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BOCHUM-SPEZIAL

BOCHUM-SPEZIAL

— Bochums Kulturleben leuchtet: links das Schauspielhaus, rechts das Kunstmuseum mit neuer Lichtkunst von François Morellet.

Bochum

Reichlich Theater Das neue Jahr hat nicht schön begonnen für Bochum: Laut wurde über wilde Sparpläne nachgedacht, die drastische Einschnitte in das kulturelle Angebot der Stadt bedeuten würden. Aber noch ist Hoffnung, dass es so weit nicht kommen wird. Noch hat Bochum mehr Gutes zu bieten, als sich leicht auf wenigen Seiten schildern lässt.

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Ruhr Revue

„In der Nachkriegszeit entwickelte sich Bochum zu einem Kulturzentrum des Ruhrgebiets“, heißt es im WikipediaArtikel über die Stadt. Da ist was Wahres dran, aber den Beginn dieser Entwicklung muss man doch weit früher sehen. Denn Bochum ist ja zuallererst als Theaterstadt wohlbekannt, und diese Tradition geht zurück bis ins Jahr 1919. Das Theaterhaus ist sogar noch älter – es wurde 1908 als Varieté eröffnet. 1915, schon im Krieg, wurde es optisch und inhaltlich zum seriösen, städtischen Theater umgewandelt, dem größten im Ruhrgebiet. Ein eigenes Ensemble bekam es 1919, also

tatsächlich in einer ärmlichen Nachkriegszeit, aber in einer anderen, als „Wikipedia“ andeutet. Saladin Schmitt war der erste in einer Reihe namhafter Bochumer Intendanten. Er blieb 30 Jahre, bis 1949. Von 1921 bis 1934 war er gleichzeitig Intendant der Duisburger Oper. In diesen Ehe-Jahren gab es in Bochum Duisburger Musiktheater – und in Duisburg Bochumer Sprechtheater. Die Spezialisierung des erst später so genannten „Schauspielhauses“ hat sich also früh ergeben. Schon damals errangen das Haus und Saladin Schmitt weithin Bekanntheit, vor allem mit

Klassikern, ganz besonders mit Shakespeares Dramen; Schmitt war zeitweilig Präsident der deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Nach dem Krieg spielte man auf provisorischen Bühnen, bis 1953 auf den Trümmern des Altbaus das heutige, von Gerhard Graubner gestaltete Schauspielhaus eröffnet wurde. Saladin Schmitt war 1949, kurz vor seinem Tod, unter misslichen Umständen abgelöst worden: Er hatte seinen früheren Chefdramaturgen wieder einstellen wollen, der sich zuvor in Wien allzu willig mit Nazibonzen ein-

gelassen hatte. Schmitts Nachfolger wurde Hans Schalla. Er führte die Tradition der Klassiker fort, ergänzte sie mit Zeitgenössischem und begründete den guten Ruf des Hauses neu. Schalla blieb mit 23 Jahren fast so lange wie sein Vorgänger. Seine Nachfolger wechselten in schnellerer Folge.

| Peymann Dene Voss Die siebziger Jahre prägte der große Peter Zadek (1972 bis 1979), nicht zuletzt mit seinen Shakespeare-Inszenierungen und damit auf seine Weise ganz in Bochumer Tradition. In den

Achtzigern (1979 bis 1986) lenkte Claus Peymann die Blicke auf das Haus. Seine Arbeiten sind für viele Ältere bis heute Inbegriff des Bochumer Theaterruhms, allen voran seine Deutung der Kleistschen „Herrmannsschlacht“, mit Kirsten Dene und Gerhart Voss. Als Peymann zum Wiener Burgtheater gezogen war, folgten ihm der eher spröde FrankPatrick Steckel und der spaßbetonte Leander Hausmann, ehe Matthias Hartmann (2000 bis 2005) dem Haus wieder überregionalen Glanz verlieh, auch wenn manchem Kritiker das Programm zu glatt erschien. Die folgenden Jahre mit Elmar Goerden werden allgemein als „verkorkst“ betrachtet, als eine Art Missverständnis. Mit dem Ergebnis, dass Bochum 2010 auf Nummer Sicher ging und den erfolgreichen Anselm Weber beim Nachbarn Essen abwarb.

— Auch der Hauptbahnhof aus den 50ern sieht abends am besten aus. Von hier aus kann man das abendliche Kulturleben Bochums erforschen.

Weber, der Essen unter dem Eindruck massiver Einsparungen verlassen hatte, kam dann fast vom Regen in die Traufe: Mitte 2011 wurde bekannt, dass das Schauspielhaus in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten geraten war und sparen muss. So wurden jetzt die Eintrittspreise um immerhin ein Fünftel erhöht; ein Saal der benachbarten Melanchthonkirche als vierte, externe Bühne wird aufgegeben. Es bleiben immer noch drei Bühnen – neben dem Haupthaus die Kammerspiele und das „Theater Unten“. Unter den neuen Stücken der Spielzeit sind Shakespeares „Was ihr wollt“ in der Regie Roger Vontobels und „Kleiner Mann – was nun?“. Inszeniert von David Bösch, mit Vontobel und Bösch hatte Intendant Weber schon in Essen große Erfolge. Das Stück des neuerdings wieder entdeckten Fallada hatte übrigens Peter Zadek zu Beginn seiner Bochumer Zeit ins Programm genommen. Weitere Premieren in dieser Spielzeit: „Yerma“ von Federico Garcia Lorca (14. April), „Das Leben

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— Bochums Kulturleben leuchtet: links das Schauspielhaus, rechts das Kunstmuseum mit neuer Lichtkunst von François Morellet.

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Reichlich Theater Das neue Jahr hat nicht schön begonnen für Bochum: Laut wurde über wilde Sparpläne nachgedacht, die drastische Einschnitte in das kulturelle Angebot der Stadt bedeuten würden. Aber noch ist Hoffnung, dass es so weit nicht kommen wird. Noch hat Bochum mehr Gutes zu bieten, als sich leicht auf wenigen Seiten schildern lässt.

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„In der Nachkriegszeit entwickelte sich Bochum zu einem Kulturzentrum des Ruhrgebiets“, heißt es im WikipediaArtikel über die Stadt. Da ist was Wahres dran, aber den Beginn dieser Entwicklung muss man doch weit früher sehen. Denn Bochum ist ja zuallererst als Theaterstadt wohlbekannt, und diese Tradition geht zurück bis ins Jahr 1919. Das Theaterhaus ist sogar noch älter – es wurde 1908 als Varieté eröffnet. 1915, schon im Krieg, wurde es optisch und inhaltlich zum seriösen, städtischen Theater umgewandelt, dem größten im Ruhrgebiet. Ein eigenes Ensemble bekam es 1919, also

tatsächlich in einer ärmlichen Nachkriegszeit, aber in einer anderen, als „Wikipedia“ andeutet. Saladin Schmitt war der erste in einer Reihe namhafter Bochumer Intendanten. Er blieb 30 Jahre, bis 1949. Von 1921 bis 1934 war er gleichzeitig Intendant der Duisburger Oper. In diesen Ehe-Jahren gab es in Bochum Duisburger Musiktheater – und in Duisburg Bochumer Sprechtheater. Die Spezialisierung des erst später so genannten „Schauspielhauses“ hat sich also früh ergeben. Schon damals errangen das Haus und Saladin Schmitt weithin Bekanntheit, vor allem mit

Klassikern, ganz besonders mit Shakespeares Dramen; Schmitt war zeitweilig Präsident der deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Nach dem Krieg spielte man auf provisorischen Bühnen, bis 1953 auf den Trümmern des Altbaus das heutige, von Gerhard Graubner gestaltete Schauspielhaus eröffnet wurde. Saladin Schmitt war 1949, kurz vor seinem Tod, unter misslichen Umständen abgelöst worden: Er hatte seinen früheren Chefdramaturgen wieder einstellen wollen, der sich zuvor in Wien allzu willig mit Nazibonzen ein-

gelassen hatte. Schmitts Nachfolger wurde Hans Schalla. Er führte die Tradition der Klassiker fort, ergänzte sie mit Zeitgenössischem und begründete den guten Ruf des Hauses neu. Schalla blieb mit 23 Jahren fast so lange wie sein Vorgänger. Seine Nachfolger wechselten in schnellerer Folge.

| Peymann Dene Voss Die siebziger Jahre prägte der große Peter Zadek (1972 bis 1979), nicht zuletzt mit seinen Shakespeare-Inszenierungen und damit auf seine Weise ganz in Bochumer Tradition. In den

Achtzigern (1979 bis 1986) lenkte Claus Peymann die Blicke auf das Haus. Seine Arbeiten sind für viele Ältere bis heute Inbegriff des Bochumer Theaterruhms, allen voran seine Deutung der Kleistschen „Herrmannsschlacht“, mit Kirsten Dene und Gerhart Voss. Als Peymann zum Wiener Burgtheater gezogen war, folgten ihm der eher spröde FrankPatrick Steckel und der spaßbetonte Leander Hausmann, ehe Matthias Hartmann (2000 bis 2005) dem Haus wieder überregionalen Glanz verlieh, auch wenn manchem Kritiker das Programm zu glatt erschien. Die folgenden Jahre mit Elmar Goerden werden allgemein als „verkorkst“ betrachtet, als eine Art Missverständnis. Mit dem Ergebnis, dass Bochum 2010 auf Nummer Sicher ging und den erfolgreichen Anselm Weber beim Nachbarn Essen abwarb.

— Auch der Hauptbahnhof aus den 50ern sieht abends am besten aus. Von hier aus kann man das abendliche Kulturleben Bochums erforschen.

Weber, der Essen unter dem Eindruck massiver Einsparungen verlassen hatte, kam dann fast vom Regen in die Traufe: Mitte 2011 wurde bekannt, dass das Schauspielhaus in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten geraten war und sparen muss. So wurden jetzt die Eintrittspreise um immerhin ein Fünftel erhöht; ein Saal der benachbarten Melanchthonkirche als vierte, externe Bühne wird aufgegeben. Es bleiben immer noch drei Bühnen – neben dem Haupthaus die Kammerspiele und das „Theater Unten“. Unter den neuen Stücken der Spielzeit sind Shakespeares „Was ihr wollt“ in der Regie Roger Vontobels und „Kleiner Mann – was nun?“. Inszeniert von David Bösch, mit Vontobel und Bösch hatte Intendant Weber schon in Essen große Erfolge. Das Stück des neuerdings wieder entdeckten Fallada hatte übrigens Peter Zadek zu Beginn seiner Bochumer Zeit ins Programm genommen. Weitere Premieren in dieser Spielzeit: „Yerma“ von Federico Garcia Lorca (14. April), „Das Leben

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— Bochums Kulturleben leuchtet: links das Schauspielhaus, rechts das Kunstmuseum mit neuer Lichtkunst von François Morellet.

Bochum

Reichlich Theater Das neue Jahr hat nicht schön begonnen für Bochum: Laut wurde über wilde Sparpläne nachgedacht, die drastische Einschnitte in das kulturelle Angebot der Stadt bedeuten würden. Aber noch ist Hoffnung, dass es so weit nicht kommen wird. Noch hat Bochum mehr Gutes zu bieten, als sich leicht auf wenigen Seiten schildern lässt.

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Ruhr Revue

„In der Nachkriegszeit entwickelte sich Bochum zu einem Kulturzentrum des Ruhrgebiets“, heißt es im WikipediaArtikel über die Stadt. Da ist was Wahres dran, aber den Beginn dieser Entwicklung muss man doch weit früher sehen. Denn Bochum ist ja zuallererst als Theaterstadt wohlbekannt, und diese Tradition geht zurück bis ins Jahr 1919. Das Theaterhaus ist sogar noch älter – es wurde 1908 als Varieté eröffnet. 1915, schon im Krieg, wurde es optisch und inhaltlich zum seriösen, städtischen Theater umgewandelt, dem größten im Ruhrgebiet. Ein eigenes Ensemble bekam es 1919, also

tatsächlich in einer ärmlichen Nachkriegszeit, aber in einer anderen, als „Wikipedia“ andeutet. Saladin Schmitt war der erste in einer Reihe namhafter Bochumer Intendanten. Er blieb 30 Jahre, bis 1949. Von 1921 bis 1934 war er gleichzeitig Intendant der Duisburger Oper. In diesen Ehe-Jahren gab es in Bochum Duisburger Musiktheater – und in Duisburg Bochumer Sprechtheater. Die Spezialisierung des erst später so genannten „Schauspielhauses“ hat sich also früh ergeben. Schon damals errangen das Haus und Saladin Schmitt weithin Bekanntheit, vor allem mit

Klassikern, ganz besonders mit Shakespeares Dramen; Schmitt war zeitweilig Präsident der deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Nach dem Krieg spielte man auf provisorischen Bühnen, bis 1953 auf den Trümmern des Altbaus das heutige, von Gerhard Graubner gestaltete Schauspielhaus eröffnet wurde. Saladin Schmitt war 1949, kurz vor seinem Tod, unter misslichen Umständen abgelöst worden: Er hatte seinen früheren Chefdramaturgen wieder einstellen wollen, der sich zuvor in Wien allzu willig mit Nazibonzen ein-

gelassen hatte. Schmitts Nachfolger wurde Hans Schalla. Er führte die Tradition der Klassiker fort, ergänzte sie mit Zeitgenössischem und begründete den guten Ruf des Hauses neu. Schalla blieb mit 23 Jahren fast so lange wie sein Vorgänger. Seine Nachfolger wechselten in schnellerer Folge.

| Peymann Dene Voss Die siebziger Jahre prägte der große Peter Zadek (1972 bis 1979), nicht zuletzt mit seinen Shakespeare-Inszenierungen und damit auf seine Weise ganz in Bochumer Tradition. In den

Achtzigern (1979 bis 1986) lenkte Claus Peymann die Blicke auf das Haus. Seine Arbeiten sind für viele Ältere bis heute Inbegriff des Bochumer Theaterruhms, allen voran seine Deutung der Kleistschen „Herrmannsschlacht“, mit Kirsten Dene und Gerhart Voss. Als Peymann zum Wiener Burgtheater gezogen war, folgten ihm der eher spröde FrankPatrick Steckel und der spaßbetonte Leander Hausmann, ehe Matthias Hartmann (2000 bis 2005) dem Haus wieder überregionalen Glanz verlieh, auch wenn manchem Kritiker das Programm zu glatt erschien. Die folgenden Jahre mit Elmar Goerden werden allgemein als „verkorkst“ betrachtet, als eine Art Missverständnis. Mit dem Ergebnis, dass Bochum 2010 auf Nummer Sicher ging und den erfolgreichen Anselm Weber beim Nachbarn Essen abwarb.

— Auch der Hauptbahnhof aus den 50ern sieht abends am besten aus. Von hier aus kann man das abendliche Kulturleben Bochums erforschen.

Weber, der Essen unter dem Eindruck massiver Einsparungen verlassen hatte, kam dann fast vom Regen in die Traufe: Mitte 2011 wurde bekannt, dass das Schauspielhaus in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten geraten war und sparen muss. So wurden jetzt die Eintrittspreise um immerhin ein Fünftel erhöht; ein Saal der benachbarten Melanchthonkirche als vierte, externe Bühne wird aufgegeben. Es bleiben immer noch drei Bühnen – neben dem Haupthaus die Kammerspiele und das „Theater Unten“. Unter den neuen Stücken der Spielzeit sind Shakespeares „Was ihr wollt“ in der Regie Roger Vontobels und „Kleiner Mann – was nun?“. Inszeniert von David Bösch, mit Vontobel und Bösch hatte Intendant Weber schon in Essen große Erfolge. Das Stück des neuerdings wieder entdeckten Fallada hatte übrigens Peter Zadek zu Beginn seiner Bochumer Zeit ins Programm genommen. Weitere Premieren in dieser Spielzeit: „Yerma“ von Federico Garcia Lorca (14. April), „Das Leben

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— Diese Vision vom Konzerthaus wird wohl dieser Tage durch Pläne für das „Musikzentrum“ ersetzt. Rechts das Bergbaumuseum mit neuem Anbau.

der Bohème“ nach dem Film von Aki Kaurismäki (25.April), Borcherts „Draußen vor der Tür“, wiederum von David Bösch inszeniert (4. Mai), und schließlich Gerhard Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ in der Regie des Hausherrn Anselm Weber. Auch das „Junge Schauspielhaus“ mit Angeboten für Kinder und Jugendliche bleibt trotz Schließung der eigenen Spielstätte „Melanchthonsaal“ aktiv (www.schauspielhausbochum.de). Bochums Ruf als Theaterstadt wurde zusätzlich gefestigt durch seine eigene Schauspielschule, gegründet 1939 von Saladin Schmitt und bis heute dem Schauspielhaus eng verbunden, auch wenn der Studiengang im Jahr 2000 an die Essener Folkwang-Hochschule angegliedert wurde. Demnächst

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sollen die Schüler vielleicht ein schönes neues Zuhause in Bochum bekommen: den Thürmer-Saal. Aber das führt zu einem ganz anderen Thema. Zuerst soll noch von mehr Theater(n) die Rede sein. Denn mit einem Schauspielhaus ließ Bochum es nicht bewenden. Seit 1991 gibt es „das andere Schauspiel“, bekannt unter dem bayrisch-historisch klingenden Namen „Prinz Regent Theater“. Es heißt so nach seiner Spielstätte in Gebäuden der ehemaligen Zeche „Prinz Regent“. Zuvor hatten sich mehrere freie Theatergruppen zusammengeschlossen, um bis dato ungenutzte Räume des Kulturzentrums „Prinz Regent“ übernehmen zu können. Heute wird das Unternehmen zu den führenden freien oder „Off“Theatern Nordrhein-Westfalens

gezählt – mit traditionellen und experimentellen Programmelementen. Derzeit unter anderem auf dem Programm: Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ und Molières „Eingebildeter Kranker“ aus der Klassikabteilung, John von Düffels Dramatisierung der „Buddenbrooks“ und ganz aktuell „der Goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig (www.prinzregenttheater.de). Über das erst 2009 gegründete und viel gelobte „Rottstr5-Theater“ lesen Sie bitte auf Seite 36. Noch ein Theater: „Theater Total“. Dessen Ensemble ist jedes Jahr neu: Etwa 30 talentierte Jugendliche entwickeln mit Mitgliedern des Tanztheaters Pina Bausch eine Performance und inszenieren mit Folkwang-Schauspiellehrern ein Theaterstück. Dieses Programm

zeigt die Truppe dann in ganz Deutschland. Viele ehemalige Teilnehmer des ungewöhnlichen Bildungsprojekts haben unterdessen den Weg in weitere künstlerische Ausbildung und in Berufe gefunden. In Bochum konnte Theater Total eine Zeit lang regelmäßig im ehemaligen Stadtarchiv aufspielen, doch damit ist seit Februar Schluss. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war ein Ersatz noch nicht gefunden (www.theatertotal.de).

| Jede Menge Theater Bochum macht solch ein Riesentheater, dass die Liste noch längst nicht am Ende ist. Natürlich müssen wir das „Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst“ erwähnen mit seinem „FIDENA“-Festival; zum Glück können wir dabei

auf die RUHR REVUE 4/11 verweisen (www.fidena.de). Zu nennen ist auch die „Comödie Bochum“, ein privates Boulevardtheater unter Leitung des TV-bekannten Schauspielers Jochen Schroeder. 2008 wurde das Unternehmen insolvent, nahm den Betrieb aber wieder auf. 2010 kündigte Schroeder wiederum seinen Rückzug an – doch existiert die „Comödie“ auch 2012 noch oder wieder, und zwar mit Jochen Schroeder (www.comoedie-bochum.de). Ununterbrochenen und geradezu unglaublichen Erfolg hat dagegen seit 1988 „Starlight Express“. Als das Unternehmen startete, und zwar mit eigener, neuer Halle, war Skepsis durchaus angebracht. Schließlich sind viele Projekte der damaligen Musical-Welle untergegangen. Das Bochumer Haus hat nie, wie andere Musicaltheater, einen Broadway-Hit durch die nächste Westend-Sensation abgelöst. Es gab und gibt Andrew Lloyd Webbers Rollschuh-Epos „Starlight Express“ und sonst nichts, wobei Teile des Stücks schon mal in typischer Lloyd Webber-Manier nach Zeitge-

schmack überarbeitet wurden. Mit diesem Erfolg steht das Bochumer Haus weltweit einmalig da (www.starlight-express.de). Mit dem Musical leiten wir nun vom Thema Theater zur Musik über und wieder zurück ans Ende des Ersten Weltkriegs: 1918 schon wurde das „Städtische Orchester“ gegründet. Hauptaufgabe des neuen Klangkörpers war in den ersten Jahrzehnten der musikalische Part bei Opern- und Operettenaufführungen im Theater. Dass er auch 1955 zur Eröffnung des neuen Schauspielhauses musizierte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass großes Musiktheater in Bochum nicht mehr stattfand. Das Orchester, seit 1970 unter dem Namen „Bochumer Symphoniker“, hatte auch räumlich gar keine Heimat. Konzerte im muschelförmigen Audimax der Universität und seit knapp 20 Jahren auch in der „Jahrhunderthalle“ blieben Dauerprovisorien. Die Symphoniker behaupteten sich trotzdem. Unter dem agilen Generalmusikdirektor Steven Sloane (seit 1994) erspielten sie sich einen so guten Ruf,

dass der Wunsch nach einem eigenen Haus Gestalt annahm (www.bochumer-symphoniker.de). Man einigte sich schließlich auf ein neues Konzerthaus mitten in der Stadt, kombiniert mit der stillgelegten Marienkirche, neben dem „Bermudadreieck“. Doch obwohl sich großzügige Spender wie der Bochumer „Lottokönig“ Faber fanden, geriet das Projekt in finanzielle Schwierigkeiten. Der klammen Stadt sind weitgehend die Hände gebunden. Besonders in Nachbarstädten wurde der Sinn eines weiteren Konzerthauses bezweifelt. Auch das veränderte Konzept eines vielseitiger nutzbaren „Musikzentrums“ geriet 2011, trotz zugesagter Mittel vom Land und von der EU, noch einmal ins Stocken. In diesem Frühjahr soll es nun endlich weitergehen, sollen neue Architektenpläne für das Haus vorgestellt werden. Wenn bis dahin die „Stiftung Bochumer Symphonie“ 14,3 Millionen Euro Spendengelder nachweisen kann, und wenn das Musikzentrum in der neuen Gestalt insgesamt nicht mehr als 33 Millionen kostet –

dann kann 2013 mit dem Bau begonnen werden. Dann erst gibt es auch Ersatz für den „Thürmer-Saal“. Den hatte die Klavierfabrik Thürmer als Spielort hochklassiger Kammermusik etabliert, nachdem sie 1988 von Herne in die Nähe des Bochumer Schauspielhauses gezogen war. 20 Jahre später wollte Firmenchef Jan Thürmer Fabrik und Konzertsaal beim neuen Konzertzentrum ansiedeln und verkaufte den alten Standort. Der Thürmer-Saal dient demnächst eventuell der Schauspielschule Bochum. Die Fabrik arbeitet in einem Provisorium; der Konzertsaal hat jetzt vielleicht mit den neuen Plänen eine neue Chance.

| Opel statt Kohle Zurück zu Bochums kultureller Entwicklung in der Nachkriegszeit. Die machte allerdings nach 1959 einen großen Sprung, und das hat mit Bochums Vorreiterrolle beim Strukturwandel zu tun. In den fünfziger Jahren noch war die Liste der Bochumer Zechen besonders lang. Darunter waren allerdings, in den südlichen, ruhrnahen StadtteiRuhr Revue

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— Diese Vision vom Konzerthaus wird wohl dieser Tage durch Pläne für das „Musikzentrum“ ersetzt. Rechts das Bergbaumuseum mit neuem Anbau.

der Bohème“ nach dem Film von Aki Kaurismäki (25.April), Borcherts „Draußen vor der Tür“, wiederum von David Bösch inszeniert (4. Mai), und schließlich Gerhard Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ in der Regie des Hausherrn Anselm Weber. Auch das „Junge Schauspielhaus“ mit Angeboten für Kinder und Jugendliche bleibt trotz Schließung der eigenen Spielstätte „Melanchthonsaal“ aktiv (www.schauspielhausbochum.de). Bochums Ruf als Theaterstadt wurde zusätzlich gefestigt durch seine eigene Schauspielschule, gegründet 1939 von Saladin Schmitt und bis heute dem Schauspielhaus eng verbunden, auch wenn der Studiengang im Jahr 2000 an die Essener Folkwang-Hochschule angegliedert wurde. Demnächst

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sollen die Schüler vielleicht ein schönes neues Zuhause in Bochum bekommen: den Thürmer-Saal. Aber das führt zu einem ganz anderen Thema. Zuerst soll noch von mehr Theater(n) die Rede sein. Denn mit einem Schauspielhaus ließ Bochum es nicht bewenden. Seit 1991 gibt es „das andere Schauspiel“, bekannt unter dem bayrisch-historisch klingenden Namen „Prinz Regent Theater“. Es heißt so nach seiner Spielstätte in Gebäuden der ehemaligen Zeche „Prinz Regent“. Zuvor hatten sich mehrere freie Theatergruppen zusammengeschlossen, um bis dato ungenutzte Räume des Kulturzentrums „Prinz Regent“ übernehmen zu können. Heute wird das Unternehmen zu den führenden freien oder „Off“Theatern Nordrhein-Westfalens

gezählt – mit traditionellen und experimentellen Programmelementen. Derzeit unter anderem auf dem Programm: Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ und Molières „Eingebildeter Kranker“ aus der Klassikabteilung, John von Düffels Dramatisierung der „Buddenbrooks“ und ganz aktuell „der Goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig (www.prinzregenttheater.de). Über das erst 2009 gegründete und viel gelobte „Rottstr5-Theater“ lesen Sie bitte auf Seite 36. Noch ein Theater: „Theater Total“. Dessen Ensemble ist jedes Jahr neu: Etwa 30 talentierte Jugendliche entwickeln mit Mitgliedern des Tanztheaters Pina Bausch eine Performance und inszenieren mit Folkwang-Schauspiellehrern ein Theaterstück. Dieses Programm

zeigt die Truppe dann in ganz Deutschland. Viele ehemalige Teilnehmer des ungewöhnlichen Bildungsprojekts haben unterdessen den Weg in weitere künstlerische Ausbildung und in Berufe gefunden. In Bochum konnte Theater Total eine Zeit lang regelmäßig im ehemaligen Stadtarchiv aufspielen, doch damit ist seit Februar Schluss. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war ein Ersatz noch nicht gefunden (www.theatertotal.de).

| Jede Menge Theater Bochum macht solch ein Riesentheater, dass die Liste noch längst nicht am Ende ist. Natürlich müssen wir das „Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst“ erwähnen mit seinem „FIDENA“-Festival; zum Glück können wir dabei

auf die RUHR REVUE 4/11 verweisen (www.fidena.de). Zu nennen ist auch die „Comödie Bochum“, ein privates Boulevardtheater unter Leitung des TV-bekannten Schauspielers Jochen Schroeder. 2008 wurde das Unternehmen insolvent, nahm den Betrieb aber wieder auf. 2010 kündigte Schroeder wiederum seinen Rückzug an – doch existiert die „Comödie“ auch 2012 noch oder wieder, und zwar mit Jochen Schroeder (www.comoedie-bochum.de). Ununterbrochenen und geradezu unglaublichen Erfolg hat dagegen seit 1988 „Starlight Express“. Als das Unternehmen startete, und zwar mit eigener, neuer Halle, war Skepsis durchaus angebracht. Schließlich sind viele Projekte der damaligen Musical-Welle untergegangen. Das Bochumer Haus hat nie, wie andere Musicaltheater, einen Broadway-Hit durch die nächste Westend-Sensation abgelöst. Es gab und gibt Andrew Lloyd Webbers Rollschuh-Epos „Starlight Express“ und sonst nichts, wobei Teile des Stücks schon mal in typischer Lloyd Webber-Manier nach Zeitge-

schmack überarbeitet wurden. Mit diesem Erfolg steht das Bochumer Haus weltweit einmalig da (www.starlight-express.de). Mit dem Musical leiten wir nun vom Thema Theater zur Musik über und wieder zurück ans Ende des Ersten Weltkriegs: 1918 schon wurde das „Städtische Orchester“ gegründet. Hauptaufgabe des neuen Klangkörpers war in den ersten Jahrzehnten der musikalische Part bei Opern- und Operettenaufführungen im Theater. Dass er auch 1955 zur Eröffnung des neuen Schauspielhauses musizierte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass großes Musiktheater in Bochum nicht mehr stattfand. Das Orchester, seit 1970 unter dem Namen „Bochumer Symphoniker“, hatte auch räumlich gar keine Heimat. Konzerte im muschelförmigen Audimax der Universität und seit knapp 20 Jahren auch in der „Jahrhunderthalle“ blieben Dauerprovisorien. Die Symphoniker behaupteten sich trotzdem. Unter dem agilen Generalmusikdirektor Steven Sloane (seit 1994) erspielten sie sich einen so guten Ruf,

dass der Wunsch nach einem eigenen Haus Gestalt annahm (www.bochumer-symphoniker.de). Man einigte sich schließlich auf ein neues Konzerthaus mitten in der Stadt, kombiniert mit der stillgelegten Marienkirche, neben dem „Bermudadreieck“. Doch obwohl sich großzügige Spender wie der Bochumer „Lottokönig“ Faber fanden, geriet das Projekt in finanzielle Schwierigkeiten. Der klammen Stadt sind weitgehend die Hände gebunden. Besonders in Nachbarstädten wurde der Sinn eines weiteren Konzerthauses bezweifelt. Auch das veränderte Konzept eines vielseitiger nutzbaren „Musikzentrums“ geriet 2011, trotz zugesagter Mittel vom Land und von der EU, noch einmal ins Stocken. In diesem Frühjahr soll es nun endlich weitergehen, sollen neue Architektenpläne für das Haus vorgestellt werden. Wenn bis dahin die „Stiftung Bochumer Symphonie“ 14,3 Millionen Euro Spendengelder nachweisen kann, und wenn das Musikzentrum in der neuen Gestalt insgesamt nicht mehr als 33 Millionen kostet –

dann kann 2013 mit dem Bau begonnen werden. Dann erst gibt es auch Ersatz für den „Thürmer-Saal“. Den hatte die Klavierfabrik Thürmer als Spielort hochklassiger Kammermusik etabliert, nachdem sie 1988 von Herne in die Nähe des Bochumer Schauspielhauses gezogen war. 20 Jahre später wollte Firmenchef Jan Thürmer Fabrik und Konzertsaal beim neuen Konzertzentrum ansiedeln und verkaufte den alten Standort. Der Thürmer-Saal dient demnächst eventuell der Schauspielschule Bochum. Die Fabrik arbeitet in einem Provisorium; der Konzertsaal hat jetzt vielleicht mit den neuen Plänen eine neue Chance.

| Opel statt Kohle Zurück zu Bochums kultureller Entwicklung in der Nachkriegszeit. Die machte allerdings nach 1959 einen großen Sprung, und das hat mit Bochums Vorreiterrolle beim Strukturwandel zu tun. In den fünfziger Jahren noch war die Liste der Bochumer Zechen besonders lang. Darunter waren allerdings, in den südlichen, ruhrnahen StadtteiRuhr Revue

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— Wie ein notgelandetes Ufo thront die Uni auf den RuhrhÜhen. Man hat sich dennoch dran gewÜhnt.

len, viele Kleinzechen, die seit dem Krieg „eimerweise“ Kohle fĂśrderten. GroĂ&#x;schachtanlagen hatte Bochum kaum, dagegen zahlreiche mittelgroĂ&#x;e Bergwerke, die unter schwindenden Vorräten und schwierigen Abbaubedingungen litten. Das hatte keine Zukunft. Von 1960 bis 1965 wurden die meisten dieser Zechen stillgelegt. 1967/68 und 1973 folgten die grĂśĂ&#x;eren Anlagen. Im 1975 eingemeindeten Wattenscheid ging es ähnlich. Den Anfang der Stilllegungswelle machte 1960 „Prinz Regent“, wo

heute das gleichnamige Theater und die „Zeche“ als Konzertort zu Hause sind. Eine Nebenschachtanlage von „Prinz Regent“ wurde dagegen fĂźr eine industriepolitisch spektakuläre Neuansiedlung genutzt, ebenso die frĂźh stillgelegte Zeche „BruchstraĂ&#x;e“, eine der schlagwettergefährlichsten Gruben im Revier: Dort entstanden die 1962 erĂśffneten Opel-Werke Bochum. Dabei hat die Stadt nicht einfach auf Stillegungen reagiert; sie hat seit 1959 darauf hin geplant und das Ende der Zechen durchaus beschleu-

nigt. Auch wenn das Opel-Werk längst seinerseits krisenbedroht ist, war seine GrĂźndung 1962 doch ein Beweis, dass Bochum sich frĂźh neu erfinde wollte. Im gleichen Jahr 1962 wurde die Ruhr-Universität Bochum gegrĂźndet. Eine Universität im lang bewusst ungebildet gehaltenen Ruhrgebiet – das war allerdings eine noch grĂśĂ&#x;ere Sensation als Ruhr-Autos. Eine Entwicklung, die natĂźrlich auĂ&#x;erhalb der Stadt auf Landesebene angestoĂ&#x;en wurde. Nach Westfalen sollte die neue Uni, weil es dort erst eine (MĂźnster)

gab. Dass Favorit Dortmund dann von Bochum ausgestochen wurde, lag an vorhandenem Platz, an der zentraleren Lage – und vielleicht auch an der geschickten Lobbyarbeit Bochumer Politiker. Jedenfalls passte die Uni zu Bochums Vorreiterrolle beim Strukturwandel und verstärkte sie natĂźrlich sehr. Als 1964 der Bau in Querenburg begonnen wurde, hatten dort in den RuhrhĂśhen eben erst die letzten „Zechen Eimerweise“ ihre Buddelei eingestellt. Im GrĂźnen wuchs nun eine

STARTEN SIE MIT EINEM KLEINEN ABO IN DEN FRUHLING! DREI AUSGESUCHTE HIGHLIGHTS IM FRUHJAHRS-FEST-ABO:

SECHS GUTSCHEINE IM KLEINEN WAHL-ABO:

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SCHAUSPIELHAUS BOCHUM

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Ruhr Revue

UNSER ABO-TEAM BERĂ„T SIE GERN: 0234 / 33 33 55 -40 ODER -49 WWW.SCHAUSPIELHAUSBOCHUM.DE

Ăźber allem thronende CampusUniversität aus mächtigen Betongebäuden und einem Forum heran – gedacht als Schiffe im Hafen des Wissens. Dazu kamen ein Einkaufszentrum, Wohnheime fĂźr Studenten, Apartmentblocks fĂźr Dozenten und Bungalows fĂźr Professoren. Architektonisch war das stets hoch umstritten und der Landschaft etwa so angepasst wie ein notgelandetes Ufo. Aber die mächtige Lernmaschine – mit heute etwa 30.000 Studenten – war ein groĂ&#x;er Antrieb fĂźr Bochum und die Region. Und obwohl zuerst die späteren Ingenieurs-Gebäude „IA“ bis „IC“ entstanden, war die neue Uni keine bloĂ&#x;e Techniker-Schmiede fĂźrs Industrierevier. Von Anfang an spielten auĂ&#x;er Medizin und Naturwissenschaften auch Geisteswissenschaften eine gewichtige Rolle und beeinflussten das kulturelle Leben in Bochum (www.ruhr-unibochum.de).

| Shakespearestadt Zum ersten ordentlichen Professor ernannte die entstehende Universität einen jungen Anglisten: Ulrich Suerbaum. Der machte sich bald als Shakespeare-Spezialist einen Namen und knßpfte damit an die

Shakespeare-Tradition des Schauspielhauses unter Saladin Schmitt an. Durch Schmitt hatte die eigentlich in Weimar beheimatete Deutsche Shakespeare-Gesellschaft nach dem Krieg begonnen, ihre Tagungen in Bochum zu halten. 1963, in Zeiten des kältesten Kalten Krieges, etablierte sich die westdeutsche Shakespeare-Gesellschaft offiziell in Bochum. Suerbaum, der seinem Lehrstuhl bis zur Emeritierung 1992 treu blieb, war seit 1965 Mitglied und 1987 bis 1992 Präsident der Gesellschaft, die unter seiner FĂźhrung 1993 in Weimar wieder vereinigt wurde. Auch heute ist ein Bochumer Professor im Vorstand der Gesellschaft, dazu qua Amt der Chef des Schauspielhauses und der Kulturdezernent. Auch Tagungen finden weiterhin in Bochum statt, die nächste schon vom 20. bis 22. April unter dem Thema „Glaube und Zweifel bei Shakespeare“ (www.shakespeare-gesellschaft.de). Uni-Professor der ersten Stunde war auch der Kunsthistoriker Max Imdahl (Porträt Seite 40); er sollte eine wesentliche Rolle spielen bei Bochums Entwicklung zu einem Zentrum moderner Kunst. Doch zunächst trat 1960 die neu ge-

— Hier unterbrechen wir unsere Folge von Nachtaufnahmen, denn studiert wird denn doch mehr bei Tageslicht. Im Sommer hat der Campus auf der grĂźnen Wiese allerdings beträchtliches Ablenkungspotential. Da muss man stark sein.

grĂźndete „Städtische Kunstgalerie“ auf den Plan. In einer alten Villa beim Stadtpark zeigte und sammelte sie unter Leitung von Peter Leo Arbeiten zeitgenĂśssischer KĂźnstler. Wesentliche UnterstĂźtzung bot von Anfang an der Bochumer Sammler Helmut Klinker. 1965 wurde Imdahl GrĂźndungsordinarius des Kunsthistorischen Instituts der Universität. 1968 begrĂźndete er dann dort die erste Campuseigene Kunstsammlung Deutschlands, basierend auf einer Schenkung des 1967 gestorbenen Bochumer Sammlers Albert Schulze-Vellinghaus. 1968 schlieĂ&#x;lich grĂźndete ein weiterer Bochumer Sammler, Alexander von BerswordtWallrabe, im Park des ererbten, doch im Krieg zerstĂśrten Herrenhauses Weitmar die „galerie m“. Sie brachte KĂźnstler wie

Richard Serra und François Morellet nach Bochum, die bis heute eine besondere Beziehung zu der Stadt haben, weil dort ihre (europäische) Karriere entscheidenden Schub bekam. 1975 wurde die Kunstsammlung der Uni am Forum des Campus erĂśffnet. 1977 kaufte die Stadt Bochum Richard Serras „Terminal“, Wahrzeichen der Kasseler documenta, und lieĂ&#x; sie am Hauptbahnhof aufstellen. Serra selbst hatte den Ort ausgewählt, Professor Imdahl den Ankauf maĂ&#x;geblich befĂśrdert. Auch wenn viele Bochumer sich damals Ăźber „den Schrott“ empĂśrten und sich teils bis heute nicht beruhigten: Mit intellektuellem Hochmut hatte das nichts zu tun, im Gegenteil: Imdahl wollte sperrige Kunst nur zu gern allen Leuten nahe bringen.


BOCHUM-SPEZIAL

BOCHUM-SPEZIAL

— Wie ein notgelandetes Ufo thront die Uni auf den RuhrhÜhen. Man hat sich dennoch dran gewÜhnt.

len, viele Kleinzechen, die seit dem Krieg „eimerweise“ Kohle fĂśrderten. GroĂ&#x;schachtanlagen hatte Bochum kaum, dagegen zahlreiche mittelgroĂ&#x;e Bergwerke, die unter schwindenden Vorräten und schwierigen Abbaubedingungen litten. Das hatte keine Zukunft. Von 1960 bis 1965 wurden die meisten dieser Zechen stillgelegt. 1967/68 und 1973 folgten die grĂśĂ&#x;eren Anlagen. Im 1975 eingemeindeten Wattenscheid ging es ähnlich. Den Anfang der Stilllegungswelle machte 1960 „Prinz Regent“, wo

heute das gleichnamige Theater und die „Zeche“ als Konzertort zu Hause sind. Eine Nebenschachtanlage von „Prinz Regent“ wurde dagegen fĂźr eine industriepolitisch spektakuläre Neuansiedlung genutzt, ebenso die frĂźh stillgelegte Zeche „BruchstraĂ&#x;e“, eine der schlagwettergefährlichsten Gruben im Revier: Dort entstanden die 1962 erĂśffneten Opel-Werke Bochum. Dabei hat die Stadt nicht einfach auf Stillegungen reagiert; sie hat seit 1959 darauf hin geplant und das Ende der Zechen durchaus beschleu-

nigt. Auch wenn das Opel-Werk längst seinerseits krisenbedroht ist, war seine GrĂźndung 1962 doch ein Beweis, dass Bochum sich frĂźh neu erfinde wollte. Im gleichen Jahr 1962 wurde die Ruhr-Universität Bochum gegrĂźndet. Eine Universität im lang bewusst ungebildet gehaltenen Ruhrgebiet – das war allerdings eine noch grĂśĂ&#x;ere Sensation als Ruhr-Autos. Eine Entwicklung, die natĂźrlich auĂ&#x;erhalb der Stadt auf Landesebene angestoĂ&#x;en wurde. Nach Westfalen sollte die neue Uni, weil es dort erst eine (MĂźnster)

gab. Dass Favorit Dortmund dann von Bochum ausgestochen wurde, lag an vorhandenem Platz, an der zentraleren Lage – und vielleicht auch an der geschickten Lobbyarbeit Bochumer Politiker. Jedenfalls passte die Uni zu Bochums Vorreiterrolle beim Strukturwandel und verstärkte sie natĂźrlich sehr. Als 1964 der Bau in Querenburg begonnen wurde, hatten dort in den RuhrhĂśhen eben erst die letzten „Zechen Eimerweise“ ihre Buddelei eingestellt. Im GrĂźnen wuchs nun eine

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Ruhr Revue

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Ăźber allem thronende CampusUniversität aus mächtigen Betongebäuden und einem Forum heran – gedacht als Schiffe im Hafen des Wissens. Dazu kamen ein Einkaufszentrum, Wohnheime fĂźr Studenten, Apartmentblocks fĂźr Dozenten und Bungalows fĂźr Professoren. Architektonisch war das stets hoch umstritten und der Landschaft etwa so angepasst wie ein notgelandetes Ufo. Aber die mächtige Lernmaschine – mit heute etwa 30.000 Studenten – war ein groĂ&#x;er Antrieb fĂźr Bochum und die Region. Und obwohl zuerst die späteren Ingenieurs-Gebäude „IA“ bis „IC“ entstanden, war die neue Uni keine bloĂ&#x;e Techniker-Schmiede fĂźrs Industrierevier. Von Anfang an spielten auĂ&#x;er Medizin und Naturwissenschaften auch Geisteswissenschaften eine gewichtige Rolle und beeinflussten das kulturelle Leben in Bochum (www.ruhr-unibochum.de).

| Shakespearestadt Zum ersten ordentlichen Professor ernannte die entstehende Universität einen jungen Anglisten: Ulrich Suerbaum. Der machte sich bald als Shakespeare-Spezialist einen Namen und knßpfte damit an die

Shakespeare-Tradition des Schauspielhauses unter Saladin Schmitt an. Durch Schmitt hatte die eigentlich in Weimar beheimatete Deutsche Shakespeare-Gesellschaft nach dem Krieg begonnen, ihre Tagungen in Bochum zu halten. 1963, in Zeiten des kältesten Kalten Krieges, etablierte sich die westdeutsche Shakespeare-Gesellschaft offiziell in Bochum. Suerbaum, der seinem Lehrstuhl bis zur Emeritierung 1992 treu blieb, war seit 1965 Mitglied und 1987 bis 1992 Präsident der Gesellschaft, die unter seiner FĂźhrung 1993 in Weimar wieder vereinigt wurde. Auch heute ist ein Bochumer Professor im Vorstand der Gesellschaft, dazu qua Amt der Chef des Schauspielhauses und der Kulturdezernent. Auch Tagungen finden weiterhin in Bochum statt, die nächste schon vom 20. bis 22. April unter dem Thema „Glaube und Zweifel bei Shakespeare“ (www.shakespeare-gesellschaft.de). Uni-Professor der ersten Stunde war auch der Kunsthistoriker Max Imdahl (Porträt Seite 40); er sollte eine wesentliche Rolle spielen bei Bochums Entwicklung zu einem Zentrum moderner Kunst. Doch zunächst trat 1960 die neu ge-

— Hier unterbrechen wir unsere Folge von Nachtaufnahmen, denn studiert wird denn doch mehr bei Tageslicht. Im Sommer hat der Campus auf der grĂźnen Wiese allerdings beträchtliches Ablenkungspotential. Da muss man stark sein.

grĂźndete „Städtische Kunstgalerie“ auf den Plan. In einer alten Villa beim Stadtpark zeigte und sammelte sie unter Leitung von Peter Leo Arbeiten zeitgenĂśssischer KĂźnstler. Wesentliche UnterstĂźtzung bot von Anfang an der Bochumer Sammler Helmut Klinker. 1965 wurde Imdahl GrĂźndungsordinarius des Kunsthistorischen Instituts der Universität. 1968 begrĂźndete er dann dort die erste Campuseigene Kunstsammlung Deutschlands, basierend auf einer Schenkung des 1967 gestorbenen Bochumer Sammlers Albert Schulze-Vellinghaus. 1968 schlieĂ&#x;lich grĂźndete ein weiterer Bochumer Sammler, Alexander von BerswordtWallrabe, im Park des ererbten, doch im Krieg zerstĂśrten Herrenhauses Weitmar die „galerie m“. Sie brachte KĂźnstler wie

Richard Serra und François Morellet nach Bochum, die bis heute eine besondere Beziehung zu der Stadt haben, weil dort ihre (europäische) Karriere entscheidenden Schub bekam. 1975 wurde die Kunstsammlung der Uni am Forum des Campus erĂśffnet. 1977 kaufte die Stadt Bochum Richard Serras „Terminal“, Wahrzeichen der Kasseler documenta, und lieĂ&#x; sie am Hauptbahnhof aufstellen. Serra selbst hatte den Ort ausgewählt, Professor Imdahl den Ankauf maĂ&#x;geblich befĂśrdert. Auch wenn viele Bochumer sich damals Ăźber „den Schrott“ empĂśrten und sich teils bis heute nicht beruhigten: Mit intellektuellem Hochmut hatte das nichts zu tun, im Gegenteil: Imdahl wollte sperrige Kunst nur zu gern allen Leuten nahe bringen.


BOCHUM-SPEZIAL

BOCHUM-SPEZIAL

— Guckloch der jüngsten Kunstinstallation im „Portikus“. Der Blick in die Zukunft des Bochumer Kulturlebens

— Nicht vegetativen, sondern kulturellen Bedürfnissen dient jetzt der hübsche „Portikus“, vormals bekannt unter der profanen Bezeichnung „Klohäuschen“.

1988 starb Imdahl. Alexander von Berswordt, Sammler und Inhaber der „galerie m“, setzte dem so früh gestorbenen Freund ein einzigartiges Denkmal: „Situation Kunst (für Max Imdahl)“, seit 1990 mehrfach und zuletzt 2010 erweitert, fügte der Bochumer Kunstszene eine weitere wichtige Facette hinzu (Seite 40). Zwei Jahre später wurde 2012 das erste Element dieser aufeinander bezogenen Szene, das 1983 um einen Neubau erweiterte Kunstmuseum, in unverbindlichen Spargesprächen zwischen Vertretern der Stadtverwaltung und der Bezirksregierung zur Disposition gestellt: Museum schließen, Gebäude abreißen oder vermarkten, Kunst verkaufen. Nicht nur in Bochum war man entsetzt. Die Leiter aller Ruhr-Kunstmuseen protestierten öffentlich gemeinsam gegen derartige Versuche, die Kulturlandschaft der Region „sinnlos“ kaputtzusparen. Hans Günther Golinski als Chef des Bochumer

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Ruhr Revue

Hauses gibt sich eher gelassen. Er sieht sein Museum, nicht zuletzt durch konsequente Bildungsarbeit und Kunstvermittlung, als ausreichend in der Stadt verankert. Auch Oberbürgermeisterin und Kulturdezernent haben sich hinter sein Haus gestellt. Die Arbeit geht weiter: derzeit mit einer Ausstellung über Helmut Klinker und andere Förderer des Hauses, vom 24. März an mit der Dreijahres-Schau Bochumer Künstler (www.museum-bochum.de).

| Unterweltmuseum Ein Vergleich mit den Kunstmuseen wäre unfair, aber: Bei „Museum“ und Bochum“ denken seit Jahrzehnten viele Leute sofort ans Bergbaumuseum. Es ist eines der meistbesuchten Museen Deutschlands, wobei Heerscharen von Schülern aus allen Städten der Region die Statistik verschönern halfen. Tatsächlich ist das Museum, nicht zuletzt dank der künst-

lichen Untertagewelt in 20 Metern Tiefe, eine spannende Sache und fasziniert selbst Kinder mit eher kurzer Aufmerksamkeitsspanne mühelos über drei Stunden. Erwachsene können sich tagelang in den verschiedenen Abteilungen verlieren beim Versuch, die seltsame Unterwelt des Ruhrgebiets mit ihren Flözen, Schächten, Richtstrecken, Querschlägen, Streben und Örtern zu begreifen. Der Grundentwurf für das Gebäude übrigens stammt von Zollverein-Architekt Fritz Schupp, der sich dabei allerdings 1938 mit monumentalen Formen dem NS-Zeitgeist angenähert hat. Dass darüber 1973 Schupps Fördergerüst von der Zeche Germania errichtet wurde, war eine wenig glückliche Idee: Das Gerüst hat funktionell und stilistisch keinen rechten Zusammenhang mit dem Museum; es ist eine Kopie des Zollverein-Doppelbocks von 1932, damals aber baute Schupp ganz anders. Sei’s drum: Inzwi-

schen ist das seltsame Ensemble zu einem Wahrzeichen geworden, und Besucher können nach der „Grubenfahrt“ mit dem Aufzug gleich weiter aufs Gerüst fahren und den Ausblick genießen. Die Stilmischung wurde 2009 mit dem modernen Anbau „Diamant“ weitergetrieben; bei richtigem Licht funkeln dessen Wände wie Anthrazitkohle. Eine neue Sonderausstellung im „Diamanten“ ist erst wieder Ende des Jahres geplant, doch der Besuch im Hauptgebäude lohnt trotz laufender Umbauarbeiten allemal (www.bergbaumuseum.de). Ein weiteres technisches und – in einschlägigen Kreisen – höchst beliebtes Museum findet sich an der Ruhr im Stadtteil Dahlhausen. Das dortige Bahnbetriebswerk wurde nach dem Ende des Dampfbetriebs und des Kohleabbaus an der Ruhr überflüssig und wurde zum Eisenbahnmuseum umgewidmet. Die Sammlung alter Lokomotiven und Wagen ist

beachtlich, und regelmäßig werden einige der Fahrzeuge in Betrieb genommen. Vom Museum aus kann man mit dem Dampfzug oder Schienenbus das Bochumer Ruhrtal entlang und weiter bis Hagen fahren. Kindliches Vergnügen? Vielleicht. Aber zweifellos auch kultur-, regional- und industriegeschichtlicher Unterricht (www.eisenbahnmuseumbochum.de). Fehlt noch was? Aber sicher. Die Jahrhunderthalle, mit ihren Konzerten und Veranstaltungen (www.jahrhunderthalle-bochum.de). Die „Galerie Januar“ in Langendreer, eine Initiative zur Förderung aktueller Kunst, entstanden im Umfeld des kunsthistorischen Insti-

ist angesichts ewiger Spardiskussionen derzeit ein wenig getrübt.

tuts der Universität. Ebenfalls in Langendreer der alte Bahnhof, längst weithin als soziokulturelles Zentrum bekannt mit Konzerten, Kino, Disko, Restaurant. Schließlich noch das mutmaßlich kleinste Kultur-Haus Bochums, genannt „Portikus“,

obwohl es ebensogut, pardon, „Pottikus“ heißen könnte: Das wirklich hübsche Klohaus beim Bergbaumuseum hat der Fotograf Michael Korte vor dem Abriss bewahrt und renoviert. „Portikus“ heißt es wegen der Arkadenbögen am Eingang;

man staunt, wie viel Architektur man einst solch elementaren Bedürfnissen gewidmet hat. Der Retter indes möchte von „Klohaus“ nicht mehr sprechen; er zeigt in dem Häuschen mit wechselnden Ausstellungen: Kunst. Dass Kunst und Kultur in Bochum – und anderswo – nicht peu à peu per Spartaste in die Toilette gespült werden, bleibt zu hoffen. Zum Teil haben wir’s selbst in der Hand: Abstimmung mit den Füßen. Hingehen ist das beste Argument gegen Schließungen. ● -na

WAZ-Druckt Kultur Und das mit Engagement und Leidenschaft.

WAZ-Druck GmbH & Co. KG Theodor-Heuss-Straße 77 · 47167 Duisburg-Neumühl Telefon 02 03/9 94 87-0 · Telefax 02 03/9 94 87-59 e-mail: info@waz-druck.de · www.waz-druck.de


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— Guckloch der jüngsten Kunstinstallation im „Portikus“. Der Blick in die Zukunft des Bochumer Kulturlebens

— Nicht vegetativen, sondern kulturellen Bedürfnissen dient jetzt der hübsche „Portikus“, vormals bekannt unter der profanen Bezeichnung „Klohäuschen“.

1988 starb Imdahl. Alexander von Berswordt, Sammler und Inhaber der „galerie m“, setzte dem so früh gestorbenen Freund ein einzigartiges Denkmal: „Situation Kunst (für Max Imdahl)“, seit 1990 mehrfach und zuletzt 2010 erweitert, fügte der Bochumer Kunstszene eine weitere wichtige Facette hinzu (Seite 40). Zwei Jahre später wurde 2012 das erste Element dieser aufeinander bezogenen Szene, das 1983 um einen Neubau erweiterte Kunstmuseum, in unverbindlichen Spargesprächen zwischen Vertretern der Stadtverwaltung und der Bezirksregierung zur Disposition gestellt: Museum schließen, Gebäude abreißen oder vermarkten, Kunst verkaufen. Nicht nur in Bochum war man entsetzt. Die Leiter aller Ruhr-Kunstmuseen protestierten öffentlich gemeinsam gegen derartige Versuche, die Kulturlandschaft der Region „sinnlos“ kaputtzusparen. Hans Günther Golinski als Chef des Bochumer

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Hauses gibt sich eher gelassen. Er sieht sein Museum, nicht zuletzt durch konsequente Bildungsarbeit und Kunstvermittlung, als ausreichend in der Stadt verankert. Auch Oberbürgermeisterin und Kulturdezernent haben sich hinter sein Haus gestellt. Die Arbeit geht weiter: derzeit mit einer Ausstellung über Helmut Klinker und andere Förderer des Hauses, vom 24. März an mit der Dreijahres-Schau Bochumer Künstler (www.museum-bochum.de).

| Unterweltmuseum Ein Vergleich mit den Kunstmuseen wäre unfair, aber: Bei „Museum“ und Bochum“ denken seit Jahrzehnten viele Leute sofort ans Bergbaumuseum. Es ist eines der meistbesuchten Museen Deutschlands, wobei Heerscharen von Schülern aus allen Städten der Region die Statistik verschönern halfen. Tatsächlich ist das Museum, nicht zuletzt dank der künst-

lichen Untertagewelt in 20 Metern Tiefe, eine spannende Sache und fasziniert selbst Kinder mit eher kurzer Aufmerksamkeitsspanne mühelos über drei Stunden. Erwachsene können sich tagelang in den verschiedenen Abteilungen verlieren beim Versuch, die seltsame Unterwelt des Ruhrgebiets mit ihren Flözen, Schächten, Richtstrecken, Querschlägen, Streben und Örtern zu begreifen. Der Grundentwurf für das Gebäude übrigens stammt von Zollverein-Architekt Fritz Schupp, der sich dabei allerdings 1938 mit monumentalen Formen dem NS-Zeitgeist angenähert hat. Dass darüber 1973 Schupps Fördergerüst von der Zeche Germania errichtet wurde, war eine wenig glückliche Idee: Das Gerüst hat funktionell und stilistisch keinen rechten Zusammenhang mit dem Museum; es ist eine Kopie des Zollverein-Doppelbocks von 1932, damals aber baute Schupp ganz anders. Sei’s drum: Inzwi-

schen ist das seltsame Ensemble zu einem Wahrzeichen geworden, und Besucher können nach der „Grubenfahrt“ mit dem Aufzug gleich weiter aufs Gerüst fahren und den Ausblick genießen. Die Stilmischung wurde 2009 mit dem modernen Anbau „Diamant“ weitergetrieben; bei richtigem Licht funkeln dessen Wände wie Anthrazitkohle. Eine neue Sonderausstellung im „Diamanten“ ist erst wieder Ende des Jahres geplant, doch der Besuch im Hauptgebäude lohnt trotz laufender Umbauarbeiten allemal (www.bergbaumuseum.de). Ein weiteres technisches und – in einschlägigen Kreisen – höchst beliebtes Museum findet sich an der Ruhr im Stadtteil Dahlhausen. Das dortige Bahnbetriebswerk wurde nach dem Ende des Dampfbetriebs und des Kohleabbaus an der Ruhr überflüssig und wurde zum Eisenbahnmuseum umgewidmet. Die Sammlung alter Lokomotiven und Wagen ist

beachtlich, und regelmäßig werden einige der Fahrzeuge in Betrieb genommen. Vom Museum aus kann man mit dem Dampfzug oder Schienenbus das Bochumer Ruhrtal entlang und weiter bis Hagen fahren. Kindliches Vergnügen? Vielleicht. Aber zweifellos auch kultur-, regional- und industriegeschichtlicher Unterricht (www.eisenbahnmuseumbochum.de). Fehlt noch was? Aber sicher. Die Jahrhunderthalle, mit ihren Konzerten und Veranstaltungen (www.jahrhunderthalle-bochum.de). Die „Galerie Januar“ in Langendreer, eine Initiative zur Förderung aktueller Kunst, entstanden im Umfeld des kunsthistorischen Insti-

ist angesichts ewiger Spardiskussionen derzeit ein wenig getrübt.

tuts der Universität. Ebenfalls in Langendreer der alte Bahnhof, längst weithin als soziokulturelles Zentrum bekannt mit Konzerten, Kino, Disko, Restaurant. Schließlich noch das mutmaßlich kleinste Kultur-Haus Bochums, genannt „Portikus“,

obwohl es ebensogut, pardon, „Pottikus“ heißen könnte: Das wirklich hübsche Klohaus beim Bergbaumuseum hat der Fotograf Michael Korte vor dem Abriss bewahrt und renoviert. „Portikus“ heißt es wegen der Arkadenbögen am Eingang;

man staunt, wie viel Architektur man einst solch elementaren Bedürfnissen gewidmet hat. Der Retter indes möchte von „Klohaus“ nicht mehr sprechen; er zeigt in dem Häuschen mit wechselnden Ausstellungen: Kunst. Dass Kunst und Kultur in Bochum – und anderswo – nicht peu à peu per Spartaste in die Toilette gespült werden, bleibt zu hoffen. Zum Teil haben wir’s selbst in der Hand: Abstimmung mit den Füßen. Hingehen ist das beste Argument gegen Schließungen. ● -na

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BOCHUM-SPEZIAL

BOCHUM-SPEZIAL — Johanna Wieking (links) bei ihrem Solo-Debüt mit „Tag des Zorns“. Im Theater Rottstr 5 unter dem Eisenbahn-Dammbogen begegnet sie vielen Schauspielerkollegen, die das direkte und publikumsnahe Arbeiten dort schätzen.

Auf seiner Website kokettiert das „Rottstr 5 Theater“ heftig mit seiner 2B-Lage. Genüsslich wird da der Blog eines Besuchers wiedergegeben, in dem vom „dunklen Hinterhof im schmuddeligsten Teil der Stadt“ die Rede ist, von einer Hotelruine und vom berüchtigten Rotlichtviertel, das „gleich um die Ecke“ liege. Also das ist denn doch ein bisschen übertrieben. Das – Verzeihung – Puffviertel, in einschlägig interessierten Kreisen wohl unter drastischen Namen wohlbekannt, liegt doch ein ganzes Stück weit weg am Gelände der alten Gussstahlfabrik. In der Hinsicht ist auf der Rottstraße nichts zu befürchten.

| Bohème wie Berliner Kiez Das mit dem Hotel stimmt so ziemlich: Das „Eden am Ring“ steht genau an der Ecke, wo die Rottstraße vom Süd-/Westring abzweigt. Der Kasten aus den 50-er Jahren war mal eine gute Adresse, zum Schluss allerdings wahrhaftig ein Stundenhotel, dann Asylbewerberheim, und seit fast 20 Jahren steht er leer. In den ver-

gangenen Jahren narrte ein Käufer die Stadt mit immer wieder verschobenen Abrissplänen. Das „Eden“ gammelt weiter vor sich hin und ist ein Schandfleck; eine zerfallende Ruine ist es nicht. Ansonsten gibt es auf der Rottstraße drei oder vier Sexund Peepshowläden. Eine Kneipe namens „Absinth“ spielt deutlich auf das Sündige an – aber auch darauf, dass die Rottstraße dabei ist, zum angesagten Ort der Kunstszene zu werden. Mit ersten Galerien, einem Clubcafé – und vor allem mit dem Theater. „Mehr Bohème geht nicht“, heißt es auf der Website. Und das stimmt.

Kurz hinter dem „Eden“ geht es vor der Eisenbahnbrücke links auf einen Hinterhof. Rückfront eines Wohnhauses. Ein Ladyfitnessladen, ohne Rotlicht. Der Lieferantenzugang eines Asienshops. Westlich wird der Hof durch den Bahndamm der Nebenstrecke vom Hauptbahnhof nach Riemke und weiter nach Wanne-Eickel begrenzt. Da, in zwei zugemauerten Brückenbögen, ist die Postadresse Rottstraße 5, und die wirkt auf den ersten Blick so bohème wie die spannendsten Berliner Ecken – bevor sie überschick und teuer werden. Im vorderen Bogen haust eine

— Der Garderobe des Theaters Patina oder rauen Charme zu attestieren, wäre reichlich untertrieben. Aber irgendwie geht es.

Rottstr 5 Theater

Spielen für die Ultras Ein Stückchen westlich von Innenstadt, Bermudadreieck und geplantem Konzerthaus, wo die Bahnlinie nördlich gen Riemke und Wanne kurvt, wird Bochum gleichzeitig unscheinbar, kiezig und ein bisschen zwielichtig. Und genau da tut sich was. Unter anderem ein kleines, wildes Profi-Theater, bei dem die Abonnenten „Ultras“ heißen.

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Ruhr Revue

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BOCHUM-SPEZIAL

BOCHUM-SPEZIAL — Johanna Wieking (links) bei ihrem Solo-Debüt mit „Tag des Zorns“. Im Theater Rottstr 5 unter dem Eisenbahn-Dammbogen begegnet sie vielen Schauspielerkollegen, die das direkte und publikumsnahe Arbeiten dort schätzen.

Auf seiner Website kokettiert das „Rottstr 5 Theater“ heftig mit seiner 2B-Lage. Genüsslich wird da der Blog eines Besuchers wiedergegeben, in dem vom „dunklen Hinterhof im schmuddeligsten Teil der Stadt“ die Rede ist, von einer Hotelruine und vom berüchtigten Rotlichtviertel, das „gleich um die Ecke“ liege. Also das ist denn doch ein bisschen übertrieben. Das – Verzeihung – Puffviertel, in einschlägig interessierten Kreisen wohl unter drastischen Namen wohlbekannt, liegt doch ein ganzes Stück weit weg am Gelände der alten Gussstahlfabrik. In der Hinsicht ist auf der Rottstraße nichts zu befürchten.

| Bohème wie Berliner Kiez Das mit dem Hotel stimmt so ziemlich: Das „Eden am Ring“ steht genau an der Ecke, wo die Rottstraße vom Süd-/Westring abzweigt. Der Kasten aus den 50-er Jahren war mal eine gute Adresse, zum Schluss allerdings wahrhaftig ein Stundenhotel, dann Asylbewerberheim, und seit fast 20 Jahren steht er leer. In den ver-

gangenen Jahren narrte ein Käufer die Stadt mit immer wieder verschobenen Abrissplänen. Das „Eden“ gammelt weiter vor sich hin und ist ein Schandfleck; eine zerfallende Ruine ist es nicht. Ansonsten gibt es auf der Rottstraße drei oder vier Sexund Peepshowläden. Eine Kneipe namens „Absinth“ spielt deutlich auf das Sündige an – aber auch darauf, dass die Rottstraße dabei ist, zum angesagten Ort der Kunstszene zu werden. Mit ersten Galerien, einem Clubcafé – und vor allem mit dem Theater. „Mehr Bohème geht nicht“, heißt es auf der Website. Und das stimmt.

Kurz hinter dem „Eden“ geht es vor der Eisenbahnbrücke links auf einen Hinterhof. Rückfront eines Wohnhauses. Ein Ladyfitnessladen, ohne Rotlicht. Der Lieferantenzugang eines Asienshops. Westlich wird der Hof durch den Bahndamm der Nebenstrecke vom Hauptbahnhof nach Riemke und weiter nach Wanne-Eickel begrenzt. Da, in zwei zugemauerten Brückenbögen, ist die Postadresse Rottstraße 5, und die wirkt auf den ersten Blick so bohème wie die spannendsten Berliner Ecken – bevor sie überschick und teuer werden. Im vorderen Bogen haust eine

— Der Garderobe des Theaters Patina oder rauen Charme zu attestieren, wäre reichlich untertrieben. Aber irgendwie geht es.

Rottstr 5 Theater

Spielen für die Ultras Ein Stückchen westlich von Innenstadt, Bermudadreieck und geplantem Konzerthaus, wo die Bahnlinie nördlich gen Riemke und Wanne kurvt, wird Bochum gleichzeitig unscheinbar, kiezig und ein bisschen zwielichtig. Und genau da tut sich was. Unter anderem ein kleines, wildes Profi-Theater, bei dem die Abonnenten „Ultras“ heißen.

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— Theaterleiter Hans Dreher im urgemütlichen Sperrmüll-Mobiliar. Im Winter kann’s allerdings saukalt werden. Dreher will trotzdem nie weg aus der Theaterhöhle im Bahndamm.

Galerie, künstlerische Heimat auch einer pensionierten Cellistin, die dort jeden Mittwoch 20 Minuten öffentlich spielt, komme, wer da will. Und im zweiten Bogen tobt das „Rottstr 5 Theater“. Der mit schwarzer Farbe akzentuierte Bogen besteht weitgehend aus trashigen Glasbausteinen, die aber innen abgedeckt sind, damit eben kein Licht durchscheint. Neben der bemalten und beklebten Eingangstür stehen ein paar Klappstühle. Tagsüber ist dieses Tableau meist verwaist. An manchen Abenden aber sammeln sich Grüppchen vor dem Eingang, bis die Tür sich öffnet. Ein Schritt, schon steht man mittendrin im Theater. „Hier ist man entweder drin oder draußen; ohne diese theatertypischen Schleusen“, sagt Hans Dreher, einer von zwei künstlerischen Leitern des Hauses. Und kaum ist man drin, stolpert man geradezu über Schauspieler, denn wer im „Foyer“ um die Kasse herum mithilft, ist garantiert auch Schauspieler, Autor, Regisseur, Souffleur, Beleuchter, Bühnenbildner – oder Theaterleiter. Hier macht jeder alles. Und wer gerade nichts macht, steht trotzdem an der Tür, denn viel Platz ist sonst nicht.

| Professionelle Hausbesetzung Das Unmittelbare, Intensive, Direkte, einschließlich des engen Kontakts zum Publikum: Das mache den Reiz dieses kleinen Theaters aus, sagt Honke Rambow, der Pressesprecher. Pressesprecher? Natürlich ist er nicht nur das. Der gelernte Musiker und Ton-Künstler hat letztes Jahr als Theaterautor debütiert, und da er sich auch publizistisch betätigt, macht er eben die

Pressearbeit in der Rottstraße. Trotz dieser Aufgabenteilung ist das Rottstr 5 kein Amateurtheater. Es waren Profis, vor allem aus dem Umfeld des Schauspielhauses, die in der Katakombe unter der Bahnlinie eine Chance witterten, Theater ganz anders zu machen: eben direkt, spontan, schnell. Viele Mitglieder der „Hausbesetzung“ – so nennen sie sich selbst – gehörten zum Schauspielensemble unter Elmar

— Ein Schritt aus der Kälte, und man steht mitten zwischen Schauspielern im Theaterlicht. Da kriegt das Wort „Ensemble“ eine ganz neue Bedeutung.

Goerden. Der Entschluss, unter den Bahndamm zu ziehen, sei aber noch während Goerdens Intendanz gefallen, sagt Hans Dreher. Mitgründer, Schauspieler, Regisseur und Aushängeschild Arne Nobel hat sich im Oktober 2011 nach zwei erfolgreichen Jahren von der Rottstraße verabschiedet. Unter anderem, so war zu lesen, war er über ausbleibende Förderung des Theaters enttäuscht. Natürlich sei der Betrieb ohne radikale Selbstausbeutung der Beteiligten nicht möglich, sagt Hans Dreher, der das Haus nun zusammen mit Oliver Paolo Thomas leitet. Die Eintrittsgelder reichten gerade, um die laufenden Kosten der Katakomben zu bestreiten. „Ruhm und Ehre“ gebe es für die Schauspieler, Honorar aber nur je nach Möglichkeit. Jeder arbeite auch anderweitig und habe andere Einnahmequellen. Er selbst sei da eine Ausnahme. Wie der Prinzipal für diesen Fulltime-Job entlohnt wird, fragen wir diskretionshalber lieber nicht. Zur Zeit führe das Theater eine „Zwitterexistenz“, sagt Dreher. Einige Produktionen könnten seit Kurzem mit Fördermitteln der Sparkasse komfortabler arbeiten, bei älteren gebe es für Schauspieler allenfalls einen kleinen Teil der Abendeinnahmen, sonst Kost und Logis. Natürlich hofft man in der Rottstraße auf weitere und womöglich höhere Fördermittel, schließlich ist das Haus bei Theaterexperten über die Stadt hinaus bekannt und anerkannt. Aber von Wachstum, von

einem Umzug in ein größeres Haus, womöglich mit richtiger Heizung, will zumindest Hans Dreher nichts hören: „Mich muss man gewaltsam hier rausholen.“ Die Rottstraßenhöhle findet er ideal, und daran ändert auch die Regionalbahn nichts, die in schöner Regelmäßigkeit über Schauspieler und Publikum hinwegrumpelt. Man versucht, sie zu integrieren, und sie scheint Talent zu haben: „Die Bahn“, sagt Dreher, „hat ein sagenhaftes Timing.“ Dann geht er hinaus, ruft nach Leuten mit reservierten Karten, hilft dann beim Einschleusen der Zuschauer. Viele junge Leute darunter, aber auch ganz „klassisches“ Theaterpublikum. Neulinge orientieren sich erst ein bisschen, ehe sie, mit einem Bier oder Wasser versorgt, zu ihren Sitzen gehen. „Darf man hier drinne rauchen?“, fragt jemand. Die Schauspieler jedenfalls tun es fast alle. Hans Dreher murmelt etwas von selbstzerstörerischen Trieben in diesem extremen Beruf. Er selbst raucht nicht.

| Patronen sind gezählt Auf dem Programm steht heute „Tag des Zorns“, ein Einfrau-Stück nach Franca Rame und Dario Fo, mit deutlichen Bezügen zur Medienwelt im Italien Berlusconis. Das Programmblatt weist darauf hin, dass während des Stücks „ein Schreckschuss abgegeben wird“. Na hoffentlich. Chef Dreher hatte das vorher testen wollen, weil die Platzpatronen inzwischen feucht

— Schauspieler muss man nicht lang fragen, ehe sie sich gekonnt und mit Lust fürs Foto in Szene setzen.

geworden sein konnten. Aber es gab nicht genug Ersatz, um Patronen testhalber zu verballern … Und nun gehört die Bühne Johanna Wieking, einer jungen Absolventin der Bochumer Schauspielschule. Ihre erste Hauptrolle, und dann gleich solo. Die Kollegen haben fast mehr gefiebert als sie selbst. Hauptrollen oder Beinah-Hauptrollen sind natürlich häufig in solch einem kleinen Theater. Da passen einfach nur wenige Leute auf die Bühne. Entsprechend werden die Stücke ausgewählt – oder adaptiert. Das Programm ist anspruchsvoll. Einer Zeitung haben die Rottstraßenleute mal gesagt, man solle aus dem gleichsam familiären Zuschnitt ihres Theaters nicht auf Stücke über WG-Beziehungsprobleme oder so was schließen. „Der Großinquisitor“ steht auf dem Spielplan, „Fräulein Julie“, ein höchst eigener „NibelungenZyklus“. Die Zahl und Bandbreite der Stücke ist riesig. Zu den – oft schnell ins Programm aufgenommenen – Überraschungen der jüngsten Zeit zählt „Wow, toll – Heidi und die Chicas“, eine „Actionlesung“ nur mit Originalzitaten aus der schrecklichen TV-Modelsuch-Show. Im Winter sind die Rottstraßenmusiker oft erkältet; die beiden improvisiert angebrachten Heizkörper in ihrer Bahn-Höhle sind eher symbolischer Art. Eine warme Jacke ist für Zuschauer keine schlechte Idee, auch wenn bei der Vorstellung natürlich die Scheinwerfer heizen helfen und ein paar Dutzend Menschenkörper. „Ultra“ übrigens wird man per Überweisung von 130 Euro jährlich. Dafür gibt’s Karten-Vorkaufsrecht, Festpreis von sieben Euro, Einladung zu besonderen Veranstaltungen. Ein Freigetränk ist kein Vorrecht der Ultras, das kriegen alle. Darauf ein Pilsner Urquell. Mehr Bohème geht nicht. Mehr Theater pro Quadratmeter wohl auch nicht (www.rottstr5-theater.de). ● -na

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Ruhr Revue

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BOCHUM-SPEZIAL

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— Theaterleiter Hans Dreher im urgemütlichen Sperrmüll-Mobiliar. Im Winter kann’s allerdings saukalt werden. Dreher will trotzdem nie weg aus der Theaterhöhle im Bahndamm.

Galerie, künstlerische Heimat auch einer pensionierten Cellistin, die dort jeden Mittwoch 20 Minuten öffentlich spielt, komme, wer da will. Und im zweiten Bogen tobt das „Rottstr 5 Theater“. Der mit schwarzer Farbe akzentuierte Bogen besteht weitgehend aus trashigen Glasbausteinen, die aber innen abgedeckt sind, damit eben kein Licht durchscheint. Neben der bemalten und beklebten Eingangstür stehen ein paar Klappstühle. Tagsüber ist dieses Tableau meist verwaist. An manchen Abenden aber sammeln sich Grüppchen vor dem Eingang, bis die Tür sich öffnet. Ein Schritt, schon steht man mittendrin im Theater. „Hier ist man entweder drin oder draußen; ohne diese theatertypischen Schleusen“, sagt Hans Dreher, einer von zwei künstlerischen Leitern des Hauses. Und kaum ist man drin, stolpert man geradezu über Schauspieler, denn wer im „Foyer“ um die Kasse herum mithilft, ist garantiert auch Schauspieler, Autor, Regisseur, Souffleur, Beleuchter, Bühnenbildner – oder Theaterleiter. Hier macht jeder alles. Und wer gerade nichts macht, steht trotzdem an der Tür, denn viel Platz ist sonst nicht.

| Professionelle Hausbesetzung Das Unmittelbare, Intensive, Direkte, einschließlich des engen Kontakts zum Publikum: Das mache den Reiz dieses kleinen Theaters aus, sagt Honke Rambow, der Pressesprecher. Pressesprecher? Natürlich ist er nicht nur das. Der gelernte Musiker und Ton-Künstler hat letztes Jahr als Theaterautor debütiert, und da er sich auch publizistisch betätigt, macht er eben die

Pressearbeit in der Rottstraße. Trotz dieser Aufgabenteilung ist das Rottstr 5 kein Amateurtheater. Es waren Profis, vor allem aus dem Umfeld des Schauspielhauses, die in der Katakombe unter der Bahnlinie eine Chance witterten, Theater ganz anders zu machen: eben direkt, spontan, schnell. Viele Mitglieder der „Hausbesetzung“ – so nennen sie sich selbst – gehörten zum Schauspielensemble unter Elmar

— Ein Schritt aus der Kälte, und man steht mitten zwischen Schauspielern im Theaterlicht. Da kriegt das Wort „Ensemble“ eine ganz neue Bedeutung.

Goerden. Der Entschluss, unter den Bahndamm zu ziehen, sei aber noch während Goerdens Intendanz gefallen, sagt Hans Dreher. Mitgründer, Schauspieler, Regisseur und Aushängeschild Arne Nobel hat sich im Oktober 2011 nach zwei erfolgreichen Jahren von der Rottstraße verabschiedet. Unter anderem, so war zu lesen, war er über ausbleibende Förderung des Theaters enttäuscht. Natürlich sei der Betrieb ohne radikale Selbstausbeutung der Beteiligten nicht möglich, sagt Hans Dreher, der das Haus nun zusammen mit Oliver Paolo Thomas leitet. Die Eintrittsgelder reichten gerade, um die laufenden Kosten der Katakomben zu bestreiten. „Ruhm und Ehre“ gebe es für die Schauspieler, Honorar aber nur je nach Möglichkeit. Jeder arbeite auch anderweitig und habe andere Einnahmequellen. Er selbst sei da eine Ausnahme. Wie der Prinzipal für diesen Fulltime-Job entlohnt wird, fragen wir diskretionshalber lieber nicht. Zur Zeit führe das Theater eine „Zwitterexistenz“, sagt Dreher. Einige Produktionen könnten seit Kurzem mit Fördermitteln der Sparkasse komfortabler arbeiten, bei älteren gebe es für Schauspieler allenfalls einen kleinen Teil der Abendeinnahmen, sonst Kost und Logis. Natürlich hofft man in der Rottstraße auf weitere und womöglich höhere Fördermittel, schließlich ist das Haus bei Theaterexperten über die Stadt hinaus bekannt und anerkannt. Aber von Wachstum, von

einem Umzug in ein größeres Haus, womöglich mit richtiger Heizung, will zumindest Hans Dreher nichts hören: „Mich muss man gewaltsam hier rausholen.“ Die Rottstraßenhöhle findet er ideal, und daran ändert auch die Regionalbahn nichts, die in schöner Regelmäßigkeit über Schauspieler und Publikum hinwegrumpelt. Man versucht, sie zu integrieren, und sie scheint Talent zu haben: „Die Bahn“, sagt Dreher, „hat ein sagenhaftes Timing.“ Dann geht er hinaus, ruft nach Leuten mit reservierten Karten, hilft dann beim Einschleusen der Zuschauer. Viele junge Leute darunter, aber auch ganz „klassisches“ Theaterpublikum. Neulinge orientieren sich erst ein bisschen, ehe sie, mit einem Bier oder Wasser versorgt, zu ihren Sitzen gehen. „Darf man hier drinne rauchen?“, fragt jemand. Die Schauspieler jedenfalls tun es fast alle. Hans Dreher murmelt etwas von selbstzerstörerischen Trieben in diesem extremen Beruf. Er selbst raucht nicht.

| Patronen sind gezählt Auf dem Programm steht heute „Tag des Zorns“, ein Einfrau-Stück nach Franca Rame und Dario Fo, mit deutlichen Bezügen zur Medienwelt im Italien Berlusconis. Das Programmblatt weist darauf hin, dass während des Stücks „ein Schreckschuss abgegeben wird“. Na hoffentlich. Chef Dreher hatte das vorher testen wollen, weil die Platzpatronen inzwischen feucht

— Schauspieler muss man nicht lang fragen, ehe sie sich gekonnt und mit Lust fürs Foto in Szene setzen.

geworden sein konnten. Aber es gab nicht genug Ersatz, um Patronen testhalber zu verballern … Und nun gehört die Bühne Johanna Wieking, einer jungen Absolventin der Bochumer Schauspielschule. Ihre erste Hauptrolle, und dann gleich solo. Die Kollegen haben fast mehr gefiebert als sie selbst. Hauptrollen oder Beinah-Hauptrollen sind natürlich häufig in solch einem kleinen Theater. Da passen einfach nur wenige Leute auf die Bühne. Entsprechend werden die Stücke ausgewählt – oder adaptiert. Das Programm ist anspruchsvoll. Einer Zeitung haben die Rottstraßenleute mal gesagt, man solle aus dem gleichsam familiären Zuschnitt ihres Theaters nicht auf Stücke über WG-Beziehungsprobleme oder so was schließen. „Der Großinquisitor“ steht auf dem Spielplan, „Fräulein Julie“, ein höchst eigener „NibelungenZyklus“. Die Zahl und Bandbreite der Stücke ist riesig. Zu den – oft schnell ins Programm aufgenommenen – Überraschungen der jüngsten Zeit zählt „Wow, toll – Heidi und die Chicas“, eine „Actionlesung“ nur mit Originalzitaten aus der schrecklichen TV-Modelsuch-Show. Im Winter sind die Rottstraßenmusiker oft erkältet; die beiden improvisiert angebrachten Heizkörper in ihrer Bahn-Höhle sind eher symbolischer Art. Eine warme Jacke ist für Zuschauer keine schlechte Idee, auch wenn bei der Vorstellung natürlich die Scheinwerfer heizen helfen und ein paar Dutzend Menschenkörper. „Ultra“ übrigens wird man per Überweisung von 130 Euro jährlich. Dafür gibt’s Karten-Vorkaufsrecht, Festpreis von sieben Euro, Einladung zu besonderen Veranstaltungen. Ein Freigetränk ist kein Vorrecht der Ultras, das kriegen alle. Darauf ein Pilsner Urquell. Mehr Bohème geht nicht. Mehr Theater pro Quadratmeter wohl auch nicht (www.rottstr5-theater.de). ● -na

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