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LIFE SAVERS

Seit 1935 gibt es sie nun schon. Sie kommen in einer großen Vielfalt und überaus bunt daher, sind total erfrischend und für den puren Genuss bestimmt: Die Fab Five des US-amerikanischen Süßwarenherstellers Life Savers. Damals wurden die ursprünglichen Sorten des heute noch berühmten Lutschbonbons mit dem Loch in der Mitte – Limette, Limone und Orange – erstmalig mit den neuen Sorten Kirsche und Ananas zusammengebracht. Fortan sollte dieses Quintett in die Geschichte der Zuckerleckereien eingehen – als Five Flavor Life Savers Lutschbonbon-Rolle.

Kaum mehr als 80 Jahre später sollte etwas Ähnliches in der Orchesterlandschaft Deutsch lands geschehen. Hier wurde auf ganz eigene Art und Weise das bestehende, längst etablierte, aber bei weitem nicht überall ausreichende Subventionssystem der deutschen Orchester auf Länder- und kommunaler Ebene um ein großzügiges und großflächig angelegtes Zusatzförderungsprojekt erweitert, bei deren Kreation bunte Vielfalt, Erfrischung und Genuss Pate standen.

Die Initiative „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“ soll Orchestern die Chance eröffnen, innovative und beispielhafte Projektideen zu verwirklichen. Ziel ist – laut einer Pressemeldung der Staatsministerin für Kultur und Medien – der Erhalt der weltweit einmaligen künstlerischen Vielfalt der deutschen Orchesterlandschaft. Ziel ist aber ohne Frage auch die Deckung der Finanzierungslücken, die in vielen Haushalten der Orchester hierzulande klaffen. Nicht zu Unrecht fordert die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) in einem Positionspapier vom 13. April 2018, den Bund bei der finanziellen Ausstattung der Orchester in Deutschland mehr und konsequenter in die Pflicht zu nehmen.

Das Papier des DOV lobt die Exzellenz-Initiative des Bundes, fordert aber dabei zugleich, dass solche Impulse langfristig verstetigt und weiter ausgebaut werden. Denn was genau macht die Initiative? Sie fördert insgesamt 31 innovative Projekte bei 29 öffentlich finanzierten Orchestern, die in den kommenden drei Jahren umgesetzt werden können. Sie werden aus dem Haushalt der Kulturstaatsministerin mit insgesamt rund 11,1 Millionen Euro unterstützt. Viele Projektideen beschäftigen sich mit den Perspektiven der Musikvermittlung, den Möglichkeiten neuer Medien und der Digitalisierung sowie einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit.

„Der Bund will die geförderten Orchester darin bestärken, auf ständig wachsende, auch internationale Herausforderungen zu reagieren und ihre künstlerische Qualität und Ausstrahlung weiter zu entwickeln, um dann langfristig Exzellentes zu leisten. […] Vielen Orchestern fehlen wegen der angespannten Kommunalhaushalte Spielraum und Ressourcen, neue Wege einzuschlagen und sich wichtigen Zukunftsfragen der Gesellschaft und der Entwicklung der Musikkultur zu stellen“, so Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Das Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“ wurde vom Deutschen Bundestag beschlossen und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Auf die Ausschreibung der Projektförderungen hatten sich, vermutlich auch aufgrund der Kurzfristigkeit der Maßnahme und einer nur 6-wöchigen Ausschreibungsfrist, nur 49 Orchester von insgesamt 129 Berufsorchestern in Deutschland beworben. Eine etwas dünn besetzte Jury entschied dann kurzerhand über die Auswahl der Projekte und die Verteilung der Gelder.

AUS SECHS MACH NEUNUNDZWANZIG

Alles an dieser Initiative wirkt etwas improvisiert. Und das aus einem guten Grund: Der großflächigen Ausschreibung war ein ungewöhnlich elitärer, zur Exzellenz-Idee aber irgendwie passender Prozess vorausgegangen. Wie das Online- Magazin VAN umfassend recherchiert und dargelegt hat (van.atavist.com/exzellenteorchesterlandschaft), geht die gesamtdeutsche Initiative auf einen Vorstoß derHamburger Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU) zurück, die die Situation eines recht entspannten Bundeshaushaltes dazu nutzen wollten, sechs Orchestern mittlerer Größe mit 60-90 Musiker*innen, die keine direkten Landesorchester sind und nicht zu den großen Playern zählen, etwas Gutes zu tun. Dem ist zunächst nichts Verwerfliches anzuheften.

Wenn man allerdings die recht ungewöhnlich umfassende Dimension einer außerordentlichen Förderung von 900.000 Euro pro Jahr und Orchester über die Laufzeit von fünf Jahren betrachtet – insgesamt reden wir also von einer Summe von 4,5 Mio. Euro pro Jahr und 27 Mio. über die gesamte Laufzeit –, dann muss man auch nachvollziehen, dass die Kulturstaatsministerin „not amused“ war, als sie erfuhr, dass dieses Maßnahmenpaket ohne ihr Dazutun und quasi vom Haushaltsausschuss des Bundestags an ihrem Schreibtisch – und denen vieler Orchesterintendanten in Deutschland – vorbei entschieden wurde.

Kurzerhand durften die sechs zuvor ausgewählten Orchester etwas um ihre Sonderförderung zittern, dann hatte das Warten ein Ende: Das für die Initiative vom Haushaltsausschuss bereitgestellte Geld wurde für alle Orchester in einer offiziellen, wenngleich nicht sonderlich präsenten Ausschreibung zugänglich gemacht. Die Höchstfördersumme war nun um die Hälfte auf 450.000 Euro reduziert, das Programm wurde auf eine Laufzeit von drei Jahren verkürzt bei einer optionalen Verlängerung um zwei Jahre nach Evaluation.

ZEIT FÜR VERLÄNGERUNG

Im Sommer gehen die Orchester mit ihren Projekten in das dritte und vorerst letzte Förderjahr. Höchste Zeit, einmal zu schauen, was aus dem Geld eigentlich geworden ist. Und hier sind die Ergebnisse überaus unterschiedlich. Der Großteil der Orchester ist sichtlich stolz auf die Teilhabe an der Initiative.

Sie untermauern das mit ausladenden Darstellungen und Projekt-Präsentationen auf ihrer Homepage. Bei einigen wiederum reicht die Abbildung des Logos der Staatsministerin für Kultur und Medien bei den dem Projekt zu dankenden Konzertformaten. Bei einigen wenigen fehlt der Bezug zur „Exzellenten Orchesterlandschaft Deutschlands“ nahezu ganz. Doch schauen wir ruhig mal etwas genauer hin ...

Drei etwas willkürlich ausgewählte Beispiele für unterschiedlich geartete und gelungene Umsetzungen der Idee seien hier ausführlicher vorgestellt: die Projekte der Jenaer Philharmonie, des Jewish Chambre Orchestra München und – last, but noch least – der Symphoniker Hamburg als ursprüngliche Ideen-Geber der Exzellenz-Initiative.

JENAER PHILHARMONIE

In Jena wurde das Projekt so ernst genommen, dass man gleich zwei Stellen dafür geschaffen hat – eine Projektkoordination und eine künstlerische Leitung. Diese entwickeln unter der Dachmarke „Exzellente Zukunft“ im Programm „Perspektiven/Passagen“ neue Formate, Ideen und Zugänge für das Publikum von morgen: „Neue Perspektiven können neue Konzertorte, Programmabläufe oder auch Programmgestaltungen sein, Crossover- Projekte, moderierte Konzerte für die ganze Familie, Workshops zu scheinbar weit entfernten Themen, alles ist möglich.“ Das umfassende Internetangebot stellt dem Leser viele Fragen, gibt aber an eben jener Stelle wenig Antworten. Diese wird man hoffentlich an einem der Thementage im Volkshaus finden, an denen das Konzerthaus den ganzen Tag über geöffnet und bespielt wird und die Besucher*innen die Möglichkeit haben, einem Gastkünstler zu begegnen und ihn auf unterschiedlichste Weise näher kennenzulernen. Zudem wird der Konzertkalender in der Förderinitiative mit besonderen Konzerten ergänzt.

SYMPHONIKER HAMBURG

Intendant Daniel Kühnel und die Musiker*innen der Symphoniker Hamburg leben den Gedanken der Exzellenz-Initiative nicht erst seit Beginn des Förderprogramms. Von jeher steht der Name Kühnel für ausgefallene Programme mit hochmotivierten Musikern unter namhaften und international anerkannten (Chef-)Dirigenten. Und so stammt die Idee der Exzellenz-Initiative vor allem auch aus Hamburg – und das eben nicht nur aus der guten Verbindung des Intendanten zu dem besagten Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse, sondern allem voran aus seiner tiefsten Überzeugung. Die Symphoniker Hamburg fühlen sich als „denkendes Orchester“ dem Dreiklang aus „Neu-Eröffnen“, „Beschützen“ und „Forschen“ verpflichtet. Das Programm der Symphoniker Hamburg besteht aus fünf aufeinander aufbauenden Modulen: „RoomINg“ verbindet Musiker*innen und Zuhörer*innen über das gemeinsame ästhetische Erleben von ausgefallenen Programmen. Mehrsprachige Angebote in Programmheften oder Einführungen sprechen dabei auch fremdsprachige Communities in Hamburg an. Die „Orchesterakademie“ hat sich der umfassenden Förderung von Nachwuchsmusikern verschrieben, das „MovINg Orchestra“ bringt den Klangkörper zu den Menschen vor allem in Problembezirken und Randgebieten der Stadt. Im Orbit des „Orchester-Feuilletons“ gibt es Raum für viele Gedanken und deren Äußerungen – zum Beispiel in der deutschlandweit erhältlichen, höchst philosophischen Zeitschrift „Sym,“. Das „Symphonic Orchestra 3.0“ schließlich erweitert auf der Basis aller zuvor beschriebenen Elemente den musikalisierten öffentlichen Raum in die virtuelle Welt, entwickelt innovative digitale Aufführungskonzepte und Vermittlungsformen von Musik und Konzert.

JEWISH CHAMBRE ORCHESTRA MÜNCHEN

Das Jewish Chambre Orchestra München hat sich ganz etwas Besonderes ausgedacht und eine Opernschule ins Leben gerufen, in der rund 100 Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 18 Jahren zusammen mit Profis eine Neuinszenierung von Benjamin Brittens Oper „Noahs Flut“ erarbeiten. Dafür bekommen sie Unterrichtsstunden für Gesang und Instrumente und nehmen an speziellen Workshops teil. Ende des Jahres wird die dann fertig inszenierte Oper in München und Umgebung mehrmals aufgeführt. Wer nicht auf der Bühne stehen will, kann sich in einem der vielen Bereiche hinter den Kulissen einbringen. Gefragt sind Helfer für Regie, Bühnenbild, Kostüm und Maske, Licht, Dramaturgie sowie natürlich Social Media und PR. Das Beste an der ganzen Sache? Wer nicht allein kommen will, der darf seine Eltern mitbringen.

Trotz aller Anlaufschwierigkeiten wird man den Eindruck nicht los, dass hier Gelder einem sehr guten und sinnvollen Zweck zugeführt werden. Aber wie geht es nun weiter? Aus dem Bundesministerium ist folgendes zu vernehmen: „Das Förderprogramm ‚Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland‘ war zunächst für drei Jahre ausgeschrieben. Die Bundesregierung bereitet für den Herbst 2019 eine erneute Ausschreibung des Programms ab der Konzertsaison 2020/21 wiederum über drei Spielzeiten vor.“ Auch eine Dokumentation der Ergebnisse soll es geben: „Es ist eine Form der öffentlichen Auswertung der sehr heterogenen Projekte der ersten Runde im Rahmen einer Veranstaltung vorgesehen, weil der Mehrwert an Erfahrungen und Ideen auch Verbreitung finden soll.“ Über das genaue Format dafür sei aber noch nicht entschieden. Bei aller Freude über den Geldsegen für Deutschlands Orchester bleibt zuletzt der trübe Beigeschmack einer mangelnden Stringenz. Plötzlich ist von der möglichen Verlängerung um zwei Jahre nicht mehr die Rede. Stattdessen gibt es eine Neu- Ausschreibung – wenn auch nicht unbedingt für die bereits ins Programm aufgenommenen Orchester. Da kommen zwangsläufig Fragen auf: Wie nachhaltig ist eine kurzfristige Förderung über drei Jahre? Darf man sich mit demselben Projekt noch einmal bewerben? Haben nachweisliche Erfolge Auswirkungen auf eine Wiederwahl? Wer entscheidet? Auf welcher Basis?

So wird das zu Beginn bemühte USamerikanische Lutschbonbon in seiner Erscheinungsform zum bedeutungsbeladenen Sinnbild der gesamten Initiative: Es bietet süßen Genuss bei großer Diversität, scheint eine runde Sache, ist dabei aber vergänglich – und zeigt von vornherein ein großes Loch, das solange in ihm klafft, bis alles in Gänze verschwunden ist. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Initiative auf Dauer nicht auslutscht, sondern sich schnell von diesem hier definierten Sinnbild löst und recht bald zu einem sich immer wieder erneuernden Quell ungebremster Kreativität entwickelt.

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