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Spuren der Pfleiderer in Korntal
Spuren der Pfleiderer in Korntal
vo n Birgit Arnold
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Das für Korntal geplante kommende Familientreffen der Pfleiderer wird
in einer Gastronomie in Weilimdorf stattfinden, nicht hier im Ort selber.
Mancher wird sich fragen, ob es denn hier keine geeignete Restauration gibt, und die Antwort ist schlicht und einfach: Nein. Das hat historische Gründe.
Nach der Gründung des Ortes Korntal durch die Brüdergemeinde 1819 gab es 70 Jahre lang lediglich ein einziges von ihr selber betriebenes Gasthaus neben dem Großen Saal, das heute noch bestehende und von ihr verwaltete Gemeindegasthaus. Es war in erster Linie für die Beherbergung und Verköstigung auswärtiger Besucher gedacht, nicht als Treffpunkt der Korntaler. 1824 heißt es dazu in einer Erklärung der Brüdergemeinde (zitiert nach Johannes Hesse, Korntal einst und jetzt, S.169): „Wir bezeugen, dass die in hiesiger Gemeinde bestehende einzige
Wirtschaft nur zur Sommerzeit an den Sonntagen und bei guter Witterung, zur Winterszeit aber beinahe gar nicht gehe, so dass jährlich nach der Erfahrung von zwei Jahren kaum 4 Eimer Wein und etwa 6 Eimer Most verschlossen werden kann. Bier wird gar keines ausgeschenkt. (…)“
In seinem 1910 in Stuttgart erschienenen Buch führt J. Hesse weiter aus:
„Unsere Freunde vom Blauen Kreuz wünschen freilich, wir möchten diese Wirtschaft in ein alkoholfreies Speisehaus umwandeln. Dann würde aber sofort anderen Wirtschaften Tür und Tor geöffnet,
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Pfleiderer in Korntal
über welche die Gemeinde keine Kontrolle mehr hätte.“
Johannes Hesse – Vater des Schriftstellers Hermann Hesse – verbrachte seinen Ruhestand in Korntal, wo er 1916 starb. Im genannten Buch schildert er auch die Entwicklung Korntals zum „Anstaltsdorf“, wie er es nennt. Die landwirtschaftlichen Anwesen gingen im Laufe des 19. Jahrhunderts zurück, und schon seit 1848 – und daran hatte, wie noch zu schildern sein wird, ein Pfleiderer einen nicht unwesentlichen Anteil – wurde das Schulwesen ausgebaut. 1910 besuchten in dem nur 1600 Einwohner zählenden Ort 300 Schüler die Gemeinde-Lateinschule. Für sie gab es zwei Schülerheime, in denen 120 Jungen untergebracht waren. 120 Mädchen wurden im Töchterinstitut unterrichtet, etwa die Hälfte von ihnen wohnte dort auch. Weitere „Anstalten“ – um Hesses Begriff zu verwenden – waren ein Missionsheim, ein Witwenhaus und die Kinderrettungsanstalt. 100 Witwen und Pensionäre sowie 60 alleinstehende Fräulein mit eigenem Haushalt nennt Hesse auch noch. Viele von diesen stellten für weitere auswärtige Schüler Schlaf plätze und Verköstigung bereit, um ihre Haushaltskasse aufzubessern. Somit lebte „doch jetzt schon mindestens die Hälfte aller Einwohner teils in den Anstalten, teils von denselben“ ( J. Hesse, S.171). Ein wirklicher Bedarf an Gastronomie bestand nicht, ihre Einrichtung war im „heiligen Korntal“ unerwünscht.
In dieser Tradition sind in Korntal Möglichkeiten zum Ausgehen und Einkehren auch heute, mehr als 100 Jahre später, immer noch rar. Dieses Milieu hat ein besonders prominenter Pfleiderer
nicht unwesentlich mitgeprägt: Professor Johann Gottlob Pfleiderer, 1825 –1897. Seinem langjährigen Wirken in Korntal wurde schon im Familienblatt 1935 von Immanuel Pfleiderer ein langer Artikel gewidmet. Daher hier nur kurz seine wichtigsten Lebensstationen: Geboren in Waiblingen am 17. März 1825, bestand er 1839 das für eine schwäbische Theologenlaufbahn erforderliche Landexamen und erhielt seine Ausbildung in Maulbronn und im Stift in Tübingen. 1847 wurde er Vikar bei einem Onkel, aber schon ein Jahr später änderte er die Richtung und übernahm die Leitung der Knabenschule mit 12 Zöglingen in Korntal, zunächst im Auftrag der Gemeinde, ab 1852 auf eigene Rechnung. Nach einer äußerst erfolgreichen Weiterentwicklung der Schule, die unter seiner Leitung internationalen Ruhm erwarb, verkaufte er 1880 die auf 100 Schüler angewachsene Schule samt Heim zurück an die Gemeinde und zog sich 55jährig aus dem Alltagsgeschäft in Korntal zurück. Nach weiteren beruflichen Stationen in Bern und Bonn begab sich J. G. Pfleiderer 1893 in den Ruhestand und lebte bis zu seinem Tod am 23.12.1897 mit seiner Frau wieder in Korntal. Auf dem Korntaler Alten Friedhof sind beider Gräber noch zu finden. In seinem schon erwähnten Buch widmet Johannes Hesse der Ära Pfleiderer ein halbes Kapitel, das er folgendermaßen einleitet: „Neben Daur und Staudt hat während der zweiten Periode in der Geschichte Korntals wohl niemand eine so einflussreiche Stellung eingenommen wie Professor G. Pfleiderer, der, im Jahr 1848 von Stetten herkommend, die Lei-
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Pfleiderer-Spuren
tung der sog. Knabenanstalt übernahm und dessen Name bald weithin so berühmt wurde, daß einmal ein Brief aus Amerika ihn richtig erreichte, der nur die Adresse trug: Dr. Pfleiderer in Deutschland.“
Zwei seiner Kinder sind ebenfalls hier verstorben: Außer seiner 1850 geborenen Tochter Lydia Pfleiderer (†1927) der 1852 geborene Sohn Gottlob Pfleiderer. Letzterer heiratete eine Schweizerin, war Professor in Brüssel, wurde aber dort im Gefolge des 1. Weltkriegs entlassen und starb 1926 verarmt in Korntal. 1948 schreibt der ehemalige Korntaler Bürgermeister Würth anlässlich des 25jährigen Jubiläums des Altersheims:
„Zunächst (d. h. vor 1923, Anm. B. A.) habe ich eine sog. Rentnerküche ins Leben gerufen (…). Der Kreis derjenigen, die die Wohltat der Rentnerküche genossen, war sehr groß. Unter den Teilnehmern (…) war unter vielen anderen auch der schon längst verstorbene, seinerzeit aus Belgien ausgewiesene und völlig mittellos gewordene Professor Pfleiderer (…). Und wie rührend dankbar waren sie alle, dass sie ein nahrhaftes Mittagessen zu dem für sie erschwinglichen Preis von ursprünglich 25 Pfennigen haben konnten.“
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1905 gründete der 1862 in Ammertsweiler geborene Eugen Pfleiderer in Korntal eine Apotheke, zur damaligen Zeit eine von zwei im Altkreis Leonberg. Sein Sohn Max Pfleiderer führte sie noch bis 1968 und übergab sie dann seinem Neffen Dr. Gunter Beck, in dessen Familie sie bis heute weitergeführt wird.
1912 zog sein Bruder Karl Hugo v. Pfleiderer, geboren 1864, ebenfalls nach Korntal, seit 1907 Ministerialrat, dann Regierungsdirektor im Ministerium des Innern. Vermutlich in dieser Zeit erhielt er einen Verdienstorden und den damit verbundenen persönlichen Adelstitel. Ab 1918 war er Präsident des Württembergischen Oberversicherungsamts. Zwischen 1926 und 1932 gehörte er dem Korntaler Gemeinderat an. Hugo Pfleiderer und seine Ehefrau Eugenie geb. Lausterer starben beide 1951 in Korntal. Die 1898 geborene Tochter Gertrud Pfleiderer, eine praktische Ärztin, wurde 1961 dort beigesetzt.
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Einer der vielen Pfarrer, die in langer Tradition in Korntal ihren Ruhestand verbrachten, war der 1879 geborene Karl August Hermann Pfleiderer, zuletzt bis 1949 in Lauffen am Neckar tätig. Er verlebte danach noch 8 Ruhestandsjahre in Korntal.
Zwei seiner Töchter sind ebenfalls mit Korntal verbunden. Die 1914 geborene Hildegard Pfleiderer heiratete den späteren württembergischen Landesbischof (gewählt 1969) und Ratsvorsitzenden der EKD (ab 1972) Helmut Claß. Das Ehepaar lebte mit seinen Kindern in dessen Zeit als Landesjugendpfarrer von 1950 –1958 in der Deckerstraße 16.
Ihre 10 Jahre jüngere unverheiratete Schwester Elsbeth Pfleiderer war Leiterin des Weraheims für ledige Mütter in Stuttgart und verstarb 2012 in Korntal.
Quelle: Joachim Pfleiderer
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Nachruf Bürgermeister a. D. Pfleiderer
Mir ist nicht bekannt, ob sie erst im Ruhestand oder schon vorher dort lebte.
• Im selben Haus wie Familie Claß wohnte wenige Jahre später, nämlich von 1966 –1971, ein weiterer Landesjugendpfarrer mit seiner Familie: Johannes Pfleiderer, 1922 –1994.
• Stellvertretender Schulleiter des Schiller-Gymnasiums Ludwigsburg war lange Jahre der 1923 geborene und mit einer Korntalerin verheiratete Studiendirektor Martin Pfleiderer. Bis zu seinem Tod 2015 wohnte er mit seiner Frau in deren elterlichem Haus in der
hiesigen Hans-Sachs-Straße. Seine Witwe Annemarie Pfleiderer geb. Flamm lebt heute noch dort.
• Vermutlich gab es noch mehr Namensträger Pfleiderer in Korntal. Nicht alle konnten ausfindig gemacht bzw. einer Familie zugeordnet werden; dies betrifft vor allem alleinstehende Frauen oder Witwen, die in alten Adressbüchern aufgeführt sind. So lebte 1937 im Witwenhaus in der Ludwigsburger Straße 6 in Korntal eine Wilhelmine Pfleiderer, „ohne Beruf“. Ob ein Leser des Familienblattes sich an sie erinnert und sie einer Familie zuordnen kann? ●
Im Alter von 97 Jahren verstarb im April Immanuel Eugen Pfleiderer, der
ehemalige Bürgermeister des jetzigen Winnender Teilortes Höfen. Neben vielen Auszeichnungen war er auch Träger der Johannes-Brenz-Medaille – sie gilt als höchste Ehrung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Quelle: Internet – FWV Winnenden
Das Bürgermeisteramt übte Eugen Pfleiderer von 1952 bis 1971 aus, so lange, wie Höfen als selbständige Gemeinde bestand. Etwa gleichzeitig (1953 –1989) war er rühriger Kirchengemeinderatsvorsitzender der damals selbständigen Kirchengemeinde Höfen - Baach. Als Denkmal seines Schaffens gilt der auf sein Betreiben hin gegründete evangelische Kindergarten in Höfen. Offenbar war dem Gemeindeoberhaupt das Zupacken so wichtig,
dass er in jüngeren Jahren selbst als Feuer wehrkommandant fungierte wie auch als Vorstand der Genossenschaftsbank. – Über 40 Jahre war Pfleidererim Männergesangverein „Eintracht“ als aktiver Sänger dabei und er besaß eigene Weinberge. Sein kerniger Humor, Bodenständigkeit, Weitblick und Gemeinsinn zeichneten ihn aus. – Aus der Ehe mit Frau Ruth( † 1988 ) entstammen die Töchter Irene, Christa und Susanne. (M F) ●
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