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„Die Malerei
ist nicht nur reine Malerei, sondern für mich wie ein Tanz um die Leinwand.
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Im Meerraum-Interview mit Christian Awe, präsentiert von der Kunsthalle Kühlungsborn
Sommer ´22 in Berlin und wahrlich kein Moment, um noch über eine Jacke nachzudenken. An diesem Tag sind wir zum Glück direkt an der kühlenden Spree, unweit der Rummelsburger Bucht. Im Atelier von Christian Awe sprechen wir über seine kommende Ausstellung WasserFarbe in der Kunsthalle Kühlungsborn. Auf Einladung von Franz N. Kröger sind bis zum 28.8. vom Wasser inspirierte Bilder der letzten 20 Jahre zu sehen. „Bei mir ist es so: Wehe, wenn sich die Kreativität frei entfalten darf“, sagt Christian Awe und schmunzelt dabei. Für die Konzeption der Schau hatte er freie Hand, und wenn alles klappt, ist für die Kühlungsborner noch eine künstlerische Überraschung vorgesehen.
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Sie leben und arbeiten in Berlin. Warum muss man trotzdem manchmal an die Mecklenburger Ostseeküste fahren? Natürlich, Berlin ist meine Heimat und Ort der Inspiration. Und wie das immer ist in so einer Stadt, manchmal sind es auch zu viele Eindrücke. Schon seit Jahrhunderten fahren die Menschen gerne an die Ostsee, und so auch die Berliner. Der Blick in die Weite ist mir besonders wichtig, deshalb klettere ich teilweise auf die Hausdächer. Das Meer wie auch die Berge haben für mich sehr spirituelle Einflüsse, eine sehr reinigende Wirkung. Einfach mal den Kopf ausschalten und nur sein ist wichtig, und auch als Künstler glaube ich ganz entscheidend. Wir Deutschen sind ja oftmals viel zu verkopft, und hier das Gefühl zuzulassen beginnt meiner Einschätzung nach mit der Liebe zur Natur. Da bietet sich die Ostsee wunderbar an. Es gibt Serien zum Thema „Wasser“ und z. B. die Ausstellung „I, Sea“ oder „vitamin sea“, außerdem „The Sea & the Lighthouses“ in Spanien. Sind solche Bilder auch von realen Meeresschauplätzen inspiriert? Ja, absolut. Das Meer ist für mich Inspiration und sieht immer unterschiedlich aus je nachdem, wo auf der Welt man ist. Wie hat sich die Ausstellungsidee für die Kunsthalle Kühlungsborn entwickelt? Die Idee hat sich über die Zeit noch verändert. Die Anfrage kam recht kurzfristig, ich habe mir dann die Kunsthalle angeschaut und Franz hat mir freie Hand gelassen, was für einen Künstler immer toll ist. Im nächsten Schritt habe ich überlegt, was ich hier spannend fände. Diese klare Raumstruktur, Linienführung und die unmittelbare Nähe zum Wasser machen die Kunsthalle zu einem tollen Ort, um die Serie meiner Wasserbilder als Retrospektive zu zeigen. Schließlich war der Gedanke wichtig: Was kann man noch Besonderes machen, um Leute auch zum Verweilen einzuladen, die Besucher zum Träumen und Inspirieren zu bringen? So entstand die Idee mit dem sechs mal acht Meter großen Wandbild für Kühlungsborn, in das man wie in ein überlebensgroßes Panorama hineinschaut. Insofern fließt ein Stück KühlungsbornFeeling, Licht & Salzgeschmack mit in diese Arbeit ein?
Auf jeden Fall. Dieses Wandbild werde ich direkt in Kühlungsborn kreieren. Und vorher werde ich einmal ins Wasser springen, Fisch essen und im wahrsten Sinne des Wortes in die Umgebung eintauchen. Ist das eher ungewöhnlich oder kommt das an einem Ausstellungsort immer mal wieder vor? Es ist etwas Besonderes, dass ein Wandbild in einer Ausstellung entsteht. Es gibt immer mal wieder Mal-Performances und Aktionen zusammen mit Tänzern oder Musikern, weil ich dieses Genreübergreifende unheimlich spannend finde. Für mich ist die Malerei nicht nur reine Malerei, sondern wie ein Tanz um die Leinwand. Auch meine Bilder sind von Musik und Rhythmus inspiriert. Ich habe mit vielen Tänzern und Musikern zusammengearbeitet, habe z. B. an der Royal Academy of Music in London zusammen mit einer Pianospielerin performt. Aber Kühlungsborn wird auf jeden Fall ein Highlight. Ich bin ja u. a. bekannt für meine großen Wandarbeiten draußen im öffentlichen Raum und habe
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Zur Ihrer künstlerischen Herkunft gehört auch Graffiti. Welche prägenden Erfahrungen, Schlüsselmomente gab es dabei für Sie? Ich habe in meiner Jugend mit Graffiti angefangen. Viele setzen ja Graffiti nur mit Vandalismus gleich, aber dahinter gibt es eine viel größere Kultur. Graffiti, Stylewriting und auch der soziale
Zusammenhalt: Ich hinterlasse eine Spur, ich hinterlasse meinen Fingerabdruck in einer Stadt und mache gemeinsam mit anderen Aktionen. Das war für mich der Weg in die Kunst. Heute bezeichne ich meine Arbeiten im öffentlichen Raum als Kunst im urbanen Kontext oder Kunst der Straße. Wir haben alle nur eine begrenzte Zeit auf dieser Welt, und ich würde gerne so viel wie
spirituell und sich dieser Tradition bewusst zu sein, das führt zu einem sehr interessanten Spannungsfeld. Ich kann nur jedem empfehlen, sich wirklich mal drei Wochen Zeit zu nehmen und Japan zu bereisen. Wie haben die Ausstellungsbesucher dort auf Ihre Arbeiten reagiert? Das Spannendste in Japan ist, dass die Menschen sich extrem viel Zeit nehmen, Kunst anzuschauen. Bei uns nimmt sich kaum einer mal länger Zeit als vielleicht ein, zwei Minuten pro Bild. Wir sind in unserer Kultur alle das Zappen gewöhnt. Man setzt sich vielleicht im Museum mal auf eine Bank, um sich auszuruhen, aber wie lange guckt man sich wirklich eine Arbeit an? Dort habe ich Leute erlebt, die eine Dreiviertelstunde ein Bild angeschaut hatten, um komplett in dieses Werk einzutauchen. Sie stellten dann Fragen, die hat mir noch niemand gestellt, und das ist spannend. Die intensive Auseinandersetzung und das wirkliche Eintauchen in Kultur ist für Japaner ein hoher Genuss. Ein Zitat von Jörg Mascherrek aus dem „Color and Vibes“-Ausstellungskatalog: „Fast glaubt man, die Explosivität der Farbe förmlich zu hören…“ Ist das eine zulässige, treffende Charakterisierung?
wave theory 2019 . Acryl auf Leinwand 105 x 210 cm
noch letztes Jahr an der Kaimauer der Wolga in Samara ein großes Wandbild fertiggestellt, als man noch nach Russland reisen konnte. Drei Meter hoch und 220 Meter lang, wir hatten ca. 500.000 Besucher zur Eröffnung. Es ist immer toll etwas vor Ort zu kreieren, weil man dann, wie du sagst, die DNA eines Ortes mit einbeziehen kann. Die Ostsee hat immer schon Kreative angezogen, z. B. in Ahrenshoop. Und ich finde es spannend, ein bisschen in diesen Fußstapfen zu wandern. Und noch ein anderer Punkt: Eine Kunsthalle ist ein Ort des Experiments, des Erfahrens und der kulturellen Teilhabe. Darum kam im Gespräch eine klassische Ausstellung auch nicht infrage. Wir wollen etwas anderes machen, die Besucher müssen in den Raum kommen und direkt in eine andere Welt eintauchen. Kunst soll inspirieren, sie hilft beim Menschsein. Kunst & Kultur sind der Kitt, der uns irgendwie zusammenhält.
möglich hinterlassen, was Menschen bereichert. Seit zehn Jahren gibt es ein 500 m² großes Bild von mir an der Frankfurter Allee in Berlin. Ich bekomme manchmal jetzt noch Mails oder Briefe, in denen Menschen mir schreiben, dass es ihren Weg zur Arbeit versüßt. 2019 waren Sie mit einer Ausstellung in Kyoto, Japan, ebenso 2018 und 2016. Welche Eindrücke hat das Land hinterlassen? Japan ist extrem spannend, zum einen weil es in der Kultur so ganz anders und eigen ist und sich so lange abgeschottet hat. Dadurch wuchs es zu einer Hochkultur, die sich von Einflüssen sehr ferngehalten hat. Auf der anderen Seite haben sie viele Tugenden übernommen, die den deutschen sehr ähnlich sind: Präzision, eine unglaubliche Affinität zum Handwerk, Papier, Stoffe, Faltungen oder etwa, wie man ein Schwert herstellt. Und dazu das beste Essen der Welt. Diese tolle Mischung aus hochtechnisiert sein, aber auch
Ja, das ist auf jeden Fall zutreffend. Die Bilder sehen durchaus sehr energetisch aus und auf der anderen Seite teilweise sehr leicht oder schwebend. Und es wirkt so, als ob ich da einmal kurz „rübergesplashed“ hätte. Tatsächlich sind es über einen Zeitraum von zwei bis fünf Wochen gemalte Gesten. Ich spiele schon mit dem Zufall, aber ganz oft ist es eben der kreierte Zufall, man muss das auch zulassen. Es gehört schon ein großes handwerkliches Können dazu, um zum einen Farbe herzustellen, was ich selbst tue bzw. um Farben so zu bändigen, dass sie sich nicht zusammenmischen und alles nur ein lustloses Braun ergibt. Abwarten können, und dann dieses Spiel aus Licht und Schatten, was ich gerade in den Wasserbildern verwende. Dadurch wirken sie dreidimensional, plastisch und fotografisch, aber es ist eben alles händisch gemalt. Raum ist mir dabei ganz wichtig: In meinen Bildern gibt es einen ganz eigenen undefinierten Lichtraum. Wo guckt man eigentlich hinein? Schaut man ins Wasser hinein, ist man unter Wasser oder guckt man vom Himmel hinab? Ganz unterschiedliche Perspektiven, die der Betrachter hier einnehmen kann.
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Letzte Frage: Sind Sie konsequent, wenn Sie feststellen müssen, dass eine Farbe unausstehlich geworden ist? Unausstehliche Farben gibt es grundsätzlich nicht, es gibt natürlich schwierige Farben. Oftmals ist Grün eine solche, weil sie immer sofort
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mit Natur assoziiert wird, wo sie natürlich sehr gut zur Geltung kommt. Aber ein grünes Gesicht ist glaube ich schwierig. Spannend finde ich auch kulturelle Abhängigkeiten und Definitionen. Farben haben ganz unterschiedliche Bedeutungen in der Welt, das ist gar nicht so universell und klar besetzt, wie wir immer denken. Bei uns ist Rot die Farbe der Kraft, der Liebe und Macht, Weiß die Farbe der Unschuld. In einigen asiatischen Kulturen jedoch ist Weiß die Farbe des Todes. Dort gibt es ganz andere Assoziationen. Ich persönlich bin polychrom veranlagt, würde ich sagen. Ich mag es vielfarbig, liebe ein schönes „Awesome Blue“, aber auch ein richtig kraftvolles Purpur oder Karminrot. Da geht mein Herz auf. Bunt wie das Leben und wie die Straße, obwohl bunt grundsätzlich ein schwieriges Wort ist, das in der Kunst nicht gerne benutzt wird. Es gibt natürlich immer wieder persönliche Vorlieben, und jetzt freue ich mich, hier mit der Ausstellung WasserFarbe meiner Vorliebe für Farbe einigen Nachdruck verleihen zu können. Interview: Ricky Laatz Fotos: Tom Richter
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n r o b s e l ung WEITERE l a h ühl VERANSTALTUNGEN t s n K u K AUSSTELLUNG: Die
Der Kunstverein im Ostseebad Kühlungsborn residiert in einer ehemaligen Lesehalle aus der Zeit um 1910 – Jugendstil pur, so wie die ganze Stadt vom Jugendstil geprägt ist.
Ein „Kunst-Tempel“ unmittelbar an der Ostsee gelegen. In seinen Dimensionen ist das Gebäude klar, hell, großzügig und erhaben. Ununterbrochen seit 1991 ist es Kunsthalle und Konzerthaus zugleich. Jährlich finden hier bis zu 10 Ausstellungen und 50 Konzerte in exklusivem Ambiente statt. Das Konzept des Vereins entwickelt sich in der Mischung aus regionalem und internationalem Kunstanspruch. Von Amerika bis Asien, von Skandinavien bis Australien reichen heute die Verbindungen der Kunsthalle, die 2021 ihr 30. Jubiläum feiern konnte. Im denkmalgeschützten Bau z-Meeting Kühlungsborn sowie die Kammermusikreihe. Bei einem Besuch in der Kunsthalle lassen sich Konzerte und Ausstellungen erleben, ebenso kann man Kunst kaufen und an Seminaren und Workshops teilnehmen.
„WasserFarbe“ Christian Awe 9.7.-28.8.22 Farbe ist für Christian Awe Lebensenergie und Passion. Mit einer fast tänzerischen Leichtigkeit und einer malerischen Virtuosität kombiniert er Farben und Formen und schafft poetisch pulsierende Welten aus Kolorit, die immer wieder Neues erspüren lassen. 1978 geboren in Berlin, Absolvent der Universität der Künste (Prof. Georg Baselitz), Meisterschüler bei Prof. Daniel Richter. Das Urbane, das pulsierende Leben und die Menschen in Metropolen sind für Christian Awe wichtige Inspirationsquellen. Im Mittelpunkt der komplexen farbintensiven Werke steht die Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Malerei wie Farbe, Kontrast und Komposition. Ein spannungsreicher Dialog zwischen Spontanität, Experiment und künstlerischem Kalkül.
20. Jazz-Meeting 20.-23.7.22 mit dem Tsching Trio, dem Maik Krahl Quartett, dem Trio Elf, dem Urknall Baby Sommer Trio 19. Internationales Gitarren-Festival 19.-27.8.22 mit Jule Malischke, Don Alder, dem Andreas Brunn Trio, Alaa Zouiten & Naoufal Montassere, dem Nenemia – Hub Hildenbrand Trio, Evgeni Finkelstein, dem Nikos Tsiachris Trio Kabarett-Tage 29.9.-1.10. mit Achim Amme, Uli Masuth, Inka Meyer
Ostseeallee 48 . 18225 Kühlungsborn Telefon: 038 293-75 40 www.kunsthalle-kuehlungsborn.de