Wirtschafts Woche

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Neustart iN der LebeNsmitte: deN traumjob verwirkLicheN

baden-württemberg

banken

Die 50 Weltmarktführer der Boom-Region

Die frischen Konkurrenten aus dem Internet

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18.11.2013|Deutschland €5,00

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Tanz mit dem Bullen Das billige Geld der Notenbanken treibt die Aktienkurse und hilft den Krisenländern. Wie lange geht das noch gut? Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux €5,30 | Griechenland €6,00 | Großbritannien GBP 5,40 | Italien €6,00 | Polen PLN 27,50 | Portugal €6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | Tschechische Rep. CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-

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Überblick Nr. 47, 18.11.2013

8 Seitenblick Boeings neuer Superjet 10 Zigaretten: EU-Offensive gegen Schmuggler 11 Koalitionsgespräche: Aufstand in der CDU | Hermes: Klage über rabiate Methoden der Deutschen Post 12 Interview: LeaseTrend-Chef Gerhard Fischer über die Tücken der Elektroautos 14 Deutschland: Wachsende Freiheitsliebe | Drei Fragen zu Reiseportalen | DekraAward: Die Sieger des Wettbewerbs 16 EU: Sozialbericht als Konzernpflicht | BCG: Boom dank Roland Berger | Puma: Kunstdirektor entlassen 18 Chefsessel | Startup Parku 20 Chefbüro Roland Boekhout, Vorstandsvorsitzender der Direktbank ING-DiBa

Titel Der Tanz mit dem Bullen

Die Ökohäutung der Städte

Mit Minizinsen versucht die Europäische Zentralbank angeblich, eine Deflation abzuwenden. Tatsächlich aber will sie die Euro-Krisenländer mit billigen Krediten stabilisieren. Das gefährdet den nötigen Schuldenabbau und pumpt neue Spekulationsblasen auf. Seite 24

Architekten entwickeln radikal neue Hochhaus-Konzepte. Die Bauten integrieren Ackerflächen, sind ihre eigenen Kraftwerke und bieten den Bewohnern alles, was sie zum Leben brauchen. Seite 78

Schwächer wachsende Unternehmensgewinne, zunehmende Euphorie – die Warnzeichen an den Börsen mehren sich. Trotzdem ist die Hausse nicht am Ende – der EZB sei Dank. Seite 94

Politik&Weltwirtschaft

Der Volkswirt 50 Serie Geistesblitze der Ökonomie (XI) Wie der Ökonom Kenneth Arrow die Demokratie mathematisch analysiert 52 Kommentar 53 Denkfabrik Martin Feldstein über die Konstruktionsfehler der US-Gesundheitsreform

Unternehmen&Märkte 54 Banken Branchenfremde und Startups sagen klassischen Geldhäusern den Kampf an 60 Interview: Tina Müller Die Marketingchefin von Opel verbündet sich Bryan Adams 62 Kaufhof Wie Lovro Mandac seit 20 Jahren alle Konkurrenten aussticht 66 BayernLB Die Landesbank steht vor der größten Schlammschlacht ihrer Geschichte 70 Kunsthandel Die großen Auktionshäuser könnten bei der Suche nach Eigentümern der Münchner Gemälde helfen 72 Demografischer Wandel Unternehmen entdecken die Studienabbrecher

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Digitale Wilderer Internet-Konzerne und Startup-Finanziers wie Marc Bernegger, Robert Lempka und Thomas Winkler machen mit innovativen Finanzdiensten etablierten Banken Konkurrenz. Seite 54

Richtung Lifestyle Die neue Opel-Marketingchefin Tina Müller will die angeschlagene Automarke aufpolieren. Fußballtrainer Jürgen Klopp soll für Vertrauen ins Unternehmen sorgen, Rockmusiker Bryan Adams jüngere Kunden anlocken. Seite 60

TITELILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER

24 Geldpolitik Unter dem Vorwand der Deflationsbekämpfung schanzt die Europäische Zentralbank den Euro-Krisenländern billige Kredite zu | Interview: Der ÖkonomieNobelpreisträger Thomas Sargent über die Gefahren von zu billigem Geld 30 Energie Was die Reformvorhaben der künftigen Koalition für Verbraucher und Wirtschaft bedeuten 34 BDA So tickt der künftige ArbeitgeberVerbandschef Ingo Kramer 36 Korruption Bestechung ist in Deutschland ein Massenphänomen 39 Berlin intern 40 Spezial Baden-Württemberg Die 50 größten Weltmarktführer aus dem Südwesten | Wie lockt man Fach- und Führungskräfte? | Die Vorteile aus der Nachbarschaft zu Frankreich und der Schweiz

Nr. 47 18.11.2013 WirtschaftsWoche

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74 Volkswagen Der Autobauer zahlt einen hohen Preis für seine neue Riesenfabrik in China

Technik&Wissen 78 Stadtplanung Architekten entwickeln radikal neue Konzepte für die Hochhäuser der Zukunft | Interview: Der Schweizer Architekt Matthias Kohler will Städte in die Höhe bauen 87 Valley Talk

Management&Erfolg 88 Neustart Wie ein beruflicher Neuanfang auch noch zwischen Anfang 40 und Mitte 50 gelingen kann

Geld&Börse FOTOS: CHRISTOF MATTES, DOMINIK PIETSCH, BEIDE FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, VINCENT CALLEBAUT ARCHITECTURES - WWW.VINCENT. CALLEBAUT.ORG, DER TAGESSPIEGEL/DORIS SPIEKERMANN-KLAAS

Menschen der Wirtschaft

Sie können alles In keinem anderen Bundesland gibt es, bezogen auf die Einwohnerzahl, so viele Weltmarktführer wie in Baden-Württemberg. Wie haben es die Unternehmen an die Spitze geschafft? Seite 40

94 Aktien Warum die Rekordjagd an den Börsen noch nicht zu Ende ist 100 Aktienhandel Neue Plattformen der Banken graben den Börsen das Wasser ab 104 Altersvorsorge Können Ruheständler 30 Jahre von ihrem Ersparten leben, wenn sie jährlich vier Prozent entnehmen? 106 Steuern und Recht Aktionärsrechte | Schiffsfonds | Einkommensteuer 108 Geldwoche Kommentar: Fondsanbieter mit falschen Partnern | Trend der Woche: Radioaktive Belastungen | Dax-Aktien: K+S | Hitliste: Neuemissions-Hype | Aktien: Alstom, Metals X | Börsengang: Constantia Flexibles | Anleihe: Lenzing | Investmentfonds: Parvest Equity Japan Small Cap

Perspektiven&Debatte 114 Interview: Paul Dolan Der Verhaltensforscher erklärt, wie man Glück organisiert 117 Kost-Bar

Rubriken

Alles auf neu Vom Versicherungsmanager zum Schreiner: Karsten Deege, 43, hat geschafft, wovon viele träumen: den Neustart in der Lebensmitte. Wie ein Neuanfang zwischen 40 und Mitte 50 gelingt. Seite 88

5 Einblick, 118 Leserforum, 120 Firmenindex | Impressum, 122 Ausblick n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche weltweit auf iPad oder iPhone: Diese Woche mit einer Bilderschau von den innovativsten Hochhaus-Projekten der Welt. Zudem erklärt unser Chefvolkswirt im Video, warum immer alles teurer wird. wiwo.de/apps n Betriebliche Altersversorgung Was niedrige Zinsen für die Rente vom Arbeitgeber bedeuten und wie sie bei Jobwechseln funktioniert unter wiwo.de/richtigvorsorgen facebook.com/ wirtschaftswoche

WirtschaftsWoche 18.11.2013 Nr. 47

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Unternehmen&Märkte

Zum Ausputzer degradiert BANKEN | Internet-Riesen und mutige Startups führen den

etablierten Instituten vor, wie neue Ideen den Umgang mit Geld revolutionieren und vereinfachen. Die Branche ist alarmiert und fürchtet um künftige Einnahmen.

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abspenstig machen könnten. Sie entwickeln Methoden, um die Plastikkarten der Banken durch Smartphones zu ersetzen, nutzen soziale Netzwerke im Internet anstelle der Bankberatung oder führen Kreditgeber und -nehmer zusammen, ohne dass die Geldhäuser daran verdienen. „Banken müssten massiv in diese Entwicklung investieren, doch die deutschen Kreditinstitute sind viel zu zögerlich“, sagt Jürgen Moormann, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management und Experte für Informationstechnologie im Finanzsektor. Stattdessen seien es Außenseiter, die etwa auf dem Feld des mobilen Zahlens experimentierten und neue Lösungen umsetzten. „Das ist gefährlich für das Privatkundengeschäft der etablierten Geldhäuser, denn wer den Zahlungsverkehr abwickelt, hat auch Zugriff auf den Kunden“, sagt Moormann.

ENTFREMDUNG VON DEN BANKEN Für größere Unruhe bei den Bankern haben bisher das Online-Handelsportal Ebay und der Suchmaschinenriese Google gesorgt. Ebay grätscht nach der Übernahme des Bezahldienstes PayPal im Jahr 2002 zwischen Kunden und deren Bank, indem das Unternehmen Zahlungen abwickelt. Nach eigenen Angaben hat PayPal heute mehr als 230 Millionen Mitglieder in 193 Nationen und 25 Währungen. Für seine Dienste kassiert PayPal vom Verkäufer einen niedrigen Prozentsatz. Mit der elektronischen Brieftasche Wallet von Google lässt sich online einkaufen und in den USA sogar bei Einzelhändlern zahlen. Eine Entfremdung der Käufer und Verkäufer von den Banken ist da nur eine Frage der Zeit. »

Zwei Banker und ein Nerd Der Internetfreak Bernegger (rechts) investiert mit den Ex-Bankern Lempka (links) und Winkler in innovative Finanzdienste

Banken auf dem Rückzug Zahl der Bankmitarbeiter und Filialen (in Tausend) 700 680

Mitarbeiter 50 45

660

40

640 04 06 08 10 12

35

Filialen

04 06 08 10 12

Quelle: Arbeitgeberverband, Bankenverband

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Frische Newcomer Das Investoren-Trio Lempka, Winkler und Bernegger (von links) leitet die Beteiligungsgesellschaft Next Generation Finance Invest, die in der Schweiz an der Börse notiert ist. Diese steckt, einzigartig in der Investmentszene, ihr Geld allein in neue digitale Finanz-

WirtschaftsWoche 18.11.2013 Nr. 47

dienstleister. Die Unternehmen, in die das Trio investiert, sollen sich gegenseitig unterstützen, indem sie ihre Geschäftsmodelle ergänzen. Über das Handelsportal Gekko Global Markets können Kunden unabhängig von Banken online und mobil mit Wertpapieren handeln. Das soziale Netz-

FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE

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n Niedrigzinszeiten wie diesen scheint es absurd, frisches Geld in den angeschlagenen Finanzsektor zu stecken. Der Schweizer Internet-Unternehmer Marc Bernegger investiert trotzdem in neue Firmen mit Geldideen – zusammen mit seinen Geschäftspartnern Thomas Winkler und Robert Lempka, zwei ehemaligen Bankern alter Schule. Noch verwegener klingt es, eine Bank zu gründen. Die Berliner IT-Nerds Jonas Piela und Oliver Lukesch tun es dennoch – und wollen mit einem neuen Girokonto alltägliche Geldgeschäfte revolutionieren. Und geradezu abwegig erscheint es, wenn ein Versandhaus versucht, Verbrauchern das Bezahlen im Supermarkt zu erleichtern. Die Hamburger Otto-Gruppe kümmert das nicht, denn sie ermöglicht den Kunden der Ladenkette Rewe, an der Kasse per Smartphone zu zahlen. Ungewöhnliche Geschäftsideen wie diese stehen für einen Zoo von Innovationen, die den gewohnten Umgang mit Geld und Finanzprodukten umkrempeln und radikal vereinfachen. Ob Bernegger, Piela oder Otto, bei aller Exotik und Unterschiedlichkeit haben die Neuerer eines gemeinsam: Sie stammen in den seltensten Fällen aus den Strategieabteilungen der klassischen Kreditinstitute. Sie kommen von außen und lehren der behäbigen Geldbranche das Aufwachen. Schwergewichtige Internet-Riesen und Handelskonzerne nutzen ihre Millionen Kunden, um eigene Finanzdienste breit aufzuziehen. Kleine Startups ersinnen Nadelstiche, die dem klassischen Bankgewerbe nicht sofort, aber möglicherweise in ein paar Jahren wertvolle Einnahmequellen

werk Ayondo ermöglicht Hobby-Tradern, die Handelsstrategien von Profihändlern zu kopieren. Und der Datendienst Stock Pulse prognostiziert die Entwicklung von Aktienkursen, indem er einschlägige Meldungen in Nachrichtenportalen oder sozialen Netzwerken wie Twitter analysiert.

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Unternehmen&Märkte

» Und das ist nach Meinung von Experten

nur der Anfang. „PayPal etwa könnte jederzeit weitere Finanzdienstleistungen neben dem Bezahlen im Internet anbieten und seinen Kunden Giro- und Einlagenkonten zur Verfügung stellen“, sagt Finanzwissenschaftler Moormann. Auch Facebook könne ohne Weiteres in die Rolle einer Bank schlüpfen. Die Internet-Riesen könnten auf diesem Weg noch mehr über das Konsumverhalten ihrer Nutzer erfahren und dadurch Werbekunden anlocken. „Wir kommen aus dem Internet, wollen unser Geschäftsmodell aber ausweiten“, kündigt Matthias Setzer an, bei PayPal verantwortlich für Firmenkunden in den deutschsprachigen Ländern. „Mobile first“ lautet seine aktuelle Stoßrichtung, auf gut Deutsch: An erster Stelle für das Unternehmen steht das Bezahlen per Handy.

SHOPPEN NACH LADENSCHLUSS Wie das künftig aussehen könnte, testet PayPal gerade im niedersächsischen Oldenburg. In der 160 000-Einwohner-Stadt spicken Ladenbesitzer ihre Waren im Schaufenster neuerdings mit QR-Codes. Wenn Nachtschwärmern oder Frühaufstehern beim Vorbeilaufen ein Ausstellungsstück gefällt, der Laden aber gerade geschlossen hat, scannen sie die SchwarzWeiß-Kästchen per Smartphone. Am nächsten Tag geht die Ware an sie heraus. Gezahlt wird über das PayPal-Konto des Nutzers, das dieser von seinem Hausbankkonto mit Geld auflädt. PayPal kassiert dabei Gebühren von den Händlern. Gegenüber den Geldhäusern, deren Bankkarten dadurch zu nutzlosem Ballast im Portemonnaie degradiert werden, gibt sich der Angreifer konziliant. „PayPal ist kein Bankenkiller“, sagt Manager Setzer. Vielmehr setze PayPal auf Zusammenarbeit mit den Banken.

Das scheint ziemlich schöngefärbt. So wickelt die Deutsche Bank zum Beispiel Bezahlungen für den PayPal-Ableger Billsafe ab. Dabei übernimmt der Zahldienst für die Händler das Risiko von Ausfällen und schützt die Kunden vor Fehllieferungen. Während PayPal die Gebühren von den Firmenkunden einsammelt, muss sich Deutschlands größte Bank mit den Krümeln der Abwicklung zufriedengeben. Auch der Versandriese Otto könnte den Instituten Kundenkontakte und Einnahmequellen wegschnappen, wenn er wie geplant die Bankkarte künftig durch das Smartphone ersetzt. Der neue Bezahldienst namens Yapital soll ausdrücklich auch den Einkauf im stationären Handel erleichtern. Die Finanztochter des Versandriesen kassiert dabei von den teilnehmenden Läden einen Prozentbetrag von jedem Einkauf, der per Yapital bezahlt wurde (siehe Interview Seite 58). Dass die herkömmlichen Geldhäuser bei digitalen Innovationen nicht notgedrungen abseits stehen müssen, zeigt die alterwürdige Commonwealth Bank, die ihre Dienstleistungen auf dem australischen Kontinent anbietet. Das Institut aus Sydney ermöglicht seinen Kunden schon heute mit einer Smartphone-App direkte Überweisungen an deren Facebook-Freunde, auch wenn die Empfänger ihr Konto bei fremden Instituten haben. Der allergrößte Teil solcher Innovationen im Finanzsektor kommt derzeit jedoch von Nichtbanken. Die Konzepte der Newcomer sind ebenso vielseitig wie überraschend. Sie finden treffsicher die Lücken im Angebot, die die Banken bisher nicht oder nur in seltenen Fällen füllen. Zu diesem Zweck haben der Schweizer Marc Bernegger und seine beiden Kompagnons 2009 die Beteiligungsgesellschaft Next Generation Finance Invest gegründet.

Mit der investieren sie – als einzige weltweit – ausschließlich in aufstrebende Unternehmen, die den Markt für Finanzdienste revolutionieren wollen. Bernegger kann wunderbar über die großen Banken schimpfen, was ihn aber nicht daran hinderte, die beiden Ex-Banker Lempka und Winkler, früher bei ABN Amro und Goldman Sachs, als Manager zu holen. „In der Finanzbranche hat sich seit Einführung von Geldautomaten und Online-Banking nicht viel getan“, kritisiert der 34-jährige Internet-Unternehmer. „Wir wollen Geldgeschäfte einfacher und unbürokratischer machen, viele Banken haben kein Interesse an schlanken Prozessen.“

HANDELN WIE DIE PROFIS Das Investoren-Trio hat ein Portfolio aus Finanzdienstleistern zusammengekauft, deren Geschäftsmodelle sich gegenseitig ergänzen. Im Zentrum steht die Handelsplattform Gekko Global Markets, über die Kunden online oder mobil Wertpapiere kaufen können. Jede Transaktion kostet nur wenige Basispunkte ihres Volumens, Fixgebühren, wie bei anderen Brokern oder den von Banken bereitgestellten Depotdiensten üblich, entfallen. Gekko, dessen Name Assoziationen an den Börsenhai im Kinokultfilm „Wall Street“ weckt, soll den anderen Firmen im Portfolio ermöglichen, sich komplett vom bestehenden Bankensystem abzukoppeln. Die Kunden sparen sich dadurch fixe Transaktionsgebühren an die Banken, Gekko verlangt nur einen Anteil an der Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis des jeweiligen Papiers. Über Ayondo können Anleger beobachten, wie andere Hobby-Trader oder Profihändler investieren, um erfolgreiche Strategien nachzuahmen. Die Software macht es möglich, das eigene Depot an das eines Profis anzukoppeln. Der Nutzer kauft und

Smartphone statt Portemonnaie

Die beliebtesten Zahlungsinstrumente je Situation (in Prozent)* InternetSonstige** Zahldienst 12,5 Bankkarte 6,3 34,0 Im OnlineÜber- 22,6 Shop weisung

Kreditkarte 10,4

Bargeld

33,8

0,7 Sonstige**

Kreditkarte

0,2 Sonstige** Bankkarte 15,1

Beim Tanken 55,1

24,6

1,4 Sonstige**

Bankkarte

Bankkarte

30,3

Kreditkarte 15,9

Im Supermarkt 68,3 Bargeld

Im Restaurant 68,8 Bargeld

* repräsentative Umfrage 2011; ** wie Geldkarte oder Mobiltelefon; Quelle: Bundesbank

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Nr. 47 18.11.2013 WirtschaftsWoche

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FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE

Einfallstor Internet

Jonas Piela (Mitte) will ein Girokonto namens Avuba anbieten, das fairer und komfortabler sein soll als bei der Bank. Piela ist das Gegenteil eines Bilder-

buchbankers, trägt Jeans statt Nadelstreifen, fährt U-Bahn statt Limousine und gründete schon im Studium sein erstes Unternehmen. Unterstützung beim

Projekt Avuba bekommt er von seinen Mitstreitern Oliver Lukesch (links) und Wilken Bruns, die sich um Software und Finanzierung kümmern.

verkauft dann automatisch, wenn der Signalgeber es auch tut. Jeder muss sich an bestimmte Regeln halten. Das soll zu aggressive Handelsaktivitäten verhindern. Ayondo verlangt Transaktionsgebühren. Die Next-Generation-Finance-Firma Stock Pulse schließlich prognostiziert Kursentwicklungen. Die Gründer haben während ihres Studiums versucht, die Oscar-Verleihung aus Twitter-Meldungen vorherzusagen, und wunderten sich über die Treffsicherheit der von ihnen programmierten Software. Geld verdienen konnten sie damit allerdings nicht. Einer ihrer Professoren riet ihnen deshalb, es mit der Vorhersage von Aktienkursen zu versuchen. Stock Pulse liefert seinen Nutzern nun eine Analyse der Marktstimmung auf Basis der in sozialen Netzwerken veröffentlichten Nachrichten. Das Unternehmen verdient an den Gebühren, die seine Nutzer für die Daten zahlen. Dienste wie diese mögen auf den ersten Blick wie Spielereien wirken. Doch bei den Beschäftigten des Bankgewerbes wächst die Verunsicherung. „Ich beobachte das mit wachsender Sorge, weil viele Bankvorstände und Unternehmensberater Digital-

banking und die Beratung in der Filiale für einen Gegensatz halten“, sagt Mark Roach, bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für die Arbeitnehmer im Bankgewerbe zuständig. „Ich bin überzeugt, dass der Kunde beides will, qualifizierte Beratung und mobilen Zugang zu Bankprodukten.“

neue Standorte eröffnet und will 2014 zwölf weitere Filialen aufmachen. Alle stehen auch Kunden offen, die über das Internet den Kontakt zur Bank geknüpft haben. Wer also ein Online-Depot besitzt, kann sich trotzdem in der Filiale über Anlagemöglichkeiten beraten lassen oder am Schalter Geld aufs Online-Konto einzahlen. Die Herausforderer der herkömmlichen Kreditinstitute aus Internet, Handel oder Startup-Szene erfinden das Bankengeschäft nicht unbedingt neu. Viele knüpfen an die von den Banken bereitgestellte Infrastruktur wie Girokonten und Online-Banking an und stempeln die Kreditinstitute dadurch zum ausführenden Organ, das die Verbindung zum Verbraucher verliert. „Der Konsument nimmt dann die Dienstleistung der Bank nicht mehr bewusst wahr“, sagt Gero Freudenstein, Bankenexperte bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group in München. Wie es dazu kommen kann, zeigt der Überweisungsdienst Sofort AG. Das 2005 gegründete Münchner Unternehmen führte vor, wie schnell auch im Finanzgewerbe eine Garagenfirma wachsen kann. „2013 wird unser Umsatz um rund 35 Prozent »

WirtschaftsWoche 18.11.2013 Nr. 47

ANKER ZUM KUNDEN WACKELT Vor allem die drohende Entfremdung der Kunden von den Banken und deren Dienstleistungen stimmt die Geldbranche nachdenklich. „Wenn PayPal oder Google immer größere Teile des Zahlungsverkehrs abwickeln, kann für Banken ein wichtiger Anknüpfungspunkt an die Kunden wegfallen“, sagt Berthold Rüsing, Vertriebsvorstand bei der Targobank in Düsseldorf. Das Girokonto bilde die Basis der Beziehung zum Privatkunden und sei ein wichtiger Anker, um Einlagen einzuwerben. „Banken müssen daher die Trennung zwischen Digitalbanking und dem traditionellen Filialgeschäft aufheben“, sagt Rüsing. Für die Targobank bedeutet Modernisierung daher nicht die Schließung von Filialen, wie beim Rest der Branche. Im Gegenteil, das Institut hat in diesem Jahr acht

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Unternehmen&Märkte

» auf knapp 20 Millionen Euro steigen“,

konto für knapp sieben Euro monatlich an, das darüber hinaus nichts kosten soll. „Bei einer alltäglichen Dienstleistung wie dem Konto wollen sich die Nutzer nicht den Kopf über das Kleingedruckte zerbrechen“, sagt Piela.

Direkte Überweisungen Gerrit Seidel (rechts) leitet die Sofort AG in München, die Online-Shoppern das Überweisen erleichtert. Quereinsteiger Jens Lütcke, Ex-Anwalt, ist für Finanzen und IT verantwortlich. Eigentümer ist die süddeutsche Unternehmerfamilie Reimann.

Noch längst nicht so weit sind die Berliner Alternativbanker Jonas Piela und seine Partner Oliver Lukesch und Wilken Bruns mit ihrer Geschäftsidee. Der 27-Jährige Piela hat sich nichts Geringeres vorgenommen, als die alltäglichen bargeldlosen Transaktionen extrem zu vereinfachen. Dazu bietet das Startup Avuba ein Giro-

INTERVIEW Jürgen Schulte-Laggenbeck

»Schweizer Taschenmesser« Der Otto-Finanzvorstand glaubt, dass sich das Bezahlen via Handy durchsetzt, die Tochter Yapital soll davon profitieren. Herr Schulte-Laggenbeck, wann haben Sie zuletzt mit Ihrem Handy bezahlt? Am Wochenende – beim Einkauf im Supermarkt. Es gibt mittlerweile mehrere Rewe-Testmärkte, in denen ich mit Yapital bezahlen kann. An der Kasse wird ein sogenannter QR-Code angezeigt, den ich mit dem Smartphone einscanne. Anschließend bestätige ich die Zahlung. Fertig. Es ist eine Freude, das zu erleben. Das sagen Sie. Ich kann bar, mit ECoder Kreditkarte zahlen oder auf Rechnung ordern. Warum soll ich noch mehr Technik-Schnickschnack einsetzen? Vor ein paar Jahren konnte sich auch niemand vorstellen, dass er einen Tablet-Computer nutzen würde. Heute sind

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solche Geräte nicht mehr wegzudenken. Das Gleiche steht uns beim Bezahlen mit dem Smartphone bevor. Ich bin mir sicher, dass das Mobile Payment kommen wird. Der Einsatz ist extrem bequem, das wird sich durchsetzen. DER KASSENWART Schulte-Laggenbeck, 48, ist seit 2005 Finanzvorstand des Otto-Konzerns in Hamburg. Zuvor arbeitete er beim Baumarktbetreiber Obi und bei der Unternehmensberatung McKinsey.

HILFE VON DER INTERNET-BANK Die Berliner Gründer reagieren damit auf die versteckten Gebühren vieler Anbieter vermeintlich kostenloser Girokonten, etwa wenn die Kunden monatliche Mindesteingänge unterschreiten und mit ihrer Bankkarte bei fremden Geldautomaten oder im Ausland abheben. Das alles soll es bei Avuba ohne zusätzliche Gebühren geben. Bis dahin wird es vermutlich noch etwa ein Jahr dauern. Noch testen Piela und sein Team das Angebot an 30 Testkunden, wobei allerdings schon einige Tausend Interessenten auf der Online-Warteliste stünden. Ohne Bankexpertise geht es aber auch bei Avuba nicht. Das Unternehmen lässt seine Zahlungen über die net-m Privatbank 1891 in Düsseldorf abwickeln. Die allerdings hat außer der Banklizenz nicht mehr viel mit einem klassischen Kreditinstitut gemein, sondern konzentriert sich ganz auf Dienstleistungen für innovative Finanzdienste wie Avuba, Onlinehändler oder Mobilfunkfirmen.

Dazu müssen aber die Händler mitspielen. Gibt es da überhaupt Interesse? Das geht jetzt richtig los. Der Schuhhändler Görtz, das Modeunternehmen H.I.S., die Novum Hotels und Sportscheck, ein Unternehmen der Otto Group, akzeptieren Yapital bereits. Beim Online-Marktplatz Rakuten ist die Integration geplant, und bei Rewe werden Sie Anfang kommenden Jahres in allen Filialen mit dem Handy bezahlen können. Selbstverständlich werden auch alle deutschen Handelsunternehmen der Otto Group sukzessive angedockt. Mit weiteren externen Partnern verhandelt Yapital. Kommen Sie nicht zu spät mit dem Angebot? Die Ebay-Tochter PayPal bietet seit Jahren Bezahllösungen im Netz an. Keine Frage, PayPal ist im Online-Handel sicherlich gut aufgestellt. Aber ich bin überzeugt, dass unser Ansatz auf Dauer deutlich attraktiver ist – sowohl für die Kunden als auch für die Partner. Yapital ist aus unserer Sicht eine Art Schweizer Taschenmesser unter den Bezahldienstleistern. Sie können als Kunde

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FOTO: WOLF HEIDER-SAWALL FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; OTTO-PRESSEBILD

sagt Vorstandschef Gerrit Seidel. Die Sofort AG erleichtert Einkäufe im Internet, indem sie Kunden von den virtuellen Ladenkassen der Web-Shops aus direkt zu deren privatem Online-Banking durchschleust. Dadurch entfallen lästige Eingaben von Bankverbindung, Zahlbetrag und Kundennummern, was sich bei der Einführung der längeren IBAN-Kontodaten im Februar 2014 als besonders komfortabel erweisen dürfte. Die 25 000 angeschlossenen Internethändler, zu denen auch Online-Shops der Deutschen Post, Deutschen Bahn, Lufthansa oder des Elektronikhändlers Conrad gehören, können sofort erkennen, ob der Kunde die Überweisung tatsächlich beauftragt hat. Sodann können sie die bestellte Ware ruhigen Gewissens versenden. Die Sofort AG verdient an den Gebühren, die Online-Händler pro Internet-Einkauf zahlen: unter einem Prozent vom Umsatz. Einige Banken haben zunächst die Zusammenarbeit mit der Sofort AG verweigert und ihr Online-Banking für den Überweisungsdienst gesperrt. Mit einer Beschwerde beim Bundeskartellamt haben die Münchner sich dagegen jedoch erfolgreich zur Wehr gesetzt. Ende 2013 wird die Sofort AG europaweit 26 Millionen Transaktionen mit einem Bezahlvolumen von 2,4 Milliarden Euro abgewickelt haben.

Die net-m Privatbank gehört dem japanischen Mobilfunkriesen NTT Docomo und zählt zu ihren Kunden auch das Unternehmen Sumup. Die von London aus operierende Firma erleichtert deutschen Gastwirten, Friseuren oder Fahrradkurieren den Zahlungsverkehr. Dazu stellt Sumup ihnen ein streichholzschachtelgroßes Gerät zur Verfügung, welches sie in den Lautsprechereingang ihres Smartphones oder Tablet-Computers stecken. Die Kunden unterschreiben die Rechnung dann einfach auf dem Display, das der Verkäufer ihnen entgegenhält. Sumup macht die teuren Kartenterminals überflüssig, die Banken ihren Geschäftskunden in die Läden stellen. Kleinunternehmer können sich diese wegen der langen Vertragslaufzeiten und hohen Grundgebühren nicht leisten, bei Sumup zahlen sie nur für die tatsächlich ausgeführten Transaktionen. Bei vielen amerikanischen Konsumenten hat sich das Smartphone dank PayPal schon fest als Zahlungsmittel etabliert. Teuerster Mobilkauf war ein James-BondSportwagen Marke Aston Martin für 300 000 Dollar, gehandelt über den OnlineMarktplatz der Mutter Ebay. Diese prestigeträchtige Transaktion hätte sicher auch n jede Bank gern abgewickelt. mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt

damit über Ihr Handy sowohl bei stationären Händlern bezahlen als auch bei Online-Versendern. Nutzer können untereinander Geld transferieren. Und Yapital wird zu einem Tool ausgebaut, mit dem aus jeder Werbe- auch gleich eine Vertriebsplattform wird. Was muss man sich darunter vorstellen? Sie sehen zum Beispiel eine Werbung für einen Kaminofen. Den QR-Code neben der Anzeige können Sie mit Ihrem Handy einscannen, den Kaminofen mit wenigen Klicks bestellen und bezahlen. Es geht also um viel mehr als um den reinen Bezahlvorgang. Das klingt so, als wollen Sie Banken und Kreditkartenunternehmen das Geschäft streitig machen. Nicht unbedingt. Yapital bietet vor allem Dienstleistungen an, die die klassischen Finanzinstitute so gar nicht abdecken. Aber langfristig wird sich das Bankgeschäft durch solche neuen Angebote sicherlich verändern. henryk.hielscher@wiwo.de

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