist eindeutig berberisch und unterscheidet sich deutlich von der Küche Tunesiens oder jener Marokkos. Während die Schorba Libiiya, die beliebte libysche Suppe (s. Seite 104), noch an die marokkanische Hariira erinnert, sind die klassischen Gerichte der Berber und ihre Koch­metho­den von den Zwängen der Wüste geprägt. Ursprünglich bestan­den die Speisen im Wesentlichen aus Datteln, Milch, Fleisch und Gerstengrieß. Außerdem waren die Berber als Nomaden gezwungen, besondere Kochmethoden zu entwickeln, zum Beispiel bei Burdiim, das auch in Südalgerien weitverbreitet ist und an das Usi beziehungsweise das Sarb der Arabischen Halbinsel erinnert (s. Dubai, Seite 154, sowie Jordanien, Seite 186): Man grub ein Loch in den Erd- oder Sandboden, gab Holzkohle und heiße Steine hinein, legte einige nur mit Zwiebeln und Salz gewürzte Fleischstücke vom Hammel oder Kamel darauf und verschloss das Loch. Nach zwei Stunden zog man das zart gegarte Fleisch aus dem Hohlraum. Dieser natürliche

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Links oben: Flirt unter Studenten in Tripolis. Links unten: Freunde fürs Leben. Auf dem Kamelmarkt in der Wüstenstadt Sabha.


Oben: Lager für Getreide und manchmal Schutz vor Fein­den: Sess­haft ge­wordene Noma­den haben in Tripoli­tanien Speicher­­burgen errichtet. Hier der über 800 Jahre alte Qasr al-Hadsch. Unten: Nickerchen am Arbeitsplatz. Zwiebelverkäufer auf dem Straßenmarkt in Benghasi.


Leckerbissen auf vier Beinen Lastenträger, Rohstoffspender, Kapitalanlage – das Kamel ist ein fast idealer Begleiter des Menschen. Sogar essen kann er es. Die eindrücklichste Begegnung mit einem Kamel haben Orientreisende an einem Ort, an dem sie es nicht erwarten: in einem arabischen Wohnzimmer. Auch die ungewohnte Erscheinungsform des Höckertiers auf einem Häufchen Couscous oder Reis mag überraschen. Ein hungriger Libyer oder Ägypter hingegen, der sich nach einem langen Tag auf einen Leckerbissen freut, stutzt über das Kamel auf dem Teller höchstens dann, wenn es sich um ein altes Tier handelt und das Fleisch dementsprechend zäh zwischen den Zähnen klemmt. Nicht nur wegen des islamischen Verbots von Schweine­fleischverzehr ist der Genuss von Kamelfleisch vor allem in den Ländern Nordafrikas eine gängige kulinarische Alternative zu Schaf und Rind. Schon dieses alltägliche Beispiel veranschaulicht die jahrhundertealte Rollenverteilung zwischen Mensch und Kamel in der arabischen Welt: Der Vierbeiner gibt, der Zweibeiner nimmt. Das beginnt schon ganz am Anfang. Als Gott nämlich aus einem Klumpen Lehm den Menschen schuf, so überliefert es der islamische Volksglaube, da entglitten ihm zwei Bröckchen und fielen unbeachtet zu Boden – und daraus wuchsen die Dattelpalme und das Kamel, genauer: das Dromedar, das im Gegensatz zu seinem asiatischen Verwandten, dem baktrischen Trampeltier, nur einen statt zwei Höcker hat.

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Ergo sind Mensch und Kamel zwar aus dem gleichen Urstoff geformt, aber eben doch nicht gleich – hier das edle Geschöpf nach dem Willen des Herrn, dort das mehr oder minder zufällige Nebenprodukt. Natürlich wird diese Darstellung der Frühgeschichte von Menschen und nicht von Kamelen überliefert. Aber wer weiß: Könnten die spätestens zwischen dem 14. und 12. Jahrhundert v. Chr. auf der Arabischen Halbinsel domestizierten Kamele außer Schnauben und Brüllen auch artikulierte Laute von sich geben, vielleicht würden sie dann ihre eigenen Mythen erzählen. Und würden möglicherweise ihrem manchmal respektierten, manchmal verabscheuten Gegenüber ebenfalls eine Vielzahl von Namen gegeben. So wie es die Menschen getan haben: Mehrere hundert Synonyme kennt allein die arabische Sprache für das scheinbar zufällige „Nebenprodukt“, das schnell zum wichtigsten Tier der Wüstenbewohner avancierte – von „Vater der Einsamkeit“ bis „Funkelndes Schwert“. Die gängigste arabische Bezeichnung, Dschamal, hat sich in ihren Abwand­ lungen über den ganzen Globus verbreitet und ist in den deutsch­sprachigen Ländern als „Kamel“ angekommen. Wer weiß schon, dass dieser Begriff mit dem arabischen Wort für Schönheit verwandt ist? Die Araber wissen es, und sie wissen auch die Anmut und die Opferbereitschaft dieses einzigartigen Gefährten zu schätzen. So existenziell lebenswichtig war das Kamel für sie über Jahr­hunderte hinweg, dass es Eingang in Hunderte von Redens­arten gefunden hat. Eine Ehefrau im Jemen darf sich geschmeichelt fühlen, wenn ihr Gatte sie liebevoll „mein treues Kamel“ nennt. In seinem Alltagsratgeber für rechtgläubige Muslime listet der saudiarabische Religionsgelehrte Said al-Qahtani zwischen allerlei frommen Sprüchen jene Formel auf, die ein Mann vor der Eheschließung mit seiner Auserwählten aussprechen soll: „O Gott, ich erbitte von dir ihre guten Eigenschaften und ich suche Zuflucht bei dir vor ihren schlechten Eigenschaften.“ Denselben Spruch empfiehlt der weise Mann auch vor dem Kauf eines Kamels. Beides will wohl bedacht sein, gilt es doch, Kosten und Nutzen abzuwägen. Zumindest beim Kamel sind diese relativ klar abschätzbar. Ein gesundes Tier muss schöne lange Wimpern gegen das grelle Sonnenlicht haben und 120 Kilometer am Tag geradeaus stapfen können. Mit 200 Kilogramm Gepäck sollten immer noch 50 Kilometer drin sein. Dafür muss der Besitzer höchstens ein paar Ästchen oder einige Büschel Gras


organisieren sowie alle paar Tage zwischen 100 und 200 Liter Wasser, die das Kamel binnen Minuten wegsäuft. Die Flüssigkeit speichert es nicht im Magen, sondern im Gewebe und in den Blutzellen, die sich dann bis auf das 240-fache ihres normalen Volumens ausdehnen. Davon kann das Tier bis zu 17 Tage lang zehren und verliert dabei bis zu 30 Prozent seines Körpergewichts. Das nötige Fett zieht es aus seinem Höcker – das erklärt, warum dieser mal aufrecht, mal schlaff auf dem Kamelbuckel thront. „Achtet auf das Kamel Gottes, und dass es richtig zu trinken bekommt!“, mahnte schon der Prophet Muhammad im Koran (Sure 91,13), wo Kamele immerhin neunzehnmal erwähnt werden. Für die Beduinen auf der Arabischen Halbinsel war Kamelfleisch lange die wichtigste fleischliche Nahrung. Für den Verzehr wählten sie aber nur Schlacht- und Opferkamele (arabisch Dschasuur) aus, meist Jungtiere. Das Fett der Höcker galt als besondere Delikatesse. Während Kamele und deren Milch im Alten Testa­ment als unrein bezeichnet werden, soll der Prophet Muham­mad beides sehr geschätzt haben. In vielen arabischen Ländern zitiert man heute noch gerne

einen seiner Aussprüche: „Wer nicht von meinen Kamelen isst, gehört nicht zu meinem Volk.“ Haben sie sich einmal so richtig vollgetrunken, sparen Kamele das kostbare Wasser dank einer ausgeklügelten Technik sogar noch beim Atmen: Ihre Nüsterngänge sind derart verwinkelt, dass die Luft beim Einatmen um 10 Grad Celsius abgekühlt und beim Ausatmen entfeuchtet wird. Kommt ein Sandsturm auf, werden die Nüstern kurzerhand verschlossen, und brennt die Sonne erbarmungslos vom Himmel, steigt die Körper­ temperatur von 40 auf bis zu 46 Grad Celsius, um Schweiß zu sparen. So stapft das Kamel schwer beladen, aber genügsam durch die Wüste und gibt täglich nicht nur 10 Liter Milch, sondern auch noch einen Haufen Verdautes von sich, das sich im getrockneten Zustand hervorragend als Brennmaterial eignet. Sogar nach seinem Tod dient es seinem Herrn noch als Rohstofflieferant: Aus der Haut werden Sandalen und Sitzkissen gemacht, aus den Haaren warme Decken und aus dem Fleisch, das geschmacklich an faseriges Rindfleisch erinnert, so manche Leckerbissen. Wer Kamelfleisch esse, erwerbe auf Dauer die Geduld und die Kraft dieses Tieres, notierte der arabische Historiker Ibn Chaldun bereits im

Oben: Ein Kameljunges fühlt sich wohl bei Mama. Links: Mampf, mampf: Als feste Mahlzeit genügen einem Kamel ein paar Ästchen.

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‚‚ Agypten

Das kulinarische Erbe der Pharaonen

Hin- und hergeworfen zwischen kultureller Größe und bedrückender Armut, pflegen die Menschen am Nil ihre 7000 Jahre alten Esstraditionen bis zum heutigen Tag.

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‚‚ Agypten „Ramada! Abdul! Kommt her und helft mir mit dem Zucker­

rohr!“ Ach, es ist wirklich kein leichtes Leben. Zwar lässt Gott seit eh und je verlässlich das Wasser den Strom hinun­ terfließen, zwar gedeiht der Weizen gut, sodass die Ehefrau ausreichend Brot backen kann, und auch die sechs Kinder sind gesund – Alhamdulillah, Gott sei Dank! Doch nun steht das Zuckerrohr in diesem Jahr wirklich ganz besonders hoch und dicht. Da ist das anstrengende Roden ohne die Hilfe der Kinder einfach nicht zu schaffen. Zehn Fedaan, gut 4 Hektar bestes Land direkt am Fluss, besitzt Taya Sayyid Abdallah, viel mehr, als ein durchschnittlicher Bauer an den Ufern des Nils sein Eigen nennen kann. Zehn Fedaan gestatten einen bescheidenen Wohlstand, sodass Taya vor einigen Jahren sogar den Hadsch, die Pilgerreise nach Mekka, unternehmen konnte – ein Traum im Leben eines jeden gläubigen Mus­ lims. Doch zehn Fedaan bedeuten auch viel Arbeit von früh am Morgen bis spät in den Abend. Außerdem ist da noch der Nachbar, mit dem Taya seinen Grund und Boden teilen muss und der die Zwiebeln und Kartoffeln immer so lange Seite 112: Fuul, stehen lässt, bis sie ausschlagen und nicht mehr zum Verzehr Bohneneintopf, ist taugen: „Bei Gott, ein echter Faulpelz. Und das bei zwei bis eines der ältesten, drei Ernten im Jahr!“ Ach ja, es ist nicht einfach, das Leben an den fruchtbaren Ufern des Nils. beliebtesten und Taya blinzelt in die Sonne, bricht gedankenverloren ein billigsten ägyptiZucker­rohr entzwei, beißt die Rinde weg und saugt genüsslich schen Gerichte. den süßen Saft aus dem holzigen Kern – so wie es Hundert­ Seite 113: der NilBauer Taya Sayyid tausende ägyptischer Landbewohner jeden Tag machen. Asiir Qasab, der Zuckerrohrsaft, erfrischt nicht nur während der Abdallah mit seilangen warmen Tage, sondern kann dank des hohen Saccharo­ nen Kindern. seanteils auch eine Mahlzeit ersetzen. Am rund 1500 Kilo­ Links und vorhermeter langen Ufer des ägyptischen Nils und in dessen Delta gehende Doppel­ ist Zuckerrohr die zweitwichtigste Pflanze – nach Bersim, seite: Bersim, der dem „Alexandriner Klee“, der zwar bis zu sechs Ernten jähr­ „Alexandriner lich einbringt, aber nur als Viehfutter taugt. Nachdem es im Klee“, ist eine Verlauf der Eroberungszüge Alexanders des Großen aus dem der wichtigsten Anbaupflanzen an Fernen Osten nach Mittelasien gelangt war, verbreiteten die Araber das Zuckerrohr ab dem 7. Jahrhundert im Mittelmeer­ den fruchtbaren raum. Aus Ägypten ist es heute nicht mehr wegzudenken. Ufern des Nils. Er wird ausschließlich Auf dem Land ist das Zuckerrohrlutschen weiter verbreitet an Tiere verfüttert. als das Kaugummikauen in Europa. „Wenn es nicht holzig

schmeckt, stimmt die Qualität!“, sagt Taya und macht sich dann wieder an die Arbeit: Dattelpalmen, Bananen, Boh­ nen, Linsen, Erbsen, Reis, Gurken, Gerste, Sesam, Zucchini, Knoblauch, Mango, Zitronen und Wassermelonen – alle wollen sie ihre tägliche Wasserration bekommen, damit sie gut gedeihen. Schließlich sollen sie später nicht nur Lohn einbringen, sondern zu allerlei schmackhaften Gerichten ver­ arbeitet auch die sechs Kinder mit so viel Energie versorgen, dass diese kräftig und gesund bleiben. Wäre die Arbeit nur nicht so mühsam! Na ja – „Yaum assal, yaum bassal – ein Tag Honig, ein Tag Zwiebeln“, zitiert Taya ein arabisches Sprichwort und bückt sich nach dem Gemüse. Zwischen


Links und rechts: Wenn es nicht holzig schmeckt, stimmt die Qualität: Auf dem Land in Ă„gypten ist das Zuckerrohrlutschen weiter verbreitet als das Kaugummikauen in Europa.

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Links: Die Außenbezirke der ägyptischen Städte gleichen Riesen­ dörfern: Ein Bauer siebt an einem Straßenrand in Kairo getrocknete und gehäckselte Muluchiiye. Diese Malvenpflanze ist die Grundzutat für eines der wich­ tigsten ägyptischen Gerichte.

Unten: Landfrauen in Theben am Mittleren Nil legen Brotfladen zum Aufgehen in die Sonne.

dem Haus und einer Mauer aus Nilschlammziegeln legt seine Frau derweil die Tagesration noch ungebackener Brotfladen zum Aufgehen in die Sonne. Seit 7000 Jahren ist die Landwirtschaft das Rückgrat der ägyptischen Wirtschaft. Die alten Ägypter bauten überwie­ gend Weizen, Gerste und Bersim an, dazu Bohnen, Linsen, Zwiebeln, Datteln, Trauben, Hirse, Sesam sowie Baum­ wolle und Papyrus­stauden. Die Araber führten neben dem Zuckerrohr auch den Reis und zahlreiche Obstsorten ein, die sie in Persien, Indien und China kennengelernt hatten. Und mit den Osmanen kam der Mais. Noch heute stellen Bauern, Fellachen – deren Überleben vom längsten Strom der Welt abhängt –, den Großteil der ägyptischen Bevölkerung. Seit dem Bau des neuen AssuanStau­damms in den 1960er-Jahren müssen die Fellachen nicht mehr wochen- oder sogar monatelang auf die segensreiche Über­schwem­mung warten, die den bloß 5 bis 15 Kilo­meter breiten grünen Streifen zu beiden Seiten des Nils befruchtet, sondern können mindestens zwei Ernten einkalkulieren. Doch leider staut sich am Damm nicht nur das Wasser, sondern auch der kalihaltige Nilschlamm, der früher für eine natürliche Düngung des Bodens sorgte. „Seither müssen wir künstlich düngen. Und seither schmeckt das Gemüse nicht mehr so gut“, sagt Taya Sayyid Abdallah. Während sein Vater das Wasser noch mithilfe von Schöpfrädern und Wasserbüffeln aus dem Fluss in die weitverzweigten Kanalsysteme auf den Feldern befördern musste, haben Taya und seine Nachbarn von der Regierung eine Pumpe installiert bekommen. Trotz des natürlichen Reichtums am Nil ist Ägypten bitter­ arm und kann seine rasant wachsende Bevölkerung schon lange nicht mehr aus eigener Kraft ernähren. Lebensfeindli­ che Wüste bedeckt mehr als neun Zehntel des Landes. Die

Aus dem Slum in die Nobelküche Zu dieser Ansicht war er während seiner Aus­bildung zum Hotel­fachmann schnell gekommen: Fast alle Jobs in einem Hotelbetrieb können von so gut wie jedem gemacht werden – vom Rezeptionisten über den Kellner bis zum Hotel­direktor. Nur ein Beruf verlangt so viel Begabung, Liebe und Geschick, dass ihn nur Ausgewählte erlernen und ausüben können: Koch. Also begab sich Osama Zorif Sadek 6 Jahre lang in die Obhut eines Spitzenkochs im noblen ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich. Dort lernte der in einem kairiner Slum geborene Junge so famos mit Töpfen und Gewürzen zu hantieren, dass man bald auf ihn aufmerksam wurde, ihm eine spezielle Förderung angedeihen ließ und ihn schließlich zur Spezialausbildung in ein kairiner Nobelhotel mit exquisiter Küche schickte. Dort war er jahrelang als Assistenzkoch für ägyptische Gerichte zuständig und arbeitete von 7 bis 17 Uhr an 6 Tagen der Woche. Zwei Stunden An- und Abfahrtszeit nicht mitgerechnet. Sein Durchschnittsverdienst war für einen jungen Ägypter vergleichsweise gut. Doch was heißt gut, wenn man am Monatsende mit 80 Dollar nach Hause geht? „Das ist zuwenig für eine gesicherte Zukunft. Zu wenig, um bei meinem Vater auszuziehen. Zu wenig, um ein Haus zu bauen, was die Vorbedingung für eine Heirat wäre. Aber ich liebe meinen Beruf, und so Gott will, wird es irgendwann besser.“ So Gott will, wird Osama Zorif Sadek irgendwann Chefkoch. Das Talent dazu hat er, das merkt jeder, der seine ägyptischen Rezepte probiert (s. ab Seite 139). Sein ehemaliger französischer Chef nennt ihn einen guten Kerl, der noch eine große Zukunft vor sich habe – selbst wenn er noch hin und wieder bei der Crème brûlée das Flambieren vergisst …

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‚‚

Höhepunkte der kairiner Kaffee­ haus-Kultur: links das Café Naadi Qaukaab aschScharq in Down­ town, das der berühmtesten arabischen Sängerin, Umm Kulthum, gewidmet ist, …

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bewohnbare Fläche entspricht der Größe Baden-Württem­ bergs, beherbergt aber siebenmal so viele Menschen. Rund zwei Drittel aller Lebensmittel müssen importiert werden, darunter 70 Prozent des Getreides. Ein Fünftel aller Kinder leidet an Unter­ernährung. Das Elend hat zu massiver Land­ flucht und explo­dierenden Städten geführt, deren Peripherien eher gestaltlosen Riesendörfern gleichen als strukturierten Großstadtbezirken. In einigen Vierteln Kairos drängen sich bis zu 120.000 Menschen auf einem einzigen Quadratkilometer – ein fataler Weltrekord, der extreme Umweltverschmutzung, ende­mische Krankheiten und mangelhafte Ernährung mit sich bringt. Dieser Missstand gilt als einer der Gründe für den Aufstand im Frühjahr 2011. Im 10. Jahrhundert war das ganz anders. Da erging sich der Jerusalemer Geograf Al-Muqaddasi in Lobeshymnen auf Ägypten und besonders auf Kairo: „Feine Speisen, reine Zutaten und wohlfeile Süßigkeiten, viele Bananen und frische Datteln, reichlich Gemüse und Brennholz, leichtes Wasser und gesunde Luft!“ Besonders von Letzterer kann ein ägyptischer Städter des beginnenden 21. Jahrhunderts nur träumen. Ungeachtet der Probleme der Obrigkeit, der Bevölkerung ein akzeptables Leben zu ermöglichen, hat Ägypten eine eigenständige Küche aufzuweisen, die sich besonders durch ein kaum verändertes Fortleben jahrtausendealter Speise­ traditionen auszeichnet. Noch beharrlicher als andere ara­

bische Völker bewahren die Ägypter ihr kulinarisches Erbe: So werden nicht wenige Speisen seit der Zeit der Pharaonen auf dieselbe Weise zubereitet, darunter gegrillte Gans und Ente, Bohnengerichte und Okraschoten. Eine wunderbare Steingravur aus dem Jahr 1372 v. Chr., die heute im Ägyp­ tischen Museum in Kairo ausgestellt ist, zeigt eine Tochter des Pharaos Echnaton, wie sie genüsslich ein Brathühnchen verspeist – auch heute noch ein beliebtes ägyptisches Feier­ tagsgericht. Die weitent­wickelte Esskultur der alten Ägypter beeinflusste die umgebenden Völker. So nimmt man an, dass sich der Anbau und die Verwendung so wichtiger Zutaten wie Lauch, Zwiebeln, Knoblauch und Melonen von Ägyp­ ten aus in der Levante verbreitete. Der mythische Auszug der Hebräer aus der ägyptischen Gefangenschaft – wenn er denn tatsächlich stattgefunden hat – könnte dabei eine Rolle gespielt haben. Auch andere in der Bibel erwähnte Nahrungsmittel übernahmen die Hebräer wahrscheinlich aus Ägypten: Bohnen, Linsen, Erbsen, bittere Kräuter, Rosinen und Nüsse. Der Reichtum, aber auch der Mangel von Nahrung präg­ ten das kulturelle Gedächtnis. Während Hungersnöte im mittelalter­lichen Europa oftmals totgeschwiegen wurden, weil Lesen und Schreiben eine Domäne der Klöster war, wurden sie zur selben Zeit in Ägypten und in anderen ara­ bischen Regionen akribisch in den Chroniken verzeichnet. Der Islam entwickelte sich bald nach seiner Entstehung zu


einer Religion und Kultur der Schrift, wovon die KoranRedaktion, die Sammlungen von Taten und Aussprüchen des Propheten (Hadiith) und die Institution der öffentlichen Schreiber zeugen. Notiert wurden nicht nur Höhe-, sondern auch Tiefpunkte eines Gemeinwesens. Weil Hungers­nöte dadurch dauerhaft im gesellschaftlichen Bewusstsein ver­ ankert waren, erlangte die Institution des Karam, des nicht ausschließlich religiös begründeten Almosens, eine besondere Prägung: Anders als in der europäischen Kultur bestand ein Almosen nicht vorwiegend in einer Geld-, sondern vielmehr in einer Essensspende. Bis heute gehört zur arabischen Gast­ freundschaft unverzichtbar das Anbieten von Speisen, selbst wenn der Gast nur wenige Minuten verweilt. Essen anzubieten bedeutet, den anderen wertzuschätzen und sich zugleich der sozialen Pflichten in einer das Kollektiv betonenden Gesell­ schaft bewusst zu sein. Zugleich ist das Essen in Ägypten eine gemeinschaftliche Handlung, die öfter als in anderen Regionen des Orients – etwa im Maghreb – in die Öffentlichkeit verlegt wird. Die jedermann zugänglichen, zum Teil opulenten Straßentafeln an den Abenden des Ramadans zeugen davon. In keinem anderen arabischen Land findet man zudem so viele Gar­ küchen, Imbisse und mobile Essstände wie in dem Land am Nil. Das beste Beispiel dafür ist Kuschari, ein einfaches Mischgericht aus Nudeln, Linsen und Reis (s. Seite 135). An jeder vierten, fünften Straßenecke Kairos finden Hungrige

einen Kuschari-Garkoch. Natürlich hat jede Familie ihren Lieblingskoch und schwört, dass gerade dieser das beste Kuschari der Stadt macht. Nach dem Mittags- und nach dem Abendgebet drängeln sich etwa im kairiner Altstadt­ viertel Gamaliiya die Söhne der in den umgebenden Gas­ sen lebenden Familien um die verglaste Verkaufstheke des Garkochs Abu Tariq und warten darauf, dass dieser ihnen die geforderte Menge Kuschari aus seinen riesigen Töpfen in ihre hingestreckten Blechtöpfe oder Plastiktütchen schaufelt. Noch einige in Mehl frittierte Zwiebeln, Blümchen genannt, und jeweils einen Schuss Chili- und Knoblauchsauce darüber – und dann fix nach Hause gerannt, wo schon die Geschwister mit knurrenden Mägen warten. Vermutlich geht Kuschari auf die Kopten, die ägyptischen Christen, zurück, die eine sehr strenge Fastenzeit einhalten, während der sie keinerlei tierische Produkte zu sich nehmen. Im Zuge dessen dürften sie dieses vegane Gericht erfunden haben. Die aus China stammende Nudel haben sie wahrscheinlich über die Handelswege kennengelernt, die Ostasien mit den Mittelmeer­ländern verbanden. Auf denselben Routen gelang­ ten Nudeln im Übrigen auch nach Italien, lange vor Marco Polos Asienreisen. Ihre Beliebtheit verdanken sie vor allem dem Umstand, dass sie lange haltbar und damit ein idealer Reiseproviant, einfach zuzu­bereiten und billig sind. Das gilt auch für Kuschari: 1,5 ägyptische Guinee, rund 15 Cent, kostet eine große Portion. Ausgehend von den kleinen

… und das Café Fischaawi, eines der ältesten Kaffee­­häuser Kairos, in einer engen Gasse des Chaan al-Chaliili in der islamischen Altstadt.

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‚‚ Agypten R e z e p t e


‚‚ Agypten Zutaten

Garnitur

pro Person 6–8

3 Scheiben Toastbrot

Garnelen, geschält

1 EL Olivenöl

und gesäubert

50–75 g Butter

Hauptgericht

Linsensuppe mit Meeresfrüchten Nach einem Rezept von Badawy Abdel Hamid,

2 frische Calamares,

1 EL frischer

Chefkoch des Marriott Hotel Kairo

alternativ tiefgekühlte

Dill, gehackt

Personen 4

Tintenfischringe

2 Knoblauchzehen,

250 g gelbe Linsen

gepresst

Zubereitungszeit 1 ½ Std.

1 Karotte, in große

Zubereitung

Stücke geschnitten

Linsen, Zwiebel und Karotte in der Brühe aufkochen, Hitze reduzieren und köcheln, bis die Linsen weich sind (ca. 20 Min.). Das Ganze pürieren, anschließend Basilikum und die Hälfte des Oreganos einrühren. Die Gar­ nelen mit Knoblauch und etwas Zitronensaft in Olivenöl kurz braten, anschließend leicht salzen. Calama­res in feine Ringe schneiden, säubern, salzen und in Mehl gewendet frit­ tieren. Die Linsen­suppe mit dem rest­lichen Oregano sowie Salz und Pfeffer nachwürzen. Toastbrot würfeln und im Öl-Butter-Gemisch unter häufigem Wenden kross braten, Knob­ lauch und Dill zugeben. Meeresfrüchte in tiefe

750 ml Hühnerbrühe 1 kleine Zwiebel, geviertelt 3 Knoblauchzehen, grob gehackt 1 EL Olivenöl je 1 Handvoll frisches Basilikum und Oregano, gehackt Mehl Saft von 1 Zitrone Zitronenschnitze Salz, Pfeffer

Zutaten

300 ml Geflügelfond

1 Zwiebel

4 Hühnchenbrustfilets

2 Knoblauchzehen

Saft von 1 Zitrone

je 1 Handvoll Minze,

Pflanzenöl

Koriander,

Salz, Pfeffer

glatte Petersilie Garnitur

und gehackt

1 Zwiebel, gehackt

600 g grüne Erbsen,

1 Handvoll

frisch oder tiefgekühlt

Walnüsse, gehackt

Tipps

Die Mengenanteile der Calamares und Gar­ nelen können Sie nach Ihrem persönlichen Geschmack variieren. Auch kleine, saftig gebra­ tene Fisch­stückchen bieten sich als Zugabe an. Verlockender für das Auge ist es, die Meeres­ früchte samt den Croûtons und einigen Zitro­ nenschnitzen auf die Suppe zu geben.

Vorspeise und Hauptgericht

Bissaara Erbsenbrei mit Walnüssen und Zwiebeln Nach einem Rezept von Badawy Abdel Hamid, Chefkoch des Marriott Hotel Kairo

und Dill, alles frisch

Teller verteilen, mit der Suppe aufgießen und den Croutons garnieren.

Personen 4 Zubereitungszeit 1 ½ Std.

Zubereitung

Hühnchenbrustfilets in Zitronensaft, Pfeffer und Salz 1–2 Std. marinieren. Erbsen mit Zwiebel, Knoblauch und Kräutern ca. 35 Min. im Fond kochen, anschließend pürieren (evt. noch etwas heißes Wasser zugeben) und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Fleisch in etwas Öl braten. Walnüsse und Zwiebeln im selben Öl leicht bräunen. Fleisch in Scheiben schnei­ den und auf dem Erbsenbrei anrichten. Mit Walnüssen und Zwiebeln garnieren. Hintergrund

Bissaara, ein beliebtes ägyptisches Arme-LeuteEssen, wird normalerweise aus dicken Bohnen und ohne Fleisch gemacht, doch ist das Gericht dann sehr mächtig. Abdel Hamid Badawy hat die Bohnen durch Erbsen ersetzt und das traditionelle Rezept auf diese Weise verfei­ nert. Das Ergebnis ist verblüffend: Die Erbsen machen die Bissaara leicht und bekömmlich, die marinierten Hähnchenbrust­filets runden das Gericht geschmacklich ab, und die Würzung ist so abgestimmt, dass man das Gericht heiß und kalt essen kann.


Das Hauptgericht ägyptischer Garküchen

Kuschari Zutaten

Tomatensauce

250 g Makkaroni,

500 g passierte

in ca. 3 cm lange

Tomaten

Stücke gebrochen

2 Knoblauchzehen,

200 g Reis

gepresst

100 g braune Linsen

3 EL milder Essig

30 g Vermicelli

1 TL Kumin

(alternativ Glasnudeln)

1 TL Korianderpulver

2 Zwiebeln, in dünne

1 EL roter Pfeffer

Ringe geschnitten

(alternativ ½–1 TL

1 ½ TL Kumin

Chilipulver)

1 ½ TL Korianderpulver

Pflanzenöl

Mehl

Salz, weißer Pfeffer

Pflanzenöl nach Belieben 100 g

Knoblauch-

weiche Kichererbsen

Essig-Sauce

Salz, weißer Pfeffer

100 ml milder Essig 4 Knoblauchzehen,

Personen 4 Zubereitungszeit 1 Std. Zubereitung

Hintergrund

Kuschari Den Reis 5 Min. in Pflanzenöl anbra­ ten, salzen, pfeffern und in 300 ml Wasser bei niedriger Hitze garen. Makkaroni, Linsen und Vermicelli getrennt kochen, bis sie weich sind. Vermicelli frittieren. Alles in einem großen Topf verrühren und würzen. Zwiebeln in Mehl wälzen und frittieren.

Kuschari ist, wie beschrieben, ein sehr einfaches Gericht mit langer Tradition, das allerorts in ägyp­tischen Garküchen zubereitet wird und für wenige Guinee zu haben ist, sodass es sich jeder leisten kann. Die genannte Rezeptur kommt aus dem Café Nagib Mahfouz im Chaan al-Chaliili im islamischen Teil der kairiner Innen­stadt. Wo früher die Teppiche eines Handels­kontors gestapelt waren, werden heute feine Speisen gereicht, die nach Romanfiguren des berühm­testen ägyptischen Schrift­stellers der Gegen­wart benannt sind. Der inzwischen verstorbene Mahfouz, der in den Gassen des islami­schen Kairo aufwuchs und 1988 mit dem Litera­tur­nobelpreis ausgezeichnet wurde, wohnte später allerdings auf der anderen Nil­ seite. Stolz wie sie sind, haben die Bewohner des alten Stadt­­viertels dennoch ein Café nach ihm benannt.

Tomatensauce Knoblauch in Pflanzenöl goldbraun anbraten. Zunächst Essig, dann passierte Tomaten und schließlich Gewürze einrühren und einige Minuten köcheln. Knoblauch-essig-sauce

Zutaten verrühren.

gepresst Saft von ½ Zitrone 1 Prise Kumin 1 Prise Korianderpulver Salz, Pfeffer

Frittierte Zwiebeln und evtl. Kichererbsen auf das Kuschari geben. Saucen getrennt servieren. Jeder Schlemmer dosiert die scharfe Tomatensauce und die intensive Knob­ lauchsauce nach individuellem Geschmack. Servieren

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‚‚ Agypten Vorspeise oder Hauptgericht

Suppe

Fuul Ramadan

Muluchiiye mit Hase oder Huhn

Traditionelles Bohnengericht Personen 4

Zubereitungszeit 2–2 ½ Std.

Nach einem Rezept von Madame Hebba Bakri, Kairo Personen 4 Zubereitungszeit 1 ½ Std.

Zutaten Variante mit Hase 1 kg Hasenfleisch mit

Zutaten 250 g getrocknete braune Bohnen, gut gewaschen und über Nacht in ca. 1 l kaltem Wasser eingeweicht (bei warmem Wetter im Kühlschrank, denn Bohnen gären leicht) 4 Tomaten 2 Zwiebeln 3 Knoblauchzehen

Zubereitung

Die Bohnen mit 1 geviertelten Tomate und 1 halbierten Zwiebel im Einweichwasser lang­ sam aufkochen. Hitze herunterschalten und die Bohnen bei mittlerer Temperatur weich kochen (ca. 1 Std.). Die andere Zwiebel und den Knob­lauch hacken und mit Dill in Butter hellbraun anbraten, die übrigen Tomaten pürie­ ren. Alles zu den Bohnen geben. Zerstampfen und mit den übrigen Gewürzen abschmecken. Zum Servieren frischen Dill darüberstreuen und mit etwas Zitronensaft beträufeln.

2 EL Butter 1 TL Kumin 1 TL roter Pfeffer ½ TL Muskat,

von Brust oder Rücken 1 kg Salz e 4 EL Essig und Zitronensaft Variante mit Huhn 1 ganzes Huhn, küchen­fertig (ca. 1 kg) Brühe 400–500 g frische oder tiefgekühlte

1 Bund frischer Dill, klein geschnitten

Knochen, bevorzugt

Tipp

Wenn Sie wenig Zeit haben, können Sie die Bohnen 2 Std. in heißem Wasser einweichen. Wenn Sie gar keine Zeit haben, nehmen Sie 500 g Dosenbohnen.

MuluchiiyeBlätter, gehackt je 1 Stange Lauch und Sellerie, 1 Karotte und 1 Zwiebel, in große Stücke zerteilt

frisch gerieben etwas Zitronensaft

Hintergrund

Salz, weißer Pfeffer

Diese Verfeinerung des ägyptischen National­ gerichts wird vor allem an den Abenden des Ramadan genossen. Fladenbrot ist unverzicht­ bar.

Samen von

Zubereitung

Das Hasenfleisch vorab waschen und in einer Schüssel mit Salz, Essig und Zitronensaft bedeckt ½ Std. ruhen lassen, um den herben Geschmack des Fleisches zu mildern. Das Hasenfleisch bzw. das Huhn waschen und in 1 l kaltem Wasser mit allen Zutaten außer den Muluchiiye-Blättern aufkochen und ca. 45 Min. garen. Fleisch herausheben und von den Knochen lösen. Die Brühe mit den Knochen eine weitere ½ Std. sieden lassen, anschließend abseihen. Während­dessen ggf. die gefrorene Muluchiiye auftauen lassen. Die Muluchiiye-Blätter zur Brühe geben, kurz auf­ kochen, umrühren und bei geringer Hitze warm halten, bis die Suppe leicht geliert: Das dauert bei frischer Muluchiiye ca. 10 Min., bei aufgetauter nur etwa 3 Min. Den Knoblauch in Butter anbraten und würzen. Jus in die Suppe einrühren. Auch das klein geschnittene Fleisch zur Suppe geben und abgedeckt noch 1 Min. erhitzen. Dazu passen Weißbrot oder überbackener Reis.

1 Kardamom­kapsel ½ Zimtstange

Tipp

1 Lorbeerblatt

Frische Muluchiiye ist in Europa gar nicht, tiefgefrorene oder getrocknete in türkischen, griechischen oder arabischen Geschäften schon eher zu bekommen. Wenn Sie auf getrocknete Muluchiiye zurückgreifen müssen, achten Sie darauf, ganze und nicht etwa gemahlene Blätter zu kaufen. Wichtig: Die Muluchiiye-Blätter dürfen nach dem ersten Aufkochen nicht weiter kochen, da sie sonst bitter werden. Wird Muluchiiye mit Fleisch verfeinert, kommt dieses in Ägypten meist vom Hasen. Die Syrer verwenden lieber Hühner­fleisch. Wegen des öligen Eigen­ geschmacks der Muluchiiye ist die Fleischsorte nicht entscheidend. Zur Verfeinerung können Sie noch angebratene Zwiebelstückchen in die Jus geben. Übrigens: Die angegebene Zahl der Knoblauchzehen ist die Mindestmenge …

6 Pfefferkörner Salz Knoblauchjus 50 g Butter 6 Knoblauchzehen, gehackt ½ TL Korianderpulver Salz, Pfeffer


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Dubai

Hochgenuss zwischen Tradition und Moderne

MeisterkĂśche aus aller Welt inspirieren die arabische KĂźche durch neue Geschmacksnoten.

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Dubai Vorhergehende Doppelseite: Die Stadt der Superlative. Der Burj Khalifa ist mit 828 Metern das derzeit höchste Haus der Welt.

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Das Knochengerüst: Beton. Die Nervenbahnen: Stahl. Die

Haut: Glas. Wenn Städte Menschen gleichen können, dann ist Dubai ein zu schnell erwachsen gewordener Teenager, seinen Eltern über den Kopf geschossen, aber noch mit unstimmigen Proportionen, ein Bein länger als das andere, zu große Füße, die Stimme flatternd, aber fortwährend plappernd. Wenn Dubai einem Menschen gleichen könnte, dann müsste er vielleicht so daherkommen: der stolze Blick des emiratischen Vaters, schwarze Haare von der indischen Mutter, aufgewachsen in Islamabad, ausgebildet in London und fließend sechssprachig: Englisch, Hindi, Urdu, Russisch, Persisch und, ach ja, natürlich auch Arabisch. Dubai? Klar, kenne ich. Diesen Satz kann man so dahinsagen, sicher, aber ehrlich meinen dürfen ihn wohl noch nicht mal die 250.000 Einheimischen. Auch nicht die mehr als eine Million Gastarbeiter, die diese Stadt jeden Tag ein Stück weiterbauen, mit ihrer Muskelkraft, ihren Visionen, ihrem

Geschäftssinn. Geschweige denn die 6,5 Millionen Besucher, die jedes Jahr aus aller Welt hier ankommen. Wohl keine andere Stadt verändert sich so schnell wie diese Wüstenmetropolis. Wo gestern noch Staub war, ragen heute Baukräne in den Himmel, steht morgen ein Hochhaus. Ach was: fünf, zehn, 20 Hochhäuser. 250 sind es derzeit, aber auch das ist nur ein Zwischenstand. In Dubai ist heute nichts mehr so, wie es gestern war. Beton, Stahl und Glas scheinen hier aus dem Boden zu wachsen wie andernorts Bäume. Dazwischen zwölfspurige Straßen und blitzsaubere Flaniermeilen. So wie in Dubais neuer Altstadt. Doch, die heißt wirklich so: „Old Town“, obwohl das Viertel gerade mal 5 Jahre „old“ ist. Es ist Sonntagabend, Windböen kräuseln das Wasser des riesigen künstlichen Teichs, umstellt von Wolkenkratzern, einige fertig, andere noch Betonskelette, weitere irgendwo dazwischen. Der Burj Khalifa glitzert und funkelt wie ein Feuerwerk unter wolkigem Winterhimmel. Er ist das höchste Haus der Wel… aber das versteht sich hier ja fast von selbst. Vor dem Einkaufszentrum (natürlich das größte Arabiens) schlendern Menschen aus Dutzenden Ländern in den Abend, darunter eine emiratische Familie: Der Vater schreitet würdig in seiner gelben Dischdascha voran, die schwarz verschleierte Frau schiebt einen Kinderwagen mit integriertem Fernseher für die Kleinste hinterher, die anderen drei Kinder in kurzen Hosen rennen ihrer philippinischen Nanny davon: „Ein Eis, Papa, ein Ei-heis!“ Huch – fast wäre eins von ihnen gegen das junge indische Paar gerannt, das sich zwischen den Touristen aus Europa, Amerika und Osteuropa verstohlen verliebte Blicke zuwirft. Weiter vorn auf der Terrasse eines libanesischen Restaurants sitzen vier emiratische Jugendliche in weißen Dischdaschas und gönnen sich einen großen Teller Grillfleisch mit Gemüse: jeder mindestens zwei Handys auf dem Tisch, demonstrative Gelassenheit inmitten des Trubels, die Nase hoch. Danach ein Wasserpfeifchen mit gesüßtem Tabak, Weintraubengeschmack – ach nein, doch lieber Honigmelone. Innen in der Einkaufs-Mall herrscht eine Lautstärke wie im Kino: ein Brausen aus Dutzenden von Sprachen, Musikgedudel, Handyklingeln und Tellerklappern der Saftbars, Imbissstände und Patisserien. Vor einem riesigen Aquarium (natürlich das größte der Wel… Sie wissen schon) steigert sich das Brausen zu einem Crescendo, begleitet vom Blitzlichtgewitter unzähliger Kameras. Vielleicht gibt es keinen anderen Ort, der so anschaulich das Wesen dieser Stadt offenbart, dieses binnen vier Jahrzehnten hochgezogenen Handels-, Tourismus-, Flugverkehrs- und Bankenzentrums, in dem Multikulti kein abstraktes Ideal ist, sondern Alltag – allerdings mit strikten Regeln, die nicht immer gerecht sind. Die Gesellschaft Dubais ist, grob gesagt, dreigeteilt: An der Spitze der Pyramide stehen die Einheimischen, im Durchschnitt die reichsten Bürger der Welt, allein 60.000 von ihnen sind Millionäre. Arbeit verstehen viele von ihnen


Oben: Flanieren, shoppen – und immer das Handy dabei. Im Einkaufspalast Dubai Mall im neuen Stadtteil „Downtown“. Links und rechts: Kaffeekränzchen modern und traditionell. Dort Libanesinnen im Luxushotel Burj al-Arab, hier eine Herrenrunde am alten Hafen.


Oben: M채nner Hand in Hand? In arabischen L채ndern ein Zeichen der Freundschaft. Unten links: Dubais Herrscher und Vision채r Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum. Unten rechts: Shopping im Minirock, Mittagessen im Familienkreis in emiratischen Gew채ndern.

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Luxus und linsensuppe zu Besuch im BUrj al-arab Es ist vielleicht das luxuriöseste Hotel der Welt: Sieben Sterne hat die Direktion des Burj al-Arab, des „Turms der Araber“, ihrem Haus selbst zuerkannt, obwohl die internationale Hotelklassifikation nur fünf Sterne kennt. Doch im Burj al-Arab, der vor Dubais Küste auf einer künstlichen Insel thront, ist alles noch eine Spur luxuriöser als anderswo. Zwischen 1.000 und 10.000 Euro kostet eine der zweistöckigen Suiten, privater Butler inbegriffen. Tagsüber von außen wie ein wei-

niertesten Spitzenköche, die sich an die orientalisch-europäische Fusion (das arabische Wort dafür heißt Indimaadsch) herangewagt haben, ist der gebürtige Kieler Ingo Maaß. Seine Kreationen zerschmelzen auf der Zunge zu völlig neuen Geschmacksnoten (s. Seite 167). Das ist arabischeuropäische Haute Cuisine. Ein weiterer Vertreter der Fusion-Küche ist Uwe Micheel, aus Celle stammender Gastrochef der Intercontinental-Hotels in Dubai. Er beschränkt sich bei der Zubereitung der ohnehin stark gewürzten emiratischen Gerichte wie Madschbuus (s. Seite 168) allerdings darauf, sie nur sparsam zu ergänzen und vor allem ästhetisch anzurichten – getreu dem Motto „das Auge isst mit“. Der ursprüngliche Geschmack, darauf beharrt er, muss erhalten bleiben. Das bedeutet für ihn, dass er lieber verhalten und authentisch würzt als zu viel. Dazu passt, dass Micheel wie viele Spitzenküche in Dubai auf die Frage nach seinem Lieblingsgewürz sofort den Safran nennt. Dieses teuerste Gewürz der Welt, von dem das Kilo in Europa zwischen 2.000 und 10.000 Euro, in Dubai jedoch nur 150 Euro kostet, wird ausschließlich in feinen Prisen verwendet (s. Gewürz-Essay Seite 52). Wegen des trockenen Klimas müssen neunzig Prozent aller Lebensmittel importiert werden. Die meisten Gemüsesorten kommen aus Syrien, Jordanien und dem Libanon, Äpfel, Melonen und Pistazien aus dem Iran, Erdbeeren und Birnen aus den USA, und Ananas wird aus Neuseeland angeschifft. Dass auch so gut wie alle Köche in Dubai aus dem Ausland kommen, darf nicht verwundern. Zwar besuchen die Einheimischen regelmäßig die vielen Restaurants, doch zählen Jobs in der Küche nicht zu den angesehenen Berufen. Köche werden allzu oft als Dienstleister, nicht als Künstler wahrgenommen. Erst langsam beginnt sich das allerdings zu ändern – auch dank der bayerischen Spitzenköchin Gabriele Kurz: In ihrem vegetarischen Restaurant Magnolia bietet sie regelmäßig Kochkurse für Emiratis an. „Anfangs dachte ich, da kommen nur Ausländer“, erzählt sie schmunzelnd, „aber jetzt rennen mir die einheimischen Frauen die Küche ein. Viele sind begeistert von meinen Bio-Gerichten, weil sie sowas einfach noch nicht kannten.“

ßes Segel im Wind schimmernd, nachts in den Farben des Regenbogens illuminiert, entfacht der Turm von Innen ein wahres Feuerwerk der Farben, das kitschig zu nennen eine Untertreibung wäre: Auf geringelten Teppichen, vorbei an einer knallroten, 10 Meter langen Couch, wandeln Gäste durch das Foyer, in dem stets ein Dutzend Bedienstete in blauen Livreen warten. Auf einer geräuschgedämpften Rolltreppe geht es hinauf in die 300 Meter hohe Haupthalle, die von vergoldeten Säulen gestützt wird, an denen wiederum die blau-gelb-grünroten Balustraden mit den Eingängen der Suiten hängen, riesigen Bienenwaben gleichend. Die Atmosphäre in der Haupthalle ist etwas ganz Besonderes: Die kühle Luft ist unaufdringlich parfümiert, ein Quartett fiedelt dezent im Hintergrund, libanesische Schönheiten kichern über ihrem Eiskaffee, und russische Ehepaare inspizieren die Schaufenster der Juweliergeschäfte. Die Wasserspiele der stufenförmigen Springbrunnen sind so raffiniert, dass man ihnen gut und gerne eine volle Stunde lang zugucken kann. Viele Gäste ziehen es allerdings vor, in ihren Gemächern zu bleiben, wo sie neben riesigen Betten, begehbaren Kleiderschränken und einer kompletten Büroeinrichtung natürlich auch einen herrlichen Blick über das Meer geboten bekommen. Und mitten in diesem Luxusturm serviert das fast 200-köpfige Küchenteam Linsensuppe (s. Seite 165). „Ausgerechnet Linsensuppe!“ mag man zunächst denken, doch schon nach dem ersten Löffel ist klar, dass es dieses alte arabische Gericht, das schon in der Bibel und im Koran erwähnt wird, problemlos mit den Hummern und Filets auf der Speisekarte aufnehmen kann. Erst recht wenn man sie so genießt, wie es John Wood empfiehlt, der ehemalige Chefkoch des Burj al-Arab: „Bei der Suppe ist es wie bei einem guten Wein“, sagt der Engländer. „Man darf sie nicht gleich herunterschlucken, sonst hat man nichts davon. Man sollte die Suppe eine Weile lang im Mund behalten, damit der Geschmack sich ausbreiten kann. Dann schluckt man sie hinunter und

Jeden Tag etwas Neues – auch das ist Teil des Charakters von Dubai. Wie bei einem Teenager eben.

atmet mehrmals durch die Nase ein und aus. So kann das Aroma sich optimal entfalten.“ Noch Fragen? Eben.

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Höchster Genuss – bei Dwayne Cheer im Burj Khalifa Dubai rühmt sich seiner Superlative. Der wichtigste ist 828 Meter hoch, ragt als Nadel aus Stahl und Glas in den Himmel und blinkt nachts wie ein überdekorierter Weihnachtsbaum. Mehr als eine Milliarde Euro soll der Burj Khalifa gekostet haben, schon das darf man getrost einen Rekord nennen. Als derzeit höchstes Haus der Welt ist der Anfang 2010 fertiggestellte Turmbau zu Dubai die spektakulärste Attraktion des sensationslüsternen Emirats. In pfeilschnellen Fahrstühlen sausen Besucher hinauf in die 122. Etage, wo sie von eleganten Damen in Empfang genommen und an ihren (selbstverständlich vorab reservierten) Tisch geleitet werden. Mahagonigetäfelte Wände, Ledersessel, tiefe Teppiche und ein einzigartiger Ausblick über die ganze Stadt – das ist das Reich von Dwayne Cheer. Der neuseeländische Küchenchef steht täglich bis zu 14 Stunden am Herd im At.mosphere, dem „höchsten Restaurant der Welt“ – ist dabei aber sympathisch bodenständig geblieben. „Die Arbeit hier oben ist entspannter als in einem Restaurant dort unten“, sagt er

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Links: Blick aus dem Restaurant At.mosphere im Burj Khalifa. Rechts: Blick aus der Neos Bar im Hotelturm The Address auf den großen Bruder, der mit 828 Metern so hoch ist, dass die Bewohner der obersten Etagen während des Fastenmonats Ramadan „par or­d­re du muf­ti“ ein paar Minuten länger auf das Fastenbrechen warten müssen als die Bewohner der unteren Etagen. Der Koran schreibt Muslimen vor, mit dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang zu beginnen – in den oberen Etagen aber scheint die Sonne länger.

und blickt auf all die anderen Wolkenkratzer herab, die aus dieser Perspektive einer Spielzeuglandschaft ähneln. „Zwar kochen wir für Prinzen und Präsidenten, aber wer erst mal hier oben angelangt ist, hat keine Eile mehr.“ Und dann dieser sagenhafte Arbeitsplatz! Welche Hotelküche hat denn schon Tageslicht und Meerblick? Eben. „Es ist eine Ehre, hier zu kochen“, sagte Dwayne. Dabei hat er ganz klein angefangen. „Als Teenager wohnte ich am Strand und brauchte Geld für ein Surfbrett“, erinnert er sich schmunzelnd, während er eine Birne viertelt. „Also habe ich in einer Fish-and-Chips-Bude gejobbt. Der Chef dort hat mein Interesse am Kochen geweckt.“ Auf eine Hotelfachschule in Neuseeland folgte eine Ausbildung im Londoner berühmten Mayfair Hotel, wo er neben vielen Küchentricks auch die kuriosen Seiten seines Berufs kennenlernte: „Einmal in der Woche kam eins der Spice Girls in unser Restaurant. Wir mussten für ihr Hündchen Huhn kochen, während sie selbst nur rohen Salat knabberte. Ohne Dressing!“, lacht er. „Und für einen anderen Gast haben wir sogar Eichhörnchen gegrillt.“ Die meisten seiner Gäste hier im At.mosphere sind weniger wählerisch, obwohl auf der Karte Köstlichkeiten wie Kaviar und Tartar vom Angusrind stehen. Eines der beliebtesten Gerichte ist Wolfsbarsch auf Sellerie-Püree an Birne (s. Seite 162), und wenn Dwayne das Fischfilet beim Anbraten mit Zeige- und Mittelfinger sanft in die Pfanne drückt, um dann immer wieder die geschmolzene Butter darüber zu löffeln, haben seine Bewegungen etwas Liebevolles. „Kochen ist eine eigene Kultur“, sagt er, „es unterscheidet sich von allen anderen Tätigkeiten. Man braucht Leidenschaft. Auch dann, wenn es mal schnell gehen muss.“ So wie neulich zum Beispiel, als ein saudischer Prinz hereinschneite, unangemeldet natürlich, und zehn verschiedene Vorspeisen bestellte, die nicht auf der Karte stehen – aber zack-zack bitte! „Da sind wir schon ein bisschen ins Schwitzen gekommen“, gesteht der Maître, „aber auch das haben wir überstanden. Unter Druck habe ich die besten Ideen.“ Und, war Seine Hoheit zufrieden mit dem Essen? „Der hat fast seinen Teller abgeleckt“, lacht Dwayne Cheer. „Und am nächsten Tag stand er schon wieder in der Tür.“ So ist das eben mit höchsten Genüssen: Man kann nie genug davon haben.

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Dubai R e z e p t e


Dubai Hauptgericht

WOLFSBARSCH AUF SELLERIEPÜREE AN BIRNE MIT DOLCE-FORTE-SAUCE Nach einem Rezept von DWAYNE CHEER, CHEFKOCH IM RESTAURANT AT.MOSPHERE IM BURJ KHALIFA Personen 4 Zubereitungszeit 1 Std. Zutaten Fisch 4 Filets mit Haut vom Wolfsbarsch (Loup de Mer), ca. 150–170 g Olivenöl Butter 3 TL Zitronensaft Salz Selleriepüree 200 g Staudensellerie, gewürfelt 80 g Butter 200 ml Gemüsebrühe 80 ml Sahne

Zubereitung Selleriepüree Sellerie in der Butter anschwitzen, mit der Gemüsebrühe ablöschen und zum Kochen bringen. Sahne hinzufügen, salzen und köcheln, bis der Sellerie weich ist. Danach pürieren und durch ein Sieb passieren. Mit Olivenöl und Zitrone und eventuell mit Salz geschmacklich abrunden.

Vorspeise

Ananas-Salat Nach Einem Rezept aus dem Al-Maha Desert Resort Personen 4 Zubereitungszeit ½ Std.

1–2 TL Zitronensaft Salz Dolce-Forte-Sauce 2 EL Zucker 400 ml Fischfond 400 ml Hühnerfond 5 Schalotten, klein gewürfelt 5 Knoblauchzehen, grob gehackt

Dolce-Forte-Sauce Schalotten in Olivenöl und Zucker karamellisieren. Knoblauch und Thymian dazugeben. Den Fischfond fast ganz einkochen lassen und mit dem Hühnerfond ablöschen. Zum Kochen bringen und etwa auf die Hälfte einkochen lassen. Wein und Kalbsfond mit Orangenschale, Zimtrinde und Sternanis zufügen. Die gesamt Flüssigkeit bis auf ca. 200 ml reduzieren. Die Sauce durch ein Sieb geben, mit etwas Olivenöl abrunden.

2 Sternanis 600 ml Weißwein

Die Birnen schälen, halbieren und vom Kerngehäuse befreien. In kochendes und gezuckertes Wasser legen und sanft garen. Birnen

Birnen 2 Birnen (frische oder aus der Dose)

Fisch Die Filets leicht mit Zitronensaft bepin-

seln, salzen und in Olivenöl und Butter auf beiden Seiten ca. 2-3 Min. scharf anbraten, dabei das Fett mit einem Löffel immer wieder über den Fisch gießen, damit er saftig bleibt.

Zuckerwasser Anrichten Selleriepüree auf vier Teller verteiDekoration ein paar Salatblättchen oder Zitronenmelisse

162

Saft von 1 Zitrone 1 kleine rote Chilischote, sehr klein geschnitten einige schwarze Oliven, klein geschnitten 1 TL Paprikapulver 1 ½ TL Essig 1 ½ TL Kumin, geröstet (geröstet wird der noch nicht gemahlene Kumin; alternativ kann Salz, Pfeffer Zubereitung

Alle Zutaten miteinander vermischen – fertig.

400 ml Kalbsfond Olivenöl

50 g Frühlingszwiebeln, klein geschnitten

man auch Kuminpulver verwenden)

5 g Thymian 2 Zimtstangen

Zutaten 1 frische Ananas, in kleine Stücke geschnitten

len, die Birnenhälften fächerartig danebenlegen, den Fisch auf das Püree geben und mit der Sauce garnieren. Mit Salatblättchen oder Zitronenmelisse dekorieren.


Nachtisch

Umm Ali Brot-Milch-Auflauf Nach einem Rezept von John Wood, ehemaliger Chefkoch des Burj al-Arab Personen 4 Zubereitungszeit 45 Min. Zutaten 400 g Blätterteig 500 ml Milch 4 EL Zucker 4 EL Pistazien, klein gehackt 4 EL Mandeln, klein gehackt 4 EL Rosinen 4 EL Kokosnuss, geraspelt 4 EL Zimt 125 ml geschlagene Sahne Zubereitung

Leicht ausgewalkten Blätterteig auf einem Backblech bei 180 °C goldgelb backen. Eine Lage Blätterteig in eine ofenfeste Servierschale geben, mit Pistazien, Mandeln, Rosinen sowie Kokosnuss­raspeln belegen und mit Zimt bestreuen. Statt einer großen Servierschale können Sie vier Schalen in der Größe von Suppentellern verwenden. Mit einer zweiten Lage Blätterteig bedecken und Vorgang wiederholen. Es sollten mindestens drei Lagen übereinandergeschichtet werden. Bei der letzten Lage auf Rosinen verzichten, da diese sonst beim Überbacken verbrennen. Zucker in der heißen Milch auflösen, den Blätterteig damit übergießen und ein paar Min. einweichen. Mit geschlagener Sahne überziehen und im Ofen unter dem Grill bei 180 °C leicht überbräunen. Mit einigen Pistazien und Rosinen belegen, mit etwas Zimt bestreuen und heiß servieren.

Hintergrund

Alle arabischen Länder kennen die Sitte, Väter und Mütter liebevoll nach ihren Erstgeborenen zu nennen. Der Vater von Ahmad zum Beispiel heißt dann Abu Ahmad, Vater (von) Ahmad. Umm Ali, das ist die Mutter (von) Ali. Wahr­ scheinlich stammt die Nachspeise, die diesen Namen trägt, ursprünglich aus Ägypten, doch ist sie heute besonders in der Golfregion außerordentlich beliebt. Wer wissen will, warum sie so heißt, bekommt in jedem arabischen Land eine andere Antwort. Hier zwei zur Auswahl:

In der Mamlukenzeit im 13. Jahrhundert gab es im Palast von Kairo eine sparsame Köchin, die nach ihrem erstgebore­nen Sohn Umm Ali hieß. Statt die Essensreste der herrschaftlichen Tafel wegzuwerfen, hob sie diese für ihre Familie auf. Als während einer Belagerung das Essen im Palast ausging, war die Köchin gezwungen, zu improvisieren. Schließlich hatte der Sultan Hunger. Also nahm sie, was sie an Resten finden konnte – hart gewordenes Brot, Milch, ein paar Mandeln und Rosinen – und kreierte daraus ein Gericht, das sie dem Sultan vorsetzen ließ. Natürlich nicht ohne mehrmals wiederholte Entschuldigung für das „kärgliche Mahl“. Der Sultan griff zum Löffel – und war entzückt. Das Restegericht mundete ihm so hervorragend, dass er fortan nichts anderes mehr essen wollte. „Umm Ali, bringt mir das von Umm Ali!“ rief er jeden Morgen und jeden Abend. Und so kam die Mutter von Ali zu Weltruhm, zumindest in der islamischen Welt. Die andere Version lautet folgendermaßen: Umm Ali, die Mutter von Ali, hatte jahrelang glücklich mit ihrem Ehemann zusammengelebt und diesem einen Prachtkerl geboren (eben den Ali), als ihr Mann sich plötzlich in eine junge Tänzerin verguckte und seiner Ehefrau ankün­digte, er werde sie sofort verlassen, um fortan mit der Tänzerin zusammenzuleben. Umm Ali weinte und wusste weder ein noch aus. Doch dann kam sie auf eine geniale Idee. Sie sagte zu ihrem untreuen Ehemann: „Gut, dann geh. Doch vorher gewähre mir noch ein letztes Mahl mit Dir, ich werde ein neues Gericht machen.“ Der Mann willigte ein – und Umm Ali tischte ihm eine Speise auf, die er noch nie gekostet hatte. Er verschlang sie binnen Minuten, so köstlich war sie. „Diese Mischung aus milchgetränktem Brot, Mandeln und Rosinen! Köstlich! Das kannst nur du, Umm Ali!“ rief er. Er vergaß die Tänzerin und blieb seiner Ehefrau fortan treu. Weil ihre Ehe­männer noch umtriebiger sind als früher, ersetzen viele arabische Ehefrauen das harte Brot heute durch den noch schmackhafteren Blätterteig.

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Dubai Leckerbissen ohne Beine Vegetarische Küche bei Gabriele Kurz im Magnolia

Tipp

Gabi Kurz, die selbst keinen Alkohol trinkt, empfiehlt zu ihren Gerichten Kräutertees, beispielsweise Salbei- und Rosmarintee, oder gemischte Fruchtsäfte.

Von japanisch über libanesisch bis mexikanisch – Feinschmecker finden in Dubais Gourmetszene so gut wie jede Geschmacksnote. Aber wer wirklich etwas Einmaliges kosten will, muss zu Gabi Kurz gehen. Die Bioköchin aus dem Berchtesgadener Land leitet seit vier Jahren das Magnolia in der Hotelanlage Madinat Jumeirah, Dubais erstes rein vegetarisches Spitzenrestaurant. „Vegetarische Gerichte werden oft als ‚Sanatoriumsküche‘ belächelt“, sagt die überzeugte Bioköchin in ihrem rasanten, herzerfrischenden Bayerisch, „als seien Tofu und Salat schon alles. Stimmt aber gar nicht! Wir Menschen haben schon so gut wie alles gegessen, was Beine hat – jetzt ist es einfach an der Zeit, dass wir unseren Horizont erweitern. Die vegetarische Küche ist nicht nur gesund, sondern auch

Vorspeise

spannend: Sie steht noch am Anfang, man kann

HELLGRÜNE ERBSENSUPPE MIT HONIG-KARAMELISIERTEN KARDAMOM- KAROTTEN AUF KNUSPRIGEM TEIGBLATT

noch viele neue Gerichte entdecken.“ Und was wäre das zum Beispiel? „Rezepte mit Aloe Vera“, erklärt die Köchin beim Rundgang durch ihren

Nach Einem Rezept von Gabi Kurz, CHECFKÖCHIN IM RESTAURANT MAGNOLIA, HOTEL

Kräutergarten, ignoriert die skeptischen Blicke des

MADINAT JUMEIRAH

Besuchers und säbelt eines der hellgrünen Blätter

Personen 4

ab. Tatsächlich: Gemischt mit Wassermelone und

Zubereitungszeit ca. 1 Std.

Tomate entsteht aus dem Fleisch der Heilpflanze eine leckere Vorspeise. Seit ihrem fünften Lebensjahr ist Gabi Kurz Vegetariern, später leitete sie gemeinsam mit ihrer Mutter fast 20 Jahre lang ein Biohotel. Bis der Anruf eines Headhunters aus Dubai kam. „Erst habe ich mich gesträubt, aber dann bin ich doch hierher geflogen, ich hatte schon immer

Zutaten Suppe 400 g Tiefkühl-Erbsen 300 ml Kokosmilch 400 ml Gemüsefond

Heute ist sie begeisterte Wahl-Dubaierin – und

Kristallsalz Kardamom-Karotten 2 EL zerlassene Butter

entdeckt immer wieder überraschende Parallelen

2 Karotten

zwischen der bayerischen und der südarabischen

Samen von

Kultur: der Weihrauch (dort in den Kirchen, hier in

5 Kardamomkapseln

Wohnzimmern), die Lebensart (man zeigt sich gern in Landestracht), die Traditionsliebe bei gleichzeitiger Begeisterung für neue Technologien. Sogar im Essen sieht sie hier und da Ähnlichkeiten: Erinnert

1 Knoblauchzehe 3 EL Olivenöl 1-1 ½ TL Manukahonig oder ein anderer

denn die Nachspeise Umm Ali (s. Seite 163) etwa

hochwertiger Honig

nicht an den süßen Auflauf „Armer Ritter“? Doch,

Kristallsalz

da ist was dran. Vielleicht ist das auch der Grund,

Pfeffer

warum ihr Restaurant bei Dubais Einheimischen

150 g Filo- oder Yufkablätter

besonders beliebt ist und emiratische Frauen in

(in arabischen oder

ihre Kochkurse pilgern. „Die kommen natürlich ver-

türkischen Geschäften

schleiert“, lacht Gabi Kurz, „aber dann krempeln sie

zu bekommen)

die Ärmel ihrer Abayas hoch und legen los. Und zu Hause bringen sie ihren Angestellten bei, wie man lecker vegetarisch kocht.“ Gibt es eine schönere Form des Kulturaustauschs?

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Die Erbsen im Gemüsefond mit Kokosmilch 3 Min. kochen. Koriander, Olivenöl und Erbsen mit Gemüsefond und Kokosmilch im Mixer pürieren und durch ein Sieb passieren. Mit Salz abschmecken.

3 Zweige frischer Koriander

eine Schwäche für Arabien“, berichtet sie. Drei Wochen später übernahm sie das Magnolia.

Zubereitung Suppe

2 EL Butter

Karotten auf Teigblatt Den Backofen auf 200 °C vorheizen. Die Filo- bzw. Yufkablätter in 10 x 5 cm große Rechtecke schneiden und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech legen. Mit zerlassener Butter bestreichen und 5–8 Min. bei 200 °C knusprig backen. Die Karotten mit einem Sparschäler in dünne Längsscheiben hobeln. Die Knoblauchzehe und die Kardamomkapseln zerdrücken und unter die Karotten mischen. In Olivenöl und Honig goldgelb ausbacken. Mit Salz abschmecken. Die Karottenstreifen auf den noch warmen Filoblättern arrangieren und mit der Suppe servieren.


Vorspeise

KAMUT-CANNELLONI MIT RICOTTA-THYMIAN-FÜLLUNG UND TOMATEN-PAPRIKA-NAGE Nach Einem Rezept von Gabi Kurz, CHECFKÖCHIN IM RESTAURANT MAGNOLIA, HOTEL MADINAT JUMEIRAH Personen 4 Zubereitungszeit ca. 90 Min. Zutaten NUDELTEIG 200 g Kamutmehl (erhältlich in Allnaturaund anderen Bioläden. Falls Sie Kamut nur als ganze Körner

Zubereitung Nudelteig Kamutmehl, Eier und Olivenöl mit einer Prise Salz zu einem geschmeidigen Teig kneten. Den Teig in Klarsichtfolie einhüllen und bei Zimmertemperatur 30 Min. ruhen lassen. Inzwischen die Füllung und die Nage vorbereiten.

erhalten, lassen Sie sich diese so fein wie

Füllung Die Zwiebel und die Knoblauchzehe

möglich mahlen)

schälen und klein schneiden. Den Thymian fein hacken. Alles zusammen im Olivenöl anschwitzen, die Semmelbrösel dazugeben und kurz mitrösten. Vom Feuer nehmen und abkühlen lassen. Parmesan mit Ricotta mischen, die Semmelbröselmischung unterheben und mit Salz und Pfeffer abschmecken.

2 Eier 1 EL Olivenöl FÜLLUNG 250 g Ricotta 2 gehäufte EL Vollkornsemmelbrösel 30 g Parmesan, gerieben ½ Bund Thymian 1 Zwiebel

Nage Die Paprikaschote und die Tomaten im Gemüsefond 15 Min. garen. Alles im Mixer pürieren und durch ein feines Sieb passieren. Mit den Gewürzen und Olivenöl abrunden.

Hauptgericht

Schorbat Addas Linsensuppe

1 Knoblauchzehe

Nach einem Rezept von John Wood,

4 EL Olivenöl

Canelloni Den Nudelteig dünn ausrollen, in

ehemaliger Chefkoch des Burj al-Arab

Kristallsalz

Quadrate von 15 x 15 cm schneiden und diese 4 Min. in siedendem Wasser garen. Mit einem Sieblöffel herausnehmen und in Eiswasser abschrecken. Die Füllung auf die Nudelblätter verteilen und eng einrollen. Die Rollen in 3 cm dicke Scheiben schneiden und im Ofen bei 200 °C 5–7 Min. backen.

Personen 4

Pfeffer NAGE 2 Tomaten 1 rote Paprikaschote, entkernt

½ TL Zucker 1 TL Zitronensaft

Gemüse Die Zuckerschoten und den Spinat in Olivenöl kurz anschwitzen, die Oliven dazugeben und mit wenig Salz abschmecken.

100 g Blattspinat,

Anrichten Die Nage in tiefe Teller füllen. Die Gemüse darauf verteilen, dann je Teller 4-5 Nudelrollen daraufstellen.

4 grüne Oliven in Scheiben 2 EL Olivenöl Kristallsalz

1 mittelgroße rote Zwiebel, klein gehackt gehackt 1 kleine Kartoffel, klein gewürfelt Tomate, gewürfelt 1 l Hühner- oder Gemüsebrühe,

Zubereitung

Zwiebel, Knoblauch, Kartoffel und Tomate andünsten, Kumin und Koriander unter ständigem Rühren zugeben, danach die Linsen und die Brühe. Nach dem Aufkochen Hitze reduzieren und die Suppe ca. 40 Min. köcheln. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Alle Zutaten im Mixer oder mit dem Pürierstab pürieren. Sollte die Suppe zu dickflüssig sein, mit Brühe strecken. Heiß servieren. Geröstetes Brot sowie Crème fraîche auf die Suppe geben und mit Zitronensaft beträufeln.

1 EL Kumin

geputzt aus ca. 250 g 30 g Zuckerschoten

250 g gelbe Linsen

1 mittelgroße

Kristallsalz, Pfeffer Gemüse

Zutaten

2 Zehen Knoblauch,

200 ml Gemüsefond 2 EL Olivenöl

Zubereitungszeit 1 Std.

HINTERGRUND

Kamut ist besonders nährstoffreich, enthält mehr Vitamine, Mineralstoffe und Eiweiß als andere Weizensorten. Er stammt vermutlich aus dem Alten Ägypten und wurde erst in den 1980er-Jahren wiederentdeckt.

1 EL Koriander­pulver, frisch zerstoßen 2 EL Butter oder Olivenöl Salz, Pfeffer

Tipp

Für das geröstete Brot eignet sich am besten dünnes arabisches Fladenbrot, das in kleine Stücke gebrochen und mit etwas Olivenöl in der Pfanne geröstet wird. Übrige Fladen lassen sich gut einfrieren.

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K a ff e e h a u s – O r t d e r E n t s p a n n u n g u n d d e s G e n u s s e s Kaffee beim Kartenspiel oder Cola beim Flirten – die arabische Kaffeehauskultur schwankt zwischen Tradition und Moderne.

Falsch gespielt wird nicht, aber Kontrolle ist besser: Herren­runde im Damas­zener Hedschaas-Café.

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Der Ort der Entspannung liegt im Zentrum des Trubels: Zwischen dem Hedschaas-Bahnhof und der Telefonzentrale führen einige Stufen auf eine von Tüchern und Ranken beschattete Terrasse, auf der Holztischchen um zwei Spring­brunnen gruppiert sind: das Hedschaas-Café in Damaskus, eines der typischsten Kaffeehäuser der arabischen Welt. Natürlich gibt es auch hier den neonbeleuchteten Innenraum mit maximal aufgedrehtem Fernsehapparat an der Decke, doch draußen auf der Terrasse zählt solch moderner Schnickschnack nichts. Hier frönt das männliche Geschlecht stundenlang dem Müßiggang, spielt Karten, Domino und das mit dem europäischen Backgammon verwandte Taule, schlürft Tee oder Kaffee und schmaucht ägyptische Wasserpfeifen (Argiile oder Schiischa) – gesüßter und mit Obst-aromen versetzter Tabak (Mu’assal) für die jungen Männer, trockener Pfeifentabak (Timbaak Bahraini) für die älteren Herren. Ein verhutzeltes

jetzt!“ Abu Firas bringt noch einen Tee, und dann ist der Fall erledigt. Schließlich sind die Damaszener stolz auf ihre Gelassenheit. Diese Szene hätte so ähnlich auch in einem Café in Kairo oder Alexandria spielen können. Das Kaffeehaus ist nach der Moschee und dem Suq der drittwichtigste öffentliche Ort vieler arabischer Städte, Kontaktbörse und Zweitwohnzimmer in einem – allerdings zumindest in den Altstädten hauptsächlich für Männer. Moderne Cafés in schicken Neubauvierteln dagegen werden von Jugendlichen überschwemmt, nicht selten sogar von mehr Mädchen als Jungen. Ausgenommen die ägyptischen Großstädte, in denen an jeder dritten Ecke ein Kaffeehaus wartet, und die tunesischen Cafés mit ihren bunten Kacheln, sind die traditionellen arabischen Kaffeehäuser vielerorts vom Aussterben bedroht. Die junge Generation will im Café nicht Tee, sondern Cola trinken,

und immer todtraurig dreinbli-ckendes Männlein namens Chalil, das seit 1956 Tag für Tag zuverlässig wie ein Uhrwerk die Taule-Bretter verwaltet, bringt einer Herrenrunde ein Spiel, kassiert für die zwei winzigen Würfel die Leihgebühr von umgerechnet 15 Cent und schlurft dann zum nächsten Tisch. Die beiden Chefkellner Abu Ramsi und Abu Firas servieren Tee, und schon kann es losgehen: Zwei Männer spielen, vier schauen zu und erteilen fachmännischen Rat. Plötzlich ruft der eine Spieler: „He, du schummelst!“ – „Was sagst du? Ich habe deinen Stein gefangen!“ – „Das ist nicht wahr, du spielst falsch!“ – „Waaas? Lügner!“ – „Schuft!“ – Klacklack! wirft Streithahn Nummer eins die Würfel auf das Brett. Zack! knallt Nummer zwei die beiden Bretthälften zusammen. Von den anderen Tischen, wo man die Szene amüsiert verfolgt, ertönen Ermahnungen: „Kinder, Schluss

Musikvideos statt Taule-Spieler sehen und vor allem vorsichtige Annäherungsversuche an das andere Geschlecht wagen, statt ausschließlich von Männern umgeben zu sein. In der aufstrebenden jordanischen Hauptstadt Amman sind deshalb alle alten Kaffeehäuser – wie das Café Central und das legendäre Café Arabische Liga – pleite gegangen, während im Westen Ammans ebenso wie in Beirut die Filialen amerikanischer Coffeeshop-Ketten aus dem Boden schießen. Der berühmte Geschichtenerzähler Abu Schaadi im Damaszener Café Naufara hinter der Umayyaden-Moschee ist mittlerweile zu einem Touristenunterhalter herabgesunken und das Hedschaas-Café wird von einem gigantischen Bahnhofsneubau bedroht. Was geschieht dann mit Chalil, Abu Firas und Abu Ramsi? Vielleicht finden sie Arbeit im Café Beit Jabri, das entgegen der Modernisierungstendenz von einem


Abkömmling einer berühmten Damaszener Bürger­familie im Altstadt-Palais der Sippe eröffnet wurde. Allerdings beruhen solche Gegenentwürfe zum vorherrschenden Trend auf viel persönlichem Engagement. So war es schon zu Beginn der Kaffeehauskultur. Nachdem an verschiedenen Orten in Ägypten und der Levante Zirkel von Kaffeetrinkern entstanden waren, eröffneten zwei couragierte Syrer, Damaszener der eine, aus Aleppo der andere, 1554 das erste Café der osmanischen Hauptstadt Istanbul, das bald zu einem Treffpunkt für Intellektuelle wurde und schnell Nach­ahmer fand. Hier wurde gespielt, gedichtet und debattiert, was strenge Islamgelehrte auf den Plan brachte, die gegen die „Orte des Aufruhrs“ wetterten, an denen der Herrscher offen kritisiert werde. Sultan Murad IV. ließ deshalb Mitte des 17. Jahr­hunderts alle Kaffeehäuser schließen und den Kaffeegenuss verbieten, doch war der Kampf schon längst verloren. Kurze Zeit später wurde Kaffee wieder in den Straßen ausgeschenkt, und die Rechtsgelehrten sahen sich genötigt, seinen Genuss für „weder ge- noch verboten“ zu erklären. Von Istanbul aus trat der Kaffee zunächst im ganzen Osmanischen Reich, dann in Europa seines Siegeszug an, weshalb er heute oft türkischer statt arabischer Kaffee genannt wird. Aber was macht den Reiz dieses schwarzen Getränks aus, ohne den die arabische Kaffeehauskultur so nicht entstanden wäre? Es waren islamische Mystiker (Suufis) aus Südarabien, die im 13. Jahrhundert die schwarzen Bohnen eines seltsamen

ost­afrikanischen Strauchs gemahlt und zu einem starken Sud aufgebrüht hatten, der es ihnen erleichterte, während ihrer nächtlichen Meditationen wach zu bleiben. Bald wurde für dieses im wahrsten Sinne mystische Getränk der Name Qahwa geläufig, der in der altarabischen Dichtung noch Wein bezeichnet hatte. Die Rituale der Suufis verliehen dem Kaffeetrinken seinen zeremoniellen Charakter, und schon bald wurden die grünen oder schwarz gerösteten Bohnen aus der jemenitischen Stadt Mocha (daher die Bezeichnung Mokka) von muslimischen Pilgern zunächst auf der Arabischen Halbinsel, dann in Ägypten und der Levante verbreitet. Dieser heute Arabica genannte Kaffee ist die älteste Sorte der Welt. In den meisten arabischen Ländern wird das wertvolle Pulver nur in kleinen Mengen aufgebrüht: auf der

Oben: Der damaszener Geschichten­ erzäh­ler Abu Schaadi bringt ab und an Wasserpfeife rauchende Zuhörer zum Staunen. Unten: Die Jugend erzählt sich ihre Geschichten lieber bei Musikvideos auf dem Flatscreen oder im Internet.

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Welche Schleckerei darf’s denn sein? Üppig, üppiger, am üppigsten – die Auswahl an Süßem ist riesig: ob an Bonbons in Damaskus, Syrien (links), oder an Nougat in Fès, Marokko (gegenüber oben).

Arabischen Halbinsel und im Maghreb immer bitter (Murr), in Ägypten und der Levante entweder ohne Zucker (Sa’ad), gerade richtig gesüßt (Wassat beziehungweise Mas­buut) oder sehr süß (Heluu). Kaffee wird immer frisch zubereitet und gilt bis heute als Symbol der Gastfreundschaft und der Respekts­bezeugung, was auf die Beduinen zurückgeht, die ihren Gästen nur das Beste anbieten. Traditionell würzen die Beduinen den Kaffee mit schwarzem Kardamom, Kenner verwenden auch Orangenblütenwasser oder Zimt, allerdings in winzigen Mengen, und fügen den rund dreihundert Aromen der geröste­ten Kaffeebohne so noch einige Geschmacks­ nuancen hinzu – ein wahrer Genuss! (S. auch den Exkurs Wo Kaffeekochen zwei Stunden dauert, Jordanien, Seite 189, und das Rezept für Minzetee, Marokko, Seite 44.)

Die Süsse des Orients In der orientalischen Esskultur spielt Süßes schon viel länger eine Hauptrolle als im Okzident. Aufgrund des hohen Zucker­ gehalts der beiden wichtigsten Früchte ihres Kulturraums, Datteln und Feigen, waren die arabischen Völker seit eh und je an Süße gewohnt. Reiche versüßten sich ihre Speisen auch durch Honig, der seit dem 6. Jahrtausend v. Chr. im Orient genossen wird. Vielen Arabern gelten Süßigkeiten und süße Früchte als Träger der Baraka, des göttlichen Segens, wes-

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halb sie bei Festen nicht fehlen dürfen. Feigen symbolisieren Frucht­barkeit und werden jungen Frauen geschenkt. Datteln bringen Glück und Wohl­stand, weshalb man sie frisch vermählten Paaren zusteckt. Auch der erste Happen, den die Menschen nach Sonnen­unter­gang im Ramadan zu sich nehmen und der den Magen auf den folgenden Ansturm von Speisen vorbereiten soll, ist eine Dattel. Andererseits sagt man geizigen Gastgebern nach, sie würden vor dem Mahl kandierte Datteln servieren, damit die Gäste hinterher nicht mehr so viel essen können. Im Mittelalter diente Zucker den Mächtigen als Statussymbol. So soll ein abbasidischer Kalif zum Fest des Fastenbrechens eine Moschee aus Zucker errichten haben lassen, die dann von Bettlern aufgegessen wurde. Süße Backwaren wurden bereits Anfang des 8. Jahrhunderts auf ägyptischen Märkten angeboten. Die Araber übernahmen vieles von den Persern, die zum Beispiel aus Mandeln, Zucker und Rosenwasser einen Vorläufer des Marzipans mischten. Am Hof der persischen Sassaniden (3.–7. Jahrhundert) waren Frucht­gelees sehr beliebt. Von den Chinesen lernten die Araber eisgekühlten Fruchtsirup kennen, den sie Scharbaat nannten. Über das türkische Şerbet kam das Wort bei den Europäern als Sorbet an – der Vorläufer von Speiseeis. Die osmanischen Konditoren übten den nachdrücklichsten Einfluss auf die arabischen Süßigkeiten aus: Baqlawa, die „Wonne des Schlundes“ aus Blätter- bzw. Filoteig, Rosen-


wasser, Zuckersirup und Nüssen, wird in allen arabischen Ländern vernascht. Hierbei gilt: je süßer, desto schlechter die Qualität. Denn mit mehr Zucker wiegen knickerige Konditoren die geringere Menge teurer Nüsse auf. Nach dieser Faustregel müssten die meisten arabischen Zuckerbäcker geradezu als Pfennigfuchser bezeichnet werden … Sehr süß sind auch die aus frittiertem Zuckersirup geformten „Fensterchen“ (Schebbakiiya oder Muschabbik), die im marokkanischen Ramadan ebenso unverzichtbar sind wie auf dem Fest zu Ehren des ägyptischen Volksheiligen Sayyid al-Badawi, zu dem sich jedes Jahr Zehntausende in Tanta im Nildelta versammeln. Weniger mächtig sind die ostarabischen Sesam- oder Mandelplätzchen (Baraase’, s. Syrien, Seite 226), die manche Nasch­katzen mit Ingwer, Kardamom oder Pfeffer verfeinern. Delikat sind die arabischen Nachspeisen auf Milch­basis, etwa Umm Ali (s. Seite 163) und die marokkanische Mandel­­-Pastilla (s. Seite 43). Häufig tragen arabische Süß­speisen Namen, die erkennen lassen, von wem oder für wen sie einst erfunden wurden – etwa Luqmat al-Qaadi, der „Happen des Richters“: frittierte, in Honig getauchte Grießröllchen. All diese Leckereien sind aus der arabischen Küche nicht wegzudenken, was ein syrisches Sprichwort treffend beschreibt: „Es gibt einen Platz im Magen, der kann nur mit Süßigkeiten gefüllt werden.“ (s. auch die Kapitel Syrien, Jordanien, Libanon und Tunesien.)

Rechts: Rosenblütenmarmelade: Am besten schmeckt sie, wenn sie aus Damaszener-Rosen zubereitet ist.


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Jordanien

Kulinarisches Erbe der Beduinen und die Kunst des stĂźrzens

Westlich und Ăśstlich des Jordans treffen levantinische und urarabische Kochkultur aufeinander.

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Jordanien 7:30 Uhr, Zeit fürs Frühstück. Wer außer Haus arbeitet,

Seite 174: Joghurt mit Minze zählt zu den beliebtesten palästinensischen Gerichten. Seite 175: Blick durch die Schlucht (Siq) auf das sogenannte Schatzhaus in der ehemaligen nabatäischen Hauptstadt Petra in Südjordanien. Vorhergehende Doppelseite: Beduinen beim Abendessen nahe Petra. Unten: Seit 50 Jahren verkauft ein Sudanese im Zentrum von Amman „sudane­sische Nüsse“ – wie Erdnüsse auf Arabisch heißen.

trifft sich gerne mit Freunden in einem der Frühstückslokale von Amman. „Ayyad, grüß dich!“ – „Ah, Hatim! Setz dich zu uns!“ Stühlerücken und ein herzlicher Handschlag. Schon kommt ein blau gewan­deter Kellner und reicht jedem in der Runde ein Fladenbrot. Dann verteilt er mehrere Schüsselchen auf dem Tisch: Hummus (Kichererbsenpüree), Paprika mit Zitronensaft, Falafel, Gurke, Schafskäse, Sa’tar (Thymianpaste) und Schatta, eine scharfe Chilisauce, die der tunesischlibyschen Hariissa und der marokkanischen Scharmuula ähnelt. Schließlich bringt er noch zwei palästinensische Spezialitäten: Musabbaha („Das, mit dem man Gott preist“), ein Hummus, bei dem die Kichererbsen nicht gänz­lich zermahlen sind und zudem mehr Zitronensaft abbekommen. Und das köstliche Fette aus Fladenbrot, Hum­mus, Zitronensaft, Salz, Kumin und – sehr wichtig fürs Aroma! – geröstete Mandeln. Frühstücken die jordanischen Männer allein oder zu zweit, gönnen sie sich meist nur eines dieser Kaltgerichte. In größeren Runden aber wird mehr bestellt. Leute kommen und gehen, keiner bleibt viel länger als eine Viertelstunde. Hinter seiner Theke steht der Chef Abu Hasim und füllt emsig mit einem langstieligen Schöpflöffel Bohnen aus einem Metalltopf in braune Tonschüsselchen, um so rasch wie möglich die knurrenden Mägen der Kunden zu füllen. Mit der anderen Hand klatscht er Hummus und Fette auf Tellerchen. Während der Kellner ihm diese unter der Hand wegzieht, würzt er sie noch schnell mit Petersilie, Kumin, Zitronensaft und Mandelsplittern – „Halt! Nimm gleich noch ein zweites Fette für Ayyad mit, das mag er so gerne!“ An seinem Stehpult neben der Tür spielt der Kassierer mit seinen Dinaren. Hinten im Lokal finden die Kunden ein Waschbecken, an dem sie sich vor und nach dem Essen die Hände waschen. Meist kühlt ein Deckenventilator die Luft. Auf den Plastik- oder Metalltischen stehen neben den obligatorischen Fladenbrotkörbchen, Serviettenspendern, dem Pfeffer, Salz und manchmal roten Pfeffer meist auch eine Metallkanne mit Wasser und Metall­becher, die nach Gebrauch ausgewaschen werden. So ähnlich sehen fast alle einfachen Lokale in der arabischen Welt aus. Und fast immer hängen an den Wänden fromme Sprüche, Fotografien des Jerusalemer Felsendoms oder von

schneebedeckten Schwarzwald-Landschaften – und natürlich ein Bild des jeweiligen Herrschers, hier in Amman von König Abdallah. Jordanien ist ein Kunstprodukt. Wie so viele arabische Staaten wurde es um 1920 von den Briten mit dem Lineal auf der Landkarte entworfen und bekam kurzerhand ein haschemitisches Königshaus eingepflanzt. Anders als in Syrien oder dem Libanon finden sich in Jordanien – das als Teil der Levante zwar ebenfalls zum Kulturraum des Fruchtbaren Halbmonds gehört, aber wegen seines überwiegend trockenen Klimas


Oben: Chef Abu Hasim teilt aus. Links: Typisches jordanisches Fr端hst端ck mit Fette (Mitte).

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Jordanien meist abseits des politischen und gesellschaftlichen Geschehens lag und lange Zeit nur sehr dünn besiedelt war – nicht viele Spuren einer eigenständigen Landestradition. Das gilt auch für die Küche. Gleichwohl lassen sich zwei kulinarische Grundlagen ausmachen. Die eine ist palästinensisch: Rund sechzig Prozent der fünf Millionen Einwohner Jordaniens sind palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen aus den arabisch-israelischen Kriegen der Jahre 1948, 1967 und 1973. Kein Wunder also, dass Jordanien und Palästina heute kulinarisch kaum zu trennen sind. Die zweite Grundlage geht auf die Beduinen der Arabi­schen Halbinsel zurück und ist damit in gewisser Weise doch so etwas wie „urjordanisch“, wenn man bedenkt, dass die Hasche­miten einst aus Mekka kamen. Diese Esskultur kommt nicht nur der heutigen saudi-arabischen, sondern auch der altarabischen sehr nahe, die weit in die Zeit vor dem Islam zurückreicht. In Amman, der modernen Hauptstadt im Norden des Landes, hat sich vor allem die palästinensische Küche, bereichert durch Einflüsse aus Syrien und dem Libanon, durchgesetzt. „Kommt, wir gehen ein Schawaarma essen!“, ruft Ayyad seinen Freunden zu, dabei hat er noch nicht mal das Frühstück verdaut. Egal, bei Abu Samir muss man einfach einkehren, schließlich verkauft er in seinem Stehimbiss Riim (Gazelle) das beste Schawaarma der ganzen Stadt. Natürlich mit Knoblauchsauce, für Ayyad bitte gleich zwei Löffel! Groß wie ein Weinfass sind die Schaf- und Rindfleischlappen zu einem 30 Kilogramm schweren Berg übereinander geschichtet, der sich gemächlich vor den Glühstäben um die eigene Achse windet. In Europa kennt man das Prinzip vom türkischen Döner Kebaab. Aber wohl in kaum einem Imbisslokal Europas ist von einem 30-Kilogramm-Fleischberg abends kein einziges Häppchen mehr übrig. Das gibt es nur bei Abu Samir – und zwar jeden Tag. Deshalb also hatte es Ayyad so eilig … Zwischen zwei Bissen schwärmt er, dessen Eltern aus dem Westjordanland stammen, von der palästinensischen Küche: „Das ist wirklich eine der leckersten Kochtraditionen rund ums Mittelmeer!“ Dabei ist die palästinensische Küche im Vergleich zu den verfeinerten Kochkünsten des Libanons und Syriens eher einfach. Im Wesentlichen besteht sie aus Tabiich, GemüseFleisch-Eintöpfen mit Joghurt- oder Tomatensauce, die mit Reis gegessen werden, oder aus Mahschi, mit Reis oder Fleisch

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gefülltem Gemüse – eine Tradition, die auf die Osmanen zurückgeht und nicht nur in der Türkei, sondern in der gesam­ten Levante weitverbreitet ist. Das wohl beliebteste palästi­nensische Gericht, das auch in Syrien und dem Libanon, wo ebenfalls viele palästinensische Flüchtlinge leben, gern gegessen wird, ist Maqluube (in Großstädten auch Ma’luube genannt, s. Seite 192). Sein Name bedeutet nicht von ungefähr „Umgestürztes“: Lammfleisch, Reis, Auberginen und manchmal Blumenkohl schmoren in einem Topf vor sich hin, der anschlie­ßend auf eine Servierplatte gestürzt wird – ein Handgriff, der gekonnt sein will und nicht immer

gelingt. Mit Mandeln und Pinienkernen bestreut und von der obligatorischen palästi­nen­sischen Joghurtsauce begleitet, ist der so geformte „Kuchen“ ein Hochgenuss und kann ein schöner Auftakt für die beliebte Qailuula sein, die kurze Pause am Nachmittag. „Mach mal ein Päuschen, denn der Teufel ruht nie!“, zitiert Ayyad ein gängiges palästinensischjordanisches Sprichwort, das Arbeitswütigen entgegengehalten wird. Denn wer zwischendurch rastet, der ist später besser gegen Stress, Streit und Böses gewappnet. Nach­druck verschafft dem ein zweiter Spruch: „Das Essen der Männer ist wie ihre Taten“ – wer viel isst, kann später viel Gutes tun.

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Wo Kaffeekochen zwei Stunden dauert

Diese Zeremonie ist etwas ganz Besonderes und sie ist jahrhundertealt: Wenn die Beduinen im südjordanischen Waadi Ram Kaffee zubereiten, dann verrichten sie Hand­griffe, wie es schon ihre Ahnen taten. Mit dem, was man in Europa Kaffee nennt, hat der beduinische Qahwe Murr, der „bittere Kaffee“, nicht viel zu tun. Seine Zubereitung kann gut und gerne zwei Stunden dauern und ist für jeden Gast eine Ehre. Zunächst wird im oder vor dem Zelt ein Feuer entzündet. Der Beduine facht es an, indem er sich daneben hockt und ihm mit seinem Ganz­körpergewand, dem Thoob, Luft zufächert. Dann nimmt er eine Röstpfanne mit langem Holzstil zur Hand, legt eine Handvoll grüner Kaffee­bohnen hinein und röstet diese über dem Feuer. Dabei wendet er die Bohnen ständig mit einer Metallkelle, die durch eine Kette mit der Röst­pfanne verbunden ist. Die zwanzig­minütige Röstzeit mag der Zeremonienmeister sich mit einer gesummten Melodie versüßen. Sind die Bohnen schließlich braun, werden sie in einen Mörser gefüllt. Dieser besteht meist aus einem Holzblock mit einer tiefen Kuhle, in die der meterlange Holzstössel genau hineinpasst. Der Beduine steht auf und stampft den Stössel immer wieder auf die Bohnen, deren verlockender Duft sich bald verbreitet. Mehrfach schnuppert er am unteren Ende des Stössels, um zu prüfen, ob das Aroma schon stimmt. Je kleiner die Bohnen zerstampft werden, desto besser schmeckt später der Kaffee. Das Kaffeepulver wird nun in einen Henkeltopf mit Wasser gefüllt und über dem Feuer aufgekocht. Währenddessen zeigt der Gast­geber dem Gast eine Handvoll Kardamomkerne, damit dieser sich von der guten Qualität überzeugen kann. Dann zerstampft er auch den Kardamom und füllt ihn ebenfalls in die Kanne. Und dann, endlich, ist es so weit. Der Beduine füllt den fertigen Kaffee in eine Servierkanne aus Metall und schenkt daraus in kleine Trinkschälchen jeweils einen Schluck des intensiv duftenden Gebräus. Stark, bitter und sehr aromatisch schmeckt dieser Qahwe Murr. Wünscht der Gast mehr, reicht er das Trinkschälchen offen zurück. Hat er genug, gibt er das Schälchen so zurück, dass es unter der Handfläche verborgen ist, und schwenkt dabei leicht die Hand. Keine einfache Zeremonie – aber eine urarabische.

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Jordanien R e z e p t e


Jordanien Hauptgericht

Maqluube Traditionelles Gericht aus Palästina Nach einem Rezept von Maya al-Ustah,

Zubereitung

Palästinenserin, Damaskus

Fleischstücke kräftig anbraten, Zwiebel zugeben und leicht bräunen. Zimtstangen, Koriander und Hühnerbrühe zufügen, mit 3 Gläsern Wasser auffüllen und ca. ½ Std. leicht köcheln. Mandeln und Pinienkerne goldbraun rösten. Auberginen der Länge nach teilen und in dicke Scheiben schneiden. In Pflanzenöl frittieren, auf Küchen­krepp gut abtropfen lassen. In einem großen Topf Butterschmalz erhitzen und darin Hack­fleisch bröselig anbraten. Mit etwas Pfeffer und Salz würzen. Hitze reduzieren und das Hack­fleisch gleichmäßig auf dem Topfboden ausbreiten. Darauf die Hälfte der Auberginen­scheiben, die Hälfte der Tomatenscheiben, dann die restlichen Auberginen und schließlich die verbliebenen Tomaten schichten. Die Hälfte der Fleischstücke darauf legen und mit 2 Gläsern Fleischsud aufgießen. Salz, Pfeffer, Bhaar und 1 EL Tomatenmark darüber verteilen und mit einem Esslöffel vorsichtig an­drücken. 3 Min. köcheln, damit sich die Aromen vermischen. Abgetropften Reis und restliches Fleisch daraufgeben, glatt streichen und leicht andrücken. 1 Min. lang

Personen 4 Zubereitungszeit 1 ½ Std. Zutaten

blanchiert,

Maqluube

geschält und halbiert

2 ½ Gläser Reis, 1 Std.

1 EL Pinienkerne

in Wasser eingeweicht

1 EL Butterschmalz

500 g Auberginen

2 TL Instant-

2 große Tomaten, in

Hühnerbrühe

Scheiben geschnitten

1 EL Tomatenmark

500 g Lamm- oder

Salz, Pfeffer

Rindfleisch, klein gewürfelt

joghurtsauce

100 g Hackfleisch vom

1 l Naturjoghurt

Lamm oder Rind

bzw. Laban

2 Zimtstangen

4 kleine Feldgurken,

1 Zwiebel, klein

in kleine Stücke

gehackt

geschnitten

1 TL Koriandersamen,

2 Knoblauchzehen,

zerstoßen

gepresst

2 TL Bhaar (s.

3 TL getrocknete

Gewürze, Seite 48)

Minze

100 g Mandeln,

Salz

stark erhitzen. Evtl. noch etwas Flüssigkeit zugeben, damit alles bedeckt ist. Dann im geschlossenen Topf 30–45 Min. bei geringer Hitze garen, bis der Reis weich ist. Zum Servieren einen großen Teller umgekehrt auf den Topf legen, Topf und Teller aneinanderpressen und – der große Moment ist da! – mit einem raschen, aber konzentrierten Schwung umstürzen. Topf vorsichtig abheben und das fertige Gericht mit Mandeln und Pinienkernen bestreuen. Joghurtsauce

Alle Zutaten mischen und

verrühren. Hintergrund

Maqluube, in Großstädten auch Ma’luube oder hocharabisch Maqluuba genannt, bedeutet – es liegt nahe – umgestürzt. Zu diesem beliebten Alltagsgericht isst man neben der Joghurtsauce (Laban) gerne rohes Gemüse, z. B. in Streifen geschnittene grüne Paprika.

Hauptgericht

Mussachan Hühnchenschlegel mit Zwiebel-Summaq-Marinade Personen 4 Zubereitungszeit 1 ½ Std. Zubereitung

Hühnchenteile mit Olivenöl einreiben, mit Salz und Pfeffer würzen und in einer Form mit etwas Wasser ca. 35 Min. bei 225 °C im Ofen garen. Herausnehmen und warm stellen. In der Zwischenzeit Zwiebeln in Olivenöl hellgelb braten und leicht salzen, vom Feuer nehmen und vorsichtig mit 300 ml lauwarmem Wasser aufgießen, anschließend Summaq einrühren. Fladenbrote in die Form legen, in der die Hühnchenteile gegart wurden. Den größten Teil der Zwiebel-Summaq-Marinade auf dem Brot verstreichen, die Hühnchenteile hinzufügen und mit der restlichen Marinade überziehen. Noch einmal 7–10 Min. im Ofen bei 225 °C Oberhitze überbacken. Geröstete Pinienkerne darüberstreuen und mit Joghurt servieren.

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Hauptgericht

Mudschaddara Traditionelles Linsengericht Personen 4 Zubereitungszeit 45 Min. Zutaten 2 Hühnchen à 900 g, in Stücke zerlegt, oder

Zutaten 100 g braune Linsen 200 g Reis

die gleiche Menge

200 g Burghul bzw.

Hühnchenschlegel,

Bulgur (s. Seite 229)

halbiert 750 g Zwiebeln,

80 g Margarine 2 Zwiebeln, in Ringe

grob gehackt

geschnitten

300 ml Olivenöl

Salz, Pfeffer

150 g Summaq (s. Gewürze, Seite 53) Pinienkerne, geröstet 4 kleine arabische Fladenbrote Salz, Pfeffer

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Zubereitung

Hintergrund

Linsen in 3/4 l Wasser bei mittlerer Hitze kochen, bis sie weich sind (ca. 15 Min.). Kochwasser in eine Schüssel abschütten, Linsen zur Seite stellen. Zwiebelringe in Mar­garine bräunen und wieder herausnehmen. Im verbliebenen Fett Reis und Burghul ca. 4 Min. anbraten. 400 ml Linsen-Kochwasser zugießen und 2 Min. kochen. Salzen und pfeffern. Linsen auf das Reis-Burghul-Gemisch häufen und bei sehr geringer Hitze abgedeckt 15 Min. köcheln. Topf von der Koch­stelle nehmen und Inhalt verrühren. Auf einem Teller oder in einer Schüssel mit den Zwiebel­ringen garnieren. Dazu passen Naturjoghurt sowie Tomatenoder Gurkensalat.

Die einfach zuzubereitende Mudschaddara ist ein traditio­nelles Arme-Leute-Gericht, da sie aus billigen Zutaten besteht. Manchmal wird sie statt mit Pfeffer mit 1 TL gemah­lenem Kumin gewürzt, was an jene Zeiten erinnert, als Pfeffer für viele Menschen unerschwinglich war. Sie ist aber nicht nur preiswert, sondern auch sehr kräftigend, weshalb sie besonders von der palästinensischen und der syrischen Land­ bevölkerung geschätzt wird. Die syrischen Bauern haben ihr den Zweitnamen „Knie­stützen“ gegeben, um die Energie anzudeuten, die das Gericht verleiht. Außerdem gilt die Mudschaddara als jenes biblische Linsen­gericht, für das der hungrige Esau seinem Bruder Jakob die Rechte des Erstgeborenen überließ.

Tipp

Sie können dem Gericht eine ansehnlichere Form geben, indem Sie jeweils eine Portion in eine kleine Schüssel füllen und diese auf den Speiseteller stürzen.

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Zutaten 1 kg Hamour-Fisch (alternativ Schellfisch oder

Hauptgericht

Sayadiiye Fisch mit Sesamsauce aus Aqaba

Kabeljau), in ca. 3 cm dicke Scheiben geschnitten 500 g Langkornreis, gewaschen

Nach einem Rezept von Chefkoch Muhammad Ramadan, Madaba

3 Tomaten

Personen 4

4 Zwiebeln

Zubereitungszeit 1 ½ Std.

1 Karotte 30 g Petersilienstängel 1 EL Tomatenmark 400 ml Fischfond je 1 TL Zimt und Kumin Samen von 1 Kardamomkapsel, im Mörser zerstoßen 1 Lorbeerblatt Zitronensaft 1 Glas Tahiina (Sesampaste) Pflanzenöl zum Frittieren Mandeln und Pinienkerne, geröstet Salz, weißer und schwarzer Pfeffer

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Zubereitung

Fisch waschen, trocken tupfen, mit Zitronensaft beträufeln, beiseitestellen. Tomaten, Karotte, Petersilie und eine Zwiebel, alles grob zerkleinert, sowie Tomatenmark und Gewürze ca. 45 Min. im Fischfond kochen. Das Lorbeerblatt herausnehmen und den Fond pürieren. Abschmecken, evtl. mit Zimt und Kumin nachwürzen. Eine Zwiebel, klein gehackt, in etwas Öl leicht dünsten, Reis zugeben und 5 Min. verrühren. Mit der 1 ½-fachen Menge Wasser auf sehr kleiner Flamme ca. 15 Min. garen. Zwei in Ringe

geschnit­tene Zwiebeln frittieren. Die Fischstücke salzen, pfeffern, in Tahiina wenden und im selben Öl bei 180 °C 4–5 Min. frittieren. Traditionell wird das Gericht auf einer großen Platte für alle Gäste gereicht: Die Fischstücke werden auf den Reis gelegt, mit Sauce überzogen und mit Zwiebelringen, Mandeln und Pinienkernen garniert. Sie können Fisch und Reis natürlich auch getrennt auf Portionstellern anrichten.


Hauptgericht

Kebse Ein Fleischgericht, das in Jordanien und Saudi-Arabien sehr beliebt ist Personen 4 Zubereitungszeit 1 ½ Std. Zutaten 400 g Lamm- oder

3 Luumi, das Innere

Kalbfleisch, in

klein geschnitten

2 cm große Würfel

2 grüne Paprika, in

geschnitten

Streifen geschnitten

2 Tassen Fleischbrühe

Samen von 5

1 ½ Tassen Reis

Kardamomkapseln,

2 EL Margarine

zerstoßen

2 Zwiebeln,

2 EL Gewürzmischung

grob gehackt

aus je ½ TL Chili

3 Knoblauchzehen,

oder rotem Pfeffer,

gehackt

Paprika, Kumin,

3 Tomaten, geschält

Zimt und Kurkuma

und grob gestückelt

4 Lorbeerblätter

1 EL Tomatenmark

Salz

Zubereitung

Hintergrund

Zwiebel und Knoblauch in Margarine anbraten, anschließend das Fleisch. Tomaten, Tomatenmark, Gewürze, Luumi und Salz zugeben, köcheln, bis das Fleisch fast gar ist. Dann gewaschenen Reis, Paprikaschoten, Lorbeerblätter und Fleischbrühe hinzufügen. Alles bei geringer Hitze ca. 20 Min. garen. Nochmals abschmecken. In einer großen Schüssel servieren, aus der – so machen es zumindest die Beduinen – alle Hungrigen gleichzeitig mit der rechten Hand essen.

Kebse ist neben Mansaf und Fatta eines der ara­bischen „Urgerichte“. Die Beduinen auf der Arabischen Halbinsel aßen es, schon lange bevor römische, indische, persische, osmanische und andere Einflüsse die arabische Küche durchdrangen. Das bedeutet auch, dass Kebse ursprüng­lich natürlich mit weniger Gewürzen und Zutaten als hier genannt zubereitet wurde. Dieses Rezept ist jedoch besonders schmackhaft und wird heute in Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten sowie in Jordanien sehr gerne gegessen.

Zubereitung traditionell

Zubereitung als Fusion-Variante

Getrockneten Joghurt waschen, in Stücke brechen und 12 Std. einweichen. Das Fleisch mit Kardamom, Lorbeerblatt, Zwiebel und etwas Salz in ½ l Wasser ca. 30–40 Min. köcheln, so dass es fast gar ist. Fleisch herausnehmen und Brühe sehr stark einkochen. Diese Bouillon mit dem Joghurt aufkochen und abschmecken, Fleisch zufügen und köcheln, bis es ganz weich ist. Reis 15 Min. in heißem Wasser quellen lassen, waschen, abgetropft in erhitzter Marga­rine leicht anschwitzen, mit ca. ½ l Wasser auffüllen und auf kleiner Flamme garen (ca. 15 Min.). Fladenbrot auf eine Platte legen und mit einigen Esslöffeln der Joghurt­sauce einweichen. Darauf den Reis verteilen, obenauf das Fleisch, die restliche Sauce und die Nüsse.

4 Lammrückensteaks à 150–200 g leicht pfeffern und salzen, beidseitig kross braten. 1 Zwiebel leicht bräunen, mit 400 ml Lammfond (aus dem Glas) aufgießen. Mit ½ Lorbeerblatt und den Samen einer Kardamomkapsel langsam zu einem kräftigen Sud fast ganz einkochen, abseihen, mit etwas Sahne (wahlweise kalt aufgeschlagenen Butterstückchen) und Joghurt zu einer sämigen Sauce verarbeiten und abschmecken. Die Steaks mit der Sauce neben dem Reis auf einem Teller arrangieren und mit Mandeln und Pinienkernen bestreuen.

Hauptgericht

Mansaf der jordanische Klassiker Nach einem Rezept von Chefkoch Muhammad Ramadan, Madaba Personen 4 Zubereitungszeit 1 ½ Std. Zutaten 750 g Lammschulter,

1 Zwiebel, grob zerteilt

in Stücke zerteilt

Samen von 3

500 g getrockneter

Kardamom­kapseln,

Joghurt, alternativ

zerstoßen

500 ml Vollmilch­

1 Lorbeerblatt

joghurt

100 g Mandeln und

500 g Reis

Pinienkerne, geröstet

1 arabisches

Salz, Pfeffer

Fladenbrot


Syrien Kulinarischer Kreuzungspunkt der Hochkulturen

Ob raffinierte Fruchtsäfte, gefülltes Gemüse oder zuckersüße Verführungen: Zwischen Damaskus und Aleppo hat sich über Jahrtausende eine abwechslungsreiche Esskultur entwickelt.

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Syrien Durst zu leiden, ist hier schlicht unmöglich. Wer durch den

Seite 199: Blick in den Suq al-Chayaa­ tiin, Damaskus. Vorhergehende Doppelseite: Müßiggänger im Kaffeehaus Naufara in der Altstadt von Damaskus. Unten: Durst zu leiden ist in der alten Oasen­stadt Damaskus unmöglich: Eis­gekühlter Maul­beersaft (Asiir Tuut) ist besonders erfrischend.

Suq von Damaskus schlendert, kann zwischen einem Dutzend schmackhafter Getränke wählen und muss dazu noch nicht einmal ein Kaffeehaus betreten. Alle paar Meter wartet ein in rot-schwarze Tracht gewandeter Wasserverkäufer oder ein mobiler Saftpresser mit seinem Karren. Wer es bittersüß mag, der gönnt sich einen Araquus: Dieser in Metallschälchen gereichte Süßholzsaft erinnert zwar entfernt an Hustensaft, tilgt aber umgehend jeden Durst. Weil er gleichzeitig den Blutdruck erhöht, wird er besonders von Morgenmuffeln geschätzt. Zappelphilippe und Menschen mit sensiblen Herzen halten sich eher an Karkadeh, einen milden Hibiskusaufguss. Mit einem Löffelchen Zucker beruhigt er Körper und Gemüt und reinigt das Blut. Ein beliebtes Erfrischungsgetränk hingegen ist der Tamarindensaft: Die 15 Minuten lang in Wasser gekochten Früchte werden abgeseiht und mit etwas Zucker und einem Tropfen Rosenwasser verfeinert. Wenn dann noch ein Löffel geschabtes Eis hineinkommt, sagt kaum ein Syrer nein. Tamr Hind, indische Dattel, nannten die Araber die Frucht des Johannisbrotgewächses, der Name verbreitete sich, zur Tamarinde verballhornt, bis nach Europa. Konkurrieren kann mit der Tamarinde allenfalls Tuut, die Maul­beere. Deren dunkelroter, geschmacklich an Brombeeren erinnernder Saft ist gekühlt ein Höhepunkt jedes syrischen Sommers. Wer es sich leisten kann, kauft beim Straßenhändler gleich eine ganze Flasche für zu Hause. Frisch gepresster Granatapfelsaft, Asiir Rumaan, ist dagegen oft recht sauer. Die Menschen im Suq schlürfen ihn deshalb gerne in winzigen Schlückchen durch einen Strohhalm. Und wer nach diesem reichhaltigen Angebot immer noch keinen passenden Durst­löscher gefunden hat, der wendet sich an die niedergelassenen Saftpresser, die in ihren Unterständen Orangen, Bananen, Zitronen und Karotten zu köstlichen Cocktails mixen. Weil in ihrer Stadt so viele verschiedene Getränke angeboten werden, verlangen Damaszener nie einfach nur Saft. Tut es doch einmal einer, kommt prompt die scherzhafte Frage zurück: „Welcher Saft? Etwa Asiir Hanafiyaat? – ‚Wasserhahnsaft‘?“ Die Vielfalt verflüssigter Geschmacksnoten ist einer von unzähligen Ausdrücken des facettenreichen kulturellen Erbes in Syrien. So wie zahlreiche traditionell zubereitete

Säfte die syrischen und besonders die damaszener Zungen bis heute verwöhnen, so strotzt das ganze Land von mannigfachen historischen Einflüssen, die sich nicht selten vermischt haben. Der Sirup zahlreicher Hochkulturen hat dieses Land durchflossen, hat die fruchtbare Erde im Westen und die Steinwüste des Ostens getränkt und neben Physiognomien, Bräuchen, Gelehr­samkeit und Bauwerken auch kulinarische Traditionen hinterlassen. Alle prägten sie diese Region – von den Hethitern, Assyrern und Babyloniern über die Phönizier, Aramäer, Perser, Griechen, Römer und Byzantiner bis zu den Arabern, Türken und schließlich den Franzosen und


Briten. Dabei war Damaskus – oft umkämpft, aber nie ganz zerstört – meist das pulsierende Herz der Region. Bilaad asch-Schaam, das Land von Damaskus, heißt das Zentrum des Fruchtbaren Halbmonds noch heute. Bis zum Ersten Weltkrieg umfasste es auch die heutigen Staaten Liba­non, Jordanien und Israel/Palästina. Ausschlaggebend für den kulturellen Reichtum der Region war neben den vielen Handelswegen, die sich hier kreuzten (s. Handels­wege als Lebensadern, Seite 82), die Fruchtbarkeit des Bodens. Das ermöglichte überhaupt erst den Aufstieg

mächtiger Stadtstaaten wie Mari und Ebla, deren Einwohner schon vor rund 5000 Jahren im großen Stil Gerste, Weizen, Feigen und Granatäpfel anbauten. Ein großer Teil des heutigen Ostsyriens gehört zu Mesopotamien, und auch der Rest des Landes wird seit Jahrtausenden von zwei Flüssen befruchtet: Flankiert von grünen Ufern, strömt der behäbige Euphrat über 500 Kilometer lang von Norden kommend in Syriens ansonsten kargen Osten. Im grünen Westen plätschert der widerspenstige Orontes, der als einziger Fluss des Vorderen Orients von Süden nach Norden fließt. So unterschiedlich, wie diese beiden wichtigsten Flüsse des Landes

Welcher Geschmack darf‘s denn sein? Einkäufer im Gewürzmarkt Suq al-Busuriiye in Damaskus.

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Syrien

Rechts: Wasserräder in Hama schöpften einst Wasser aus dem Orontes auf Aquädukte, die es auf die Felder außerhalb der Stadt leiteten. Unten: Ohne Gestik kein Gespräch: in der Altstadt von Damaskus.

und ihr Umland sich präsentieren, so vielgestaltig ist auch die syrische Kultur. Wasser und Kultur sind untrennbar verbunden – dieses uralte Gesetz lässt sich in der westsyrischen Stadt Hama anschaulich beobachten, obwohl dem Orontes inzwischen künstliche Abflüsse und ausbleibender Regen so zu schaffen machen, dass er im Sommer oft zu einem Rinnsal schrumpft. Früher war das anders: Weil der Orontes in einer Talsenke floss (im heutigen Stadtzentrum), ihre Felder außerhalb der Stadt aber deutlich höher lagen, bauten die Aramäer im 1. Jahrhundert v. Chr. ein geniales Bewässerungssystem, das bis in die Neuzeit funktionierte: Über 30 riesige Schöpfräder aus Holz schaufelten das lebenspendende Nass des Flusses auf Aquädukte, die es dann auf die Felder leiteten. Zwar mussten die Wasserräder im Laufe der Zeit ausgetauscht werden, doch drehen sich einige bis heute. Ihr Quietschen, Jammern und Dröhnen erfüllt das ganze Stadtzentrum Hamas. An Sommerabenden, besonders donnerstags und freitags, sitzen die Einheimischen auf den Terrassen der umgebenden Restaurants mit Blick auf die ächzenden Ungetüme und genießen bei einem Fruchtsaft oder dem Abendessen die vom Wasser angenehm gekühlte Luft. Oder sie schlendern mit einer der berühmten Scha’ibiyaat – mit Sahne, Pistazien oder Walnüssen gefüllte Teigtaschen (s. Seite 227) – durch den rund um die Schöpfräder angelegten Stadtpark. Leckereien wie diese erfreuen sich in Syrien größter Beliebtheit: Die Syrer lieben Süßes, und auch das ist Teil des kulturellen Erbes. Lange bevor Europa den Genuss von Süßem entdeckte, süßte man im Vorderen Orient schon mit Honig sowie Früchten mit hohem Zuckergehalt wie Datteln und Feigen. Kein Wunder bei diesem Umfeld: Reiche Ägypter schätzten schon vor 6000 Jahren den Nektar der Honigbienen, am Hof der persischen Sassaniden (3. bis 7. Jahrhundert n. Chr.) schwärmte man für einen Vorläufer des Marzipans, und im 8. Jahrhundert verbreiteten die Araber das Zuckerrohr, das sie in Indien kennengelernt hatten, über den ganzen südlichen Mittelmeerraum bis nach Spanien. Kurze Zeit später naschte man in Bagdads besseren Kreisen in Honig gesottenes Huhn, und im 11. Jahrhundert kritzelte der persische Philosoph, Arzt und Hobbykoch Ibn Sina (Avicenna) zwischen seine hochgeistigen Ausführungen einige gezuckerte


Rezepte. All diese Tafelfreuden blieben keine Geheim­nisse, sondern verbreiteten sich rasch – am schnellsten dort, wo alle Handelswege zwischen den verschiedenen Hoch­kulturen des Fernen und Mittleren Ostens, Afrikas und Süd­europas wie an einem Kulminationspunkt der Kommuni­kation aufeinander trafen: in Syrien. So verwundert es nicht, dass die syrische Kochkunst sich heute zum Teil als eine Verbindung von orientalischen Gewürzen und Kochtraditionen mit antiken Essgewohnheiten darstellt: eine jahrtausendealte Fusion-Küche. Gewürze wie Zimt, Muskat und Pfeffer kamen aus dem Fernen Osten,

Steinöfen wie der auf dem Land bis heute genutzte Tanuur gelangten aus Mesopo­tamien in die Region. Die Sitte, viele verschiedene Gerichte gleichzeitig aufzutischen, hat zwar ebenso indische wie südarabische Wurzeln, wurde aber von den Römern ausgestaltet und hat sich bis heute in den Mese, den beliebten Vorspeisen, erhalten (s. Libanon, Seite 240). Der islamische Gelehrte Muhammad Al-Ghasali berichtet in seiner Schrift Über die guten Sitten beim Essen und Trinken aus dem 11. Jahrhundert, wie ein Syrer einen Iraker bewirtet: Beim ersten Gericht, das der Gastgeber dem Gast vorsetzt, sagt dieser: „Bei uns im Irak wird dieses Gericht immer als

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Nach Mekka und Medina die heiligste Stätte für Muslime: die UmayyadenMoschee in Damaskus.

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Letztes serviert!“ Da antwortet der Gastgeber: „So ist es auch in Syrien“, denn er hat keinen weiteren Gang mehr, den er hätte servieren können. Da schämt sich der Gast. Deshalb sei es ratsam, folgerte Al-Ghasali, dass man alles zugleich auftische. Außerdem würden die Essenden dadurch zu mäßigem Speisen angehalten, weil nicht immer neue Gerichte den Appetit anstachelten. Der kulturelle Aus­tausch funktionierte in alle Richtungen: Nicht wenige Historiker vertreten die These, dass römische Soldaten aus der „Provincia Syria“ das Fladenbrot Pita mit nach Italien brachten. Daraus ist wahrscheinlich zunächst die Focaccia und dann über Umwege in Neapel oder Sizilien die Pizza entstanden. Eine besonders tiefe Prägung erhielt die syrische Küche durch die Osmanen. Darauf deuten sogar noch die Namen vieler Gerichte hin – wie etwa Jalandschi (Lügner), mit Reis (statt Hackfleisch) gefüllte Auberginen und Zucchini, oder die erfrischende Nachspeise Nasali aus Milchpudding und Orangen­sirup (s. Seite 225). Die Kunst, unterschiedlichste Gemüse­sorten mit Reis, Fleisch oder anderem Gemüse zu füllen, wurde von den Osmanen perfektioniert. Wie in der Türkei wird sie auch in Syrien bis heute bewahrt – jedoch fast nur im eigenen Heim. In syrischen Restaurants dagegen werden fast immer dieselben Speisen aufgetragen: Einer großen Auswahl von Muqabbilaat beziehungsweise Mese folgt gegrilltes Fleisch. Der Grund für die fehlende Vielfalt, die

in eklatantem Wider­spruch zum kulinarischen Erbe steht, mag darin liegen, dass Mese und gegrilltes Fleisch (Kebaab, Schiisch Tawuuk etc.) als die feinsten Gerichte gelten – und die möchte man natürlich genießen, wenn man schon auswärts speist und dafür bezahlt. Das bedeutet aber auch, dass man als Ausländer den Reichtum der syrischen Küche nur entdecken kann, wenn man von Syrern zum Essen nach Hause eingeladen wird. Und dort wird dann beherzt zugelangt. Zwar erinnert man sich auch in Syrien eines überlieferten Ausspruchs des Propheten Muhammad, der seinen Anhängern empfahl, den Magen nicht zu überfordern, sondern „aufzuteilen“: ein Drittel für Essen, ein Drittel für Trinken, ein Drittel leer lassen. Doch dass diese Mahnung nicht den Genuss an reichlichem Essen verderben muss, beweisen schon die vielen syrischen Sprichwörter über das Essen: „Er isst wie ein Mann und trinkt wie ein Kamel“, sagt man über beleibte Herren. In die andere Richtung sollte man es allerdings auch nicht übertreiben. Wenn jemand allzu sehr auf seine Linie achtet, vielleicht sogar einen schwächlichen Gesamt­­eindruck macht, dann „isst er nicht wie ein Mann – und ist auch kein Mann“. Im Arabischen reimen sich die Neckereien natürlich. Die Syrer lieben Sprichwörter, und sie hegen diesen Schatz bis heute. Er plätschert im melodiösen syrischen Dialekt des Arabi­schen besonders schön über die Lippen. Kein Wun-


der, dass die Araber anderer Länder über die Syrer sagen, sie würden „singen“. Am schönsten „singen“ die Syrer in Damaskus. Die Hauptstadt ist eine der ältesten Städte überhaupt und zugleich eines der beiden kulinarischen Zentren des Landes. Gerichte wie Jahuudi Musaafir (Burghul mit Kohl und Auberginen, s. Seite 220) oder Zitronenreis zeichnen sich dadurch aus, dass preiswerte Grund­nahrungsmittel raffiniert präsentiert werden. Das gilt ganz besonders für das wichtigste syrische Gemüse, die Aubergine. Ob groß oder klein – die Aubergine ist als eins der Haupt­nahrungsmittel so wichtig, dass sie auch „Fleisch des armen Mannes“ genannt wird. Große Exemplare werden zu Mutabbal (Auberginenmus, s. Libanon, Seite 253) verarbeitet, kleine werden gefüllt. Die Zeit von Juli bis August kennen die Syrer auch als Schahr al-Bedendschaan, Auberginen-Monat, weil sich das frisch geerntete Gemüse dann in den Geschäften und auf den Karren der Straßenhändler zu riesigen schwarz-lila Bergen stapelt. Natürlich gibt es auch dafür wieder ein Sprichwort: „Wenn deine Frau in der Auberginenzeit behauptet, sie habe kein Essen im Haus, dann kannst du dich scheiden lassen.“ Echtes Fleisch wird in Syrien natürlich auch gerne gegessen, ist aber ein Luxus. Meist kommt es vom Hammel oder Lamm, seltener vom Rind. In vielen Gerichten wird es mit Alya vermischt, dem Fett der Fettschwanzschafe, die

allerorts auf dem Land grasen. Die besten Fleischgerichte kocht man allerdings im zweiten Zentrum der syrischen Küche, in Aleppo. Ganz besonders der Aleppiner Kebaab ist konkurrenzlos. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass in der ebenfalls uralten Stadt vorwiegend griechische, römische, türkische und armenische Koch­traditio­nen verschmolzen, die sich alle durch einen delikaten Umgang mit Fleisch auszeichneten. Ob mit Kirschsirup (s. Seite 221), Pista­zien (s. Seite 222) oder Knoblauchcreme – die Aleppi­ ner kennen unzählige Kebaab-Variationen, die nichts mit dem in Europa weitverbreiteten türkischen Döner Kebab zu tun haben. Während Kebaab in Syrien meist auf Spießen gegrillt wird, heißt das geschnetzelte Fleisch für Sandwichs Schawaar­ma. Die in Aleppo ansässigen armenischen Familien haben sich auf die Zubereitung von Bastuurma spezialisiert: Rinderfilet wird 4 Tage lang in gemahlenen Bockshornkleesamen eingelegt und dann abgehangen. In hauchdünne, lichtdurchlässige Scheib­­chen geschnitten, genießt man die scharf-salzige Delika­tesse zu einem Glas Araq, hochprozentigem Anisschnaps. Ge­bra­ten wird Fleisch in Syrien meist in Smen, Butterschmalz aus Ziegen- oder Schafsmilch, das man stärker erhitzen kann als frische Butter. Weil Fleisch so kostbar ist (1 Kilogramm ist kaum billiger als in Deutschland), wiegen die Fleischer es mit Argusaugen ab. Nun ist das mit dem Abwiegen aber so eine Sache. Ein

Morgenstimmung in Palmyra: das Hadrianstor, prunkvoller Zugang zur antiken Handelsstadt der Königin Zenobia in der syrischen Wüste.

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In den Gassen des Lebens Bab Tuuma, morgens um 10.30 Uhr. Das christliche Viertel in der Altstadt von Damaskus erwacht. Zwar sind die Menschen in ihren Häusern schon seit mehreren Stunden auf den Beinen, doch jetzt verlagern sie ihr Leben nach draußen. Die alltägliche Öffentlichkeit, das für die arabische Welt so charakteristische Handeln und Kommunizieren auf der Straße, beginnt. Viele Haustüren stehen offen, damit der Wind die Räume durchlüften kann, bevor es drückend heiß wird. Es

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ist die einzige Tageszeit, in der Fremde einen kurzen Blick in einen Teil der prächtigen Innenhöfe werfen können. Wer etwas zu verkaufen hat – und seien es nur fünf Knollen Knoblauch – der packt jetzt sein Bündel und wandert, laut von seiner Ware kündend, durch die verwinkelten Gassen. Ein Radio dudelt aus einem geöffne­ten Fenster, der Bäcker in seiner 3 Quadratmeter kleinen Backstube gegenüber pfeift die Melodie mit, während ihm die Kunden das frisch gebackene, duftende Fladenbrot aus den Händen reißen. Der Zigarettenstummel in seinem Mundwinkel ist längst


Blaues Glas für festliche Tafeln Bis an die Decke stapeln sich die Leinensäcke. Auf einigen ist gerade noch der verblassende Schriftzug „CCCP“ zu erkennen, gut und gerne 15 Kilo wiegt einer von ihnen. Der Inhalt: Glasscherben. Braune, weiße, grüne, orangefarbige – zu Aber­ millionen werden sie in den alten Säcken gesammelt, die übrig geblieben sind aus einer Zeit, als Syrien noch Wirtschaftshilfe von der Sowjetunion bezog. „Die Barada-Brauerei und die damaszener Limonadenfabrik liefern uns ihr Bruchglas“, erklärt Chalid und schenkt dem Besucher ein Glas Tee ein. Gemeinsam mit seinen Brüdern Ahmad und Muhammad, die wie er mit schönen Schnauzbärten und stattlichen Schlemmerbäuchen gerüstet sind, führt er die Glasbläserei gegenüber dem damaszener Altstadtviertel Bab Scharqi, seit sein Vater Abu Ahmad vor einigen Jahren das Zeitliche segnete. „Seit 40 Jahren schmilzt unsere Familie hier altes Glas ein und bläst daraus neue Ein­ richtungsstücke in den Farben Weiß, Grün und Braun. Nur für Blauglas setzen wir Kobalt zu“, sagt Chalid. Das berühmte Damaszener Blauglas! Zu Teetassen, Trinkgläsern und Tellern, zu Obstschalen, Saucenschüsseln, Aschenbechern, Lampen und Kerzenständern geformt, wird es von hier aus in alle Welt exportiert – „vor allem nach Deutschland, Frankreich und Italien“, wie Chalid betont. Aber auch libanesische Touristen und natürlich die Syrer selbst schätzen die kunstvollen Glasgegenstände, die einen einfachen Esstisch in eine festliche Tafel verwandeln. Wer ein angemessenes Gastgeschenk für eine Einladung zum Abendessen sucht, der ist bei den drei Brüdern richtig. Gemeinsam mit ihren neun Kollegen arbeiten die drei in Wechselschicht rund um die Uhr. Na klar – der Ofen darf so lange nicht ausgehen, bis die Glasmasse einer Farbe vollstän­dig verarbeitet ist. Einen Monat dauert das im Durchschnitt. Am Ofen, in dem es 1200 Grad Celsius heiß wabert, sitzen ständig zwei Bläser. Ihre Gesichter mit Stirntüchern gegen die Hitze geschützt, stechen sie mit ihren Rohren in das grelle Höllenfeuer, angeln sich ein faustgroßes Stück heraus und bearbeiten es bei 500 Grad Celsius. Ahmad, der älteste Bruder, bläst seit fünf Stunden Olivenölkännchen. Zum Abkühlen und Erhärten wirbelt er ein fast fertiges Kännchen am Blasrohr durch die Luft und lächelt nachsichtig über den erschrocken zusammenzuckenden Besucher. Noch nie ist Ahmad ein Stück abgefallen. Sein Kolle­ge zündet sich an dem glühenden Glasstumpen vorne am Blasrohr eine Zigarette an, während ihm Chalid aus der Teekanne nachschenkt, die

erkaltet. Ein kleines Mädchen mit schicken Ohrringen lockt eine Katze unter einem parkenden Auto hervor, indem sie mit einer Münze auf den Asphalt pocht. Daneben haben sich die ersten Murmelspieler eingefunden – ein Meister, wer die Kuhle auf 10 Meter trifft! Ein gebeugter Großvater mit weißer Kappe dirigiert sein mit Bergen aus Petersilie überlade­nes Fahrrad durch die Kinderschar und entbietet einen Morgen­gruß: Sabah al-Cheer! – Einen guten Morgen! Sabah an-Nuur! – Einen lichten Morgen!, kräht es aus fünf Kehlen zurück.

oben auf dem Ofen vor sich hin köchelt. Im Nebenraum malt Muhammad, der mittlere Bruder, mit flinker Hand auf die bereits fertigen Ölkännchen goldene Muster. So geht es tagein, tagaus. Und weil die Söhne von Abu Ahmad ohne Unterlass produzieren, kennt man nicht nur in Syrien, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt das berühmte Damas­zener Blauglas.



Heiligkeit verlangt Reinheit: im christlichen Altstadtviertel Bab Tuuma (Thomas-Tor) in Damaskus.

Schon von Weitem hört man nun den Tamari-Verkäufer, der seit Jahren seine immer gleichen Runden dreht. Er hat auf seinem Fahrrad kunstvoll einen Glaskasten montiert, in dem er das mit Traubensirup getränkte Brot feilbietet: Rayaaan! – Geträäänktes!, krächzt er. Der Petroleumverkäufer dagegen kündigt sein Nahen durch eine Tröte an. Dann biegt ein Pferdekarren um die Ecke, auf dem sich gelbe Köstlichkeiten stapeln: „Süße, süße, süße Hooonigmelooonen!“, ruft der junge Mann, der das Pferd am Zügel führt. Eine Hausfrau beugt sich aus ihrem Küchen­fenster und lässt an einer Schnur ein Töpfchen in die Gasse hinunter. Der Verkäufer tauscht die darin liegenden Münzen gegen eins seiner Prachtexemplare und schaut diesem hinterher, wie es über seinem Kopf entschwindet. Bevor er weitertrottet, hat er für einen der beiden Familienväter, die neben dem Laden von Abu Huud eine Partie Machbuusse, eine syrische Variante des Backgammons, spielen, noch einen Tipp: „Setz den fünften Stein, Vater Anton, dann gewinnst du!“ Vater Anton ist aber keineswegs überzeugt und grübelt weiter. Und dann, endlich, öffnet er seinen Laden! Abu Huud. Der Mann, der mit wirklichem Namen Elia heißt, könnte in jeder Geisterbahn Karriere machen. Sein Körper ist riesig, seine Hände gleichen Baggerschaufeln und seine wenigen verbliebenen Zähne ragen schwarz wie die Nacht aus einem breiten Schlund. Eine Brille mit daumendicken Gläsern lässt seine Augen groß wie Fladenbrote erscheinen. Wegen seines gewaltigen Schädels wird er auch Abu Ra’s, Vater Kopf, genannt. Noch passender aber ist jener andere Name,

den ihm der treffende, aber liebevolle Damaszener Spott verpasst hat: Abu Huud, Vater Walfisch. Sein Laden ist so klein, dass Vater Walfisch gerade in ihn hineinpasst. Will er angelieferte Ware entgegennehmen, muss er sich durch die Tür zwängen und die Konservendosen, Bonbons und Bierflaschen von außen einräumen. Mit seinem tiefen Bass begrüßt er freundlich die Kinder, die nach der Schule bei ihm ein Eis kaufen. Sein Lebensglück hat er in einer aparten Frau gefunden, die vor seinem Aussehen nicht erschrickt und ihm neben einem Sohn auch eine hübsche Tochter geboren hat. Wenn Vater Walfisch der Kleinen zärtlich übers Haar streichelt, verschwindet ihr ganzer Kopf wie unter einer Haube. Gemüse verkauft Vater Walfisch allerdings nicht, nein, dazu muss man natürlich in die Gasse Dscha’far bin Abdullah al-Adaawi Nummer 50 gehen. Dort hockt im Halbdunkel ihres Ladens die mürrische Marie. Die Theke ist so niedrig, dass Marie beim Abwiegen der Zucchini, Auberginen, Tomaten, Zwiebeln und Bohnen nicht aufstehen muss. Fehlen 30 Gramm zum runden Kilo, wird der Kunde noch mal nach draußen geschickt, um aus den dort aufgereihten Pappkartons noch eine Handvoll zu holen. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder sich bedienen ließe? „Mahaarim! Mahaarim!“ schallt es jetzt von draußen. Das ist Munir, der nun auch schon seit Jahren um die Häuser schlurft und sich an seinen Taschentuchpackungen festhält. Er nimmt eine Gasse, die direkt auf die Gerade Straße zuführt. Diese Achse durch die Altstadt ist der alte römische

Gegenüber­ liegende Seite: In den Gassen von Bab Tuuma.

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Syrien Decumanus, eine der antiken Hauptstraßen. Sie wird sogar schon in der Apostel­geschichte der Bibel erwähnt, da sich hier die Wandlung des Saulus zum Paulus vollzog. Zwischen einem Zeitschriftenladen und einem Gemüsestand liegt dort die Bäckerei von Abdallah und Schuufi. Die beiden sind Schiiten, was man schon an den Bildern von libanesischen Hisbullah-Führern erkennt, die die Wände und sogar den Ofen zieren. Ihre mit Käse, Fleisch und Spinat gefüllten Fataayer sind köstlich, obwohl sie bei der Zubereitung der Teigtaschen nicht gerade mit Salz geizen. Also schnell eine Cola hinterhergespült! Zur Auswahl stehen die Marken Master, Mandarin und Canada Dry. Der amerikanische Weltmarktführer ist in Syrien erst seit Kurzem zugelassen. Aber warum sollte man ihn trinken? Die syrische Brause schmeckt nicht schlechter. Zumindest in Bab Tuuma, den schönsten Gassen des öffentlichen Damaszener Lebens.

Das natürlich beste Bier Syriens Es ist 9.15 Uhr am Morgen und Wahid Akache nimmt die erste Flasche Bier aus dem abschließbaren Kühlschrank neben seinem Schreibtisch. Wenn Gäste kommen, die sich für die Brauerei interessieren, dann müssen sie – pffft! macht der Kronkorken – selbstverständlich erst einmal das Produkt kosten. „Hier geht keiner raus, bevor er nicht drei Flaschen getrunken hat“, stellt der Mann mit dem gepflegten Schnauzbart und dem verschmitzten Lächeln klar. Ihm selbst reichen die fünf Schlucke beim Anstoßen, er muss heute ja noch gut und gerne 20 weitere Flaschen testen. Saha! – Wohlsein!

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Wahid Akache ist Herr über 131 Angestellte, drei Braumeisterin­nen, unzählige bunte Flaschen und – natürlich das Wich­tigs­te – über 5 Millionen Liter Bier im Jahr. Der Produktions­direktor der Barada-Brauerei im Damaszener Vorort Haame ist sich seiner Verantwortung voll bewusst. Sein Job ist in einem zwar sozialistisch angehauchten, aber überwiegend muslimischen Land nicht selbstverständlich. „Es gibt keine Proteste religiöser Gruppen gegen uns“, versichert der Chef, der praktischerweise Mitglied der Regierungspartei Baath ist. Überhaupt spiele die Religion beim Bierbrauen keine Rolle. Sechzig Prozent seiner Angestellten seien Frauen, viele von ihnen seien – wie er selbst – muslimisch. Wer wolle, der trinke. Wem es sein persönlicher Glaube verbiete, der enthalte sich eben. Enthalten? In einer Brauerei? Zwar steht über dem Eingang zur Flaschenabfüllung in großen Lettern Allahu akbar, die rituelle muslimische Gebetsformel, doch innen rattern die braunen, grünen und weißen Flaschen verlockend in Augenhöhe auf Fließbändern vorüber. Frauen mit Kopftüchern überprüfen die stark variierenden Füllhöhen, ein Ingenieur drückt den Gästen auf Geheiß des Chefs die zweite Flasche Barada in die Hand. Saha! – Wohlsein! Jetzt wird es aber Zeit, sich umzusehen. Die in den Ecken gestapelten Kästen sind sogar noch bunter als die Flaschen. „Das kommt daher, dass die Bürokraten in der Verwaltung uns mal dieses, mal jenes Material zuteilen“, sagt Akache fast entschuldigend. Entscheidend ist der Inhalt, und der kann sich in der Tat schmecken lassen. Hat man sich erst einmal an die auffallende Süße der Gerste gewöhnt, fällt der mit 3,5 Prozent vergleichsweise niedrige Alkoholgehalt gar nicht mehr auf. Eis­gekühlt ist das Barada-Bier ein wirklicher Genuss. Das scheinen nicht nur die Syrer so zu sehen: Die im Jahr 1978 mit tschechischer Technik aus Pilsen erbaute Brauerei produ­ziert über dem staatlichen Plansoll und exportiert bescheidene Mengen nach Jordanien und in den Irak. Aka-


che denkt sogar darüber nach, sein aus deutschem Hopfen, Aleppiner Malz und südsyrischer Gerste gebrautes Bier demnächst in Dosen abzu­füllen und in die USA zu liefern – kulinarische statt politische Annäherung. Auf einer imaginären weltweiten Qualitätsskala positioniert der Chef, der am liebsten tschechisches Budvar trinkt, sein Barada ehrlicherweise „genau in der Mitte“, was man so oder so auslegen kann. Ausländische Marken, die für die meisten Syrer unerschwinglich sind, muss die Barada-Brauerei nicht fürchten. Der einzige Konkurrent kommt aus Aleppo, wo jährlich 7 Millionen Liter Scharq-Bier gebraut werden. „Aber unser Barada ist natürlich das beste Bier Syriens“, versichert Herr Akache, „wir haben nämlich eine bessere Technik und viel bessere Zutaten.“ Am wichtigsten ist das Brauwasser aus der Quelle des im bergigen Damaszener Hinterland entspringenden Barada-Flusses, dem Namensgeber des Biers. Die Jugendbiografie des Produktionsdirektors

ist ein geläufiges syrisches Schicksal: Auf den Golanhöhen aufgewachsen, floh er im Juni-Krieg 1967 mit seinen Eltern vor der israelischen Armee. „Die ganze Nacht wurden wir von israelischen Flug­zeugen bombardiert, unsere Häuser, unser Hab und Gut mussten wir zurücklassen“, erinnert er sich. In Damaskus fand die Familie ein neues Heim, später konnte der Sohn in der damaligen Tschechoslowakei einen Universitätsabschluss als Lebensmittelingenieur machen.

Oben: Zugreifen bitte! Christliche Familie beim Mittagessen im Städtchen Sednaaya. Links: Prost! Wahid Akache ist Produktionsdirektor der Barada-

Seit 1985 sorgt Akache Tag für Tag dafür, dass die syrischen Bier­liebhaber nicht enttäuscht werden. Für sein Produkt werben darf das Staatsunternehmen nicht, Alkoholwerbung ist in Syrien aus Rücksicht auf die muslimische Bevölkerungs­ mehr­heit verboten. „Das macht aber nichts, wir haben unsere Kund­schaft“, ist der Chef sicher und reicht den Gästen, inzwischen wieder in seinem Büro, die dritte und letzte Flasche über den Schreibtisch: Saha! – Wohlsein!

Brauerei, in der auch Musliminnen arbeiten.

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Syrien Vorspeise und Hauptgericht

Sfiiha Kleine Pizzen

Nach einem Rezept von Terese und Fathiye

Zubereitung

Ilyas, Damaskus

Zunächst einen Hefeteig machen. Abgedeckt 1 ½ Std. lang an einem warmen Ort gehen lassen. Für die Füllung alle Zutaten mischen und gut durchkneten. Den gegangenen Teig portionsweise mit dem Nudelholz auf einer eingefetteten Arbeitsfläche max. 4 mm dick ausrollen. Handteller­große Rechtecke ausschneiden und darauf jeweils 1 ½ EL von der Fleisch­mischung verteilen, dabei die Ränder freilassen. Zwei Ecken und die Ränder der Teigteile leicht zusammendrücken, sodass kleine „Schiffchen“ entstehen. Den Backofen auf 250 °C vorheizen. Die Sfiiha auf ein eingeöltes Backblech legen und 15 Min. auf der mittleren Schiene backen, bis sie knusprig sind. Heiß essen.

Personen 4 Zubereitungszeit 1 Std. Zutaten Teig (normaler Hefeteig) 800 g Mehl 1 TL Salz 2 Beutel Trockenhefe oder 2 Würfel frische Hefe 2 EL Pflanzenöl 1 Glas Wasser Füllung ½ kg Lammhackfleisch 2 Zwiebeln, fein gerieben 1 TL roter Pfeffer (s. Gewürze, Seite 51) 1 TL Gewürzmischung aus schwarzem und weißem Pfeffer, Kardamom, Ingwerpulver

Tipp

2 TL Salz

Von der Sfiiha gibt es zahlreiche Varianten. Sie können sie beispielsweise auf „armenische Art“ verfeinern, indem Sie zerstoßene Koriandersamen und gehackte scharfe Paprika zum

3 EL Pinienkerne 4 EL Naturjoghurt 3 EL Granatapfelsirup

Fleisch geben. Oder Sie ersetzen den Joghurt durch eine oder zwei Tomaten. Hintergrund

Sfiiha bedeutet „flache Scheibe“. Diese einer Pizza nicht unähnliche Spezialität zählt zu den traditionellen damaszener Delikatessen. Sie wird immer sehr heiß gegessen und ist dem türkischen Lahmacun verwandt. Sonntags bereiten viele Familien die Sfiiha zuhause vor, lassen sie aber im öffentlichen Backofen backen. Denn zum einen besitzen viele Familien keinen Backofen und zum anderen wird der Geschmack durch das Holzfeuer noch verfeinert. Die Libanesen bevorzugen Sfiiha übrigens in viel kleinerer Form (s. Libanon, Seite 242).

Zutaten ½ Römersalat und die gleiche Menge Portulak (alternativ nur Römersalat) 3 Tomaten 3 kleine Feldgurken oder 1 Salatgurke 2 Bund glatte Petersilie, ca. 100 g 1 Bund frische Minze, alternativ 2 TL getrocknete Minze 2 arabische dünne Fladenbrote 1 Tasse Pflanzenöl 4 EL Zitronensaft 1 große Zwiebel, fein gehackt ½ Tasse Olivenöl Salz, Pfeffer

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Salat

Fattuusch Salat mit Portulak und geröstetem Brot Nach einem Rezept von Fathiye und Terese Ilyias, Damaskus Personen 4–5 Zubereitungszeit ½ Std. Zubereitung

In einer Pfanne Pflanzenöl erhitzen und die Fladenbrote darin goldbraun frittieren. Auf Küchenkrepp abtropfen lassen. Petersilie- und Minzblätter abzupfen, Römersalat in Streifen schneiden, Gurken schälen, der Länge nach halbieren und in Scheiben schneiden, Tomaten achteln. Alles mit dem Portulak und den Zwiebelstückchen in eine Schüssel geben. Aus Zitronensaft, Olivenöl, Salz und Pfeffer eine Marinade bereiten, über den Salat geben und durchmengen. Das in mundgerechte Stücke zerbrochene Fladenbrot unterheben. Sofort servieren. Tipps

Sie können eine zerstoßene Knoblauchzehe dazugeben, doch Vorsicht: Der Geschmack ändert sich dadurch grundlegend. Eine andere Variante besteht darin, den Fattuusch mit Auberginen anzureichern: ½ kg Auberginen schälen, in ca. 1 cm dicke Scheiben schneiden und in Olivenöl braten, bis sie weich sind. Abkühlen lassen und auf den fertigen Salat legen. Weitere mögliche Zutaten für einen Fattuusch sind ungesalzener Schafskäse, 1 EL Essig, ½ TL Summaq oder ½ TL Kumin. Fattuusch eignet sich hervorragend dazu, altes Fladenbrot zu verwerten, denn niemals würde eine arabische Hausfrau das als heilig geltende Brot wegwerfen.

Hintergrund

Das spezielle Rezept zu diesem in Syrien sehr beliebten Salat hat eine Geschichte. Sie spielt in Bab Tuuma, dem christlichen Viertel in der Altstadt von Damaskus. Im hintersten Gässchen, nahe der Stelle an der Stadtmauer, wo einst der Apostel Paulus in einem Korb abgeseilt wurde, leben die beiden Schwestern Terese und Fathiye. Terese ist eine vergnügte, einfache Frau, die ihr Haus zu einer Herberge für Studenten aus aller Welt umfunktioniert hat, die in den engen Kammern Arabisch büffeln. Leider hat Terese noch eine Eigenschaft, die sie – glaubt man dem Volksmund – mit allen Menschen teilt, die wie sie aus dem fruchtbaren Gebiet Hauraan in Südsyrien stammen: Sie ist geradezu fanatisch knausrig. Während andere Familien ihre bau­fälligen Altstadt-Häuser mit Kacheln, Polstern und zierlichen Tischchen aufmöbeln, hält Terese ihr Heim zwar sauber, aber karg: Die altersschwachen Tische kippeln, der Springbrunnen im Innenhof darf fast nie plätschern, und gekocht wird in verbeulten Blechtöpfen. Während ihr Haus einen derart jämmerlichen Anblick bietet, hortet Terese

in einem dunklen Kellerloch die schönsten Einrichtungsgegenstände, die ihr über die Jahre von Gästen und Studenten geschenkt wurden. Wenn niemand hinschaut, schlüpft Terese in ihr Versteck und begutachtet im Schutz der Dunkelheit ihre Schätze: Porzellanschüsseln, Schnellkoch­töpfe, Beistelltische mit Intarsien und Likörfläschchen. Über diesen Wesenszug könnte man sich empören – wenn, ja wenn Terese und ganz besonders ihre Schwester Fathiye nicht so hervorragende Köchinnen wären. Ihre Spezialität sind die einfacheren syrischen Speisen. Wenn man die beiden besucht und Fathiye mit einem schmachtenden Blick um ihr delikates­tes Gericht bittet, dann brummt sie geschmeichelt ihr Ein­verständnis, zündet sich auf dem Weg zu den verbeulten Töpfen in der Küche ein Zigarettchen an und bereitet ihn zu – ihren köstlichen, ihren einzigartigen Fattuusch. Hurtig versammeln sich dann alle hungrigen Mäuler des Hauses im Innenhof und bekommen die Teller gefüllt. Und wenn man ganz lieb fragt, dreht Terese sogar den Springbrunnen an.

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Libanon

So gegensätzlich wie Joghurt und Wein

Delikate Tropfen, raffinierte Fischgerichte und würzige Landkost – die libanesische Küche bietet viel mehr als nur ihre berühmten Vorspeisen.

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Seite 230: Bunte Kücken. Zu Ostern werden im Libanon nicht nur die Eier gefärbt. Seite 231: Großer Fang im Hafen von Tyros. Vorhergehende Doppelseite: Die Höhenzüge des Libanon-Gebirges oberhalb von Bscharre, dem Geburtsort des libanesischen Dichters Khalil Gibran.

„Aaaah! Das nenne ich ein volles Bouquet!“ Michel de

Bustros beugt seinen Kopf tief über das bauchige Rotweinglas und erschnuppert mit geschlossenen Augen die Aromen: „Mmmm, schwarze Früchte, Grapefruit, Honig, Tabak und Zeder – ein vollendeter Genuss. Und dazu diese karmesinrote Farbe!“ Bustros, Gründer und Besitzer von Château Kefraya, des größten libanesischen Weinguts, ist zufrieden mit seinem Spitzenwein, dem Comte de M, eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon und Syrah. Wofür allerdings das „M“ steht, konnte ihm bisher noch niemand entlocken. „Das bleibt mein Geheimnis“, schmunzelt er. Die Abendsonne spielt auf dem Gesicht des groß gewachsenen, weißhaarigen Mannes und lässt den sorgfältig gestutzten Rasen zwischen den Pinienhainen grün aufflammen. „Einen guten Wein kann man nur in einer schönen Umgebung keltern“, glaubt Bustros, also hat der große Opernliebhaber rund um das auf einem Hügel thronende Château kleine Parks angelegt und sie nach italienischen Komponisten benannt. Am Wochenende tummeln sich hier Kinder auf dem Rasen, während ihre von der Arbeitswoche ermatteten Eltern zur Weinprobe trotten und hinterher beschwingt zurückschlendern. „Wein ist etwas Wunderbares!“, sagt Michel de Bustros. Vor rund 60 Jahren begann der aus einer alteingesessenen libanesischen Bankiersfamilie stammende Pionier auf einem unkultivierten Familiengrundstück in der südlichen BeqaaEbene Reben anzubauen, die er aus Frankreich importierte. Erst zwei Jahrzehnte später konnte er die erste brauchbare Ernte einfahren. 1978, mitten im Bürgerkrieg, ließ er eine hochmoderne Kellerei errichten – und musste ständig um sein Werk bangen. Denn rund um sein Weingut lieferten sich Israelis und Syrer erbitterte Gefechte, einmal stürzte sogar ein syrischer Kampfjet in die Rebhänge. Dann entführten die Israelis auch noch den Önologen, seinen wichtigsten Mitarbeiter. Doch Bustros ließ sich nicht entmutigen, machte weiter und erarbeitete sich innerhalb kürzester Zeit einen großen Namen. Über hundert Preise haben seine Weine bisher gewonnen. Der rote Château Kefraya und der Comte de M gelten mittlerweile als zwei der besten, wenn nicht als die beiden besten libane­sischen Weine. Der 1996er-Comte de M wurde vom amerika­nischen Weinguru Robert Parker mit 91 von 100 möglichen Punkten und dem Urteil „sagenhaft“ beurteilt. Bustros erklärt seinen Erfolg so: „Von ande-

ren Weingütern unterscheiden wir uns dadurch, dass wir keine reinen Rebweine, sondern ausschließlich Verschnitte abfüllen. Wobei wir auch Sorten komponieren, die in Europa nicht als Cuvée kreiert werden dürfen – wir begreifen das als hohe Kunst.“ Es ist eine uralte Kunst: Das Keltern ist im Vorderen Orient seit den Frühzeiten der Zivilisation bekannt, und bereits vor 8000 Jahren sollen auf den Golan-Höhen erste Weinberge angelegt worden sein. In einer prähistorischen Siedlung südlich von Damaskus wurde eine aus derselben Zeit stammende Weinpresse gefunden. Ähnliche Zeugnisse aus der sumerischen Kultur gingen wahrscheinlich bei den Plünderungen des irakischen Nationalmuseums in Bagdad nach dem amerikani­schen Überfall im Frühjahr 2003 ver-


Oben: Weinkeller des Château Ksara. Gegenüberliegende Seite: Ramzi Ghosn vom Weingut El Massaya. Unten: Michel de Bustros, Gründer des Weinguts Château Kefraya.

Libanesische Weingüter im Internet Château Kefraya www.chateaukefraya.com El Massaya www.massaya.com Château Ksara www.ksara.com.lb Château Musar www.chateaumusar.com.lb


Libanon

loren. Ausgrabungen in der vorantiken, heute libanesischen Küstenstadt Byblos brachten eine fünftausend Jahre alte Rebe zutage, und zwar eine Vorgängerin der Chardonnay-Traube. Allerdings weiß man heute, dass der Wein des Altertums oft sauer oder pappsüß schmeckte. Die römischen Soldaten trugen dennoch stets eine Feldflasche mit einer Mischung aus saurem Wein, Wasser, Honig und Garum (einem Gewürz aus getrocknetem, zerriebenem Fisch) am Gürtel. Wenn überhaupt, so die Ergebnisse historischer For­schung, dann war es dieses Gebräu, nicht reiner Essig, das ein römischer Soldat dem sterbenden Christus am Kreuz reichte – wohl aus Mitleid, nicht im Spott. Noch vor Marokko und Tunesien gilt der Libanon heute als das beste arabische Weinbauland. Dabei ist dieser Staat nur halb so groß wie das deutsche Bundesland Hessen. Doch diese kleine Fläche birgt eine enorme kulturelle und landschaft­liche Vielfalt. Sunnitische und schiitische Muslime, Drusen, Alawiten, maronitische, griechisch-orthodoxe, griechisch-katholische und armenische Christen leben hier auf engstem Raum eher neben- als miteinander. Die Distanz zwischen Mittelmeerküste und 3000 Meter hohen Bergzügen beträgt nur 40 Kilo­meter. Die bis weit in den Frühling hinein mit Schnee bedeck­ten Gipfel gaben dem Land seinen Namen: Das Wort Libanon (arab. Lubnaan) kommt von Laban, Joghurt. Denn so weiß wie der Joghurt ist auch das Gebirge. Der kulinarische Bezug passt, genießt die libanesische Küche doch einen vorzüglichen Ruf – und ist eng mit dem Wein verbunden. Zur weltweit ersten großflächigen Rebpflanzung kam es vor rund 4000 Jahren in Kleinasien (hier prägten die Hethiter den Begriff Vino), Palästina und dem heutigen Libanon. Dort machte sich dann ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. das Handelsvolk der Phönizier, auf das die geschäftstüchtigen Libanesen ihre Genealogie zurückführen, an die Veredelung der Reben. Die Phönizier waren ebenso polyglott ausgerichtet wie ihre heutigen Nachfahren: Ihre Hafenstädte Byblos, Beirut, Sidon und Tyros fungierten als die wichtigsten Warenumschlagplätze der damaligen Zeit, denn hier trafen die Weihrauch- und später auch die Seidenstraße auf die Schiffsrouten des Mittelmeers. Neben ihren Eigenprodukten – vor allem Olivenöl, Glas und Purpurstoffe (vom griechischen Wort für Purpur, phoinix, leitet sich der Name

Phönizier ab) – handelten die Bewohner der levantinischen Küstenstädte auch mit Gewürzen und Wein. Nach der Eroberung der Region durch die Muslime im 7. Jahr­hundert waren die Winzer jedoch zunehmend stärkeren Beschränkungen unterworfen, sodass der Weinbau zur Domäne der Juden und vor allem der Christen wurde. Letztere benötigten den Wein allein schon für das Abendmahl. Gleichwohl gab es auch unter den Muslimen große Weinliebhaber, besonders an den Kalifenhöfen. So soll der exzentrische Umayyaden-Herrscher Walid II. (706–744) regelmäßig in seinen Schlösschen in der ostjordanischen Wüste in Wein gebadet haben, um sich darin bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken. Und der abbasidische Kalif al-Mutawakkil (reg. 846–861) veranstaltete in Bagdad opulente Weinfeste.


Oben und links: Vielfalt auf engstem Raum. Die schnee­bedeckten Gipfel des Libanongebirges und blühende Mandelbäume in der Beqaa-Ebene. Unten: Christlicher Friedhof im Qadiischa-Tal im Norden des Libanons.

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Libanon

Während sich noch im Mittelalter Weine aus Tyros und Sidon außerordent­licher Beliebtheit erfreuten und von venezianischen Kaufleuten nach Europa exportiert wurden, führten die Eroberungen der Osmanen im 13. Jahrhundert und besonders das Alkoholverbot des osmanischen Sultans Murad IV. Anfang des 16. Jahr­hunderts zum Niedergang der Weinproduktion in der Levante und in Nordafrika. Interessanterweise starb derselbe Herrscher im Alter von nur 28 Jahren an Trunksucht. Fortan wurden die Trauben fast ausschließlich zu Rosinen verarbeitet, und noch heute ist infolgedessen die Türkei der weltweit größte Rosinen­ produzent. Erst die französischen Kolonialherren regten den Weinbau in den von ihnen okkupierten Gebieten wieder an: in Algerien, Tunesien, Marokko und eben im Libanon, den sie von 1920 bis 1946 als Mandatsmacht besetzt hielten. Noch heute spiegelt sich der französische Einfluss im libanesischen Wein wider, der mittlerweile eine jährliche Produktionsmenge von sechs Millionen Flaschen erreicht hat. Die wichtigsten roten Reb­sorten sind Carignan, Cabernet Sauvignon, Merlot, Mourvèdre, Carigan, Cinsault, Grenache und Syrah. Mit dem Chardonnay schließt sich ein Kreis: Diese beliebteste weiße Sorte stammt wahrscheinlich, wie ihre in Byblos gefundene Vorgängerin, aus dem Gebiet des heutigen Libanons und wurde von den Kreuz­rittern nach Frankreich gebracht. Die Franzosen führten sie dann wieder im Libanon ein. Heute reifen die meisten libanesischen Weintrauben unter nahezu idealen Bedingungen in der fruchtbaren BeqaaEbene, dem Hauptanbaugebiet des Landes: steiniger, karger Kalk-Lehm-Boden, 240 Sonnentage im Jahr und dennoch ausreichend Wasser. Weder Spritzmittel in den Weinbergen noch Zusätze beim Keltern sind vonnöten. Zwar gehen noch große Mengen des Weins in den Export, doch schätzen immer mehr Libanesen, vor allem Christen, die schweren, fruchtigen Kres­zen­zen ihres Landes. Vor Weihnachten steigt der Konsum im Land enorm, und jeden Sommer kommen mehr Besucher auf das Château Kefraya, um nach einem Rundgang in Michel de Bustros’ Parks und Weinhängen die guten Tropfen zu testen. „Auch ich bin ein Weinberg, und meine Früchte werden für die Kelter gelesen werden/ Und wie neuen Wein wird man mich in ewigen Gefäßen aufbewahren“, schreibt Khalil Gibran, der be­rühmteste libanesische Schriftsteller und Mystiker (1883–1931), in einem seiner Verse.

Oben: Im Zentrum von Beirut 1998. Die Zerstörungen durch den Bürgerkrieg (beendet 1990) sind noch deutlich zu sehen. Unten: Derselbe Ort im Jahr 2010. Feine Boutiquen, Restaurants und Bars säumen die wiederaufgebauten Straßen. Rechts: In ihrer Patisserie „Alfred Knechtle“ in Beirut bietet die Appenzellerin Amine Fideli seit rund 60 Jahren arabisch-schweizerische Leckerli an.

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legen Wert darauf, sich ausreichend zu parfümieren. Irakische Flüchtlinge preisen frisch gebrühten Kaffee an, und eine Gruppe alter Männer hält Angelruten ins Wasser und verkauft ihren Fang an die Passanten. Drei fein gewandete Geschäfts­männer besprechen auf dem Weg in das topschick wiederaufgebaute Altstadtviertel eine Verkaufs­strategie und wechseln dabei zwischen mehreren Sprachen hin und her: „Let’s do it commeci commeça, inschaallah!“ Vor einem Café prangt ein Schild mit dem Hinweis, dass es den werten Gästen verboten ist, Schusswaffen mitzuführen. Es sind diese Brüche im Stadt­bild, die immer wieder an den Bürgerkrieg gemahnen, ebenso wie die – jährlich allerdings weniger werden­den – Ruinen zwischen den neuen Burgen aus Glas und Stahl. Viele Fassaden sind bereits übertüncht – so wie auch der Konflikt zwischen den Konfessionen eher übertüncht als gelöst wurde. Der Lauf­bursche einer Bäckerei schiebt sein Fahrrad vorüber, auf dessen Lenker er eine gewagte Holzrahmen-Konstruktion installiert hat. Daran baumeln die berühmten Beiruter Ka’k-Kringel und erfüllen die Luft mit dem verlockenden Duft ihrer Sesamsamen. „Deine Samen werden in meinem Körper weiterleben/Und die Knospen deines Morgens in meinem Herzen erblühen/Und dein Duft wird mein Atem sein/Und gemeinsam werden wir uns an allen Jahreszeiten erfreuen“, schreibt Khalil Gibran.

Arabiens berühmtester Koch – Chef Ramzi Obwohl es nur noch drei Minuten sind bis zum Beginn der Live-Sendung, ist Chef Ramzi die Ruhe in Person. Souverän besorgt er die letzten Vorbereitungen, rührt Zuckersirup an und pfeift dabei ein Liedchen. Dann wird er noch schnell verkabelt – und schon geht’s los: „Liebe Zuschauer, heute machen wir eine Süßigkeit nach einem sehr alten, traditionellen Rezept, die in der ganzen arabischen Welt verbreitet ist und besonders im Ramadan geschätzt wird: Muschabbak. Wir Libanesen färben diese süßen Kringelchen zur Hälfte rot und nennen sie dann Muschabbak Beiruuti.“ Schon beginnt der große Mann mit dem dünnen schwarzen Haar und dem schönen, mächtigen Koch-Bauch in seinen Schüsselchen zu rühren, während der Kameramann heranzoomt und den entstehenden Teig in Großaufnahme zeigt. Seit vielen Jahren präsentiert Ramzi N. Choueiri in seiner täglichen Kochshow im libanesischen Fernsehkanal Al-Mustaqbal (Future TV) Rezepte, über 4000 sind es inzwischen – und beileibe nicht nur arabische. Er begann als erster arabischer Fernsehkoch und ist heute der bekannteste arabische Koch überhaupt. Acht Millionen arabischsprachige Menschen in der ganzen Welt schauen ihm täglich beim Rühren, Braten und Sieden zu und testen hinterher seine Rezepte. Klappt etwas nicht, rufen sie den Meister in seinem Studio zwischen einem Nobelhotel und einer Bürgerkriegsruine an: Gerade hat Chef Ramzi die ersten Kringel ins heiße Öl gelegt, da ist


schon die erste Anruferin in der Leitung, eine Araberin aus Stockholm. „Guten Morgen! Wie ist das Wetter bei euch da oben?“, fragt Chef Ramzi und erklärt der Dame dann – während er weiter Muschabbak frittiert – wie sie die ange­ brannten Kibbe für ihre Gäste am Abend noch retten kann. Eine Hausfrau aus Damaskus will wissen, welche Marinade er für gegrillte Hühnerspieße empfiehlt, und eine Libanesin aus Hamburg erkundigt sich nach dem besten Rezept für eine französische Pilzpfanne. Chef Ramzi erklärt das Gewünschte ruhig und freundlich. Seine Genialität besteht darin, Hunderte von Rezepten und Küchentricks binnen Sekunden aus dem Gedächtnis abrufen und problemlos vom einen zum Nächsten springen zu können. Die Quantität – unter der die Qualität nicht leidet – ist seine große Stärke. „Besonders gerne zeige ich den Leuten vergessene arabische Rezepte. Dann rufen sie an, fragen mehrmals nach, ob das wirklich aus ihrer eigenen Küchentradition stammt, und kochen es begeistert nach. Das ist mein Beitrag, den Ruf der arabischen Küche zu verbessern“, erklärt Chef Ramzi in einer Werbepause. Ein Beitrag unter vielen. Denn der Enddreißiger, der in London, Paris und Beirut ausgebildet wurde, hat mittlerweile zwei dicke Kochbücher geschrieben, die sich mehrere Hunderttausend Mal verkauft haben. Ein weiterer Effekt, den die Arbeit an seinen Büchern hatte: Chef Ramzi hat währenddessen 10 Kilo­gramm zugenommen. Dabei drängt ihn seine Frau immer wieder, abzunehmen. „Ich will ja, aber

ich kann einfach nicht. Es ist alles so lecker …“, klagt der berühmte Koch. Es gibt Wich­tige­res. Zum Beispiel seine eigene Tiefkühlkost-Serie, die er vermarktet. Oder seine Al-Kafaât-Gastronomieschule, in der er 600 Jugendliche aus armen libanesischen Familien zu Köchen, Kellner und Konditoren ausbilden lässt und die als die beste ihrer Art im Vorderen Orient gilt. Die jährlich 150 Abgänger schwärmen zum Arbeiten in alle arabischen Länder aus. Sogar der Prinz von Qatar schickte seine Töchter zu Chef Ramzi in die Lehre, damit sie „endlich anständig kochen lernen“, wie Majestät sich auszudrücken beliebte. Chef Ramzi ist ein Workaholic, der sich nicht einmal von Bedro­hungen aufhalten lässt: Als sein Fernsehstudio Ende 2003 beim Raketenanschlag auf ein Nachbargebäude zerstört wurde, stellte er einen Tisch vor die rauchenden Trümmer und erklärte seinen Zuschauern das Geheimnis des besten Eisbechers. Am nächsten Tag war das Bild auf den Titelseiten der libanesischen Zeitungen. Zu Hause allerdings muss selbst Chef Ramzi sich unterordnen: Er darf dort nicht kochen. „Meine Frau lässt mich nicht das Geringste machen, sie besteht darauf, dass sie zuhause der Chef ist, weil sie es nicht mag, wenn ich Küchenkommandos erteile. Sogar wenn Besuch kommt, kocht sie allein und heimst das ganze Lob ein. Natürlich verkneife ich es mir, die Gäste darauf hinzuweisen, dass die Rezepte aus meinen Büchern stammen …“. Es ist gar nicht so einfach, der berühmteste Koch Arabiens zu sein.

Kochen vor 8 Millionen Zuschauern: Chef Ramzi in seinem Fernseh­ studio in Beirut.

Gegenüber: Sehen und gesehen werden. In den Abend­ stunden trifft sich tout Beirut auf der Meeres­ promenade. Ein mobiler Saftverkäufer sorgt für Erfrischung.

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Libanon R e z e p t e


Vorspeise

Tabuule Petersiliensalat Personen 4 Zubereitungszeit 1 Std. Zutaten 1–2 große Bund glatte Petersilie einige Blätter Romanasalat 1 weiße Zwiebel, sehr fein gehackt 1 Tomate, sehr fein gehackt 2 EL Burghul, fein geschrotet 2 EL frische Minze, gehackt (alternativ 1 EL getrocknete Minze) 1 Messerspitze abgeriebene Zitronenschale 2–3 EL Zitronensaft ½ TL Piment Olivenöl Salz Zubereitung

Burghul und Petersilie getrennt gut waschen und gründlich abtrocknen lassen. Petersilienblättchen abzupfen und fein hacken (sollte etwa 100 g ergeben). Zwiebelstücke im Piment wenden. Bis auf den Romanasalat alle Zutaten mischen, 10 Min. ziehen lassen und noch einmal durchmischen. Mit den Romanasalatblättern garnieren, mit deren Hilfe Sie den Petersiliensalat auch mit der Hand essen können. Für Tabuule, das frisch am besten schmeckt, gibt es Dutzende von Rezepten. Dieses ist unschlagbar.

Vorspeise

Muhammara Scharfe Paprikapaste auf armenische Art Zutaten (alternativ Saft

100 g Walnüsse

von ½ Zitrone)

1 Scheibe Weißbrot,

1 TL Kumin

entrindet, getoastet

1 Knoblauchzehe,

und zerkrümelt

gepresst

4 EL Tomatenmark

6 EL Olivenöl

1 getrocknete

Salz

Zubereitungszeit 15 Min. Zubereitung

Pistazien und Walnüsse im Mörser zerstampfen oder im Mixer zerkleinern und mit den restlichen Zutaten gründlich vermischen. Mit Wasser und evtl. ein paar Tropfen Öl zu einer leichtflüssigen Paste aufrühren. Mit den ganzen Nüssen garnieren.

Chilischote, sehr fein

1 Handvoll

gehackt (alternativ

Pinienkerne und/

Hintergrund

½ TL Chilipulver)

oder Walnüsse für

2 EL Granatapfelsaft

die Garnitur

Diese – wie die meisten armenischen Gerichte sehr scharfe – Paste, die man mit Fladenbrot isst, stammt ursprünglich aus der armenischen Gemeinde Aleppos in Nordsyrien, ist aber auch bei den libanesischen Armeniern sehr beliebt. Übersetzt heißt sie „die Gerötete“.

oder 1 EL Granatapfelsirup

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Personen 4

100 g grüne Pistazien


Vorspeise

Mutabbal Auberginenpüree Personen 4 Zubereitungszeit 45 Min. Zutaten ½ kg Auberginen 1 EL Zitronesaft 3 Knoblauchzehen, zerdrückt 2 EL glatte Petersilie, gehackt 2 EL Olivenöl Salz, Pfeffer

Zubereitung

Auberginen mit einer Gabel mehrfach einstechen (damit die Hitze entweichen kann) und über einer Flamme oder auf dem Holzkohlengrill rösten (notfalls im Ofen bei hoher Temperatur backen). Die Schale muss dabei kohlrabenschwarz werden, das Fruchtfleisch weich. Auberginen mit kaltem Wasser abschrecken, die Enden kappen und die Schale abziehen. Fruchtfleisch auspressen und pürieren. Zitronensaft, Knoblauch, Pfeffer und Salz untermischen. Die Paste ca. 2 cm dick auf einem Teller glatt streichen. Petersilie und Olivenöl daraufgeben. Dazu Brot reichen. Tipp

Erst durch das Anbrennen der Schale bekommt das Mutabbal (das Gewürzte) seinen unverwechselbaren, rauchigen Geschmack. Die Syrer verfeinern das Gericht, indem sie 2 EL Granatapfelsirup einrühren. Eine in der ganzen Levante sehr beliebte Variante besteht darin, 100 g Tahiina (Sesampaste) und 1–2 EL Wasser unterzumischen. Lassen Sie in diesem Fall Olivenöl und Granatapfelsirup weg. Hintergrund

In Ägypten und der Golfregion heißt das Gericht Baba Ghanuudsch.


Vorspeise

Mese Dschibne Käseröllchen Zutaten 300 g Filoteig (Yufka) 160 g würziger Schafskäse

Nach einem Rezept des Weinguts Château Kefraya

fein gerieben 1 Ei je 1 Prise Paprika, weißer Pfeffer und Muskat Pflanzenöl

Teig

Kibbe al-Luqti Kibbe aus Kürbis

500 g gelber Speisekürbis (alternativ

Nach einem Rezept von Robert Hanna Khayat aus dem christlichen Städtchen

Süßkartoffeln)

Zahle, Beqaa-Ebene

Zubereitungszeit 45 Min.

200 g Burghul,

Personen 4

fein geschrotet

Zubereitungszeit 1 Std. (+ 2 Std. Ruhezeit)

Zubereitung

Käse und Ei im Mixer cremig rühren und würzen. Die runden Filo-Teigblätter wie eine Torte in jeweils 8 Stücke teilen. Jedes Stück mit 1 EL Käsemischung bestreichen und von der breiten Seite her aufrollen. Das spitze Ende mit etwas Wasser anfeuchten und andrücken. In 180 °C heißem Öl 2 Min. frittieren.

½ Zwiebel, klein gehackt 6 EL Tahiina (Sesampaste) 1 TL Zimt 1 TL Piment Salz Füllung

Tipp

1 Bund Sauerampfer

Käseröllchen können Sie vor dem Frittieren hervorragend einfrieren.

(alternativ Mangold) 150 g Kichererbsen aus der Dose 2 EL Zitronensaft 1 Zwiebel, gehackt 2 EL Summaq Salz Pflanzenöl zum Frittieren

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Vorspeise oder Hauptgericht

Personen 4

100 g Feta-Schafskäse 50 g Gruyère-Käse,

Zutaten

Zubereitung

Für den Teig Kürbis in kleine Würfel schneiden und ca. 10 Min. kochen. In einem Sieb abtropfen lassen und die Kürbisstücke leicht ausdrücken. Zusammen mit Burghul und Zwiebel pürieren. Sesamsauce zugießen, würzen und alles zu einem geschmeidigen Teig verkneten. Die Masse 1 Std. im Kühlschrank ruhen lassen. Für die Füllung Sauerampfer waschen, zerrupfen, salzen und auswringen. Wenn Sie Mangold verwenden, diesen klein schneiden, den weißen Teil der Blätter 2 Min., den grünen 1 Min. in Salzwasser blanchieren und abtropfen lassen. Kichererbsen, Zitronensaft, Summaq und Zwiebel untermischen. Die Kibbe damit füllen (s. Kibbe-Zubereitung, S. 229) und noch einmal 1 Std. in den Kühlschrank stellen. Danach bei 190 °C ca. 2 Min. frittieren.


Vorspeise

Kibbe Nayye Tatar Personen 4 Zubereitungszeit ½ Std. Zutaten 450 g Lamm- oder Rinderhackfleisch, zweimal durch den Fleischwolf gedreht (am besten Tatar) 150 g Burghul, fein geschrotet 30 ml eiskaltes (!) Wasser

Zubereitung

Burghul dreimal kalt waschen, gut abtropfen lassen und auspressen. Hackfleisch und Eiswasser zugeben, salzen, pfeffern und gründlich vermengen. Unmittelbar vor dem Servieren das Fleischgemisch mit Zwiebelschnitzen, Minze und Walnüssen auf einer Platte anrichten, dazu warmes Fladenbrot und Olivenöl reichen. Jeder Schlemmer stellt sich aus diesen Zutaten seine bevorzugte Kombination zusammen.

je 1 TL weißer und schwarzer Pfeffer Salz ½ Bund frische Minze, gehackt 2 Zwiebeln, in Schnitzen nach Belieben Walnüsse frisches Fladenbrot sehr gutes Olivenöl

Hintergrund

Diese außerordentlich beliebte libanesische Vorspeise stammt aus dem Dorf Ehden im Norden des Landes. Dort wird das Fleisch noch traditionell in Steinmörsern zu Hackfleisch zerstoßen. Im schiitischen Süden dagegen bevorzugt man die Methode, das Fleisch mit einem großen Wiegemesser (Satuur) auf einer Steinplatte zu bearbeiten. In den Großstädten ersetzen meist die Fleischwölfe der Metzger diese stundenlange

Arbeit des Zerkleinerns. Manche Feinschmecker behaupten, den Unterschied zwischen den drei Methoden herauszuschmecken und ergehen sich in Lobeshymnen auf die traditionelle Bearbeitung. Man erzählt im Libanon sogar von nicht wenigen „Kibbe-Nayye-Süchtigen“. Einer davon, Ali mit Namen, gesteht: „Dieses Gericht ist so göttlich, ich brauche es zumindest jeden zweiten Tag!“

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Unmögliche Gerichte Die traditionelle arabische Küche ist keine schnelle Küche. Nicht wenige Gerichte verlangen eine Vorbereitungs- und Zubereitungszeit von mehreren Stunden. Köche aus Leidenschaft schätzen diese Stunden zwischen Herd und Gemüsebrett, zwischen Backofen und Gewürzregal ganz besonders. Einige Speisen aus arabischen Ländern kann man in Europa allerdings auch beim besten Willen nicht nachkochen – sie sind im wahrsten Sinne des Wortes zu umfangreich und damit für Europäer schlicht unmöglich. Hier zwei Beispiele:

Usi Aisch (Golfregion)

Gegrilltes Lamm auf Reis mit Nüssen Personen Viele Zubereitungszeit ca. 1 Tag Zutaten 1 ansehnliches Lamm 4–5 kg Reis 1–2 kg Nüsse, am besten Pistazien, Mandeln und Pinienkerne ½ kg geklärte Butter 3 l Joghurt ½ kg Mehl einige Handvoll Pfeffer und Salz 1 Schüssel, Durchmesser ca. 1 m

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Zubereitung

Das Lamm beim Metzger schlachten, ausnehmen, häuten und einige Stunden abhängen lassen; dann mit geklärter Butter, Pfeffer und Salz einreiben und großzügig in Alu­­ folie wickeln. Vorzugsweise im Wüstensand ein Loch in den Boden graben, darin ein Holzfeuer entzünden und runterbrennen lassen, bis ein großer Haufen Glut zurückbleibt. Kohle großflächig verteilen und mit einer dünnen Schicht Sand bedecken. Das eingewickelte Lamm darauf legen und zunächst mit etwas Kohle, dann mit Sand bedecken. So ca. 5 Std. garen lassen. Währenddessen einige Wasserpfeifen schmauchen, die Nachbarn besuchen oder zum Kamelrennen gehen. Dann Mandeln blanchieren und schälen und alle Nüsse anrösten. Reis kochen, in die

Schüssel geben und mit den Nüssen garnieren. Lamm ausgraben und elegant auf dem Reis drapieren. Joghurt mit Mehl andicken und mit einigen Löffeln Bratensaft, die sich in der Aluminiumfolie gesammelt haben, würzen. Mit der Joghurtsoße und – wenn vorhanden – gegrilltem Gemüse servieren. Hintergrund

Dieses Festtagsgericht wird in Dubai und den anderen Golfstaaten dutzendfach serviert, wenn bis zu mehrere Tausend Menschen anlässlich eines Feiertages oder einer Hochzeit zusammenkommen.


Chaliiya Mschaarmel (Marokko)

Eingelegtes, mariniertes Rindfleisch Personen Viele Zubereitungszeit ca. 10 Tage zutaten 1 Kuh 25 kg Salz 60 kg Rinderfett 400 kg Oliven einige Handvoll Koriandersamen, zerstoßen Kochgerät 1 Kupferkessel, 1,20 m Durch­messer 1 Tontopf mit Deckel, 1,80 m hoch

Zubereitung

Tischfertige Zubereitung

Oliven kalt pressen lassen. So entstehen die benötigten 100 l Olivenöl. Die Kuh beim Fleischer des Vertrauens schlachten und zerteilen lassen. Das Fleisch (ca. 200–220 kg) 1 Woche lang in der Sommersonne (50 °C aufwärts), am besten auf dem Hausdach, trocknen lassen. Um Fliegen fernzuhalten, das Fleisch vorher mit Koriander einreiben. Das Fleisch 9 Std. (vorzugsweise nachts) im Kupferkessel kochen und anschließend in Salz, Rinderfett und Olivenöl marinieren. Alles in den Tontopf geben und diesen an einen möglichst kühlen Ort stellen. Dort hält sich das Fleisch nun bis zu 5 Jahre lang. Marokkaner legen bei diesem Gericht besonderen Wert darauf, den kompletten Prozess der Zutatengewinnung zu kontrollieren.

Zum Frühstück

Einige Löffel Fleisch mit einem Ei ver-

mischen. Zum Mittag- oder Abendessen Die gewünschte Menge Fleisch (für 2 Personen ca. 300 g) in einer Tadschiin mit gelben eingelegten Oliven (ca. 100 g), 2 gehackten Tomaten und 1 Bündel gehackter Petersilie bedecken. Jeweils ½ TL Kumin und Chilipulver sowie 2 TL Zitronensaft darübergeben, aber nicht vermischen. Vorsichtig an der Seite des Topfes ½ Tasse Wasser zugießen, um zu verhindern, dass das Gericht anbrennt. Ca. 10 Min. auf Holzkohleglut garen. Hintergrund

Dieses Gericht gilt in Marokko als absolute Delikatesse und wird gerne unerwarteten, aber willkommenen Gästen serviert. Marokkaner leihen sich das Kochgerät beim Schmied im Suq.


Anhang

D a n k s a g u n g 路 E i n k a u f s t i p p s 路 R e g i s t er

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182, 189, 197, 202, 204, 207, 220, 234, 238, 245, 259, 260 Fès 20, 24, 25, 30, 32, 33, 38, 40, 172, 196, 197, 264, 265 Dar Ziryab 38, 265 Fès al-Bali 24 Restaurant L’Anmbra 32 Fesaan 90, 92, 94 Frankreich 27, 211, 234, 238, 240 Fruchtbarer Halbmond (Bilaad asch-Schaam) 178, 203 Gabes 65 Gao 84 Ghadames 82, 84, 85, 100 Golfstaaten 26, 48, 52, 126, 145, 154, 182, 195, 245, 260 Griechenland 49, 197 Hama 204, 227, 264, 266 Hauraan 219 Hoher Atlas 19, 20, 44, 45 Homs 208 Hormuz 51 Indien 44, 46, 48, 51, 52, 65, 82, 84, 111, 119, 154, 168, 204 Indonesien 51, 84 Irak 62, 84, 196, 205, 214 Iran 157 Israel 69, 184, 203 Istanbul (Konstantinopel) 84, 171 Italien 60, 62, 99, 101, 121, 130, 138, 197, 206, 211 Jemen 82, 108, 271 Jerusalem 69, 144, 182, 184 Jordan 184 Jordanien 49, 60, 64, 81, 82, 96, 126, 144, 154, 157, 172 ff., 178, 180, 182, 184 ff., 191, 192, 195, 203, 208, 214, 247, 264, 265, 266 Kairo 84, 85, 119, 120, 130, 134, 135, 136, 138, 139, 140, 144, 163, 170, 228, 264, 265, 266 Al-Azhar-Moschee 123 At-Tabie ad-Dumyati 123 Café Fischaawi 121, 140 Café Naadi Qaukaab asch-Scharq 120 Café Nagib Mahfouz 135 Chaan al-Chaliili 121, 123, 135, 140 Fustat 127

Gamaliiya 121, 125 Hussain-Moschee 123 Mo’men 125 Zamalek 130, 266 Kairouan 58, 64, 69, 79, 81, 264, 265 Sidi-Oqba-Moschee 64 Kelaa Mgouna 52 Kerak 145 Kleinasien 52, 236 Kreta 52 Leptis Magna 99 Levante 9, 46, 48, 49, 51, 52, 120, 125, 126, 138, 145, 154, 171, 172, 178, 181, 182, 238, 253 Libanon 49, 52, 66, 157, 173, 178, 180, 181, 197, 203, 205, 207, 208, 218, 222, 229, 230, 234, 236, 237, 238, 240, 243 ff., 251, 255, 259, 264, 265, 266 Libanon-Gebirge 236 Libyen 48, 49, 62, 70, 77, 82, 84, 86, 90 ff., 96, 99, 100, 101, 103, 110, 126, 145, 186, 245, 264, 265 Luxor 138, 140, 265, 269 Madaba 194, 195, 264, 265, 266 Maghreb 6, 30, 40, 45, 48, 49, 60, 61, 62, 65, 72, 85, 121, 126, 172, 247 Magon 66 Mahón 73 Mali 84, 90, 100 Malta 101 Mandara-Seen 85, 92 Marokko 14, 18, 20, 27, 29, 30, 32, 34, 36, 40, 42, 44, 45, 48, 49, 51, 52, 53, 64, 70, 72, 80, 90, 96, 101, 106, 126, 144, 145, 172, 196, 222, 236, 238, 261, 264, 265 Marrakesch 18, 22, 29, 30, 32, 36, 38, 39, 53, 144, 145, 196, 197, 264, 265 Dschemaa el-Fna 18, 29, 30, 32 Hotel La Mamounia 39, 196, 264, 265 Masra’a 64 Mauretanien 84 Mayadin 110

Medina 82, 187, 196, 206 Mekka 82, 85, 111, 116, 142, 180, 196, 206 Meknès 22, 24, 30, 40, 42 Mesopotamien 48, 94, 145, 182, 203, 205 Mocha 171 Mogadischu 84 Molukken 48 Monastir 65, 72 Nabeul 62, 64, 65, 76, 80, 264, 265 Restaurant Slovenia 62, 76, 80, 264 Nablus 184 Nalut 99 Negev 184 Nil 49, 112, 116, 119, 121, 128, 138 Nordafrika 46, 53, 58, 82, 84, 96, 125, 182, 238, 247 Oman 82, 84, 110, 111 Orontes 203, 204 Palästina 49, 60, 85, 180, 182, 192, 203, 236 Persien 84, 119 Persischer Golf 51, 152, 154 Petra 82, 84, 178, 182, 185 Port Said 128 Portugal 69, 84 Qasr al-Hadsch 97, 99 Rabat 20, 22, 40 Rotes Meer 85, 128, 138 Rub‘ al-chaali (Leeres Viertel) 155 Safi 22, 27, 265 Sahara 46, 86, 90 ff., 100, 101, 154, 186 Saudi-Arabien 111, 185, 187, 195 Scharm al-Scheich 119 Schtaura 240, 256, 257, 264, 266 See Genezareth 184 Sfax 59, 60, 61, 66, 85, 265 Sidon 236, 238, 246 Siraf 84 Spanien 27, 60, 69, 197, 204 Sri Lanka 53, 82 Sudan 84, 90 Syrien 18, 49, 51, 60, 82, 84, 85, 143, 145, 157, 172, 173, 178, 180, 181, 182, 184, 196, 198, 202, 204 ff., 211,

214 ff., 223, 224, 226, 227, 228, 243, 264, 265, 266 Taliouine 26 Tanger 45 Taroudant 33, 44, 196, 265 Hotel Palais Salam 33 Teheran 197 Theben 119 Tigris 84 Timbuktu 84 Tin Mal 20 Toledo 62 Totes Meer 184 Tripolis (Libanon) 242, 244, 259 Konditorei Rafaat Hallab & Söhne 259 Tripolis (Libyen) 11, 84, 90, 94, 96, 99 ff., 104, 106, 144 Corinthia Bab Africa Hotel 101, 104, 106, 264, 265 Tripolitanien 92, 97, 99 Tschad 90 Tunesien 29, 48, 49, 54, 58, 60, 62, 66, 69 ff., 78, 80, 81, 84, 85, 92, 94, 96, 105, 144, 173, 236, 238, 264, 265 Tunis 58, 60, 62, 64 ff., 69, 70, 78, 144, 196, 228, 265 Café Mrabet 62, 69, 265 Türkei 181, 197, 206, 238 Tyros 234, 236, 238, 247, 266 Vereinigte Arabische Emirate 110, 168 Vorderer Orient 9, 48, 53, 58, 60, 62, 64, 69, 81, 92, 99, 107, 111, 125, 182, 184, 203 f., 220, 229, 234, 243, 245, 249 Waadi Muudschib 184 Waadi Ram 185, 187, 189 Wien 73, 82 Zahle 254, 264, 266 Hotel Monte Alberto 271

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Florian Harms (Text) (links), Jahrgang 1973, Journalist, Buchautor, promovierter Islamwissenschaftler und Politologe, hat in Freiburg und Damaskus (Syrien) studiert und lebt in Hamburg. Er kennt die islamische Welt seit rund zwanzig Jahren durch zahlreiche Reisen und Arbeitsaufenthalte. Viele Jahre als freier Journalist tätig, heute stellvertretender Chefredakteur bei SPIEGEL ONLINE in Hamburg. Außerdem hält er Vorträge über Geschichte, Gesellschaft und Business-Kultur der arabischen Länder. Er kocht mit Begeisterung an allen möglichen und unmöglichen Orten und schwört auf marokkanischen Tadschiin-Eintopf mit Pflaumen und Mandeln (Seite 40).

Lutz Jäkel (Fotos) (rechts), Jahrgang 1970, Fotojournalist, Autor, Islamwissenschaftler und Historiker, hat in Hamburg, Sanaa (Jemen) und Damaskus (Syrien) studiert. Neben seiner Tätigkeit als freiberuflicher Fotojournalist und Autor referiert er über arabische Länder, zur arabischen Business-Kultur und arbeitet als Lektor auf Kreuzfahrtschiffen und Kreuzflügen. Lutz Jäkel ist Mitbegründer von Spill The Beans!, der autorengeführten Internetplattform für die Präsentation multimedialer und interaktiver Reportagen. Im Neuer Umschau Buchverlag sind von ihm bisher erschienen: Salibas Welt, New Arabian Cuisine und Genießen auf den Weltmeeren. Er rührt leidenschaftlich in Kochtöpfen und schwärmt für arabisch-europäische Fusion-Gerichte besonders für Lammfilet mit Kaffee­bohnen­kruste auf Auberginenmus mit Granatapfelsauce (Seite 167).

w w w . k u l i n a r i s c h e s - a r a b i e n . de www.harms-jaekel.com www.lutz-jaekel.com

© 1., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage 2011 Neuer Umschau Buchverlag GmbH, Neustadt an der Weinstraße Für diese Ausgabe: Text: Florian Harms, Hamburg Fotografie: Lutz Jäkel, Hamburg Aktualisierung und grafische Überarbeitung: Lutz Jäkel, Hamburg Herstellung: Birgit Wucher, Neustadt an der Weinstraße Reproduktion und Bildbearbeitung: Lutz Jäkel, Hamburg Gestaltung der Karte (Seite 12/13): Margret Schmitt, APA-Images/OGS-Grafik, Wien Druck und Verarbeitung: NINO Druck GmbH, Neustadt an der Weinstraße Printed in Germany ISBN: 978-3-86528-727-4 Die Abbildung auf der Umschlag-Vorderseite zeigt einen Konditor im Suq von Marrakesch, Marokko. Die Rezepte und Ratschläge in diesem Buch sind von den Autoren und dem Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autoren und des Verlages für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache, auch durch Film, Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten. Besuchen Sie uns im Internet: www.umschau-buchverlag.de Die Originalausgabe erschien 2004 bei Christian Brandstätter Verlag GmbH & Co KG, Wien. www.cbv.at, die englische Ausgabe 2007 bei Thames & Hudson Ltd, London unter dem Titel „The Flavours of Arabia“, www.thamesandhudson.com



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