ARCHITEKTUR
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— Dem Pumpenhaus der Jahrhunderthalle hat das Büro Böll eine Hülle aus Blech geschneidert. Im kleinen Bild Heinrich Böll (li.) mit Bürokollegen Achim Pfeiffer.
Pionier der Industriekultur
Böll baut um Man kann wohl sagen, dass das Essener Architekturbüro Heinrich Böll Spuren hinterlassen hat im Ruhrgebiet – ja dass es die Region, wie wir sie heute kennen, mitgeprägt hat. Man muss allerdings etwas genauer hinschauen, wenn man diese Spuren verfolgt, denn Böll und seine Mitarbeiter sind nicht von der Sorte, die architektonische Ausrufezeichen platzieren. Bescheidenheit ist Programm.
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Ruhr Revue
Zwei Fragen hat Heinrich Böll früher immer wieder gehört. Erstens: „Sind Sie verwandt …?“ Die einfache Antwort darauf lautete: „Ja.“ Zweitens: „Was haben Sie denn jetzt an dem Gebäude überhaupt gemacht?“ Diese Frage – direkt gestellt oder durch die Blume – bezieht sich auf eine entscheidende Stärke des Architekturbüros Böll, das „Bauen im Bestand“. Bei solchen Arbeiten zeigt Böll so großen Respekt vor dem Vorhandenen, dass eben manche Leute nach Fertigstellung nicht recht begriffen, worin nun der Beitrag dieser Architekten lag. Heinrich Böll hat längst aufgehört, sich über solche Bemerkungen zu ärgern: „Heute empfinde ich sie als Kompliment.“
An seinem Privathaus kann man sehen, dass der Architekt Heinrich Böll sogar bei kompletten Neubauten Respekt vor Vorhandenem zeigt. Es handelt sich um ein ganz unauffälliges, weiß geklinkertes Ensemble aus drei dreigeschossigen Häusern, ganz nah an der Ruhr im Essener Stadtteil Werden. Ungewöhnlich ist die südliche, zum Garten hin orientierte Seitenfassade am linken Haus: Da wohnt Familie Böll. Als das Grundstück vor 20 Jahren erworben war, stand da schon eine mächtige Buche. Böll machte Pläne mit und ohne Baum. Die Entscheidung fiel für „mit“. Ergebnis: Die Unterkellerung bleibt ein ganzes Stück von der Außenfassade zurück, damit genug Platz für
die Baumwurzeln ist. Die gesamte, voll verglaste Fassade wiederum lehnt sich schräg nach hinten, um in den oberen Etagen Platz für die üppige Baumkrone zu lassen. Wie ein Mensch, der den Kopf in den Nacken legt, um den Baum zu bewundern. Oben auf dem Haus befindet sich ein Dachgarten und in dessen Mitte ein verglastes Studio, dessen gegenläufig schräges Pultdach wiederum an eine Schirmmütze denken lässt, mit welcher
der baumbewundernde Mensch seinen Blick gegen Sonnenblendung schützt. Im Inneren zeigt das Haus in zahlreichen Details, wie kreativ Böll die vergleichsweise geringe Grundfläche ausnutzte. Nach außen ist das einzig Auffällige der – man möchte fast sagen: architektonische Kniefall vor einem Baum. Man darf annehmen, dass niemand in Essen nach dem Pfingststurm 2014 froher aus dem Fenster guckte als die Bölls: Die Buche hat überlebt.
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— Dem Pumpenhaus der Jahrhunderthalle hat das Büro Böll eine Hülle aus Blech geschneidert. Im kleinen Bild Heinrich Böll (li.) mit Bürokollegen Achim Pfeiffer.
Pionier der Industriekultur
Böll baut um Man kann wohl sagen, dass das Essener Architekturbüro Heinrich Böll Spuren hinterlassen hat im Ruhrgebiet – ja dass es die Region, wie wir sie heute kennen, mitgeprägt hat. Man muss allerdings etwas genauer hinschauen, wenn man diese Spuren verfolgt, denn Böll und seine Mitarbeiter sind nicht von der Sorte, die architektonische Ausrufezeichen platzieren. Bescheidenheit ist Programm.
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Zwei Fragen hat Heinrich Böll früher immer wieder gehört. Erstens: „Sind Sie verwandt …?“ Die einfache Antwort darauf lautete: „Ja.“ Zweitens: „Was haben Sie denn jetzt an dem Gebäude überhaupt gemacht?“ Diese Frage – direkt gestellt oder durch die Blume – bezieht sich auf eine entscheidende Stärke des Architekturbüros Böll, das „Bauen im Bestand“. Bei solchen Arbeiten zeigt Böll so großen Respekt vor dem Vorhandenen, dass eben manche Leute nach Fertigstellung nicht recht begriffen, worin nun der Beitrag dieser Architekten lag. Heinrich Böll hat längst aufgehört, sich über solche Bemerkungen zu ärgern: „Heute empfinde ich sie als Kompliment.“
An seinem Privathaus kann man sehen, dass der Architekt Heinrich Böll sogar bei kompletten Neubauten Respekt vor Vorhandenem zeigt. Es handelt sich um ein ganz unauffälliges, weiß geklinkertes Ensemble aus drei dreigeschossigen Häusern, ganz nah an der Ruhr im Essener Stadtteil Werden. Ungewöhnlich ist die südliche, zum Garten hin orientierte Seitenfassade am linken Haus: Da wohnt Familie Böll. Als das Grundstück vor 20 Jahren erworben war, stand da schon eine mächtige Buche. Böll machte Pläne mit und ohne Baum. Die Entscheidung fiel für „mit“. Ergebnis: Die Unterkellerung bleibt ein ganzes Stück von der Außenfassade zurück, damit genug Platz für
die Baumwurzeln ist. Die gesamte, voll verglaste Fassade wiederum lehnt sich schräg nach hinten, um in den oberen Etagen Platz für die üppige Baumkrone zu lassen. Wie ein Mensch, der den Kopf in den Nacken legt, um den Baum zu bewundern. Oben auf dem Haus befindet sich ein Dachgarten und in dessen Mitte ein verglastes Studio, dessen gegenläufig schräges Pultdach wiederum an eine Schirmmütze denken lässt, mit welcher
der baumbewundernde Mensch seinen Blick gegen Sonnenblendung schützt. Im Inneren zeigt das Haus in zahlreichen Details, wie kreativ Böll die vergleichsweise geringe Grundfläche ausnutzte. Nach außen ist das einzig Auffällige der – man möchte fast sagen: architektonische Kniefall vor einem Baum. Man darf annehmen, dass niemand in Essen nach dem Pfingststurm 2014 froher aus dem Fenster guckte als die Bölls: Die Buche hat überlebt.
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— Dem Pumpenhaus der Jahrhunderthalle hat das Büro Böll eine Hülle aus Blech geschneidert. Im kleinen Bild Heinrich Böll (li.) mit Bürokollegen Achim Pfeiffer.
Pionier der Industriekultur
Böll baut um Man kann wohl sagen, dass das Essener Architekturbüro Heinrich Böll Spuren hinterlassen hat im Ruhrgebiet – ja dass es die Region, wie wir sie heute kennen, mitgeprägt hat. Man muss allerdings etwas genauer hinschauen, wenn man diese Spuren verfolgt, denn Böll und seine Mitarbeiter sind nicht von der Sorte, die architektonische Ausrufezeichen platzieren. Bescheidenheit ist Programm.
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Zwei Fragen hat Heinrich Böll früher immer wieder gehört. Erstens: „Sind Sie verwandt …?“ Die einfache Antwort darauf lautete: „Ja.“ Zweitens: „Was haben Sie denn jetzt an dem Gebäude überhaupt gemacht?“ Diese Frage – direkt gestellt oder durch die Blume – bezieht sich auf eine entscheidende Stärke des Architekturbüros Böll, das „Bauen im Bestand“. Bei solchen Arbeiten zeigt Böll so großen Respekt vor dem Vorhandenen, dass eben manche Leute nach Fertigstellung nicht recht begriffen, worin nun der Beitrag dieser Architekten lag. Heinrich Böll hat längst aufgehört, sich über solche Bemerkungen zu ärgern: „Heute empfinde ich sie als Kompliment.“
An seinem Privathaus kann man sehen, dass der Architekt Heinrich Böll sogar bei kompletten Neubauten Respekt vor Vorhandenem zeigt. Es handelt sich um ein ganz unauffälliges, weiß geklinkertes Ensemble aus drei dreigeschossigen Häusern, ganz nah an der Ruhr im Essener Stadtteil Werden. Ungewöhnlich ist die südliche, zum Garten hin orientierte Seitenfassade am linken Haus: Da wohnt Familie Böll. Als das Grundstück vor 20 Jahren erworben war, stand da schon eine mächtige Buche. Böll machte Pläne mit und ohne Baum. Die Entscheidung fiel für „mit“. Ergebnis: Die Unterkellerung bleibt ein ganzes Stück von der Außenfassade zurück, damit genug Platz für
die Baumwurzeln ist. Die gesamte, voll verglaste Fassade wiederum lehnt sich schräg nach hinten, um in den oberen Etagen Platz für die üppige Baumkrone zu lassen. Wie ein Mensch, der den Kopf in den Nacken legt, um den Baum zu bewundern. Oben auf dem Haus befindet sich ein Dachgarten und in dessen Mitte ein verglastes Studio, dessen gegenläufig schräges Pultdach wiederum an eine Schirmmütze denken lässt, mit welcher
der baumbewundernde Mensch seinen Blick gegen Sonnenblendung schützt. Im Inneren zeigt das Haus in zahlreichen Details, wie kreativ Böll die vergleichsweise geringe Grundfläche ausnutzte. Nach außen ist das einzig Auffällige der – man möchte fast sagen: architektonische Kniefall vor einem Baum. Man darf annehmen, dass niemand in Essen nach dem Pfingststurm 2014 froher aus dem Fenster guckte als die Bölls: Die Buche hat überlebt.
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— Mein Freund der Baum: Blick aus dem gläsernen Dachatelier der Bölls auf die Buche
Obwohl Heinrich Böll seit über 20 Jahren in Werden an der Ruhr wohnt, ist er noch immer bekennender Altenessener. In diesem nördlichen, von Industrie und Infrastruktur zerrissenen Stadtteil hat er seine Wurzeln. Dort betrieb die Familie Böll ein kleines Hotel mit Gaststätte, direkt an der Hauptstraße, und typischerweise nur wenige Meter von einer der vielen Stellen entfernt, da eine Güterbahn diese Hauptstraße querte. Dort wuchs Heinrich Böll, 1940 geboren, auf. Schon sein Vater war Architekt und mit Entwürfen für Kindergärten, Kirchen, Krankenhäusern rege am Wiederaufbau beteiligt. Im ebenfalls wieder aufgebauten familieneigenen Hotel, geführt von Mutter Böll, hatte er sein Atelier. Wenn die Familie den Onkel aus
Köln zu Besuch hatte, waren es drei Heinrich Bölls im Haus. Der Onkel – das war in der Tat der bald bekannt werdende Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Heinrich Böll. Dessen Essener Neffe erinnert sich an einen fast schüchternen Mann, der besonders in jungen Jahren Lampenfieber hatte, wenn er öffentlich aus seinen Büchern lesen sollte, „und scheu ist er eigentlich immer geblieben“. Natürlich hat Heinrich Böll ein Exemplar jenes Ruhrgebiets-Buches bei sich zu Hause, mit dem Onkel Heinrich und der Fotograf Chargesheimer 1957 Furore machten. Es hat eine handschriftliche Widmung, ist aber sichtlich kein bloßes Vitrinenobjekt: Mehrere Seiten haben sich durch vieles Umblättern aus
der Bindung gelöst. Als Bilder und Text kürzlich bei der Chargesheimer-Ausstellung im Ruhrmuseum zu sehen waren, trafen Onkel und Neffe wieder aufeinander: Die Ausstellungsräume in der Zollverein-Kohlenwäsche hat das Architekturbüro Heinrich Böll umgebaut und nutzbar gemacht. Aber wir greifen vor. Heinrich Böll junior folgte dem Vater bei der Berufswahl. Nach dem Studium in Berlin kehrte er 1975 bewusst „in die kleine Welt von Altenessen“ zurück – und brachte sogar einen Berliner Kommilitonen mit: Hans Krabel, der aus Bayern stammt und das Ruhrgebiet so spannend fand, dass er dort gemeinsam mit Freund Böll ins Berufsleben startete. Ihr Büro hatten die Architekten wiederum im Hotel Böll, und eines ihrer ersten Projekte lag direkt vor der Tür: ein Anbau für das Hotel. Unterdessen formierte sich ringsum ein Lebensthema für den Architekten Böll und sein Büro: 1973 hatte die letzte Altenessener Zeche geschlossen. Das „Verbundbergwerk Emil-Fritz“ bestand aus sechs einst selbstständigen Schachtanlagen: Emil, Emscher, Fritz, Heinrich, Anna und Carl. Diese Pütts und ihre Zechenbahnen hatten großen Anteil am städtebaulichen Chaos in Altenessen. Das Hotel Böll war mittendrin, auf halbem Weg zwischen den Schächten Anna und Carl.
— Ingeborg und Heinrich Böll im heimischen Wohnzimmer. Im linken Bild das Haus und die Buche.
— Halle 5: erster Streich auf Zollverein. Bei der Design-School (rechts) war Böll Partner von SANAA.
| Mit Zeche Carl fing es an Die Zechengebäude, wie damals üblich, sollten zügig abgeräumt werden. Doch Zeche Carl wurde „instandbesetzt“, wie man damals sagte. Eine Bürgerinitiative, getragen besonders von Jugendlichen und unterstützt durch den Gemeindepfarrer Willi Overbeck, kämpfte für ein unabhängiges Jugend- und Kulturzentrum in den erhaltenen Gebäuden der Zeche. Die jungen Architekten von jenseits des Güterbahnhofs schauten sich das an. Besonders der „auswärtige“ Hans Krabel, so erzählt Heinrich Böll, habe die große architektonische Qualität der alten Zechengebäude erkannt: „Da kann man was draus machen.“ Böll und Krabel begleiteten die allmähliche Entwicklung der Zeche Carl
zum Kulturzentrum und hochgeschätzten Denkmal; Restaurierung und Umbau wurden zur Pionierarbeit des Büros auf dem damals noch nicht so genannten Feld der Industriekultur. Als die für das Ruhrgebiet so wichtige IBA Emscherpark sich Ende der achtziger Jahre formierte, erschien der später sagenhafte IBA-Chef Karl Ganser mit dem Stadtplaner und IBA-Kollegen Peter Zlonicky „auf Carl“. Die beiden, so berichtet Heinrich Böll, wollten sich die Zeche ansehen, um zu entscheiden, ob dieses Büro Böll das Trafohaus und die Telefonzentrale der ehemaligen Gelsenkirchener Zeche Rheinelbe zur IBA-Zentrale umbauen sollten. Ihr Eindruck muss gut gewesen sein. Karl Ganser, so Hein-
rich Böll, habe später zur Zeche Carl gesagt, das sei „IBA vor der IBA“ gewesen. Das Büro bekam den Auftrag. „Rheinelbe“ wurde gewissermaßen die zweite Böll-Zeche. In den umgebauten Räumen sitzt noch heute die „Kultur Ruhr GmbH“, Organisatorin der RuhrTriennale. Etwa zur gleichen Zeit etablierte sich schon Kontakt zur dritten Zeche: Zollverein.
fräulein Plissée N O S TA L G I E C H I C
Abendmode & Hochzeitskleider im Stil der 30er bis 60er Jahre Exklusive Kleider für jeden Tag mit nostalgischem Chic Liebevoll von Hand gefertigt, auf Wunsch auch gerne nach Maß Emmast raße 49 45130 Essen-Rüttenscheid
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Ruhr Revue
www.fraeulein-plissee.com Fotos © Alexandre Kurek/Model: Viktoria @ IZAIO management/Hair&Make Up: Patricia Heck für HEIMATDESiGN
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— Beim Designzentrum kooperierte Böll mit Norman Foster.
Genauer gesagt: Zollverein Schacht 12, gerade erst (1986) stillgelegt – und gleich unter Denkmalschutz gestellt. Da hatte man etwas gelernt seit Zeche Carl. Aber was aus den Gebäuden werden sollte, musste sich noch finden, und der Weg zum Weltkulturerbe (2001) war noch lang. Heinrich Böll und Hans Krabel waren mit ihrem Büro von Anfang an beteiligt. Über die Jahre wurde Zollverein zu ihrem Lebenswerk; „wir haben mit viel Herz daran gearbeitet“, sagt Böll. 1992 wurden ihre ersten Umbauten fertig: Halle 5 (Zentralwerkstatt) und Halle 6 (Elektrowerkstatt) wurden zu Ausstel-
lungshallen verwandelt. Dabei haben sie sich, sagt Heinrich Böll, der bestehenden Architektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer „untergeordnet“. Die sei einfach von so hoher Qualität, dass man ihr keinen eigenen Stempel aufdrücken sollte. Damals fing das wohl an mit den Fragen: „Was haben Sie denn da nun eigentlich gemacht?“ Bürokollege Achim Pfeiffer, 1992 noch nicht dabei, findet die Hallen 5 und 6 heute am „klarsten, am schönsten“, wobei andere die unterordnende Bescheidenheit bei späteren Einbauten nicht immer beibehielten – etwa mit auffälligen Lüftungselementen.
— Bei der Kohlenwäsche arbeitete Böll mit Rem Kohlhaas zusammen.
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Ihr Respekt vor der Architektur von Schupp und Kremmer brachte Böll und Krabel wenig später zu ihrer vierten Zeche: „Fritz“ war zum Schluss Zentralstandort jenes Verbundbergwerks, das Altenessen mit vielen Schachtanlagen so dominiert hatte. Die Fritz-Tagesanlagen sind ebenfalls von Schupp und Kremmer gestaltet, kurz nach Zollverein. Trotzdem gab es nach der Stilllegung keine ernsthafte Initiative, das Ensemble zu erhalten. Das Büro Böll konnte dennoch Lohnhalle, Verwaltungsgebäude und Magazin renovieren und mit dezenten Umbauten zum Büro- und Ateliergebäude herrichten. Das war nur möglich, weil ein Schulfreund Heinrich Bölls investierte und einen großen Teil des Komplexes geschäftlich nutzte. Und auch die Architekten des Büros Böll hatten von 1996 an über zehn Jahre lang ihr Atelier auf Fritz, in Gebäuden ihrer Kollegen Schupp und Kremmer.
| Lebensthema Zollverein Unterdessen ging es auf Zollverein Zug um Zug weiter; man muss die Projekte einfach aufzählen, um die Rolle des Büros Böll dort zu verdeutlichen. 1993: Halle 2 (Schalterhaus) Umbau in Bürogebäude; Halle 10 (Lager) Umbau in Werkstattund Verwaltungsgebäude. 1994: Halle 12 (Lesebandhalle) Umbau in Ateliers und Probebühne. 1996: Halle 9 (Kompressorenhalle) Umbau in Gastronomie (Casino Zollverein); Halle 15 (Kühlturm) Umbau
— In der Lukaskirche wird jetzt gewohnt.
— Im neuen Treppenaufgang erinnern die Glasfenster an Kirchen-Zeiten.
in Heizzentrale. 1998: Halle 21 (Kühlturm) Umbau für Folkwang Medieninstitut. 2001: Salzlager Kokerei Umbau in Ausstellungshalle. 2006: Leitstand Kokerei Umbau für Medizinisches Forschungsinstitut. An weiteren Gebäuden und Bandbrücken besorgte das Büro Böll „Dach- und Fachsanierung“. Drei besonders prominente ZollvereinProjekte bearbeitete das Büro in Zusammenarbeit mit Kollegen. Den Umbau des Kesselhauses zum Design-Zentrum („red dot“) 1996 plante Sir Norman Foster. Die Verwandlung der Kohlenwäsche zum Ruhrmuseum folgte 2006 einem Masterplan des Rotterdamer Büros von Rem Kohlhaas. Ins selbe Jahr fiel der Neubau der kubischen „Zollverein School“, entworfen vom Tokioter Architektenbüro SANAA. Die dreifache Zusammenarbeit mit „Stararchitekten“, deren Namen zumindest bei Designzentrum und Kubus stets im Vordergrund bleibt, illustriert
wiederum die Zurückhaltung Heinrich Bölls und seiner Kollegen. Wer Ausrufezeichen setzen will, tut sich so etwas nicht an.
| Industriekulturexperten Zollverein beschäftigt das Büro Böll bis auf den heutigen Tag. Derzeit geht es um Halle 4, das südliche Fördermaschinenhaus. Böll hat das Umbau-Konzept für die gewünschte gastronomische Nutzung entwickelt; nun muss sich nur noch ein Betreiber finden. Derweil machen sich die Architekten Gedanken über die Zukunft der riesigen, vom Verfall bedrohten Kokereianlage – weniger noch als die Kohlenwäsche ein Gebäude, sondern eine Maschine, eine lange Batterie von Öfen. Dennoch braucht es ein architektonisches Konzept, wie die Ofenmaschine erhalten und erlebbar gemacht werden kann – übrigens wohl einschließlich des Riesenrades, dessen Existenz die Denk-
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— Beim Designzentrum kooperierte Böll mit Norman Foster.
Genauer gesagt: Zollverein Schacht 12, gerade erst (1986) stillgelegt – und gleich unter Denkmalschutz gestellt. Da hatte man etwas gelernt seit Zeche Carl. Aber was aus den Gebäuden werden sollte, musste sich noch finden, und der Weg zum Weltkulturerbe (2001) war noch lang. Heinrich Böll und Hans Krabel waren mit ihrem Büro von Anfang an beteiligt. Über die Jahre wurde Zollverein zu ihrem Lebenswerk; „wir haben mit viel Herz daran gearbeitet“, sagt Böll. 1992 wurden ihre ersten Umbauten fertig: Halle 5 (Zentralwerkstatt) und Halle 6 (Elektrowerkstatt) wurden zu Ausstel-
lungshallen verwandelt. Dabei haben sie sich, sagt Heinrich Böll, der bestehenden Architektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer „untergeordnet“. Die sei einfach von so hoher Qualität, dass man ihr keinen eigenen Stempel aufdrücken sollte. Damals fing das wohl an mit den Fragen: „Was haben Sie denn da nun eigentlich gemacht?“ Bürokollege Achim Pfeiffer, 1992 noch nicht dabei, findet die Hallen 5 und 6 heute am „klarsten, am schönsten“, wobei andere die unterordnende Bescheidenheit bei späteren Einbauten nicht immer beibehielten – etwa mit auffälligen Lüftungselementen.
— Bei der Kohlenwäsche arbeitete Böll mit Rem Kohlhaas zusammen.
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Ihr Respekt vor der Architektur von Schupp und Kremmer brachte Böll und Krabel wenig später zu ihrer vierten Zeche: „Fritz“ war zum Schluss Zentralstandort jenes Verbundbergwerks, das Altenessen mit vielen Schachtanlagen so dominiert hatte. Die Fritz-Tagesanlagen sind ebenfalls von Schupp und Kremmer gestaltet, kurz nach Zollverein. Trotzdem gab es nach der Stilllegung keine ernsthafte Initiative, das Ensemble zu erhalten. Das Büro Böll konnte dennoch Lohnhalle, Verwaltungsgebäude und Magazin renovieren und mit dezenten Umbauten zum Büro- und Ateliergebäude herrichten. Das war nur möglich, weil ein Schulfreund Heinrich Bölls investierte und einen großen Teil des Komplexes geschäftlich nutzte. Und auch die Architekten des Büros Böll hatten von 1996 an über zehn Jahre lang ihr Atelier auf Fritz, in Gebäuden ihrer Kollegen Schupp und Kremmer.
| Lebensthema Zollverein Unterdessen ging es auf Zollverein Zug um Zug weiter; man muss die Projekte einfach aufzählen, um die Rolle des Büros Böll dort zu verdeutlichen. 1993: Halle 2 (Schalterhaus) Umbau in Bürogebäude; Halle 10 (Lager) Umbau in Werkstattund Verwaltungsgebäude. 1994: Halle 12 (Lesebandhalle) Umbau in Ateliers und Probebühne. 1996: Halle 9 (Kompressorenhalle) Umbau in Gastronomie (Casino Zollverein); Halle 15 (Kühlturm) Umbau
— In der Lukaskirche wird jetzt gewohnt.
— Im neuen Treppenaufgang erinnern die Glasfenster an Kirchen-Zeiten.
in Heizzentrale. 1998: Halle 21 (Kühlturm) Umbau für Folkwang Medieninstitut. 2001: Salzlager Kokerei Umbau in Ausstellungshalle. 2006: Leitstand Kokerei Umbau für Medizinisches Forschungsinstitut. An weiteren Gebäuden und Bandbrücken besorgte das Büro Böll „Dach- und Fachsanierung“. Drei besonders prominente ZollvereinProjekte bearbeitete das Büro in Zusammenarbeit mit Kollegen. Den Umbau des Kesselhauses zum Design-Zentrum („red dot“) 1996 plante Sir Norman Foster. Die Verwandlung der Kohlenwäsche zum Ruhrmuseum folgte 2006 einem Masterplan des Rotterdamer Büros von Rem Kohlhaas. Ins selbe Jahr fiel der Neubau der kubischen „Zollverein School“, entworfen vom Tokioter Architektenbüro SANAA. Die dreifache Zusammenarbeit mit „Stararchitekten“, deren Namen zumindest bei Designzentrum und Kubus stets im Vordergrund bleibt, illustriert
wiederum die Zurückhaltung Heinrich Bölls und seiner Kollegen. Wer Ausrufezeichen setzen will, tut sich so etwas nicht an.
| Industriekulturexperten Zollverein beschäftigt das Büro Böll bis auf den heutigen Tag. Derzeit geht es um Halle 4, das südliche Fördermaschinenhaus. Böll hat das Umbau-Konzept für die gewünschte gastronomische Nutzung entwickelt; nun muss sich nur noch ein Betreiber finden. Derweil machen sich die Architekten Gedanken über die Zukunft der riesigen, vom Verfall bedrohten Kokereianlage – weniger noch als die Kohlenwäsche ein Gebäude, sondern eine Maschine, eine lange Batterie von Öfen. Dennoch braucht es ein architektonisches Konzept, wie die Ofenmaschine erhalten und erlebbar gemacht werden kann – übrigens wohl einschließlich des Riesenrades, dessen Existenz die Denk-
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Energiemuseum „Energeticon“ umgestaltet, eine Industriehalle in Gummersbach zum Veranstaltungszentrum und Ankerpunkt für ein ganzes abgeräumtes Areal. Einen besonderen Coup landete das Büro mit dem kleinen alten Pumpenhaus hinter der Bochumer Jahrhunderthalle. Die schlichte Halle mit Fassade aus Stahlfachwerk stand nicht unter Denkmalschutz, sollte aber zu einem Besucherzentrum mit Gastronomie umgebaut werden. Der übliche Weg zur energetischen Ertüchtigung wäre eine entsprechende Isolierung im Innenraum gewesen. Dann hätte aber zusätzlich für viel Geld die korrodierte Außenfassade saniert und geschützt werden müssen. Das Böll-Team machte es umgekehrt: Sie stülpten dem Haus eine isolierende und schützende Hülle aus grauem Stahltrapezblech über, „wie ein Eierwärmer“; dafür konnten Dach und Wände im Inneren weitgehend original bleiben. Von außen sieht die Halle jetzt ganz anders aus – aber cool. Wie die Abstraktion einer klassisch-schlichten Bauform. Für das Pumpenhaus erhielt das
— Neue Wohngebäude integrieren das alte Pfarrhaus in Essen-Heisingen.
Büro gleich mehrere Architekturpreise. Heinrich Böll erinnert sich mit einigem Vergnügen daran, dass der 2013 noch zuständige Minister Ramsauer eine Auszeichnung für die Bochumer „Blechkiste“ (Böll) etwas irritiert überreichte. Die alte
Frage „Was haben Sie denn nun an dem Haus überhaupt gemacht?“ stellte sich zwar diesmal nicht. Aber der an Prestigeprojekte gewöhnte Minister hatte wohl zunächst mal Schwierigkeiten mit dem Böllschen Understatement.
— Nur der Turm erinnert äußerlich daran, dass in diesem Haus früher keine Wohnungen waren. Sakrale Elemente sind sonst sparsam integriert.
PASST ZU MIR
— Die preisgekrönte „Blechkiste“ Pumpenhaus
malschützer nach dem Eindruck Heinrich Bölls zu tolerieren gelernt haben. Die auf Zollverein bewiesene und verfeinerte Expertise bei der Neunutzung interessanter alter Industriegebäude hat dem Büro Böll Auszeichnungen und zahlreiche weitere Aufträge im diesem Feld eingebracht – auch außerhalb des Ruhrgebiets. Zuletzt hat Böll ein Maschinenhaus der Alsdorfer Zeche Anna (Aachener Revier) zum 20 |
Ruhr Revue
MEHR INFOS
GEHABT. HABT T.. IDEE GEHABT FINANZSTRATEGIE FINANZSTRA STRA ATEGIE GEFUNDEN.
ARCHITEKTUR
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Energiemuseum „Energeticon“ umgestaltet, eine Industriehalle in Gummersbach zum Veranstaltungszentrum und Ankerpunkt für ein ganzes abgeräumtes Areal. Einen besonderen Coup landete das Büro mit dem kleinen alten Pumpenhaus hinter der Bochumer Jahrhunderthalle. Die schlichte Halle mit Fassade aus Stahlfachwerk stand nicht unter Denkmalschutz, sollte aber zu einem Besucherzentrum mit Gastronomie umgebaut werden. Der übliche Weg zur energetischen Ertüchtigung wäre eine entsprechende Isolierung im Innenraum gewesen. Dann hätte aber zusätzlich für viel Geld die korrodierte Außenfassade saniert und geschützt werden müssen. Das Böll-Team machte es umgekehrt: Sie stülpten dem Haus eine isolierende und schützende Hülle aus grauem Stahltrapezblech über, „wie ein Eierwärmer“; dafür konnten Dach und Wände im Inneren weitgehend original bleiben. Von außen sieht die Halle jetzt ganz anders aus – aber cool. Wie die Abstraktion einer klassisch-schlichten Bauform. Für das Pumpenhaus erhielt das
— Neue Wohngebäude integrieren das alte Pfarrhaus in Essen-Heisingen.
Büro gleich mehrere Architekturpreise. Heinrich Böll erinnert sich mit einigem Vergnügen daran, dass der 2013 noch zuständige Minister Ramsauer eine Auszeichnung für die Bochumer „Blechkiste“ (Böll) etwas irritiert überreichte. Die alte
Frage „Was haben Sie denn nun an dem Haus überhaupt gemacht?“ stellte sich zwar diesmal nicht. Aber der an Prestigeprojekte gewöhnte Minister hatte wohl zunächst mal Schwierigkeiten mit dem Böllschen Understatement.
— Nur der Turm erinnert äußerlich daran, dass in diesem Haus früher keine Wohnungen waren. Sakrale Elemente sind sonst sparsam integriert.
PASST ZU MIR
— Die preisgekrönte „Blechkiste“ Pumpenhaus
malschützer nach dem Eindruck Heinrich Bölls zu tolerieren gelernt haben. Die auf Zollverein bewiesene und verfeinerte Expertise bei der Neunutzung interessanter alter Industriegebäude hat dem Büro Böll Auszeichnungen und zahlreiche weitere Aufträge im diesem Feld eingebracht – auch außerhalb des Ruhrgebiets. Zuletzt hat Böll ein Maschinenhaus der Alsdorfer Zeche Anna (Aachener Revier) zum 20 |
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GEHABT. HABT T.. IDEE GEHABT FINANZSTRATEGIE FINANZSTRA STRA ATEGIE GEFUNDEN.
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— Mein Freund der Baum: Blick aus dem gläsernen Dachatelier der Bölls auf die Buche
Obwohl Heinrich Böll seit über 20 Jahren in Werden an der Ruhr wohnt, ist er noch immer bekennender Altenessener. In diesem nördlichen, von Industrie und Infrastruktur zerrissenen Stadtteil hat er seine Wurzeln. Dort betrieb die Familie Böll ein kleines Hotel mit Gaststätte, direkt an der Hauptstraße, und typischerweise nur wenige Meter von einer der vielen Stellen entfernt, da eine Güterbahn diese Hauptstraße querte. Dort wuchs Heinrich Böll, 1940 geboren, auf. Schon sein Vater war Architekt und mit Entwürfen für Kindergärten, Kirchen, Krankenhäusern rege am Wiederaufbau beteiligt. Im ebenfalls wieder aufgebauten familieneigenen Hotel, geführt von Mutter Böll, hatte er sein Atelier. Wenn die Familie den Onkel aus
Köln zu Besuch hatte, waren es drei Heinrich Bölls im Haus. Der Onkel – das war in der Tat der bald bekannt werdende Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Heinrich Böll. Dessen Essener Neffe erinnert sich an einen fast schüchternen Mann, der besonders in jungen Jahren Lampenfieber hatte, wenn er öffentlich aus seinen Büchern lesen sollte, „und scheu ist er eigentlich immer geblieben“. Natürlich hat Heinrich Böll ein Exemplar jenes Ruhrgebiets-Buches bei sich zu Hause, mit dem Onkel Heinrich und der Fotograf Chargesheimer 1957 Furore machten. Es hat eine handschriftliche Widmung, ist aber sichtlich kein bloßes Vitrinenobjekt: Mehrere Seiten haben sich durch vieles Umblättern aus
der Bindung gelöst. Als Bilder und Text kürzlich bei der Chargesheimer-Ausstellung im Ruhrmuseum zu sehen waren, trafen Onkel und Neffe wieder aufeinander: Die Ausstellungsräume in der Zollverein-Kohlenwäsche hat das Architekturbüro Heinrich Böll umgebaut und nutzbar gemacht. Aber wir greifen vor. Heinrich Böll junior folgte dem Vater bei der Berufswahl. Nach dem Studium in Berlin kehrte er 1975 bewusst „in die kleine Welt von Altenessen“ zurück – und brachte sogar einen Berliner Kommilitonen mit: Hans Krabel, der aus Bayern stammt und das Ruhrgebiet so spannend fand, dass er dort gemeinsam mit Freund Böll ins Berufsleben startete. Ihr Büro hatten die Architekten wiederum im Hotel Böll, und eines ihrer ersten Projekte lag direkt vor der Tür: ein Anbau für das Hotel. Unterdessen formierte sich ringsum ein Lebensthema für den Architekten Böll und sein Büro: 1973 hatte die letzte Altenessener Zeche geschlossen. Das „Verbundbergwerk Emil-Fritz“ bestand aus sechs einst selbstständigen Schachtanlagen: Emil, Emscher, Fritz, Heinrich, Anna und Carl. Diese Pütts und ihre Zechenbahnen hatten großen Anteil am städtebaulichen Chaos in Altenessen. Das Hotel Böll war mittendrin, auf halbem Weg zwischen den Schächten Anna und Carl.
— Ingeborg und Heinrich Böll im heimischen Wohnzimmer. Im linken Bild das Haus und die Buche.
— Halle 5: erster Streich auf Zollverein. Bei der Design-School (rechts) war Böll Partner von SANAA.
| Mit Zeche Carl fing es an Die Zechengebäude, wie damals üblich, sollten zügig abgeräumt werden. Doch Zeche Carl wurde „instandbesetzt“, wie man damals sagte. Eine Bürgerinitiative, getragen besonders von Jugendlichen und unterstützt durch den Gemeindepfarrer Willi Overbeck, kämpfte für ein unabhängiges Jugend- und Kulturzentrum in den erhaltenen Gebäuden der Zeche. Die jungen Architekten von jenseits des Güterbahnhofs schauten sich das an. Besonders der „auswärtige“ Hans Krabel, so erzählt Heinrich Böll, habe die große architektonische Qualität der alten Zechengebäude erkannt: „Da kann man was draus machen.“ Böll und Krabel begleiteten die allmähliche Entwicklung der Zeche Carl
zum Kulturzentrum und hochgeschätzten Denkmal; Restaurierung und Umbau wurden zur Pionierarbeit des Büros auf dem damals noch nicht so genannten Feld der Industriekultur. Als die für das Ruhrgebiet so wichtige IBA Emscherpark sich Ende der achtziger Jahre formierte, erschien der später sagenhafte IBA-Chef Karl Ganser mit dem Stadtplaner und IBA-Kollegen Peter Zlonicky „auf Carl“. Die beiden, so berichtet Heinrich Böll, wollten sich die Zeche ansehen, um zu entscheiden, ob dieses Büro Böll das Trafohaus und die Telefonzentrale der ehemaligen Gelsenkirchener Zeche Rheinelbe zur IBA-Zentrale umbauen sollten. Ihr Eindruck muss gut gewesen sein. Karl Ganser, so Hein-
rich Böll, habe später zur Zeche Carl gesagt, das sei „IBA vor der IBA“ gewesen. Das Büro bekam den Auftrag. „Rheinelbe“ wurde gewissermaßen die zweite Böll-Zeche. In den umgebauten Räumen sitzt noch heute die „Kultur Ruhr GmbH“, Organisatorin der RuhrTriennale. Etwa zur gleichen Zeit etablierte sich schon Kontakt zur dritten Zeche: Zollverein.
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Abendmode & Hochzeitskleider im Stil der 30er bis 60er Jahre Exklusive Kleider für jeden Tag mit nostalgischem Chic Liebevoll von Hand gefertigt, auf Wunsch auch gerne nach Maß Emmast raße 49 45130 Essen-Rüttenscheid
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www.fraeulein-plissee.com Fotos © Alexandre Kurek/Model: Viktoria @ IZAIO management/Hair&Make Up: Patricia Heck für HEIMATDESiGN
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sie sich der ehemaligen Kirche verbunden fühlen. Weitere Beispiele für diese Art Wohnungsbau ist ein neues Haus mit altengerechten Wohnungen in EssenHeisingen, das das alte, stadtbildprägende Pfarrhaus mit seiner Sandsteinmauer integriert.
— Moderne Stadtwohnungen in Essen-Werden lehnen sich an einen schön renovierten Altbau an.
Insgesamt hat das Büro seinen Arbeitsschwerpunkt in jüngerer Zeit ein wenig verlagert. Industriekultur bleibt ein Thema, sagt Achim Pfeiffer, und wird immer wieder ans Büro herangetragen. Kein Wunder: „Das können wir, das haben wir gelernt.“ Aber zuletzt spielen Wohnbauten aller Art wieder eine größere Rolle. Ihrem Kernthema – 2013 beim Pumpenhaus in Bochum auf verblüffende Weise auf den Punkt gebracht – sind die Architekten dabei trotzdem treu geblieben: „Bauen im Bestand“. Nein, sagt Heinrich Böll, „man muss nicht jedes Gebäude erhalten.“ Aber es lohne sich, bei vorhandener Qualität, intensiv darüber nachzudenken. Nachhaltigkeit, so Achim Pfeiffer, spiele in der Architektur eine wachsende Rolle. Und in diesem Zusammenhang werde auch über das Thema Energie neu nachgedacht. Stichwort: „graue Energie“.
| „Graue Energie“ zählt auch Die energetische Sanierung sei bei bestehenden Häusern zuweilen schwierig, sagt Heinrich Böll, und oft nicht bis zur Perfektion machbar. Also abreißen? An diesem Punkt, so Böll, komme die „graue Energie“ ins Spiel. Wenn man berücksichtigt, wie viel gebaute Energie bereits
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Ruhr Revue
in dem alten Haus steckt und beim Abriss verlorengeht, wenn man weiter den Energieaufwand für Abriss, Entsorgung alten und Produktion neuen Baumaterials einkalkuliere, sehe die Bilanz schnell ganz anders aus. Das sei ähnlich wie bei Autos: Wenn man sein altes verschrottet und ein neues mit etwas besseren Abgaswerten kauft, kann die ökologische Bilanz dieses gutgemeinten Schrittes durchaus negativ ausfallen.
| Kirchen zu Wohnhäusern Abriss ist oft auch das naheliegende Rezept bei den vielen Kirchen, die in den letzten Jahren wie alte Industrieanlagen „stillgelegt“ wurden. Besonders, wenn es sich um eher unscheinbare Gebäude aus der Nachkriegszeit handelt. Der Markuskirche in Gelsenkirchen-Buer und der Lukaskirche in Essen-Holsterhausen wurde dennoch neues Leben eingehaucht: Nach Plänen des Büros Böll hat man sie zu Wohnanlagen umgebaut. Die kirchliche Vergangenheit der Häuser ist nach außen und in Details noch erkennbar, aber insgesamt hat das Haus keinen sakralen Charakter mehr, die Wohnungen schon gar nicht. Gleichwohl sind viele Menschen in die Häuser gezogen, weil
| Ein Solitär in Altenessen Derzeit beschäftigt sich das Büro Böll noch mit einem ganz besonderen „Einfamilienhaus“: Das Haupthaus der Villa Hügel wird saniert und restauriert, vom Dach bis zum Keller. Während das Haupthaus seinen Charakter dabei kaum verändern wird, haben die Böll-Architekten das links daneben stehende „Kleine Haus“ zuvor schon sehr zu seinem Vorteil verwandelt. Als dort die frühere Dauerausstellung über das Unternehmen ersetzt wurde durch eine Ausstellung zur Familie Krupp, ließ das Büro Böll die gesamten sterilen Einbauten entfernen. So wurde das Gebäude wieder als Wohnhaus erlebbar; vorgefundene Elemente aus verschiedenen Umbauten wurden mit neuen Zutaten komplettiert. Wieder mal so „ein Böll“, der den Pelz nicht nach außen trägt. Das wird etwas anders sein bei einem aktuellen Projekt, mit dem Heinrich Böll in seine „kleine Altenessener Welt“ zurückkehrt: Das neue evangelische Gemeindezentrum steht wohl im Schatten einer großen, neugotischen Kirche. Doch es ist ein separater, ganz eigenständiger Neubau. Zwar nimmt der durch seine Positionierung und Backsteinwände Bezug zur Kirche, aber das Büro selbst sieht in dem Haus mit seiner „skulpturalen Dachlandschaft“ einen „starken, zeichenhaften Solitär“ im Raum des bislang leeren Mallinckrodtplatzes hinter der Kirche. Man darf gespannt sein. Was Heinrich Böll und seine Kollegen da gemacht haben, ist bei diesem Haus dann sicher keine Frage. l -na