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für Schmerzmedizin ....................... Seite
from ErfahrungsSchatz - Der Ratgeber für die reife Generation | November 2019
by Sachsen Medien GmbH – Ein Unternehmen der Leipziger Volkszeitung
„Ich bin jetzt ganz anders drauf“
Nahezu jeder sechste Deutsche wird von chronischen, also ständigen oder immer wiederkehrenden Schmerzen gequält. Viele der Betroffenen sind bereits einen langen Weg gegangen, begleitet von durchaus engagierten Fachärzten, die aber doch irgendwann am Ende ihres Lateins waren. Spätestens jetzt sollte sich der Leidende an einen Schmerzmediziner wenden. Im September öffnete das Uni-Klinikum Leipzig als zweite Einrichtung der Stadt eine Tagesklinik für Schmerzpatienten. ERFAHRUNGSSCHATZ schaute sich dort um.
Auf den Polsterbänken im Foyer sitzt eine Handvoll Patienten und schwatzt. Man duzt sich, lacht über die Erzählungen des anderen – und ist auch gleich bereit, etwas über den Klinikalltag hier zu berichten. „Wir sind eine Gruppe aus sechs Leuten“, erzählt Gaby Heilmann. „Die Jüngste Mitte 40, die Älteste über 80 Jahre. Wir verstehen uns alle prima und vertrauen einander. Schließlich haben wir alle dasselbe Problem.“ Sie erzählt ihre eigene Geschichte: Vier Wirbelsäulenoperationen, jede Menge Metallteile im Rücken, Gehhilfen – und immerzu unerträgliche Schmerzen. „Aber für mich war klar: Ich gehe nie wieder in ein Krankenhaus und lasse mich weiter operieren! Also bin ich hier für vier Wochen in dieser Klinik und weiß inzwischen, dass das der richtige Ort für meine Probleme ist. Hier wird nicht nur der Körper behandelt, sondern auch die Psyche. Ich bin jetzt ganz anders drauf: Es wird weitergehen, auch wenn die Schmerzen nicht ganz verschwinden.“ gegen Detlef Hansow, der sich im Fitness-Club überanstrengt, einen Muskelfaserriss und eine
Nervenverletzung eingehandelt hatte: „Ich fange hier mit dem Sport wieder bei null an, aber ich fange an.“
Der Tag der beiden und ihrer Mitstreiter – insgesamt ist die Klinik für bis zu acht Patienten eingerichtet – beginnt um acht Uhr mit einer Morgenrunde, in der man einander berichtet, wie der Feierabend zu Hause und die Nacht gelaufen sind. Dann arbeiten alle ihren Stundenplan ab: Reha-Sport, Physiotherapie, Seminare, Psychotherapie, spezielle Behandlungen oder Absprachen zu Medikamenten, wenn nötig, auch ein Besuch bei einem anderen Facharzt des Uni-Klinikums … Das Ganze nennt sich „Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie“ (IMST). Natürlich steht auch eine gemeinsame Frühstücksrunde auf dem Plan, das Mittagessen und die mittägliche Verschnaufpause im „Wohnzim-
mer“. Wer mag, kann auch fernsehen oder sich in einem ExtraRaum etwas hinlegen. „Aber die Rückzugsorte werden selten genutzt“, erzählt Dr. Maria Theresa Völker. Sie weiß auch um die nicht nur körperlichen Leidenswege der Patienten. „Die meisten mussten nicht nur Schmerzen ertragen, son-
Die meisten mussten nicht nur Schmerzen ertragen, sondern auch Verzweiflung und Isolation.
Dr. Maria Theresa Völker Schmerzmedizinerin dern auch Verzweiflung und Isolation. Also genießen sie es, hier mal zusammenzusitzen und der Fernseher – zu Hause oft die einzige Ablenkung – bleibt aus. Sogar die Anforderung, morgens pünktlich anfangen zu müssen und einen straffen Plan zu haben, tut vielen gut.“
Kaum etwas erinnert an ein Krankenhaus, eher an eine Kurklinik. Und am Nachmittag gehen die Patienten dann wieder nach Hause. Sie bleiben somit in ihr häusliches Umfeld integriert – mit allen Aufgaben und Belastungen. Nach etwa drei Monaten folgen zwei erneute Behandlungstage, die sogenannten Boostertage, an denen das Hausübungsprogramm aufgefrischt wird und der Patient seinen Eindruck zu seinem Befinden und seinen Erfahrungen der vergangenen Wochen vorbringen kann.
Inzwischen sitzt im Foyer nur noch ein Patient, der in die ambulante Sprechstunde möchte. Das Tagesklinik-Trüppchen ist längst im Sportraum und trainiert mit dem Therapeuten Ballspiele. Nicht allen gelingt das Werfen und Fangen gleichermaßen. Aber lachen können alle gemeinsam. MHZ