BOTTROP-SPEZIAL
I NOHTAT LT B ROP-SPEZIAL
Kirchhellener Kohlenkeller Hightech-Bergbau 1000 Meter unter der grünen Heide — Auf Gleis 1 steht abfahrbereit: U-Bahn nach Hünxe. Lokführer ist Frank Juznik.
Mit der U-Bahn durch die ländliche Kirchheller Heide? Vom Heidhofsee zum „Gartroper Mühlenbach“ im benachbarten Hünxe? Das ist tägliche Routine. Nur dass der Bahnhof unter Hünxe einen seltsam technischen Namen hat: „9620“. Und dass von dort nie jemand an die Oberfläche kommt, weil der Fahrstuhl über 1000 Meter gehen müsste – von Rolltreppen nicht zu reden. Die „U-Bahn“ gehört zu Bottrops „Zweiter Stadt“, einer schwarzen Gegenwelt zum grünen Kirchhellen, die normale Menschen nur selten betreten können: Unter Tage. Prosper/Haniel.
Kirchhellen gibt sich an diesem Morgen besonders idyllisch. Sonnenschein löst gerade die Nebelfelder über der Heide auf. Wäre da nicht das moderne Fördergerüst – die Schachtanlage „Prosper V“ würde kaum auffallen. Kein Schornstein, keine dunkel aufragenden Wände, nur ein Lagerplatz und niedrige Gebäude. Dennoch hat „Prosper/Haniel“ seinen nördlichsten Außenposten zur zentralen Schachtanlage gewandelt. Für 70 % der Bergleute ist dies der Eingang zur Unterwelt, auch Werksleitung und Verwaltung sind kürzlich hierher gezogen.
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Ruhr Revue
Dafür wurde ein neues Gebäude angefügt, das nichts mit gängigen Vorstellungen von einer Zeche gemeinsam hat. „Das hier ist übrigens die Steigerstube“, sagt im Vorbeigehen Hueseyin Baykan und deutet auf einen hellen Raum voller Schreibtische mit nagelneuen LCD-Monitoren. Man muss es ihm glauben. Neben Klaus Peter, der sich als Reviersteiger für die Öffentlichkeitsarbeit unter anderem um Besucher der Zeche kümmert, fährt Baykan mit dem Reporter an; dazu kommt noch Bernd Fritz, ein Mann in dunklem Anzug und Schlips. Baykan ist
der Teamkoordinator im Abbau auf „Prosper/Haniel“, Fritz ist zuständig für „Lean Processing“, und wie ein moderner Büromensch sieht er auch aus. Beide wollen ohnehin mit Peter zusammen nach unten, um Fotos mit dessen schlagwettergeschützter Kamera zu machen. So kommt der Reporter zu drei Fachleuten als Begleiter.
| Seilfahrt ist um Acht Ein paar Minuten später sehen wir alle ganz anders aus: graue Drillich-Hose, graue Jacke, darunter ein blaues Bergmannshemd, ein Halstuch, schwere Arbeitsschuhe, Plastik-Schienbein-Schoner, Helm und Sicherheitsbrille, am Gürtel CO-Filterselbstretter und Akku für die Kopflampe. Auch Bernd Fritz sieht jetzt nicht mehr so nach „Lean Processing“ aus, eher nach „heavy work“ – wie ein Bergmann eben. Seilfahrt ist um acht Uhr. Ein Signal, und wir rauschen mit dem Förderkorb in die Tiefe. Der Korb ist nur vergittert und schüttelt gelegentlich, aber nicht beunruhigend. Die Lichter der 786 Meter-Sohle huschen vorbei, dann bremst der Korb sanft ab und stoppt in 1000 Meter Tiefe. Das Füllort.
Es sieht aus wie in einem riesigen Keller. In verwirrend viele Richtungen zweigen Gänge ab – pardon: Strecken. Gleise liegen im Boden, darauf Waggons mit Material jeglicher Art. „Wir nehmen den Zug um neun Uhr“ – genug Zeit, um eine neue Lokwerkstatt zu besuchen und einen Büroraum, den die Bergleute in einer nicht mehr benötigten Strecke herrichten. Dort werden Leute am Computer sitzen und die Verteilung des Kleinmaterials in der Grube organisieren – näher an der Produktion als bisher: ein Beispiel für „Lean Processing“, ein komplexes Programm zur Verbesserung von Arbeitsabläufen und zur Kostensenkung. Schon hier, ganz nah am Schacht, hätte der Besucher sich ohne Aufsicht längst verirrt. Andererseits: Die „Kellergänge“ sind groß und hell. Man sieht High-Tech-Arbeitsplätze mit Computern. Da regt sich fast Enttäuschung: So sieht heute Bergbau aus? Wäre da die ganze Bergmannskluft nicht entbehrlich? Wir sind am Personenbahnhof angekommen, klemmen uns in die Waggons; ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Tack, tack. Tack, tack. Es erinnert an die Londoner U-Bahn; nur ist es noch enger. Die „Times“ könnte man kaum entfalten. Wir haben etwa sechs Kilometer zurückgelegt, als wir am Bahnhof „9620“ aussteigen. Der Zug fährt weiter nordwestlich, zum Wetterschacht „Hünxe“ des 2005 stillgelegten Bergwerks Lohberg/Osterfeld.
— Wohin soll’s gehen? Man kann sich leicht verirren in 1000 Meter Tiefe. Unten: Kohlehobel im Streb.
| Seilfahrt ist um Acht Auch hier verzweigen sich Strecken, und man bekommt eine Ahnung davon, wie sehr sich diese Grube ausdehnt, welchen Aufwand man betreibt, um an die Kohle heranzukommen. Dass die Welt der Bergleute eigen ist, sieht man an Details: „Bitte haltet den Dubbelplatz sauber“, steht auf dem Schild über einer Bank: Dubbel heißt Stulle. Am Bahnhof soll man nicht auf den Gleisen laufen, deshalb steht über dem Gehweg: Fahrweg. Denn der Bergmann fährt, wenn er geht. Überall Leuchtpunkte wie Glühwürmchen: die Kopflampen der Bergleute. Und wer sich begegnet, der grüßt; dass zwei grußlos aneinander vorbeilaufen, gibt es einfach nicht. Der Besucher kommt sich erst seltsam vor dabei, und über Tage schien „guten Tag“ noch angemessener, aber hier unten sagt man bald von allein jedes Mal wie selbstverständlich: „Glückauf!“
— Ziemlich niedrig im Streb: Bernd Fritz (rechts) und der schon ziemlich verschwitzte Reporter
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Kirchhellener Kohlenkeller Hightech-Bergbau 1000 Meter unter der grünen Heide — Auf Gleis 1 steht abfahrbereit: U-Bahn nach Hünxe. Lokführer ist Frank Juznik.
Mit der U-Bahn durch die ländliche Kirchheller Heide? Vom Heidhofsee zum „Gartroper Mühlenbach“ im benachbarten Hünxe? Das ist tägliche Routine. Nur dass der Bahnhof unter Hünxe einen seltsam technischen Namen hat: „9620“. Und dass von dort nie jemand an die Oberfläche kommt, weil der Fahrstuhl über 1000 Meter gehen müsste – von Rolltreppen nicht zu reden. Die „U-Bahn“ gehört zu Bottrops „Zweiter Stadt“, einer schwarzen Gegenwelt zum grünen Kirchhellen, die normale Menschen nur selten betreten können: Unter Tage. Prosper/Haniel.
Kirchhellen gibt sich an diesem Morgen besonders idyllisch. Sonnenschein löst gerade die Nebelfelder über der Heide auf. Wäre da nicht das moderne Fördergerüst – die Schachtanlage „Prosper V“ würde kaum auffallen. Kein Schornstein, keine dunkel aufragenden Wände, nur ein Lagerplatz und niedrige Gebäude. Dennoch hat „Prosper/Haniel“ seinen nördlichsten Außenposten zur zentralen Schachtanlage gewandelt. Für 70 % der Bergleute ist dies der Eingang zur Unterwelt, auch Werksleitung und Verwaltung sind kürzlich hierher gezogen.
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Dafür wurde ein neues Gebäude angefügt, das nichts mit gängigen Vorstellungen von einer Zeche gemeinsam hat. „Das hier ist übrigens die Steigerstube“, sagt im Vorbeigehen Hueseyin Baykan und deutet auf einen hellen Raum voller Schreibtische mit nagelneuen LCD-Monitoren. Man muss es ihm glauben. Neben Klaus Peter, der sich als Reviersteiger für die Öffentlichkeitsarbeit unter anderem um Besucher der Zeche kümmert, fährt Baykan mit dem Reporter an; dazu kommt noch Bernd Fritz, ein Mann in dunklem Anzug und Schlips. Baykan ist
der Teamkoordinator im Abbau auf „Prosper/Haniel“, Fritz ist zuständig für „Lean Processing“, und wie ein moderner Büromensch sieht er auch aus. Beide wollen ohnehin mit Peter zusammen nach unten, um Fotos mit dessen schlagwettergeschützter Kamera zu machen. So kommt der Reporter zu drei Fachleuten als Begleiter.
| Seilfahrt ist um Acht Ein paar Minuten später sehen wir alle ganz anders aus: graue Drillich-Hose, graue Jacke, darunter ein blaues Bergmannshemd, ein Halstuch, schwere Arbeitsschuhe, Plastik-Schienbein-Schoner, Helm und Sicherheitsbrille, am Gürtel CO-Filterselbstretter und Akku für die Kopflampe. Auch Bernd Fritz sieht jetzt nicht mehr so nach „Lean Processing“ aus, eher nach „heavy work“ – wie ein Bergmann eben. Seilfahrt ist um acht Uhr. Ein Signal, und wir rauschen mit dem Förderkorb in die Tiefe. Der Korb ist nur vergittert und schüttelt gelegentlich, aber nicht beunruhigend. Die Lichter der 786 Meter-Sohle huschen vorbei, dann bremst der Korb sanft ab und stoppt in 1000 Meter Tiefe. Das Füllort.
Es sieht aus wie in einem riesigen Keller. In verwirrend viele Richtungen zweigen Gänge ab – pardon: Strecken. Gleise liegen im Boden, darauf Waggons mit Material jeglicher Art. „Wir nehmen den Zug um neun Uhr“ – genug Zeit, um eine neue Lokwerkstatt zu besuchen und einen Büroraum, den die Bergleute in einer nicht mehr benötigten Strecke herrichten. Dort werden Leute am Computer sitzen und die Verteilung des Kleinmaterials in der Grube organisieren – näher an der Produktion als bisher: ein Beispiel für „Lean Processing“, ein komplexes Programm zur Verbesserung von Arbeitsabläufen und zur Kostensenkung. Schon hier, ganz nah am Schacht, hätte der Besucher sich ohne Aufsicht längst verirrt. Andererseits: Die „Kellergänge“ sind groß und hell. Man sieht High-Tech-Arbeitsplätze mit Computern. Da regt sich fast Enttäuschung: So sieht heute Bergbau aus? Wäre da die ganze Bergmannskluft nicht entbehrlich? Wir sind am Personenbahnhof angekommen, klemmen uns in die Waggons; ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Tack, tack. Tack, tack. Es erinnert an die Londoner U-Bahn; nur ist es noch enger. Die „Times“ könnte man kaum entfalten. Wir haben etwa sechs Kilometer zurückgelegt, als wir am Bahnhof „9620“ aussteigen. Der Zug fährt weiter nordwestlich, zum Wetterschacht „Hünxe“ des 2005 stillgelegten Bergwerks Lohberg/Osterfeld.
— Wohin soll’s gehen? Man kann sich leicht verirren in 1000 Meter Tiefe. Unten: Kohlehobel im Streb.
| Seilfahrt ist um Acht Auch hier verzweigen sich Strecken, und man bekommt eine Ahnung davon, wie sehr sich diese Grube ausdehnt, welchen Aufwand man betreibt, um an die Kohle heranzukommen. Dass die Welt der Bergleute eigen ist, sieht man an Details: „Bitte haltet den Dubbelplatz sauber“, steht auf dem Schild über einer Bank: Dubbel heißt Stulle. Am Bahnhof soll man nicht auf den Gleisen laufen, deshalb steht über dem Gehweg: Fahrweg. Denn der Bergmann fährt, wenn er geht. Überall Leuchtpunkte wie Glühwürmchen: die Kopflampen der Bergleute. Und wer sich begegnet, der grüßt; dass zwei grußlos aneinander vorbeilaufen, gibt es einfach nicht. Der Besucher kommt sich erst seltsam vor dabei, und über Tage schien „guten Tag“ noch angemessener, aber hier unten sagt man bald von allein jedes Mal wie selbstverständlich: „Glückauf!“
— Ziemlich niedrig im Streb: Bernd Fritz (rechts) und der schon ziemlich verschwitzte Reporter
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Kirchhellener Kohlenkeller Hightech-Bergbau 1000 Meter unter der grünen Heide — Auf Gleis 1 steht abfahrbereit: U-Bahn nach Hünxe. Lokführer ist Frank Juznik.
Mit der U-Bahn durch die ländliche Kirchheller Heide? Vom Heidhofsee zum „Gartroper Mühlenbach“ im benachbarten Hünxe? Das ist tägliche Routine. Nur dass der Bahnhof unter Hünxe einen seltsam technischen Namen hat: „9620“. Und dass von dort nie jemand an die Oberfläche kommt, weil der Fahrstuhl über 1000 Meter gehen müsste – von Rolltreppen nicht zu reden. Die „U-Bahn“ gehört zu Bottrops „Zweiter Stadt“, einer schwarzen Gegenwelt zum grünen Kirchhellen, die normale Menschen nur selten betreten können: Unter Tage. Prosper/Haniel.
Kirchhellen gibt sich an diesem Morgen besonders idyllisch. Sonnenschein löst gerade die Nebelfelder über der Heide auf. Wäre da nicht das moderne Fördergerüst – die Schachtanlage „Prosper V“ würde kaum auffallen. Kein Schornstein, keine dunkel aufragenden Wände, nur ein Lagerplatz und niedrige Gebäude. Dennoch hat „Prosper/Haniel“ seinen nördlichsten Außenposten zur zentralen Schachtanlage gewandelt. Für 70 % der Bergleute ist dies der Eingang zur Unterwelt, auch Werksleitung und Verwaltung sind kürzlich hierher gezogen.
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Dafür wurde ein neues Gebäude angefügt, das nichts mit gängigen Vorstellungen von einer Zeche gemeinsam hat. „Das hier ist übrigens die Steigerstube“, sagt im Vorbeigehen Hueseyin Baykan und deutet auf einen hellen Raum voller Schreibtische mit nagelneuen LCD-Monitoren. Man muss es ihm glauben. Neben Klaus Peter, der sich als Reviersteiger für die Öffentlichkeitsarbeit unter anderem um Besucher der Zeche kümmert, fährt Baykan mit dem Reporter an; dazu kommt noch Bernd Fritz, ein Mann in dunklem Anzug und Schlips. Baykan ist
der Teamkoordinator im Abbau auf „Prosper/Haniel“, Fritz ist zuständig für „Lean Processing“, und wie ein moderner Büromensch sieht er auch aus. Beide wollen ohnehin mit Peter zusammen nach unten, um Fotos mit dessen schlagwettergeschützter Kamera zu machen. So kommt der Reporter zu drei Fachleuten als Begleiter.
| Seilfahrt ist um Acht Ein paar Minuten später sehen wir alle ganz anders aus: graue Drillich-Hose, graue Jacke, darunter ein blaues Bergmannshemd, ein Halstuch, schwere Arbeitsschuhe, Plastik-Schienbein-Schoner, Helm und Sicherheitsbrille, am Gürtel CO-Filterselbstretter und Akku für die Kopflampe. Auch Bernd Fritz sieht jetzt nicht mehr so nach „Lean Processing“ aus, eher nach „heavy work“ – wie ein Bergmann eben. Seilfahrt ist um acht Uhr. Ein Signal, und wir rauschen mit dem Förderkorb in die Tiefe. Der Korb ist nur vergittert und schüttelt gelegentlich, aber nicht beunruhigend. Die Lichter der 786 Meter-Sohle huschen vorbei, dann bremst der Korb sanft ab und stoppt in 1000 Meter Tiefe. Das Füllort.
Es sieht aus wie in einem riesigen Keller. In verwirrend viele Richtungen zweigen Gänge ab – pardon: Strecken. Gleise liegen im Boden, darauf Waggons mit Material jeglicher Art. „Wir nehmen den Zug um neun Uhr“ – genug Zeit, um eine neue Lokwerkstatt zu besuchen und einen Büroraum, den die Bergleute in einer nicht mehr benötigten Strecke herrichten. Dort werden Leute am Computer sitzen und die Verteilung des Kleinmaterials in der Grube organisieren – näher an der Produktion als bisher: ein Beispiel für „Lean Processing“, ein komplexes Programm zur Verbesserung von Arbeitsabläufen und zur Kostensenkung. Schon hier, ganz nah am Schacht, hätte der Besucher sich ohne Aufsicht längst verirrt. Andererseits: Die „Kellergänge“ sind groß und hell. Man sieht High-Tech-Arbeitsplätze mit Computern. Da regt sich fast Enttäuschung: So sieht heute Bergbau aus? Wäre da die ganze Bergmannskluft nicht entbehrlich? Wir sind am Personenbahnhof angekommen, klemmen uns in die Waggons; ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Tack, tack. Tack, tack. Es erinnert an die Londoner U-Bahn; nur ist es noch enger. Die „Times“ könnte man kaum entfalten. Wir haben etwa sechs Kilometer zurückgelegt, als wir am Bahnhof „9620“ aussteigen. Der Zug fährt weiter nordwestlich, zum Wetterschacht „Hünxe“ des 2005 stillgelegten Bergwerks Lohberg/Osterfeld.
— Wohin soll’s gehen? Man kann sich leicht verirren in 1000 Meter Tiefe. Unten: Kohlehobel im Streb.
| Seilfahrt ist um Acht Auch hier verzweigen sich Strecken, und man bekommt eine Ahnung davon, wie sehr sich diese Grube ausdehnt, welchen Aufwand man betreibt, um an die Kohle heranzukommen. Dass die Welt der Bergleute eigen ist, sieht man an Details: „Bitte haltet den Dubbelplatz sauber“, steht auf dem Schild über einer Bank: Dubbel heißt Stulle. Am Bahnhof soll man nicht auf den Gleisen laufen, deshalb steht über dem Gehweg: Fahrweg. Denn der Bergmann fährt, wenn er geht. Überall Leuchtpunkte wie Glühwürmchen: die Kopflampen der Bergleute. Und wer sich begegnet, der grüßt; dass zwei grußlos aneinander vorbeilaufen, gibt es einfach nicht. Der Besucher kommt sich erst seltsam vor dabei, und über Tage schien „guten Tag“ noch angemessener, aber hier unten sagt man bald von allein jedes Mal wie selbstverständlich: „Glückauf!“
— Ziemlich niedrig im Streb: Bernd Fritz (rechts) und der schon ziemlich verschwitzte Reporter
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Wir erreichen nun die Strecke zum Streb, BauhĂśhe 251 in FlĂśz H, und marschieren bis zu der Stelle, an der ein Kohlehobel Ăźber 350 Meter zwischen dieser und einer parallel verlaufenden Strecke hin und her rumpelt. Das heiĂ&#x;t – im Moment ist Ruhe, Hobel und FĂśrderbänder stehen: Wartungszeit. So darf der Besucher ausnahmsweise in den Streb hineinkriechen. FlĂśz H ist mit knapp 1,70 Meter HĂśhe vergleichsweise niedrig, deshalb wird hier „schälend“ mit dem Hobel gearbeitet und nicht „schneidend“ mit dem Walzenschrämlader. Dass H unter den weniger „mächtigen“ FlĂśzen noch zu den grĂśĂ&#x;eren gehĂśrt, mag der Besucher kaum glauben. Denn Ăźberm Kopf hat er – gottlob – die Stahlelemente des Schildausbaus, und zwischen den FĂźĂ&#x;en ebenso. Von den 1,70 Metern bleibt da nicht viel. Man geht gebeugt. Dass die HĂśhe ständig wechselt, kann man wegen des Helms schlecht sehen. Der Reporter knallt alle paar Meter gegen den Ausbau: Pock. Pock. Pock. Die Beinmuskeln schmerzen. Aus den Taschen fallen Block, Kugelschreiber in den Dreck, ebenso die kleine Wasserflasche, die man mir in die Hand gedrĂźckt hat. Es ist feuchtheiĂ&#x;, der SchweiĂ&#x; flieĂ&#x;t in StrĂśmen und mischt sich mit schwarzem Kohlenstaub. Pock! macht der Helm. Endlich sind wir an der Stelle angekommen, wo der Kohlenhobel gestoppt hat. Wir kauern uns hin. Bernd Fritz telefoniert mit dem Steuerstand, lässt den Hobel ein paar Mal vor und zurĂźck laufen und glänzende Kohle aus dem FlĂśz kratzen.
| Irgendwo unter HĂźnxe Wo wir hier sind? Was jetzt genau senkrecht 1000 Meter Ăźber uns ist? Die Berg leute wissen es so wenig wie man da oben sich dessen bewusst sind, was hier unten passiert. Im Moment ist nur klar: Wir gucken den Streb entlang so, wie das FlĂśz einfällt, also „querschlägig“, was im Ruhrgebiet immer eine grobe Nord-SĂźd-Richtung ist. In diesem Fall schauen wir nach Norden – aber was heiĂ&#x;t das schon in dieser eigenen Welt? Wenn nachher die Arbeit wieder aufgenommen wird und der Hobel mit 3,4 Metern pro Sekunde hin und her flitzt, wird es nicht nur laut. Sondern, trotz intensiver Berieselung, auch etwas staubig. Und vor allem noch wärmer, sagt
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Klaus Peter: Weil dann die Wärme aus der frisch gebrochenen Kohle in den Streb abstrahlt. Dass in solchen und noch niedrigeren Streben die Hauer frĂźher gelegen und die Kohle mit Hacke oder Abbauhammer gelĂśst haben – kaum vorzustellen. Es wird Zeit, zurĂźckzurobben. Der Helm knallt wieder unĂźberhĂśrbar gegen den Ausbau – peinlich. Na ja, sagt Klaus Peter: Mit ein bisschen Erfahrung hĂśrt das dann auf. Kurze Pause am Ăœbergang zur Strecke, wo zwei Hauer mit einem Schlagschrauber die Befestigung des StahlAusbaus nachziehen – dort, wo im Streb die Kohle schon abgehobelt ist. Acht Meter Abbaufortschritt auf 350 Metern Breite hat sich die Mannschaft fĂźr diesen Tag vorgenommen. Das ist beileibe nicht immer gleich: Manchmal wellt sich das FlĂśz; manchmal gibt es eine kleine StĂśrung mit vermehrtem Gestein. Das wird ständig aufs Neue analysiert, und die Computersteuerung des Hobels wird daran angepasst. Der Weg zurĂźck zum Bahnhof „9620“ scheint länger diesmal: Die Beine schmerzen, und auĂ&#x;erdem geht es bergauf. Zeit fĂźr Fragen. Dieses „Lean Processing“ hĂśrt sich verdächtig nach mehr Arbeit in kĂźrzerer Zeit an. Ist einer wie Bernd Fritz da nicht unbeliebt bei den Kumpeln? Also – erstens gehe es ja nicht darum, Mitarbeiter einzusparen, sagt Fritz. Sondern darum, die Arbeit effizienter und damit oft auch einfacher zu machen. AuĂ&#x;erdem komme er selbst aus der Produktion und nicht von irgendwo her als Besserwisser aus einem BĂźro. SchlieĂ&#x;lich, fĂźgt Teamkoordinator Hueseyin Baykan hinzu, spielten Verbesserungsvorschläge der Hauer selbst dabei eine groĂ&#x;e Rolle. Es ist den dreien sehr wichtig, dass sie angesichts des grundsätzlichen Kostennachteils deutscher Abbaubedingungen nicht frĂśhlich ineffizient dahinwerkeln, sondern die Kohle so gĂźnstig wie irgend mĂśglich fĂśrdern.
| „GlĂźckauf – GlĂźckauf – Auf!“ Am Bahnhof „9620“ warten schon eine ganze Menge Kumpel mit mehr oder minder schwarzen Gesichtern. „GlĂźckauf!“ – „GlĂźckauf!“ – „‘Auf!“ Sie erzählen, flachsen, zwängen sich schlieĂ&#x;lich in den Zug. Nur einer erzählt dort noch angeregt von exotischen Reisen; viele dĂśsen. Am Schacht mĂźssen sie noch einmal warten, bis der FĂśrderkorb sie nach-
einander alle hinaufholt. Am verschwitztesten, am schmutzigsten von allen ist der Reporter – dabei hat er nicht viel mehr getan, als sich zu einem Arbeitsplatz zu begeben und wieder zurĂźck. Trotzdem das GefĂźhl, sich die Dusche oben in der Kaue redlich verdient zu haben. Die Kohle Ăźbrigens geht einen anderen Weg als die Kumpel. Die beiden Prosperschächte im grĂźnen Norden haben nie Kohle gefĂśrdert, sie dienen nur der Seilfahrt und MaterialbefĂśrderung. Auch „Franz Haniel“ fĂśrdert seit dem Verbund 1974 nicht mehr. Alle Kohle aus den Nordfeldern wurde frĂźher unterirdisch Ăźber mehrere Kilometer zu den Schächten von „Prosper II/III“ befĂśrdert und dort gehoben. Das war zu umständlich. So kam man auf die ungewĂśhnliche LĂśsung eines „FĂśrderbergs“. Er beginnt 786 Meter unter dem Nordbahnhof und fĂźhrt schräg aufwärts, Ăśstlich an Bottrops Innenstadt vorbei, bis zur Anlage „Prosper II“ beim Rhein-Herne-Kanal. Dort spuckt das Ăźber drei Kilometer lange FĂśrderband die Rohkohle aus – und nimmt auf der Unterseite herausgewaschene Steine mit in die Tiefe, die auf „Franz Haniel“ gefĂśrdert und auf Halde gekippt werden.
| Mit 50 ein alter Herr Unter den letzten deutschen Zechen hat „Prosper/Haniel“ beste Voraussetzungen, bis zum politisch geplanten Ende 2018 weiterzuarbeiten. Kohle ist ohnedies noch fĂźr Jahrzehnte da. Bernd Fritz wird das nicht mehr aktiv miterleben, spätestens 2011 ist fĂźr ihn Schluss. Denn der jugendlich wirkende „Lean“-Experte ist mit knapp 50 in der Bergbauwelt ein alter Herr. Nach nur einem Ausflug in den Streb kann man das irgendwie verstehen. Obwohl – Bernd Fritz wĂźrde wohl noch ein paar Jahre dranhängen, wenn er dĂźrfte: „Ich bin seit 30 Jahren Bergmann, und ich bin es gerne.“ Als Hauer hat er auf „FĂźrst Leopold“ angefangen. Seit gut vier Jahren ist er auf „Posper/Haniel“, wo inzwischen Kumpel aus dem ganzen Ruhrgebiet gelandet sind. Viele mĂźssen jetzt, nach der Schicht, noch dreiĂ&#x;ig, vierzig Kilometer nach Hause fahren. Unter den Steigern ist einer aus dem längst stillgelegten Aachener Revier: „Der ist erst mal 120 Kilometer unterwegs, ehe er um fĂźnf zur FrĂźhschicht anfährt“, sagt Klaus Peter. Wer heute Bergmann ist, so scheint es, der mĂśchte nichts anderes sein. â—? -na
8P LBOO JDI NJU NFJOFS #FSVGT FSGBISVOH TP SJDIUJH EVSDITUBSUFO
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