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Interview mit Dr. Christoph Leitner
„Cool, ich will auch Leben retten“
Der Mensch hinter dem Mann im weißen Kittel Dr. Christoph Leitner, Leiter der onkologischen Tagesklinik Bruneck
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Er ist auf Umwegen zur Onkologie gekommen. Hausarzt, Sportmedizin, Innere Medizin, nach mehreren Ausbildungs- und Arbeitsjahren in der Schweiz wäre er fast nach England an eine Forschungsstelle gegangen. Dann kam der Ruf aus Bruneck. Er ist empathisch, sieht aus, wie der nette junge Mann von nebenan, den man jederzeit um Hilfe bitten kann, und er beschäftigt sich beruflich am liebsten mit Menschen in schweren gesundheitlichen Krisensituationen. Dr. Christoph Leitner, Leiter der im November 2015 eröffneten onkologischen Tagesklinik in Bruneck.
Eine zugegebenermaßen „banale“ Frage an einen Arzt: Was hat sie dazu bewegt, Medizin zu studieren?
Dr. Christoph Leitner: Ich hatte mit 14 einen schweren Radunfall mit Milzriss und wurde einer notfallmäßigen Operation unterzogen, die mir wohl das Leben gerettet hat. Damals dachte ich: „Cool, ich will auch Leben retten.“ Dann habe ich die Oberschule in Bruneck beendet und habe in Innsbruck und Wien Medizin studiert.
Sie haben neun Jahre in der Schweiz und in Österreich an großen Kliniken gearbeitet, hatten dort, was man umgangssprachlich einen „guten Job“ nennt. Trotzdem sind sie zurück in ihre Heimatstadt Bruneck gekommen…
Dr. Christoph Leitner: Ja mein primäres Ziel nach dem Studium war Hausarzt zu werden. Ich war mein erstes Jahr am interdisziplinären Notfallzentrum der Universitätsklinik in Bern tätig. Nach mehreren Jahren an Abteilungen für Innere Medizin habe ich sechs Monate als Hausarzt gearbeitet. Das war spannend, auch wegen des intensiven psychologischen Kontakts mit den Patienten. Ich halte den Hausarztberuf nach wie vor für extrem wichtig und wertvoll, aber für mich war es am Ende doch nicht das Richtige. Ich bin deshalb zurück an das Universitätsklinikum in Bern und habe dort zunächst meine Facharztausbildung für Innere Medizin beendet. Während einer Rotation als internistischer Oberarzt an der Universitätsklinik für Radioonkologie in Bern, kam ich dann ganz konkret
und eng mit onkologischen Patientinnen in Kontakt und seither hat mich dieses so faszinierende Fachgebiet nicht mehr losgelassen. Ich habe deshalb eine zweite Facharztausbildung für Onkologie absolviert. Schließlich war ich leitender Oberarzt an der universitären onkologischen Ambulanz in Innsbruck. Ja und dann war ich dabei einen Forschungsauftrag in England anzunehmen, als der Ruf nach Bruneck kam.
...als Leiter der neueröffneten onkologischen Tagesklinik. Was hat sie daran gereizt? Zurück in die Heimat? Die Möglichkeit etwas Neues aufzubauen?
Dr. Christoph Leitner: Etwas von beidem wohl. Ich fand es eine großartige Herausforderung, hier in Bruneck etwas Neues aufzubauen und ja, meine Auffassung von Onkologie und Patientenbetreuung umzusetzen. Mittlerweile platzen wir aus allen Nähten, die Herausforderungen bleiben spannend und werden immer mehr. Ein großes Problem, das wir ja nicht nur hier haben, ist der Personalmangel. Es ist wichtig, junge Leute hierherzuholen. Wir versuchen, immer mehr auf die Ausbildung von jungen Ärzten zu setzen.
Vom Hausarzt zur Onkologie. Was fasziniert sie an diesem Fach?
Dr. Christoph Leitner: Es ist diese Mischung, die mich in der Onkologie fasziniert: einerseits eine extrem spannende, hoch spezialisierte und fachlich herausfordernde Wissenschaft in rasanter Entwicklung, mit der es Schritt zu halten gilt. Die einzige Konstanz in der Onkologie ist der ständige Wandel. Andererseits entwickelt sich auf der menschlichen Ebene mit all unseren Patienten ein enger und tiefgründiger Kontakt, meist über Jahre hinweg. Sich mit Menschen in Situationen existentieller Not konfrontieren zu dürfen, versuchen, sich in diese hineinzuversetzen, ist neben der fachlichen Herausforderung das, was mich motiviert. Meine Arbeit gibt mir überaus wertvolle Gelegenheiten zu tiefgründigen Einblicken in das Leben anderer und daran auch persönlich zu wachsen. Ich empfinde meine Arbeit als ein Geschenk: Ich darf mich um andere Menschen kümmern. Und ich kann ihnen versichern, der onkologische Patient ist ein sehr dankbarer Patient. Das was wir von unseren Patienten zurückbekommen, ist grandios.
Was sehen Sie als größte Herausforderung in ihrer täglichen Arbeit?
Dr. Christoph Leitner: Das Definieren eines Zieles. Bei kurativen Therapieansätzen ist das natürlich keine Frage. Aber es geht -ja nicht immer nur um Heilung. Und da stellt sich die Frage: Wann ist genug therapiert? Wann profitiert der Mensch nicht mehr von tumorgezielten Behandlungen? In dieser Hinsicht geht es um die Patienten-Autonomie, bzw. um das „SharedDecision-Making“, um die gemeinsame Entscheidungsfindung: Es ist der Patient, der in jeder Lebenslage über sein Leben entscheidet, nicht der Arzt. Und somit oft auch darüber, ob er weitere nebenwirkungsbehaftete Therapien auf sich nehmen will, oder nicht. Aber damit er diese schwierigen Fragen kompetent beantworten kann, muss er eben seine Lebenslage und die Konsequenzen seiner Entscheidungen verstehen können. Und da kommt der Arzt ins Spiel: dieser muss im Stande sein, dem Betroffenen die Freiheit zu geben, um über sich selbst entscheiden zu können.
Sie sagten, es geht ja nicht immer nur um Heilung…
Dr. Christoph Leitner: Es gibt Krankheitsverläufe, die weit fortgeschritten sind. Späte Diagnosen. Therapien, die nicht greifen, nicht behandelbare Tumore, ja das stimmt.
Krebs ist immer besser heilbar. Ist heute keine tödliche, sondern in den meisten Fällen eine chronische Erkrankung. Wenn dem nicht so ist, wie geht man, wie gehen Sie dem Thema Tod um?
Dr. Christoph Leitner: Es ist immer eine Herausforderung, das rechte Maß zu finden zwischen Empathie und der notwendigen Distanz. Ich kann bis jetzt gut mit dem Thema Tod umgehen. Der Tod ist Teil des Lebens. Wir müssen den natürlichen Verlauf des Lebens akzeptieren, auch in unserer Hochleistungsgesellschaft. Und auch wenn uns das schwer fällt. Letztlich sind wir Menschen… Ich tue mich nur dann schwer, wenn ich das Gefühl habe, dass in der Beratung, in der Kommunikation, im Umgang mit dem Patienten Fehler unterlaufen sind. Dann ist es schwierig!
Dr. Christoph Leitner privat…
Dr. Christoph Leitner: Ich bin 42 Jahre alt, verheiratet, habe drei wunderbare Söhne im Alter von 15, 11 und 5. Auch das ist eine tägliche Herausforderung, den unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Ich bin aber in der glücklichen Lage, dass mir das großen Spaß macht.
Dr. Christoph Leitner
Interessen und Hobbys, die nichts mit Medizin zu haben?
Dr. Christoph Leitner: Ich liebe alles, was mit Bergen zu tun hat, reise gerne. Bin ein absoluter Fan des HC Pustertal. Mein Lieblingsautor ist Hermann Hesse. Ich bin der wahrscheinlich unmusikalischste Besitzer eines E-Basses und spiele nur mit Kopfhörern, damit mich niemand hören muss. Ja und ich habe einen Stammtisch. Wir treffen uns regelmäßig. Das ist der Ort, um über spannende, aktuelle Themen zu reden, wertvolle Inputs zu bekommen, von jemandem, der so ganz etwas anderes im Leben tut. Aber auch der Ort zum Blödsinn machen, wo man ganz ungezwungen ein Bier zusammen trinkt.
Was sehen Sie als Ihre Stärke bzw. als Ihre Schwäche an?
Dr. Christoph Leitner: Ich denke, ich kann Menschen gut verstehen und ihnen das auch zeigen. Ja, und manchmal habe ich das Gefühl, dass mir die notwendige Kraft fehlt, immer alles das zu geben, was ich geben möchte. •