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BOCHUM-SPEZIAL

Situation Kunst

Für Max Imdahl

Ein ungewöhnliches Museum als höchst ungewöhnliches Denkmal für einen ungewöhnlichen Hochschullehrer: „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ gibt sich unzugänglich; der Besuch ist aber alle pfadfinderischen Mühen wert.

Kunstgeschichte war stets ein weibliches Fach. Es hatte daher einen eigenen Glanz für männliche Studenten, die in der Hinsicht durch ihre Fachwahl benachteiligt waren, bis hin zu den zölibatären E-Technikern. Und doch waren es nicht die Kommilitoninnen, deretwegen einige kunsthistorische Vorlesungen an der Ruhr-Uni um 1980 von Fachfremden gestürmt wurden. Man ging hin, um Max Imdahl zu hören. Zu erleben, wie er Kunst sah, wie er Gesehenes in Worte zu fassen suchte, wie er seine Methode des Sehens und Verstehens erläuterte. Max Imdahl war zu der Zeit längst ein gestandener Ordinarius, ein ordentlicher Professor von bald sechzig Jahren. Dennoch wirkte er zuweilen wie ein junger Schlaks, der irgendwie immer aus seinen Anzügen gerade ein wenig herausgewachsen zu sein schien. Kaum eine Minute hat er im Hörsaal professoral am Pult verbracht. Stets war er in Bewegung. Während hinter ihm ein Giotto an die Wand projiziert war oder ein Picasso, lief Imdahl hin und her, redend, gestikulierend, erklärend, vermittelnd. 40 |

Ruhr Revue

| Vom sehenden Sehen Wobei Imdahl es seinem akademischen Publikum keineswegs leicht machte. Simple Formeln gab es bei ihm nicht. Seine noch immer vom Singsang der Aachener Heimat geprägte Sprache war weiß Gott professoral, mit Fachjargon gesättigt. Doch er warf das alles seinen Zuhörern nicht einfach so hin. Er ließ sie statt dessen teilhaben an seinem Ringen um sprachliche Übersetzung des Gesehenen. „Wie soll ich sagen“ war bei ihm kein floskelhafter Einwurf. Zuweilen, bei einem besonders absonderlichen Wort, unterbrach er sich selbst, als habe er es soeben erst erfunden. Spottete ein wenig darüber, räumte ein, dass es seltsam klingen mochte – und erklärte, warum er es sich als sprachliches Werkzeug zurechtgelegt hatte. Faszinierend. „Ikonik“ nannte Imdahl selbst seine Methode, in Abgrenzung zu „Ikonographie“ und „Ikonologie“. Er sprach auch vom „sehenden Sehen“, womit er schon an heideggersche Sprachschöpfungen streifte. Gemeint war dies als Gegensatz zu „wiedererkennendem Sehen“ anhand

von Hintergrundwissen. Schwerlich blendete Imdahl seine Kenntnis von Traditionen, Konventionen und Kontext völlig aus. Doch er wollte sich einlassen auf dieses eine Kunstwerk. Es sehen, beschreiben, deuten, das alles in Sprache fassen und darüber zu einem „erkennenden Sehen“ gelangen. Die dabei sichtbaren Schwierigkeiten waren Teil der Methode; wo ein Kunstwerk in seinem eigenen Ausdruck wahrgenommen wird, ist sprachlich nur eine Annäherung mit Hilfe fein maßgearbeiteter Begriffe möglich.

— Ausgerechnet von Max Imdahl hat die Uni Bochum kaum Bilder. Hier eine Rarität von 1977.

Das ist natürlich schwere Kost, und gewiss haben viele von uns begeisterten fachfremden Zuhörern Max Imdahl am Ende nicht mal halb verstanden. Aber jeder dürfte doch so viel mitgenommen haben, dass es lohnt, sich auf ein Kunstwerk einzulassen, um es sich immerhin ein wenig zu erschließen oder erschließen zu lassen. Imdahl übrigens hat sich außerhalb der Universität bemüht, seine Sicht auch völlig unakademischem Publikum nahezubringen. In seinem Fach war Imdahls „Ikonik“ nicht unumstritten. Man hat ihm vorgeworfen, er schließe damit das Historische aus der Kunstgeschichte aus. Aber man setzt sich bis heute mit seiner Methode auseinander. Dass man sich überhaupt kunstgeschichtlich mit aktueller Kunst beschäftigt, hat Max Imdahl begonnen. Seine Studenten sind heute in vielen Institutionen präsent und prägen besonders die nordrhein-westfälische Museumslandschaft, von Duisburg bis Bielefeld. Dass die Universität Bochum 2011 eine Max Imdahl-Gastprofessur „für die Einheit von Wissen und Gesellschaft“ bei der Evangelisch-Theologischen Fakultät ansiedelte, ist verblüffend, aber nicht ganz abwegig: Mit seinen Deutungen war Imdahl durchaus nah bei Philosophie und Theologie. Dass aber 2011 als erster Gast die allgegenwärtige Margot Käßmann berufen wurde – wie soll man sagen?

| Kloster der Kunst „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ hingegen, da begreift man den Zusammenhang sofort. Sogar der etwas rätselhafte Zugang zu diesem Museum zwischen dem Weitmarer Schlosspark und einer Bungalowsiedlung scheint zu passen. Am einfachsten zu finden ist die jüngste Erweiterung der „Situation Kunst“: Der 2010 eröffnete „Kubus“ wurde mitten in die Reste des Hauses Weitmar gebaut und dient Wechselausstellungen. Gleich nebenan liegt die Ruine der Sylvesterkapelle und sieht aus, als sei sie schon im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden. Tatsächlich ist sie, wie Haus Weitmar, erst den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen. Die zwischen 1988 und 2006 entstandenen anderen Gebäude der „Situation Kunst“ liegen vom „Kubus“ aus gesehen versteckt zwischen Wohnbungalows und der „galerie m“.

— Situation Kunst – Erweiterung 2006. Linke Seite: Serras „Circuit“, der ein eigenes Haus hat.

Einen Eingang findet man nicht, dagegen einen Zaun mit unscheinbarem Metalltor. Und das Tor geht nicht auf. Die junge Frau, die vis-à-vis im Gebäude hinter einer Glasscheibe sitzt, liest gerade. Ah: Erst muss man den Klingelknopf entdecken und drücken. Es summt, das Tor lässt sich öffnen. Und nun wohin? Die Frau deutet nach rechts. Seitlich am Haus öffnet sie eine anonyme Metalltür. Man steht in einem von vier miteinander verbundenen Räumen, die jeweils Arbeiten eines Künstlers zeigen. Es gibt keine Schilder und Hinweise. Man hat also – je nach Vorauswissen – die Möglichkeit, sich ganz in „sehendem Sehen“ zu üben. Man kann aber jederzeit die junge Dame um Rat fragen. Mit ihrer Hilfe traut man sich auch durch einen Verbindungsgang, an ihrem Stühlchen vorbei, ins angrenzende Gebäude, das sich als kirchenähnliche, begehbare „Tyndale Sculpture“ des Kanadiers David Rabinowitch erweist. Wieder draußen, auf dem grau geschotterten Gelände, sieht man gegenüber ein weiteres rechteckiges Gebäude mit schlichter Stahltür. Sie lässt sich öffnen, mit metallisch lautem Echo. Im aufflackernden Licht erkennt man die Serra-Installation „Circuit“ aus vier in Raummitte aufeinander zu laufenden Stahlplatten. Grau. Ohne Graffiti. Sie riechen noch wie im Stahlwerk. Einen kleineren Pavillon nebenan sollte man nur mit stabilen Nerven betreten: In den fünf Meter hohen Raum wird auf halber Höhe ein Video projiziert. Man sieht eine Wasseroberfläche von unten und bekleidete Menschen, die sich im Wasser bewegen. Dazu dröhnen bedrohliche Geräusche. Das Environment „Overground“ des Brasilianers Marcellvs L. hat etwas Alptraumartiges. Ganz anders im

vierten Gebäude: Maria Nordmans „Room with two Doors“ ist still, leer, mit wechselndem Lichteinfall und Klängen von außen. Ein fünftes Gebäude liegt auf einer Anhöhe. Dort wird man wieder von einer freundlichen jungen Dame empfangen und auf einen erstaunlichen Rundgang vorbereitet: Von alter asiatischer Kunst zu Lichtkunst von François Morellet und anderen, zu einem Atrium mit Serra-Skulptur unter freiem Himmel, und am Ende wieder zu alter Kunst, diesmal aus Westafrika. Wer nun das karge, an ein modernes Kloster erinnernde und übrigens von Architekt Peter Forth ganz durchkomponierte Gelände wieder verlässt und auf die unscheinbaren weißen Gebäude zurückblickt, fühlt sich sehr wahrscheinlich auf eigenartige Weise berührt, vielleicht ein wenig wie beschwipst: Das muss man sich noch mal anschauen. Die „Situation Kunst“ wurde 1991 der Universitäts-Kunstsammlung angegliedert, die Max Imdahl nicht zuletzt begründet hatte, damit seine Studenten am Ort jederzeit Kunst sehen konnten. Auch „Situation Kunst“ dient diesem Zweck und wird vom Kunstgeschichtlichen Institut und seinen Studierenden betrieben. Daher auch die ungewöhnlichen Öffnungszeiten – Mi bis Fr 14 bis 18 Uhr, Sa/So 12 bis 18 Uhr – und die Präsenz der wohlinformierten jungen Kunsthistorikerinnen. Sie mögen verzeihen, dass uns dennoch der Wunsch nach anderer Begleitung durch den Kopf schoss: Situation Kunst – mit Max Imdahl, den Besuchern rasch voranschreitend, enthusiastisch sprechend, gestikulierend, erklärend – „Wie soll ich sagen …?“ Doch er ist am 11. Oktober 1988 in Bochum gestorben, erst 63 Jahre alt. ● -na Ruhr Revue

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Situation Kunst

Für Max Imdahl

Ein ungewöhnliches Museum als höchst ungewöhnliches Denkmal für einen ungewöhnlichen Hochschullehrer: „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ gibt sich unzugänglich; der Besuch ist aber alle pfadfinderischen Mühen wert.

Kunstgeschichte war stets ein weibliches Fach. Es hatte daher einen eigenen Glanz für männliche Studenten, die in der Hinsicht durch ihre Fachwahl benachteiligt waren, bis hin zu den zölibatären E-Technikern. Und doch waren es nicht die Kommilitoninnen, deretwegen einige kunsthistorische Vorlesungen an der Ruhr-Uni um 1980 von Fachfremden gestürmt wurden. Man ging hin, um Max Imdahl zu hören. Zu erleben, wie er Kunst sah, wie er Gesehenes in Worte zu fassen suchte, wie er seine Methode des Sehens und Verstehens erläuterte. Max Imdahl war zu der Zeit längst ein gestandener Ordinarius, ein ordentlicher Professor von bald sechzig Jahren. Dennoch wirkte er zuweilen wie ein junger Schlaks, der irgendwie immer aus seinen Anzügen gerade ein wenig herausgewachsen zu sein schien. Kaum eine Minute hat er im Hörsaal professoral am Pult verbracht. Stets war er in Bewegung. Während hinter ihm ein Giotto an die Wand projiziert war oder ein Picasso, lief Imdahl hin und her, redend, gestikulierend, erklärend, vermittelnd. 40 |

Ruhr Revue

| Vom sehenden Sehen Wobei Imdahl es seinem akademischen Publikum keineswegs leicht machte. Simple Formeln gab es bei ihm nicht. Seine noch immer vom Singsang der Aachener Heimat geprägte Sprache war weiß Gott professoral, mit Fachjargon gesättigt. Doch er warf das alles seinen Zuhörern nicht einfach so hin. Er ließ sie statt dessen teilhaben an seinem Ringen um sprachliche Übersetzung des Gesehenen. „Wie soll ich sagen“ war bei ihm kein floskelhafter Einwurf. Zuweilen, bei einem besonders absonderlichen Wort, unterbrach er sich selbst, als habe er es soeben erst erfunden. Spottete ein wenig darüber, räumte ein, dass es seltsam klingen mochte – und erklärte, warum er es sich als sprachliches Werkzeug zurechtgelegt hatte. Faszinierend. „Ikonik“ nannte Imdahl selbst seine Methode, in Abgrenzung zu „Ikonographie“ und „Ikonologie“. Er sprach auch vom „sehenden Sehen“, womit er schon an heideggersche Sprachschöpfungen streifte. Gemeint war dies als Gegensatz zu „wiedererkennendem Sehen“ anhand

von Hintergrundwissen. Schwerlich blendete Imdahl seine Kenntnis von Traditionen, Konventionen und Kontext völlig aus. Doch er wollte sich einlassen auf dieses eine Kunstwerk. Es sehen, beschreiben, deuten, das alles in Sprache fassen und darüber zu einem „erkennenden Sehen“ gelangen. Die dabei sichtbaren Schwierigkeiten waren Teil der Methode; wo ein Kunstwerk in seinem eigenen Ausdruck wahrgenommen wird, ist sprachlich nur eine Annäherung mit Hilfe fein maßgearbeiteter Begriffe möglich.

— Ausgerechnet von Max Imdahl hat die Uni Bochum kaum Bilder. Hier eine Rarität von 1977.

Das ist natürlich schwere Kost, und gewiss haben viele von uns begeisterten fachfremden Zuhörern Max Imdahl am Ende nicht mal halb verstanden. Aber jeder dürfte doch so viel mitgenommen haben, dass es lohnt, sich auf ein Kunstwerk einzulassen, um es sich immerhin ein wenig zu erschließen oder erschließen zu lassen. Imdahl übrigens hat sich außerhalb der Universität bemüht, seine Sicht auch völlig unakademischem Publikum nahezubringen. In seinem Fach war Imdahls „Ikonik“ nicht unumstritten. Man hat ihm vorgeworfen, er schließe damit das Historische aus der Kunstgeschichte aus. Aber man setzt sich bis heute mit seiner Methode auseinander. Dass man sich überhaupt kunstgeschichtlich mit aktueller Kunst beschäftigt, hat Max Imdahl begonnen. Seine Studenten sind heute in vielen Institutionen präsent und prägen besonders die nordrhein-westfälische Museumslandschaft, von Duisburg bis Bielefeld. Dass die Universität Bochum 2011 eine Max Imdahl-Gastprofessur „für die Einheit von Wissen und Gesellschaft“ bei der Evangelisch-Theologischen Fakultät ansiedelte, ist verblüffend, aber nicht ganz abwegig: Mit seinen Deutungen war Imdahl durchaus nah bei Philosophie und Theologie. Dass aber 2011 als erster Gast die allgegenwärtige Margot Käßmann berufen wurde – wie soll man sagen?

| Kloster der Kunst „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ hingegen, da begreift man den Zusammenhang sofort. Sogar der etwas rätselhafte Zugang zu diesem Museum zwischen dem Weitmarer Schlosspark und einer Bungalowsiedlung scheint zu passen. Am einfachsten zu finden ist die jüngste Erweiterung der „Situation Kunst“: Der 2010 eröffnete „Kubus“ wurde mitten in die Reste des Hauses Weitmar gebaut und dient Wechselausstellungen. Gleich nebenan liegt die Ruine der Sylvesterkapelle und sieht aus, als sei sie schon im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden. Tatsächlich ist sie, wie Haus Weitmar, erst den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen. Die zwischen 1988 und 2006 entstandenen anderen Gebäude der „Situation Kunst“ liegen vom „Kubus“ aus gesehen versteckt zwischen Wohnbungalows und der „galerie m“.

— Situation Kunst – Erweiterung 2006. Linke Seite: Serras „Circuit“, der ein eigenes Haus hat.

Einen Eingang findet man nicht, dagegen einen Zaun mit unscheinbarem Metalltor. Und das Tor geht nicht auf. Die junge Frau, die vis-à-vis im Gebäude hinter einer Glasscheibe sitzt, liest gerade. Ah: Erst muss man den Klingelknopf entdecken und drücken. Es summt, das Tor lässt sich öffnen. Und nun wohin? Die Frau deutet nach rechts. Seitlich am Haus öffnet sie eine anonyme Metalltür. Man steht in einem von vier miteinander verbundenen Räumen, die jeweils Arbeiten eines Künstlers zeigen. Es gibt keine Schilder und Hinweise. Man hat also – je nach Vorauswissen – die Möglichkeit, sich ganz in „sehendem Sehen“ zu üben. Man kann aber jederzeit die junge Dame um Rat fragen. Mit ihrer Hilfe traut man sich auch durch einen Verbindungsgang, an ihrem Stühlchen vorbei, ins angrenzende Gebäude, das sich als kirchenähnliche, begehbare „Tyndale Sculpture“ des Kanadiers David Rabinowitch erweist. Wieder draußen, auf dem grau geschotterten Gelände, sieht man gegenüber ein weiteres rechteckiges Gebäude mit schlichter Stahltür. Sie lässt sich öffnen, mit metallisch lautem Echo. Im aufflackernden Licht erkennt man die Serra-Installation „Circuit“ aus vier in Raummitte aufeinander zu laufenden Stahlplatten. Grau. Ohne Graffiti. Sie riechen noch wie im Stahlwerk. Einen kleineren Pavillon nebenan sollte man nur mit stabilen Nerven betreten: In den fünf Meter hohen Raum wird auf halber Höhe ein Video projiziert. Man sieht eine Wasseroberfläche von unten und bekleidete Menschen, die sich im Wasser bewegen. Dazu dröhnen bedrohliche Geräusche. Das Environment „Overground“ des Brasilianers Marcellvs L. hat etwas Alptraumartiges. Ganz anders im

vierten Gebäude: Maria Nordmans „Room with two Doors“ ist still, leer, mit wechselndem Lichteinfall und Klängen von außen. Ein fünftes Gebäude liegt auf einer Anhöhe. Dort wird man wieder von einer freundlichen jungen Dame empfangen und auf einen erstaunlichen Rundgang vorbereitet: Von alter asiatischer Kunst zu Lichtkunst von François Morellet und anderen, zu einem Atrium mit Serra-Skulptur unter freiem Himmel, und am Ende wieder zu alter Kunst, diesmal aus Westafrika. Wer nun das karge, an ein modernes Kloster erinnernde und übrigens von Architekt Peter Forth ganz durchkomponierte Gelände wieder verlässt und auf die unscheinbaren weißen Gebäude zurückblickt, fühlt sich sehr wahrscheinlich auf eigenartige Weise berührt, vielleicht ein wenig wie beschwipst: Das muss man sich noch mal anschauen. Die „Situation Kunst“ wurde 1991 der Universitäts-Kunstsammlung angegliedert, die Max Imdahl nicht zuletzt begründet hatte, damit seine Studenten am Ort jederzeit Kunst sehen konnten. Auch „Situation Kunst“ dient diesem Zweck und wird vom Kunstgeschichtlichen Institut und seinen Studierenden betrieben. Daher auch die ungewöhnlichen Öffnungszeiten – Mi bis Fr 14 bis 18 Uhr, Sa/So 12 bis 18 Uhr – und die Präsenz der wohlinformierten jungen Kunsthistorikerinnen. Sie mögen verzeihen, dass uns dennoch der Wunsch nach anderer Begleitung durch den Kopf schoss: Situation Kunst – mit Max Imdahl, den Besuchern rasch voranschreitend, enthusiastisch sprechend, gestikulierend, erklärend – „Wie soll ich sagen …?“ Doch er ist am 11. Oktober 1988 in Bochum gestorben, erst 63 Jahre alt. ● -na Ruhr Revue

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Für Max Imdahl

Ein ungewöhnliches Museum als höchst ungewöhnliches Denkmal für einen ungewöhnlichen Hochschullehrer: „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ gibt sich unzugänglich; der Besuch ist aber alle pfadfinderischen Mühen wert.

Kunstgeschichte war stets ein weibliches Fach. Es hatte daher einen eigenen Glanz für männliche Studenten, die in der Hinsicht durch ihre Fachwahl benachteiligt waren, bis hin zu den zölibatären E-Technikern. Und doch waren es nicht die Kommilitoninnen, deretwegen einige kunsthistorische Vorlesungen an der Ruhr-Uni um 1980 von Fachfremden gestürmt wurden. Man ging hin, um Max Imdahl zu hören. Zu erleben, wie er Kunst sah, wie er Gesehenes in Worte zu fassen suchte, wie er seine Methode des Sehens und Verstehens erläuterte. Max Imdahl war zu der Zeit längst ein gestandener Ordinarius, ein ordentlicher Professor von bald sechzig Jahren. Dennoch wirkte er zuweilen wie ein junger Schlaks, der irgendwie immer aus seinen Anzügen gerade ein wenig herausgewachsen zu sein schien. Kaum eine Minute hat er im Hörsaal professoral am Pult verbracht. Stets war er in Bewegung. Während hinter ihm ein Giotto an die Wand projiziert war oder ein Picasso, lief Imdahl hin und her, redend, gestikulierend, erklärend, vermittelnd. 40 |

Ruhr Revue

| Vom sehenden Sehen Wobei Imdahl es seinem akademischen Publikum keineswegs leicht machte. Simple Formeln gab es bei ihm nicht. Seine noch immer vom Singsang der Aachener Heimat geprägte Sprache war weiß Gott professoral, mit Fachjargon gesättigt. Doch er warf das alles seinen Zuhörern nicht einfach so hin. Er ließ sie statt dessen teilhaben an seinem Ringen um sprachliche Übersetzung des Gesehenen. „Wie soll ich sagen“ war bei ihm kein floskelhafter Einwurf. Zuweilen, bei einem besonders absonderlichen Wort, unterbrach er sich selbst, als habe er es soeben erst erfunden. Spottete ein wenig darüber, räumte ein, dass es seltsam klingen mochte – und erklärte, warum er es sich als sprachliches Werkzeug zurechtgelegt hatte. Faszinierend. „Ikonik“ nannte Imdahl selbst seine Methode, in Abgrenzung zu „Ikonographie“ und „Ikonologie“. Er sprach auch vom „sehenden Sehen“, womit er schon an heideggersche Sprachschöpfungen streifte. Gemeint war dies als Gegensatz zu „wiedererkennendem Sehen“ anhand

von Hintergrundwissen. Schwerlich blendete Imdahl seine Kenntnis von Traditionen, Konventionen und Kontext völlig aus. Doch er wollte sich einlassen auf dieses eine Kunstwerk. Es sehen, beschreiben, deuten, das alles in Sprache fassen und darüber zu einem „erkennenden Sehen“ gelangen. Die dabei sichtbaren Schwierigkeiten waren Teil der Methode; wo ein Kunstwerk in seinem eigenen Ausdruck wahrgenommen wird, ist sprachlich nur eine Annäherung mit Hilfe fein maßgearbeiteter Begriffe möglich.

— Ausgerechnet von Max Imdahl hat die Uni Bochum kaum Bilder. Hier eine Rarität von 1977.

Das ist natürlich schwere Kost, und gewiss haben viele von uns begeisterten fachfremden Zuhörern Max Imdahl am Ende nicht mal halb verstanden. Aber jeder dürfte doch so viel mitgenommen haben, dass es lohnt, sich auf ein Kunstwerk einzulassen, um es sich immerhin ein wenig zu erschließen oder erschließen zu lassen. Imdahl übrigens hat sich außerhalb der Universität bemüht, seine Sicht auch völlig unakademischem Publikum nahezubringen. In seinem Fach war Imdahls „Ikonik“ nicht unumstritten. Man hat ihm vorgeworfen, er schließe damit das Historische aus der Kunstgeschichte aus. Aber man setzt sich bis heute mit seiner Methode auseinander. Dass man sich überhaupt kunstgeschichtlich mit aktueller Kunst beschäftigt, hat Max Imdahl begonnen. Seine Studenten sind heute in vielen Institutionen präsent und prägen besonders die nordrhein-westfälische Museumslandschaft, von Duisburg bis Bielefeld. Dass die Universität Bochum 2011 eine Max Imdahl-Gastprofessur „für die Einheit von Wissen und Gesellschaft“ bei der Evangelisch-Theologischen Fakultät ansiedelte, ist verblüffend, aber nicht ganz abwegig: Mit seinen Deutungen war Imdahl durchaus nah bei Philosophie und Theologie. Dass aber 2011 als erster Gast die allgegenwärtige Margot Käßmann berufen wurde – wie soll man sagen?

| Kloster der Kunst „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ hingegen, da begreift man den Zusammenhang sofort. Sogar der etwas rätselhafte Zugang zu diesem Museum zwischen dem Weitmarer Schlosspark und einer Bungalowsiedlung scheint zu passen. Am einfachsten zu finden ist die jüngste Erweiterung der „Situation Kunst“: Der 2010 eröffnete „Kubus“ wurde mitten in die Reste des Hauses Weitmar gebaut und dient Wechselausstellungen. Gleich nebenan liegt die Ruine der Sylvesterkapelle und sieht aus, als sei sie schon im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden. Tatsächlich ist sie, wie Haus Weitmar, erst den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen. Die zwischen 1988 und 2006 entstandenen anderen Gebäude der „Situation Kunst“ liegen vom „Kubus“ aus gesehen versteckt zwischen Wohnbungalows und der „galerie m“.

— Situation Kunst – Erweiterung 2006. Linke Seite: Serras „Circuit“, der ein eigenes Haus hat.

Einen Eingang findet man nicht, dagegen einen Zaun mit unscheinbarem Metalltor. Und das Tor geht nicht auf. Die junge Frau, die vis-à-vis im Gebäude hinter einer Glasscheibe sitzt, liest gerade. Ah: Erst muss man den Klingelknopf entdecken und drücken. Es summt, das Tor lässt sich öffnen. Und nun wohin? Die Frau deutet nach rechts. Seitlich am Haus öffnet sie eine anonyme Metalltür. Man steht in einem von vier miteinander verbundenen Räumen, die jeweils Arbeiten eines Künstlers zeigen. Es gibt keine Schilder und Hinweise. Man hat also – je nach Vorauswissen – die Möglichkeit, sich ganz in „sehendem Sehen“ zu üben. Man kann aber jederzeit die junge Dame um Rat fragen. Mit ihrer Hilfe traut man sich auch durch einen Verbindungsgang, an ihrem Stühlchen vorbei, ins angrenzende Gebäude, das sich als kirchenähnliche, begehbare „Tyndale Sculpture“ des Kanadiers David Rabinowitch erweist. Wieder draußen, auf dem grau geschotterten Gelände, sieht man gegenüber ein weiteres rechteckiges Gebäude mit schlichter Stahltür. Sie lässt sich öffnen, mit metallisch lautem Echo. Im aufflackernden Licht erkennt man die Serra-Installation „Circuit“ aus vier in Raummitte aufeinander zu laufenden Stahlplatten. Grau. Ohne Graffiti. Sie riechen noch wie im Stahlwerk. Einen kleineren Pavillon nebenan sollte man nur mit stabilen Nerven betreten: In den fünf Meter hohen Raum wird auf halber Höhe ein Video projiziert. Man sieht eine Wasseroberfläche von unten und bekleidete Menschen, die sich im Wasser bewegen. Dazu dröhnen bedrohliche Geräusche. Das Environment „Overground“ des Brasilianers Marcellvs L. hat etwas Alptraumartiges. Ganz anders im

vierten Gebäude: Maria Nordmans „Room with two Doors“ ist still, leer, mit wechselndem Lichteinfall und Klängen von außen. Ein fünftes Gebäude liegt auf einer Anhöhe. Dort wird man wieder von einer freundlichen jungen Dame empfangen und auf einen erstaunlichen Rundgang vorbereitet: Von alter asiatischer Kunst zu Lichtkunst von François Morellet und anderen, zu einem Atrium mit Serra-Skulptur unter freiem Himmel, und am Ende wieder zu alter Kunst, diesmal aus Westafrika. Wer nun das karge, an ein modernes Kloster erinnernde und übrigens von Architekt Peter Forth ganz durchkomponierte Gelände wieder verlässt und auf die unscheinbaren weißen Gebäude zurückblickt, fühlt sich sehr wahrscheinlich auf eigenartige Weise berührt, vielleicht ein wenig wie beschwipst: Das muss man sich noch mal anschauen. Die „Situation Kunst“ wurde 1991 der Universitäts-Kunstsammlung angegliedert, die Max Imdahl nicht zuletzt begründet hatte, damit seine Studenten am Ort jederzeit Kunst sehen konnten. Auch „Situation Kunst“ dient diesem Zweck und wird vom Kunstgeschichtlichen Institut und seinen Studierenden betrieben. Daher auch die ungewöhnlichen Öffnungszeiten – Mi bis Fr 14 bis 18 Uhr, Sa/So 12 bis 18 Uhr – und die Präsenz der wohlinformierten jungen Kunsthistorikerinnen. Sie mögen verzeihen, dass uns dennoch der Wunsch nach anderer Begleitung durch den Kopf schoss: Situation Kunst – mit Max Imdahl, den Besuchern rasch voranschreitend, enthusiastisch sprechend, gestikulierend, erklärend – „Wie soll ich sagen …?“ Doch er ist am 11. Oktober 1988 in Bochum gestorben, erst 63 Jahre alt. ● -na Ruhr Revue

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