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Rechtliche Aspekte zu den Hygienestandards in Praxen

Rechtliche Aspekte zu den Hygienestandards in Physiotherapie-Praxen

Wenn der Prüfer plötzlich klingelt ...

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Schon bei der Praxiszulassung muss ein Physiotherapeut in seiner Einrichtung Vorgaben der Krankenkassen, der Berufsgenossenschaften und des Impfschutzgesetzes einhalten. Das Thema Hygiene ist durch Corona jetzt wieder in aller Munde. Eigentlich kein Problem für Physiotherapeuten, oder doch?

Physiotherapeuten wurden von der Pandemie in puncto Hygiene und den verschärfenden AHA-Regeln genauso überrascht wie manch andere Unternehmen. Das erstaunte selbst Fachleute wie Rechtsanwalt D. Benjamin Alt, der als Experte in Rechtsfragen für die Therapieberufe sowie als Justiziar mehrerer Berufsverbände in dieser Zeit mehr denn je gefragt war. In seinem kompakten Buch „Die Corona-Krise und ihre Folgen für die Heilberufe“ von Frühjahr 2020 geht er auf 10 Seiten ausführlich auf verschiedene Fragen der Hygiene in Heilmittelpraxen ein. TT-DIGI gegenüber meint er rückblickend, dass einige Praxisinhaber tatsächlich bezüglich der Hygiene nachbessern mussten. Das hat sich erfreulicherweise zum Positiven gewendet.

TT-DIGI: Weshalb kam das Thema Hygiene denn so hoch?

D. Benjamin Alt: Manche Physiotherapeuten behandeln von morgens bis abends Menschen und kümmern sich

weniger um das Drumherum. Viele haben das aber schon sehr gut im Griff.

TT-DIGI: Gewinnt das Thema Hygiene durch Zertifizierungen nun an Bedeutung?

D. Benjamin Alt: Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird, dass es gesetzlich festgelegt wird, dass man zertifiziert sein muss. Ich halte es jedoch für sehr sinnvoll.

TT-DIGI: Welche Kriterien sollten Zertifizierer erfüllen? ››› D. BenjaminAlt

D. Benjamin Alt: Wenn man etwas macht, dann bitte richtig. Denn es gibt auch Trittbrettfahrer. Praxisinhaber sollten darauf achten, dass jemand in die Praxis kommt und sich vor Ort ein Bild von der Einrichtung macht. Und es muss ein schriftliches Hygienekonzept erstellt werden, in dem alles niedergelegt wird. Das halte ich für extrem wichtig.

Wenn ein Anbieter bei der BAFA gelistet ist, so spricht das auch für die Seriosität. Das ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle und es ist für Förderungen zuständig. So kann man davon ausgehen, dass diese Unternehmen, die dort genannt werden, schon einer gewissen Qualitätskontrolle unterlagen. TT-DIGI: Aber zuvor muss man in die Hygiene investieren ...,

D. Benjamin Alt: ... eine Praxisschließung ist jedoch wesentlich teurer! Zum Beispiel hatte eine Praxis vier Behandlungsräume mit jeweils einer Behandlungsliege. Der Prüfer vom Gesundheitsamt bemängelte bei allen Liegen, dass der Bezugsstoff nicht in Ordnung war. Somit war keine zulässige Behandlung möglich. Der Praxisinhaber beteuerte, die Liegen innerhalb von zwei Tagen auswechseln zu können. Das Gesundheitsamt wollte trotzdem die Nachprüfung erst in zwei Wochen festsetzen, was bedeutete, die Praxis so lange komplett zu schließen. Ich vereinbarte mit dem Gesundheitsamt einen Deal, sodass die Praxis nach drei Tagen wieder öffnen durfte. Aber es war ärgerlich und teuer genug, denn es kamen zu den Investitionen noch der Verdienstausfall.

TT-DIGI: Gibt es weitere neuralgische Punkte?

TT-DIGI: Wie hoch liegt die Förderung?

D. Benjamin Alt: Die Förderung geht von 80 bis 20 Prozent, so viel ich weiß. Das signalisiert, wie wichtig das dem Staat ist.

TT-DIGI: Welche Vorteile bringt eine Zertifizierung?

D. Benjamin Alt: Ganz praktisch gesehen muss ich mir als Praxisinhaber dann einfach weniger Sorgen machen. Denn die Hygienekontrolle läuft normalerweise so ab: Der Prüfer – ob vom Gesundheitsamt, von der Bezirksregierung, vom Regierungspräsidium oder von der Berufsgenossenschaft – fragt als Erstes nach den schriftlichen Unterlagen. Wenn Sie ein Konzept vorlegen, sauber abgeheftet in einem Ordner, schaut der Prüfer in der Regel darüber, weiß jedoch schon, dass sie sich Gedanken gemacht haben, und geht dann lieber gleich in die nächste Praxis. Habe ich das nicht, muss ich mir Sorgen machen, dass im schlimmsten Fall meine Praxis geschlossen wird.

Wir haben zum Beispiel sogar die Situation, dass Gesundheitsämter mit ausgebildeten Prüfern, mit TÜV- und DEKRA-Fachleuten zusammenarbeiten. Sie werden vom Gesundheitsamt beauftragt und von den Krankenkassen bezahlt, unter der Voraussetzung, dass sie einen schriftlichen Bericht über den Hygienezustand der Praxis bekommen. Das kann zu einer Vertragsstrafe führen bis hin zum Entzug der Krankenkassenzulassung.

D. Benjamin Alt: Für frischbezogene Liegen muss eine Hautverträglichkeitsprüfung oder ein Gutachten vorliegen, was viele nicht wissen. Oft werden zudem Keile und Rollen beanstandet, deren Kunstleder spröde geworden ist. Handtücher sind ein kritischer Punkt, in den sanitären Räumen für die Patienten als auch für die Therapeuten. Vorhänge sind ein leidiges Thema sowie die einmal tägliche Bodenreinigung.

TT-DIGI: Wird im Bereich Hygiene etwas bleiben, was vorher nicht war?

D. Benjamin Alt: Nach der Pandemie werden die Kontrollen zunehmen. Da sollten wir uns nichts vormachen. Es wird empfohlen, von einer Sprühdesinfektion wegen der negativen Auswirkungen auf die Atemwege abzusehen und eher auf Scheuer-Wisch-Desinfektion zu setzen. Und jeder Praxisinhaber sollte sich mit den bestehenden Hygieneregeln kritisch auseinandersetzen, damit die Einrichtung auf eine Prüfung vorbereitet ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Reinhild Karasek.

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