Haibike Zero Cadence Magazin #1 (Deutsch)

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N0 1 DAS E-PERFOMANCE MAGAZIN VON HAIBIKE

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MT7 AWARDS

magura.com

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E D I TO R I A L

ZERO, DIE ERSTE Sind wir ehrlich: Markenmagazine sind immer so eine Sache – und zwar oft eine Sache journalistisch getarnter Werbeberieselung. Zero Cadence ist ebenfalls ein Hersteller-Magazin und natürlich wollen wir Ihnen Haibike näher bringen. Aber wir wollen noch einiges mehr – allen voran die Kultur einer neuen Sportart einfangen: ePerformance. Die Verbindung aus Motor und Kraft. Für viele eine Offenbarung, für manche eine Provokation. Neue Denkweisen treffen unausweichlich auf Vorbehalte. Als eBike-Hersteller kennen wir Vorurteile zur Genüge. Allerdings mussten wir uns eingestehen, selbst nicht viel besser zu sein. Und das beim härtesten Motocross-Event der Welt, dem Erzberg-Rodeo. Wir waren als erster eBikeHersteller dabei – und mit uns einige Vorurteile gegenüber den Motorradlern. Danach waren wir um viele Erkenntnisse (und Erlebnisse) reicher (SEITE 4) . Unser Guido Tschugg ist da bereits weiter. Er hat schon lange das eBike als Verbindung seiner zwei Herzenssportarten entdeckt: Mountainbike und Motocross. Entsprechend sieht auch seine Garage aus (SEITE 12) . In unseren Reise-Stories zeigen wir normale Menschen, die auf eBikes plötzlich zu Langstreckenchampions werden und „the time of our lives“ erfahren: Maximilian Semsch, Gary und Rachel Corbett und Susanne Brüsch – echte, stille Helden

(SEITE 16) . Ein besonderer Held ist auch

Andi Wittmann: Nach einem Horror-Sturz sah der Freeride- und Dirt-Profi seine Füße und sein Sportlerdasein komplett zerstört. Auf dem zähen Kampf zurück aufs Bike hat er das von ihm zuvor gescholtene eBike entdeckt (SEITE 42) . Auf diesen Seiten dreht sich also viel darum, Schranken zu überwinden und Dinge entgegen der Status-Quo-Meinung anzugehen. Eine, die damit stets gut gefahren ist, ist Haibike-Gründerin Susanne Puello. Mit ihrem Gespür für Neues und dem Mut, es auch auszuprobieren hat sie ein 100-jähriges Unternehmen in ein erfolgreiches Start-up verwandelt (SEITE 24) . Und sie hat ein Team einberufen, dessen Job es ist, stets alles anders zu denken: Im neuen Münchner Design Center mixen drei Design-Nerds an der Formel der eBike-Zukunft (SEITE 28) . Schließlich erhalten noch unsere stillen Stars eine Bühne: Wir haben Bauteile in Szene gerückt, die man auf den ersten Blick übersieht, die aber den entscheidenden Unterschied machen (SEITE 32) . Ob wir es geschafft haben, mit Zero Cadence neue und interessante Inhalte bildlich, textlich und grafisch einzufangen, müssen und dürfen Sie entscheiden. Wir hoffen natürlich, dass es Ihnen gefällt. Wenn es so ist, geben Sie uns Bescheid. Wenn nicht, dann unbedingt auch. Ihr Zero Cadence Team.

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INHALT 6

HAIBIKE GOES ERZBERG Mit eBikes auf dem härtesten Motocross-Event der Welt? Jawohl! Wir fuhren zum Erzberg Rodeo und tauschten unsere Vorurteile gegen tief beeindruckende Erlebnisse.

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I N H A LT

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HAIBIKE D E S I G N C E NTE R

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In München hat Haibike ein Design Center eröffnet. Autorin Sissi Pärsch hat es besucht – und traf auf drei Normalaussehende, die sich als absolute Design-Nerds entpuppten.

M A N N M IT 2 HERZEN & ZIG G E FÄ H R TE N

Guido Tschugg liebt Motocross und liebt Biken. Das eBike vereint beides – und lässt seine Garage weiter wachsen.

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E I N FAC H D R AU F LO S

Aufbrechen, um Neues zu (wortwörtlich) erfahren. Vier Nicht-Profis haben ihr Leben in Radtaschen gepackt und sich auf die eBike-Reise begeben. Berichte von „the time of our lives“.

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DIE UNSCHEINBAREN E - B I K E - S TA R S

Sie sind die Arbeiter im Hintergrund: Wir bereiten die Bühne für kleine Teile, die am eBike zentrale Jobs erfüllen.

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STURZ & VO R U R TE I L

Andi Wittmann war einer der weltbesten Freeride- und DirtBiker, bis ein Sturz seine Füße zerschmetterte. Sein Weg zurück führt über das eBike.

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DAS I S T E S !

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DAS 100 - JÄ H R I G E S TA R T- U P

Wie wird man zum Start-up mit einer über 100-jährigen Geschichte? Haibike-Chefin Susanne Puello erzählt es.

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E-CONNECT

Vernetzung ist die Zukunft und weitaus mehr als Spielerei. Wir zeigen, was sich im eConnect-System an Funktionen versammelt.

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Was ist ePerformance? Sportlich, spannend, unfrisiert – wir haben unsere Gedanken in einem kleinen „Manifest“ zusammengetragen.

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E-BIKE IMPRESSUM

Wer fährt was? Die eBikes der Protagonisten auf einer Seite versammelt.


C OV E R STO RY

E I N R O D E O - R I T T S T E L LT A L L E S AU F D E N KO P F. ALLES!

HAIBIKE

GOES

ERZBERG Er ist das Königs-Event der Motocross-Enduristen: Beim Erzberg Rodeo kämpfen die weltbesten Fahrer gegeneinander – aber primär gegen den gewaltigen Berg.

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C OV E R STO RY

Dort könne man ja mal seine eBikes präsentieren, dachte sich die Haibike Crew. Gute Idee? Die Zweifel sind so groß wie die Vorurteile gegenüber Motorsportlern. Dann stellt der Rodeo alles auf den Kopf. Alles! Donnerstagmorgen, Brückenfeiertag. Es gibt bessere Zeitpunkte um auf der A8 Richtung Süden unterwegs zu sein. Wir sind es trotzdem. Zusammen mit Hunderten von Urlaubern. Noch einige Stunden Fahrt vor uns, das Navigationssystem denkt bereits bedenklich in Alternativen. Ein kurzer Anruf bei Franz und Kerstin, dass es bei uns wohl später werden wird. Der Stand ist aufgebaut, die ersten eBikes sind bereits ausgeliehen. Das ist gut. Es scheint gerade die Sonne. Zur Abwechslung, aber über dem Berg kommt schon die nächste Walze an Gewitterwolken. Das ist nicht gut. Wir wurden gewarnt. Er ist unberechenbar, der Berg. Das sinnloserweise frisch gewaschene Auto ist daher auch rappelvoll: Kleidung in dreifacher Ausführung. „Lieber was dabeihaben, was nicht mehr unbedingt

mit nach Hause muss“, hieß es. Ein guter Tipp, wie sich noch herausstellen soll. S C H W E I S S & S TAU B , H AG E L & H A R T E M Ä N N E R

Einmal mehr begeben wir uns auf weitgehend unbekanntes Terrain. Irgendwie erscheint es logisch – aber irgendwie auch völlig verrückt. Die Fakten: 1.500 Enduro-Fahrer, 20.000 Besucher, 4 Tage Ausnahmezustand. Und das in einem Tagebaugebiet in der österreichischen Steiermark, in dem normalerweise Muldenkipper und haushohe Bagger einen ganzen Berg abgraben, um dem Gestein das Erz abzugewinnen. Unser Ziel ist das legendäre Erzberg Rodeo, das seit 1995 ausgetragen wird. Das härteste Enduro-Rennen der Welt. Es erwartet uns eine Melange aus Schweiß, Staub, Regen, Hagel – und den letzten echten Männern im Lande. Und wir mittendrin. Mit eBikes. Aus dieser Perspektive wird unser Entschluss mikroskopisch klein. Wir fühlen uns wie eine Nadel in einem Haufen aus Balkennägeln. Doch auch das ist nichts Neues. Da müssen wir durch. Mal wieder.

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Was auch noch dazu kommt: Ein unbestimmtes Gefühl gegen Benzin, gegen lautes Knattern, gegen grobstollige Fräsmaschinen, die dem Waldboden zusetzen. Wir reisen genau mit den Vorbehalten an, auf die wir normalerweise mit unseren eBikes treffen. Ein Rodeo, so wird sich rausstellen, der so einiges auf den Kopf stellt … DIE FLOTTE IM DAU E R E I N S AT Z

Nach schier unendlichen Staus (und dem unguten Gefühl, ein falsches Ziel eingegeben zu haben) türmt er sich urplötzlich mit all seiner Wucht vor uns auf: der Erzberg. Er wirkt wie eine monströse Treppe aus rostendem Gestein. Die Dimensionen hauen uns regelrecht um. Ebenso die ersten Reaktionen der Motorsportler. Unsere Vorbehalte scheinen größer zu sein als ihre. Entspannt und freundlich stehen die Besucher am Stand und warten geduldig auf Bikes – die sind alle im Dauereinsatz. Trotz der 40 Stück starken Flotte müssen wir die Testdauer auf eine halbe Stunde begrenzen. Denn sowohl Rodeo-Starter wie Besucher


WILDER RITT

finden schnell heraus, dass sie mit eMTBs bestens und mit viel Spaß die Berge zu den Events hochkommen. Und da wäre noch eine Sache, die sich offensichtlich schnell rumspricht: Auf den eMTBs darf sich jeder komplett frei bewegen und unterliegt nicht den ansonsten rigiden Regeln für alles Motorisierte. Das Dilemma der Motocrosser ist, dass es immer schwieriger wird, ihren Sport auszuüben. Es gibt nicht viele Strecken und die Anfahrt ist lang, der zeitliche und finanzielle Aufwand extrem hoch. Beides meist nicht zur Freude der Partner oder der Familie. Z W E I TA K T- PA R A D E MIT ROSA HASE

Am Abend, heißt es, gibt’s noch irgendeine Fahrt unten durch den Ort – geschenkt. Wir lassen uns dann doch noch überreden – und finden uns plötzlich in der Startspitze des „Raid on Eisenerz“ wieder. Etwa 50 Fahrer stehen hinter uns. Wir plauschen ein wenig und drehen uns erneut um: Unser Atem stockt, es sind Hunderte, die sich nun aufreihen  –  und wir vorneweg, auf eBikes.

LIEBER ETWAS DABEIHABEN, WAS NICHT MEHR UNBEDINGT MIT NACH HAUSE MUSS.

Dann kommt der Moment, dieser eine Moment, den wohl keiner von uns jemals vergessen wird. Veranstalter Karl Katoch hebt die Flagge und tausend Motoren starten gleichzeitig. Über uns schwappt eine Welle aus mechanischem Gebrüll, ein akustischer und geruchlicher Zweitakt-Jetstream. Langsam setzt sich die Meute in Bewegung Richtung Eisenerz. Eine Parade durch eine Masse an Schaulustigen. Dabei ist alles, was fahren kann und will. Vorne fährt eine Braut in vollem Hochzeitsgewand auf einer weißen Vespa mit Dosen im Anhang. Neben uns taucht ein rosafarbener Hase auf einem fahrenden Stuhl mit Motorsägenmotor auf. Auf der anderen Seite dreht sich das unterbeschäftigte Vorderrad von Guido Tschugg langsam in der Luft, während er nur auf dem Hinterrad um die Kurve fährt. Unser Guido ganz in seinem Element: Er fährt praktisch die komplette Strecke mit dem XDURO im WheelieModus. D E R G LÜ C K L I C H E G U I D O

Am Rande groteske Szenen: Polizisten winken den Fahrern zu und filmen mit ihren Handys, obwohl hier so gut wie nichts eine echte Straßenzulassung hat. Trotz der vielen knatternden Motorräder, die sich durch enge Gassen zwängen, kommt es in keiner Sekunde zu einer gefährlichen Situation. Man achtet aufeinander. Was haben wir eigentlich erwartet? Einen Haufen unkontrollierbarer, testosterongesättigter

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C OV E R STO RY

SCHWEISS & STAUB, HAGEL & HARTE MÄNNER

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WILDER RITT

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Die steirische Alpenlandschaft wirkt geradezu harmlos sanft gegen den „Berg aus Eisen“. Die Enduro-Motocrossler betraten diese gewaltige Bühne erstmals 1994 und legten den Grundstein zum weltgrößten Offroad-Motorrad-Event. Der Rodeo ist schon lang ein Mythos. Schinderei an der Schmerzgrenze und vier Tage Vollgas – bei den vier Rennen genauso wie beim Party-Rundum-Programm.


WILDER RITT

SURREAL FANTASTISCH

Wilde, die mit ihren lauten Kisten alles platt fahren? Die schlicht zu bequem sind, um zu treten? Guido geht das Ganze natürlich mit einer anderen Einstellung an. Für ihn ist das Rodeo Weihnachten, Ostern und Geburtstag zugleich. Er liebt Motocross wie auch ePerformance und fährt beides auf unglaublich hohem Niveau. Zum Spaß geht er beim Prolog an den Start – einem Blindflug durch die Staubwolke des Vordermannes. Guido landet auf Rang 112 von 1.500 Teilnehmern. Wir kennen ihn schon ziemlich lang und ziemlich gut, aber dieser krasse Typ haut uns einfach immer wieder aufs Neue um. Es gibt Menschen, die können irgendwie alles. Der ein oder andere von uns hat noch nicht einmal einen Motorrad-Führerschein. A B S C H I E D N E H M E N VO N

würde selbständig ein Haus bauen. Der Rodeo ist für die Moto-Enduristen das Königs-Event schlechthin. Eine absolute Legende. Die Fahrer treiben ihre 100 Kilogramm schweren Maschinen unmenschliche Steigungen hoch –  die Kräfte, die hier am Werke sind kommen nicht allein vom Motor. Dahinter steckt immense Muskelkraft. Wir sehen die Tage Männer am Rande der völligen Erschöpfung. Sie müssen ihre tobsüchtigen Motorräder über fußballgroße Steine balancieren und dabei völlig konzentriert bleiben. Viele Rampen und Passagen sind absolut unfahrbar und so wird geschoben und gezerrt, oft mit vereinten Kräften. Im Vorjahr gab es fünf Sieger, da sie sich gegenseitig über die nicht fahrbaren Steigungen geholfen haben. Und der Gewinn? Keinen Cent Preisgeld gibt es. Lediglich einen Stein – aber der wiegt in diesen Kreisen mehr als alles andere …

VO R U R T E I L E N  …

Wir begreifen, wie falsch der Gedanke ist, dass ein Dreh am Gasgriff all die körperliche Arbeit erledigt. So falsch wie die Vorstellung, eine Betonmaschine

Immer mehr wird deutlich, wie latente Vorurteile unseren Blick verstellt und ein Bild geformt haben, das wir komplett revidieren müssen. Das sind

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Sportler – und was für welche! Die mentale und physische Herausforderung ist immens. Und dazu kommt: Ja, es sind harte Jungs. Ja, sie sehen wild aus und ja, sie wissen zu feiern. Doch dieser an sich explosiven Mischung fehlt etwas ganz Entscheidendes: jegliche Aggression. Stattdessen herrscht eine Offenheit und Gutmütigkeit, wie wir sie noch bei keinem Rad-Event erlebt haben. S U R R E A L FA N TA S T I S C H

Die Heimfahrt von den Rodeo-Tagen am Erzberg könnte sich nicht mehr von der Anreise unterscheiden. Verkehr? Egal! Wir haben einiges zu verarbeiten. Wir sind randvoll mit Eindrücken. Welch surreales, fantastisches Erlebnis. Welch perfekte Organisation, die 1.500 Enduro-Nerds ganz entspannt unter Kontrolle hält – eine Horde Wikinger mit der Disziplin einer preußischen Armee. Welch große Sportler und welch offene Typen. Wir kommen wieder – umringt von Hasen, Brautschleiern und Guido auf dem Hinterrad.



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GUIDO TSCHUGG

MANN MIT HERZEN & ZIG GEFÄHRTEN Warum steigt einer der weltbesten Bike-Sportler aufs eBike? Weil in seiner Brust zwei Herzen schlagen und er „lieber Rückenwind als Gegenwind“ hat.

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S P OT L I G H T

Die Red Bull Rampage ist einer der härtesten und prestigeträchtigsten Events der Bike-Szene. Qualifizieren kann man sich für das Freeride-Spektakel im wilden Terrain von Utah nicht –  man wird geladen. Und der einzige Deutsche, der je den Rampage-Ruf erhielt (und das gleich zweimal) ist Guido Tschugg. Der Allgäuer ist eines der Mountainbike-Aushängeschilder Deutschlands schlechthin. BMX, Freeride, Downhill – Guido fährt mit allem und mit allem gerne aufs Podest. Er ist 4-facher Deutscher Meister im Dual und in seiner Paradedisziplin 4Cross 6-facher Deutscher Meister plus WMBronzegewinner. F I T T E R K E R L M I T D O P P E LH E R Z U N D D I C KS C H Ä D E L

Und dann steigt Guido als erster BikeProfi aufs eBike und sagt selbstbewusst: „Das ist mein Ding!“ Wieso das? Was braucht der Mann eine Maschine, er ist doch selbst eine? Weil Guido ein fitter Mann mit dickem Schädel ist. Weil ihn Schubladendenken nicht interessiert und er eine ausgeprägte Neugierde hat. Und weil das eBike die zwei Herzen vereint, die schon seit Kindheitstagen in seiner Brust schlagen: Rad und Motor.

Entsprechend sieht es bei Guido zu Hause aus. Sein Hof ist ein einziger Gemischtwaren-Fuhrpark: Da lehnt das High-End Carbon-Rennrad am OldtimerMoped. Neben Bagger und Radlader reihen sich die eBikes und DownhillBoliden. Die Enduro-Maschinen werden vom kultigen Pick-Up verdeckt. Wie viele Gefährte er hat? „Keine Ahnung, ich hab sie nie gezählt“, sagt er und kratzt sich am Hinterkopf. Der Mann ist absolut maschinenverrückt und die Ursache findet man natürlich in der Kindheit. „Mein Vater war ein absoluter MotocrossFanatiker. Kein Geld, aber irgendwie schaffte er es als junger Kerl zu den Rennen“, erzählt Guido. „Er hatte zum Beispiel keinen Hänger. Also hat er in die Heckklappe von seinem VW-Käfer einen Schlitz fürs Vorderrad reingeflext und die Maschine mit Spanngurten fixiert. Und wenn’s kalt wurde, hat er unter dem Auto geschlafen.“ Logisch, dass sein Sohn unbedingt MotocrossFahrer werden wollte. Aber der Sport war für die Familie einfach zu teuer und so bekam Guido ein BMX. Marke: Eigenbau – vom Vater zusammengeschweißt aus einem alten, gebrochenen

Der Mann im Paradies: Bei Guido reiht, lehnt, hängt Bike an Bike – in jeglicher Reifenbreite, mit und ohne Motor. Dazu Pokale, Wimpel und alles, was man sich an Utensilien vorstellen kann.

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Rahmen. Guido steigt auf, fährt mit 8 sein erstes Rennen, steht auf dem Podium und bleibt beim Rad (und auf dem Podium). GUIDOS GESPÜR FÜR L E E R E S PA P I E R

Als er 1996 als BMXler aufs Mountainbike wechselt, sorgt das in der Szene für Furore. „Das war ein No-Go. BMX sei das einzig Wahre, haben damals viele gesagt“, er macht eine Pause und grinst: „Die sitzen inzwischen natürlich


GUIDO TSCHUGG

alle längst auf dem MTB.“ Dann war er also schon vorbereitet auf den Shitstorm, der ihn mit dem „Wechsel“ aufs eBike traf ? „Ja klar, ich hab das natürlich erwartet. Heute ist das nochmal anders mit den Social Media-Kanälen. Aber egal: Wieso sollte ich mich an Leuten orientieren, die meiner Meinung nach falsch liegen. Ich halt nix von engem Denken. Ich bin doch nicht als Biker ein Freerider, um mich dann irgendwelchen festgezurrten Regeln zu unterwerfen. Es geht um Freiheit und Offenheit und ich gehe den Weg, den ich für richtig halte.“ Seine Lebensgefährtin Yve nennt das „Guidos Gespür“. Das funktioniere „wie ein Naturinstinkt. Er spürt etwas auf, beißt sich fest und dann kriegt ihn keiner mehr weg.“ Schlecht ist Guido damit bisher nicht gefahren. Er war einer der ersten Bike-Athleten weltweit, die von Red Bull gesponsert wurden, damals, als der Drink-Gigant gerade ein kleines Büro in Frankfurt bezogen hatte. Er trug 2004 die Klamotten einer Mini-Marke aus dem Oberbayerischen namens Maloja – und trägt sie bis heute.

ER SPÜRT ETWAS AUF, BEISST SICH FEST UND DANN KRIEGT IHN KEINER MEHR WEG.

Guido mag unbeschriebene Blätter und das ist für ihn aktuell ganz klar der eBike-Sport. „Hier ist alles gerade erst am Entstehen. Von Rennformaten bis hin zu den Komponenten. Man spürt, wie die Leute anschieben und was sich hier bewegt ist brutal spannend.“ Guido bringt sich intensiv bei Haibike ein, er entwickelt mit Reifenhersteller Kenda spezielle eBike-Modelle mit stärkeren Karkassen und mit Sponsor Amplifi einen Protektoren-Rucksack mit separater Akku-Halterung für eBiker. DIE MOTO -PERSPEKTIVE

Das neue Sport-Utensil kam für ihn eben auch zu einer Zeit, als er sein Leben neu gestalten wollte und musste. Guido ist inzwischen 40 und seine Paradedisziplin, der 4Cross, nicht mehr Bestandteil des UCI Weltcups. „Da schlagen natürlich von links und rechts die Sprüche ein: Rentner steigt aufs eBike. Der faule Guido braucht jetzt den Motor. Aber ehrlich, ich glaube, ich bin heute fitter als zu Weltcup-Zeiten.“ Hat er denn nicht den Drang, gegen jeden einzelnen Spruch-Athleten persönlich anzutreten? „Ach, Schmarrn. Manche brauchen einfach ’n bisserl länger und außerdem mag ich keine stressigen Menschen um mich haben.“

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Viel entspannter ist da die Moto-Szene, erzählt er. Guido ist auch hier immer Rennen gefahren – und das durchaus sehr erfolgreich. Sein Freundeskreis setzt sich größtenteils aus Motorsportlern zusammen und „die finden’s sowieso geil. Die gehen vollkommen ohne Vorurteile ans eBike ran und sehen es als coole neue Sportart.“ Viele sitzen inzwischen selbst drauf. „Beim Crossen hast du einen enormen Aufwand und hohe Kosten. Maschine, Hänger, Klamotten, Panzer, Anreise … Das eBike hingegen ist so einfach, man kann überall fahren, es macht keinen Krach – nur Spaß.“ Was ist das eBike für Guido? „Eine komplett neue Geschichte, die zwei Sachen in sich vereint und auf dem man sich mit Geschwindigkeit auspowern kann.“ Er macht eine kurze Pause: „Und ehrlich: Zeig mir einen, der gerne gegen den Wind fährt. Mit Rückenwind radeln, das bringt dich zum Grinsen.“ Guido Tschugg mit Doppelherz und Rückenwind – oh, das wäre wieder eine Traumschlagzeile …



O N TO U R

EINFACH

DRAUF

LOS

Von Australien über die Rockies nach Deutschland: Gary, Rachel, Maximilian und Susanne zeigen, was mit dem eBike möglich ist. Die vier Reisenden berichten von ihren drei Touren auf Zweirädern mit Motor.

Da wären die unbedarften Frischlinge – jenseits der Fünfzig –  aus Australien die ihr Haus gegen eBikes tauschen und auf den 28.000 km durch Europa die aufregendste Zeit ihres Lebens erfahren. Und Maximilian Semsch, der die exotischsten Länder durchradelt hat – um nun erstmals seine

deutsche Heimat kennenzulernen. Susanne Brüsch hat alles richtig gemacht: Die 43-Jährige wird dafür bezahlt, draußen zu sein. Als Journalistin pedaliert sie mit eAntrieb durch die USA. Alle Vier zeigen sie auf ihre Art, was alles möglich ist, wenn man Schranken überwindet und einfach aufbricht.

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D I S C OV E R

RACHEL & GARY

CORBETT Das australische Ehepaar Rachel (57) und Gary Corbett (61) sind im April 2015 in London aufgebrochen, um einen neuen eBike Langdistanz-Weltrekord aufzustellen. Den hatten sie nach nur neun Monaten in der Tasche. Lieber noch einen guten Puffer von 4.000 Kilometer drauf legen, dachten sie sich da. Dann mussten sich die beiden eingestehen: Wir sind eBikesüchtig. Anstatt in die Heimat zurückzukehren, pedaliert das Paar weiter. Wie lange? So lange es geht!

Gary hatte sich gut vorbereitet, als er Rachel den Antrag machte. Er kniete nicht nieder, als er sie fragte, ob sie mit ihm auf große eBike-Reise gehen wolle. Sie sagte dennoch Ja. Ohne zu zögern. Ohne vorher jemals ein eBike gesehen, geschweige denn auf einem gesessen zu haben. Gary war derjenige mit Tourenrad-Erfahrung. Rachel fühlte sich niemals fit genug, ihn zu begleiten. So kam er auf die Idee der E-Unterstützung. Sie war unglücklich in ihrem Job als Grundschullehrerin, er war als Journalist ungebunden, die Kinder

erwachsen. Sie waren frei, „auf der falschen Seite der 50“ und bereit für neue Abenteuer. Es sollte das größte ihres Lebens werden. A N T R AG A N G E N O M M E N , H AU S V E R K AU F T

Flexibilität ist wichtig: Die Route von Rachel und Gary ergibt sich häufig erst unterwegs.

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Nach Rachels spontanem Ja machen die beiden schnell ernst. Das Haus wird verkauft, die Familie informiert. „Es war interessant“, erinnert sich Rachel: „Die ältere Generation in unserer Familie war von der Idee keineswegs begeistert. Wohingegen


O N TO U R

DAS E-PAAR AUS DOWN UNDER Reise angekündigt und aufgefordert, uns mit einem „Big Irish Welcome“ zu begrüßen. Es war überwältigend: Ein eBiker holte uns schon an der Fähre ab und wir konnten ein paar Tage bei ihm schlafen. Und so ging das die komplette Tour weiter. Alles war für uns organisiert, überall warteten Menschen, die uns begleiteten oder zu sich einluden. Die Unterstützung war unfassbar und die Landschaft dazu. Irlands Westküste sollte wirklich jeder einmal abfahren.“ Was gibt es sonst noch für Tipps, die sie nach rund 28.000 Kilometern dem E-Tourenradler ans Herz legen können? „Leicht reisen“, schießt es aus Rachel heraus. „Reduzieren was geht, das ist auch wahnsinnig befreiend. Früher hätte ich niemals gedacht, dass ich ohne meinen Fön leben kann“, lacht sie. „Jetzt vermisse ich außer meiner Familie nichts.“ Gary ergänzt: „Und niemals zu viel planen. Wir stehen in der Früh auf und wissen nicht, wo uns der Tag hinführen wird. Wir suchen uns erst nachmittags einen Campingplatz. So können wir ohne Druck den Tag spontan gestalten und sind offen für alles, was da kommen mag.“

es unsere Kinder auf Anhieb cool fanden.“ Als geografisches Ziel stand rasch Europa fest. Und dann stieß Gary noch auf den eBike Langdistanz-Weltrekord von Max Semsch. Seine 16.049 Kilometer wollten sie toppen. Das klingt nach einem ambitionierten Paar mit sportlicher Zielsetzung! Rachel lacht laut auf und schüttelt ihren rotblonden Lockenkopf: „Nein, wir sind eher das Gegenteil. Der Rekord diente als Orientierung, aber wir haben uns niemals unter Druck gesetzt. Als wir ihn im Januar 2016 nach nur neun Monaten gebrochen hatten, war das schön, aber nicht das Highlight unserer Tour.“ Sie hatten noch Zeit und finanziellen Puffer. Also ruhig noch ein paar (Tausend) Kilometer draufsetzen.

Und als Paar funktioniert das 24/7-Leben auch? Gary lacht: „Ja, wir haben noch keinerlei Scheidungsbedürfnis.“ Er hält kurz inne und schaut zu seiner Frau hinüber: „Oder?“ Sie wirft

WA R U M E I G E N T L I C H AU F H Ö R E N ?

Und irgendwann stellten sie sich die Frage: Warum überhaupt aufhören? Sie haben „die aufregendste Zeit unseres Lebens und das in einem Alter, wo viele sagen: Ach, da geht doch nicht mehr viel.“ Man spürt, wie Gary jedes Erlebnis, jeden eBike-Moment aufsaugt: „Wir sind fitter als je zuvor. Anfangs musste ich ständig auf Rachel warten. Und jetzt, ungelogen, muss ich schauen, dass ich mit ihr mithalten kann.“ Rachel klopft sich demonstrativ auf die Beine: „Meine Oberschenkel haben Ausmaße angenommen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Allerdings“, wirft sie nach einer kurzen Pause ein, „wir verlernen langsam das Gehen. Ernsthaft! Wir gehen ein paar Kilometer und schon beginnt alles zu schmerzen.“ Aus dem Paar sprudeln die Erlebnisse nur noch so heraus. Sie schwärmen von den Landschaften, erzählen Anekdoten und betonen immer wieder die Großzügigkeit der Menschen. Und die Neugier: Wie sie aus dem Supermarkt kommen und sich eine Traube an Interessierten um ihre Räder schart. „Ehrlich“, sagt Gary, „hätten wir einen Anhänger mit eBikes dabei, wir könnten Hunderte verkaufen. Die Leute stehen manchmal Schlange, um uns auszufragen. Und wenn wir dann erzählen, was wir schon alles gemacht haben, wollen viele am Liebsten gleich mit uns losziehen.“ MIT NEUGIERDE UND OHNE FÖN

den Kopf in den Nacken: „Nein, ich auch nicht. Wir ergänzen uns optimal, fast schon ein wenig klassisch: Ich wasche die Teller, er die Bikes. Ich packe den Schlafsack, er das Zelt. Wir lieben die Bewegung, die Kulturen, die Menschen. Es klingt fast kitschig. Gut, dass es manchmal richtig hart ist mit dem Wetter, sonst wäre es zu idyllisch.“ Und wie geht’s weiter? Irgendwann geht es zurück ans andere Ende der Welt – aber auch da wird ihr eBike-Abenteuer nicht zu Ende gehen. Finanziell aufladen, um weiter zu pedalieren – das ist das Ziel.

Und auch über das Internet stoßen Menschen auf das australische E-Paar. „Das wurde uns besonders in Irland bewusst. Der Haibike-Händler in Dublin hat auf Facebook unsere

Wer Gary & Rachel folgen will, kann das via Facebook oder unter www.ebikecycletourists.com

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D I S C OV E R

MAXIMILIAN

SEMSCH Maximilian Semsch ist von München nach Singapur geradelt und hat Australien mit dem eBike umrundet. Nach 30 durchquerten Ländern fährt der 33-Jährige jetzt durch seine deutsche Heimat. Ein Rückschritt? Nein, ein Abenteuer – mit Aha-Erlebnissen, begleitenden Religionslehrerinnen und der zehnten Bratwurst.

Maximilian, wie gefällt Dir Deine Heimat?  Es ist echt grandios, muss ich sagen. Das hätte ich im Vorfeld nicht so erwartet. Ich bin soeben vom Weststrand des Darß nach Rostock geradelt und auch das ist eine wunderschöne Gegend. Trotzdem überrascht es ein wenig, dass Du nach Deinen Extrem-Touren durch Asien und Australien nun Deutschland erkundest?  Ich war ja auch schon vor München-Singapur drei Jahre unterwegs. Und irgendwann wurde mir klar, ich kenne Thailand oder Australien besser als mein Heimatland. Da radle ich durch Russland, wo es keinen einzigen Fahrradweg gibt und

setze mich dort auf Fernstraßen ständig der Gefahr aus, von Lastwagen überfahren zu werden. Während es in Deutschland 75.000 Kilometer an Radfernwegen gibt. Da lag der Entschluss nah.

Abenteuer vor der Haustür: Nach Asien und Australien tourt Maximilian Semsch jetzt mit eBike durch Deutschland.

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Wie gut oder schlecht kanntest du Deutschland vorher?  Durch meine Vortragstouren bin ich zwar viel rumgekommen. Aber auf die übliche Art: Ich kannte nur Autobahnen, Raststätten, billige Hotels am Stadtrand, Veranstaltungslokalitäten und Messehallen. Die Sehenswürdigkeiten huschen am Wegesrand an dir vorbei. Ich wollte mir das genauer anschauen und bin nun viereinhalb Monate gegen den Uhrzeigersinn durch Deutschland unterwegs.


O N TO U R

Du willst ja auch Deine Landsfrauen und -männer kennenlernen. Im Internet rufst du dazu auf, Dich ein Stück weit mit dem Fahrrad zu begleiten.  Ja und die Resonanz ist überwältigend. Ich hatte bislang schon fast 50 Mitfahrer, Fremdenführer oder Gastgeber. Vom Tierarzt über die Religionslehrerin bis hin zum Barbesitzer. Der jüngste Mitreisende war ein Jahr alt, der älteste 72. Und ich habe gemerkt, wie bereichernd ortskundige Leute sind. So biegst du mit ihnen ab und kommst nach 200 Metern plötzlich zu einem wunderschöne See. Ohne meine Begleiter wäre ich sicher an ganz vielen Dingen vorbeigefahren. Der Frühsommer in Deutschland war wettermäßig sehr durchwachsen. Wo waren die klimatischen Bedingungen härter, in Australien oder hier zu Lande?  Na, härter dann wohl doch in Australien. Wenn du bei 45°C 300 Kilometer extra fahren musst, um die nächste Tankstelle zu erreichen und Trinkwasser zu bekommen – diese Problematik hast du hier natürlich nicht. Dafür hast du in Deutschland keine Wettergarantie. Im Norden Australiens kannst du mit großer Gewissheit sagen, dass es von Oktober bis März nicht regnen wird. In Europa musst du für alle Fälle gewappnet sein – eben auch auf Gewitternächte im Zelt. Hierzulande ist es gewiss auch einfacher, den Akku wieder aufzuladen …  Klar, als wir beispielweise mit der Fähre nach Hiddensee gefahren sind: zwei Stunden an die Steckdose, schon war das Ding wieder voll. Ich habe zwei Akkus à 500 Wattstunden dabei. Damit sind um die 220 Kilometer bequem zu schaffen. Du bist inzwischen extrem eBike erfahren – im wahrsten Sinne des Wortes. Was hat sich getan?   2012 in Australien haben wir gezeigt, was die Dinger können. Mittlerweile ist die Technik wieder ein Stück weiter, und man muss wohl nichts mehr beweisen. Ich möchte Leuten bewusst machen, was jedermann – gleich welchen Fitness-Levels – mit so einem eBike erleben kann. Einfach draufsetzen und losfahren – ein eBike-Abenteuer in Deutschland ist für jeden möglich. Du fährst keine Spezialanfertigung, sondern ein eTrekkingbike von der Stange?  Ja, ich habe ganz bewusst die 25-km/h-Variante gewählt. Schon allein, weil meine Begleiter meist unmotorisiert sind und ich ihnen mit einem S-Pedelec davonfahren würde.

An welchen Orten in Deutschland hattest du die größten Aha-Effekte?  Brandenburg zum Beispiel. Mir war vorher nicht bewusst, wie wunderschön es dort ist. Wälder, Seen, Natur satt. Du stehst da und denkst nur: Mensch, Hammer! Dabei habe ich bislang erst Bayern und die Ost-Bundesländer beradelt. Der ganze Westen kommt noch. Und mich hat das Radfahren in Berlin überrascht! Ich war schon zigmal dort, beruflich wie privat. Aber jetzt das erste Mal mit Fahrrad und es war so entspannt. Die Infrastruktur war wesentlich besser, als ich es mir vorgestellt hatte – man hört die Berliner ja immer schimpfen. In Australien hattest du Stimmungstiefs – wie sieht es aktuell aus?  Ich bin stimmungstieffrei … Das einzige, was mich betrübt, ist die Tatsache, dass die Tour so bald schon wieder rum ist. Anfangs dachte ich: Ich bin sechs Monate um Australien gefahren, jetzt habe ich fünf Monate für Deutschland – das ist ja total viel Zeit. Aber es ist doch nur eine Woche pro Bundesland... Man erschließt sich Länder immer auch übers Essen. Was hast du in Deutschland kulinarisch bislang erlebt? Ich esse immer die lokalen Spezialitäten – oder eben das, was die Leute zu Hause kochen. Und so habe ich in Bayern und Thüringen so viel Bratwurst gegessen wie nie zuvor in meinem Leben. Aber auf Radtour hat man immer Hunger und Appetit – auch auf die zehnte Bratwurst in Folge. Und wirst Du das Touren vermissen?  Schon, aber es wird sicher weitere Projekte geben. Und ab Mitte Februar 2017 gehe ich dann anderweitig auf Tour: mit dem Vortrag zur Reise … Ab Mai folgen dann hoffentlich die DVD und Blu-ray.

Infos zu Maximilian Semsch und sein „Abenteuer Deutschland“: www.what-a-trip.de

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D I S C OV E R

SUSANNE

BRÜSCH San Francisco, Yosemite, Monument Valley, Las Vegas … Die klassischen Roadtrip-Highlights im Südwesten der USA hat Susanne Brüsch (42) mit dem eBike erfahren. Hier spricht die Berlinerin über die Highlights zwischen den Highlights und das Erfahren von Extremen.

Susanne, wie ist es am Ende einer 5.000 Kilometer-Tour aus dem eBike-Sattel zu steigen?  In erster Linie bin ich glücklich, dass alles so gut geklappt hat – und meine Erwartungen sogar übertroffen wurden. Auch weil meine Begleiter und ich einander nach zehn derart intensiven Wochen noch lieb haben. Das ist ja auch nicht selbstverständlich. Kannst Du schon resümieren, was das Highlight der Tour war? Yosemite, Death Valley, Zion – alles Orte der Superlative. Überrascht haben mich aber die Strecken zwischen den berühmten Hotspots! Die Landschaften sind derart abwechslungsreich: gestern noch Wüste und roter Sandstein, heute grüne Wälder und Blumenwiesen.

Ein US-Roadtrip der anderen Art: Auf Asphalt fuhr Susanne Brüsch so wenig wie möglich …

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Mit welchen eBikes seid Ihr unterwegs gewesen?  Mit Haibike ePerformance Bikes, genauer gesagt zwei Hardtail Mountainbikes und einem Fully der SDURO Linie mit YamahaAntrieb. Gepäckträger, Schutzbleche, Beleuchtung haben wir montiert. Uns war wichtig, dass wir ins Gelände gehen konnten, daher wählten wir Mountainbikes. Bis auf ein paar Platten hatten wir keinerlei Defekte. Der YamahaAntrieb hat mich voll überzeugt. Er springt beim geringsten Tretimpuls an – gerade beim Anfahren am Berg mit dem schweren Gepäck ist das top. Und die Akkus haben die Temperatur-Schwankungen klaglos weggesteckt: –5°C in den Bergen, 40°C im Death Valley und Moab.


O N TO U R

Eure Tour trägt den Titel „Sand to Snow“. Genügend Sand gab’s sicher an der Pazifikküste und im Death Valley. Aber Schnee?  Als wir im Mai die Sierra Nevada überqueren wollten, waren vier der vorgesehenen Pässe noch wegen Schnees gesperrt. Das hat uns einen Umweg von 500 Kilometern eingebrockt. Und am Ende der Tour sind wir in den Rockies noch bis zur Hüfte im Schnee eingesunken. War er hart gefroren, konnten wir die Bikes mit allem Gepäck darüber schieben. Ab mittags war der Schnee allerdings so weich, dass wir die Taschen separat tragen mussten. Und das auf 3.700 Metern Höhe. Da bleibst du alle paar Meter stehen und schnappst nach Luft. Eine E-Radtour für Abenteurer …  Absolut. Doch Abenteuer muss nicht unbedingt heißen, dass man die extremsten Strecken durch die Wildnis fährt wie wir das getan haben. In manchen Nationalparks wie Zion und Bryce Canyon gibt es wunderbare Radwege in grandioser Landschaft. In Kalifornien inklusive San Francisco waren wir meistens auf Radwegen unterwegs und auch Colorado lässt sich da nicht lumpen. Wie haben die Amerikaner auf euch reagiert?  Den meisten waren eBikes zumindest ein Begriff, unsere HightechGeräte haben sie aber schon beeindruckt. Wir haben immer wieder Leute eine Runde drehen lassen. Zurück kamen alle mit dem typischen eBike-Smile. Es gab aber auch ein paar Radler, die das kritischer gesehen haben. „That’s cheating“, hieß es dann – wir seien Schummler. Trotz großer Begeisterung bei vielen braucht die breite Akzeptanz noch Zeit. Hattet ihr 45 km/h schnelle S-Pedelecs dabei?  In den meisten Staaten der USA gilt für eBikes eine Höchstgeschwindigkeit von 20 Meilen pro Stunde, also 32 km/h. So hatten wir Bikes der 32er Klasse – eine sehr angenehme Reisegeschwindigkeit. Du bist eBikerin der ersten Stunde, beschäftigst dich als Journalistin schon seit 1997 mit dem Thema. Was macht für dich die Faszination der ePerformance aus? Ich reise für mein Leben gerne. Und eBikes bieten mir die Möglichkeit, fremde Länder mit sportlicher Aktivität zu erleben, draußen zu sein, ohne am Abend völlig gerädert anzukommen. Wir haben auf diesem USA-Trip nachts meist gezeltet. Und du hast nach der Etappe noch genug Energie, Fotos zu sichten, Blogberichte zu schreiben und den Abend zu genießen.

Du hast außerdem das Wort Pedelec erfunden. Wie kam es dazu?  Ich habe als Dolmetsch-Studentin für den Verein ExtraEnergy Texte zur Elektromobilität übersetzt. Das Problem war, dass ich immer einen ellenlangen Satz benötigte, um zu beschreiben, um was es geht: „Ein Fahrrad, das von einem elektrischen Motor unterstützt wird, aber nicht mittels Drehgriff, sondern automatisch, wenn man pedaliert.“ Da dachte ich mir, hier fehlt ein Wort – auch international. So habe ich meine Diplomarbeit zu dem Thema geschrieben und bei der Recherche auf den Begriff „Pedal Electric Bicycle“ gestoßen. Das war mir immer noch zu lange. Ich habe es auf Pedelec gekürzt und fortan in Publikationen verwendet. So hat es sich etabliert. Wenn du jetzt noch mal an „Sand to Snow“ zurückdenkst –  welches Bild kommt dir spontan in den Sinn?  Wie wir gegen Schluss in Moab den weltberühmten Slick-Rock-Trail gefahren sind. Ein meilenweiter Dirtpark auf super griffigem Sandstein und fast keiner da. Es war ein Riesenspaß, mit unseren eMTBs die steilen Auffahrten zu schaffen, während die unmotorisierten Biker an den Steigungen in der Hitze ordentlich zu kämpfen hatten. Wir haben die Tour übrigens mit Scott Neuton, dem Besitzer des berühmten Poison Spider Bikeshop, gemacht. Es war seine allererste Ausfahrt mit einem eBike. Er war total begeistert – das eBike-Smile eben wieder. Infos zu Susanne Brüsch und „Sand to Snow“: www.pedelec-adventures.com

EIN US-TRIP ÜBER SAND & SCHNEE

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INSIGHT

VO N D E R FA H R R A D M A N U FA K T U R Z U M E-PERFORMANCE-MARKTFÜHRER

100 DAS

JÄ H R I G E

STARTUP 26


H A I B I K E H E R STO RY

Von der Fahrradmanufaktur zum ePerformance-Marktführer – wie konnte es so weit kommen mit Haibike? Indem sich das fränkische Familienunternehmen in seiner über 100-jährigen Geschichte immer wieder neu erfand. Und: Die Haibike-History ist nicht zuletzt Her-Story.

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INSIGHT

Vorherige Seite: Firmengründer Engelbert Wiener (Mitte mit Rad).

Wenn Susanne Puello von der Eurobike 2010 erzählt, grinst sie noch heute. Damals schwebte eine Messeneuheit an Stahlseilen über dem Haibike-Stand: ein weiß-schwarzes Fully, flankiert von einem Hardtail und einem Cross-Trekkingbike. Der Name: eQ XDURO. Die Neuerung: ein Akku auf dem Unterrohr und ein Bosch-Motor über dem Tretlager – das erste echte, wirklich geländetaugliche eMTB auf dem Markt. Stundenlang stand die Haibike-Geschäftsführerin da und beobachtete die Reaktionen der Messebesucher auf das eBike. „Die Meinung der Journalisten und Fachbesucher war mir gar nicht so wichtig“, sagt sie. „Die hielten uns eh für verrückt. Aber die Konsumenten hingen am Publikumstag wie eine Traube an diesem Bike – und sie haben es sofort verstanden.“

Susanne Puello ist Urenkelin von Engelbert Wiener, dessen Fahrradgeschäft samt Manufaktur zur Winora Group wuchs. Heute ist Susanne Geschäftsführerin von Haibike, der Marke, die sie 1996 mit Ehemann Felix gründete.

WO R T WÖ R T L I C H AU F D E N KO P F G E S T E L LT

Jener Messeauftritt hat die Fahrradwelt auf den Kopf gestellt. Buchstäblich. Der Clou am eQ XDURO war nämlich der kopfüber eingebaute Motor. Bosch war damals neu im Markt für eBikeAntriebe und die Haibike-Entwickler sofort überzeugt von der Performance des Motors. Problem dabei: Er sollte eigentlich an der Rahmenunterseite montiert werden. Dort war er bei einem

2.000 ebenfalls. Der Rest ist eBike-Geschichte. Vom Produkt überzeugt und von der Vision einer neuen E-Mobiliät getrieben, ist Susanne Puello ein Wagnis eingegangen – und es ging auf. Vielleicht ist es dieses Handeln nach Bauchgefühl, entgegen jeder IndustrieÜberzeugung, das den überraschenden Erfolg von Haibike ausmacht. Noch heute kann es Susanne oft nicht fassen, dass ihre Marke innerhalb von fünf Jahren eine solche Radikalkur hingelegt hat. Aber sie beschwert sich keineswegs darüber … U R G R O S SVAT E R S M A N U FA K T U R

Das erste Firmengebäude eröffnet im Jahre 1914 seine Türen in Schweinfurt.

Mountainbike aber nicht nur Schlägen ausgesetzt, er reduzierte auch die Bodenfreiheit. Die Lösung ist ein wenig exemplarisch für das Schweinfurter Team: Sie waren es schon damals gewohnt, Dinge zu hinterfragen und von anderer Seite anzugehen. In diesem Fall kam rasch die Idee: Lasst uns den Motor kopfüber einbauen, so dass der Q-Rahmen den Antrieb schützt. Es wurde ein durchschlagender Erfolg: Die angesetzten 2.000 Exemplare der ersten XDUROs waren sofort ausverkauft. Die Nachorder von weiteren

Die Marke Haibike ist mit 20 Jahren noch jung. Doch die Vorgeschichte reicht bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Damals gründete Engelbert Wiener, Susannes Urgroßvater, in Schweinfurt ein Fahrradgeschäft mit eigener Manufaktur. Das Unternehmen wuchs zur Winora-Group heran, zu der neben der namensgebenden Fahrradmarke unter anderen auch Haibike und die Komponenten-Schmiede XLC gehören. Gleichzeitig blieb Winora immer ein familiengeführtes Unternehmen. „Ich wollte eigentlich nicht in den Betrieb meines Vaters einsteigen“, erzählt Susanne, „sondern Agrarwissenschaften studieren. Der Numerus Clausus lag jedoch damals bei 1,5. Da kam ich mit meinem Dreier-Abi nicht weit. Und

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mein Vater – wie Mittelstands-Eltern halt so waren – verdammte mich zu einer Ausbildung im eigenen Unternehmen.“ So durchlief sie alle Abteilungen bei Winora: „Da habe ich mich so richtig in das Thema Fahrrad festgebissen und gesagt, hier bleibe ich.“ Nach der Lehre wurde sie Assistentin ihres Vaters, kümmerte sich vor allem um den Vertrieb. „Der ist bis heute mein Steckenpferd“, so die 54-Jährige. „Wir legen allergrößten Wert auf gute Beziehungen zu den Händlern und genießen im Gegenzug großes Vertrauen. Das hilft uns natürlich enorm, unsere Entscheidungen auch durchzusetzen. Wir gehen ja meist nicht den konformen Weg und Neues auszuprobieren ist auch für den Handel ein Wagnis. Aber der Handel glaubte auch bei der Markteinführung der ePerformance-Bikes an uns. Und dafür bin ich ihnen immens dankbar.“ D I E FA M I L I E I N D E R HOLDING

Wie für viele Unternehmen war die Wende und die Wiedervereinigung Fluch und Segen zugleich. Mit einem starken Rad-Engagement in den neuen Bundesländern geriet das Unternehmen in den 90igern in Schieflage und wurde 1996 vom englischen Fahrradkonzern Derby übernommen. Seit dieser Zeit hat Susanne die Geschäftsleitung


H A I B I K E H E R STO RY

übernommen, die nach drei Jahren Übergangsphase auch wieder rentabel wurde. Deshalb verkaufte Derby nach nur fünf Jahren die Winora Group an die niederländische Accell Holding weiter. Die hat einige starke eBike-Marken am Start. Die umsatz- und gewinnmäßig stärkste davon ist heute: Haibike. Die Marke, die Susanne 1996 gemeinsam mit ihrem Mann Felix gegründet hat. Trotz der internationalen Verflechtung und des steilen Aufstiegs ist die Winora Group/Haibike mit seinen 360 Mitarbeitern stark von einem familiären Charakter geprägt. Die Bodenständigkeit hat gewiss auch mit dem Standort zu tun. Schweinfurt ist Fahrradstadt. Dort hat Philipp Moritz Fischer um 1869 das Veloziped erfunden und die 1895 gegründete Firma Fichtel&Sachs schrieb Zweirad-Geschichte mit ihrer Torpedo-Freilaufnabe. Die Umgebung ist beschaulich, aber die Bewohner sicher nicht zu unterschätzen: „Wir Franken sind ein unverbogenes Völkchen“, erklärt Susanne schmunzelnd. „Geradeaus, konsequent und vor allem beständig.“ Susanne beschreibt ihren Führungsstil als demokratisch und zuhörend – als „Mutter der Kompanie“. „Wenn es drauf ankommt, pflüge ich aber auch durch. Und dann erwarte ich von meinen Leuten, dass sie mitmarschieren.“ Über die Jahrzehnte hat sie außerdem eines festgestellt: Wichtig ist eine gute Mischung zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften. „Was dem einen Geschlecht vielleicht fehlt, bringt das andere ein. Ich denke, die Ergänzung kann ungemein produktiv und gewinnbringend sein – auf allen Ebenen.“ Bei Haibike sind so neben Susanne noch weitere wichtige Funktionsstellen von Frauen besetzt: operatives Marketing, PR und die eigene Tochter führt die Personalleitung. E I N E I G E N S TÄ N D I G E S S P O R T G E R ÄT

Heute ist das Thema Elektro-Unterstützung im sportlichen Segment aller Hersteller angekommen. Während viele Konkurrenten zunächst versuchten, Mountainbikes in eMountainbikes umzubauen, etablierte Haibike eine eigene Produktkategorie: ePerformance-Bikes. Kein Fahrrad im klassischen Sinne, auch kein Motocross, sondern ein eigenständiges Sport- und Spaßgerät. Andere Hersteller versuchen, den Hilfsantrieb so gut es geht zu verstecken. Bei Haibike prangt der Markenname

HANDARBEIT VON A  —   Z

Kleine Damen mit großen Schleifen und neuen Rädern: Die ersten Jugendfahrräder 1921 waren eine kleine Sensation. Engelbert Wiener fertigte sie für seine Töchter Thea und Marta von A bis Z in Handarbeit. Die Schwestern wurden daraufhin als die „Wienerli“ weithin bekannt.

E I N 1 0 0 - JÄ H R I G E S UNTERNEHMEN DENKT ALLES ANDERS

nicht nur auf dem Unterrohr, sondern auch quer über dem Akku – als selbstbewusstes Statement und Bekenntnis zur ePerformance. Als erfahrene Fahrradfrau hat Susanne das Elektrorad seit den 80er-Jahren schon mehrmals kommen und wieder gehen sehen. Ihr war klar: Der aktuelle Trend hat nur Bestand, wenn das eBike sein Image als Kompensationsgerät für Unsportliche ablegt. „Der Schlüssel ist: Du musst es einfach mal ausprobiert haben. Dann merkst du auch als sportlicher Mensch, dass dir das eBike etwas bringt. Weil du nämlich genauso sportlich unterwegs sein kannst.“ Aus diesem Grund schaffte es Haibike schließlich, die Zielgruppe von eBikes extrem zu verjüngen und zu erweitern. Auch mit dieser Entwicklung hatte in der Industrie kaum ein anderer gerechnet.

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„Anfangs waren es Leute um die Fünfzig“, sagt Susanne. „Ein Jahr später kamen dann schon die ersten Dreißiger an den Messestand. Und dieses Jahr, beim Sea Otter Classic in Kalifornien, hast du alle Altersklassen mit unseren XDUROs und SDUROs gesehen. Von 16 Jahren aufwärts. Und teilweise waren es Freerider in voller Montur. Can I try it? Hey, that’s pure fun!“ Die Dinge neu zu denken, out of the box. Eine hundert Jahre alte Tradition stets weiterzuentwickeln und das mit einem starken Team aus erfahrenen und jungen Mitarbeitern. Das ist Susannes Denkweise. „Wir gehören zu einem Konzern, sind aber ein mittelständisches Familienunternehmen. Und die Stärke des Mittelstands war immer Schnelligkeit. Er muss ständig nach seiner Chance suchen.“ Haibike hat seine Chance im ePerformance-Bereich gefunden und konsequent umgesetzt. Und, so ergänzt Susanne: „Wie ein junges Start-up-Unternehmen, so dürfen wir nie vom Gas gehen. Niemals.“


1% INSIGHT

INSPIRATION Die große Suche nach dem eBikeArchetypus: In München hat Haibike mit dem Design Center eine neue Außenstelle errichtet. Hier kreieren drei IndustrieDesigner eine Markenpersönlichkeit. Klingt komplex, denkt sich Journalistin Sissi Pärsch. Sie hat ja keine Ahnung …

99%

TRANSPIRATION 30



Alex Thusbass (40) entstammt einer Fahrradhandelsfamilie, arbeitete sieben Jahre extern als Consultant für Haibike und entwickelte bereits maßgeblich die XDURO- und SDURO-Linien mit. Heute leitet er das Design Center Team. Ein radikaler Denker (und Sprecher), der „eigentlich besser nicht mit Journalisten redet.“ Piers über Alex: „He is an immensely stubborn and radically visionary guy.“

Benjamin Turck (35) war jahrelang Teil des adidas Innovationsteams und Senior Designer für den Fußballschuh-Bereich. Er nutzt den 3D-Drucker fast häufiger als den 2D-Drucker, ist tief im Bike-Sport verankert und die ruhigere Ausgabe von Alex. Der beschreibt ihn als scharrendes Rennpferd: „Er will auf die Strecke. Einmal losgelassen, hält ihn nichts mehr.“

Piers Spencer-Phillips (40) ist Engländer mit Visions- und Einsatzbandbreite: Seine Wurzeln liegen im Bike- und Motorrennsport, zuletzt als Color, Trim and Graphics Art-Direktor bei KTM / Husqvarna Motorräder. Piers über Piers: „I have lots of opinions on far too many things.“ Kollege Benjamin formuliert es so: „Piers bringt ein hohes Maß an kreativer Unruhe rein.“ Außerdem betreibt er die Seite derestricted.com, die auf Facebook eine Anhängerschaft von 400.000 hat.

INSIGHT

Heutzutage ist das Hinterlistige bei Nerds ja, dass sie nicht wie Nerds aussehen. So fühlt man sich als Journalistin mit begrenzter Technik-Affinität im Münchner Haibike Design Center zunächst wunderbar aufgehoben. Drei sportliche Männer in einem angenehm großzügigen, cleanen Interieur mit spalierstehenden eBikes und schönen Skizzen an den Wänden. Modern, stylisch, freundlich – die Menschen wie das Center. So braucht es eine Weile, bis die Journalistin realisiert, wo sie da hineingeraten ist. Die drei Herren entpuppen sich als Bike-Alchemisten, in deren Küche es gewaltig brodelt. Die Zutaten: extreme Nerd-Expertise angereichert mit radikal neuen Denkansätzen. Das Rezept: gibt es nicht. „Wir haben keine Ahnung, wo unser Weg hinführt – der existiert ja noch nicht.“ Aha! Also führt der Leiter des Design Centers Alex Thusbass sein Team ins Ungewisse? „Wir folgen unseren Visionen. Und natürlich gewissen Rahmenbedingungen – aber unser Job ist auch, diese zu hinterfragen.“ Der Journalistin geht zwar das fachmännische Hantieren mit Doppelbrückengabeln ab, dafür hat sie aber ein gutes soziales Gespür. Ist es nicht auch hochgradig explosiv, das Bestehende ständig anzuzweifeln und immer neue Mischungen auszuprobieren? Da macht man sich doch nicht nur Freunde? Thusbass bestätigt das „hohe Reibungspotenzial“. Die Drei vom Design Center sind eben Querdenker – und kommen damit vielen in die Quere. Aber das ist auch gut so. Für die Journalistin gilt es genauso, die neuen Konzepte zu verdauen. Bei Haibike wurde das eMTB von Beginn an als selbständige Kategorie

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wahrgenommen. Es sollte niemals das Bike ersetzen oder einfach nur kopieren. Vielmehr geht es um eine radikale Neu-Erfindung. Die Nerds legen wieder los. Designer Benjamin – lange Haare, 11 Freunde auf dem Schreibtisch – scheint ein wahnsinnig entspannter Typ zu sein. Doch das täuscht. Er ist ein voll gespannter Bogen, der nur darauf wartet, seinen eBike-Pfeil abzufeuern. Es geht ihm um frische Herangehensweisen, ausgerichtet auf eine komplett neue Fahrweise, auf die Vereinigung von Uphill- und Downhill-Flow. „Als eBiker siehst du die Trails doch komplett anders. Du kannst Dinge hochfahren, die dir normalerweise komplett versperrt sind. Eine neue Steigung bergauf erfordert neue Ansätze und Lösungen für Geometrie, für Gabel – einfach für alles.“ Der Pfeil schießt weiter. Es geht um die Möglichkeiten der Connectivity, der Vernetzung der eBike-Komponenten – automatisierte Prozesse, elektronische Steuerungen. Es geht um neue Assistenzsysteme, um Datenmanagement, um „unendlich viel Potenzial.“ Als die Journalistin die Arme zum Time-Out erhebt, meint Chef Alex verständnisvoll: „Willkommen im Zentrum des Wahnsinns.“ Die Haibike Küche brodelt. Drei Kreative, die nichts Geringeres wollen als den eBike-Archetypen zu erschaffen. Ein ikonisches Design, bei dem jeder Mensch intuitiv sofort versteht, um was es sich handelt. Eine verrückte Alchemisten-Aufgabe, wirft die Journalistin zum Abschied ein. Die Herren vom Münchner ThinkTank nicken unisono. Viel Herzblut, viel Schweiß, sagt Chef Alex: „Es ist 1 % Inspiration und 99 % Transpiration.“


DESIGN CENTER

„WIESO SOLL MAN EIN EBIKE SO GESTALTEN, DASS MAN ES NICHT ALS E-BIKE WAHRNIMMT? DAS IST DOCH DIE FALSCHE EINSTELLUNG. WIR HABEN NICHTS ZU VERSTECKEN.“

„SO VIELE DINGE WERDEN ALS GEGEBEN HINGENOMMEN. SIE WERDEN SCHLICHT AKZEPTIERT, OHNE DASS SICH JEMAND DARÜBER GEDANKEN MACHT, OB SIE ÜBERHAUPT SINNVOLL SIND.“

„WIR SIND WIE KLEINE KINDER, DIE SCHAUEN, WIE WEIT SIE GEHEN KÖNNEN.“

„DAS E-BIKE IST DAS ERSTE WAHRE MENSCHMASCHINEN-HYBRID. EINE MASCHINE, DIE NUR MIT DER KRAFT DES MENSCHEN FUNKTIONIERT.“

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INSIGHT

D I E H E I M L I C H E N E - B I K E - S TA R S

BÜHNEN REIF!

Man spricht über Rahmen und Geometrie, schaut auf Motor und Akku, achtet auf Federweg und Komponenten. Dabei verstecken sich im Hintergrund noch Teile und Technologien, die man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt. Gerade die sind es jedoch, an denen wir lange getüftelt haben und die unsere eBikes ganz entscheidend prägen. Wir denken, es ist an der Zeit, unsere kleinen Stars einmal groß zu inszenieren.

Ebenfalls gerne im Hintergrund halten sich zwei unserer wichtigsten Männer. Produkt Manager Christian Malik und Ingenieur Ingo Beutner formen seit Jahren unsere Marke. Sie sind so etwas wie die Haibike-Regisseure. Bei ihnen laufen alle Fäden zusammen. Sie entwickeln, wägen ab und setzen um. Auf den folgenden Seiten erklären die beiden ihre versteckten Bauteil-Favoriten.

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Christian Malik (39) Senior Product Manager Haibike ist seit dem Gr체ndungsjahr 1995 bei Haibike. Er ist verantwortlich f체r die Auslegung, Spezifikation und Serienumsetzung der R채der sowie f체r die Sortimentsplanung.

Ingo Beutner (38) Senior Engineer Haibike ist ein genialer Geist in Sachen Technologie. Ingo ist Herr der 3D-Daten und Vater der Haibike Fahrwerke und zahlreicher wegweisenden Innovationen.


INSIGHT

DA S H E R Z AU S E I N E M G U S S : G R AV I T Y CA S T I N G I N T E R FAC E „Das Motoren-Interface ist das Herzstück eines jeden eBikeRahmens. Hier läuft alles zusammen: Motoraufhängung, Schwingen- und Dämpferbefestigung, Batterie- und Unterrohr-Anbindung. Es ist die Schnittstelle und ihre Stabilität und Präzision ist entscheidend für das komplette eBike. Unser Interface kommt aus einem Guss. Wir setzen auf GravityCasting, einem speziellen Gussverfahren aus dem Motorradbau. Es garantiert trotz geringem Gewicht eine extrem hohe Belastbarkeit und Präzision. Schließlich wird jeder Rohling nochmals per Röntgenanalyse kontrolliert und computergesteuert nachbearbeitet.“ Ingo Beutner

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PIECE OF ENGINEERING ART

DER HELM FÜR DEN M O T O R : S K I D P L AT E „Für sportliche eBikes machen nur Tretlagermotoren Sinn. Aber die sitzen tief unten am Rahmen und laufen somit Gefahr, durch Aufsetzer oder Steinschläge beschädigt zu werden. Wir haben 2012 als erster Hersteller einen Schutz für „untenrum“ entwickelt: Das SkidPlate ist unser Helm für den Motor. Es wiegt keine 100 Gramm und besteht aus schlagzähem Kunststoff, der Kräfte gut ableitet und – anders als Metall – gleichzeitig formstabil bleibt.“ Christian Malik

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INSIGHT

DIE BINDUNG FÜR DEN AKKU: S T E P I N B AT T E R I E C O N C E P T „Unterrohrakkus bringen viele Vorteile – und gleichzeitig die große Herausforderung, sie optisch und technisch elegant in den Rahmen zu integrieren. Unsere Lösung war es, den Akku leicht im Unterrohr zu versenken und ihn durch spezielle Anbindungen optisch einzubinden. So ist er nicht wie bei den meisten eBikes einfach aufgesetzt, sondern wird Teil des Rahmens. Mit unserer speziellen Kombination aus Hydroforming-Rohren und Gussteilen müssen wir die Befestigungspunkte nicht aufschweißen. Und so schaffen wir eine präzisere und stabilere Integration und reduzieren den Abstand zwischen Motor und Akku. Abschließen und Laden am Bike kann man den Akku natürlich dennoch.“ Ingo Beutner

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PIECE OF ENGINEERING ART

D I E S C H N I T T S T E L L E I M C O C K P I T: I N T E G R AT E D D I S P L AY „Displays sind die zentrale Schnittstelle am eBike und sie werden im Zuge der fortschreitenden Connectivity immer wichtiger. Das Problem ist, dass sie oft sehr hoch und damit ungeschützt über dem Lenker sitzen. Oder man positioniert sie unter dem Lenker oder an der Remote. Dort sind sie zwar geschützter, aber nicht mehr im direkten Blickfeld des Bikers. Unser Ansatz bei unserem neuen Yamaha Display war es deshalb, es direkt in den Vorbau zu integrieren. Eingebettet in das solide Alu-Schmiedeteil ist es absolut sicher, auch wenn man stürzt oder das Bike auf den Kopf dreht. Und da der kompakte Displaykörper selbst schwimmend gelagert ist, können ihn auch keine Vibrationen erschüttern. Bleiben noch die Äußerlichkeiten: Durch die Integration ins Cockpit wird das Display optisch eins mit dem Bike – und das sieht einfach extrem clean und gut aus.“ Christian Malik

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INSIGHT

DA S S E N S I B L E FA H R W E R K : S P R O C K E T E Q UA L I Z I N G SYS T E M ( S . E . S) „Ein eBike-Fahrwerk zu entwickeln gehört wohl zu den größten Herausforderungen, die es im Fahrradbau gibt. Mit einem Motor, der sich mehr oder weniger in den Weg legt und dem extrem kleinen Kettenblatt mussten wir bauraumtechnisch neue Lösungen finden – und das ist unser Sprocket Equalizing System (S.E.S). Wir haben das Hinterbaulager nach oben verlegt, um einen möglichst kurzen Radstand und eine korrekte Radhebekurve zu erzielen, wodurch das Fahrwerk deutlich sensibler anspricht. Außerdem können wir durch eine direkt auf dem Drehpunkt positionierte Umlenkrolle, dem Pulley-Wheel, eine Kettenlängung und somit einen Pedalrückschlag beim Einfedern verhindern. Und dann haben wir noch eine Kettenführung integriert, die im Zusammenspiel mit dem Sprocket einen Kettenabwurf nahezu ausschließt. Das S.E.S. ist zwar komplex, arbeitet dann aber doch super simpel und vor allem extrem effizient.“ Ingo Beutner

DA S S TA R K E R I T Z E L : S P R O C K E T „Im Vergleich zu klassischen Kettenblättern verfügt der Bosch Performance CX-Antrieb über ein deutlich kleineres Antriebsritzel, wodurch jeder Zahn im Vergleich mehr Kraft übertragen muss. Wir haben deshalb ein eigenes Ritzel entwickelt, das in einem aufwändigen, computergesteuerten Fräsverfahren (CNC) hergestellt wird. Die spezielle Formgebung der Zähne sorgt dafür, dass die Kettenglieder perfekt aufliegen und die Kraft somit optimal übertragen word. Um die unterschiedlichsten Einsatzgebiete abzudecken, gibt es Sprockets in unterschiedlichen Größen und auch Materialien: gehärteter Stahl, hochfestes Edelstahl oder leichtes Titan.“ Ingo Beutner

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PIECE OF ENGINEERING ART

DIE INTEGRIERTE ERLEUCHTUNG: ELIGHT „Licht am Bike bringt neben Sicherheit auch die Freiheit, bei jeder Tag- und Nachtzeit fahren zu können. Allerdings wirken Beleuchtungen an sportlichen Bikes wie Fremdkörper. Unser eLIGHT Lichtsystem integriert sich optisch perfekt in das Rahmendesign: Der Frontscheinwerfer schmiegt sich an das Steuerrohr und das stabförmig gehaltene Rücklicht fließt in das Sattelrohr über. Beide sind STVZO-konform und die Hochleistungs-LEDs mit 60 LUX sorgen für extrem gute Ausleuchtung – mit extrem sportlichem Aussehen.“ Christian Malik

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INSIGHT

GENAU GESPEICHERT

ROUTENAUFZEICHNUNG & EXPORT

Das eConnect-System speichert selbständig Streckendaten der letzten Touren. Diese kann der Fahrer dann in der eConnect-App ansehen, archivieren und unkompliziert im gängigen GPX-Format exportieren. Somit gehen Traumtouren nie mehr verloren und können einfach geteilt werden.

MEHR

ALS NUR VERBUNDEN INTELLIGENTE SICHERHEIT

A U T O M AT I S C H E NOTRUFFUNKTION

Bei Unfällen, gerade im Gelände, zählt jede Minute. Daher bietet eConnect eine intelligente Notruffunktion. Es kann Stürze detektieren und dem Fahrer eine Nachricht aufs Smartphone senden. Sollte er darauf nicht reagieren können, erfolgt eine automatische Benachrichtigung samt genauer Angabe des Unfallorts an eine zuvor festgelegte Nummer.

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E - C O N N E CT

WISSEN WO

BIKE ORTUNG

Wo steht mein eBike nochmal? Einfach auf der App oder im Web-Portal nachsehen. Mit Hilfe der übermittelten Daten vom GPS-Sender lässt sich der Standort jederzeit in einer gut lesbaren Karte abfragen.

Mit eConnect schaffen wir die technologische Basis zur Vernetzung des eBikes. Zusammen mit unserem Entwicklungspartner Deutsche Telekom können wir eine völlig neue Welt mit spannenden Funktionen eröffnen. Im Zentrum steht die kleine, im eBike integrierte On-Board-Unit, in der sich alle zentralen Bauteile versammeln: ein GPS-Sender zur Standortbestimmung, ein GSM-Chip zur Datenübertragungen sowie ein Bluetooth-Sender zur Kommunikation mit dem Smartphone. Ein Beschleunigungssensor detektiert Erschütterungen und ein integrierter Akku versorgt das System unabhängig vom eBike. Damit ist es optimal gerüstet, um das eBiken noch sicherer, einfacher und sorgloser zu machen.

BESTENS ÜBERWACHT

G P S-B A S I E R T E D I E B S TA H L D E T E K T I O N eConnect wirft ein scharfes Auge auf Ihr abgestelltes eBike. Einmal über die App oder durch den Sender in der Hosentasche aktiviert, erkennt es im Überwachungsmodus Erschütterungen und warnt den User. Sollte sich das eBike zusätzlich vom definierten Standort entfernen, gibt die App Alarm, verfolgt das gestohlene Bike und dokumentiert alle für Versicherung und Polizei relevanten Daten.

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Sturz & Vorurteil

ANDI

WITTMANN


ANDI WITTMANN

Ein Sturz zerstört Andi Wittmanns Biker-Dasein – und bringt ihn ganz anders wieder auf die Beine.

Andi Wittmann ist einer der weltbesten Dirt Biker, hält mit 5,60 Metern den Hochsprung-Weltrekord, organisiert Bike-Events und ist so fit, dass er ins Enduro-Renngeschehen einsteigen will. All das ist Andi Wittmann vor einem Testsprung in Ruhpolding am 01. August 2015. Doch seine Anfahrt ist zu schnell, der Rückenwind zu stark, der Sprung zu weit. Der Oberbayer stürzt aus fünf Metern Höhe ab und rammt senkrecht in den Betonboden. Innerhalb von Sekunden sind seine Füße deformiert und sein Leben als Bike-Profi dahin. Zumindest so, wie er es kannte. Doch dann kam so viel Neues – unter anderem das eBike. FRÜHSTÜCK ZWISCHEN HÜHNERN

Es ist ein kleiner Weiler vor Bad Aibling und die richtige Hausnummer ist auch schnell gefunden. Doch dann biegt man in einen riesigen Hof und ist zunächst irritiert: Wo lang? Man folgt einfach mal dem Gefühl und einer schwarzen Katze  –  und landet in der Postkarten-Idylle: eine hübsche Terrasse, ein entspannt pickendes Huhn, im Beet sprießt der Salat. Man ist richtig: Die frisch renovierte Bauernhof-WG unweit des Chiemsees ist Andis aktuelles Zuhause. Der 28-Jährige rubbelt sein Haar zurecht, schiebt die Katze zur Seite – er ist allergisch – und serviert erstklassigen Cappuccino.

Man könnte jetzt eine heroische Geschichte erzählen. Über einen jungen Mann, dessen Lebensgrundlage und Lebensinhalt zerschmettert wurden. Dem gesagt wird, er könne womöglich wieder laufen lernen, aber seinen Beruf, den könne er vergessen. Der sich jedoch mit eisernem Willen zurückkämpft, nach vier Monaten dem Rollstuhl entsteigt und inzwischen auf dem eBike sitzt. Kann man erzählen, stimmt ja auch. Aber passt irgendwie nicht. Es passt nicht zur Stimmung, zu dem Spaß und zu dem breiten Grinsen. AU F B AU VO N S PAG H E T T I - B E I N E N

Man muss schon genau hinsehen, um die Spuren an Andis Körper zu entdecken. Er geht ganz normal, „aber über längere Zeit klappt’s noch nicht so gut.“ Er sieht unglaublich fit aus, vor allem obenrum: „Das Muskelverhältnis hat sich schon wieder ein wenig ausgeglichen. In den ersten Monaten hingen am breiten Oberkörper zwei traurige Spaghetti.“ Stimmt, die Beinmuskulatur ist noch ausbaufähig und auch die Narben sind gut sichtbar, vor allem an Andis Füßen. Kein Wunder. Als er im Hochsommer 2015 abstürzte, knallte er so auf, dass sie in Millisekunden auf Klumpen zusammenschrumpften, „von Schuhgröße 44 auf Kinderschuhgröße.“ Unfassbare Schmerzen, unzählbare Brüche, vier Monate im Rollstuhl.

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Was war passiert? „Ich war unaufmerksam. Nicht 100 % da, so wie man es als Sportler einfach sein muss“, erklärt Andi und schiebt sein Cap zurecht. Dabei kannte man gerade ihn als überlegten Fahrer. Er war derjenige, der sich durchaus auch mal weigerte, einen Sprung anzugehen, bei dem er ein schlechtes Gefühl hatte. Als Organisator der „Suzuki Nine Knights“, einem der größten Bike-Events weltweit, stand für den Oberbayern die Sicherheit der Fahrer an oberster Stelle. Er nickt. „Und dann habe ich diesen unkonzentrierten Moment, der alles verändert. Ich bin die Tage zuvor den Sprung samt Tricks sicher 50 Mal gehüpft.“ DA S W I R D N I X M E H R ? OH DOCH!

Andi macht eine Pause und streicht sich großzügig Stachelbeermarmelade auf die Semmel. Die Ärzte geben ihr Bestes, um aus den zersplitterten Resten wieder Füße zu formen. Sieht man das Ergebnis muss man fast von einem Kunstwerk sprechen. Andi zeigt das Arsenal an Schrauben und Platten –  „das komplette Sortiment“ – das seine Knochen fixierte. Heute ist er metallfrei und die Füße sehen top aus. Aber bei der Bewegung, so merkt man, funktioniert es noch nicht so. Sie sind sehr steif und das seitliche Kippen extrem eingeschränkt. Das wird wohl auch nicht mehr. Aber nichts im Vergleich


H O M E STO RY

RAUS AUS DER ABHÄNGIGKEIT, RAUF AUF DEN BERG

zu den deutlichen Prognosen der Ärzte in den ersten Wochen: „Das mit dem Sportlerleben, das wird nix mehr.“ Auf Tage voller Schmerzen, Frust und Tränen folgt die Kämpfergeschichte, die man so nicht erzählen will. Und Andi auch nicht. Dafür spricht er viel zu pragmatisch. „Ich war in einer richtigen Scheiß-Situation und da wollte ich mich doch nicht noch drin rum suhlen. Also schaust halt, was geht.“ Und was ging? Andi bekommt von einem querschnittsgelähmten Sportler-Kollegen einen speziellen Rollstuhl – und fährt bald Stufen rauf und runter und Wheelies. Er besorgt sich ein Handbike und kurbelt sich fit. Und als er schließlich wieder stehen kann, macht er sich an eine Sache, die er stets abgelehnt hat: Andi setzt sich aufs eBike.

einen eBiker zu überholen, wenn ich einen gesehen habe …“ Warum? Was war sein E-Problem? „Ich weiß nicht, mir ging’s immer ums Radfahren. Und dann: Ein Motor am Radl. Was soll das denn? Das hat doch nix mit Sport zu tun.“ Andi erzählt, wie er zu Kollege Guido Tschugg meinte, dass er das niemals machen würde. Er, als BikeSportler, auf so ein Ding steigen? „Echt, keine Chance! Für mich ist der Schmarrn nix, hab ich ihm gesagt.“ Er war ein fitter Athlet mit fixem Trainingsplan und fixen Vorurteilen. „Und heute hab ich die Muskeln vom Motor“, lacht er und klopft sich auf die Oberschenkel. Von dem Typ mit den Vorurteilen zum Typ, der die Vorteile besonders erfährt. R AU S AU S D E R A B H Ä N G I G K E I T, R AU F AU F D E N B E R G

DER EINSTIGE E-BIKEVERURTEILER

„Ich habe die Leute niemals beschimpft oder gedisst“, verteidigt sich Andi und räumt dann ein, „aber Sprüche hab ich durchaus gebracht. Ständig. Und es war mir ein besonderes Bedürfnis,

Wie kam’s zum Wandel? „Mit einer Sache habe ich immer besonders gekämpft: der Abhängigkeit. Ich hasse es, um Hilfe zu bitten. Das war wirklich mit das Schlimmste. Mobil zu sein und Dinge selbst erledigen zu können, ist für mich ein Grundbedürfnis. Plötzlich

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konnte ich nix mehr allein. Nicht einmal aufs Klo gehen.“ Dann wollte der Sommer 2015 auch im Winter nicht enden. Andi war gerade dem Rollstuhl entstiegen und konnte wieder einigermaßen stehen. Er lieh sich spontan ein eBike aus. „Ich fuhr hier bei uns aufs Rotwandhaus, setzte mich auf ein Bankerl und war so unfassbar glücklich, dass nix mehr ging.“ Das eBike gleicht am Berg nicht nur seine fehlende Muskelmasse bergauf aus, es entlastet durch den niedrigen Schwerpunkt auch Andis Füße und federt die Schläge ab. Aber Andi tippt sich an die Schläfe: „Das war für mich anfangs mehr mentale Unterstützung als alles andere. Ohne Hilfe auf den Berg, in die Natur, wann ich will. Der Wahnsinn. Das eBike ist mental generell wichtig für mich, weil es mir Frust-Erlebnisse erspart. Ich kann testen, wo meine Grenzen sind und jedes Mal ein wenig herumspielen ohne zu scheitern. Man kann total befreit auffahren. Das kam mir vorher überhaupt nicht in den Sinn. Ich bike ständig irgendwelche Wege und Trails, ohne zu wissen, ob sie überhaupt


ANDI WITTMANN

Das Sortiment an Stiften und Schrauben gehört an kein Bike, sondern war Andis Fuß-Fixierungsmaterial. Nach dem Crash waren die bayerischen Berge zwar nah, aber unerreichbar. Mit eBike ging’s dann erstmals aufwärts und inzwischen auch auf Trails abwärts.

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H O M E STO RY

DAS BIKE WAR MEIN LEBEN. UND HEUTE IST ES DAS FAST NOCH MEHR.

irgendwo hinführen. Ohne Motor bekäme ich die Krise, wenn ich im Nirgendwo enden würde. So ist es egal. Du fährst rum, probierst aus, entdeckst ganz neue Sachen.“ Man wirft ein, dass Andi sich in seiner eBike-Schwelgerei jetzt ganz schön warm laufe. Ist ihm egal, sagt er, das müsse jetzt mal gesagt werden, meint er grinsend: „Willst Du hören, wie top es als Trainingsgerät ist? Ich kann jetzt Grundausdauer am Berg steuern! 2.500 Höhenmeter im perfekten Pulsbereich und dazu Techniktraining auf den Trails. Ich hätte niemals gedacht, dass das Bike so brutal agil ist. Man hat null das Gefühl, dass da ein störender Klumpen dran hängt und die Geometrie ist der Wahnsinn.“ Er fährt schon wieder im nahen Bikepark am Samerberg, macht „kleine Hüpfer“ – und hört sich die Sprüche an, die er einst an eBiker verteilte. DER DR ANG ZUM PERSPEKTIV WECHSEL

Alles gut also? Hier in der oberbayerischen Idylle, unter der warmen Sonne, zwischen Huhn und Hasen, da ist die Welt doch in Ordnung – oder, Andi? Alles bestens? Er schnauft. Und für einen Moment scheint die Luft raus zu sein. Er könnte sehr gut verzichten auf die Schmerzen, die er noch spürt. Auf das steife Gelenk, das womöglich nicht

hat. Hier rückt das Thema Sicherheit wieder in den Vordergrund: „Dem Fahrer können Fehler passieren. Dem Trailbauer darf das nicht passieren! Den Leuten schlecht gebaute Sprünge oder Strecken hinzustellen ist absolut fahrlässig.“ Er organisiert weiterhin Events, schuftet in der Reha, sitzt auf dem eBike und seiner Rennrad-Spezialanfertigung. Wissen, um was es geht: Statt Schulterklopfen und Fan-Jubel findet Andi seine Erfüllung heute in „simplen Bergtouren“ und seiner Arbeit als Bikepark-Entwickler.

mehr flexibler wird. Auf die Tatsache, dass er niemals wieder auf dem Level fahren und springen wird wie einst. Aber Andi ist ein notorischer Auswegsucher. Zwei Sekunden wälzt er Negatives und schon dreht der Rad-Profi am Rädchen und sucht den Perspektivwechsel. „Das Bike war mein Leben. Und heute ist es das fast noch mehr.“ Wie das? „Statt beim Dirt Biken zu sein, pushe ich eben Balzamico.“ Er spricht von der Firma, die er mit Freunden gegründet hat und die sich auf Design und konzeptionelle Erstellung von Bikeparks spezialisiert

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ERDUNG DES SPORTLER-EGOS

„Der Sturz hat mich für so viel Neues geöffnet. Ich will ja nix sagen, aber vielleicht war es auch ganz gut, alles zu verlieren, was mich ausgezeichnet hat.“ Er meint, es würde nicht schaden, wenn das Sportler-Ego mal auf den Boden geholt wird – wenn es auch eine brutale Art der „Erdung“ war. „Du bist ja nur dabei, dich zu profilieren. Es geht darum, zu zeigen, was man kann und das besser, als alle anderen. Als Belohnung sagen die Leute: Mei, was ’n geiler Typ.“ Das sagt man zu einem, der einem auf dem eBike überholt eben nicht mehr. „Wenn ich jetzt allein am Berg sitze und mich dieser Moment total ausfüllt – ganz ohne externe Bestätigung – dann weiß ich doch, dass es gen Mitte geht.“ Da will er hin. Da wollen wir wohl alle hin. Aber Andi will auch eines noch: „Rennrad, eBike, das macht alles brutal viel Spaß. Aber ehrlich: Ich muss zurück auf mein Bike.“


DAS I ST E S !

E-PERFORMANCE IST SPORT ePerformance verbindet physische Aktivität mit der Dynamik einer motorisierten Maschine. Mensch und Maschine bilden ein Hybrid. Trotz der Motorleistung werden der eigenen körperlichen Leistung aber keine Grenzen gesetzt. Im Gegenteil: Höhere Dynamiken und Gewichte fordern sowohl Fahrtechnik wie Körper auf neue Art und Weise.

DIE

CHANCE Wir lieben das Radfahren. Es macht und hält uns gesund – mental wie körperlich. Jeder sollte die Chance haben, auf dem Rad zu sitzen. Das eBike ist genau diese Chance.

EINE A N D E R E S P I E L A R T ePerformance richtet sich weder gegen den Fahrradsport, noch will oder kann es ihn ersetzen. Es ist nicht Radfahren mit Unterstützung. Bike und eBike sind zwei völlig verschiedene Spielarten. Deshalb sollte ein eBike seine Wesensart auch nicht verbergen, sondern selbstbewusst zur Schau tragen.

EIN SPANNENDES

FORDERND WEIL,

FELD STARK Natürlich sind Bike und eBike artverwandt, aber wir brauchen keine alten Antworten auf neue Fragen. Wir müssen alles von Grund auf anders denken. Eine neue Sportart braucht neue technologische (und elektronische) Lösungen und ein eigenständiges Design. Man hat eine spezielle Schwerpunktverlagerung, setzt die Kraft anders ein und meistert steile, schwierige Passagen, die man mit Bike nie fahren konnte. eBike-Entwicklungen sind eine große Herausforderung – und unglaublich spannend.

DEMOKRATISCH

Das eBike hebt Grenzen auf und bringt Menschen zusammen. Man kann in einer bunten Gruppe losziehen und gemeinsam Spaß haben, unabhängig von Alter oder Fitnessstand. ePerformance ist offen für alle!

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LEISTUNGS-

eBikes haben mehr Leistung und fordern deshalb mehr Verantwortung, gegenüber der Natur wie gegenüber Mitmenschen. ePerformance bedeutet, die Umwelt zu respektieren und Vorurteile ab- statt aufzubauen. Bleibt auf den Wegen – und bleibt höflich.

UNFRISIERT

SCHÖN

Sein eBike zu chippen und damit auf öffentlichen Straßen zu fahren mag für manche noch so verlockend sein – es ist und bleibt jedoch ein klares Tabu. Es ist gesetzeswidrig, lässt jegliche Garantie erlöschen und es schadet dem Sport sowie seiner Akzeptanz in Gesellschaft und Politik. Nur wenige schwarze Schafe reichen und der Sport gerät in Sippenhaft. Daher: Finger weg von Tuning-Chips


I M P R E S S U M & KO N TA K T

E-BIKE IMPRESSUM WER FÄHRT WAS? DIE BIKES IM MAGAZIN.

TITELBILD, SEITE 6, 7, 13

XDURO Tschugg Signature 23, Modelljahr 2017

SEITE 14

Q.XC _ 9.20, Modelljahr 2016

SEITE 15, 43–47

XDURO Nduro Pro, Modelljahr 2016

SEITE 18–21

SEITE 20, 23

SEITE 29

XDURO Trekking RX, Modelljahr 2016

SDURO HardSeven RC, Modelljahr 2016

XDURO HardNine Carbon Ultimate, Modelljahr 2016

SEITE 30, 31

SEITE 31

SDURO Nduro Pro, Modelljahr 2016

SDURO AllMtn RX, SDURO FullFatSix, Modelljahr 2016

DAS IST DIE ERSTAUSGABE VON ZERO CADENCE UND DESHALB INTERESSIERT UNS IHRE MEINUNG BESONDERS: WAS HAT IHNEN GEFALLEN – UND VOR ALLEM WAS NICHT? HABEN SIE VORSCHLÄGE ODER WÜNSCHE? DANN LASSEN SIE ES UNS WISSEN. ENTWEDER AUF FACEBOOK.DE/HAIBIKE ODER VIA MAIL AN ZERO-CADENCE@HDC-M.COM

I M P R E S S U M ZERO CADENCE ist ein Magazin der Winora-Staiger GmbH  Herausgeber WINORA-STAIGER GmbH, Max-Planck-Straße 6, 97526 Sennfeld  Objektleitung (v. i. S. P): Alexander Thusbass (a.thusbass@hdc-m.com)  Art Direction & Layout: Tom Albrecht, Daniel Hammer  Text Sissi Pärsch, Alexander Thusbass, Ingo Wilhelm  Mitarbeiter dieser Ausgabe Benjamin Turck, Isabel Egelseder  Illustration (Seite 40–41): Aleksandar Savić, Agent Azur  Fotos Martin Erd, Piers Spencer-Phillips, Lisa Hinder, Maximilian Semsch, Susanne Brüsch, Winora-Staiger GmbH  Druckerei Eberl Print GmbH, Kirchplatz 6, 87509 Immenstadt  Medieninhaber WINORA-STAIGER GmbH, Max-Planck-Straße 6, 97526 Sennfeld / Schweinfurt, UID: DE133898484, Gerichtsstand, Geschäftsführung Susanne Puello  Erscheinungsweise derzeit einmal jährlich  Kontakt zero-cadence@hdc-m.com

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SRSUNTOUR-CYCLING.COM

SRSUNTOUR WERX Athlete: Guido Tschugg / Location: Squamish BC, Canada / Photo: Hoshi Yoshida

THE NEW ROWDY FEDERWEG: 160, 170, 180mm, TA 140-180mm LAUFRAD GRÖSSE: 27,5“ FEDERUNG: LUFT KARTUSCHEN: TA-R2C2, R2C2, TA-RC2, RC2, RC ACHSE: 20mm 20QLC2 GEWICHT: AB 2250g (INKL. ACHSE) SPEZIAL: INTEGRIERTER UND ABNEHMBARER MUDGUARD, QUICK SERVICE PORTS FREERIDE ENDURO

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EX1 IST DAS WELTWEIT ERSTE ANTRIEBSSYSTEM, DAS SPEZIELL FÜR DIE EINZIGARTIGEN ANFORDERUNGEN VON E-MOUNTAINBIKES ENTWICKELT WURDE. MIT DER BEWÄHRTEN SRAM 1x ™ -TECHNOLOGIE ALS IHRE DNA, BILDET DIE EX1-K ASSET TE DAS HERZ DIESER GRUPPE. SIE ERMÖGLICHT OPTIMALE GANGSPRÜNGE FÜR GEZIELTERE SCHALTVORGÄNGE

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