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Master-Thesis
Inhaltliche Verantwortung
Prof. Axel Humpert Prof. Tim Seidel in Kooperation mit HSLU
Moderation
Prof. Axel Humpert Prof. Tim Seidel
Dozierende
Prof. Matthias Ackermann Prof. Axel Humpert / Tim Seidel Prof. Ursula Hürzeler / Shadi Rhabaran Prof. Friederike Kluge Prof. Dominique Salathé
Assistenz
Anne Ulbricht
Experte
Wulf Böer, Studio DIA Zürich
ECTS
21
Bewertung
Projektarbeit benotet
Form
Entwicklung eines architektonischen Projekts im begleiteten Selbststudium
Lugano – città in transizione 2.0
Ausgangslage
Wir werden im Herbstsemester 2022 an die Thesis-Themen vom letzten Jahr anknüpfen und die Beschäftigung mit dem Geländeschnitt durch Lugano weiterführen. Rückgrat der Betrachtungen wird wiederum die geplante Tramlinie RTTL (Rete tram-treno del Luganese) bilden. Nach den beiden neuralgischen Punkten ‹Stazione Nord› und ‹Piazzale ex scuole› wenden wir uns der dazwischenliegenden Station ‹Cappuccine› zu, einer zukünftig wichtigen Schnittstelle im Stadtgefüge. Hier wird voraussichtlich ab 2027 das neue Tram den Tunnel verlassen, der direkt zum Bahnhof SBB führen und das Zentrum Luganos mit der Agglomeration des ‹Piano del Vedeggio› und Ponte Tresa verbinden wird. Die lokalen Auswirkungen dieser neuen Infrastruktur werden von den Planenden mit denjenigen der Basistunnels des Gotthards oder des Monte Ceneri verglichen. Die Agglomeration des Valle del Vedeggio mit den Industrien in Manno und Bioggio und dem Flugplatz in Agno rückt mit einer Reduktion der Fahrtzeit um bis zu 2/3 wesentlich näher ans Zentrum Luganos. Die Haltestelle ‹Cappuccine› wird dabei gerahmt werden von den beiden Zwillingsgebäuden der ehemaligen BSI, der Banca della Svizzera Italiana.
Die Bank war bis zu ihrer Auflösung 2016 die älteste Bank der italienischen Schweiz und war ein wichtiger Arbeitgeber in der Region Lugano. Wie die meisten Banken am drittgrössten Finanzplatz der Schweiz war die BSI hauptsächlich auf Private Banking und Vermögensverwaltung spezialisiert. Da ihr im Zusammenhang mit der neuen Weissgeld-Politik der Schweiz die Neuausrichtung nicht gelang und sie in ihren letzten Jahren wegen mehreren spektakulären Steueraffären negative Schlagzeilen machte, wurde sie 2016 vom Finanzplatz-Aufseher ‹Finma› als Hochrisiko-Bank für Geldwäscherei deklariert. Im gleichen Jahr wurde deshalb ihre vollständige Liquidierung verfügt. Sie wurde in die Zürcher Privatbank EFG International integriert.
Zusammen mit dem geplanten Infrastruktur-Projekt der neuen Tramlinie nehmen wir das ‹Erbe› der aufgelösten BSI, die leerstehenden Gebäude an der zukünftigen Tramhaltestelle, als Ausgangspunkt für eine radikale Neuausrichtung. Das Grundstück liegt am Rande der kompakten Altstadt in unmittelbarer Nähe zur erwähnten Piazza ex scuole. Selbstverständlich werden wir uns im Rahmen aktueller Diskussionen über zukunftsfähige Architektur, über Substanzerhalt, über Verdichtung, über Transformation der Stadt und neuen Lebens- und Wohnformen zuerst mit dem Bestand und seiner Verortung im Stadtgefüge auseinandersetzen.
Wir verstehen Architektur als Teil eines Prozesses und fragen uns, wer hier was mit wem für wen plant. Genossenschaften haben im Tessin keine grosse Tradition und kommen als Akteure auf den ersten Blick nicht in Frage. Ein privater Investor, der an diesem Ort teure Luxuswohnungen plant, scheint uns wenig reizvoll und leistet auch keinen Beitrag für eine resiliente und inklusive Zukunft. Wir wollen deshalb zwischen diesen beiden Polen innovative Szenarien entwerfen, die auf verschiedenen Ebenen Fragen einer zukünftigen Entwicklung stellen. Dabei sind diese beiden Pole, Genossenschaften und private Investoren, nicht a priori tabu, sondern können selbstverständlich in einer überzeugenden Konzeption eine Rolle in einem Entwurfsszenario spielen. Wenig überraschend gibt es auch in der Stadt Lugano einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Während wir in den Feuilletons und in den Medien unablässig über Inklusion und Vielfalt reden, werden unsere Städte zunehmend homogener. In den grösseren Städten nördlich der Alpen helfen Genossenschaften und die Städte selber, diesen Trend etwas abzumildern. In Lugano fehlen diese Korrektive weitgehend.
Aufgabe
Ausgehend von einer profunden Auseinandersetzung mit der städtebaulichen Situation und deren Potenzial, gilt es ein pointiertes Szenario zu entwickeln. In Zeiten rasanten gesellschaftlichen und technologischen Wandels bietet das Szenario den entwerfenden Architektinnen und Architekten die Möglichkeit, sich um die zukünftige Bespielung eines Raumes grund-
sätzliche Gedanken zu machen. Der Begriff, dessen lateinischer Stamm ‹Scaena› (für Bühne) auf das griechische ‹Skeˉneˉ› zurückgeht, umschrieb im 19. Jh. eine Mischung zwischen Exposé und Drehbuch für Theater oder Oper. Im Rückgriff auf die ursprüngliche Bedeutung für einen ‹Ort, wo die Bühne errichtet wird›, also eines Rahmens, in den das Geschehen eingebettet wird, zwingen wir uns, Rechenschaft darüber abzulegen, für wen und für welche Handlungen wir bauen. Wir beschränken uns also nicht nur auf das physisch Gebaute, sondern denken auch an die möglichen Akteure und deren räumliche Praxis.
Ziel der Thesisaufgabe ist es, diesen zentralen Ort, der durch die neue Tramlinie für das städtische Gefüge Luganos an Bedeutung gewinnen wird, neu zu denken. Wir sind auf der Suche nach einem fantastischen Gebäude, das einen cleveren Umgang mit dem Bestand findet und diesen intelligent weiterdenkt und weiterentwickelt. Ein Haus, das eine klare Haltung zur Stadt und damit auch zur Strasse und dem öffentlichen Aussenraum findet. Was ist die Auswirkung der neuen Infrastruktur auf den Stadtraum und das Gebäude? Welche Räume finden sich in Zukunft in den Erdgeschossen unserer Städte? Welche Programme haben hier Zukunft und helfen mit, die Stadt als Ort der Begegnung und der Offenheit zu fördern. Wer soll diese Räume (innen und aussen) benutzen? Was soll dort passieren? Wie wirkt sich das Szenario auf die diversen Akteure aus? Wie geht man mit den Freiräumen um? Wie wird der Grünraum eingesetzt und welche Gebäudeteile werden dabei integriert? Und schliesslich, welche Rolle spielt das Wohnen an diesem Ort, wenn man davon ausgeht, dass mindestens die Hälfte des Wohnraums bezahlbar sein soll? Wohnraum für ein breites Spektrum der Bevölkerung.
Das Thesisprojekt berührt somit die zentralen Fragen, die sich uns Architektinnen und Architekten heute stellen. Von einem präzisen städtebaulichen Szenario mit klaren Aussagen zu öffentlichem Raum, zur Mobilität und zu klimaresilienten Freiräumen über Modelle heutiger Lebensräume, wo Wohnen und Arbeiten zunehmend miteinander verflochten sind, hin zur Auseinandersetzung mit dem Bestand und einem intelligentem Weiter-
bauen. Im Sinne des neomarxistischen Humangeographen David Harvey, der in den raumzeitlichen Phänomenen die Spiegelung der jeweiligen charakteristischen Produktionsweise und der sozialen Ordnung einer Gesellschaft sieht, ist es unsere Aufgabe, unseren Lebensräumen den architektonischen Ausdruck aktueller zeitlicher und räumlicher Konzepte und Praktiken zu geben.
Informationsveranstaltung
Am Anfang des Semesters findet eine gemeinsame Veranstaltung mit Ortsbegehung in Lugano: 21. September 2022, 10:00 Uhr
Betreuung
Die Studierenden werden von einer Entwurfsdozentin, einem Entwurfsdozenten oder einem Entwurfsdozierendenteam ihrer Wahl sowie von den eingeladenen Expertinnen und Experten begleitet.
Experte Wulf Böer, Studio DIA Zürich Dozierende Prof. Matthias Ackermann Prof. Axel Humpert / Tim Seidel Prof. Ursula Hürzeler / Shadi Rahbaran Prof. Friederike Kluge Prof. Dominique Salathé max. 2 Student:innen pro Dozierendenteam Die Wahl der Dozierenden erfolgt bis Freitag 23.09.2022 per e-mail an Anne Ulbricht (anne.ulbricht@fhnw.ch)
Termine
– Ausgabe Thema Thesis: Dienstag 20.09.2022, 11:00 Uhr – Ortsbegehung Lugano: 21. September 2022, 10:00 Uhr – 1. Thesisseminar (Horw): Mittwoch 02.11.2022 – 2. Thesisseminar (Muttenz): Mittwoch 14.12.2022 – Schlussabgabe Pläne: Montag 16.01.2022, 11:00 Uhr – Abgabe Modelle und Thesisbuch: Donnerstag 19.01.2022, 16:00 Uhr – Schlusskritik (Horw): Freitag 20.01.2023