marx 21
Nr. 18 | Winter 2010/11 3,50 € | ISSN 1865-2557 www.marx21.de
Magazin für internationalen Sozialismus
Ulrich Maurer
kritisiert die Arroganz der Machteliten
Sara Turchetto
erklärt, weshalb die »Lindenstraße« auch nach 25 Jahren noch erfolgreich ist
Christine Buchholz
WIEVIEL
sagt »Nein« zum Einsatz der Bundeswehr in Somalia
E I T A R K O M E DVERTRÄ DER GT KAPITALISMUS? Die Grünen Aufschwung von Dauer? Weihnachtsspezial War Jesus ein Roter? Rot-Rot-Grün Politikwechsel durch Regierungswechsel? Ökologie Wie die Industrie Umweltbewusstsein ausbeutet Islamfeindlichkeit Von den Kreuzzügen bis heute
Ägypten
Liebe Leserinnen und Leser,
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ie Bewegung gegen Stuttgart 21 begann als lokaler Protest. Mittlerweile ist sie beispielhaft für die politische Lage in der Republik geworden. Politik für Konzerne, durchgesetzt gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Dieses Muster kommt vielen bekannt vor. Anlass für uns, die weitergehenden Fragen, die Stuttgart 21 aufwirft, zum Schwerpunkt unseres Heftes zu machen: Wie steht es um die Demokratie in der Republik – und insgesamt im Kapitalismus? Nicht nur auf der Straße ist Bewegung, sondern auch in der Parteienarithmetik. Die Grünen erleben derzeit einen bislang nicht gekannten Höhenflug. Daher nehmen wir die Partei in einem zweiten Schwerpunkt unter die Lupe. Des Weiteren im Heft: das Thesenpapier »Ein (rot-)rot-grüner Aufbruch?«, wo wir der Frage nachgehen, welche Konsequenzen die LINKE aus der gegenwärtigen politischen Lage ziehen sollte. Ansonsten steht Weihnachten vor der Tür und damit die Geschenkefrage. Wir empfehlen: Ein marx21-Jahresabo als Leseund Denkstoff für Freunde, Partner und Verwandte. Bei Abschluss eines Abos gibt es noch ein Buch dazu, das sich sicherlich ebenfalls gut auf dem Gabentisch macht. Gerne würden wir in der nächsten Ausgabe vermelden, dass wir mittlerweile von 800 Abonnenten regelmäßig gelesen werden. Es fehlen noch 34. Mit eurer Hilfe könnte es klappen. Dies ist die letzte marx21-Ausgabe in diesem Jahr. Die nächste Nummer erscheint im Februar – damit euch der Lesestoff an langen Winterabenden nicht ausgeht, ist das Heft diesmal einige Seiten umfangreicher. Viel Spaß beim Lesen!
Eure Redaktion
Redaktionsadresse Redaktion marx21 PF 44 03 46 12003 Berlin Mail: redaktion@marx21.de Telefon: 030 / 89 56 25 10
EDITORIAL
Fragen?Anregungen? Kritik? Lobhudelei? Wir freuen uns auf deine Post.
© Sarah Carr
Hunderte Angestellte von staatlichen Beratungsstellen für Schwangere und junge Mütter versammelten sich am 18. Oktober vor der Zentrale ihrer Gewerkschaft in Kairo. Sie protestierten gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen. In Ägypten steigen die Lebensmittelpreise und Mieten derzeit rasant. Deshalb verlangen die Arbeiterinnen und Arbeiter eine Erhöhung ihres Grundlohns von umgerechnet 12 auf 40 Euro im Monat. Zum Vergleich: In der Hauptstadt kostet ein Kilo Tomaten einen Euro. Dieselbe Menge Fleisch kostet sogar zehn Euro. Bereits im Sommer hatten die Beschäftigten einen Sitzstreik organisiert. Daraufhin versprach die Regierung, ihre Gehälter anzuheben. Außerdem sollten Kranken- und Sozialversicherung sowie Urlaubsregelungen verbindlich in den Arbeitsverträgen festgeschrieben werden. Doch bislang hat die Regierung dies nicht umgesetzt. Daher gingen die Beschäftigten erneut auf die Straße.
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Berlin: Volksbegehren
Somalia: Kanonenbootpolitik
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Schwerpunkt: Demokratie
Aktuelle Analyse
Schwerpunkt: Demokratie
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Somalia: Die Rückkehr der Kanonenboote Von Christine Buchholz und Stefan Ziefle
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Stuttgart 21: »Selbst Gandhi hätten sie grün und blau geprügelt« Interview mit Ulrich Maurer
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Berlin: Volksbegehren fordert Senat heraus Von Werner Halbauer
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Polizei: Das Gesetz des Schweigens Von Ole Vincent Guinaud
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Der Staat: Alles andere als neutral Von Yaak Pabst und Win Windisch
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Wackersdorf: Das Ende des WAAhnsinns Dokumentation der BI Amberg
Unsere Meinung
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Exportindustrie: Nach der Krise ist vor der Krise Kommentar von Thomas Walter
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Irak: Tarnen und Täuschen Kommentar von Joachim Guilliard
Schwerpunkt: Grüne 33
»Die Grünen bieten sich als einfache Alternative an« Interview mit Norbert Hackbusch
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Green New Deal? Von Frank Eßers
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Fairtrade: Ende der Märchenstunde Interview mit Kathrin Hartmann
Kontrovers 46
Thesenpapier: Ein (rot-)rot-grüner Aufbruch? Netzwerk marx21
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Islamfeindlichkeit: Eine lange Kontinuität des Hasses Interview mit Achim Bühl
Netzwerk marx21 56
Serie: Was will marx21 (4) Warum gibt es das Netzwerk marx21?
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Chauvinismus: Teile und herrsche Kolumne von Arno Klönne
Internationales 64
Kuba: Neue Kapitalisten bekommt das Land Von Samuel Farber
Kultur 68
»Die Lindenstraße hat immer Tabuthemen aufgegriffen« Interview mit Sara Turchetto
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Weihnachtsspezial: War Jesus ein Roter? Von Klaus-Dieter Heiser
Interview: Lindenstraße
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Kubas neue Kapitalisten
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»Eine Tragödie unserer globalisierten Welt« Interview mit Güclü Yaman
Weltweiter Widerstand
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Review
84
Quergelesen
91
80
Klassiker des Monats: Émile Zola: Germinal Von Tobias Paul
Preview
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82 Die Geschichte hinter dem Song: Neil Young: »Ohio « Von Yaak Pabst Rubriken Editorial
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Impressum
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Leserbriefe
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Neues aus der LINKEN
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Was macht marx21?
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neu auf marx21.de
»De facto ein Baustopp« Werner Sauerborn ist Mitinitiator von »Gewerkschafter gegen Stuttgart 21«. Mit marx21 sprach er über Schlichtungsversuche, Erfolge und die Frage, ob auch im Schwabenland französische Verhältnisse möglich sind. Ein Blick auf die Webseite lohnt sich also:
www.marx21.de INHALT
Schwerpunkt: Grüne
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© Lindenstraße/Krueger
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Im Jahr 1987 zeigt die »Lindenstraße« den ersten schwulen Kuss in einer deutschen Fernsehserie. Die beiden Darsteller erhalten später Morddrohungen
»Die Lindenstraße hat immer Tabuthemen aufgegriffen« Sie läuft und läuft und läuft... Deutschlands älteste Fernseh-Soap wird 25. Sara Turchetto ist seit zwölf Jahren dabei und sprach mit marx21 über schlecht bezahlte Schauspieler und schwule Fernsehküsse
Sara Turchetto spielt seit 1998 die Rolle der Marcella Varese in der »Lindenstraße«. Daneben betreibt sie das Projekt »Elektronische Lesung«. Mit ihrem »Lindenstraßen«-Kollegen Philipp Sonntag entwickelt sie derzeit das Bühnenprogramm »Poetenplaneten«. Sie studiert Soziologie und Philosophie.
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ara, warum sollte man sich am Sonntagabend ausgerechnet eine Seifenoper anschauen? Weil es nicht irgendeine Seifenoper ist, sondern die »Lindenstraße«. Die Figuren sind Menschen wie du und ich. Glamouröse, makellose Charaktere wird man dort nicht finden. Die Macher beweisen den Mut, gesellschaftlich brisante Themen wie Rassismus, Homosexualität oder den Klimawandel aufzugreifen. Außerdem wird die »Lindenstraße« nicht nur für die marktrelevante Zielgruppe der Teenager bis Mittdreißiger gemacht, sondern ist generationsübergreifend angelegt. Als wir unser zwanzigstes Jubiläum hatten, sind wir beim Kölner Rosenmontagszug mitgelaufen und wurden von einem Moderator mit den Worten angekündigt: »Jetzt kommt die Serie ›Lindenstraße‹. Das ist wie ›Gute Zeiten, Schlechte Zeiten‹ – nur ohne ›gute Zeiten‹.« Ich fand das ganz schön, denn eine Flucht in märchenhafte KULTUR
Sara Turchetto
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© WDR/Mara Lukaschek
Stets aktuell: Die Bewohner warten auf die erste Hochrechnung der Bundestagswahl – die erst wenige Minuten vor Ausstrahlung der Folge bekannt gegeben wird
»Lindenstraße« ist wie »Gute Zeiten, Schlechte Zeiten« – nur ohne gute Zeiten 70
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Fiktion – wie in vielen Telenovelas – gibt es mit der »Lindenstraße« nicht. Darüber hinaus versuchen wir, eine gewisse Realitätsnähe zu erzeugen – zum Beispiel durch die sogenannten Aktualisierungen. Die »Lindenstraße« wird sonntags gesendet und spielt in der Regel am vorangegangenen Donnerstag. Häufig wird eine Sequenz noch kurz vor dem Ausstrahlungstermin nachgedreht, um aktuelle Geschehnisse einfließen zu lassen. Im vergangenen Jahr saßen in der Folge, die am Abend der Bundestagswahl ausgestrahlt wurde, die Bewohner einer Wohngemeinschaft vor dem Fernseher und haben die erste Hochrechnung kommentiert, die in der Realität erst wenige Minuten vorher bekannt geworden ist.
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as heißt Realitätsnähe? Nehmen wir die Figur Tanja Schildknecht: Sie hat ihre gesamte Familie verloren, später brannte ihre Wohnung aus, und
orum geht es euch denn? Wollt ihr unterhalten oder politisch sein? Gegenfrage: Wann ist denn etwas nicht politisch? Wenn Stefan Raab bei »TV Total« Jugendliche verarscht, dann ist das auch politisch. Neulich habe ich eine Sendung von ihm gesehen, da wurden ein türkischstämmiger Junge und eine Deutsche gebeten, »ich schwimme« zu konjugieren. Und wer hat die Fehler gemacht? Möglicherweise war es eine konstruierte Situation, aber der Türke hat alles richtig gemacht und die andere hat völlig versagt. Auch wenn ich Stefan Raab normalerweise nicht mag: Die Signale, die mit so etwas gesendet werden sollen, finde ich nicht falsch. Ein anderes Beispiel: Wenn ich bei RTL2 »Engel im Einsatz« anschaue und Verona Pooth dort einer total runtergerockten Hartz-IV-Familie hilft und deren Leben wieder richtet, dann ist das auch politisch. Genauso läuft es ja auch mit den Telenovelas: Es gibt soziologische Studien darüber, dass solche Serien, die die Flucht in eine andere, sanftere Realität ermöglichen, gerade dort Konjunktur haben, wo es den Menschen schlecht geht. Nicht von ungefähr stammt dieses Format aus den ärmeren Ländern Lateinamerikas. Seit einigen Jahren erhält es auch im deutschen Fernsehen Einzug – und zwar gerade seit jener Zeit, in der die soziale Lücke zwischen Arm und Reich immer spürbarer wurde. Zurück zum politischen Anspruch der »Lindenstraße«: Es gab oftmals Be-
schwerden von unserer Fangemeinde. Die sagten, die sympathischen Charaktere seien immer ein bisschen mehr links orientiert, während die Unsympathischeren eher rechts seien. Man sollte denen doch bitte sehr auch mal eine nette Partei geben und umgekehrt.
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m Jahr 1987 wurde in der »Lindenstraße« ein Kuss zweier schwuler Männer gezeigt – zum ersten Mal in einer deutschen Fernsehserie. Nach Ausstrahlung einer weiteren Folge mit einer KussSzene erhielten die beiden Schauspieler Martin Armknecht und Georg Uecker mehrere anonyme Morddrohungen. War es falsch, das Thema aufzunehmen? Offensichtlich nicht. Die Reaktionen haben doch nur die Notwendigkeit unterstrichen, dass da etwas getan werden muss. Die »Lindenstraße« hat immer Tabuthemen aufgegriffen – sei es der schwule Kuss, sei es ein Kind mit Downsyndrom, das bei uns mitspielt, oder sei es das Thema Nationalsozialismus – Klausi Beimer ist ja fast auf die schiefe Bahn gekommen. Ich glaube, es war richtig, dass es so früh ein schwules Pärchen in der »Lindenstraße« gab. Mittlerweile ist Homosexualität ja zu einer notwendigen Zutat für jede Serie geworden. Ich finde, das ist eine positive Entwicklung. Vor einiger Zeit hat mir der Freund meines Kollegen Gunnar Solka eine wunderschöne kleine Geschichte erzählt. Als er sich vor seiner Familie outete, hat seine Großmutter lediglich gesagt: »Na ja, das ist nicht so schlimm. Das gibt es ja auch in der ›Lindenstraße‹.« Ein schöneres Kompliment kann man nicht bekommen.
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ch erinnere mich daran, dass man sich bei euch vor einigen Jahren Plakate gegen den Irakkrieg bestellen konnte. Macht ihr als Team öfter solche Aktionen? Ja, wir engagieren uns auch heute noch – vor allem in sozialen Fragen. Es gibt ein Sozialkomitee des Ensembles, das geleitet wird von Birgitta Weizenegger, der InesKling-Darstellerin. Dort planen wir Schauspieler, wie wir soziale Projekte unterstützen können. Gegenwärtig engagieren wir uns für den Paritätischen Wohlfahrtsverband. Davor haben wir lange Zeit die »Lobby für Mädchen« in Köln gefördert. Aber wir machen auch Aktionen auf der Straße oder bei Veranstaltungen.
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dann wurde sie auch noch von ihrer Freundin wegen eines Mannes verlassen. Ein anderes Beispiel: Alle Figuren treffen sich immer im selben Café. Sie haben keine Freunde außerhalb der Straße, in der sie leben. Wie realistisch ist das denn? »Lindenstraße« ist eine realitätsnahe Sendung, was natürlich nicht heißt, dass sie komplett der Realität entspricht – dafür ist sie eben doch noch Fiktion. Selbstverständlich haben die meisten Lindensträßler unglaubliche Schicksale, wie zum Beispiel die Rolle des Momo: Er war Stricher, hat seinen Vater umgebracht und hatte mit Anfang dreißig einen Schlaganfall. Aber wenn man Geschichten vermitteln will, die tatsächlich so in dieser Welt stattfinden, dann finde ich es schon in Ordnung, dies innerhalb einer Rollenbiografie so enorm zu verdichten. Das Erschreckende ist ja, dass diese Schicksale Menschen wirklich widerfahren.
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ie sieht es denn mit den Arbeitsbedingungen von euch Schauspielerinnen und Schauspielern aus? Hmm, jetzt muss ich aufpassen, was ich sage. Ich bin ja dazu angehalten, nichts über unsere Vertragsbedingungen in der Öffentlichkeit auszuplaudern. Aber grundsätzlich kann man schon sagen, dass wir uns als Schauspieler, die bei einer Serie angestellt sind, in einer halbwegs privilegierten Situation befinden. Immerhin haben wir Planungssicherheit. Wir wissen, wie viele Folgen wir pro Jahr drehen, und können uns dementsprechend ausrechnen, wie viel Geld am Ende rauskommt. Das ist etwas, was es in dem Beruf der Schauspielerei eigentlich gar nicht gibt. Darüber hinaus geht es bei uns wirklich sehr sozial zu. Es gibt zum Beispiel einen Lindenstraßen-eigenen Kindergarten. Das heißt, Mitarbeiter mit kleinen Kindern können weiter bei uns arbeiten – sofern sie es wollen. Auch Schwangerschaften von Darstellerinnen haben keine negativen Folgen – etwa, dass die Stelle anderweitig besetzt wird. Stattdessen wird die Schwangerschaft entweder in die Geschichte eingebaut oder es wird so gedreht, dass man den Bauch nicht erkennen kann. Bei uns gibt es außerdem keine Hierarchien. Es ist den Machern wichtig, dass sich keine Stars herausbilden. Natürlich gibt es die Mutter Beimer oder Kultfiguren wie Klausi und Momo. Aber normalerweise sagt keiner, der mich im Café sieht: Das ist doch die Schauspielerin Sara Turchetto. Sondern die Leute sagen: Das ist doch die aus der »Lindenstraße«. Wir sind also weniger autonome Künstler als Teil eines Kollektivs, der »Lindenstraße« – was natürlich auch nachteilig für uns Schauspieler sein kann. Andere Produktionen überlegen sich gut, ob sie nicht Gefahr laufen, ein bereits »belegtes« Gesicht zu engagieren.
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ie geht es Schauspielern, die nicht bei einer Serie angestellt sind? Deren Situation ist in der Tat nicht besonders rosig. Ich bin Mitglied des Bundesverbands der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS), der ersten Gewerkschaft in unserem Bereich. Wir haben uns erst 2006 formiert. Und dort geht es genau um soziale Themen: Wie sind Schauspieler abgesichert? Wie soll man abgerechnet werden? Wie ist es mit Reisekostenpauschalen? Viele Schauspieler sind ja häufig auf Tournee oder drehen in anderen Städten.
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Die »Lindenstraße« gegen den Irakkrieg – auch in der Realität: Das Plakat konnte man bestellen Die Wirtschaftskrise hat auch vor dem Fernsehen nicht halt gemacht. Immer mehr Kollegen müssen zu schlechten Konditionen arbeiten. Manche erhalten nur noch 350 Euro Tagesgage – so viel verdient normalerweise ein Schauspielhund am Tag. Das mag im ersten Moment viel klingen, doch sollte man bedenken, dass es einem Schauspieler durchaus passieren kann, dass er auch in einem Monat nur drei bis vier Drehtage hat. Und dann ist das eben nicht viel Geld, was da zusammenkommt. Vor allem weißt du nie: Wann kann ich wieder drehen? Werde ich das nächste Casting schaffen? Und das gilt nicht nur für Schauspieler: Ich finde es wichtig, auch das restliche Team zu erwähnen. Film und Fernsehen sind immer Gemeinschaftsarbeiten. Man denke nur an die Fahrer: Die werden morgens als Erste aus dem Bett geklingelt und kommen abends als Letzte wieder nach
Hause. Auch bei den Maskenbildnern sieht es nicht anders aus. Deren Arbeitsbedingungen haben nichts mit »9 to 5«, von 9 bis 17 Uhr, zu tun. Überstunden sind an der Tagesordnung. Manchmal bekommen die gar kein Tageslicht zu sehen. Bei manchen Produktionen sind die Bedingungen richtig schlimm, da werden Dumpinglöhne oder dergleichen gezahlt. Nicht wenige Maskenbildner überlegen daher, aus dem Beruf auszusteigen.
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urück zur »Lindenstraße«: Deine Serienfigur Marcella hatte in den vergangenen Jahren näheren Kontakt zu zwei Männern muslimischen Glaubens. Wie wird deiner Ansicht nach der Islam in der »Lindenstraße« dargestellt? Zunächst einmal finde ich, dass der Islam erst sehr spät bei uns eine Rolle gespielt hat... Es gibt natürlich schon seit einigen Jahren die Figur Murat. Aber seine Religi-
nicht »gewollt, aber nicht gekonnt« wirken. Doch das Ergebnis fand ich dann eigentlich ganz gut. Die Drehbuchautoren haben versucht zu erklären, wie es zu der Radikalisierung kam. Zum Beispiel hat Timos Kumpan immer wieder gesagt: »Jede Sekunde stirbt gerade ein Mensch auf der Welt – und der Westen ist schuld.« Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Geschichte etwas länger erzählt wird, weil sich in so einer Geschwindigkeit vielleicht Sachen nicht beim Zuschauer so manifestieren können, wie es wünschenswert wäre. Aber das Thema Islam insgesamt ist nicht gestorben. Die feste Rolle des Murat bleibt ja. Und natürlich werden die jüngsten Diskussionen – der Protagonisten Sarrazin, Seehofer und Wulff – auch bei uns eingeflochten werden.
on ist erst durch Lisa, seine deutsche Frau, thematisiert worden. Sie ist konvertiert, hat zeitweilig ein Kopftuch getragen und die Sache insgesamt viel ernster genommen als er. Das finde ich eigentlich einen geschickten Schachzug: Nicht der Klischeetürke, sondern die Deutsche ist die streng religiöse Muslima. Außerdem hat die »Lindenstraße« gezeigt, wofür der Islam steht – dass er auch mit Poesie und Kultur zu tun hat; dass es um Menschenrechte geht. Dann gab es noch die Geschichte von Timo Zenker – auch ein Konvertit. Jedoch hatte er sich im Lauf der Zeit radikalisiert und wurde zum Terroristen. Als unser Produzent Hans W. Geißendörfer mich sehr früh darauf hinwies, dass wir diese Geschichte machen würden, da habe ich erst gedacht: Oh, hoffentlich wird das gut... Ein terroristischer Anschlag in der »Lindenstraße« – lass es bitte
DIE SERIE »Lindenstraße« wurde zum ersten Mal am 8. Dezember 1985 ausgestrahlt. Seither läuft die Serie jeden Sonntagabend um 18:50 Uhr in der ARD. Derzeit besteht das Team aus etwa 40 Hauptdarstellern, von denen zehn von Anfang an dabei sind. Als Vorbild diente »Lindenstraßen«Erfinder Hans W. Geißendörfer das Mehrfamilienhaus seiner Kindheit und die britische Serie »Coronation Street«.
ie siehst du denn die gegenwärtige Debatte? Ich war entsetzt, es hat mich sehr provoziert – gerade weil ich selbst auch aus einer Migrantenfamilie stamme. Meine Mutter ist Serbin, mein Vater Italiener. Seitdem mache ich Straßenkabarett: Ich sage Deutschen beispielsweise, ich könne Ihnen meine Hand nicht reichen – schließlich habe ich Migrationshintergrund und das könnte ansteckend sein. Dunkelhäutige fordere ich auf, zu gehen, weil man hiesig Angst vor dem Schwarzen Mann habe. Was ich sehr verletzend finde, ist nicht ein einzelner Sarrazin, sondern dass so viele Leute denken: Endlich traut sich mal jemand, die Wahrheit zu sagen.
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laubst du, dass es ein Format wie die »Lindenstraße« auch noch in 25 Jahren im deutschen Fernsehen geben wird? Na klar! Vor allem: Es wird nicht so eine Sendung geben, sondern es wird hoffentlich die »Lindenstraße« noch geben. Sie gehört zur ARD wie die »Sendung mit der Maus« und die »Tagesschau«. Ich glaube, dass wir uns treu bleiben werden. Außerdem finde ich, dass wir uns stetig verbessern. Daher würde ich mir wünschen, dass auch diejenigen, die »Lindenstraße« nicht kennen – oder nur von damals, als Mama und Oma sie geschaut haben – sich einmal ein paar Folgen hintereinander anschauen. Und dann entscheiden, ob sie ihnen etwas gibt, oder auch nicht. Die Fragen stellte Marcel Bois
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© WDR/Mara Lukaschek
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Jede Woche Neu. Marx21.de »Tous ensemble, tous ensemble – alle zusammen, alle zusammen«. Am 19. Oktober schallt der Ruf durch die Straßen von Marseille als streikende Raffineriearbeiter, Schüler und Studenten gegen Sarkozys Rentenreform demonstrieren. Charlie Kimber berichtet für marx21.de aus Paris
© marcovdz / flickr.com
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