Kind

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Milch Sänftiger Genüsse von Manfred H. Freude

Milch sänftiger Genüsse. Mir ist so traurig, so traurig bei jedem Schluck. Ich trage mich schon mit Gedanken mich zu verschlucken. Weg, weg, hinweg, hin und weg, fort, hinfort, hinfortzuschlucken, fortzuschlucken. So wie man schluckt eine Arznei; die man nicht reinkriegt und nicht raus, dort aus dem Hals, wie einen Teeguss, Teeguss, Guss, Guss so aufgesogen, so ziehen gelassen, so heiß gebrüht, so von Pfefferminz und bittrem Fenchel und auch noch Blüten, Wurzeln oder Blättern, die mir zum treiben durch den Darm und keine Ruhe geben nach der Milch von sänftigen Genüssen. So ist es mir ein schrecklicher Genuss, den ich ertragen muss von einem Glas, aus einem Becher, den ich hebe vor dem Tor und rufe: öffnet mir das Tor, hört er mich nicht, der Tor, so öffne er das Tor, Tor, wo seid ihr, wo ihr seid, wo ihr auch seid ihr Tore, ihr Toren. Tor, Tor ich will euch noch ein Gedicht erzählen, das eure Magensäfte treibt und euere Krämpfe löst, dass sich öffnen eure Beschwerden und dann die Blähungen wie fortgeflogen aus dem Leib sich treiben. Ich schreibe euch ein schönes Lied, von dem ihr singen könnt. Dann sehnt ihr euch zurück, zu eurer Geburt, zu eurer Mutter, zum Schoß, wo ihr aus diesem Meer des Fruchtwassers hinausgeschwommen seid. Man wird die Leichen zu mir bringen, damit auch sie von dieser Milch genießen und dann auch noch den Rest von jener Schale lecken, bis das kein Tropfen übrig bleibt, wie von der Buche nur der Stumpf, den dieser Dichter übrig ließ im Buchenwald, im Buchenwald, im Buchenhain. Wo jede Buche schon sooft mit Blut genährt. Wo jede Wurzel sich aus einem Muttermund die Kraft gesogen, aus jeder Nachgeburt den Rest aus jeder Nabelschnur gesaugt. Ob dort in Buchenwald oder in dem Buchenland wo Bücher noch zu Hause sind und große Dichter wohnten. Dort ist viel Blut geflossen dort, wo das Böse war und auch das Gute. Ein Kontoauszug, so ist ein Gedicht. Ein Auszug des Bromysienfestes. Die Prozession, die aus dem Tor der Stadt hinauszieht mit allen Toren, Gott schütze sie, sie sind verloren wie das Vieh, das von der Alm getrieben wurde, wo es einen Sommer lang gehegt, damit es in den Tempel kommt; herausgezogen und herausgerissen aus seinem sicheren Ort, doch nur die Nachricht bleibt in unserer Klaue, gelesen und erschrocken vor dem Auszug. Prüft man den Auszug, das Konto des Gedichtes auf Fehler und setzt sich auf den Stumpf der Buche und achtet auf den Stand, auf Soll und Haben. Dass man hier vergleicht, mit Tod und Tod, die stets verschieden und doch zugleich, vergleicht die Zahlen mit den Namen und jeden Buchstaben, da ist es wieder dieses Buch, als ein Gedicht vergessen und verschoben ist. Das aber noch nicht aus der Maschine kam und immer noch nicht ist in dem System. Ich saufe und saufe und saufe. Unerträglich. Ich saufe die Milch sänftiger Genüsse zur Neige und stürze mich in die dunklen Fluten und klage und klage und klage. Es klingen die Klagelieder in den Ohren und spritzen das Blut in die Gedichte. Wir klettern hinauf zu den Gipfeln und hören die Stimmen über den Wipfeln, spüren den Hauch und schlürfen und schlürfen 1


Milch Sänftiger Genüsse von Manfred H. Freude

und schlürfen. Getragen vom Wort, das fließt durch die Fluten der Klagen, zu wenig beachtet, diskutiert die Lage und ziehen das feedback zurück zur Idee und bechern und bechern. Wann entscheidet die Sekunde über Sieg und Niederlage. Wenn wir uns weiter beweihräuchern, schikanieren unsere Leser und treiben es mit uns selbest und treiben und treiben. Lassen wir die Wahrheit draußen. Das tut hier nichts zur Sache. Mit Wahrheit holt man keinen Hund aus seinem Loch. Ist nur die Frage ob du Täter oder Opfer bist. Ein Glück für dich, wenn du der Täter bist. Das Opfer muss recht freundlich bleiben. Damit es schweigt, tritt ihm noch einmal ins Gesicht. Es ist so schön, so schön. Ich meine das Gesicht. Wer vergewaltigt, das bin ich. Ich drehe jedes Wort und feile jeden Reim, bis er mir passt in mein Gebilde. Wer ist hier würdig dieses Buch aufzubrechen? Steigen wir aus unseren Büchern; als vaterlos aufgewachsene Dichter buhlen wir um die Zuneigungen unserer Leser. Werfen uns gegenseitig krankhaften Narzissmus vor und werden nach jeder Lesung hysterisch. Um anschließend wieder unendlich einsam und alleine zu sein, mit einem melancholischen Blick starren wir gedankenlos in den Sonnenuntergang. Mit der Liebe und der Sprache alleine zu sein und rufen, wie schön, wie schön, wie schön, wenn draußen die Fischer zurückkommen und die Sonne das Meer färbt, dass es fast weh tut. Es wird Nacht und die Fischer sind zurück und leeren ihre Körbe und sie leeren aus ihren Körben nichts, außer der Sonne. Von der es am Meer unendlich viel gibt. Die Sonne tankten sie in Fässer. Sie luden die Wagen, sie fuhren die Ladung zum Berg, der Berg der sie rief, der ihnen ihre Gebote gab, dieser Berg, der so oft brannte, bis einige von ihnen verrückt waren, dieser Berg. Träume, träume sagte der Berg zu den Fässern, alles esoterisch, esoterisch, esoterisch. Alles exoterisch sagte der Fischer. Lasse uns spielen, du bist leer, leer, leer und nochmals leer, leer weil du noch immer Stein bist. Nichts bleibst du. Das Nichts zwischen dem Nichts, zwischen den Grenzen, zwischen Meer und Meer. Die sänftige Milch fließt an dir herab ins Meer. Trinke, trinke und trinke die Milch. Die Milch deiner Freiheit die dir aus der Häufigkeit deiner Natur notwendig heraus kämpft zum Sterben. Nur wer zum Sterben bereit, wer zum Sterben bereit, wer sich gemeldet und eingeschrieben hat, dort in den Büchern aller Mörder, verurteilt bereits, ist zur Freiheit frei. Nur zusammen unfrei. Zum Schicksal der Trennung aller frei. Frei im Paradies nach dem zusammenhinausgehen, auf Erden zusammen unfrei leiden. So sprachen, der Fischer zum Berg und der Berg zum Fischer. Und du fragte er, du in den Fässern sprach er. Ich fließe hinab von dem Harten sprach er, weich fließe ich, weich zu den weichen, und ich rate dir, sprach er, das Harte muss dem Weichen, Weichen. Ich lasse die Strahlen im Fluss der Wellen wandern solange es Tag und Nacht. Ich bin nicht von hier, ich gehöre nicht hierher, ich warte auf das Schiff des Fischers, der mich führt zu den Flüssen der Zukunft. Niemals alleine und dieses Fließen der Stimmen, der zarten Melodien rauschend, im Fluss der Instrumente, alles Requiem immer, Requiem und draußen spielen die Orchester im Graben, spielen die Instrumente zum Requiem, 2


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stimmen die Geigen und Flöten, die Pauken und Posaunen tragen immer zum Jerusalem, zur Angst vor Jenseits, und alles ist still. Selbst die Welt steht still und sie dreht sich doch. Ein Gefühl? Eine Gewissheit? Eine Wahrheit? Alles ist still und doch unbewegt und doch dreht sich alles; sie bewegt sich doch. Und sie stellen fest, alles ist nur ästhetisch, alles dichtet sich nur frei von der Natur und schöpferisch, immerhin so frei und überzeugt, das man im Leben Unfrei ist und immer unterdrückt. So trink ich mir den Teil. Mir ist so traurig, so traurig bei jedem Schluck. Ich trage mich schon, mit Gedanken, mich zu verschlucken. Weg, fortzuschlucken. Weg, weg, hinweg, hin und weg, fort, hinfort, hinfortzuschlucken, fortzuschlucken. Krämpfe, alles Krämpfe, die mir diese Welt bereitet. Wo soll man hier noch anfangen? Wir sind gespalten und das Alter Ego ist ein Teil von uns. Und dieser andere Teil bring uns den Tod. Das ist doch alles unsere eigene Schuld. Die sänftige Milch fließt an dir herab ins Meer. Trinke, trinke und trinke die Milch. Die Milch deiner Freiheit die dir aus der Häufigkeit deiner Natur notwendig heraus kämpft zum Sterben. Milch sänftiger Genüsse.

Die Wiedergabe der Texte des gesamten Werkes oder Teile daraus ist ohne vorherige Zustimmung des Autors nicht gestattet. Abschreiben, kopieren oder sonstiges Vervielfältigen, gleichviel durch welches Verfahren und in welchem Umfang, ist verboten. This work may not be performed, neither in part nor in whole, without the publisher’s prior consent. No part of this work may be copied or reproduced in any form or by any means. Wiedergabe nur mit Genehmigung des Autors © Manfred H. Freude

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