Rheinwald Impressionen in Bildern von Christian Mengelt und Texten von Erika Hรถssli
Rheinwald Impressionen in Bildern von Christian Mengelt und Texten von Erika Hössli Rheinwald, 1273 valle Reni, 1338 Rinwald, ist heute eine politische Gemeinde der Region Viamala im Schweizer Kanton Graubünden. Die gleichnamige Talschaft umfasst die Dörfer Hinterrhein, Nufenen, Medels, Splügen und Sufers. Das rund 30 km lange, vorwiegend west-östlich verlaufende Rheinwald wird an beiden Talseiten von Dreitausendern gesäumt. Die höchsten Gipfel sind das Rheinwaldhorn (3402 m) im Westen und der Pizzo Tambo (3279 m) im Süden. Am 1250 m hoch gelegenen Eingang zur Rofflaschlucht, der Grenze zum Schams, verlässt der Hinterrhein die Talschaft. Aus dem Rheinwald führen zwei Passstrassen nach Süden: der San Bernardino ins Misox und der Splügenpass ins italienische Val San Giacomo. Die wintersichere Verbindung durch den SanBernardino-Tunnel (Autostrasse A13) wurde 1967 eröffnet. Saumpfade über den Safierberg und den Valserberg verbinden das Tal mit seinen nördlichen Nachbarn Safien und Vals sowie durch das Val Curciusa nach Süden via Bocchetta di Curciusa ein weiteres Mal mit San Bernardino. Die Dorfsiedlungen liegen sämtlich nördlich des Flusses, zwischen 1420 m und 1620 m hoch, am Fusse des mässig ansteigenden, von ausgedehnten Alpweiden eingenommenen sonnseitigen Hangs. Weitere Alpen erstrecken sich auf der südlichen, durch mehrere Seitentäler gegliederten Talflanke. Textauszug <https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinwald>
Titelbild # 14.19, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Zu Erika Hössli und ihren Texten Erika Hössli, geboren und aufgewachsen in Hinterrhein, Graubünden, arbeitete hauptsächlich als Primarlehrerin und Schulische Heilpädagogin. Als Schreibende befasst sie sich seit vielen Jahren vertieft mit den verschiedensten Themen zum Rheinwalder Walserdialekt. Ihre Schreibwerkstatt im Rahmen der Walservereinigung Graubünden findet jedes Jahr viel Beachtung. Für mich vereint Erika Hössli zwei besondere Eigenschaften, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit. Diese beiden Charakterzüge prägen dann auch auf sehr eindrückliche und eigene Weise zwei ihrer Buchausgaben: Äs Ääli, Lexikon der sterbenden Wörter – ein Buch zur Sprache ihrer Jugendzeit und ihrer Vorfahren; Bin gut angekommen, Reiseberichte in Briefen an eine Freundin – ein Buch zu ihren zahlreichen Reisen und Trekkings in den nahen und fernen Osten. Die kurzen, dichten Texte der vorliegenden Publikation sind bewusst nicht Beschreibungen der Bilder, sondern eigenständige Gedankengebilde im Rheinwalder Walserdialekt. In ihrer ausgeprägten Sprache und Form verstehe ich die Texte als Begleitung und Bereicherung meiner bildnerischen Rheinwald Impressionen. Es freut mich und Erika Hössli ganz besonders, wenn sich für den Leser eigene Interpretationen und gedankliche Verbindungen zwischen den Texten und Bildern ergeben.
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Christian Mengelt
Zu Christian Mengelt und seinen Bildern Meine erste Erinnerung an Christian Mengelt reicht weit zurück in unsere Kindheit, als er auf der Schteifurrä in Hinterrhein in den Sommerferien war. Im wilden Spiel stiess er mich in eine Füürgruebä (grosser, steinerner Feuerherd im Freien); diese war – da ausser Betrieb – voller Brennnesseln. Erst vor ein paar Jahren trafen wir uns wieder – dank der Walservereinigung Graubünden und unserer gemeinsamen Wurzeln. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet Christian Mengelt am unteren Ende des Schweizer Rheins, in Basel. Er ist Grafiker und unterrichtete in der Grafikfachklasse der Schule für Gestaltung Basel, wo auch seine Frau, Gret Mengelt, bekannt für ihre ganz besonderen Stickbilder, Zeichnen und Bildgestaltung lehrte. Das Entwerfen und Umsetzen von Schriftzeichen, heute für den Computer, war eines seiner Tätigkeitsbereiche; eine seiner letzten typografischen Arbeiten, die Gestaltung der Basel Antiqua für die Neuauflage des Anatomiewerks von Andreas Vesalius aus dem 16. Jahrhundert, hat mich anlässlich einer Ausstellung in Basel sehr beeindruckt und fasziniert. Christian Mengelts Bilder zeigen, meine ich, sein Suchen nach den mannigfaltigen Schriften in der Natur. Formen, Linien, Farben, Material erschliessen unendlich viele Möglichkeiten des Sehens, des Schöpfens und des Umsetzens. Das In-Wörter-kleiden drängt sich fast auf. Unsere Interessen haben Berührungspunkte; sichtbare Bilder erzeugen unsichtbare und umgekehrt. Und das Wunderbare: Jede Person entwirft eigene und deutet Bild oder Wort nach ihren inneren Bildern.
Erika Hössli
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Mügglichkeitä Es git unendlich vil Mügglichkeitä äpes azluegä und es git unendlich vil Mügglichkeitä an äpes verbii z luegä. Landchaartä All Farbä zämmä gäbä wiiss, heissts. Das chann i mer nit vürrschtellä. Widerämaal. Wenn nuu wäri, was ich verschtaan, Dio mio, was für ä Miseriä. Ämal diä Flächtä ischt nid uff der ETH gsi und chann doch Landchaartä zeichnä – und de no wieterä! Äsoo schöni grüeni Lender uff wiissem Urgrund.
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# 1.19, Ă&#x153;berlagerung, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Schtälli Immer no diä fiinä Zeichnigä, diä Aschtaugägsichter an dä Wend mit dä verschtecktä Gschichtä. Sä lang duu schteischt, uberwinterä miini Träum in dier. Uff diinä läärä Tennbritter schteit d Widioteek va miinä Chindheitsärinnerigä, äs schtüürfriis Vermögä. Nuu hi und daa ziet d Zit ä bits Schmäärzensgääld i. Identität In der witä Wäält dussnä, sägä wer amal z Indiä, bin i Europäeri, z Europä bin i Schwizeri, in der Schwiz bin i Bündneri, z Graubündä bin i Rhiiwaalderi, im Rhiiwaald bin i Hinterrhiineri, z Hinterrhii bin i Innerdöörfleri, im Innerdoorf bin i Schuelhuuseri, im Schuelhuus bin i eini va ünsch.
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# 2.19, Lebenslinien, Originaldruck 40 x 30 (50 x 40) cm
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Uberläbä Uber Gräät gaa, in d Teuffi luegä, Pfootä vorr Pfootä dem rettendä End ingäget, Angscht und Freud Hand in Hand. Schüüchä und gfäärlichä, schtarchä und ggnüegsamä, im Chleid vam Bäärg igwopnä und verschtecktä, Schneeleopard, säg mer, wiä du läbscht. Bin i ume ? Äswaa hän i gläsä: Wer niä jetz läbt, läbt niä! Duä seit doch dischä im Ggupee dernäbet: Muess no in miner Agända luege, wenn i überhaupt ume bin.
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#3.19, Farbkomposition, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Druus gcho Wenn der Blutzgger kit, gits nid immer Musig, äs chann einä au äs Liecht uufgaa. Druus gcho? Bin i de dervorr dri gsi? Waa dri? Bim Wolläwindä nützt der Schritt zrugg nüt, der Wirrwärr plipt. Da gchunnt propi kei Schwii me druus. Der chlii Underschit Opnä uus und unä iechä oder unä iichi und opnä ussä ischt gar nit ds Gliichä. Ds eerschtä seid än Innerdöörfler und ds zweitä än Usserdöörfleri, no frii än Underschit, aber d Chilchä plipt zmittst im Doorf.
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#4.19 , Dickicht, Originaldruck 40 x 30 (50 x 40) cm
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Walserwanderig Waa sch zerscht Maal uber dä Bäärg härä sind, hets no kei Wäggmarkierigä gchä. Oder magaari ganz anderi, Land hent sch gliich gfundä, zum Würzä schlaa. Gfarbets Va grüen gä rot wäggslä chunnt mer nid im Traum z Si, lieber hool i ds Blaawä vam Himmel opnä achä. Mit dier ds blaaw Wunder ärläbä wää ds Gälbä vam Ei, nuu gseet mä va dier wäder Wiisses no Schwarzes.
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# 5.19, Wegzeichen, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Passo Passetti Ds Passitsch Luft schtriicht uber ds Seeli, züpflet tuusig Wälläfätzli fürchä und nümmt schä midem, bis sch müedi sind. D Sunnä zauberet druus tuusig Blinkliechter, schi tanzä lutlos uber di tunkel Seeflächi, immer wider – immer wider, bis der Petrus ds Liecht löscht. Augämäss Vergglichä mit der Gschicht var Menschheit siwer hützetaggsch bäumigi und uverschant kleweri, vergglichä mit dem Uniwersum siwer, wenns guet geit, Ameissä oder magaari nuu Amööbä, aber tuä tuewer, wiä wenn wer nisch sälber ärfundä hättä.
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# 6.19, Wasserspiel, Originaldruck 40 x 30 (50 x 40) cm
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Schteinä Im trochnä Flussbett umä schtürchlä, herrlich für Aug und Füess: Schteinä, schöni Schteinä, all Farbä und hi und daa äs lüüchtends Butzli. Der Himmel schpiegglet schi. Und daa – das psunder Chiseltli. I pückä mi, wunderbar gschliffes und diä Farb! I träägens hei – in der Hand oder im Häärz. Gschliffä Wenn wer nisch an allem tonnderlich riibä und dä Fielä, waa Kantä und Eggi dannä schliiffä, nid immer uuswiichä, chommä wer vlichter au äso schöni, gglatti und gfarbeti mit dem Aalter. Jedes äs Juweel. 16
# 7.19, Hinterrheiner, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Gägäsetz? Liecht und Tünkli, Lüteri und Schwerzi, Paradiis und Höll, verschwischtereti. Zhinderscht dinä im Tall, nooch bim Urschprung kit der Rhii in äs leids Loch aab, in d Höll. Oberzuä gruenets und blüets, kat wiä wenn epper das Gäärtli pflegti. Detä heissts Paradiis. Äs het gwüss in jedem Tälli äswaa äs Paradiis ob der Höll dopnä au in der Zemi, uff der Insslä – und im Läbä.
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# 8.19, Licht und Schatten, Originaldruck 40 x 30 (50 x 40) cm
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Tambohoorä Ä Bäärg ischt ä Bäärg oder än Ubergang in dä Bäärgä, ä Bäärg ischt au än Schtuck Land, waa mä määt und heuet ob äm Puunä dopnä. Äär da hed än Südflankä, än Nordgrat, än Weschtgrat, zwee Gipflä (än Schwizer und än Italiäner), eis Gipfelchrüz, im Schteimannli äs Gipfelbuech (meischtens) und uber alls uus än Uusicht – waa schi in der Unendlichkeit verliert. „Läääääck“, hed eini va dunä uechä gseit und nuu no gschtuunet. Hooliecht Bäärgsiluettä, Schriftzeichä am Himmel, di eintä zum Läsä, di anderä zum Läbä.
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# 9.19, Satellitenbild, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Uf äm Wägg (Schi sind afanä ä bits hölzigi und wacker umägschrissni, ünschi Vorrfaarä). Uberhärä und dinäachä und ussä: iwanderä; uusundaab und fort und äwägg: uuswanderä; chumm, wer gäänt gä wanderä var eintä Schtadt zur anderä und wenn der Cheiserchünig chunnt, sa cheerä wer wider um: uufwaggsä; ufallihooräuuf und inallifütlizuechi: uusläbä; ds Tall iichi rhiiuufwärts zrugg zum Urschprung und im Hooliecht verschwindä: aabläbä.
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# 10.19, Kreuz und Quer, Originaldruck 40 x 30 (50 x 40) cm
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Gwätt Ä Sunnä im Gwätt, d Ringä schtraalä und Wermi chunnt us allnä Schpäält. Gwätti chommä schöner im Aalter, d Gwätti! D Sunnä, der Luft, Schnee, Rägä und der Chünig Winter zeichnä und schaffä alli an nä, bis mä schä uusschtellä chönnti. Hoffnig Murmetäfeisti sii fürr d Wiiber, wenn sch in der Hoffnig siiä. Duu bischt Murmetäfeisti fürr miini Seel, wil sch umzvereckä in der Hoffnig pliibä will.
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# 11.19, Walsergeschichte, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Uff Reisä Dür Äbenä gfaarä, was daa alls wagst, d Witi igsugä, ds Meer gchöört, gschmeckt und gschaut, blüendi Fäälder, Menschä bigägnet, z Gascht gsi, Wermi gnossä und nottä – nienä däheimet. Und endlich Bäärgä, bigrenzts Hooliecht, pschnööztä Himmel, verschperrti Sicht, Felsä, schroffi, aabwiisendi, Bodä, kaal und schiinbar läblos. Uufgschnuufet – und – hei gfundä.
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# 12.19, Geschichtet, Originaldruck 40 x 30 (50 x 40) cm
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Ds hinderscht Huus Miis Huus schteid uf ämä Felsä und niemet weiss, wiä aaltä är ischt. Diä, waa ds Fundament ggrabä hent, hent nä gsee. Miis Huus schteid uf ämä groossä Schtei, ich weiss äs scho. Wenns tuet wiä lätz, hän i nä äsiä vergässä. Wenn d Schteinä redä, muess mä muggsmüüschischtill sii, inä Schprach faat detä a, waa ünschi uufhört. Alls gseits? Äpä äs Taggsch mein i, äs sig scho alls gseits, gschribes, gläses, gsunges, scho alls ämaal, äswaa, äswenn. Und de pringt mi näues z lachä oder z brälä – und de weiss i, dass niä alls gseits, gschribes, gläses, gsunges und niä fertig glachä, und prälet ischt. 28
# 13.19, Schicht um Schicht, Fotografik, Originalprint 40 x 30 (50 x 40) cm
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Die Rheinwalder Mundart gehört zu den Südwestwalser Mundarten im Gegensatz etwa zum davoserischen Nordostwalseridiom. Das Rheinwalder Idiom weist im Tonfall wenig Eigenarten auf, ist aber reicher an aus dem Italienischen oder Romanischen entlehnten Ausdrücken als die meisten anderen Bündner Walseridiome. Leider ist auch in unserem Dialekt das Besondere am Verschwinden.
Erläuterung zu einzelnen Wörtern:
bäumig Blutzgger brälä, prälet Butzli dannä dopnä Gwätt Hooliecht inallifütlizuechi lääck lätz, tuä wiä magaari Murmetäfeisti Passit propi pschnöötzä Puunä,ds schtürchlä ufallihooräuuf wieterä Zemi
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gross, grossartig Münze weinen, geweint kleiner Teich, Wasserlache fort, weg oberhalb, oben, droben Eckverbindung von Balken, Ecke, Winkel Horizont, an Berggraten in alle Winkel, überall hin leck, Ausdruck des Erstaunens (Züritütsch) falsch, links, hier: stürmen, wettern meinetwegen, möglicherweise Murmeltierfett Passo Passetti wirklich, fürwahr beschneiden gedüngte Wiesen stolpern auf alle Berge hinauf welche, was für welche Zähme, Niederungen
Ausgangspunkt zu den Fotografiken und zu den Originaldrucken waren zeichnerische und fotografische Studien der in Wald, Fels, Kiesel und Wasserlauf des Rheinwalds beobachteten Naturstrukturen, Schichtungen, Überlagerungen, Verdichtungen und Faltungen. Aufgrund dieser Inspirationen entstand in der Folge im Druckatelier in Laufen die grafische und technische Umsetzung zu dieser Serie von Bildern. Die Fotografiken sind (mit einer Ausnahme) eigene, digital bearbeitete Aufnahmen aus dem Rheinwald. Das Bild vom Piz Tambo ist eine gestalterisch digital bearbeitete Satellitenaufnahme von Google Earth. Die Originaldrucke sind auf einer alten Bleisatz-Andruckpresse gedruckt. Die einzelnen Druckstöcke, handwerklich aus verschiedenen Materialien wie Holz, Linol oder Karton geschaffen, wurden für jede Farbe mit der Handwalze eingefärbt und jeder einzelne Druck als Original vom Künstler abgezogen. Das Papierformat ist 40 x 50 cm, das Bildformat 30 x 40 cm. Die Druckauflage der einzelnen signierten Bilder ist auf sechs Exemplare beschränkt.
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Edition 2020 Gestaltung: Christian Mengelt Druckschriften: Sinova Pro; Mengelt Basel Antiqua Digitaldruck: Borer Druck Laufen
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