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Zdenka Becker, die Vielsprachige
DIE VIELSPRACHIGE
Sie schreibt Lyrik, Krimis, Familiengeschichten und Theaterstücke. Sie ist vielgelesene Schriftstellerin, Kolumnistin, Übersetzerin und erhielt für all das schon unzählige Preise. Ihr aktuelles Buch heißt „Ein fesches Dirndl“ – sie selbst feierte im März diesen Jahres ihren 70. Geburtstag: Zdenka Becker.
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Besucht man Zdenka Becker in ihrem Haus in St. Pölten-Unterradlberg, das sie mit ihrem Gatten Leo bewohnt, wird man zum Kaffee gleich einmal in den Kuhstall gebeten.
Wie bitte? „Wo sich jetzt das Wohnzimmer befindet, war früher der Kuhstall“, erklärt die Autorin. „Fünf Kühe hatten hier Platz. Und dahinten war die Bäckerei.“ Das alles hatten sie Ende der 1970er-Jahre renoviert. Und blickt man sich um, muss man unumwunden feststellen: Es ist hervorragend gelungen. Gewölbeartige Decken, viel heimeliges Holz und ein prächtiger Garten, für dessen Nutzung es leider am Tage des Interviews viel zu kalt und regnerisch ist. Also nehmen wir im ehemaligen Kuhstall Platz und lassen ein wenig Beckers Leben Revue passieren, das am 25. März 1951 im damals tschechoslowakischen Eger seinen Anfang nahm. „Aufgewachsen bin ich in Bratislava, zur Zeit des Kommunismus.“ Viele können sich wohl heute gar nimmer vorstellen, was das bedeutete: „Ich hätte gerne Journalismus studiert, hatte aber nicht genug ‚Punkte‘ dafür.“ Ihre Schwester war nämlich in die USA ausgewandert, was de facto strafbar war und Zdenka als Familienangehöriger einen „Minuspunkt“ einbrachte. „Das war die reinste Sippenhaftung. Ich durfte aber Wirtschaft studieren, dort wurde im Gegensatz zum Journalismus jeder Dritte zugelassen anstatt nur jeder Zehnte.“
Die Schriftstellerin in spe („schon als Kind erzählte ich gerne Geschichten!“) beendete ihr Studium in der Mindestzeit. Im fünften Semester – mit 21 – lernte sie ihren späteren Gatten Leo beim Schifahren in der Slowakei kennen. „Oder sagen wir besser, in der Disco. Die Österreicher, die dort waren, fuhren schon all die schwierigen Abfahrten; ich selbst war eher auf der Babypiste zuhause“, erinnert sich Becker und lacht. 1974, nach Beendigung des Studiums, wurde geheiratet und ein halbes Jahr später zog sie mit Leo nach Österreich. „‘Folge dem Gatten‘ war ja gestattet.“ Die Bürokratie der tschechoslowakischen Behörden hatte auch so schon alles verlangsamt. „Nur unser erstes Kind – das war schneller!“ Das wurde acht Wochen nach der Übersiedlung nach Österreich geboren.
Gewöhnungssache
„Die Gewöhnung an Österreich war anfänglich schwierig.“ Die beiden waren fürs Erste nach Wien-Favoriten gezogen und Becker konnte zu Beginn kein Wort Deutsch, was sie aber rasch und nachhaltig änderte. „Jeden Tag hab‘ ich dreißig Wörter aufgeschrieben und gelernt, zuerst aus der näheren Umgebung, also ‚Tisch‘, ‚Sessel‘, ‚Teppich‘ und so weiter. Dann die Eigenschaftswörter ...“ Die erste gemeinsame Sprache mit Leo war Englisch. Deutsch sprach sie nur beim Einkaufen oder beim Arzt. Als sie an der Uni einen Deutschkurs machte, wurde sie sogleich von der ersten in die dritte Klasse versetzt. „Und das akademische Leben hat mir sofort gefallen. Ich habe auf Anhieb Freunde gefunden und begonnen, Wien zu lieben.“ Dann kam das zweite Kind auf die Welt und die Familie übersiedelte in Leos Elternhaus nach Unterradlberg. „Nachdem wir alles soweit hergerichtet hatten, überlegte ich kurz, zuhause zu bleiben und Selbstversorgung zu betreiben.“ Das hielt jedoch nicht lange: „Ich wollte raus, wieder unter Menschen!“
Die Einstweilen-noch-nichtSchriftstellerin bewarb sich beim Niederösterreichischen Pressehaus beziehungsweise bei der NÖN. Ihre massiven Selbstzweifel wusste ihr Gatte zu zerstreuen: „Das war’s doch immer, was Du wolltest: Journalismus! Also mach’s!“ Gleichsam als persönliche Übung hatte sie schon einige Artikel verfasst, unter anderem einen über Oskar Kokoschka, den sie zum Einstand Chefredakteur Ströbitzer zeigte. Fazit: Am nächsten Montag war besagter Text Teil der Ausgabe. Und das war erst der Anfang. Trotz ihres Erfolges blieb sie aber nervös, war sich mitunter nie sicher, was ihr Talent betraf. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb machte sie weiter. Die Tätigkeit bei der NÖN war von Anfang an auf sechs Mo-
BECKERS LETZTER ROMAN. Die Au-
torin verarbeitet gerne Familiengeschichte(n) in ihren Werken.
nate begrenzt gewesen. Doch Becker hatte Blut geleckt – ihre Freude am Schreiben war letztendlich stärker als sämtliche Selbstzweifel.
Sprachgewandt
Ihre ersten Schritte als Literatin führten sie zur Literarischen Gesellschaft (LitGes) St. Pölten, die kurz davor gegründet worden war. Danach entstand der Kontakt zum Literaturkreis PODIUM, „und dann ging’s los! Ich hatte glücklicherweise viele Unterstützer, etwa Ilse Tielsch oder Erich Sedlak. Sie waren freundlich, aber auch kritisch. Tielsch als geborene Sudetendeutsche etwa hat sich gefreut, dass sozusagen jemand ‚von der anderen Seite‘ über die Vertreibung der Sudetendeutschen schreibt.“
Becker resümiert: „Ich blicke dankbar zurück.“ Und sie konkretisiert: „Es gab jede Menge Stolpersteine, Zurückweisungen – aber letztendlich ist es so geworden, wie ich’s mir als Kind vorgestellt habe.“ Und sie ergänzt: „Und ich war oft einfach am richtigen Ort.“
Zwischen ihrem 45. und 65. Lebensjahr betrieb die Literatin Becker regelrecht Selbstausbeutung. „Ich habe ja dauernd geschrieben. Jetzt geh‘ ich’s mittlerweile etwas ruhiger an.“ Ihre Werke, darunter auch ihr neuestes, „Ein fesches Dirndl“, waren nicht nur im deutschsprachigen Raum überaus erfolgreich – sie wurden u. a. ins Slowakische, Tschechische, Englische, Französische, Niederländische, Italienische, Persische, Hindi und Mandarin übersetzt.
Überhaupt ist der Schriftstellerin, die in ihren Werken sehr viele autobiografische Elemente einbaut, Sprache an sich „sehr, sehr wichtig.“ „Sprache ist Identität“, meint die mittlerweile Vielsprachige, „in jeder Sprache bin ich jemand anderer.“ Da schwinge auch ihre Vergangenheit mit. „Zu Beginn habe ich den österreichischen Dialekt nicht verstanden. In der Slowakei etwa spricht man nur am Land Dialekt. In Österreich tut das aber fast jeder. Und ich habe daraufhin, sozusagen über einen österreichischen Umweg, den slowakischen Dialekt zu schätzen gelernt.“ Beckers Begeisterung,
ZDENKA BECKER
KOLUMNE ROUL STARKA
SOMMER 2021
Sonne gelb, Baum grün, Vogerl singt, Wasser platsch! Grill. Eisschleck. Aber wie schreibt man nicht mehr über Corona, ohne das Wort ‚Corona‘, ohne Wörter, die daran erinnern. Nur mehr Gutes, mit scharf. Wir werden dieses Wort ersetzen mit Dingen, die glücklich machen. Leberkässemmelstraße im VAZ. Keine neuen Fälle von Brathendln in Niederösterreich, überall nur mehr Backhendln. ZungenkussPass mit 48 Stunden umarmen und liebhaben. Babyelefant wird klein wie ein Kuscheltier. Don Camillo und Peppone statt Neue-Fälle-In. Nasenbohren wieder mit eigenem Finger und Erfolgserlebnis. Bussipflicht in allen Fußgängerzonen, lachend auf den Mund. Sterne und Glückstränen unter dem Abendhimmel, dieser so vertraute und so gute Geruch in den Haaren neben dir. Eine Welt tanzt gemeinsam Jerusalema. Wie liebe ich dieses Lied und die entzückenden Tanzvideos dazu, allen voran das auf dem St. Pöltner Rathausplatz. Ein „Treffen wir uns im Kaffeehaus?“ klingt, als würde die Erde aus ihrem Herzen sagen: „Komm her, lass dich wieder umarmen, ich liebe dich!“ Langsam und sehnsuchtsheiß wie Lava rinnen unsere ausgetrockneten Seelen wieder in einen halbwegs normalen Alltag mit lustig im LUP. Ich hatte schon zwei Meter Abstand zwischen meinen Gedanken, das Leben ein zähflüssiger Kakao von vorgestern. Haben wir wenigstens etwas gelernt? Dass wir absolut nichts sind ohne unsere lachenden Lippen, die sich suchen und finden. Und jetzt noch die Erde wieder pumperlgsund machen, dass sich unsere Ururenkerl auch noch Gänseblümchen in die Haare knüpfen können.
FOTO STOCK.ADOBE.COM
Ich war oft einfach am richtigen Ort.
ZDENKA BECKER
wenn sie von Sprache spricht, ist spürbar: „Es geht nicht nur um die Grundmelodie, sondern auch um die verschiedenen Ausformungen und Dialekte: Das ist ein Faszinosum und ich habe dazugelernt.“ Gar nicht fasziniert ist sie vom Gendern in der deutschen Sprache, das für manche bekanntlich eine (vielleicht gut gemeinte) Sprachverstümmelung darstellt: „Ich finde es hässlich und es macht Texte mitunter unlesbar. Ich persönlich fühle mich auch bei ‚alle Schriftsteller‘ angesprochen.“
Becker hatte sich ja schon an der Uni sehr mit Sprachentwicklung beschäftigt. Und als eine, die selbst viele Sprachen spricht und auch ins Deutsche übersetzt, fallen ihr Missgriffe umgehend auf: „Ein Beispiel: Die Floskel ‚jemanden über den Tisch ziehen‘ bedeutet im Slowakischen etwas Anderes als bei uns, nämlich eine Frau … na, du weißt schon. Und es ist ärgerlich, wenn sowas 1:1 übersetzt wird: Der ganze Sinn geht verloren.“
Beckers Schaffen blieb auch den offiziellen Stellen nicht verborgen. Eine hohe Anzahl von Literaturpreisen zeugt davon, unter anderem der Niederösterreichische Kulturpreis – Würdigungspreis 2014 oder der von der Stadt St. Pölten vergebene Jakob Prandtauer-Preis für Wissenschaft und Kunst 2015.
Schreibanlässe
Den ersten Corona-Lockdown verbrachte sie „nicht mit Schreiben. So eigenartig das vielleicht klingt: Ich nutzte ihn zur Regeneration. Keine Lesungen, keine Termine – ich unternahm Wanderungen und längere Spaziergänge.“
Doch nun ist sie schon wieder voller Tatendrang. „Ich verarbeite gerade wieder Familiengeschichte und habe nicht nur dazu jede Menge Pläne.“ Ihr Schreibanlass ist der Selbe geblieben: „Selbstreflexion. Ein sich Finden im Anderen und ein Finden des Anderen in sich.“ Klingt ja einfach, aber …
St. Pölten ist für sie zudem ein wunderschöner Platz zum Leben. „Es hat sich ja in den letzten Jahren auch stark zum noch Besseren entwickelt. Aber ich war sowieso sofort hier zu Hause.“
Auch wenn sie den dazugehörigen Dialekt erst lernen musste. Aber das war eben ein Teil ihres Weges, den sie gehen musste und wollte. Nicht nur als Schriftstellerin.