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Reif für die Insel Sammler Olbricht lädt zur Achterbahnfahrt
So etwas war noch nie da: In einer Art „Finissage“ vor dem Umbau zeigt das Folkwang-Museum 280 Werke aus der Kunstsammlung Thomas Olbrichts. Der Sammler selbst hat die Ausstellung arrangiert – als Abenteuerreise und „Achterbahn der Gefühle“: bunt, sinnlich, provokant.
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Ruhr Revue
Folkwang-Direktor Hartwig Fischer ist ein seriöser Mann und nicht für öffentliche Gefühlsausbrüche bekannt. Außerdem hat er wenig Zeit in den letzten Wochen vor Schließung seines Hauses. Fast unmöglich, ihn und Olbricht zum Fototermin zu kriegen. Und als es dann doch klappt, scheint
es um wenig mehr zu gehen als drei, vier Minuten: lästige Pflicht, schnell abzuhaken. Kaum aber betreten Fischer und Olbricht die Ausstellungsräume, da ist es, als ob ein Film kurz stoppt und anders weiterläuft. Zeitlupe statt Zeitraffer. Der Alltag – ausgeblendet. Sie stellen sich fürs Foto
links und rechts der lebensgroßen Plastik „Homeostatis“ an die Wand. Und lachen. Tanzen beinahe zwischen den Skulpturen herum. Folgen dem Fotografen zu Liu Yes farbkräftigem Großbild „Schwerter“, stellen sich spontan zu beiden Seiten des Bildes auf und schauen einander an – die Hal-
tung der abgebildeten Mädchen imitierend. Da haben sich zwei gefunden und freuen sich diebisch, dass sie diese Ausstellung ausgeheckt haben. Direktor Fischer allerdings muss bald doch zu anderen Pflichten. Olbricht bleibt und fragt, ob er den Reporter wohl rasch durch die Ausstellung
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Reif für die Insel Sammler Olbricht lädt zur Achterbahnfahrt
So etwas war noch nie da: In einer Art „Finissage“ vor dem Umbau zeigt das Folkwang-Museum 280 Werke aus der Kunstsammlung Thomas Olbrichts. Der Sammler selbst hat die Ausstellung arrangiert – als Abenteuerreise und „Achterbahn der Gefühle“: bunt, sinnlich, provokant.
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Folkwang-Direktor Hartwig Fischer ist ein seriöser Mann und nicht für öffentliche Gefühlsausbrüche bekannt. Außerdem hat er wenig Zeit in den letzten Wochen vor Schließung seines Hauses. Fast unmöglich, ihn und Olbricht zum Fototermin zu kriegen. Und als es dann doch klappt, scheint
es um wenig mehr zu gehen als drei, vier Minuten: lästige Pflicht, schnell abzuhaken. Kaum aber betreten Fischer und Olbricht die Ausstellungsräume, da ist es, als ob ein Film kurz stoppt und anders weiterläuft. Zeitlupe statt Zeitraffer. Der Alltag – ausgeblendet. Sie stellen sich fürs Foto
links und rechts der lebensgroßen Plastik „Homeostatis“ an die Wand. Und lachen. Tanzen beinahe zwischen den Skulpturen herum. Folgen dem Fotografen zu Liu Yes farbkräftigem Großbild „Schwerter“, stellen sich spontan zu beiden Seiten des Bildes auf und schauen einander an – die Hal-
tung der abgebildeten Mädchen imitierend. Da haben sich zwei gefunden und freuen sich diebisch, dass sie diese Ausstellung ausgeheckt haben. Direktor Fischer allerdings muss bald doch zu anderen Pflichten. Olbricht bleibt und fragt, ob er den Reporter wohl rasch durch die Ausstellung
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Reif für die Insel Sammler Olbricht lädt zur Achterbahnfahrt
So etwas war noch nie da: In einer Art „Finissage“ vor dem Umbau zeigt das Folkwang-Museum 280 Werke aus der Kunstsammlung Thomas Olbrichts. Der Sammler selbst hat die Ausstellung arrangiert – als Abenteuerreise und „Achterbahn der Gefühle“: bunt, sinnlich, provokant.
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Folkwang-Direktor Hartwig Fischer ist ein seriöser Mann und nicht für öffentliche Gefühlsausbrüche bekannt. Außerdem hat er wenig Zeit in den letzten Wochen vor Schließung seines Hauses. Fast unmöglich, ihn und Olbricht zum Fototermin zu kriegen. Und als es dann doch klappt, scheint
es um wenig mehr zu gehen als drei, vier Minuten: lästige Pflicht, schnell abzuhaken. Kaum aber betreten Fischer und Olbricht die Ausstellungsräume, da ist es, als ob ein Film kurz stoppt und anders weiterläuft. Zeitlupe statt Zeitraffer. Der Alltag – ausgeblendet. Sie stellen sich fürs Foto
links und rechts der lebensgroßen Plastik „Homeostatis“ an die Wand. Und lachen. Tanzen beinahe zwischen den Skulpturen herum. Folgen dem Fotografen zu Liu Yes farbkräftigem Großbild „Schwerter“, stellen sich spontan zu beiden Seiten des Bildes auf und schauen einander an – die Hal-
tung der abgebildeten Mädchen imitierend. Da haben sich zwei gefunden und freuen sich diebisch, dass sie diese Ausstellung ausgeheckt haben. Direktor Fischer allerdings muss bald doch zu anderen Pflichten. Olbricht bleibt und fragt, ob er den Reporter wohl rasch durch die Ausstellung
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— „Fanatics“ heißt dieses Bild von Dana Schutz. Kunst-Fans brauchen bei der Olbricht-Schau keine Zäune zu durchbrechen.
führen solle – als ob er nichts lieber täte. Und vielleicht stimmt das sogar. Schon eilt er zurück zum Eingang, dorthin, wo er die Schau mit einem „Paukenschlag“ eröffnet hat: mit Maurizio Cattelans erhängtem Kind am Fahnenmast. Gruselig? Aber wenn man genau hinschaue, sagt Olbricht, dann sehe der Junge keineswegs aus wie ein Gehenkter. Diese Mehrdeutigkeit, Vielschichtigkeit, Rätselhaftigkeit in der Kunst gleich zu Anfang zu zeigen, war ihm wichtig. Dann macht Olbricht bei „Rockers Island“ Halt, dem Bild, das seiner Ausstellung den Namen gegeben hat. Drei junge Rocker-Piraten sind da zu sehen, in einem kleinen Segelboot vor einer bunten, felsigen Insel. Ob sie gerade ankommen oder abfahren, bleibt offen. Da sehe er sich, spielerisch, selbst, sagt Olbricht, „und ich lade die Leute
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auf meine Insel ein.“ Natürlich ist ihm nicht entgangen, dass zweien der gemalten Bootsleute die Fahrt zur Insel gar nicht gut bekommen ist: Sie kotzen gerade ins Wasser. Wie es den Gästen auf seiner Kunst-Insel gefalle, das wisse er natürlich nicht, sagt der Sammler, „aber meine größte Niederlage wäre, wenn einer gar nichts spürt.“ Dann lieber Ablehnung.
Unverständnis gegenüber zeitgenössischer Kunst, die hat Olbricht ja selbst verspürt – bei einem frühen Zusammentreffen mit Joseph Beuys zum Beispiel, das gleichwohl zu einem „Kristallisationspunkt“ werden sollte in seiner Entwicklung zum Kunstsammler. Heute ist er stolz, einen frühen Beuys zu besitzen und zu zeigen: „Mädchen“, von 1948,
— Der „Doktor“ (links) und „Nurse Forrester“ (im Hintergrund) sehen Hartwig Fischer und Thomas Olbricht bei ihrem pas de deux vor Kunst zu.
Olbrichts Geburtsjahr – was für ihn einen besonderen Reiz ausmacht. Kein Werturteil, reines Gefühl. Prof. Dr. Dr. Thomas Olbricht ist Erbe der Firma Wella und war vor dem Verkauf 2005 mehrere Jahre ihr Aufsichtsratsvorsitzender. Er ist Doktor der Medizin und der Chemie, hat als Endokrinologe praktiziert. In der Kunst aber ist er Laie. Keineswegs ahnungslos, aber eben nicht vom Fach – und daraus macht Olbricht auch keinen Hehl. Wie unakademisch seine Sammelleidenschaft ist, zeigt er in einem Ausstellungsraum, der dem Thema „Desaster“ gewidmet ist. Neben künstlerischen Abbildungen von Unfällen und Katastrophen („9/11“) hat er eine Vitrine gestellt mit seinen gesammelten Modellen von Rotkreuz-Krankenwagen. Zwar außerhalb des Protokolls, sozusagen, aber doch wie eine Fußnote zu den ganz persönlichen Beweggründen eines Sammlers. Als „Kernstück“ der Ausstellung bezeichnet Olbricht die „Wunderkammer“. In Wunderkammern sammelten Fürsten und vermögende Bürger der Renaissance und des Barock Raritäten und Kuriositäten, wobei zwischen Naturalien, Kunst und Kunsthandwerk nicht getrennt wurde. Sie verrieten ein recht unbefangenes, naives Interesse an Exotischem, an der menschlichen Anatomie, am Tod. Eine solche Sammlung mit historischen Stücken hat auch Olbricht in den letzten Jahren angelegt: mit zwei kleinen, nahezu kokett posierenden Skeletten („Tödlein“) etwa, mit dem anatomischen Lehrmodell einer schwangeren Frau, zum Aufklappen, mit einem Korallenbaum und neuerdings auch einem ausgestopften Krokodil, denn das,
— Hartwig Fischer, „Homeostatis“ und Thomas Olbricht (von links). Man sieht: Kunst „macht wahnsinnigen Spaß“.
so hatte Olbricht festgestellt, gehöre einfach dazu. Wohlgemerkt: Das ist und war nie Trödel. Solche Sammlungen bewegten sich auf der Höhe damaliger Wissenschaften und enthielten höchst delikat gearbeitete Stücke. Dennoch verraten sie eine Verwandtschaft mit Kuriositäten, wie sie früher in bunter Mischung auf Jahrmärkten gezeigt wurden. Nun – hat nicht seine gesamte Ausstellung
etwas von dem eklektischen Charakter einer „Wunderkammer“, eines Jahrmarkts? Olbricht findet den Vergleich nicht ehrenrührig. Zwar hat er die Ausstellung nach einer gewissen Dramaturgie gestaltet und keineswegs zufällig – aber eben nicht nach üblichen, akademischen Kriterien. Gerade diese museumsuntypische „Achterbahnfahrt“ hat auch Folkwang-Direktor Hartwig Fischer fasziniert.
Mit dieser Ausstellung sei ihm „ein Wunschtraum in Erfüllung gegangen“, sagt Thomas Olbricht, und er bestätigt, was offensichtlich ist: „Es macht wahnsinnigen Spaß.“ Dazu gehört für ihn allerdings auch, dass er sich als „Botschafter zeitgenössischer Kunst“ versteht, und dass er mit dieser sinnlichen Art der Präsentation vielleicht mehr Menschen erreicht als sonst. Die Erfüllung des Traums war an eine ein-
malige Situation gebunden: den Umbau des Museums. Doch nach Jahren, in denen „die Chemie“ nicht stimmte zwischen Folkwang und dem Essener Sammler, wünscht Olbricht sich jetzt mehr. Mit Hartwig Fischer, in beiderseitiger „Unabhängigkeit“, kann er sich auch eine Kooperation im Folkwang-Neubau vorstellen. Es scheint, auf „Rockers Island“ begann eine wunderbare Freundschaft. ● -na
Kulturpfadfest Essen Spurwechsel Essens lange Kulturnacht – vom Dom zum Museum Folkwang
Freitag 22. Juni 2007 ab 17.00 Uhr bis nach Mitternacht Info 0201-88 45 045 | www.essen.de/kultur
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— „Fanatics“ heißt dieses Bild von Dana Schutz. Kunst-Fans brauchen bei der Olbricht-Schau keine Zäune zu durchbrechen.
führen solle – als ob er nichts lieber täte. Und vielleicht stimmt das sogar. Schon eilt er zurück zum Eingang, dorthin, wo er die Schau mit einem „Paukenschlag“ eröffnet hat: mit Maurizio Cattelans erhängtem Kind am Fahnenmast. Gruselig? Aber wenn man genau hinschaue, sagt Olbricht, dann sehe der Junge keineswegs aus wie ein Gehenkter. Diese Mehrdeutigkeit, Vielschichtigkeit, Rätselhaftigkeit in der Kunst gleich zu Anfang zu zeigen, war ihm wichtig. Dann macht Olbricht bei „Rockers Island“ Halt, dem Bild, das seiner Ausstellung den Namen gegeben hat. Drei junge Rocker-Piraten sind da zu sehen, in einem kleinen Segelboot vor einer bunten, felsigen Insel. Ob sie gerade ankommen oder abfahren, bleibt offen. Da sehe er sich, spielerisch, selbst, sagt Olbricht, „und ich lade die Leute
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auf meine Insel ein.“ Natürlich ist ihm nicht entgangen, dass zweien der gemalten Bootsleute die Fahrt zur Insel gar nicht gut bekommen ist: Sie kotzen gerade ins Wasser. Wie es den Gästen auf seiner Kunst-Insel gefalle, das wisse er natürlich nicht, sagt der Sammler, „aber meine größte Niederlage wäre, wenn einer gar nichts spürt.“ Dann lieber Ablehnung.
Unverständnis gegenüber zeitgenössischer Kunst, die hat Olbricht ja selbst verspürt – bei einem frühen Zusammentreffen mit Joseph Beuys zum Beispiel, das gleichwohl zu einem „Kristallisationspunkt“ werden sollte in seiner Entwicklung zum Kunstsammler. Heute ist er stolz, einen frühen Beuys zu besitzen und zu zeigen: „Mädchen“, von 1948,
— Der „Doktor“ (links) und „Nurse Forrester“ (im Hintergrund) sehen Hartwig Fischer und Thomas Olbricht bei ihrem pas de deux vor Kunst zu.
Olbrichts Geburtsjahr – was für ihn einen besonderen Reiz ausmacht. Kein Werturteil, reines Gefühl. Prof. Dr. Dr. Thomas Olbricht ist Erbe der Firma Wella und war vor dem Verkauf 2005 mehrere Jahre ihr Aufsichtsratsvorsitzender. Er ist Doktor der Medizin und der Chemie, hat als Endokrinologe praktiziert. In der Kunst aber ist er Laie. Keineswegs ahnungslos, aber eben nicht vom Fach – und daraus macht Olbricht auch keinen Hehl. Wie unakademisch seine Sammelleidenschaft ist, zeigt er in einem Ausstellungsraum, der dem Thema „Desaster“ gewidmet ist. Neben künstlerischen Abbildungen von Unfällen und Katastrophen („9/11“) hat er eine Vitrine gestellt mit seinen gesammelten Modellen von Rotkreuz-Krankenwagen. Zwar außerhalb des Protokolls, sozusagen, aber doch wie eine Fußnote zu den ganz persönlichen Beweggründen eines Sammlers. Als „Kernstück“ der Ausstellung bezeichnet Olbricht die „Wunderkammer“. In Wunderkammern sammelten Fürsten und vermögende Bürger der Renaissance und des Barock Raritäten und Kuriositäten, wobei zwischen Naturalien, Kunst und Kunsthandwerk nicht getrennt wurde. Sie verrieten ein recht unbefangenes, naives Interesse an Exotischem, an der menschlichen Anatomie, am Tod. Eine solche Sammlung mit historischen Stücken hat auch Olbricht in den letzten Jahren angelegt: mit zwei kleinen, nahezu kokett posierenden Skeletten („Tödlein“) etwa, mit dem anatomischen Lehrmodell einer schwangeren Frau, zum Aufklappen, mit einem Korallenbaum und neuerdings auch einem ausgestopften Krokodil, denn das,
— Hartwig Fischer, „Homeostatis“ und Thomas Olbricht (von links). Man sieht: Kunst „macht wahnsinnigen Spaß“.
so hatte Olbricht festgestellt, gehöre einfach dazu. Wohlgemerkt: Das ist und war nie Trödel. Solche Sammlungen bewegten sich auf der Höhe damaliger Wissenschaften und enthielten höchst delikat gearbeitete Stücke. Dennoch verraten sie eine Verwandtschaft mit Kuriositäten, wie sie früher in bunter Mischung auf Jahrmärkten gezeigt wurden. Nun – hat nicht seine gesamte Ausstellung
etwas von dem eklektischen Charakter einer „Wunderkammer“, eines Jahrmarkts? Olbricht findet den Vergleich nicht ehrenrührig. Zwar hat er die Ausstellung nach einer gewissen Dramaturgie gestaltet und keineswegs zufällig – aber eben nicht nach üblichen, akademischen Kriterien. Gerade diese museumsuntypische „Achterbahnfahrt“ hat auch Folkwang-Direktor Hartwig Fischer fasziniert.
Mit dieser Ausstellung sei ihm „ein Wunschtraum in Erfüllung gegangen“, sagt Thomas Olbricht, und er bestätigt, was offensichtlich ist: „Es macht wahnsinnigen Spaß.“ Dazu gehört für ihn allerdings auch, dass er sich als „Botschafter zeitgenössischer Kunst“ versteht, und dass er mit dieser sinnlichen Art der Präsentation vielleicht mehr Menschen erreicht als sonst. Die Erfüllung des Traums war an eine ein-
malige Situation gebunden: den Umbau des Museums. Doch nach Jahren, in denen „die Chemie“ nicht stimmte zwischen Folkwang und dem Essener Sammler, wünscht Olbricht sich jetzt mehr. Mit Hartwig Fischer, in beiderseitiger „Unabhängigkeit“, kann er sich auch eine Kooperation im Folkwang-Neubau vorstellen. Es scheint, auf „Rockers Island“ begann eine wunderbare Freundschaft. ● -na
Kulturpfadfest Essen Spurwechsel Essens lange Kulturnacht – vom Dom zum Museum Folkwang
Freitag 22. Juni 2007 ab 17.00 Uhr bis nach Mitternacht Info 0201-88 45 045 | www.essen.de/kultur
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