MAG | Opernhaus Zürich / Barrie Kosky

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MAG 20

Catherine Naglestad singt Minnie


Editorial 1

Am Ende der Welt Verehrtes Publikum, wer in der vergangenen Woche an der Rückseite unseres Opernhauses vorbei gekommen ist, konnte einen Mann be­obachten, der sich an einem Bühnenbildteil zu schaffen machte. Er goss Dreckwasser über das grob gezimmerte Holz, bekleckerte es mit braunem Klarlack und traktierte die Verkleidung mit dem Vorschlaghammer. Ein Fall von Kunst-Vandalismus war das nicht. Im Gegenteil: Der Bühnenbildner Rufus Didwiszus hat seine Ausstattung für unsere Neuproduktion von Puccinis Oper La fanciulla del West auf Festpielglanz poliert und dem Bartresen, an dem der erste Akt der Oper spielt, die nötigen Gebrauchsspuren verpasst. Denn der «Westen», der im deutschen Titel Das Mädchen aus dem goldenen Westen so verheissungsvoll klingt, ist in Wahrheit ein heruntergekommenes Goldgräbernest am Ende der Welt. Puccini wäre freilich nicht Puccini, wenn nicht auch an diesem Ort herzergreifend gesungen würde. Seine im Re­pertoire oft vernachlässigte Fanciulla-Partitur bietet alles, was ein unter die Haut gehender Opernabend braucht: Bel­ canto kombiniert mit sex and crime, eine Thriller-Handlung umpeitscht von den Wellen überschäumender Or­chester­ kunst. Ein festspielwürdiges Stück, von dem wir sicher sind, es Ihnen auch in einer festspielwürdigen Besetzung präsentieren zu können: Der als Puccini-Koryphäe weltweit ge­ frag­­te Marco Armiliato steht am Dirigentenpult. Catherine Nagle­stad, Zoran Todorovich und Scott Hendricks bilden ein charismatisches Trio in den Hauptrollen, und Regie führt zum ersten Mal in Zürich der als Intendant an der Komischen Oper Berlin überaus erfolgreiche Barrie Kosky.

MAG 20 / Juni 2O14 Unser Titel zeigt Catherine Naglestad, eine Probenreportage lesen Sie auf Seite 22 (Foto Florian Kalotay)

Unsere Fanciulla-Premiere ist nicht der einzige Beitrag des Opernhauses zu den diesjährigen Festspielen Zürich, die am 13. Juni eröffnet werden. Wir haben attraktive Wiederauf­ nahmen wie Gaetano Donizettis Roberto Devereux mit Edita Gruberova im Programm, Schuberts Winterreise mit unserem neuen Ensemblemitglied, dem Schweizer Tenor Mauro Peter, Fabio Luisi dirigiert das letzte Philharmonische Konzert der Spielzeit mit Rachmaninows erstem Klavierkon­zert und der C-Dur-Messe von Beethoven. Und am 18. Juni steigt zum ersten Mal unser oper für alle-Event, zu dem wir Sie bei kosten­losem Ein­tritt herzlich einladen: Wir übertragen eine Rigoletto-Vorstellung live auf den Sechseläutenplatz. Unter dem Dach der Festspiele arbeiten die vier grossen Kunstinstitutionen Zürichs zusammen, neben dem Opernhaus das Schauspielhaus, das Kunsthaus und die Tonhalle, und die Intendanten der Häuser wollen auch mit der Festspielausgabe 2014 den Kurs der künstlerischen Profilierung fortsetzen. Im Zentrum des diesjährigen Festspielthemas Prometheus – Entfesselung der Kräfte steht die Aufführung von Luigi Nonos Prometeo in der Tonhalle. Das Werk ist eines der grossen Musikabenteuer des 20. Jahrhunderts, im­mens in seinem künstlerischen und technischen Aufwand, betörend in seiner alle Sinne schärfenden Wirkung. Die Auf­ führung am 2. Juli sollten Sie auf keinen Fall verpassen. Das MAG-Team wünscht aufregende Festspielwochen und viel Spass bei der Lektüre unseres aktuellen Heftes. Claus Spahn


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Immer anders Der australische Regisseur Barrie Kosky überrascht in seinen temporeichen, energiegeladenen Inszenierungen mit immer neuen Bildwelten und widersetzt sich jeder Kategorisierung

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Text Ulrich Lenz, Foto Danielle Liniger

on Kritikern, die auch Regisseure gerne in Schubladen stecken, wird die Arbeit von Barrie Kosky oft mit den Attributen «Glitzer, Glamour, Showbiz» versehen. Wohl tragen die Inszenierungen von Cole Porters Musical Kiss me, Kate oder Paul Abrahams Operette Ball im Savoy, die Kosky 2008 und 2013 an der Komischen Oper Berlin in Szene setzte, derlei Attribute durchaus zu recht. Um die ganze Bandbreite des Australiers, der seit 2012 Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper ist, zu beschreiben, greifen sie indes zu kurz. Denn Arbeiten wie der Doppel­ abend aus Purcells Dido and Aeneas und Bartóks Herzog Blaubarts Burg 2010 an der Oper Frankfurt, Dvořáks Rusalka 2011 an der Komischen Oper Berlin oder Glucks Armide 2013 in Amsterdam – um nur drei Beispiele aus einer langen Reihe zu nennen – lassen in ihrer Sparsamkeit der Mittel und ihrer fast spartanisch zu nennenden Kon­ zentration auf die Darsteller Attribute wie «Glamour» oder «Showeffekt» geradezu absurd erscheinen. Eine gemeinsame Marke lässt sich freilich auch für die drei letztgenannten Produktionen aufgrund ihrer so unterschiedlichen Ästhetik schwerlich finden. In der Tat ist Barrie Kosky einer der wenigen Regis­ seure, der sich mit seinen Arbeiten jeglicher Festlegung auf einen einheitlichen (Personal-)Stil entzieht und stattdessen immer wieder mit einer vollkommen neuen Ästhetik zu überraschen vermag. Sein Markenzeichen ist, dass er sich

kein Markenzeichen aufkleben lässt. Die ganze Palette äs­ thetischer Möglichkeiten steht ihm zu Beginn einer jeden Inszenierungsarbeit ohne selbst auferlegte Beschränkungen zur Verfügung. Manchmal scheint es fast so, als suche sich das zu inszenierende Stück selbst die jeweilige eigene Äs­ thetik aus. Am Anfang der Beschäftigung mit einem Stück steht bei Kosky bezeichnenderweise sehr oft ein einzelnes kraftvolles Bild. Bei Brittens Peter Grimes 2007 an der Staatsoper Han­ nover waren dies Hunderte von Holzkisten unbekannten Inhalts, die im Verlaufe des Stückes zu immer wieder neuen Anordnungen umgebaut, gestapelt, verschoben wurden.

Rameaus «Castor et Pollux» ist wie Monteverdis «Orpheus» ohne Knoblauch Für Wagners Rheingold – ebenfalls an der Staatsoper Han­ nover – war es das Bild tanzender Showgirls mit üppigem weissem Federschmuck, die einen vor Geilheit lechzenden, als schwarz geschminkter Minstrel-Sänger kostümierten Alberich mit ihren Federfächern zum Niesen brachten. Im Orpheus, dem ersten Teil der Monteverdi-Trilogie, mit der Kosky 2012 seine Intendanz an der Komischen Oper Berlin einläutete, war es das in Ovids Metamorphosen überlieferte



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Bild von Orpheus’ tragischem Ende – wilde Mänaden reissen den Körper des unglücklichen Sängers in Stücke –, das ganz am Anfang des kreativen Prozesses stand (und dann am Ende in einer von einem Figurenspieler geführten, zerlegbaren Orpheus-Puppe seine Umsetzung erfuhr). Derlei Ur-Bilder werden im Laufe des Vorbereitungs­ prozesses weiterentwickelt, sie erzeugen neue, weitere Bil­ der, werden modifiziert, verworfen, wiederaufgenommen, bis sich über einen längeren Zeitraum hinweg ein immer dichteres Gewebe an Bildern entwickelt hat, das am Ende das ganze Werk umspannt. In diesem Sinne ist Kosky kein Konzeptregisseur, der ein Stück zunächst rein theoretisch analysiert und aus dem darüber gefundenen Konzept eine bildnerische Umsetzung entwickelt. Im Zentrum seiner Arbeit steht vielmehr von Anfang an das theatrale Bild. Vielleicht ist genau dies das Geheimnis seines Erfolgs bei einem sehr breit gefächerten Publikum?! Auf eine rational nicht immer nachvollziehbare Weise enthüllen die Ur-Bilder einer Kosky-Inszenierung gleichsam

Kosky liebt Shakespeare genauso wie die Simpsons, die Marx Brothers nicht weniger als Mozart im Nachhinein ihre tiefere, über die offensichtliche Aussage weit hinausgehende Bedeutung, fügen sich die aus dem an­ fänglichen Bild entwickelten Bilder am Ende in der Tat zu einem stringenten Konzept zusammen. Denn was Kosky in einem ersten Schritt «aus dem Bauch heraus» zu erschaffen scheint, ruht auf dem Fundament einer umfassenden Bildung. Als Enkel jüdischer Auswanderer aus Russland, Polen und Ungarn im australischen Melbourne aufgewachsen, ist Kosky ein wahrer Kosmopolit, dessen Bildungshorizont keinesfalls an den Grenzen der «Alten Welt» endet. Seine Inspirationen schöpft er aus südamerikanischer Literatur ebenso wie aus der europäischen Malerei, aus der Geschichte seines Heimatlandes Australien ebenso wie aus der jüdischen Kultur. Dass er ein begeisterter Kinogänger ist, versteht sich fast von selbst. Berühmt sind die Vergleiche zwischen Kunst und Esskultur, die der kulinarische Geniesser Kosky gerne zieht: Rameaus Castor et Pollux sei wie Monteverdis Orpheus, heisst es da, aber ohne Knoblauch! Eine gute Aufführung müsse wie eine Meringue Lemon Tarte sein: eine gute Mischung aus süssem Baiserschaum, säuerlicher Zitronencrème und festem Mürbteig. Und um seine Sicht auf ein Werk in wenigen Worten zu umreissen, mischt er gerne Vergleiche wie Zutaten zu einem Gericht: Da wird Mozarts Die Hochzeit des Figaro zu einer Mischung aus

Luis Buñuels Der diskrete Charme der Bourgeoise und dem berühmten Marx Brothers Film Duck Soup (deutscher Titel: Die Marx Brothers im Krieg), in Cole Porters Kiss me, Kate treffen laut Kosky Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf und die Muppets-Show aufeinander. Wie er selbst sich in keine Schublade einordnen lässt, so ist auch Kosky jegliches Schubladendenken fremd. Er liebt Shakespeare genauso wie die Simpsons, die Marx Brothers nicht weniger als Mozart. Vor allem aber liebt er stets die Figuren des Stückes, an dem er gerade arbeitet, – und das ohne Ausnahme. Gerne führt Kosky Mozart, Janáček und Tschechow als Beispiele für Komponisten bzw. Autoren an, die keines der durch sie zum (Bühnen-)Leben erweckten Geschöpfe be- oder verurteilen. Das käme auch Barrie Kosky niemals in den Sinn. Er liebt Rusalka ebenso wie den Prinzen, der sie verrät, fühlt mit dem treulosen Grafen Almaviva ebenso wie mit dem schlauen Figaro, versteht die egozentrische Sängerin Tosca ebenso wie den sadistischen Polizeichef Scarpia. Dass Richard Wagner im Gegensatz dazu mittels seiner Musik immer wieder für oder gegen die Protagonisten seiner Opern Stellung bezieht, ist sicherlich – neben dem offenen Antisemitismus in einigen seiner Werke – ein entscheidender Grund für Koskys immer wieder auch öffentlich bekundete Skepsis im Umgang mit dem Werk Wagners – wenngleich er ehrlicherweise die Faszination, die Wagners musikdra­ matischer Instinkt und seine oftmals aus einer visuellen Inspiration entstandene Musik ausüben, keinesfalls leugnet. Mit einem surreal verstörenden Fliegenden Holländer und einem nicht die Weite des Raums, sondern die (bürgerliche) Enge eines Zimmers auslotenden Tristan (beides am Aalto Theater Essen) und einem immer wieder mit neuen, ebenso fantasievollen wie irritierenden Bildwelten überraschenden Ring in Hannover hat Kosky durchaus neue Sichtweisen auf das Werk Wagners eröffnet. Vielleicht ist dies ein wei­ terer Grund für Koskys Erfolg gerade bei Operngängern in Europa: sein unbefangener, gleichwohl alles andere als ignoranter Blick von aussen auf scheinbar allzu Bekanntes, oft Interpretiertes – ein Blick, in dem die europäischen und die aussereuropäischen Wurzeln Koskys den Regisseur zu faszinierend neuen Sichtweisen führen. Wagners epische Breite allerdings ist und bleibt für das Energiebündel Kosky ein Problem. Denn in allem, was er tut, ist er ein Rastloser. Kein Wunder, dass auch seine Inszenierungen in den meisten Fällen von Tempo und Energie nur so strotzen. Die Proben mit Barrie Kosky sind Hochleistungssport, wobei der Trainer selbst als wahrer «Einheizer» die meiste Energie verbrennt – die ihm auf bei­ nahe mysteriöse Weise in offenbar unerschöpflichem Masse


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zur Verfügung zu stehen scheint. Wie er alle Figuren des zu inszenierenden Stückes liebt, so gilt Koskys Zuneigung auch seinen Darstellern – mit all ihren Ecken und Kanten! Mag am Anfang einer Inszenierungsarbeit ein ganz persönliches Bild des Regisseurs stehen, so steht am Ende für Kosky im­ mer der Darsteller mit seinen individuellen Möglichkeiten. Niemals würde er am Darsteller «vorbei» inszenieren oder einem Sänger oder einer Sängerin eine Idee aufzwingen. Auch die schönste Idee, das schönste Bild werden verworfen, wenn sie sich in der Probenarbeit als wirkungslos erweisen. Und geändert wird bei Kosky tatsächlich bis zum Schluss, zur Not auch noch nach der Generalprobe! Dass Barrie Kosky nicht müde wird, nach immer neuen ästhetischen Lösungen zu suchen, zeigt sich auch an der Wahl seiner Ausstatter: Anders als viele andere Regisseure arbeitet er nicht nur mit einem oder zwei Bühnen- bzw. Kostümbildnern kontinuierlich zusammen, sondern mit vier bis fünf Teams, deren Ästhetik sich obendrein erheblich voneinander unterscheidet. Die oftmals kargen Bühnenwel­

Die Liebe zu Puccini bekam Kosky von seiner ungarischen Grossmutter eingepflanzt ten einer Katrin Lea Tag (Ausstatterin u.a. bei Dido and Aeneas/Herzog Blaubarts Burg, Armide oder der Montever­ di-Trilogie) haben kaum etwas gemein mit den imposanten Räumen eines Klaus Grünberg (Bühnenbildner u.a. bei Kiss me, Kate, Rusalka, Der Ring des Nibelungen oder Ball im Savoy). Und selbst in dieser Vielfalt richtet sich Kosky nicht gemütlich ein, sondern ist fortwährend auf der Suche nach neuen, künstlerisch spannenden Partnern für seine Arbeiten: La fanciulla del West ist die erste gemeinsame Arbeit mit dem Bühnenbildner Rufus Didwiszus. Die Liebe zu Puccini übrigens, die hat ihm seine unga­ rische Grossmutter eingepflanzt, als sie dem siebenjährigen Barrie eine Schallplatte von Madama Butterfly schenkte, um ihren Enkel damit auf dessen ersten Opernbesuch vorzube­ reiten. Aus der Liebe zu Puccini wurde schnell eine Liebe zum Genre Oper insgesamt. Kaum zu glauben, dass er erst jetzt zum allerersten Mal eine Puccini-Oper inszeniert – nämlich La fanciulla del West, laut Kosky eine Mischung aus Tennessee Williams, Sergio Leone und Janáčeks Aus einem Totenhaus. • Ulrich Lenz ist Chefdramaturg der Komischen Oper Berlin und hat in vielen Inszenierungen als Dramaturg eng mit Barrie Kosky zusammengearbeitet.

LA FANCIULLA DEL WEST Oper von Giacomo Puccini

Musikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild Kostüme Lichtgestaltung Choreinstudierung Dramaturgie Minnie Dick Johnson Jack Rance Nick Ashby Sonora Trin Sid Bello Harry Joe Happy Larkens Bill Jackrabbit Wowkle Jack Wallace José Castro Un postiglione

Marco Armiliato Barrie Kosky Rufus Didwiszus Klaus Bruns Franck Evin Jürg Hämmerli Claus Spahn Catherine Naglestad Zoran Todorovich Scott Hendricks Sunnyboy Dladla Pavel Daniluk Cheyne Davidson Dmitry Ivanchey Tomasz Slawinski Krešimir Stražanac Alessandro Fantoni Andreas Winkler Oleg Loza Alexei Botnarciuc Dimitri Pkhaladze Judit Kutasi Yuriy Tsiple Roberto Lorenzi Kristofer Lundin

Chor der Oper Zürich Philharmonia Zürich Premiere Weitere Vorstellungen

Ein Kulturengagement der

Statistenverein am Opernhaus Zürich 22 Juni 2O14 25, 28 Juni, 2, 4, 8, 11, 13 Juli 2O14


Sibylle Berg geht in die Oper 48

Am Anfang ist Musik verständlich findet, dass man nicht alle Bereiche des Hauses unter Kontrolle hat. Herr Kosky ist über alle Vorgänge seines Hauses informiert, das ist der Job. Wir reden über die Kunst in Deutschland. Und selten habe ich soviel Lobendes über die deutschsprachige Kulturszene gehört. Theater, sagt Kosky, ist ein Teil der deutschen Identität. Kunst würde ernst genommen, und mehr Menschen gingen in Konzerte, Theater und Museen als zu Fussballspielen. Nirgends auf der Welt hätte Kultur so einen Stellenwert, wären die Arbeitsbedingungen so hervorragend. Und Herr Kosky weiss, wovon er redet, denn er arbeitet international. Und absolut erfolgreich. Wie die ständig ausverkauften Abende belegen. Wenn er eine Oper, eine Operette inszeniert, beginnt er mit der Musik, hört sie immer wieder, bis sich die Architektur des Werkes vermittelt. Mir vermittelt sich Barrie Kosky. Eine Person, in die man fällt, wenn man sie beobachtet. Wieder so ein Ausnahmemensch, den ich im Umfeld der Oper treffe. Schnell, unendlich klug, lustig, aussergewöhnlich. Ausgestattet mit einem schönen Gesicht und einer umfassenden Informiertheit. Wie es scheint, spricht Kosky auch noch 280 Sprachen, spielt diverse Instrumente, sitzt manchmal in seinen Inszenierungen selber am Klavier und reisst die Menschen mit, in die wirkliche Welt, in der es schön ist, gut klingt und prächtig riecht. Früher hätte man Kosky ein Genie genannt. Heute scheut man sich, solche Zuschreibungen zu verwenden, und sagt nur: Was für eine grossartige Person, welch wunderbare Arbeit, viel Erfolg in Zürich und kommen Sie immer wieder! Bis zum nächsten Mal Ihre Frau Berg Die Schriftstellerin Sibylle Berg ist Schweizerin und lebt in Zürich

Illustration Laura Jurt

Barrie Kosky. Meine Güte. Eines der Treffen, die mich nervös machen könnten, wäre ich nicht so ein cooler Mensch. Der Regisseur, der 2012 die Zauberflöte gemeinsam mit der britischen Theatertruppe «1927» an der Komischen Oper in Berlin inszenierte, die mich nicht schlafen liess vor Aufregung. Der Intendant, der an seinem Haus innerhalb von wenigen Jahren innovativer war als viele grosse deutschsprachige Theater zusammen. Wenn Sie nicht nach Berlin kommen, sehen Sie sich die Website des Hauses an, die Trailer der Stücke – das ist Modernität. Viele Häuser versuchen gerade, mit seltsamen Twitteraktionen den Anschluss an eine undefinierte neue Zeit zu finden, sie laufen hinterher und wissen nicht genau wem – Barrie schreitet voran. Da kommt er. Geschritten. Ein auffälliger Mann, mit natürlich – auffällig gutem Selbstdesign. Den ich erst einmal mit ignoranten europäischen Stereotypen über sein Geburtsland Australien langweile, das für Uninformierte, also mich, aus Natur, Shoppingmalls und Surfern besteht. Vielleicht noch Nicole Kidman. Als hätte ich mich noch nie gefragt, was in dem berühmten Opernhaus in Sydney eigentlich passiert, vermutete ich wohl ACDC Konzerte dort. Barrie kam nicht nach Europa, Europa war von Geburt an in ihm. Sagt er. Die Vorfahren aus Russland, die schöne Grossmutter, die ihn in die Kunst einführte. Die Kunst, die für Phantasielose Flucht vor der Welt bedeutet, ist für die anderen die einzige real existierende Daseinsform. Bis zu seinem neunzehnten Lebensjahr hatte Barrie Kosky über 200 Opern gehört, dann inszenierte er die erste eigene, der viele weitere folgten. Eine davon war Wozzeck; die Aufnahme gelangte zu unserem Intendanten Homoki, und er holte das Talent nach Berlin. Danke dafür. Kosky war sechs Jahre in Wien Theaterdirektor, ehe er als Boss an die Komische Oper berufen wurde. Wir reden kurz darüber, ob er es als Intendant eines Hauses


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