51 minute read
Premieren
29
Premieren
Advertisement
«Der Zweck des Schauspiels sowohl anfangs als jetzt war und ist, der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten; […] dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen.» William Shakespeare
Diese Zeilen sind zu meinem Mantra als Regisseurin geworden. Begegnet sind sie mir erstmals an der Hochschule im Fach Textanalyse – und seitdem lassen sie mich einfach nicht mehr los. Während meines Gesangs- und Regiestudiums in den USA wurde allerorts hitzig über das Für und Wider «traditioneller» und «moderner» Inszenierungen debattiert. Dabei waren diese Kategorisierungen auch immer die Kurzbeschreibung für Produktionen, die entweder gefällig waren oder die Mehrheit des Publikums mit den Augen rollen liessen.
Hamlet zufolge gibt es gar kein «traditionell». Und ja, was bedeutet traditionell überhaupt? Die berühmte «Tosca»-Inszenierung von Franco Zeffirelli mit Maria Callas in der Hauptrolle ist von 1964. Und sie sieht auch aus wie eine Produktion von 1964. Die Wahrnehmung des Prädikats «traditionell» speist sich immer aus den ästhetischen Standpunkten der eigenen Epoche. Ziel des Spielens, Erschaffens, von Theater an sich ist es, der Natur einen Spiegel vorzuhalten und uns ein Detail mehr davon zu zeigen, wer wir sind. «Dem Jahrhundert und Körper der Zeit» – das meint ja nicht den Moment der Uraufführung eines Werkes, im Falle von «Tosca» das Jahr 1900, oder die Zeit der beliebtesten Interpretation, beispielsweise 1964. Es meint jetzt! Es geht immer um uns und die Fragen unserer Gegenwart.
Das bedeutet keineswegs, dass wir daran gebunden sind, unser modernes Leben eins zu eins auf die Bühne zu übersetzen – das müssen wir wirklich nicht. Es gibt Regisseur*innen, die sich auf eine fotorealistische Wiedergabe unserer Gesellschaft spezialisiert haben, meine Anziehungspunkte waren hingegen immer Fantasie und Show. Grosse Broadway-Tanznummern, die Arbeit von Busby Berkeley, Zirkus und Burleske, Drag-Performances etc. Vor allem durch Letzteres war und bin ich stets aufs Neue fasziniert – wie Künstlichkeit auf einzigartige Weise die Wahrheit freilegen kann. In meinen letzten Schuljahren habe ich im Nebenjob in einem Kostümverleih in Hartford, Connecticut, gearbeitet, der abends zum Treffpunkt für ortsansässige Dragqueens wurde. Oft wurde ich Augenzeugin, wie sich ein schüchterner, unsicherer, seine wahre Identität verheimlichender junger Mann in eine Diva in Pailletten verwandelte. Und sich dabei ganz nebenbei zu glühender Wahrhaftigkeit aufschwang. Nicht das Aussortieren oder Reduzieren half, an die Essenz zu kommen, sondern das Gegenteil: erst die ästhetische Maximierung konnte sie freilegen.
Diese Szenen erschienen mir so «opernhaft», dass ich begann, mich zu fragen, ob das gleiche Prinzip auch für die Bühne funktionieren könnte. Wäre es möglich, dass Maximalismus gar nicht vom Narrativ ablenkt, sondern vielmehr verdichtet und stärkt? Vielleicht könnte ein gut kuratiertes Spektakel sogar politische Dimensionen unserer Zeit erlebbar machen und gleichzeitig ein sinnliches, kurzweilig-erhebendes Opernerlebnis sein. Überfluss als Schlüssel zur Klarheit. Oftmals war die ästhetische Kargheit «moderner» Inszenierungen Angriffsfläche für Spott. Ist eine von aller Dekoration befreite Bühne zwangsläufig die bessere Spiegelfläche für die Natur unserer Zeit?
In der Entwicklung meines ästhetischen Zugangs als Bühnenschaffende wurde es zu meinem Ziel, die innersten Wahrheiten eines jeden Stücks zu finden und sie für das Publikum auf sinnliche, opulente, oftmals ironische, einladende Art sichtbar zu machen. Zuschauenden Türen öffnen, um neu über Frage- und Problemstellungen unserer Zeit nachdenken und ihre Lebensrealität anders wahrzunehmen, stand dabei stets im Zentrum. Meine Mission lautet: herausfordern und verführen. Und dabei eine Form für intelligente Unterhaltung zu finden; in einer Theaterlandschaft, die zu oft von Arbeiten geprägt war, die entweder sinnentleert frivol oder abschreckend streng in ihrer Botschaft waren.
Oper ist eine herausfordernde Kunstform. Wir widmen uns in unserer Arbeit Stoffen, die Jahrzehnte und oft genug sogar Jahrhunderte alt sind. Die Handlungsorte und Themen können fremd, die Situationen fern oder – oberflächlich betrachtet – sogar irrelevant sein. Als wäre das nicht genug, wird alles von Figuren zusammengehalten, die singen, anstatt miteinander zu sprechen. Obwohl der direkten Kommunikation mit dem heutigen Publikum so viele Hindernisse im Weg stehen, würde ich behaupten, dass keine andere Kunstform es schafft, Menschen so unmittelbar und instinktiv zu erreichen, wie die Oper. Selbst ein Werk, das 300 Jahre alt ist, kann seine Relevanz und die Fähigkeit, uns zu berühren, zweifelsfrei unter Beweis stellen – wenn es in der Lage ist, die Gesellschaft zu befragen, in der wir leben. Wenn es unsere Sehnsucht nach Schönheit stillt, die uns im heutigen Alltag oft fehlt.
Meine Arbeiten sind gerne opulent – dekorativ sind sie dabei jedoch nie. Es gibt immer eine Direktheit, eine Ehrlichkeit und den kritischen Blick ins Epizentrum durch den metaphorischen Spiegel.
Vor einigen Jahren gab es ein Publikumsgespräch zu meiner Inszenierung von G. F. Händels «Jephtha» für die Wiener Festwochen. Eine Frau beschrieb damals, sie hätte während der Inszenierung «durch ein Fernrohr ins Innere geschaut». Diese Worte klangen mit ähnlicher Kraft in mir nach wie das Zitat von Shakespeare. Ein über 250 Jahre altes Stück, gespielt auf historischen Instrumenten, das einen inhaltlich ins antike Judäa mitnimmt, hatte in ihr die Möglichkeit geöffnet, in sich selbst zu blicken. Es lag eine Wahrheit in diesem Erlebnis, die sie zutiefst bewegte und erstaunte.
Für Künstler*innen gibt es selten so etwas wie «ankommen». Es geht immer um Suchen und Streben, um das Erleben durch Entdeckungen, Experimente, Fehler und glückliche Zufälle – eine Metamorphose nach der anderen. Ich freue mich sehr, dass Luzern ein neuer Arbeitsmittelpunkt für mich wird, zu dem ich Künstler*innen einladen möchte, welche in der Zielsetzung das Gleiche anstreben, in ihrem Zugang aber wundervoll unterschiedlich sind. Gemeinsam wollen wir nach einer Form von Theater forschen, die sowohl opulent ästhetisch als auch schonungslos ehrlich und kritisch ist. Wir freuen uns auf unser Publikum in Luzern, für das wir in jeder Produktion eine neue, aufregende Bühnenwelt erschaffen wollen – scheinbar fern, doch immer wieder elektrisierend und unmittelbar nah.
Ihre Lydia Steier
«Der spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.» Friedrich Schiller
5. September 2021 Bühne und Stadtraum
Musikalische Leitung: Stefan Schreiber Regie: Lydia Steier Bühne: Barbara Lenartz, Sophia Schneider Kostüme: Jennifer Mosen Dramaturgie: Lars Gebhardt, Johanna Mangold
Staatstheater
Mauricio Kagel
Orchester der Lucerne Festival Academy Luzerner Sinfonieorchester
Schweizer Erstaufführung
Koproduktion mit LUCERNE FESTIVAL
Zum Spielzeitbeginn und Start der neuen Intendanz leuchtet Regisseurin und Operndirektorin Lydia Steier mit ihrem Team und dem Ensemble alle Möglichkeiten des Theaters aus: Was sehen, was hören und was fühlen wir eigentlich, wenn wir Oper, Schauspiel und Tanz erleben? Nichts weniger als das (Musik)theater selbst ist das Thema dieses Abends, und der argentinisch-deutsche Komponist Mauricio Kagel gibt auf diese Fragen in seiner «Anti»-Oper «Staatstheater» radikale Antworten.
In neun Abschnitten mit bekannten Theater-Begriffen wie «Repertoire», «Ensemble», «Debüt» oder «Parkett» untersuchen Sänger*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen und der Chor des Luzerner Theaters gemeinsam mit Instrumentalist*innen der Lucerne Festival Academy den Theaterapparat. Mimik, Bewegungen und Raumanordnungen sind dabei ebenso Teil der Komposition wie die Musik. Kagel gibt der Regie bei der Auswahl der Stücke absolut freie Hand. Einzige Bedingung: Es darf nicht länger als 100 Minuten dauern.
In einer grossen Collage werden Stadt- und Bühnenraum ineinander übergehen, Opernfiguren begegnen uns in ungewohnten Zusammenhängen und Mauricio Kagels einzigartiger Witz trifft auf Geister aus dem reichhaltigen Theaterfundus. Ein Experiment mit offenem Ausgang, mit dem sich ganz spielerisch eine Antwort auf die Frage finden lässt, was das Theater für uns heute bedeuten kann.
Sorgte Kagels Werk im Entstehungsjahr 1971 aufgrund seiner ungewöhnlichen Dramaturgie für ordentlich Zündstoff, lädt uns «Staatstheater» heute ein, die Mittel des Theaters neu auszuloten und zu feiern.
11. September 2021 Box
Regie: Katja Langenbach Bühne und Kostüme: Katrin Hieronimus Musik: Roderik Vanderstraeten Dramaturgie: Melanie Oșan
Schweizer Erstaufführung
ab 16 Jahren
Maria
Simon Stephens
Simon Stephens, einer der grossen britischen Gegenwartsdramatiker, holt den Mythos um die Marienfigur in unser Jahrhundert: Seine Maria ist allerdings keine Heilige, sondern eine 18-jährige Frau, eigentlich noch ein Kind, das selber ein Kind erwartet. Unterstützung kann sie sich von ihrer Familie nicht erhoffen: ihre Mutter ist verstorben, der Vater überfordert und der Bruder verschwunden. Die Grossmutter, bei der sie lebt, hat auch nicht mehr die Energie, um ihr Halt zu geben. Maria läuft rastlos durch die Stadt, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der sie bei der Geburt begleitet.
Die Zeit schreitet voran – der Kreislauf des Lebens wird sichtbar – je mehr das Kind in ihr heranwächst, umso mehr schwindet der Körper der Grossmutter. Maria schaut trotzdem unerschrocken und neugierig auf die Welt. Mit scharfem Blick erkennt sie die Unbeständigkeit der Beziehungen um sie herum und sucht ein Zentrum in der zersplitterten modernen Gesellschaft. Sie schafft es sogar, aus ihrer eigenen Einsamkeit aus, andere zeitweise aus deren Einsamkeit zu erlösen und ihre Sehnsüchte zu erfüllen.
Katja Langenbach, die neue Schauspieldirektorin am Luzerner Theater, wendet sich mit Maria nicht nur einer Protagonistin zu, die an der Grenze zum Erwachsensein steht, sondern faltet das von Stephens gebaute Triptychon des Lebens auf – Geburt, Liebe und Tod. Sie fragt nach dem Wesen unserer Gemeinschaft und was heute darunter zu verstehen ist.
«Das Leben macht solchen Spass, auch wenn es völlig daneben geht.» Anton Tschechow
«We may be through with the past, but the past is not through with .» Paul Thomas Anderson
11. September 2021 UG
Regie: Antje Schupp Bühne und Kostüme: Christoph Sepp Rufer Musik: Martin Gantenbein, Ken Mallor Dramaturgie: Dominik Busch
Schweizer Erstaufführung
LIEBE/
Sivan Ben Yishai Eine argumentative Übung
Im Cartoon «Popeye» von Elzie Segar trifft die Hauptfigur Popeye auf Olivia: er, tätowiert und verwegen, ein angstfreier Muskelmann – sie, unterwürfig, mager und ausgestattet mit einer hohen Piepsstimme, und ihr Vokabular erschöpft sich nahezu in einem Wort, dem Wort: «Help!»
In «LIEBE» ist alles anders: Die Autorin Sivan Ben Yishai macht die weibliche Nebenfigur zur Hauptdarstellerin; und die beiden Comicfiguren werden zu Folien für heutige heterosexuelle Paarbeziehungen. Halten wir uns nicht alle für aufgeklärt? Für feministisch und emanzipiert? Wie kommt es dann, dass wir uns voreinander schämen? Und warum gibt es noch immer so viel Ungesagtes – etwa, wenn es um Sex geht? «LIEBE / Eine argumentative Übung» ist eine Untersuchung: Immer tiefer gräbt sich die Handlung hinein in den häuslichen Raum eines jungen Paares. Das ist mal zum Lachen und mal zum Heulen, und immer getragen von einer leidenschaftlichen Suche nach Aufrichtigkeit.
Die Regisseurin Antje Schupp wird die teilweise hinreissend komischen Etüden über eine Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann auf das Erbe hin abklopfen, das die beiden in sich tragen: gesellschaftlich, familiär, emanzipatorisch, patriarchal, aufgeklärt, abgeklärt – denn all dies lässt sich mitnichten so einfach abstreifen wie eine Unterhose vor der Liebesnacht.
26. September 2021 Bühne
Operngala mit dem gesamten Opernensemble, dem Chor des Luzerner Theaters und dem Luzerner Sinfonieorchester
Attacco!
Jedes Mal, wenn ein neues Leitungsteam mit vielen neuen Künstler*innen an ein Theater kommt, ist das Publikum sehr gespannt. Umgekehrt ist es aber genauso: auch die Ensemblemitglieder und das neue Team des Luzerner Theaters können es kaum erwarten, sich bei Ihnen mit ihren Programmen vorzustellen. Gleich zu Beginn erwarten Sie das theatrale Feuerwerk von Mauricio Kagels «Staatstheater», und mit «Attacco!» eine Serie von Konzerten: die festliche Opern-Gala möchte mit musikalischen Highlights Ihre Lust und Neugier auf die kommende Spielzeit wecken. Auf dem Programm stehen Werke aus über dreihundert Jahren, vom englischen Barock bis zur Moderne. Dabei kommen Sie in den Genuss von Arien, Ensembles und Chören aus Mozarts «Le nozze di Figaro», Händels «Il Trionfo del Tempo e del Disinganno», Verdis «Macbeth», Brittens «The Rape of Lucretia» und Dusapins «Perelà».
Ebenso sind drei Liederabende mit Klavier geplant, in denen sich die Mitglieder unseres Ensembles mit einem variablen Programm in einem intimen Rahmen dem Publikum präsentieren. Für welches Programm auch immer Ihr Herz schlägt (vielleicht ja für alle vier?) – Sie haben die Qual der Wahl und wir die Freude, Sie hoffentlich bei möglichst vielen Vorstellungen begrüssen zu dürfen! Feiern Sie mit uns, den Solist*innen des Ensembles, dem Chor des Luzerner Theaters und dem Luzerner Sinfonieorchester.
«Es locken süss die Geigen, alle zum Reigen, ach, wer kann da widerstehen?» Robert Bodanzky
«Wer zu schmeicheln versteht, versteht auch zu verleumden.» Napoleon Bonaparte
30. September 2021 Bühne
Regie: Heike M. Goetze Bühne und Kostüme: Heike M. Goetze Dramaturgie: Dominik Busch
Gefördert durch die Freunde Luzerner Theater
King Lear
William Shakespeare
Bei der Übergabe von Macht und Verantwortung kann vieles schiefgehen. Das berühmteste Theaterstück, das sich diesem Problem widmet, ist William Shakespeares «King Lear»: Ein König möchte auf seine alten Tage kürzertreten. Er bestellt seine drei Töchter ein, um ihnen in einer feierlichen Zeremonie seinen Besitz zu übertragen. Als Gegenleistung verlangt er scheinbar nicht viel: verehren sollen sie ihn – doch was den beiden älteren Schwestern leichtfällt, das bringt die Jüngste nicht über die Lippen. In einem beispiellosen Anfall von Wut und Zorn enterbt der alte Lear seine Lieblingstochter und löst damit eine Kette von Katastrophen aus, in der die einen dem Wahnsinn verfallen, die anderen ihr Leben verlieren. Nie hat Shakespeare menschlichen Schmerz sprachgewaltiger ausgelotet, nie den Umschlag von Vertrauen in Verrat aufwühlender beschrieben als in dieser Tragödie.
In ihrer Inszenierung sucht Heike M. Goetze nach dem Kern dieses Stoffes, dem nackten «Lear». Das Pure soll im Zentrum stehen, fernab von bunten Oberflächen und manierierter Künstlichkeit. Getragen wird diese Herangehensweise von der Einsicht, dass wir von allem nur immer die Ränder kennen. Die Regisseurin denkt den «Lear» in archaischen, ja metaphysischen Bildern – und wenn Shakespeares Tragödie etwas zeigt, dann ist es, wie wenig wir über den Menschen wissen.
9. Oktober 2021 Bühne
Regie, Konzept, Bühne, Kostüme: Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo Lichtdesign, Video, Mitarbeit Bühne: Petri Tuhkanen Musik: Jakob Juhkam Dramaturgie: Sandra Küpper
Wiederaufnahme aus der Spielzeit 20/21
Kunst
Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo
Mitte März 2020 wurden weltweit die Kulturinstitutionen aufgrund der Corona-Epidemie zunächst auf unbestimmte Zeit geschlossen, dann geöffnet und wieder geschlossen. Eine wichtige Stimme, der geistige Nährboden der Gesellschaft wurde dadurch stumm geschaltet. Das gemeinsame Live-Erleben immer wieder von heute auf morgen unmöglich, die Kunst in diesem Zusammenhang als nicht systemrelevant eingestuft. Ein Jahr später widmet das Luzerner Theater eine ganze Produktion dem Thema Kunst und ihrem Wert für eine Gesellschaft, dem Nutzen und der Nutzlosigkeit der Kunst. In einem White Cube wird auf der Bühne ein wichtiger gesellschaftlicher Bereich beleuchtet, den man vielleicht nicht immer gleich als das erkennt und den es zu erhalten gilt, gerade dann, wenn eine Gesellschaft auch in Zukunft flexibel und offen sein will.
«Kunst» ist ein sehr persönliches Statement der beiden estnischen Künstler Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo, ein Poem, das zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung einlädt und dabei die Frage nach der Haltung jedes Einzelnen stellt. «Kunst» ist eine Übernahme aus der vorherigen Spielzeit. Denn der Wert von Kunst endet nicht mit einem Intendant*innenwechsel.
«Es gibt überhaupt keine Sicherheiten mehr, und das ist gut so, und deshalb können wir einfach frei aufspielen: Hosen runter, Karten auf den Tisch, loslegen, loslabern, Unsinn reden, das ist ja wohl das Grundrecht eines Künstlers.» Jonathan Meese
«I don’t belong to anywhere, not even in this ghost world. I couldn’t make myself disappear. is calling me. I can still hear it.» Du Yun
Musikalische Leitung: NN Regie: Roscha A. Säidow Bühne und Kostüme: Roscha A. Säidow Dramaturgie: Johanna Mangold
Luzerner Sinfonieorchester
Schweizer Erstaufführung
A Cockroach’s Tarantella / Zolle
Du Yun 27. Oktober 2021 Box
In jeder Saison wird das Luzerner Theater ab jetzt eine Komponistin porträtieren. Die Komponistin, Multi-Instrumentalistin und Performancekünstlerin Du Yun wird in der ersten Spielzeit zu Gast sein. Du Yun ist eine Wanderin zwischen den Welten: in China geboren, lebt sie unterdessen in New York, reist für ihre Projekte («Future Traditions», «Where we lost our shadows») aber um die ganze Welt.
In ihren beiden Musiktheaterwerken, die zum ersten Mal in der Schweiz zu hören sein werden, beschäftigt sie sich mit Fragen von Zugehörigkeit und Verlorensein zwischen den Welten: Eine Kakerlake schildert uns in der kurzweiligen Kammeroper «A Cockroach’s Tarantella» die Mühsal ihres Lebens – und hat einiges zu sagen. In «Zolle» spricht ein Geist zu uns, der zur Erde zurückkehren möchte. Eine Sehnsucht, die Du Yun vor allem musikalisch interpretiert: so durchzieht ihre überraschende Klangsprache, die sie um die klanglichen Möglichkeiten der Elektronik vielfältig erweitert, auch immer wieder eine leise Erinnerung an die italienische Oper. Dieses Spiel mit musikalischer Gegenwart und Vergangenheit verbindet sich in Du Yuns Kompositionen zu einem intensiven Moment im Jetzt, in dessen Zentrum wir Hörer*innen stehen.
Für die Regisseurin des Doppelabends, Roscha A. Säidow, die in ihren Inszenierungen stets auch nach Rauminstallationen für den Klang sucht, sind Du Yun’s Werke akustische Fluchten in einen paradiesischen Zustand.
30. Oktober 2021 Bühne
Musikalische Leitung: NN Regie: Gerard Jones Bühne: Anna Yates Kostüme: Donna Raphael Dramaturgie: Talisa Walser
Luzerner Sinfonieorchester
Gefördert durch die Freunde Luzerner Theater
Le nozze di Figaro
Wolfgang Amadeus Mozart
Susanna und Figaro freuen sich auf den langersehnten Tag ihrer Hochzeit. Was Figaro jedoch nicht weiss: Graf Almaviva möchte das alte feudale «Recht der ersten Nacht», auf das er gerade grosszügig verzichtet hat, bei Susanna wieder heimlich in Kraft setzen. Als Susanna Figaro über die Absichten des Grafen aufklärt, ist er zutiefst empört und will ihm die Stirn bieten. Was als Kampfansage beginnt, entwickelt sich zu einem undurchschaubaren Liebeslabyrinth, dynamisch befeuert durch heimliche Briefe, Verkleidungen und Listigkeiten. Selbst Figaro droht sich im Intrigengewirr zu verheddern, wären da nicht Susanna und ihre Komplizin, die Gräfin Almaviva, die mit ihrer Klugheit und Aufrichtigkeit am Ende doch noch alles zum Guten wendet.
Regisseur Gerard Jones, Gewinner des europäischen Opernregiepreises, setzt W. A. Mozarts Oper in Szene, die – wie schon die Textvorlage von Beaumarchais – auf revolutionäre Weise nur schwer zu durchbrechende Machtstrukturen blossstellt und kritisiert. Die Figuren wirken gefangen in ihren Rollen, wollen ausbrechen, scheuen sich jedoch vor den Konsequenzen. Jones sieht in diesem Stück exemplarisch vorgeführt, dass die Elite vor der Revolution ebenso erzittert wie die Unterschicht vor der Anarchie. Solche Zustände, deren Analogien uns, unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen, auch heute noch begegnen, hinterfragt Mozart in seinem «Figaro» mit spielerisch-bösem Humor meisterhaft.
«Mag es immerhin den Kopf kosten, wenn es nur nicht das Herz kostet.» Ilse Aichinger
«Being a refugee is not a choice!» Yusra Mardini
6. November 2021 UG
Regie: Katja Langenbach Bühne und Kostüme: Hella Prokoph Choreografie: Exequiel Barreras Musik: Roderik Vanderstraeten Dramaturgie: Melanie Oșan
Transit
Anna Seghers
«Transit» von Anna Seghers ist eine Geschichte über Menschen in Zwischenräumen. Eine Geschichte über das undeutliche Terrain zwischen Gestern und Morgen, zwischen Heimat und Asyl, zwischen Verlust und Neubeginn. Sie zeigt den Albtraum der Transitzonen, in denen Heimatlose früher wie auch heute ausharren müssen. Doch am Ende ist es vor allem eine packende Geschichte über die Kraft einer Begegnung.
Warten, Resignation, Chaos – so erlebt Franz die Hafenstadt Marseille im Jahr 1941. Hier versammeln sich Flüchtlinge wie er selbst. Stunden- und tagelang stehen sie vor den Konsulaten an, um die richtigen Papiere zu bekommen. Diese letzte Hoffnung hält sie am Leben: ein Platz auf einem Schiff, das sie aus dem brennenden Europa wegbringt.
Franz gelangt durch Zufall an die Papiere eines toten Schriftstellers, dessen Identität er annimmt. Während der zähen, eisigen Wintertage, in denen er seine Abreise vorbereitet, lernt er Marie kennen – eine Frau, die auf der Suche nach ihrem Mann ruhelos durch die Stadt streift. Franz verliebt sich in Marie – und auch als er begreift, dass sie die Frau des Toten ist, sagt er ihr nichts von dessen Schicksal.
Alles bleibt in der Schwebe, alles bleibt im ewigen Transit.
Die Produktion wurde 2017 von Katja Langenbach und einem internationalen Team als freies Projekt im Grenzbereich zwischen Schauspiel und Tanz entwickelt und war bereits in St. Gallen, Ulm und Konstanz zu sehen.
17. November 2021 Bühne
Regie: Benno Muheim Bühne: Marie-Isabel Vogel Kostüme: Julia Ströder Musik: Silberbüx Dramaturgie: Martin Carnevali
Familienstück ab 6 Jahren
Emil und die Detektive
Erich Kästner
Emil fährt allein in die grosse Stadt. Was eigentlich schon abenteuerlich genug ist. Aber dann wird ihm auf der Zugfahrt all sein Geld gestohlen – von einem hinterhältigen Herrn mit steifem Hut. Emil ist verzweifelt, aber er nimmt trotzdem die Verfolgung auf. Dann trifft er zu seinem Glück auf eine ganze Bande Kinder, die er gar nicht kennt, die ihn trotzdem nicht im Stich lässt und ihm sein Geld zurückholen will. Und so wird aus dem grossen Schlamassel ein noch viel grösseres Abenteuer.
«Emil und die Detektive» ist eine der bekanntesten und aufregendsten Geschichten der deutschsprachigen Kinderliteratur. Sie erzählt von Solidarität unter Kindern und von bedingungsloser Freundschaft: weil man sich zusammen Mut machen kann und weil viele mehr wissen und mehr können als eine*r allein. Nicht zuletzt erzählt «Emil und die Detektive» die Geschichte von Selbstbehauptung in einer abweisenden Welt, vom Nicht-einschüchtern-Lassen von den Grossen und vermeintlich Mächtigen.
Die Musiker*innen von Silberbüx gehören zu den berühmtesten Kinderliedermacher*innen der Schweiz. Nur als Detektiv*innen sind sie noch nicht so erfolgreich. Deshalb erzählen sie hier die Geschichte ihres weltberühmten Vorbilds Emil und seiner Detektiv*innen, um sich von ihnen eine Scheibe abzuschneiden. Und sie können es kaum erwarten, für dieses Abenteuer neue Lieder mit euch zu singen.
«Wir könnten Menschen sein. Einst waren wir schon Kinder.» Max Frisch
Tanz ist untrennbar mit dem menschlichen Körper verbunden. Das ist einer der Gründe, warum er für viele Menschen selbst beim blossen Zusehen mit allen Sinnen so direkt erfahrbar und nachvollziehbar ist. Er spricht oft «zwischen den Zeilen», kommuniziert durch Berührung, Verbindung, wortloses Interagieren und Verstehen und baut auf ein zutiefst sensitives Erspüren der Welt. Genau das, was die Pandemie in den letzten Monaten nicht zuliess.
Doch wenn sich etwas lernen lässt vom Tanz, und das ist meine Erfahrung in der Beschäftigung mit dieser Kunstsparte seit mehr als dreissig Jahren, dann dies: Probleme lassen sich immer auch als Chancen sehen. Der Vorgang des Tanzens erfordert ja nicht zuletzt, sich permanent am Umfeld und an den anderen Menschen zu orientieren. Er bedarf in jeder Hinsicht der Fähigkeit zur Flexibilität – dies jedoch gepaart mit dem Streben danach, weitestmögliche Ausdrucksfreiheit innerhalb der gegebenen Grenzen zu gewinnen, mehr noch, diese auch immer wieder zu testen und zu erweitern. Auch die meist überaus kurze Tanzkarriere lehrt alle, die sie einschlagen, von Anfang an, auf Wechsel und Neuanfänge vorbereitet zu sein und sie zuversichtlich anzugehen. Diese zutiefst optimistische Haltung, dass sich in jeder Situation neue Türen öffnen, habe ich mir längst abgeschaut. Und daraus schöpfe ich auch meine Zuversicht, dass wir Mittel und Wege finden werden, wie wir alle, also Sie, unser Publikum, und wir Menschen des Theaters, in Kontakt kommen können, wie wir uns kennenlernen und gegenseitig inspirieren können.
Sie werden bekannten Gesichtern begegnen, denn die Tänzer*innen der Spielzeit 21/22 sind weitestgehend dieselben wie in der vorhergehenden. Wir haben uns ganz bewusst für Kontinuität im Ensemble entschieden. Nicht nur Corona sprach dagegen, einen grösseren Austausch vorzunehmen, der sonst so oft mit einem Intendanzwechsel einhergeht. Entscheidend war vor allem, dass wir davon überzeugt sind, dass die Tänzer*innen das künstlerische Potenzial haben, sich mit einer grossen Bandbreite an Tanzstilen auseinanderzusetzen. Bei meinen Gesprächen mit ihnen stiess ich auf grosse Offenheit und eine ungemeine Lust, neue Wege auszuprobieren. Alle sind neugierig auf eine etwas andere Ausrichtung – auf die übrigens auch der neue Ensemblename TanzLuzern hinweist. Gleichzeitig ist das bestehende Ensemble aber auch Zeichen für eine gewisse Kontinuität, denn geknüpfte Kontakte in die Stadt hinein, zu vielen von Ihnen, können bewahrt und ausgebaut werden. Die Compagnie besteht aus spannenden Einzelpersönlichkeiten, die auch einzeln wahrgenommen werden sollen. Bei meinem Bemühen, mehr über sie zu erfahren, habe ich ihnen einige Fragen zu ihrer Lebens- und Arbeitsrealität als tanzende Menschen gestellt. Wenigstens einige ihrer Antworten möchte ich gerne mit Ihnen teilen, Sie finden sie im Anschluss an diesen Text.
Meine andauernde Begeisterung für den Tanz – ich bin hier wirklich Überzeugungstäterin! – hat viel mit der immensen kreativen Energie zu tun, die Tänzer*innen und Choreograf*innen weltweit an den Tag legen und die das Spektrum an Formaten, Spielarten und Tanzsprachen ständig erweitern. Meine Erfahrung ist: Qualität ist weder an einen bestimmten Tanzstil gebunden noch an bestimmte Orte. Ich habe sie im Ballett
entdeckt, im Modern Dance, aber auch im Hip-Hop oder im zeitgenössischen Tanz, in sämtlichen geografischen Regionen, bei Männern und Frauen gleichermassen, in kleinen und grossen Theatern. Möglichst viel von dieser Bandbreite möchte ich nach Luzern bringen. Denn als internationale, in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitende lebt diese Kunstform vor, welche Chancen in ihrer Diversität liegen. Gerade aus der Begegnung von Unterschiedlichem entsteht Neues, werden Kunstschaffende herausgefordert und neu inspiriert. Solche Begegnungen werde ich bewusst initiieren, immer dann, wenn ich davon überzeugt bin, dass Menschen sich gegenseitig etwas zu sagen haben, voneinander lernen und gemeinsam Neues entdecken. Mir liegt am Herzen, Bedingungen und Strukturen zu schaffen, die solche Begegnungen möglich machen, die der Kreativität und Inspiration Raum geben.
Solche Orte sind wichtig für eine Stadt – genauso, wie die Stadt wichtig ist für uns Kunstschaffende. Wir werden uns bemühen, möglichst viel von unserem Tun sichtbar, miterlebbar zu gestalten, denn Kunstschaffende sind auf Impulse von aussen angewiesen, brauchen den Kontakt zum Publikum. Er hat lange genug gefehlt!
Entdecken Sie also Ihre «neue» Tanzcompagnie in Luzern – sei es an einer der Vorstellungen oder im Rahmen von anderen Begegnungsformaten: begleiten Sie uns dabei, wenn wir uns nun auf den Weg machen, zu einem solchen kreativen Ort, einem Schmelztiegel für den Tanz, zu werden. Ich, wir alle vom Tanz, freuen uns darauf, Sie kennenzulernen!
Ihre Wanda Puvogel
Tanzend leben: Gedanken der Tänzer*innen von TanzLuzern
«Was den Tanz ausmacht, kommt von innen und kann für ein ungeschultes Auge unsichtbar sein.»
«Ich freue mich darauf, in Luzern wieder Vorstellungen machen zu können, auf der Bühne zu sein und mit den Menschen der Stadt mittels unserer Kunstform erneut in Kontakt treten zu können.»
«Ohne Tanzen könnte ich nicht leben. Der Tanz ist mein bester Freund.»
«Das Publikum, die Menschen und die Gesellschaft insgesamt sind eine Inspiration für die Kunst. Wir sind eine Reflexion, ein Gefäss für Stimmen, Emotionen und Ideen, die wir alle erleben. Wir verkörpern die menschliche Erfahrung, die gehört und gesehen werden soll.»
«Tanzen macht mich zu einer viel anpassungsfähigeren, einfühlsameren und offeneren Person.»
«Ich fühle mich weder stärker noch verletzlicher, wenn ich tanze, sondern ich fühle mich selbst.»
«Ich denke, dass die Rolle des Publikums darin besteht, den Tanzenden die innere Verwandlung bewusst zu machen, die während der Aufführung in ihnen selbst stattfindet.»
«Tanz kann einerseits ermächtigend sein, aber er kann anderseits auch deine Verletzlichkeit offenbaren. Das ist eine echte Dichotomie.»
«Ich sehe Tanz als eine Ausdrucksform, eine Sprache, genau wie Französisch, Italienisch, Portugiesisch oder Englisch, die Teil meines täglichen Lebens sind. Ich bin mir sicher, dass Menschen, die mehrere Sprachen sprechen, die Erfahrung kennen, dass es sich je nach Situation manchmal angenehmer anfühlt, eine Sprache statt einer anderen zu sprechen.»
«Ich frage mich manchmal, wie Hass in unserer Körpersprache sein kann. Ich denke, dass Hass im Tanz keinen Platz hat. Man kann nicht gleichzeitig hassen und tanzen.»
«In diesen verrückten Zeiten ist es wichtig, dem Publikum Live-Tanz zu zeigen, sich berührt zu fühlen und wieder echte Gefühle zu teilen. Um gemeinsam zu feiern und Hoffnung zu haben.»
3. Dezember 2021 Bühne
Choreografie: Muhammed Kaltuk, Mthuthuzeli November, Inbal Pinto Bühne: Jann Messerli, Inbal Pinto Kostüme: Romy Springsguth, Inbal Pinto Dramaturgie: Wanda Puvogel
Drei Uraufführungen
From Human to Kind
Muhammed Kaltuk Mthuthuzeli November Inbal Pinto
Das Wort «Tanz» löst bei jedem Menschen andere Bilder im Kopf aus – kein Wunder angesichts der schier endlosen und immer wieder neu entstehenden Erscheinungsformen in dieser Sparte. Die Diversität im Tanz spiegelt nur diejenige der Menschheit insgesamt, kann aber beispielhaft aufzeigen, wie befruchtend das Zusammenspiel von unterschiedlichen Herkünften, Erfahrungen und Arbeitsweisen sein kann. Begegnungen mit anderen inspirieren, lenken künstlerisch in neue Bahnen. Genau das vermitteln auch die drei in diesem Programm gebündelten Choreograf*innen, die sich thematisch auf äusserst unterschiedliche Art und Weise dem nähern wollen, was uns Menschen ausmacht, formt und bestimmt: Mit Inbal Pinto arbeitet eine der bekanntesten Choreografinnen der israelischen Tanzszene erstmals in Luzern, angekündigt hat sie ein «Kaleidoskop des Menschseins». Mthuthuzeli November stammt aus Südafrika, wo auch seine frühen tänzerischen Wurzeln liegen. Eine erfolgreiche Karriere als Balletttänzer führte ihn nach Europa, er ist Mitglied des Ballet Black in London. Sein enormes choreografisches Talent belegt nicht zuletzt der Olivier Award, mit dem er im vergangenen Jahr für das beste neue Tanzstück ausgezeichnet wurde. Über einen Preis konnte sich auch der in Basel ansässige Muhammed Kaltuk freuen, er gewann 2020 den Stuttgarter Wettbewerb für Solochoreografie. Kaltuks tänzerische Ursprünge liegen im Hip-Hop, den er jedoch zeitgenössisch ausweitet zu einem höchst dynamischen eigenen Tanzstil.
Die Tänzer*innen von TanzLuzern freuen sich sehr auf die Auseinandersetzung mit diesen auffallend unterschiedlichen choreografischen Handschriften!
«Will you still love me when I’m no longer young and beautiful?» Lana Del Rey
Georg Friedrich Händel 11. Dezember 2021 Box
Musikalische Leitung: Andrés Locatelli Regie: Anna-Sophie Mahler Bühne und Kostüme: Sophie Krayer Dramaturgie: Talisa Walser
Il Profondo
Il Trionfo del Tempo e del Disinganno
Die beiden Allegorien Schönheit und Vergnügen sind gerade dabei, einander ewige Treue zu schwören. Doch Zeit und Wahrheit sind schnell zur Stelle, um dieses Bündnis zu stören. Darauf beginnt ein Dialog zwischen den vier allegorischen Figuren, bei dem die Schönheit zunehmend irritiert ist ob der Vergänglichkeit, die die Zeit mit sich bringt. Die vierte Allegorie, im Deutschen mit Wahrheit übersetzt und im Italienischen als «Disinganno» bezeichnet, bringt mit ihren Gedanken von Wahrheit und Wahrhaftigkeit sowohl Erkenntnis als auch Enttäuschung mit sich. Während das Vergnügen versucht, die Schönheit immer wieder abzulenken, beharrt die Wahrheit darauf, sich dem Leben zu stellen. Die Schönheit muss sich entscheiden: Soll sie sich von ihrem Spiegelbild und dem Vergnügen abwenden, um zu ihrem wahren Ich zu finden?
Händel war 22 Jahre jung, als er das Oratorium «Il Trionfo del Tempo e del Disinganno» schrieb. Obwohl es inhaltlich eher einer philosophischen Abhandlung als einer dramatischen Handlung gleicht, besticht es durch seine hochsinnliche Musik, die in jeder Faser Oper ist. Am Luzerner Theater wird das Oratorium nun als spartenübergreifendes Projekt von Oper und Schauspiel aufgeführt. Regie führt Anna-Sophie Mahler, die den allegorisch-philosophischen Text als ein theatrales Ereignis gestaltet, das Händels Oratorium an der Schnittstelle von Musik- und Sprechtheater neu erfahrbar macht.
Wir kennen uns noch nicht. Weder wissen Sie, wer ich bin, welches Theater ich mache und welche Menschen ich mit nach Luzern bringe, noch weiss ich, wer Sie sind, welche Wünsche Sie haben und welche Fragen Sie umtreiben.
Was werden wir aneinander mögen, was nicht? Was interessiert uns aneinander? Wo können wir etwas voneinander lernen? Was verstehen wir voneinander und was nicht?
Genau durch diese gegenseitige Befragung zwischen uns und Ihnen entsteht Theater. Durch den Kontakt. Durch die Berührung. Das liest sich fast wie eine Provokation in diesen Zeiten der physischen Distanzierung. Doch genau das ist mein grösster Wunsch: dass es uns immer wieder gelingt, einen Funken auf der Bühne zu entzünden, der zu Ihnen überspringt. Dass wir anders aus dem Theater herausgehen, als wir hereingekommen sind. Dass wir uns im Theater neu erfinden können. Das gelingt nicht täglich. Aber wenn es uns gelingt, Kopf und Herz zu entzünden, dann findet eine Berührung statt. Eine Berührung im Sinne der antiken Katharsis. Und wir alle wissen seit einem Jahr, wie wichtig das ist, um uns lebendig zu fühlen. Bis zum Innersten wollen wir deshalb reisen. Gemeinsam mit Ihnen.
Was bedeutet das für unsere Theaterarbeit? Das habe ich die Schauspieler*innen und Dramaturg*innen gefragt, die im Sommer 2021 nach Luzern ziehen und hier das neue feste Schauspielensemble des Luzerner Theaters bilden. Aus den Antworten ist unsere gemeinsame Landkarte entstanden, eine Mindmap, die wir hier für Sie abgebildet haben.
Unsere Karte verweist auf verborgene Orte, die wir erforschen möchten. Dabei wollen wir nicht nur auf den Verstand zurückgreifen, sondern alle Sinne nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben uns gefragt: Wann entstehen die grössten Glücksmomente im Theater und im Leben? Ist es nicht oftmals dann, wenn wir nicht wissen, sondern fühlen? Wenn wir wissen, ohne zu verstehen? Wenn Gedanke und Tat eins sind? Wenn unsere Instinkte uns führen, unser Bauchgefühl?
Aber natürlich können Sie mit uns auch in andere Landschaften reisen, in denen die Köpfe rauchen, die Argumente messerscharf sind und die Ekstase aus der Analyse kommt.
Das macht uns zu Menschen, und das macht das Theater menschlich: dieses Wechselspiel von Verstehen und Spüren, von Lachen und Schmerz, von Poesie und Realität.
Im Innersten warten auch Überraschungen. Weisse Flecken auf der Landkarte. Unbekanntes Terrain. Ich finde: es gibt nichts Schöneres, als von sich selbst überrascht zu werden! Das ist aber nur möglich, wenn wir uns öffnen – für die Kolleg*innen und für Sie, unser Publikum. Wenn wir bereit sind, in einen gemeinsamen Denk- und Fantasieraum einzutreten. In einen Raum, der uns zu neuen Perspektiven und Veränderungen herausfordert. Hier können wir bis zum Äussersten gehen, um zum Innersten zu kommen! Hier zeigt sich Kompromisslosigkeit als Kraft genauso wie die Fähigkeit loszulassen und sich zu offenbaren. Hier dürfen Fragen auch unbeantwortet bleiben, denn im Kern unserer Arbeit steht die Suche. Die Suche nach dem, was uns und unser Dasein ausmacht.
Auf unserem Weg wird der Blick vor und zurück schweifen. An Orte der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Wir entdecken sie immer als heutige Menschen! Aus dem Jetzt heraus! Wir werden zu neuen Aussichtspunkten gelangen auf unserer Reise zum Innersten, aber auch an verwundete, unbequeme oder vernarbte Stellen. Vielleicht müssen wir uns auch mal verlaufen, um das Ziel zu finden, oder Joseph Roth kann uns die Richtung zeigen, wenn er sagt: «Menschen sind wir, Menschen! Schlecht und gut! Gut und schlecht! Nichts anderes als Menschen.» Roths Bemerkung hat uns in der Zusammenstellung des Spielplans geleitet und sie fasst in ihrer Schlichtheit zusammen, wie das Schauspiel für Luzern aussehen soll: ein Theater von Menschen für Menschen. Ein Theater der Menschlichkeit vom innersten bis in den äussersten Kreis. Ein Theater der Vielfalt – mit unterschiedlichsten Künstler*innen, Ästhetiken und Genres und mit Ihnen, unserem vielseitigen Publikum! Ein Theater, das uns unterhält mit grossen Stoffen, mit zeitgenössischen Inhalten und mit spielerischen Experimenten. Ein Theater, das eine physische Unmittelbarkeit hat und das dabei die Sprache und den Gedanken gleichermassen liebt. In jedem Fall aber ein Theater, das lebt und nicht vor der Anstrengung zurückschreckt, nach den innersten Zusammenhängen zu forschen.
Ich lade Sie herzlich dazu ein, mit uns diese Landkarte weiterzuzeichnen, sie wachsen zu lassen und neu zu gestalten. Ich freue mich auf den gemeinsamen Weg und auf all die Begegnungen und Entdeckungen. Auf die Berührung und die Funken!
14. Januar 2022 UG
Regie: Katja Langenbach Musik: Mario Marchisella
Der Amokläufer
Stefan Zweig
1912 auf dem Atlantik. An Bord eines Schiffs von Kalkutta nach Europa treffen nachts zwei Männer aufeinander. Verzweifelt und angetrunken berichtet der eine von seinem Schicksal als Arzt in den Kolonien. Durch die Leidenschaft für eine Frau wurde er zum Amokläufer. Er ist mitverantwortlich für ihren Tod und begleitet nun den Leichnam auf seiner Überfahrt nach Europa. Mit an Bord: Der Ehemann der Verstorbenen, vor dem er der Arzt sein Geheimnis behüten muss. Für diese Frau opfert er alles – Karriere, Pension und letztendlich auch sein Leben.
Stefan Zweig, Meister feinster psychologischer Darstellungen, hat sich immer wieder mit dem Kosmos menschlicher Manien beschäftigt. Gerade in der Grenzsituation der Besessenen entdeckt er den Kern des Menschen.
«Der Amokläufer» ist ein Hör-Stück – Katja Langenbach hat es zusammen mit den Ensemblemitgliedern Tini Prüfert und Thomas Douglas sowie dem Musiker Mario Marchisella entwickelt. Die vier ziehen das Publikum mit ihrem musikalischen Erzähltheater in einen Sog aus Begierde, Macht, Reue und Verzeihen. Mit lautem Donnern und feinen Zwischentönen bringen sie Zweigs abgründige und wortgewaltige Novelle zum Klingen – im Grenzbereich von Lesung, Hörspiel und Konzert.
«Lass mich nicht los! Lass mich nicht auf dich los!» Faber
22. Januar 2022 Bühne
Musikalische Leitung: Hossein Pishkar Regie: Wolfgang Nägele Bühne und Kostüme: Valentin Köhler Dramaturgie: Johanna Mangold
Luzerner Sinfonieorchester
Macbeth
Giuseppe Verdi
1847 schafft der 34-Jahre junge Giuseppe Verdi auf der Basis von William Shakespeares gleichnamigem Drama mit «Macbeth» ein musikdramatisches Werk, das eine skrupellose Welt vor Augen führt. Macbeth, dem von drei Hexen der Königstitel verheissen wurde, ermordet gemeinsam mit der Lady unter seinem eigenen Dach den König, um dessen Krone und Macht an sich zu reissen. Es ist eine Welt geprägt von Macht, Terror und Mord, in der zwei Menschen, um der Herrschaft willen herrschen wollen. Hier entscheiden Willkür und Zufall über Aufstieg und Fall von Königreichen, die Skrupellosen erzwingen die Gunst der Stunde mit Gewalt.
In der Rezeptionsgeschichte der Oper wird immer wieder betont, Verdi habe im «Macbeth» auf eine Liebesgeschichte verzichtet. Für Regisseur Wolfang Nägele sind Macbeth und die Lady durch eine mächtige Liebe miteinander verbunden, die zum Katalysator der destruktiven Kräfte wird. Realitätsverlust, Wahnvorstellungen und eine symbiotische Verschmelzung sind die Folgen, die musikalisch vor allem in der zweiten Fassung von 1865 übersetzt sind. Verdis Oper spricht mit voller Wucht zu uns und erzählt von der manischen Liebe eines Paares, das die gesamte politische Welt und die Menschen um sich herum mit in den Abgrund reisst.
« aber besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen.» Hannah Arendt
«Ja. Es hat einen Grund, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Aber nein: Keinen besonders guten.» Eric Jarosinski
5. Februar 2022 Box
Regie: Martin Schulze Bühne und Kostüme: Ulrich Leitner Musik: Dirk Raulf Dramaturgie: Dominik Busch
Zur schönen Aussicht
Ödön von Horváth
Schauspieler und Offizier, Kunstmaler und Plantagenbesitzer – das waren Strasser, Max und Karl einmal. Heute leben sie als Direktor, Kellner und Chauffeur im Hotel «Zur schönen Aussicht» am Rande eines mitteleuropäischen Dorfes. Da die Saison schlecht läuft – Krise, wohin man sieht, lassen sich die Männer von Baronin Ada von Stetten gegen explizite Gefälligkeiten aushalten. Mit ausreichend Sekt im Haus trinkt sich die unfreiwillige Gemeinschaft derer, die sich vom Leben betrogen fühlen, das Leben schön.
Unangenehm wird es, als der Vertreter Müller die offene Alkoholrechnung beglichen haben will, geradezu bedrohlich aber als Christine, die Ex-Geliebte von Strasser, auftaucht und ihm von Liebe und ihrem gemeinsamen Kind erzählt.
Ödön von Horváths Text ist eine Komödie, die uns Abgründe zumutet – seine Figuren handeln brutal und verroht –, und doch steckt in ihnen allen die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Aber Horváths Welt sieht keinen Ausstieg mehr vor, selbst dann nicht, wenn er mit ein wenig Mitgefühl noch zu haben wäre.
Regisseur Martin Schulze zeigt in seiner Arbeit an Horváths Krisenkomödie eine Gesellschaft von Einzelkämpfer*innen, deren einzige Gemeinsamkeit ihre prekäre Lebensbehauptung ist. Schulze will hinter ihre zementierten Fassaden schauen und damit Menschen sichtbar machen, die längst die Hoffnung aufgegeben haben, noch gesehen zu werden.
10. Februar 2022 Bühne
Regie: Brit Bartkowiak Bühne: Hella Prokoph Kostüme: Britta Leonhardt Musik: Xell. Musikalische Mitarbeit: Pirmin Lang, Peter Sigrist Dramaturgie: Melanie Oșan
Uraufführung
Der Chor
Dominik Busch
Der Herbst 2001 war eine Zeit voller Gewalt: Am 11. September fanden die Anschläge auf das World Trade Center statt und am 27. September ereignete sich das Attentat von Zug. In dieser aufgewühlten Stimmung trafen sich Anfang Oktober dreissig Luzerner*innen für eine Chor-Woche in Appenzell. Eine Woche lang sollte geprobt werden, um am Samstag ein Konzert zu geben. Am Donnerstag erfuhren sie, dass sich in der Luzerner Bruchstrasse ein Amoklauf ereignet hatte: Ein junger Mann hatte sein Sturmgewehr in eine Gitarrentasche gepackt, war in die WG seiner Ex-Freundin eingedrungen und hatte ein Blutbad mit zwei Toten und zwei Verletzten angerichtet. Am Freitag erreichte eine der Chorsängerinnen die Nachricht, dass eine der Toten ihre Tochter war. Sogleich wurde sie zurück nach Luzern gefahren, der Chor blieb in Appenzell – und allen war klar: das morgige Konzert würde nicht stattfinden. Wie sollte befreites Atmen, wie sollte Singen jetzt möglich sein? Am Abend traf man sich zur Beratung und jemand sagte: «Ich finde, wir sollten morgen gemeinsam singen.»
Der Autor Dominik Busch, der in Appenzell dabei war, hat aus Gesprächen mit damals Beteiligten den Text «Der Chor» entwickelt. Zusammen mit diesen Menschen und mit dem Ensemble des Luzerner Theaters wird sich die Regisseurin Brit Bartkowiak auf eine Suche begeben, an deren Ende ein gemeinsamer Theaterabend steht: ein Abend mit Sprache und Musik – und selbstverständlich mit einem Chor!
«Wer singt, hat keine Angst.» Gerald Hüther
«Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, / Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.» J. R. R. Tolkien
5. März 2022 UG
Regie und künstlerische Leitung: Brigitte Dethier Dramaturgie: Lars Gebhardt, Talisa Walser
ab 15 Jahren
Informationen und Anmeldung unter luzernertheater.ch
Das Ring-Ding
Luzern ist Richard-Wagner-Stadt. Sechs Jahre hat der Komponist in Tribschen gelebt und gearbeitet. Hier sind «Die Meistersinger von Nürnberg», Teile von «Tristan und Isolde» und der «Ring des Nibelungen» entstanden.
In den kommenden vier Jahren wird sich die Regisseurin Brigitte Dethier, gemeinsam mit Gästen aus allen Kunstrichtungen, mit Wagners Opus magnum, dem «Ring des Nibelungen», beschäftigen – und zwar spartenübergreifend.
Den Auftakt bildet der «Vorabend», für den Brigitte Dethier in zwei Probenblöcken mit interessierten Luzerner*innen aller Altersstufen (ab 15 Jahren) in Kontakt kommen möchte. Es soll unter anderem untersucht, diskutiert und auch spielerisch improvisiert werden, was uns am Ring-Mythos bis heute fasziniert, was Heldentum für uns bedeutet, welche Bilder wir für Macht und Kapital haben, was der Ring mit dem Fantasy-Genre zu tun hat und wie er bis heute die Populärkultur beeinflusst. In der Spielzeit 22/23 wollen wir gemeinsam mit dem Schauspiel «Die Walküre» als Sprech-(Rap-)Oper erzählen. «Siegfried» folgt 23/24 im Musiktheater als Neukomposition für junges Publikum. In der Spielzeit 24/25 soll die «Götterdämmerung» in Zusammenarbeit mit TanzLuzern und interessierten Tanzlaien entstehen.
Das Projekt richtet sich an Jung und Alt, an Wagnerfreund*in und Fantasyfan, an absolute Kenner*innen und auch an diejenigen, die sich noch nie mit diesem Opus auseinandergesetzt haben. Wir sind daran interessiert, dass uns Teilnehmer*innen aus den ersten Probenblöcken in den weiteren Jahren begleiten und während Probenzeiten auch Workshops zur Trilogie besuchen.
12. März 2022 Bühne
Choreografie: Yabin Wang, Erion Kruja Bühne und Kostüme: Sascha Thomsen, Erion Kruja Dramaturgie: Wanda Puvogel
Luzerner Sinfonieorchester
Zwei Uraufführungen
verWANDLUNGEN
Yabin Wang, Erion Kruja
Das Leben besteht aus ständiger Veränderung, umso mehr sehnen wir uns oft danach, dass Dinge Bestand haben, verlässlich bleiben. Doch was ändert sich wirklich? Sind es die Verhältnisse, die Bedingungen, die uns umgeben und bestimmen, sind wir es selbst, oder ist es womöglich nur unsere eigene Perspektive auf die Welt, die sich im Laufe unseres Lebens verändert? Wie viel Einfluss haben wir selbst darauf, was wir verändern möchten – oder gerade nicht? Was wollen wir unbedingt festhalten? Im Tanz und für die Menschen, die tanzend arbeiten, ist das ein grosses Thema, lebt der Tanz doch von ständiger Bewegung und Veränderung. Die Vergänglichkeit und auch die kurze Bühnenkarriere prägt diese Kunstform zutiefst.
Die beiden Stücke, die dieses Programm ausmachen, nähern sich der Thematik in unterschiedlicher Art und Weise: Erion Kruja sieht uns Menschen konstant in Bewegung, im Wandel, oft der Unbill des Lebens ausgesetzt, doch auch mit der Möglichkeit, zu versöhnlicher Ruhe zu kommen. Den langjährigen Tänzer der Hofesh Shechter Company kennt die Schweiz aus seiner Zeit als Ensemblemitglied in Bern, nun stellt er sich hierzulande erstmals als Choreograf einem grösseren Publikum vor. Yabin Wang aus China war bisher in Europa noch relativ selten tätig, neben einer Kreation für das English National Ballet hat sie vor allem durch eine gemeinsame Produktion mit Sidi Larbi Cherkaoui auf sich aufmerksam gemacht. Mit ihrem Background, bei dem chinesische Oper, Ballett und zeitgenössischer Tanz zusammenfliessen, ist sie in Asien jedoch seit vielen Jahren etabliert als namhafte und vielseitige Künstlerin.
«Vergewaltigung ist Bürgerkrieg, die politische Organisation, durch die ein Geschlecht dem anderen erklärt:
, ich zwinge dich, dich unterlegen, schuldig und entwürdigt zu fühlen.» Virginie Despentes
Benjamin Britten 19. März 2022 Luzern
Musikalische Leitung: Jesse Wong Regie und Video: Sarah Derendinger Bühne: Thomas Boudewijn Kostüme: Sophia Schneider Dramaturgie: Lars Gebhardt
Luzerner Sinfonieorchester
The Rape of Lucretia
Es ist mitten in der Nacht, als er sich an ihr Bett heranschleicht. Er drückt ihr einen Kuss auf ihre Lippen, den sie erwidert, denn sie träumt, es sei ihr Mann. Erst als sie erwacht, begreift sie die Gewalt, die ihr angetan wird.
«The Rape of Lucretia» ist Benjamin Brittens erste Kammeroper und basiert auf dem antiken Stoff der Lucretia, die sich, nachdem sie von Tarquinus Superbus vergewaltigt und geschändet wurde, umbringt. Die Oper wurde 1946 uraufgeführt, also unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck seiner kollektiven und individuellen Grausamkeiten. Indem Britten die Ereignisse in seiner Oper als Rückblende über zwei Zeitebenen erzählt, scheint er auf die Schrecken der jüngsten Geschichte zurückzublicken. Seine Dramaturgie erinnert an die des Films und hat Regisseurin und Videokünstlerin Sarah Derendinger dazu inspiriert, filmisches Erzählen für ihre Inszenierung zu übernehmen. Besonders interessiert sie dabei die Frage nach den unterschiedlichen Interpretationen von «Wahrheit», deren Multiperspektivität zwischen den Zeilen liegt.
Sarah Derendinger bildet den Beginn einer neuen Reihe des Luzerner Theaters, in der jedes Jahr ein*e Videokünstler*in eine Oper gestalten wird.
1. April 2022 Bühne
Regie: Wojtek Klemm Bühne und Kostüme: Magdalena Gut Dramaturgie: Eva Böhmer
Network
Lee Hall
Howard Beale soll als Nachrichtensprecher abgesetzt werden, weil er keine Quote mehr bringt. In seiner Sendung kündigt er an, sich vor laufender Kamera umzubringen. Prompt jagt der spontane Wutausbruch die Quoten in die Höhe. Beale wird, in einer krassen Kehrtwende, vom Sender als zorniger Prophet weiterbeschäftigt. In seiner Show macht er seiner Rage in kruden Tiraden Luft und heizt Massen von Unzufriedenen an, ihm in seinem Zorn zu folgen. Doch je mehr er zum Spielball von Marketinginteressen wird und je näher er dem Wahnsinn tatsächlich kommt, desto hellsichtiger scheint er auch zu werden. Bis er schliesslich auch als durchgeknallter Prediger keinen Profit mehr bringt ...
Der Film «Network» von Sidney Lumet und Paddy Chayefsky, der in seinem Erscheinungsjahr 1976 mehrere Oscars gewann, scheint heute aktueller denn je: er zeigt eine Medienlandschaft, die die Welt in Aufruhr hält, um sich selbst am Leben zu halten. Angetrieben von Selbstsucht und Machtgier, scheint jede*r, auch mit noch so kühlem Kopf, nur die Marionette einer weiteren Marionette zu sein: wer ist hier Opfer, wer Täter*in? Lässt sich die Dynamik, die hier in Gang gesetzt wurde, wieder stoppen? Und ist da überhaupt jemand, der diese wildgewordene Medienmaschine beherrschen kann?
Wojtek Klemm kehrt mit dieser Inszenierung nach Luzern zurück. Er nähert sich dem Stoff um Medienirrsinn mit explosiver Körperlichkeit: die Figuren, ob berechnend oder ausser Rand und Band, tanzen unaufhörlich am Abgrund.
8./9./10. April 2022 Box und UG
Mit Theaterstudierenden aus der Schweiz
Ein Theaterfestival
The future is now
In der deutschsprachigen Schweiz gibt es zwei staatliche Institutionen, um Theater zu studieren: die Hochschule der Künste Bern (HKB) und die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Zwei Orte, an denen für die Zukunft ausgebildet wird. Doch wie sieht diese aus? Was sind die Themen und Ästhetiken, mit denen sich die jungen Theatermacher*innen auseinandersetzen?
Ein Wochenende lang kann man die Projekte der Studierenden am Luzerner Theater erleben. UG und Box werden zum Experimentierfeld für den Theaternachwuchs: Student*innen stellen ihre Masterabschlussprojekte vor. Sie sind so vielfältig wie die Studierenden selber: von klassischen zu performativen Formen, von textbasierten Theaterstücken hin zu Physical Theatre, Theater für ein junges Publikum und für Senior*innen.
Auch soll der Raum für Begegnungen nicht zu kurz kommenn, weshalb das UG über das Wochenende zum Festivalzentrum wird: Hier ist die theatereigene Bar und jede*r ist willkommen, um mit den jungen Theatermacher*innen über die Projekte, Arbeitsweisen und Konzepte zu sprechen, um sich mit ihnen über ihre Gedanken, Interpretationen und Handschriften auszutauschen. Im Fokus stehen das Kennenlernen und das gegenseitige Inspirieren. Und wer weiss, welche zukunftsweisende Idee an diesem Wochenende in Luzern ihren Anfang nimmt.
«Es war die Zeit vor irgendwas. Es ist ja immer die Zeit vor irgendwas.» Sibylle Berg
«Catch me if you can.» Jeff Nathanson
Pascal Dusapin 1. Mai 2022 Bühne
Musikalische Leitung: Robert Houssart Regie: Lydia Steier Bühne: Flurin Borg Madsen Kostüme: Gianluca Falaschi Dramaturgie: Ina Karr, Talisa Walser
Luzerner Sinfonieorchester
Schweizer Erstaufführung
In Kooperation mit Staatstheater Mainz
Gefördert durch den Theaterclub Luzern
Perelà
Am Anfang und am Ende ist die Bühne leer: denn Perelà ist aus Rauch gemacht, entstanden über 33 Jahre hinweg in einem Rauchabzug. Jetzt tritt er materialisiert in die Welt des Hofstaats von König Torlindao ein und wird dort ob seiner geheimnisvollen Leichtigkeit verehrt. Er erhält den Auftrag, ein Gesetzbuch auszuarbeiten. Als sich einer seiner Anhänger selbst in Rauch verwandeln will und dabei ums Leben kommt, schlägt die Stimmung um: Perelà wird angeklagt und verurteilt. Doch Luft lässt sich nicht fassen, und so verflüchtigt sich der «Mann aus Rauch» wieder.
Der französische Komponist Pascal Dusapin (*1955) wählte für seine vierte Oper einen futuristischen Roman, den der italienische Dichter Aldo Palazzeschi 1911 unter dem Titel «Il codice di Perelà» veröffentlicht hatte. Der Rauchmann ist die zentrale Figur in dieser radikalen und burlesken Parabel, in der es um die Auflösung von Eindeutigkeit zugunsten der Beweglichkeit des Denkens geht. Dusapin greift die ironische Wortleichtigkeit kompositorisch mit atmosphärischen Klangräumen und oszillierenden Farben auf, in die das Irdische mit grellen und grotesken Tönen hineinregiert. Lydia Steier folgt in ihrer Inszenierung Dusapin in das flüchtige Spiel von Materie und Auflösung und kreiert starke Figuren und assoziative Bilder, die Raum lassen für eigene Fantasien und Gedankenspiele.
13. Mai 2022 UG
Regie: Emilio H. Díaz Abregú, Exequiel Barreras Bühne: Emilio H. Díaz Abregú Musik: Raoul Alain Nagel Dramaturgie: Melanie Oșan
Uraufführung
Koproduktion Luzerner Theater und ROTES VELO Kompanie
Die Traummaschine
Erster Drehtag: Der Regisseur kommt ans Set. Er hat entschieden, ein langersehntes und immer wieder verschobenes Projekt zu realisieren. Grundlegende Versagensängste quälen und hemmen ihn. Soll er den Film erneut verschieben und auf den richtigen Zeitpunkt dafür warten?
Und so verharrt er erneut. Das Filmteam hat den Eindruck, dass der Regisseur unter einer kreativen Blockade leidet, versucht den Dreh in Gang zu bringen und sich von früheren Filmen des Regisseurs und seinen Traumtagebüchern inspirieren zu lassen. Letztere sind voller widersprüchlicher Einfälle, irrationaler Bilder und Notizen, die von einem Verrückten stammen könnten. Oder von einem grossen ehrlichen Lügner, der aus Höflichkeit die Menschen mit immer neuen Wahrheiten unterhält. Das Filmteam folgt dem Träumer und wagt sich von einer rasanten Lüge in die andere.
Die ROTES VELO Kompanie feiert ihr Zehn-Jahr-Jubiläum mit einer Hommage an die Träume und die theatralen Lügen. Träume von Freund*innen und Fremden, von Künstler*innen und Zuschauenden werden gesammelt, interpretiert und in das Werk verwoben. Mit einem multidisziplinären Team, bestehend aus Tänzer*innen, Schauspieler*innen und einem Musiker, werden die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Fantasie und Wirklichkeit ausgelotet.
«Ohne Täuschung würde die Menschheit vor Langeweile sterben.» Anatole France
21. Mai 2022 Box
Choreografie: Laurence Yadi in Zusammenarbeit mit Nicolas Cantillon Bühne: Valentin Köhler Dramaturgie: Wanda Puvogel
Uraufführung
Ineptie
Gefördert durch die Freunde Luzerner Theater
Frühling 2021: Wie lässt sich mit über einjährigem Vorlauf ein neues Tanzprogramm denken, während die Welt noch in völliger Lähmung gefangen ist? Mit welcher Haltung macht man sich daran, wenn eine Pandemie diese Kunstform, der Kontakt, Berührung und Nähe so immanent sind wie keiner anderen, eigentlich im Kern unmöglich macht? Diese Frage stellte sich auch Laurence Yadi, als sie, zusammen mit ihrem Partner Nicolas Cantillon, begann, diese Produktion zu konzipieren.
Ihre Antwort: mit der ganzen Verve, Leidenschaft und dem Enthusiasmus, die dem Tanz inne sind! Genau das vermitteln die fliessenden Wogen aus Körpern, die Markenzeichen ihrer selbst entwickelten Tanzsprache «fuittfuitt» sind. Doch «Ineptie» ist nicht nur blosses Tanzstück: zusammen mit dem gesamten künstlerischen Team entführen Yadi und Cantillon das Publikum in eine farbig gestaltete Erlebniswelt aus Raum, Klang und Bewegung, die mitten im urbanen Umfeld mit unseren Sinnen spielt und uns in ein Wechselbad der Gefühle taucht. Die Kreation befasst sich vielschichtig mit den Unwägbarkeiten und Absurditäten, denen wir seit Monaten ausgesetzt sind. Doch tänzerisch zu erleben ist auch, dass trotz aller Melancholie die Lebensfreude nach wie vor in uns allen schlummert und nur darauf wartet, jeden Moment wieder mit voller Macht hervorzubrechen ...
Laurence Yadi und Nicolas Cantillon führen seit vielen Jahren höchst erfolgreich die Genfer Compagnie 7273 und sind regelmässig auf Tournee, auch jenseits der Landesgrenzen. Dieses neue Stück für TanzLuzern bietet die seltene Chance, ihrer Arbeit endlich wieder einmal in der Deutschschweiz zu begegnen.
2. Juni 2022 Bühne
Regie: Elsa-Sophie Jach Bühne und Kostüme: Johanna Stenzel Dramaturgie: Eva Böhmer
Amphitryon
Heinrich von Kleist
Alkmene trifft Amphitryon. Schon lange hat sie ihren Ehemann und siegreichen Feldherren nicht mehr gesehen. Er überrascht sie mit einer für sie unbekannten Leidenschaft, von der sie sich begeistert mitreissen lässt. Aber schon am nächsten Tag scheint Amphitryon die schönen Stunden vergessen zu haben, und eine Bemerkung Alkmenes lässt ihn aus der Haut fahren, was sie in höchste Verwirrung stürzt: hat sie nicht eben erst eine neue Lust mit Amphitryon gefunden, hat diese Erfahrung sie denn nicht näher zueinander gebracht? Alkmene ist sich keiner Schuld bewusst und doch ahnt sie, dass es womöglich nicht ihr Ehemann war, der ihr den Schlüssel zu einem tieferen Verständnis ihrer selbst gegeben hat.
Die Regisseurin Elsa-Sophie Jach erzählt Kleists «Amphitryon» aus der Perspektive von Alkmene. Die List Jupiters, in Amphitryons Gestalt Alkmene zu verführen, hat unerwartete Folgen – für den selbstherrlichen Gott, für den gehörnten Ehemann und nicht zuletzt für die hintergangene Alkmene. Elsa-Sophie Jach entlarvt in ihrer Inszenierung die eitle Geschwätzigkeit der Männer und setzt ihr das Erkennen Alkmenes entgegen. So hinterlistig Jupiters Spiel, so demütigend Amphitryons Anschuldigungen sein mögen, Alkmene kommt dabei ganz zu sich: Sie lässt die beiden Männer mit ihren Besitzansprüchen weit hinter sich – und entscheidet sich für den Amphitryon, der ihr wie der richtige vorkommt. Und dieser, so scheint es, ist nicht nur aus einem Mann gemacht.
«Es ist wohl ein romantisches Missverständnis, wenn man glaubt, dass die Liebe an einem bestimmten Individuum hängt.» Thomas Melle
Musikalische Klassenzimmer-Untersuchung nach einer Idee des Theaters Pilkentafel
Mobiles Musiktheater ab 6 Jahren
Kontakt und Infos schuleundtheater@luzernertheater.ch
Klangtauchen
«Um gut zu leben, muss man das hören, was es zu hören gibt. Und nicht das, was man zu hören erwartet.» John Cage
«Ohren auf!» heisst es in diesem Stück für Kinder ab 6 Jahren. Mit dem Klassenzimmerstück «Klangtauchen» besuchen wir Schulen und Klassen in Luzern und Umgebung.
Zwei Mitarbeiter*innen einer aussergewöhnlichen Behörde betreten das Klassenzimmer. Ohne Vorankündigung untersuchen sie den Raum und alles, was sich darin befindet, auf seine akustischen Phänomene und klanglichen Eigenschaften – selbst Schüler*innen und Lehrer*innen! Die Geräuschforscher*innen des Schulalltags rücken Stühle, testen Tafel und Kreide auf Lautstärke und rhythmische Möglichkeiten und erproben das Leise- und Schnellsprechverständnis. Alles ist Sound, – postulierte der Komponist John Cage und wollte damit die Ohren öffnen für verborgene Klänge und die Stille, die niemals still ist. Und so verwandelt sich das Klassenzimmer in einen magischen Ort, an dem das Publikum mehr und mehr einbezogen wird, bis am Ende alle gemeinsam nach Klängen forschen – mit Papier, Stimme, Schere und Stiften, also mit allem Material, das man in einem Klassenzimmer finden kann.
Regie: Anselm Dalferth Musik: Johannes Stange, Joss Turnbull Bühne und Kostüme: Birgit Kellner Dramaturgie: Ina Karr
Mobiles Musiktheater ab 3 Jahren
Schweizer Erstaufführung
Kontakt und Infos schuleundtheater@luzernertheater.ch
Zweieinander
Anselm Dalferth, Ina Karr, Birgit Kellner, Johannes Stange und Joss Turnbull
«Wir sind nur so stark, wie wir vereint sind, und so schwach, wie wir getrennt sind.» Harry Potter
Am Anfang gibt es einen Kreis und zwei Freunde mit ihren Musikinstrumenten. Der eine spielt Trompete, der andere Tombak. Der eine braucht Lippen und Atem zum Spielen. Der andere braucht Hände und Finger. Beim Trompetenspiel wird aus der Atemluft Musik. Und die Tombak kann man spielen, indem man sie mit den Handflächen schlägt oder mit den Fingern darauf schnipst und streicht.
Auf einmal teilt eine Linie den Kreis: es gibt plötzlich zwei Halbkreise, zwei Hälften. Es ist jetzt nicht mehr so einfach, zusammen zu spielen. Denn jeder der beiden Freunde hat seine eigenen Ideen und auch seine eigene Musik. Aber zum Glück gibt es verschiedene Arten, zusammen zu musizieren: nebeneinander, miteinander, allein und zusammen – zweieinander eben.
Der spielerische Umgang mit dem Eigenen und dem Fremden und erste ästhetische Erfahrungen mit Musik und Instrumenten stehen im Zentrum von «Zweieinander». Im Musiktheater für Kinder ist es uns wichtig, dass das Spiel der Musiker*innen und ihrer Instrumente auf der Bühne sichtbar wird. Und: Klang und Musik stecken in vielem, nicht nur in den Tönen eines Instruments oder der eigenen Stimme.
Die Musiker Johannes Stange und Joss Turnbull erfanden durch sich weiterentwickelnde Improvisation während der Proben die Musik für dieses instrumentale Theater. Im Auftrag des Staatstheater Mainz und in Kooperation mit dem Ensemble LebiDerya entstand daraus eine Komposition für Trompete, Tombak, Hände, Füsse und Lkw-Plane.