2.4 Zur Vorlesung Unternehmensethik: Bilanztricks der Blendwerk AG

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1. Bilanzen: Die Blendwerk AG vom 01.05.2003 - 19567 Zeichen manager magazin

15. November 2005


G A k r e w d n e l B e i D

Bilanzen: Deutschlands Konzernchefs haben aus den zahllosen Skandalen der vergangenen Jahre nichts gelernt. Sie tricksen weiter – und nutzen nach Kräften die Spielräume der neuen internationalen Regelwerke. 128

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ürgen E. Schrempp ist nicht unbedingt bekannt für einen ausgeprägten Hang zur Bescheidenheit. Den jüngsten Beweis, dass er gern aus dem Vollen schöpft, lieferte der Chef des Automobilkonzerns DaimlerChrysler im Februar bei der Vorlage der Bilanzzahlen. Schrempp und seine zwölf Vorstandskollegen hatten ihre Bezüge für 2002 auf 50,8 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Eine satte Steigerung,

nicht zuletzt in der momentanen wirtschaftlichen Lage. Was der sonst so beredte Schrempp lieber verschwieg: Die tatsächliche Entlohnung der Stuttgarter Vorstände liegt dank eines üppigen Aktienoptionsprogramms noch weitaus höher. Drei Millionen Aktienoptionen haben die Vorstände 2002 erhalten. Den Wert dieses Pakets nennt DaimlerChrysler nicht. Lediglich eine Notiz im Anhang des Geschäftsberichts deutet auf die Dimensionen hin: Der Aufwand aus den Aktienoptionen für


ILLUSTRATION: REINHARD WENDLINGER

Finanzmärkte

alle Führungskräfte des Konzerns, ist dort in einer „Pro-forma“-Rechnung zu erfahren, hätte 2002 bei 149 Millionen Euro gelegen. Wundersam ist, dass in der Gewinnrechnung des Konzerns nur 35 Millionen Euro Personalaufwand aus den Optionsprogrammen berücksichtigt werden. Der Grund für die Differenz von 114 Millionen Euro: Schrempp und sein Finanzvorstand Manfred Gentz haben tief in die Trickkiste der modernen Buchführung gegriffen. Die amerikanischen Bilanzregeln „US Generally Accepted Accounting Principles“ (US-Gaap), nach denen

die Stuttgarter ihren Abschluss erstellen, gewähren ihnen dafür viel Freiraum. Nach US-Gaap dürfen die Konzernlenker mit dem so genannten inneren Wert der Optionspakete kalkulieren. Diese Kennzahl (die Differenz aus aktueller Aktiennotierung und dem Bezugspreis für die Manager) ist jedoch weit niedriger als der tatsächliche Wert der Optionen. Schrempp und Gentz mussten nicht einmal die Grenzen des Erlaubten verlassen, um ihren Konzerngewinn um 114 Millionen Euro hochzurechnen. Im Gegensatz zu Firmen wie Enron und Worldcom, deren Manager mit krimineller Energie zu Werke gingen, sind die Zahlenspiele

der Stuttgarter völlig legal. Und doch belegt der Fall DaimlerChrysler eindrucksvoll: Nach wie vor nutzen Unternehmen fast jede Gelegenheit, ihre Bilanzen und Erfolgsrechnungen nach Bedarf zu gestalten. Die zahllosen Skandale der vergangenen zwei Jahre haben auf die moralischen Standards offenbar nur wenig Einfluss gehabt. All die Schwüre von Ehrlichkeit und Transparenz sind nicht von Nachhaltigkeit gezeichnet. Ja es scheint fast so, als sei das Täuschen und Tarnen noch schlimmer geworden. In den Vorworten der Geschäftsberichte wird das Hohe Lied auf die Anleger gesungen. In der Praxis jedoch besitzen all die Beteuerungen der Konzernchefs, sie wollten das Vertrauen der Anleger wiedermanagermagazin 5/03

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herstellen, den Wahrheitsgehalt von Wahlversprechen der Politiker. Angefangen bei den USVorzeigekonzernen General Electric und AOL Time Warner bis hin zu deutschen Topadressen wie DaimlerChrysler oder der Telekom – überall rechnen sich die Vorstände arm oder reich. Je nachdem, wie es die Situation gerade erfordert. Den Deutschen eröffnen sich völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten, wenn sie, wie derzeit allerorten üblich, vom Handelsgesetzbuch auf die internationalen Rechnungslegungsvorschriften US-Gaap und IFRS (International Financial Reporting Standards) umstellen. Die vielen neuen Regeln, die auf diese Weise derzeit über die deutschen und europäischen Unternehmen kommen, schaffen keinen Deut mehr Transparenz; sie helfen den Finanzprofis hingegen, noch ungenierter an den Zahlen zu drehen. Milliardensummen für zu teuer erworbene Telekommunikationslizenzen; üppige Aktienoptionen für das Management; Pensionsfonds für die Firmenrentner – die Bewertung entscheidender Bilanzposten hängt weitgehend von den Vorgaben des Vorstands ab. Der Willkür, diese

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Die Konzerne können selbst entscheiden, zu welchem Wert sie übernommene Firmen bilanzieren. Entwicklungskosten dürfen als immaterielles Vermögen ausgewiesen werden. Bei Bilanzposten, für die es keine eindeutigen Marktpreise gibt, kann das Management den Wert schätzen. Nicht die tatsächlichen Renditen der Fonds bestimmen ihr Ergebnis, sondern die Erwartungen der Manager. Statt den Gesamtwert von Aktienoptionen zu bilanzieren, reicht auch der geringere innere Wert aus.

Werte allzu positiv – oder auch bewusst negativ – anzusetzen, werden kaum noch Schranken gesetzt. Gewiss: Auch die alten nationalen Vorschriften wie das Handelsgesetzbuch gewährten Wahlrechte, die manchen Kniff möglich machten. Doch bei US-Gaap und IFRS geht es um ganz andere Dimensionen im Gestalten von Rechenwerken. Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsräte haben es nun noch schwerer, Vorständen unlauteres Handeln vor-

zuhalten und die Akteure zu bremsen. Rückschritt statt Fortschritt: Mit den neuen internationalen Regeln – in Deutschland werden die IFRS von 2005 an für alle Börsenfirmen Pflicht – sollte die Aussagekraft der Konzernabschlüsse steigen. Häufig ist das genaue Gegenteil der Fall. manager magazin hat gemeinsam mit einem Expertenteam um den Münsteraner Bilanzprofessor Jörg Baetge die aktuellen Zahlenwerke großer börsennotierter Unternehmen durchforstet. Das Ergebnis ist eine bedrückende Sammlung von Tricks und Finten. Und es sind nicht etwa junge Hightech-Firmen, die die neue Bilanzierungsfreiheit nach Kräften ausnutzen. Sondern die ersten Adressen der internationalen Wirtschaft.

Der Goodwill-Clou Im Herbst vergangenen Jahres, kurz nach dem Abgang von Ron Sommer, räumte Helmut Sihler auf. Mit einem Federstrich entfernte der Interimschef der Deutschen Telekom 22 Milliarden Euro an Vermögen aus der Bilanz des Telefonriesen. Was Sihler da verschwinden ließ, waren Bilanzwerte ausländischer Tochterfirmen und Mobilfunklizenzen, darunter der US-Ableger Voicestream. Seltsam nur, dass Vorgänger Sommer und sein Aufsichtsratsvorsitzender Sihler vorher keinerlei Veranlassung für Korrekturen gesehen hatten. Hatten sich die 22 Milliarden von heute auf morgen verflüchtigt? Die Telekom-Manager hätten den Wertberichtigungsbedarf leider erst im Rahmen einer strategischen Überprüfung im dritten Quartal 2002 entdeckt, versichert Telekom-Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick heute. Vorher sei nichts zu erkennen gewesen. Der Deutschen Telekom ergeht es wie fast allen Unternehmen aus der

FOTO: FRITZ STOCKMEIER

Kritische Prüfer: Professor Jörg Baetge (l.) und ein Expertenteam der Universität Münster (v. r.: Eric Sickmann, Jörn Stellbrink, Rainer Heumann, Michael Richter) haben die aktuellen Zahlenwerke deutscher Konzerne untersucht

Die neue Freiheit der Buchhalter


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Telefonbranche. Der Größenwahn der Telekom: Späte Korrektur späten 90er Jahre wirkt bis heute Interimschef Helmut Sihler nach. In nahezu jestrich 22 Milliarden der Bilanz finden Euro für teuer eingekaufte sich die astronomiAuslandstöchter aus der schen Summen, die Bilanz. Seltsam: Ex-Chef während des BörRon Sommer hatte kurz senbooms für Überzuvor keinen Grund für nahmen bezahlt Abschreibungen gesehen. wurden, unverändert als Aktivposten wieder. „Goodwill“ nennen Buchhalter US-Regeln den Unternehmen, ob sie diese Position, zu Deutsch Firmen- den Goodwill abschreiben möchten wert. Sie umfasst den Teil des Kauf- oder nicht. Für die IFRS-Standards ist preises, der über den Substanzwert eine ähnliche Vorschrift geplant. Mindestens einmal im Jahr soll das hinaus bezahlt wurde – etwa für die Management nun prüfen, wie es um Marke oder für den Kundenstamm. Nach deutschem Handelsrecht den Wert der Beteiligungen steht. Ermüssen die Konzerne diese Firmen- gibt dieses so genannte Impairmentwerte über mehrere Jahre abschrei- only-Verfahren, dass die zugekauften ben, weil sie nach gängiger Auffas- Firmen an Wert verloren haben, wird sung im Zeitablauf an Wert verlieren. abgeschrieben. Stellen die KonzernGanz anders halten es die interna- lenker keinen Berichtigungsbedarf tionalen Bilanzvorschriften. Seit dem fest, bleibt alles beim Alten (siehe vergangenen Jahr überlassen es die Kasten Seite 130).

Ansichtssache Wie Unternehmen ihre Ergebnisse beeinflussen können

Ob ein Konzernchef an einem möglichst hohen Bilanzgewinn interessiert ist oder an einem deutlichen Verlust, hängt ganz von der Situation ab, in der er sich gerade befindet. Ein

Szenario 1: Der Chef tritt in Kürze ab, will einen ruhmreichen Abschied.

Eine Regel, wie geschaffen für Bilanztrickser. „Ermessen und Willkür wird Tür und Tor geöffnet“, schimpft Bilanzprofessor Baetge. Welch ein Glück für die Manager der Deutschen Telekom, dass sie ihre Bilanzen ebenfalls nach US-Regeln erstellen. So konnten die Hüter der deutschen Volksaktie nicht nur bei der US-Tochter Voicestream, sondern auch bei der Bewertung anderer Auslandsableger ungeahnte Kreativität entfalten. Zum Beispiel bei der Tochtergesellschaft Matav, einer ungarischen

einfaches Beispiel zeigt, wie die Börsenfirmen den Spielraum der neuen internationalen Bilanzvorschriften nutzen können, um sich arm oder reich zu rechnen.

Szenario 2: Der Vorstand ist neu im Job, will aufräumen, um später zu glänzen.

Ausgangslage: Das Unternehmen weist einen Gewinn von 100 Millionen Euro aus Bilanzkniff

Verlustreiche Tochter, Firmenwert: 250 Millionen Euro

Günstige Langfristprognose, kein Abschreibungsbedarf

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Schlechte Langfristprognose, Impairment-Test ergibt hohe Wertminderung

Buchverluste beim Aktienbestand in Höhe von 40 Millionen Euro

Aktien gehören nicht zum Handelsbestand, Buchverluste werden mit dem Eigenkapital verrechnet, ohne Folgen für die Gewinnrechnung

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Aktien werden als Handelsbestand klassifiziert, Buchverluste gehen in die Gewinn- und Verlustrechnung ein

2 Millionen Aktienoptionen für den Vorstand, Gesamtwert: 24 Millionen Euro

Bewertung zum inneren Wert, der aufgrund der gesunkenen Börsenkurse gleich null ist

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Bewertung zum Gesamtwert, Aufwand wird über die Laufzeit der Optionen verteilt

Es bleibt ein Gewinn von 100 Mio. Euro.

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Folge in der Bilanz

Bilanzkniff

Folge in der Bilanz

–100 Mio.

– 40 Mio.

– 6 Mio.

Aus dem Gewinn wird ein Verlust von 46 Mio. Euro.

FOTO: WOLFGANG VON BRAUCHITSCH

Fakten


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Siemens-Chef Heinrich von Pierer ordnete die Wertpapierbestände des Konzerns als „zum Verkauf verfügbar“ ein. So konnte er das Ergebnis um bis zu 240 Millionen Euro aufhübschen.

Siemens: Gewinne geschönt

Abschreibung auf die Beteiligung. Eicks Argument: Für ein solch großes Anteilspaket werde schließlich mehr bezahlt als der bloße Börsenpreis, immerhin sichere sich der Erwerber die Kontrolle. Doch die Erfahrung lehrt, dass die Interessenten keineswegs immer bereit sind, ein solches Aufgeld zu entrichten. Die Telekom hatte gute Gründe, nicht alle Firmenwerte in ihrer Bilanz

FOTOS: NORBERT NORDMANN, THOMAS IMO/PHALANX

Telefonfirma. Der Wert des börsennotierten Unternehmens war Mitte vergangenen Jahres unter den in der Bilanz angesetzten Posten gerutscht. Kurzerhand buchten Sommer und Eick eine „Kontrollprämie“ für die Matav-Anteile – der Bonner Konzern hält mit knapp 60 Prozent die Mehrheit an dem einstigen ungarischen Staatsbetrieb. Mit diesem Kunstgriff vermieden die Telekom-Oberen eine

zurechtzustutzen. Schon der letztjährige Kehraus genügte, um das Eigenkapital des hochverschuldeten Konzerns binnen Jahresfrist annähernd zu halbieren. Andere Unternehmen hingegen befreien sich von ihren Altlasten. Zum Beispiel AOL Time Warner: Jahrelang war bei dem amerikanischen Medienkonzern angeblich kein Berichtigungsbedarf zu erkennen. Doch dann schrieb der US-Riese im Jahr 2002 mit einem Mal die Rekordsumme von 100 Milliarden Dollar Goodwill ab. Ein typischer Fall für den Missbrauch der neuen Bilanzregeln, meint der Münchener Professor Wolfgang Ballwieser: „Die Unternehmen vermeiden Abschreibungen, solange es geht. Erst wenn es das wirtschaftliche Umfeld plausibel macht, wird alles auf einmal berichtigt.“ Und der unwissende Aktionär mit der traurigen Wahrheit überrumpelt.


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Faire Werte? Im deutschen HGB wird grundsätzlich vorsichtig bilanziert – die Obergrenze bilden die Anschaffungsoder Herstellungskosten eines Vermögenswerts. Die internationalen Vorschriften hingegen fordern an vielen Stellen die Ermittlung eines Fair Value, eines Marktpreises. Das Problem: Für viele Güter, komplizierte Finanzprodukte etwa oder Immobilien, gibt es keinen eindeutigen Marktwert. Das Management muss schätzen – und verfügt, wie auch beim Impairment-Test, über erhebliche Ermessensspielräume. Bei Aktien und Anleihen sind die Gestaltungsmöglichkeiten zwar geringer. Diese Wertpapiere müssen zu Börsenkursen bewertet werden. Wahlmöglichkeiten hat das Management aber auch hier, und zwar über die Einordnung in verschiedene Anlagekategorien.

DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp (3. v. l.) buchte die Aktienoptionen seiner Führungskräfte nur mit dem „inneren Wert“. Das Konzernergebnis stieg durch diesen Kniff um 114 Millionen Euro.

DaimlerChrysler: Optionen optimiert

Je nachdem, wie lange die Wertpapiere gehalten werden sollen, müssen Kursschwankungen unterschiedlich ausgewiesen werden. Entscheidet das Management, die Papiere dienten kurzfristigen Spekulationszwecken („Handelsbestand“), muss eine Wertminderung sofort vom Firmengewinn abgezogen werden. Verfügen die Konzernlenker hingegen, die Aktien seien lediglich „zum Verkauf

verfügbar“, dürfen sie Wertverluste mit dem Eigenkapital verrechnen – ohne negative Folgen für das Firmenergebnis. Ein feinsinniger Unterschied, dessen Sinn sich wohl nur Bilanzprofis erschließt. Die Wirkung indes ist verblüffend: Siemens etwa ordnete seine Wertpapiere in den vergangenen beiden Jahren komplett in die zweite Kategorie ein. Durch diesen Kniff


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konnte der Münchener Elektromulti seinen Gewinn im Jahr 2001 um bis zu 1,2 Milliarden Euro auffrischen. Vergangenes Jahr lag der Effekt immerhin noch bei maximal 240 Millionen Euro.

Der Pensionskick Ein Aktiendepot, das haben britische Experten vor kurzem in einer umfangreichen Studie herausgefunden, erzielt langfristig eine jährliche Rendite von etwa 9 Prozent. Rentenpapiere schaffen gut 4 Prozent. Bei DaimlerChrysler ist diese Untersuchung offenbar unbekannt. Die Welt AG, die für ihre Firmenrentner nach US-Vorbild einen Pensionsfonds angelegt hat, kalkulierte vergangenes Jahr mit einem Wertzu-

wachs von 8 bis 10 Prozent – und das bei einem gemischten Fonds aus festverzinslichen Papieren und Aktien. Der Konzern nutzt bei dieser Übung einen weiteren Bewertungsspielraum, den die internationalen Bilanzierungsregeln gewähren. Nach US-Gaap und IFRS ist nicht die tatsächliche Wertentwicklung der in den Fonds angesammelten Gelder entscheidend, sondern eine „erwartete“ Rendite (siehe mm 2/2003). Und die legt das Unternehmen fest. Sinn der Regel ist es, den Pensionsgewinn unabhängig zu machen von den Schwankungen der Börse. Die erwartete Rendite – und nicht die tatsächliche Performance – ist deshalb ausschlaggebend für die Höhe des Ergebnisses, das der Pensionsfonds an den Mutterkonzern abführt.

Die Amerikaner geben den Ton an Bilanzregeln: Wer die international gültigen Standards der Rechnungslegung erstellt

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ie internationalen Bilanzregelwerke werden laufend weiterentwickelt, um aktuelle Entwicklungen in den Unternehmen aufzugreifen. Zwei Institutionen bestimmen die Vorschriften, nach denen die Konzerne ihre Abschlüsse aufstellen müssen. Amerikas Gralshüter: Das weltweit wohl bedeutendste Gremium ist eine rein privatrechtliche Organisation mit Sitz im US-Bundesstaat Connecticut nördlich von New York. Der „Financial Accounting Standards Board“, kurz FASB, wacht über die US-Gaap-Regeln. Sieben Bilanzauguren, die überwiegend von Wirtschaftsprüfungsfirmen und aus großen amerikanischen Konzernen stammen, gehören dem FASB an. Formal liegt die Oberaufsicht über die Bilanzstandards zwar bei der amerikanischen Börsenaufsicht SEC. De facto überlässt es die Behörde aber meist dem FASB, die Vorschrif-

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ten zu formulieren. Eine Konstellation, die der amerikanischen Wirtschaft intensives Lobbying erlaubt. So wurde die umstrittene Regel zur Bilanzierung von Firmenwerten vor allem auf Druck der Wall-Street-Banken eingeführt, die um ihr einträgliches Geschäft mit Fusionen und Übernahmen fürchteten. Ursprünglich wollte der FASB durchsetzen, dass der nach einer Übernahme entstehende „Goodwill“, also der Firmenwert, planmäßig abgeschrieben wird. Die nun gültige Regel überlässt es weitgehend den Unternehmen, ob sie den oftmals sehr hohen Goodwill abschreiben oder nicht. Konkurrenz aus Europa: Einzig ernst zu nehmender Wettbewerber des FASB ist der „International Accounting Standards Board“ (IASB) mit Sitz in London, ebenfalls eine private Initiative. Seine 14 Mitglieder entwickeln die IFRS-Regeln. Mit HansGeorg Bruns, dem ehemaligen Chef-

Diese Regelung führt zuweilen zu absurden Ergebnissen. So unterstellte der Mischkonzern General Electric im vergangenen Geschäftsjahr für seinen Pensionsfonds eine Rendite von 8,5 Prozent und buchte daher einen Zusatzgewinn in Höhe von gut vier Milliarden Dollar. Das tatsächliche Ergebnis sah etwas anders aus: Der Fonds hatte 5,25 Milliarden Dollar Verlust eingefahren.

Die Kostenmasche Wenn ein Unternehmen forscht und Produkte entwickelt, entstehen Kosten. Und Kosten verringern den Gewinn. So sieht es das HGB. Anders die IFRS-Regeln: Entwicklungskosten sollen unter bestimmten Voraussetzungen als immaterielle

buchhalter von DaimlerChrysler, gehört dem IASB auch ein Deutscher an. Die Versuche des IASB, eine Alternative zu den US-Regeln zu etablieren, laufen weitgehend ins Leere. Zu groß ist die Dominanz der Amerikaner als Hüter des weltgrößten Kapitalmarktes. Die Folge: Der IASB muss den Vorstellungen, die jenseits des Atlantiks entwickelt werden, meist folgen. Hilflose Deutsche: Die Interessen der hiesigen Unternehmen im internationalen Regelwirrwarr vertritt das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC). Der eingetragene Verein agierte bislang ohne großen Erfolg. Die deutsche Industrie, höhnen Insider, habe das brisante Thema regelrecht verschlafen. Seit Ende März wird das DRSC von Harald Wiedmann, dem Deutschland-Chef des Wirtschaftsprüfers KPMG, und AllianzVorstand Helmut Perlet geführt. Die neue Spitze soll versuchen, die Mitwirkung des Gremiums bei der Formulierung der Bilanzregeln zu verbessern.


Finanzmärkte Bilanzen

„Nicht mehr nachvollziehbar“ BASF-Finanzvorstand Max Dietrich Kley über die Fallstricke in den neuen Bilanzregeln mm Von 2005 an müssen alle deutschen Börsenfirmen ihre Bilanzen nach den International Financial Reporting Standards erstellen. Welche Vorteile bringen die IFRS-Regeln? Kley Die Zahlen werden weltweit

Kley Für eine Firmenbewertung gibt

es Grundsätze, die muss auch das Management beachten. Aber natürlich spielen Erwartungen und Plan-

mm Die angloamerikanischen Vorschriften sind umstritten, insbesondere die Abschreibungsregeln nach Übernahmen. Entsteht da ein Spielfeld für Bilanzmanipulationen? Kley Bislang musste der Firmenwert,

mm Haben die Wirtschaftsprüfer noch eine Chance, die internen Berechnungen des Managements zu kontrollieren?

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„Klare Spielregeln“: BASF-Vorstand Kley will die Bilanznormen ändern

größen eine wichtige Rolle, das ist für einen Wirtschaftsprüfer nicht mehr so leicht nachvollziehbar. mm Nach den IFRS-Vorschriften sollen möglichst alle Bilanzposten mit ihrem aktuellen Marktwert erfasst werden. Geht das überhaupt? Kley Nur bedingt. Bei vielen Vermö-

genswerten ist der so genannte Fair Value, also der Marktpreis, kaum aus-

gebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Jahr 2002 durch den Bilanzierungskniff um 1,3 Milliarden Euro. BMW brachte der Trick ein Plus von 322 Millionen Euro.

Schein und Sein Die Beispiele zeigen: Nur allzu gern nutzen Konzernlenker in den USA wie in Europa die Bewertungsspielräume, die ihnen die neuen Regeln bieten. Die Kluft zwischen bilanziellem Schein und wirtschaftlichem Sein wird immer größer. Nicht alle freuen sich über den neuen Freiraum. Max Dietrich Kley etwa, Finanzvorstand bei BASF, hält

mm Kritiker sagen, die IFRS-Regeln seien zu sehr von amerikanischen Interessen geprägt. Müssen die Europäer mehr Akzente setzen? Kley Manche in Europa treibt wohl

die Sorge, dass die Entwicklung eines weltweit einheitlichen Regelwerks ins Stocken gerät, wenn wir uns den USA nicht stärker annähern. Aber wir dürfen unsere eigenen Interessen nicht einfach auf dem Altar der internationalen Konvergenz opfern, sondern müssen den kritischen Dialog mit den Amerikanern suchen.

es für „dringend nötig“, die Regelwerke zu reformieren (siehe Interview oben). Viele seiner Kollegen ticken anders. Sie müssen ihre Bilanzen in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahrzehnte gestalten. Da ist die Versuchung groß, mit fragwürdigen Bewertungen die Zahlen freundlicher zu trimmen. Doch die Wahrheit lässt sich nicht dauerhaft vernebeln. Das Vertrauen der Anleger in die Aktien, ohnedies schon schwer beschädigt, schwindet noch weiter. Und die Konsequenz ist klar: kein Kapital mehr für die Trickser in den Konzernvorständen. Patricia Döhle/Ulric Papendick

FOTO: VOLKER DZIEMBALLA

Vermögenswerte aktiviert werden. Ob diese Bedingungen erfüllt sind, liegt jedoch weitgehend im Ermessen der Vorstände. So lässt sich im Handumdrehen aus Kosten in Millionen- oder gar Milliardenhöhe ein Aktivposten in der Bilanz machen und der Gewinn aufstocken. Leichter geht’s nicht. Das müssen sich auch die Vorstände von Volkswagen und BMW gedacht haben. Beide Firmen entschlossen sich in den vergangenen Jahren, Entwicklungskosten in beträchtlicher Höhe zu aktivieren. Diese Praxis hat nicht unwesentliche Auswirkungen auf die Gewinne der Konzerne: Bei VW stieg das Er-

mm Hat ein Unternehmen wie BASF denn Möglichkeiten, die Gestaltung der neuen Regeln zu beeinflussen? Kley Die deutschen Konzerne

werden künftig über das DRSC, das „Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee“, mehr Einfluss auf die Entwicklung der IFRS-Regeln nehmen. Das ist dringend nötig, denn viele der internationalen Vorschriften sind noch in Arbeit. Wir müssen unbedingt verhindern, dass wir 2005 auf einem Feld ohne klare Spielregeln starten.

vergleichbar, das macht die Berichterstattung für Anleger transparenter.

die Differenz zwischen Kaufpreis und Buchwert des erworbenen Unternehmens, planmäßig abgeschrieben werden. Das war ein solides Verfahren. Die internationalen Regeln hingegen sehen jedes Jahr eine völlige Neubewertung der gekauften Firma vor, die auch selbst geschaffenen Goodwill einschließt. Das ist nicht nur enorm arbeits- und zeitaufwändig, sondern lässt in der Tat auch einen größeren Gestaltungsspielraum.

zumachen. Bei anderen Positionen, zum Beispiel bei derivativen Finanzinstrumenten, macht ein Ansatz zum Marktwert schlichtweg keinen Sinn. Ich sehe diese Forderung sehr kritisch.


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