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“Der Gebrauch von Gras ist immer medizinisch”

Ed Rosenthal über Kultivieren und Drogenpolitik

Die Veranstalter der Wiener Cultiva sorgen jedes Jahr dafür, dass auf dem Kongress einer der berühmtesten Züchter etwas von seinem Wissen mit dem Publikum teilt. Diese Aufgabe übernahm letztes Jahr Jorge Cervantes, den man vielleicht niemandem mehr vorstellen muss.

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Dieses Jahr ein mindestens ebenso großer Name:

Ed Rosenthal, der als Gärtner, Bestsellerautor und nicht zuletzt als Fürsprecher der Legalisierung zum Publikum sprach. Seine

Themen: erfolgreiche Hanfzucht und die Veränderungen bei den Richtlinien der Drogenpolitik der Vereinigten Staaten. Zwischen den beiden Vorträgen antwortete er auf unsere Fragen.

Das letztere Thema – die Veränderungen in der US-Drogenpolitik – sprach uns stärker an, denn nach unserem Wissen hatte er als Anbauaktivist schon öfter Probleme mit dem amerikanischen Gesetz. Man muss wissen, dass Ed Rosenthal 1998 begann, in Oakland bei San Francisco Cannabis für chronisch Kranke anzubauen.

Der Anbau von Cannabis für therapeutische Zwecke war nach dem kalifornischen Gesetz schon seit drei Jahren straffrei. Rosenthal wusste dies und begann – im Besitz der nötigen Genehmigungen – mehr als 100 Cannabispflanzen für ein Zentrum, das Therapiepatienten versorgte, zu ziehen. Die amerikanische Bundesregierung versuchte damals noch mit aller Kraft, den Reformen und den Marihuanatherapieprogrammen in den Bundesstaaten einen Riegel vorzuschieben, und verwickelte den berühmten Züchter in einen Prozess, bei dem ihm 20 Jahre Gefängnis drohten. Rosenthal berief sich darauf, dass er arglos und unter Einhaltung der Gesetze von Kalifornien die Zucht begonnen habe. Falls das Urteil gegen ihn in Kraft treten sollte, sagte er den Cannabistherapiezentren und -patienten eine traurige Zukunft voraus. Nach einem bekannten bildhaften Vergleich kann ein Autofahrer, den ein Polizist über eine rote Ampel gewunken hat, nicht von einem anderen Polizisten wegen einer Regelwidrigkeit bestraft werden. Dank der überzeugenden Argumentation Rosenthals und seiner Rechtsanwälte und natürlich dank des politischen Klimas, das sich Ende der 90er-Jahre schon in Veränderung befand, wurde Rosenthal schließlich zwar verurteilt, musste aber statt 20 Jahren nur einen Tag im Gefängnis sitzen. Drei Jahre später, 2006, nahm ein Revisionsgericht den Prozess wieder auf, unter Berufung darauf, dass sich in dem vorangegangenen

text: von Tamás Kardos

Ed Rosenthal wurde 1944 in New York geboren und trägt seit gut dreißig Jahren den Titel “Ganjaguru”, den er einerseits mit seinen Büchern über die Marihuanazucht, andererseits mit seinem aktiven Einsatz für die Legalisierung und therapeutische Marihuanaprogramme verdient hat. Sein eigener Verlag veröffentlichte etwa fünfzig Bücher über Cannabis und andere natürliche bewusstseinsverändernde Stoffe; ein gutes Dutzend von ihnen wurde von Rosenthal verfasst. Seine berühmtesten Werke sind das “Marijuana Grower’s Handbook” und das mehrbändige “The Big Book of Buds”. In den 1980er- und 90er-Jahren wurde er als Autor der legendären High Times bekannt. 1998 begann er, Marihuana für therapeutische Zwecke zu züchten. Die Bundesregierung erhob zweimal gegen ihn Anklage wegen Anbaus im großen Stil, aber trotz der Anzeige musste er nur einen Tag absitzen. Seine Aktivität ist unverändert, obwohl er auf sein siebzigstes Lebensjahr zugeht. Sein letztes Buch erschien dieses Jahr unter dem Titel “Protect Your Garden” und seine Webseite www. edrosenthal.com aktualisiert er laufend. Nach seinem berühmt gewordenen Ausspruch macht “Marihuana vielleicht nicht süchtig, sein Anbau aber sicher!”

Verfahren die Jury einer Pflichtverletzung schuldig gemacht habe, als sie unter Berufung auf die juristische Immunität nicht alle Details der ursprünglichen Anklage in vollem Umfang untersucht habe. In dem Wiederholungsverfahren verweigerten mehrere Zeugen eine neuerliche Aussage. Schließlich verzichtete das Gericht im Mai 2007 darauf, gegen Rosenthal eine weitere Anklage wegen Steuerbetrugs und Geldwäsche im Zusammenhang mit der Zucht von Rauschmitteln zu erheben. Rosenthal, der sowohl Produzent von therapeutischem Cannabis und politischer Aktivist ist, stellte sich nun die Frage, ob man je nach Anwendungsziel die Zuchtmethoden voneinander trennen kann. Als mit allen Wassern gewaschener Interviewpartner konnte er mit seinen Antworten überraschen:

Medijuana: Kann man von einem Unterschied bei der therapeutischen und nicht-therapeutischen Methode sprechen?

Wenn einem Patienten beispielsweise eine Sorte mit einem bestimmten Verhältnis von THC:CBD empfohlen wird – muss man dann bei der Zucht die entsprechenden technischen oder methodologischen Vorschriften einhalten?

Ed Rosenthal: Verschiedene Leute halten verschiedene Sorten für therapeutisch, nicht bei jedem bewähren sich die gleichen Varianten. Außerdem ist bei der Auswahl der richtigen Sorte nicht nur von THC und CBD die Rede, sondern es geht auch um die Terpene. Diese Verbindungen sind am ehesten dafür verantwortlich, wie das Cannabis wirkt. Die Terpene bestimmen nicht nur das Aroma des Cannabis, sie beeinflussen auch die Wirkung des THC. Sie leisten also eine Art Feineinstellung des schon veränderten Bewusstseinszustandes.

M: Was empfehlen Sie Gärtnern, die für Patienten anbauen?

ER: Für sie habe ich keine besonderen Ratschläge. Nichts, was ich nicht auch anderen Züchtern empfehlen würde, weil ich meine, jeder hat das Recht auf die gleiche einwandfreie Qualität, denn letztlich wird jedes angebaute Cannabis der einen oder anderen Art von Konsum zugeführt.

M: Also kann die Zucht für den therapeutischen und rekreativen Gebrauch nicht scharf getrennt werden? Aber wie sieht es bei den Anwendungsmethoden für die beiden ziemlich unterschiedlichen Ziele aus?

ER: Meiner Meinung nach ist jeder Gebrauch von Marihuana therapeutisch, nur sind sich die Leute und der größte Teil der Konsumenten darüber nicht im Klaren. Obwohl der größte Teil der Konsumenten das Cannabis nicht als Medikament betrachtet, erfüllt es auch bei ihnen mehr oder weniger diese Rolle.

M: Die Zucht ist jedoch nur eine Seite der Sache, denn die Patienten bekommen das

Cannabis nicht mehr nur in Pflanzenform. Was ist Ihre Meinung über die immer größere Zahl von Produkten?

ER: Ich halte sie für nützlich. Gleichzeitig glaube ich, dass Europa auf diesem Sektor stark zurückliegt, und ich hoffe, dass ich große Veränderungen sehen werde, wenn ich nächstes Mal komme. In den USA stehen zahllose Präparate zur Verfügung – von Ölen über Tinkturen und Nahrungszusatzstoffen bis hin zu verschiedenen Lebensmitteln und Getränken. Wenn die Leute diese Produkte nicht mögen und nicht nachfragen würden, könnte man sie nicht in einer solch großen Auswahl finden.

M: Politiker, die das Verbot befürworten, verkünden, dass viele sich hinter der Maske der Krankheit verstecken würden und versuchten, sich Gras legal zu beschaffen, um high zu werden und sich gut zu fühlen. Ist da was dran?

ER: Natürlich, aber ich habe daran nichts auszusetzen. Von ihren verständlichen Interessen geleitet, tun die Menschen alles, um beim Cannabisgenuss nicht die Gesetze zu verletzen, damit die Gesellschaft sie nicht kriminalisiert. Dazu haben sie gegenwärtig dieses Instrument.

M: Glauben Sie, dass die Bewegung für therapeutisches Marihuana dazu beiträgt, dass man im Cannabis kein Rauschmittel, sondern ein mögliches Therapiemittel sieht?

ER: Ja, ich sehe das so, dass eine grundlegende Veränderung eingetreten ist, wie die Leute über das Marihuana denken – wenigstens in den Vereinigten Staaten. Heute sind die Legalisationsgegner schon viel eher geneigt, den Cannabiskonsum als medizinische Frage zu betrachten oder es mit der sozialen Versorgung in Verbindung zu bringen, als früher. Nur noch ein sehr kleiner Teil von ihnen hält die Kriminalisierung für notwendig. Ich meine, dass diese Sichtweise sich gerade auf der ganzen Welt verbreitet.

M: In Europa ist die Veränderung auch zu beobachten ...

ER: Der Prozess ist auf der ganzen Welt zu spüren. Kann sein, dass er auf Regierungen einiger europäischer Länder noch keine Wirkung ausübt, aber die gesellschaftliche Anerkennung des Marihuanas nimmt weltweit zu. Der interessanteste Fall ist vielleicht das diktatorische Nordkorea, wo wir von Freiheit zwar nicht sprechen können, der Gebrauch von Marihuana aber erlaubt ist. (Ganz exakt: Nordkorea hat zahllose internationale Vereinbarungen nicht unterschrieben und nimmt an den meisten “Programmen” nicht teil, so auch nicht am Drogenkrieg. Die Zucht und der Konsum von Marihuana sind dort nicht verboten; gegenwärtig gibt es weder ein Gesetz noch eine Vorschrift dazu.)

M: Glauben Sie, dass der Raumgewinn des therapeutischen Marihuanamodells auch zur Verbreitung der Legalisierung beiträgt?

ER: Ja, ich glaube, wenn die Gegenwart von Marihuana im Alltag und in der Medizin natürlich und akzeptiert wird, wird man sich auch nicht gegen die Reglung des rekreativen Gebrauchs wenden.

M: Wie können die europäischen Aktivisten die Veränderungen erreichen, die wir heute in den Vereinigten Staaten oder gerade in Uruguay sehen?

ER: Die Veränderung hat schon begonnen: Die USA ziehen sich sichtlich aus dem Drogenkrieg zurück, und die Auswirkung davon ist, wie ich schon gesagt habe, mehr oder weniger an allen Punkten der Welt spürbar. Damit werden in den kommenden zehn Jahren auch die europäischen Regierungen konfrontiert sein. Spanien und Portugal haben für die Sache schon viel getan; ähnliche Entwicklungen sind in den übrigen Ländern der EU auch zu erwarten. Es genügt, sich das Beispiel von Tschechien anzuschauen: Eine Partei setzte schon vor Jahren einen Prozess zur Gesetzesänderung in Gang, die Unterstützer gingen diesen Weg bis zum Ende, und nun können sie für sich selbst zu Hause anbauen.

M: Also ist die Marihuanafrage entschieden – ist das die Botschaft von Ed Rosenthal an Europa?

ER: Ja, die Botschaft lautet, dass die Legalisierung schon auf dem Weg ist und jeder für seine Rechte aufstehen und seinen Teil dafür tun muss, um das alsbaldige Eintreten zu beschleunigen. Wer keine Zeit hat, dafür aber Geld, der kann die Organisationen unterstützen, die für die Legalisierung kämpfen. Wer aber kein Geld hat, der kann freiwillige Arbeit bei einer Organisation für die Legalisierung oder Patientenrechte übernehmen, und damit die Erreichung des hohen Ziels fördern.

Im ersten Teil unserer Reihe haben wir erörtert, wie man verhindern kann, dass sich Cannabiskonsum ungünstig auf die Kindererziehung auswirkt. Diesmal richten wir unser Augenmerk auf die amerikanischen Mütter und u ntersuchen, ob sich in den Staaten, die legalisiert haben, die Vorurteile ge genkiffende Mütter verringert haben. Außerdem zeigen wir am konkreten Beispiel, wie eine g anze Familie von der Therapie der Mutter mit medizinischem Cannabis profitieren kann.

Diskussionen über den Cannabiskonsum von Eltern sind vorwiegend in Colorado und Washington an der Tagesordnung, wo die neuen Gesetze es Eltern erlauben, zu Hause Cannabis zu konsumieren. Manche nehmen sich des Themas mit Humor an. Eine Episode der Comedyserie Jus‘ Sayin‘ Productions, die dieses Jahr an den Start ging, trägt beispielsweise folgenden ausgesprochen präventiven Titel: „5 untrügliche Zeichen, dass deine Eltern kiffen“. Ebenfalls keine Seltenheit: Zwischen zwei Bierreklamen lauschen Fernsehreporter mit erstaunten Gesichtern, wie Eltern über ihre keineswegs extremen Kiffgewohnheiten berichten. Die Antipathie gegen kiffende Mütter erscheint in einer Alkoholkultur unerklärlich. Sind Eltern verantwortungsloser, wenn sie mit ihrem Kind unter einem Dach Cannabis statt Alkohol konsumieren? Kennt man die Rolle, die Alkohol bei häuslicher Gewalt spielt, und das relativ niedrige Gewaltrisiko bei Cannabis, dann sollte man das Verhältnis zum maßvoll genannten Alkoholkonsum von Eltern bedenken, bevor man kiffende Eltern abstempelt.

Der werfe den ersten Stein auf mich…

Ende September brachte ABC News einen interessanten Bericht über einige Mütter aus Denver, die zu ihrem Canna-

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