Marburger Magazin Express 38/2020

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„Zurück zur künstlerischen Arbeit finden” – (v.l.) Siggi Ulm, Rolf Michenfelder, Charlotte Bösling, Katrin Hylla, Kristin Gerwien. Fotos: TNT

„Zum Spielen gibt es keine Alternative“ Das Theater neben dem Turm

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m TNT, dem roten Würfel auf dem Gelände des ehemaligen Gaswerks im Norden Marburgs, wird Theater abseits des Mainstreams gepflegt. Das Ensemble mit seinen unkonventionellen Produktionen ist seit 1983 fester Baustein im Kulturleben vor Ort.

Express: Wie kommt das TNT bis jetzt durch die Pandemie? Rolf Michenfelder: Da wir gerade einen ganzen Monat Programm gemacht haben, neige ich dazu zu sagen „gut“, natürlich mit mindestens fünf Mal „aber“ dahinter. Siggi Ulm: Es wirkt schon noch nach, dass wir im März das Bühnenbild bereits aufgebaut hatten, nur um es dann wieder abzubauen und das Theater abzuschließen. Katrin Hylla: Nach einer Schockstarre wie sie sicherlich viele erlebt haben und der großen Frage, ob wir jemals wieder vor einem vollen Saal mit Publikum spielen werden, kam eine Phase der Pa-

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pierschlachten: Welches Hilfspaket wird wie beantragt? Das war dann auch die Phase, wo wir immer wieder wütend oder frustriert waren, weil keines der Hilfspakete bei uns ankam. Rolf Michenfelder: Wichtig war einfach, wieder zur künstlerischen Arbeit zurück zu finden. Wir haben uns gefragt, was tun, wenn unser Theaterraum uns plötzlich den Zugang verwehrt, der uns bisher immer so selbstverständlich erschien? Was tun, wenn wir die Dinge nicht mehr so berühren dürfen, wie wir es gewohnt waren, wenn die Nähe zwischen Menschen durch Abstandsregeln bestimmt wird? Auf was können wir verzichten und dadurch eventuell Neues entdecken und auf was können und wollen wir nicht verzichten? Charlotte Bösling: So ist dann ja auch unser Projekt „Nearly close enough to kiss“ entstanden, das in dem leer stehenden Reisebüro in der Wettergasse stattfand. Als

Intervention im öffentlichen Raum. Und als eine Hommage an das Unverzichtbare, an lebendige menschliche Begegnungen, an Nähe und Intimität, an gemeinsame Anwesenheit, an Live-Erlebnisse. Rolf Michenfelder: Ja, es war einfach toll, etwas künstlerisch herzustellen, was Corona angeblich verhindert. Nähe und soziales Leben. Wie ist das Theater aktuell aufgestellt - personell, finanziell, mental? Rolf Michenfelder: Wir sind im Kernteam zu fünft: Katrin Hylla, Kristin Gerwien, Charlotte Bösling, Siggi Ulm und Rolf Michenfelder. Und finanziell sind wir ja schon immer nahe am Abgrund, daran hat sich nicht viel geändert, außer dass es jetzt noch ein bisschen näher ist. Aber die Stadt lässt ja dankenswerterweise die Förderung weiter laufen, das hilft schon mal viel, auch wenn durch Absagen ganz viel weg gebrochen ist.

Katrin Hylla: Grundsätzlich wünschen wir uns natürlich eine angemessene Bezahlung für den Fulltimejob, den wir machen, aber das ist Kulturpolitik, daran muss noch gearbeitet werden. Charlotte Bösling: Ach ja, mental. Wenn man zwei spannende und erfolgreiche Projekte gerade hinter sich hat, dann würde ich sagen, wir haben uns aus fast allen tiefen Tälern heraus gearbeitet. Wir haben Lust auf mehr spannende Projekte! Katrin Hylla: Es hat sehr gut getan, zu erfahren und auch das Publikum erfahren zu lassen, was auch unter den gegebenen Umständen alles möglich ist. Und nicht darauf zu schauen, was alles nicht möglich ist. Die momentanen Gegebenheiten beeinflussen sicherlich auch die ganz konkreten täglichen Routinen ... Charlotte Bösling: Ja klar, wir haben uns weniger live gesehen, stattdessen viel auf Bildschirmen.


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