Frühjahr/Sommer 1/2015
KONKRET ISSN 2192-8231 | Ausgabe Nummer 10
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Frühjahr/Sommer 1/2015
INHALT
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Muslimisches Leben Zahlen, Informationen & Grundlagen
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Erzähl mir, ...
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Heinrich Bedford-Strohm zum Islam
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im Gespräch mit Hasan-Ali Özer
Auszug aus einem Interview
Was jeder vom Islam wissen muss Koran | Muhammad | Islam | Fasten, Sozialabgaben und Wallfahrt | Recht, Gesetz und Lebensregeln | Familie und Geschlechterrollen | Tod, ewiges Leben, Sterben und Bestatten
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Islam und Christentum
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Islamischer & christlicher Festkalender
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Schiiten, Sunniten, Aleviten Hauptströmungen im Islam
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Salafisten und Wahhabismus Begriffsklärungen & Positionen
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Glaubenszeugnis & Dialog Kommunikation über den Glauben
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Gemeinsame Themen, miteinander feiern & beten
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Miteinander Leben lernen Erklärung der 13. Landessynode
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Menschen im Dialog Begegnunsabende in Oberderdingen
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Verstehen, was verbindet Religionsmonitor Islam 2015
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Islamische Organisationen in Deutschland
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Tag der offenen Moschee Einladung zu Besuch & Gespräch
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Ähnlichkeiten & Verschiedenheiten
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser unseres Journals, In vielen Gemeinden haben sich Begegnungsgruppen von Muslimen und Christen gebildet. Einander näher kennen lernen, einander besser verstehen lernen - das sind Grundzüge der Begegnungen. Das bedeutet auch: wir werden sprachfähig über unseren Glauben; ich werde sprachfähig über meinen Glauben. Und wir können gemeinsam feststellen: die Begegnungen bereichern, lassen Vertrauen entstehen und wachsen. Unglaubliche Gewalttaten, Kriege werden teilweise mit religiösen Zielen verbrämt und bringen nur Unmenschlichkeit hervor. In diesen verstörenden Konflikten ist es unverzichtbar, dass wir uns als Glaubende aus unterschiedlichen Religionen hier nicht abgrenzen, sondern zu einem Miteinander finden, dass der Menschlichkeit und dem Frieden in unsrer Gesellschaft verpflichtet ist. Als Christenmenschen wollen wir in der Nachfolge Jesu Christi leben. „Wir wollen seine Liebe und Gottes Gerechtigkeit gegenüber allen Menschen bezeugen. Das Gebot der Nächstenliebe und die kirchliche Verantwortung gegenüber der Gesellschaft rufen uns dazu auf, mit unseren muslimischen Nachbarinnen und Nachbarn in Frieden und auf der Grundlage gegenseitiger Achtung zusammenzuleben. Damit leisten wir auch einen Beitrag zum inneren Frieden unserer Gesellschaft.“
Wir brauchen als Muslime und als Christenmenschen die wechselseitige Bereitschaft, sich auf Unbekanntes und Andersartiges einzulassen. Deshalb sind gelingende Dialoge und Begegnungen nicht selbstverständlich. Unterschiedlichste kulturelle Prägungen und religiöse Erfahrungen können auf beiden Seiten eine Verständigung erschweren oder behindern. Dort wo Vertrauen wächst, können auch kontroverse Anfragen wechselseitig ausgesprochen werden; sei es Fremdenfeindlichkeit oder religiös motivierte Gewalt; sei es Geschlechtergerechtigkeit oder Minderheitenrechte und vieles mehr. Mögen Begegnungen und intensiver Austausch, möge das Gespräch über unseren jeweiligen Glauben uns einander näher bringen, damit Frieden und Gerechtigkeit wachse. Der Gott des Friedens und der Liebe schenke uns dazu seinen Segen.
Ihr
Ulf van Luijk, Dekan Ulf van Luijk, Dekan
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Muslimisches Leben Zahlen, Informationen und Grundlagen
Am 30. Oktober 1961 wurde die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte mit einem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei offiziell vereinbart. In der Folge kamen viele Tausend sogenannte „Gastarbeiter“ in die damalige Bundesrepublik. Als elf Jahre später ein Anwerbestopp verfügt wurde, waren bis dahin etwa 615.000 Arbeitskräfte aus der Türkei gekommen. Schätzungsweise 600.000 Muslime leben zum Teil bereits in der dritten und vierten Generation in Baden-Württemberg.
Muslimisches Leben in Baden-Württemberg ist vielfältig Die Mehrheit dieser Menschen stammt aus der Türkei. Muslimisches Leben in BadenWürttemberg ist vielfältig, unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen. Es wird geprägt von Muslimen aus vielen weiteren Ländern und Kulturen. Die religiöse Bindung der Muslime ist sehr unterschiedlich. Ein kleinerer Teil der Muslime bezeichnet sich als streng religiös, befolgt die religiösen Gebote und besucht regelmäßig die Moschee. Für die Mehrheit ist die Religion ein zwar wichtiger Aspekt, doch spielt für sie die Einhaltung der religiösen Gebote im Alltag eher eine untergeordnete Rolle. Der Bau und die Planung von Moscheen in einigen Städten in Baden-Württemberg machen deutlich, dass Muslime hier angekommen sind. Ihre Religion möchten sie nicht mehr im Abseits der Hinterhöfe, sondern sichtbar und innerhalb der Gesellschaft praktizieren.
Moscheegemeinden Moscheegemeinden bestehen in BadenWürttemberg nahezu flächendeckend. Diesen Gemeinden gehören auch Menschen an, die zum Islam übergetreten sind, deren Familien seit Jahrhunderten in Deutschland als Christen gelebt haben. Amtlichen Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Menschen in ganz Deutschland aus. Moscheegemeinden kennen keine feste und juristisch verbindliche Mitgliedschaft. Muslime sind nicht in geografisch klar umrissenen Gebieten (Parochie) organisiert mit einem Geistlichen als Leitung, sondern als Vereine. Oft es vor Ort oder in der Region unterschiedliche Vereine, die sich in ihrer reli4
giösen Prägung ebenso wie in kultureller und politischer Orientierung voneinander unterscheiden. Diese Vereine sind zugleich Träger einer Moschee oder eines Kulturzentrums mit Gebetsraum. Ihr Einzugsbereich geht über die Vereinsmitglieder hinaus. Es ist im Islam gut möglich, nirgends „Mitglied“ zu sein und die eigene Religion in der Moscheegemeinde zu leben, wo man sich persönlich wohl fühlt.
Die Moschee Die Moschee (arabisch, „Ort der Niederwerfung“) ist ein zentraler Ort für die islamische Gesellschaft, der Lebensmittelpunkt, der für religiöse und rituelle Zusammenkünfte genutzt wird. Wie im Christentum kann jeder Raum als Moschee genutzt werden. Den Raum der Stille im Krankenhaus in Mühlacker nutzen auch Muslime für ihre Gebete. Hier ist es möglich, für sich zu meditieren oder zu beten oder sich am Gemeinschaftsgebet zu beteiligen. Hier lesen die Männer den Koran und besprechen ihre Angelegenheiten. Hier werden Hochzeiten gefeiert, der Koranunterricht findet ebenfalls in der Moschee statt. Die Architektur einer Moschee ist grundsätzlich nicht geregelt, Baustile sind je nach Land und Epoche unterschiedlich. Gemeinsamkeiten sind zum einen, da man sich Gott im Gebet zuwendet, vor dem Gebet wäscht und reinigt. Dazu steht im Eingangein Sanitärbereich zur Verfügung. Zum anderen ist im Gebetsraum durch die Gebetsnische, von der aus der Vorbeter das Gebet leitet, kenntlich, wo Mekka ist. Oft gibt es eine Kanzel, von der an Freitagen Korantexte gelesen und ausgelegt werden. Die Wände sind kunstvoll mit Versen aus dem Koran in arabischer Sprache verziert, da es keine bildlichen Darstellungen geben darf. Das Minarett und auch der Gebetsruf des Muezzin sind nicht zwingend vorgeschrieben. Für einen normalen Muslim gehört das Minarett jedoch zum Erscheinungsbild der Moschee wie bei uns der Turm zur Kirche. Der islamische Gebetsruf (Adhan /Ezan) erschallt einmal in der Woche oder bis zu fünf Mal am Tag. In Deutschland ist er in 15 - 20 Städten zu hören. Er ist Bestandteil des islamischen Pflichtgebets, das fünfmal am Tag zu verrichten ist. In seiner Hauptform kann er wie folgt
übersetzt werden „Allah ist größer (oder: am größten) (4x) - ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt (2x - Ich bezeuge, dass Muhammed Allas Gesandter ist (2x) - Auf zum Gebet! (2x) - Auf zum Erfolg (oder: Heil)! - Allah ist größer (2x) - Es gibt keinen Gott außer Allah!“ Direkt vor dem Gebet ergeht der fast gleichlautende zweite Gebetsruf (Iqama) in der Moschee. Der Gebetsruf wird als „sehr wünschenswert“ empfohlen, ist aber für keine Rechtsschule unabdingbar für die Gültigkeit des Gebets. Der Islam kennt keine unseren Kirchen vergleichbare Struktur. Jeder Muslim kann das Gebet leiten; in der Regel ein besonders erfahrenes Gemeindeglied. Von einem Imâm („Vorsteher, Vorbild, Richtschnur, Anführer“) wird zusätzlich erwartet, dass er in der Lage ist, den Islam und seine Lebensregeln auszulegen. Frauen, die am Gebet in der Moschee teilnehmen, versammeln sich im hinteren Teil der Moschee oder in abgeteilten Räume.
Garantie auf Religionsfreiheit Das Zusammenleben aller Menschen in unserem Staat regelt das Grundgesetz als Verfassung. Neben den Rechten und Pflichten im Verhältnis von Staat und den Bürgern gibt sie einen Rahmen von Werten vor, die das Leben in unserer Gesellschaft prägen sollen. Unter den Grundrechten unserer Verfassung kommt der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) eine besondere Bedeutung zu:
zu denen sich glaubende Menschen zusammenschließen und engagieren haben auch folgende Rechte: • das Recht, ihre Angelegenheiten (z.B. die Organisationsform) selbst zu regeln • Gottesdienststätten, Versammlungshäuser und Bildungseinrichtungen zu errichten • öffentlich für sich zu werben • sich am sozialen Leben zu beteiligen. Dazu gehören Einrichtungen wie Kindergärten oder Krankenpflegestationen, die in Trägerschaft dieser Organisationen sind.
Quellen
Diese Rechte gelten für alle Religionen, egal wie viele Menschen ihr angehören und welcher Nationalität die Mitglieder angehören. Vorraussetzung ist, dass die Religionsgemeinschaften die rechtlichen Ordnungen unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung in Deutschand befolgen Beansprucht werden keine Regelungen, die dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen.
Dies bedeutet, dass in Deutschland lebende Muslime nicht für die politische und gesellschaftliche Situation in ihren Herkunftsländern oder anderen Ländern pauschal verantwortlich gemacht werden können sei es nicht vorhandene Religionsfreiheit, die Nichteinhaltung von Menschenrechten oder nichtdemokratische Regierungsfor-
Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
Dies umfasst die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, „die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses und die Kultusfreiheit“ (Art. 4 Abs. 2 GG), als Recht ungestörter gemeinschaftlicher Religionsausübung. Diese Rechte sollen es ermöglichen, dass Menschen ihren Glauben oder ihre Weltanschauung leben und bekennen und andere diesen ablehnen können. Dies umfasst auch das jeglicher Glaubenszwang verboten ist. Die Gemeinschaften und Organisationen,
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Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
men. Dies soll jedoch nicht verschwiegen werden, sondern, so eine Empfehlung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, die rät „in unseren Gesprächen mit Muslimen jedoch darauf hinweisen, dass der Mangel an Religionsfreiheit in vielen islamisch geprägten Ländern uns Sorgen macht und nicht zu akzeptieren ist und dringend behoben werden muss.“ (S. 7, Eine Moschee ist geplant).
Muslime in Baden-Württemberg / Dorothea Urban www.landeskunde-baden-wuerttemberg.de/muslimisch.html | 11.06.15, 11.21 MEZ Eine Moschee ist geplant - Handreichung für Kirchengemeinderäte und engagierte Gemeindeglieder, Evangelische Landeskirche in Württemberg S. 5 - 8 www.elk-wue.de/fileadmin/mediapool/elkwue/dokumente/arbeitshilfe_eine_moschee_ist_geplant_2684.pdf | 11.06.15, 10.47 MEZ Materialdienst, Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen, 78 Jahrgang, 6/15 S. 228
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„Erzähl mir, wie es für Dich ist ...“ Nicht über „die Muslime“, sondern mit einem Menschen, der seinen Glauben als Moslem lebt, zu reden war das Anliegen. Miteinander kamen Hasan-Ali Özer und Michael Gutekunst ins Gespräch. Darüber, wie Muslime hier in der Region ihre Kultur, ihren Glauben leben und was sie erleben. Was ist für einen Moslem am Christentum unverständlich? Grundsätzlich ist das Hauptproblem des Islams mit dem Christentum die Dreieinigkeit (Trinität). Dies hat mit der Entstehung des Islams zu tun. Dieser entstand in Mekka, an der Kaba. Dort haben Menschen handgemachte, selbst hergestellte Dinge angebetet, es war ein Götzendienst. Zentrale Aussage des Islams ist, dass es nur einen Gott gibt. Und die Trinität wirkt, wenn man sich nicht mit ihr beschäftigt, wie Vielgötterei. In diesen Zusammenhang gehört auch das Kruzifix. Es wirkt wie ein Götze, weil es eine gekaufte, handgemachte Sache ist, die angebetet wird.
© Portait Özer: Hasan-Ali Özer | © Portrait Gutekunst: Michael Gutekunst
Gibt es Aussagen, bei denen eine inhaltliche Nähe vom Islam zum Christentum besteht?
Hasan-Ali Özer Sprecher der Türkischen Vereine Mühlacker
Michael Gutekunst Medienarbeit & Medienbildung Kirchenbezirk Mühlacker
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Wir Muslime glauben auch an die Jungfrau Maria als eine der vorbildlichsten Frauen beschrieben auf Grund ihres Anstands, ihrer Frömmigkeit und ihrer Sündlosigkeit. Sie ist die Mutter von Jesus, der als Prophet verehrt wird und nicht als Sohn Gottes. Es gibt einen Gott, aber dieser gebärt nicht und wird nicht geboren. Wenn Jesus geboren wird, kann er nicht Gott sein. Jesus gehört zu den wichtigsten Propheten die wir ehren. Das bedeutet für Muslime, dass wer Jesus beleidigt, auch einen Moslem beleidigt, als wenn Mohammed beleidigt werden würde. Der Heilige Geist kommt im Koran vor. Gott hat den Heiligen Geist in Jesus eingeflößt, Jesus hat etwas Besonderes mitbekommen von Gott. Aber Jesus war nicht Gott, nicht Gottes Sohn! Von Jesus haben viele Menschen ein Bild, wie er wohl ausgesehen hat, es gibt Filme und Poster: Er trug einen Bart, hatte lange Haare. Aber hier geht es um eine heilige Person, die wir schätzen und verehren – es geht um den Charakter und das Wesen dieser Person, die Vision, nicht um den Körper als Bildnis, das verehrt wird.
Wie gehen Menschen islamischen Glaubens mit unseren christlichen Festen wie Weihnachten um? Viele Moslems feiern diese Feste mit, aber nicht auf Grund ihres christlichen Sinnes, sondern um sich mitzufreuen – ohne religiösen Hintergrund. Weihnachten ist schön, alle feiern an einem Tag, es ist ein Tag des Friedens. Wir haben den Eindruck, dass vieles von seinem Ursprung her aufgegeben wurde z.B. an Weihnachten ist vieles Tradition, ohne dass man nach dem Sinn und dem Inhalt fragt: An Weihnachten kommt der Nikolaus und der Weihnachtsmann. Wir leben in einer Gesellschaft, die vieles zur Diskussion stellt, auch den Glauben ... Das Original wird aufgegeben. Wir Menschen maßen uns an, das, was Jahrtausende alt ist, zu verändern. Wir entscheiden heute über etwas, das jahrhundertelang galt – ohne an der Spitze der Entwicklung zu stehen. Es kommt der Vorschlag anzupassen, indem im Koran Spuren weggestrichen werden oder beim Christentum einen Glauben zu machen, der zur Gesellschaft passt. Bibel und Koran müssen in 1.000 Jahren noch gültig sein, weil sie den Menschen den Weg weisen – wenn es jederzeit verändert werden könnte, verliert es seinen Wert! Wir müssen am Ursprung festhalten. Die Inhalte dürfen zeitgenössisch interpretiert werden, denn die Rahmenbedingungen von Mohammed (ca. 600 nach Christus) können nicht auf Heute übertragen werden. Damals war es völlig normal, mehrfach zu heiraten; Mohammed hat die Anzahl der Ehefrauen auf vier reduziert. Mohammed selbst lebte monogam in der Ehe mit seiner ersten Ehefrau Hatice. Diese war eine Geschäftsfrau, die als Karawanenführerin und Händlerin arbeitete; Mohammed war ihr Angestellter.
Wir alle erfahren aus den Medien, dass es Menschen gibt, die dies anders sehen und den Islam als Rechtfertigung für ihr Tun nutzen. Heute werden bestimmte Stellen im Koran benutzt, um Dinge anzugreifen. Der Koran sagt ganz deutlich, dass Gott verzeihend ist. Wir glauben an das Jenseits und an ein heiliges Gericht. Wer nimmt sich das Recht auf dieser Welt Gott zu spielen? Der Staat braucht eine Exekutive, aber die Entscheidung über Leben und Tod darf sich niemand anmaßen – auch nicht auf Grund seines Glaubens! Wir freuen uns, wenn die Glaubensfreiheit geschützt wird vor Terroristen. Wir sind den christlichen Mitbürgern sehr verbunden, da wir zum Teil auch in christlichen Gebetshäusern beten dürfen und durften. Dieses Land hat uns zum einen den Lebensstandard ermöglicht und bietet uns diesen, den wir haben. Ich selbst konnte auf das Gymnasium und studieren, dafür bin ich dankbar. Aber es darf auch nicht sein, dass jeder Muslime angreifen und angehen darf wegen der Terrormiliz Islamischer Staat; das sind Terroristen, die missbrauchen unsere Religion! Es ist nicht fair, den IS-Terror durch den Koran zu rechtfertigen!
Diese Menschen nehmen für sich in Anspruch, dass „der Islam“ dieses oder jenes von ihnen als Gläubige verlangt. Es gibt „den Islam“ nicht – man kann nicht mit einem Gesetzesbuch allen gerecht werden, aber die Menschen sollten mit dieser Wegweisung leben können. Man muss daran arbeiten, diese Weisungen in seine Zeit zu übertragen. Es ist kein festgelegtes Handbuch mit Paragrafen. Die Alewiten zum Beispiel interpretieren es so, dass sie Alkohol trinken können, da dies zur Zeit Mohammeds erlaubt war, er dies aber verbot, da Menschen nicht mit Alkohol umgehen konnten und ein Kind dadurch umkam. Die Auslegung des Korans braucht Kenntnis, so wie auch die Bibelauslegung. Dazu braucht es Fachleute, die sich damit beschäftigen. Mohammed war der Begründer einer Religion. Der Koran entstand in der Lebenswelt und -zeit von Mohammed. Er war unzufrieden mit der Gesellschaft und wollte diese verbessern, indem er das Wissen weitergab, dass es nur einen Gott gibt und dass andere Götzen sind, die an der Kaba verehrt wurden. Mohammed war ein Händler, der als weise und friedlich beschrieben wird, jedoch wurde er in Mekka auf Grund seiner Botschaft verfolgt und angefeindet. Er bekam die Einladung nach Medina zu
kommen, um dort zwischen Juden und Christen Recht zu schaffen. Dort wird er vom Händler zum Staatsmann. Ein politischer Islam entsteht, da Mohammed Dinge regeln muss wie zum Beispiel das Erbrecht. Entscheidungen, die Mohammed fällen musste, werden im Koran niedergelegt. Dies sind konkrete Situationen, die sich damals so zugetragen haben. Da wird auf diese Situation bezug genommen, es ist keine Verallgemeinerung, dass alle Juden oder Christen so sind. Niemand darf für die Taten seiner Vorfahren verantwortlich gemacht werden. Mohammed hat aus dem Negativen das Positive hervorgehoben. Man muss nicht die Rechte, die damals galten als Standard nutzen, sondern das Anliegen und die von ihm begonnene Entwicklung in diesem Sinn fortführen. So kann eine Religion ewig leben und ihren Stellenwert behalten. In der Abschiedsrede Mohammeds gibt er den Frauen einen großen Wert, indem er deutlich macht, dass sie ein Geschenk Gottes an die Männer sind. - So durfte z.B. seine Frau Aischa predigen, aber nicht zum Gebet aufrufen. Er revolutionierte das Erbrecht, da die Frau bis zu dieser Regelung nichts erbte, wenn ihr Ehemann starb und auch die Hygiene zu seiner Zeit. Die Religion hat Schätze, die zu jeder Zeit wichtig sind. So verbietet der Islam die Überheblichkeit und den Stolz. Muslime gehen mit dem Kopf auf den Boden, vor Gott und den Menschen, denn „der Teufel hatte Stolz“. Es geht nicht um Überheblichkeit, sondern um Toleranz und darum, auf den Mitmenschen zuzugehen. Übertriebener Stolz und Überheblichkeit sind übrigens in allen Religionen verboten. Dies zeigt sich auch in der Aufforderung im Islam, an die Armen zu denken. Der Islam redet von Almosen und Solidarität, das ist eine der fünf Säulen des Islams. Der Sklave betet am gleichen Ort wie der Pascha und der Prophet, jeder darf beten – die innere Haltung muss möglich sein.
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Ein Streitpunkt innerhalb der Gesellschaft ist das Kopftuch ... Im Koran steht, dass Frauen ihre Reize, welche auch Reichtümer sind, verstecken, mit einem Gewand bedecken mögen. Hier ist heute die Frage zu stellen – wir hatten es vorhin davon – was sind die Reichtümer, also die Reize einer Frau Heute? 7
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Stichwort „Kopftuchurteil“ Gemeint ist ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 2015. Es verfügt, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen verfassungswidrig ist, da es gegen die Glaubensund Bekenntnisfreiheit verstoße.
Zur Zeit Mohammeds war es anders, da war offen getragenes Haar äußerst erotisch. Frauen sollen nicht reduziert werden auf ihre körperliche Ausstrahlung, hier gibt der Islam Frauen noch mehr Wert. Sie sollen keinen Anreiz hierzu bieten und sie sollen so nicht betrachtet werden, denn Männer werden durch Reize beeinflusst. Eine solche Weisung gibt es auch für Männer. Ein Mann muss sich bedecken von oberhalb der Kniekehle und des Bauchnabels. In Shorts schwimmen gehen ist nicht erlaubt und wird nicht praktiziert; deshalb ist auch der Bikini nicht angemessen. Es steht nirgends, was oder wie der Körper bedeckt werden soll. Frauen sollen sich hübsch fühlen, aber nicht sexualisierend wirken zum Schutz beider Geschlechter, denn sündige Gedanken schließen aus der Glaubensgemeinschaft aus.
Nichts desto trotz ist das Kopftuch immer wieder Thema – zuletzt beim sogenannten „neuen Kopftuchurteil“ Hier ist Sensibilität notwendig – von allen Beteiligten, das vorab. Es ist nicht korrekt, wenn Mädchen vor der Pubertät ein Kopftuch tragen. Und Kinder sollen meiner Meinung nach emanzipiert erzogen werden und die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen wollen als Jugendliche. Integration entscheidet sich nicht an der deutschen Sprache und einer Ausbildung allein, sondern daran, ob ein Mädchen, eine Frau ein Kopftuch trägt. Wenn jemand meint, das Kopftuch sei ein Teil seines Wesens, ist das zu respektieren. Hier geht es um einen wechselseitigen Umgang miteinander mit Respekt und Toleranz. Ich sage Nein zu Gewalt und Zwang in der Erziehung. Die freie Entscheidung muss möglich sein, in der Familie und in der Gesellschaft. Ein anderer Gesichtspunkt ist, dass gläubige Menschen andere Einstellungen als nichtgläubige haben: Moslems glauben an das jüngste Gericht. Frauen (und auch Männer), die dies glauben, sagen „wir sind zur Prüfung hier, wir üben hier Verzicht und fallen den Verlockungen nicht anheim“. Den Gewinn haben wir dann im ewigen Leben und diesen Weg wollen wir gehen.
Dieses Denken ermöglicht ein sozial hartes Leben, das als Prüfung ertragen wird. Hier ist der Glaube, ist die Religion eine Möglichkeit, mit Missständen umzugehen. Wir wollen gleich behandelt werden wie Christen und andere Religionen. Das Kreuz in der Schule an der Wand stört uns nicht - wir respektieren es auf Grund des Glaubens der Christen. Wir haben nie etwas gegen Jesus gehabt, er ist ein Prophet, den wir ehren. Wir wünschen uns gleich behandelt zu werden; niemand verlangt von einer Nonne oder Diakonisse, dass sie ihren Schleier ablegt. Es gilt das sogenannte „Kopftuch-Urteil“. Im Unterricht ist wichtig, was die Lehrerin sagt, welche Inhalte vermittelt werden. Wer etwas sagt oder tut, was mit dem deutschen Grundgesetz nicht einhergeht, macht sich strafbar und das muss Konsequenzen haben. Das hängt aber nicht am Kopftuch, ob die Lehrerin solche Inhalte weitergibt. Wenn eine Frau das Kopftuch an der Schule tragen darf, führt das zu Dankbarkeit und zu einer großen Loyalität, dadurch, dass sie es darf – was ihr in vielen muslimischen Ländern leider nicht erlaubt ist. 99% der Muslime sind extrem dankbar für die Möglichkeit, hier ihren Glauben zu praktizieren dürfen. Wir sind extrem dankbar, dass wir unseren Glauben in einer Art und Weise, wie es in vielen muslimischen Ländern nicht möglich ist, leben können. Wir sind mit dem deutschen Rechtssystem zufrieden. Das Grundgesetz, die Verfassung sind absolut konform dem Islam, weil es unserem Denken sehr, sehr nahe kommt.
Wie sind islamische Gemeinden organisiert? Hier in Mühlacker sind die Gemeinden als muslimische Vereine organisiert. Das hat zur Folge, dass die Gemeinden von den Beiträgen der wenigen Mitglieder leben und von Einnahmen am Tag der offenen Tür. Sie bekommen keine staatliche Förderung. Das ganze Gemeindeleben geschieht ehrenamtlich, lediglich der Imâm wird vom Verein finanziert. Ein Manko ist übrigens, dass es noch keine in Deutschland ausgebildeten Imâme gibt. Die Gemeindemitglieder sind zum großen Teil Schichtarbeiter. Die Aktivitäten der Gemeinden sind auf das Wesentlichste beschränkt, da nicht mehr leistbar ist für diese Menschen in ihrem anstrengenden Alltag!
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Die Gemeinde in der Pforzheimer Straße hat die Schulden vom Kauf des Gebäudes abbezahlt, jedoch ist das Haus zu klein für die gesetzten Ziele. Es gibt die Freitagsgebete und für Kinder eine Früherziehung, mehr geht nicht. Wünschenswert wäre unter anderem eine Hospizarbeit, die Mitwirkung auf der Gartenschau, Hilfsangebote für Flüchtlinge. Das geht leider nicht immer, es ist nicht leistbar für die Gemeindemitglieder. Die ISV im Kisslingweg hatte keinen festen Imâm, alle zwei Monate kommt ein neuer Imâm, oft auch kurz vor dem Fastenmonat Ramadan. Aufgabe des Imâm ist es auch, die Gläubigen zu leiten, zu „erziehen“, aber auf Grund der kurzen Aufenthaltsdauer können keine tiefen Beziehungen zu den Menschen entstehen. Die nicht in Deutschland aufgewachsenen Imâme kennen die deutsche Gesellschaft nicht, kennen die Probleme eines Schichtarbeiters nicht, kennen die Probleme der Jugendlichen nicht. Ich würde mir wünschen, dass die Imâme Muslime motivieren, sich in der Hospizarbeit, im Tafelladen und wo es Not tut, einzubringen für unsere Gesellschaft.
Wie gelingt gute Nachbarschaft und ein gutes Miteinander? Höflich sein und den anderen grüßen. Feinfühlig sein und auf Gesten reagieren, indem sie erwidert werden. Empathisch sein, versuchen den anderen zu verstehen. Hier zählt die kleine Geste mehr als die große Einladung. Muslime machen gerne zu Weihnachten ihren christlichen Nachbarskindern ein Geschenk, um eine Freude zu machen. Sie finden es aber auch schön, wenn man ihren Kindern eine Freude macht. Manche Menschen, die der islamischen Gemeinschaft angehören, fühlen sich fremd hier im Land und nicht wohl. Sie sind immer bereit zu geben. Wenn aber kein Signal zurück kommt zu ihnen, dass diese Gabe ankam, sieht man sich in einer Einbahnstraße. Es entsteht der Eindruck „Wir sind nicht erwünscht. Wir sind nicht willkommen, man will mit uns nichts zu tun haben“. Einige Menschen der islamischen Gemeinschaft erwarten gar nicht mehr, willkommen zu sein oder willkommen geheißen zu werden; sie haben gelernt mit Enttäuschung umzugehen. Ganz wichtig sind Signale und kleine Gesten. Solch ein Signal ist es auch, respektvoll Fragen zu stellen und nicht etwas besser zu wissen. Ich persönlich freue mich jedes Mal über eine Gegeneinladung bei unseren christlich-muslimischen Begegnungen, bei denen wir zu einer Suppe in eine christliche Kirche oder Gemeinde eingeladen sind.
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Konkret heißt das für die drei muslimischen Gemeinden in Mühlacker:
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, zum Islam in Deutschland „Der Islam wird in Deutschland immer präsenter. Wie nehmen Sie das wahr? Ich wünsche mir, dass der Islam sich zu einer lebendigen Kraft der demokratischen, pluralistischen Gesellschaft entwickelt, und unsere Demokratie aus seiner eigenen Tradition mit Leben erfüllt. Dies mussten die christlichen Kirchen auch erst lernen. Wenn der Islam das tut, kann er zu einem wichtigen Akteur in der Zivilgesellschaft werden. Wie kann unsere Gesellschaft das fördern? Die Einrichtung beispielsweise islamischer Fakultäten an den Universitäten ist ein wichtiger Schritt für die selbstkritische Beschäftigung mit der eigenen Religion nach wissenschaftlichen Standards. Ich begrüße das, weil ich mir wünsche, dass alle Religionen zu Kräften des Friedens in einer demokratischen Gesellschaft werden. Was sagen Sie zum Kopftuch-Urteil? Ich betrachte das Urteil mit gemischten Gefühlen. Einerseits stärkt das Verfassungsgericht uns allen den Rücken, die wir für eine freie Ausübung von Religion in der Öffentlichkeit eintreten. Religionen haben ihren festen Platz in unserer Gesellschaft. Das hat das Urteil klar bestätigt. Andererseits ist noch sehr unklar, wie praxistauglich das Urteil ist. Es könnte sein, dass die Schulen damit überfordert sind, selbst zu entscheiden, ob das Tragen des Kopftuchs durch die Lehrerin der Integration dient oder sie hemmt. Man sollte die Kopftuchfrage aber auch nicht zu hoch hängen. Denn es ist mit einer Antwort auf die Kopftuch-Frage alleine nicht getan. Der Islam muss noch viel stärker gesellschaftlich in Deutschland eingebunden sein. Und hier muss jenseits des Urteils noch viel Arbeit geleistet werden.“ Quelle: http://www.bz-berlin.de/deutschland/warum-laesst-gott-katastrophen-ueberhaupt-zu
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Was jeder vom Islam wissen muss lautet der Titel eines Handbuchs, das im Auftrag des Amtes der Vereinigten Evangelisch lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von Martin Affolderbach und Inken Wöhlbrand herausgegeben wurde. Die hier notierten Informationen sind dort bzw. der Kurzfassung entnommen.
Koran Der „ehrwürdige Koran“ ist für Muslime die grundlegende Quelle ihres Glaubens, welcher als ganzer Text Mohammed offenbart wurde in einem Zeitraum von 22 Jahren. Die inhaltliche Einheit der Offenbarungen findet ihren treffendsten theologischen Ausdruck in Sure 29,46: „Unser Gott und euer Gott ist einer. Und wir sind ihm ergeben.“ Zwanzig Jahre nach dem Tod Mohammeds wurde erstmals ein verbindlicher Korantext zusammengestellt. Die heute größtenteils verwendete Textfassung basiert auf der Durchsicht des Korans durch Gelehrte der islamischen Universität al-Azhār in Kairo im Jahr 1923. Der Text dieser verbindlichen Ausgabe des Korans ist in 114 Kapitel (Suren) und 6.236 Verse eingeteilt. Die kürzeren, poetisch kraftvolleren Texte aus der Frühzeit in Mekka stehen am Ende, die längeren Suren aus der Zeit in Medina mit teilweise ausführlichen erzählenden, ermahnenden und rechtlichen Ausführungen stehen am Anfang. Die zweite Sure „Die Kuh“ ist mit 286 Versen die längste. Zu Beginn findet sich die mit sieben Versen kurze erste Sure, die als Gebet das Buch „eröffnet“. Den Abschluss bilden zwei so genannte „Schutz-Suren“ (113 und 114), die Unheil abwenden sollen. Der Koran selbst versteht sich als „das Buch, an dem es keinen Zweifel gibt“ und als „Rechtleitung für die Gottesfürchtigen“ (Sure 2,2). Er umfasst, was einem Muslim grundlegend als Weisung für Glauben und Leben dient. Für Muslime ist der Koran unmittelbar göttlicher Herkunft. In den Rechtsschulen entwickelte sich ein unterschiedliches Vorgehen der Auslegung, was sich in den verschiedenen islamischen Kulturen zeigt. Seit dem 19. Jahrhundert haben sich verschiedene Strömungen ausgebildet, die eine moderne Schriftauslegung begründen. Das Verständnis, das der Koran im Wortlaut der gültige Maßstab ist, ist stark verbreitet.
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Mohammed Neben dem Koran ist die Person Mohammeds, dessen Leben und sein Vorbild, die wichtigste Quelle für den Islam. Über das Leben Mohammeds haben wir nur durch islamische Quellen Informationen. Er wurde um 570 n. Chr. in Mekka geboren als Mitglied einer verarmten Familie. Er wuchs als Waise auf, da sein Vater Abdallh vor seiner Geburt, seine Mutter Amina als er sechs Jahre alt war, verstarb. Mit 25 Jahren heiratete er die 15 Jahre ältere reiche Kaufmannswitwe Khaddja. Männliche Nachfahren sind über die Linie seiner Tochter Fatima, der späteren Frau Alis, entstanden. Mohammed suchte in der Wüste nach Erkenntnis des wahren Gottes. Ihm erschien dort in der Höhle Hira bei Mekka im Jahr 610 der Erzengel Gabriel. Nach anfänglicher Unsicherheit folgte Mohammed seiner Berufung zum Propheten und verkündigte die Güte des Schöpfergottes und sein Gericht. Eine Einladung nach Medina, wo er eine Gruppe von Anhängern hatte, führte zur Auswanderung Mohammeds, der hidjra, von Mekka nach Medina 622 n. Chr., dem Beginn der islamischen Zeitrechnung. Dieses Ereignis begründet die islamische umma, die „Gemeinschaft“ der Muslime, als eigenständige religiös-politische Größe unter der Führung des Propheten. Die göttlichen Weisungen (Offenbarungen), die er in dieser Zeit verkündete, bekamen zunehmend Rechtscharakter. 632 pilgerte Mohammed nochmals zur Kaaba in Mekka. Das Ritual, das er dabei vollzog, wird von Muslimen bis heute bei der Wallfahrt vollzogen. Am 8. Juni 632 starb Mohammed im Haus seiner Lieblingsfrau A’ischa ohne männlichen Erben. Aus Sicht des sunnitischen Islams hatte er keinen Nachfolger mit der Leitung der umma beauftragt. Bestattet wurde er in Medina. Die universale und abschließende Bedeutung Mohammeds beschreibt der Koran mit dem Ausdruck, Mohammed sei „das Siegel der Propheten“ (Sure 33,40).
Nach ihm kann es keinen weiteren Propheten und keine neue Offenbarung Gottes geben. Dies zeigt die besondere und einmalige Position Mohammeds. Jahrhunderte galt Mohammed bei Christen als falscher Prophet, fanatischer Krieger, Irrlehrer, Ketzer und Betrüger, sogar als Antichrist wurde er tituliert. Die Herausgeber des Buches „Was jeder vom Islam wissen muss“ plädieren dafür, „solche Urteile kritisch zu überprüfen, die große geschichtliche Bedeutung Mohammeds anzuerkennen und seinen überragenden Stellenwert für Muslime zu respektieren“.
Islam - Hingabe an den einen Gott Es ist muslimische Überzeugung, dass Gott dem Menschen im Koran die rechte Kenntnis seiner heilsamen Lebensordnung gab, die dieser braucht, um sein Leben nach Gottes Willen zu gestalten. Der Islam hat „fünf Säulen“, welche die religiöse Vorgehensweise für Muslime im Alltag regelt: 1.
die Bezeugung des Glaubens im Bekenntnis | shahda
2.
die Verrichtung des rituellen Pflichtgebets | salt
3.
die Sozialabgabe oder Selbstbesteuerung für die Armenhilfe | zakt
4.
das Fasten, während des ganzen Monats Ramadan | saum
5.
die Pilgerfahrt nach Mekka | hadjj.
Wer diese Regeln befolgt und sein Leben danach gestaltet, praktiziert Islam, die Hingabe an Gott. Sie regeln das religiöse Leben des Einzelnen und das der Gemeinschaft und bringen die Ganzheitlichkeit von Geist und Leib zum Ausdruck. Die Ausübung der Religion ist für den Islam entscheidend, es geht nicht so sehr um die rechte Lehre als vielmehr um das rechte Handeln. „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott, und ich bezeuge, dass Mohammed sein Gesandter (Prophet) ist“ lautet das islamische Glaubensbekenntnis, das Einheit und Einzigkeit Gottes bekennt. Die völlige Unterwerfung und Ergebenheit unter Gott zeigt sich in der Niederwerfung während des Gebets aus. Der Tagesablauf der Muslime erhält durch das fünf Mal rituell zuvollziehende Gebet (salt) einen festen Rhythmus. Kann das Gebet nicht zur festgesetzten Stunde vollzogen werden auf Grund von Arbeit, Krankheit oder auf Reisen, kann und soll es zu einem späteren Zeitpunkt nachholt werden. Diese Gebetspflicht gilt für Frauen und Männer. Wenn der Beter sich dabei der Gebetsrich-
tung (qibla) folgend der Kaaba in Mekka zuwendet, zeigt er die Einheit aller Muslime, die Zugehörigkeit zur Weltgemeinschaft der umma und den zentralen, gemeinsamen Ort der Anbetung auf. Noch deutlicher zeigt sich diese Gemeinschaft im Freitagsgebet in der Moschee, zu dem alle Männer verpflichtet sind. In vom Islam geprägten Ländern ruft der Muezzin die Gläubigen vom Minarett her mit dem Gebetsruf zu den Pflichtgebeten auf. Dieser Ruf ist seit des Umzugs der ersten Gemeinde von Mekka nach Medina der gleiche und gehört zu der unabänderlichen liturgischen Tradition aller muslimischen Gruppen. Islamisches Beten hat einen ausgeprägten Gemeinschaftscharakter: Jeder Beter und jede Beterin ist als Bruder oder Schwester in das „Haus des Islams“ aufgenommen.
Fasten, Sozialabgaben und Wallfahrt sind weitere Säulen des Islams. Der Monat Rammadan, der neunte Monat im islamischen Kalender, ist der Fastenmonat, der große Disziplin abverlangt. Täglich beim Morgengrauen sprechen die Gläubigen die Absichtserklärung zum Fasten an diesem Tag. Bis zur Abenddämmerung nehmen sie nichts an Getränken und Mahlzeiten zu sich, rauchen nicht und enthalten sich des Geschlechtsverkehrs. Das Fastengebot gilt für Männer und Frauen gleicher Maßen. Mit dem Sonnenuntergang endet das Fasten, ein gemeinschaftliches Essen findet in der Familie oder der Moschee statt. In der Nacht zum 27. Tag des Ramadan erinnern sich Muslime an die Offenbarung der ersten Koranbotschaft im Jahr 610 an Mohammed.
sozialer Hilfe, wobei die Regelung ist, dass jeder erwachsene gesunde Muslim jährlich ca. 2,5% seines Besitzes und Gewinns aus Handwerk, Industrie oder Handel oder 10 % des Gewinns aus Ernte und Viehbesitz abgeben soll. Arme sind von dieser Abgabe befreit. Gut zwei Monate nach dem Ramadan beginnt die Wallfahrt nach Mekka, die für Frauen und Männer vorgeschrieben und einmal im Leben Pflicht für jeden ist, der sie sich gesundheitlich und finanziell leisten kann. In Mekka treffen sich Pilger aus allen Erdteilen, oft in organisierten Reisegruppen, mehr als zwei Millionen Menschen im Jahr. Die Wallfahrt geht auf die ausdrückliche Anweisung des Korans zurück und ist eng mit der Abrahamgeschichte verbunden. Mohammed hat im Jahr 632 kurz vor seinem Tod die Einzelheiten der Wallfahrt selbst vorgegeben.
Recht, Gesetz und Lebensregeln Scharia, das arabische Wort für das religiöse Gesetz im Islam, bedeutet ursprünglich: der Weg, der zur Wasserstelle führt. Wer Gottes Scharia folgt, kommt nicht in der Wüste um, sondern findet das Wasser des Lebens. Deshalb ist das Bemühen des gläubigen Muslims darauf gerichtet, Gottes Gebote zu kennen, Gutes zu tun und Böses zu meiden. Die Menschen werden jedoch dieser Bestimmung oft nicht gerecht, aus diesem Grund hat Gott in seiner Barmherzigkeit immer wieder Propheten gesandt. Sie lehrten die Menschen das Gesetz Gottes und brachten das Licht der „Rechtleitung“.
Viele Muslime lesen im Ramadan den ganzen Koran; in den Moscheen finden Koranlesungen und -unterricht statt. Neben der spontanen Hilfe in Notsituationen kennt der Islam verbindliche Regelungen für Sozialabgaben als Sozialsteuer. Einkommen und Gewinn verpflichten zu
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Seit der Frühzeit des Islam haben Muslime sich intensiv dafür eingesetzt, dieses Ideal zu verwirklichen. Der Koran ist neben den Taten des Prophenten, der „Sunna“, wichtigste Quelle des islamischen Rechts. Für die Rechtsfindung spielen der Gebrauch menschlicher Vernunft, der Analogieschluss und der Grundsatz der Übereinstimmung in der Gemeinde eine wesentliche Rolle. Im Alltag prägen zudem örtliche und regionale Gewohnheitsrechte die Rechtsverhältnisse. Heute stellt in nahezu allen Ländern mit muslimischer Mehrheit das gültige Recht eine Verbindung von traditionellen Elementen mit aus Europa übernommenen Normen dar. Die Gültigkeit der Scharia wird unterschiedlich anerkannt. Die islamische Religion und Kultur kennt viele Lebensregeln im Alltag und muslimischen Lebens prägen. Das sind u.a. Reinheit und Unreinheit, Speisegebote und Kleidungsvorschriften. Obwohl das traditionelle, drakonische Körperstrafenrecht, mit dem der Begriff Scharia oft außerhalb des Islams verbunden wird, weitgehend zurückgedrängt ist, werden dennoch schwere Menschenrechtsverletzungen mit Bezug auf das islamische Recht begangen und gerechtfertigt.
Familie und Geschlechterrollen Im Islam sind das Verhältnis von Männern und Frauen, Rollen in der Familie und der Generationen durch kulturelle und religiöse Traditionen geprägt. Islamische Erziehung, Rechtssetzungen des religiösen Ehe-und Familienrechts, Gepflogenheiten sowie soziale Strukturen in islamischen Gesellschaften prägen das Geschlechterverhältnis wie auch das Zusammenleben in der Familie. Der Schöpfungsbericht im Koran zeigt auf, dass Mann und Frau denselben Rang vor Gott haben als Geschöpfe. Die Geschlechtlichkeit ist Teil ihres Geschöpf-Seins. Religiös sind Männer und Frauen gleichberechtigt und gleichwertig. Bezogen auf ihre Lebenswelt hat Gott Männern und Frauen unterschiedliche Aufgaben zugewiesen, aus denen Koran und Theologie verschiedene Rechte und Pflichten für Männer und Frauen ableiten. Diese Rollenzuweisungen sind keineswegs nur islamisch, auch in anderen religiös geprägten Gesellschaften ist dies vorzufinden. Zuneigung und Barmherzigkeit sind im Islam Grundlage der Ehe. Äußerlich wird die Ehe in den meisten islamischen Ländern durch einen Vertrag geschlossen. Die Einehe ist die Regel, die Mehrehe unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Scheidung ist im Islam möglich, die lebenslange Ehe wird als schöpfungsgemäße Lebensform betrachtet. In kulturell traditionellen Milieus werden Eheschließungen häufig von den Familien ausgehandelt. Von diesen „arrangierten Ehen“ sind „Zwangsehen“ zu unterscheiden. Die Familie ist in traditionell geprägten Gesellschaften eine Gruppe großer gegenseitiger Fürsorge und Anteilnahme, aber auch der Sozialkontrolle. In zahlreichen islamisch geprägten Ländern ist das Ehe-und Familienrecht in der jüngsten Vergangenheit reformiert worden. Kinder gelten in einer Ehe als sichtbarer Segen Gottes. Bei Jungen ist die aus der Sunna des Propheten abgeleitete Beschneidung üblich. Die traditionellen Rollen von Frauen und Männern sind vielfältig, je nach Bildung, ob der Lebensraum ländlich oder oder städtisch ist, der politischen Überzeugung und dem Grad der Modernisierung in dem Land bzw. Region.
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Auch in der islamischen Welt gibt es dynamische Entwicklungen der Geschlechterrollen, selbst wenn nach wie vor religiös begründete Menschenrechtsverletzungen an Frauen in vielen Ländern zu beobachten sind. Es gibt Bestrebungen, die Rechte und die Situation von Frauen innerhalb der islamischen Welt mit Rückbezug auf ein neues Verständnis der entsprechenden Texte des Korans zu verbessern.
Tod und ewiges Leben, Sterben und Bestatten Zu den Glaubensinhalten des Islams gehört auch der Glaube an ein letztes göttliches Gericht und an die Vorherbestimmung des Guten und des Bösen von Gott her. Darum handeln Menschen klug, wenn sie den Warnungen und Weisungen der Gesandten Gottes im Blick auf jenen großen Tag folgen. Ähnlich wie es in der Bibel beschrieben ist, wird der Tag des Gerichts auch nach dem Koran plötzlich und mit kosmischen Katastrophen über die Erde hereinbrechen. Vor dem richtenden Gott gibt es kein Entrinnen. Jeder wird über das Rechenschaft geben müssen, was er im Leben getan und gelassen hat. Das Verständnis des Todes im Islam als Durchgang zu Gericht und Jenseits spiegelt sich in der Begleitung der Sterbenden und in der Gestaltung der Bestattung wider. Es gilt als selbstverständliche Pflicht und als gutes Werk, einen Sterbenden in den letzten Stunden nicht allein zu lassen. In der Todesstunde wird der Sterbende nach Möglichkeit mit seinem Gesicht in Richtung Mekka gelegt, das Glaubensbekenntnis wird gesprochen. Wenn der Tod eingetreten ist, soll die Waschung des Toten und die Bestattungszeremonie so schnell wie möglich erfolgen. Der Leichnam wird in weiße Leinen- oder Baumwolltücher gehüllt, eine Einsargung ist in der Regel nicht üblich. Die Bestattung ist Aufgabe der Männer, Frauen nehmen höchstens am Rande daran teil. Muslimische Gräber sollen schlicht gestaltet werden und die Ausrichtung nach Mekka hin ist fest vorgegeben.
Islam und Christentum In der Bibel und im Koran finden sich viele Namen, Erzählungen und Themen. In manchem besteht Ähnlichkeit, und in diesen gibt es Unterschiede. Der Glaube an Gott, den Schöpfer ist wesentlicher Teil der Botschaft in der der Bibel und im Koran. Adam als erster Mensch, der Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradies, Noah und der Turmbau werden in beiden Büchern berichtet. Personen wie Abraham, Moses, David und Salomo sind gemeinsames Traditionsgut. Über die biblischen Propheten hinaus kennt der Koran noch weitere.
Bibel und Koran Die Ankündigung der Geburt Jesu durch Johannes den Täufer und das Wirken Jesu erzählt auch der Koran. Doch zugleich warnt er, in Jesus mehr als einen Menschen zu sehen. Sein Kreuzestod und die Auferstehung werden bestritten. Im Koran haben nahezu alle Prophetenbücher der Bibel keine Spuren hinterlassen, die Berichte über die frühen christlichen Gemeinden und die Briefe der Apostel finden sich nicht. Manche Passagen des Korans finden sich als frühere Fassungen im Talmud, den rabbinischen Schriftauslegung (Midraschim) und der frühchristlichen Literatur. Jüdische und christliche Überlieferungen werden hier aufgenommen und eigenständig akzentuiert und gedeutet. Aus muslimischer Sicht ist der Koran die endgültige Offenbarung, die alle früheren Offenbarungen aufnimmt, wiederherstellt und überbietet. Im Koran werden Juden, Christen und Muslime als „Leute des Buches“ bzw. als „Schriftbesitzer“ bezeichnet, jedoch hat der Koran im Islam in seiner sprachlichen und materiellen Form als Buch eine besondere Rolle. Dies zeigt sich vor allem darin, dass der arabische Text eigentlich nicht übersetzt werden kann. Für Christen ist Jesus Christus die Mitte der Bibel, die als Schrift und Buch von ihm berichtet und sein Heilshandeln erzählt. Im Islam hat sich eine große Tradition der Koranauslegung entwickelt, die großteils einen eigenen Weg genommen hat. Das Ringen um die rechte Auslegungsmethodik bzw. die Auslegung und das Verständnis des Korans ist fester Bestandteil der Diskussion in der islamischen Theologie.
Abraham und Jesus Abraham und Jesus sind im Alten beziehungsweise im Neuen Testament zentrale Personen. Beide haben auch im Koran eine große Bedeutung. Auf Abraham berufen sich alle drei Religionen - in unterschiedlicher Weise. Mit dem Begriff der „abrahamischen“ oder „abrahamitischen Religionen“ sollen Gemeinsamkeiten von Judentum, Christentum und Islam aufgezeigt werden. Das Alte Testament kennt Abraham als den Stammvater Israels, das als Urbild des Gottesvolkes gesehen wird. Als Erwählter und „Vater des Glaubens“ schließt Gott mit einem ein Bündnis. Er empfängt Gottes Gebot und wird als gehorsam und gottesfürchtig geschildert. Im Neuen Testament steht er für die Erkenntnis der Rechtfertigung alleine durch den Glauben. Im Koran ist Abraham (Ibrahim) die nach Mose (Musa) am zweithäufigsten genannte Person aus dem Alten Testament. Im Koran finden die Abrahams-Erzählungen in Mekka statt, wo er als Streiter für den Monotheismus auftritt. Muhammad wird als Prophet in der Nachfolge Abrahams geschildert. Die Person Abrahams ist ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Judentum, Christentum und Islam. Aber es muss die unterschiedliche Rolle, die Abraham theologisch in der jeweiligen Religion hat, gesehen werden. Hier ist keine tragende inhaltliche Gemeinsamkeit erkennbar.
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Die für das Christentum zentrale Gestalt Jesu wird im Islam als einer der großen Propheten und Gesandten Gottes verehrt. Die Geburt Jesu (Isa) wird im Koran anders als in der Bibel berichtet: Er wird durch ein Schöpfungswort geschaffen, nicht durch den Heiligen Geist gezeugt. Koran und Bibel kennen für Jesus den Titel Messias (al-Masih). Der Koran bezeichnet ihn als „Wort der Wahrheit“ und berichtet von seinen Wundern. Nach Auffassung des Korans ist Jesus aber nicht am Kreuz gestorben und auch nicht Gottes Sohn. Deshalb sind die Kreuzestheologie, die Versöhnungslehre und die Lehre von der Trinität für den Islam nicht nachvollziehbar und werden abgelehnt.
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Frühjahr/Sommer 1/2015 In der islamischen Mystik erfährt Jesus größte Wertschätzung als großer Lehrer des Gebets, als gottesliebender Asket und als vorbildlich frommer, demütiger, hilfsbereiter und bescheidener Mensch. Die theologische Bedeutung Jesu ist – bei gleichzeitiger gemeinsamer Hochachtung seiner Person in Islam und Christentum – einer der wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Religionen.
Jerusalem – Stadt der 3 Religionen Nur in Jerusalem sind Christentum, Judentum und Islam auf so geringem Raum miteinander verwoben. Auf einer Fläche, die nicht einmal einen Quadratkilometer umfasst, finden sich so viele einzigartige heilige Stätten. Dies hat immer wieder zu Konflikten quer duch alle Zeiten geführt, die bis heute Auswirkungen haben. Um das Jahr 1.000 vor Christus nahm König David die Stadt Jerusalem militärisch ein. In ihr hatte bis zur Eroberung die Jebusiter, ein kanaanäischer Volksstamm, gelebt. Der Tempel wurde zum Zentrum der Wallfahrtsfeste und zum Ziel jüdischer Rückkehr- und Erlösungshoffnungen in Zeiten
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des des Exils. Die mehrfache Zerstörung des Tempels und Jerusalems, zuletzt 70 nach Christus durch römische Legionen, prägte die jüdische Theologie und Frömmigkeit tief. Im Bild des „neuen Jerusalems“ bekam die Pilgerfahrt zum Zionsberg eine allumfassende Bedeutung. Für das Christentum hat Jerusalem durch das Wirken, den Tod und die Auferstehung Jesu seine Bedeutung. Vom Judentum wurde die Vorstellung des „himmlischen Jerusalems“ übernommen. Jerusalem ist auch die Stadt der Muslime. Der 2. Kalif Omar nahm im Jahr 638 nach Christus die Stadt ein. Ein Schutzvertrag mit den Christen in der Stadt sicherte diesen die Benutzung aller Kirchen und Pilgerstätten sowie ihre freie Religionsausübung zu. Nach islamischer Tradition hat Omar selbst auf diesem Areal den Felsen wiederentdeckt, von dem aus Muhammad den Aufstieg in den Himmel begann. Der Name „Jerusalem“ findet im Koran keine Erwähnung, dennoch ist diese Stadt nach Mekka und Medina zum drittwichtigsten Wallfahrtsort.
Zeiten des friedlichen Zusammenlebens in der Stadt gab es ebenso wie unbeschreibliche Massaker, vor allem in der Zeit der Kreuzzüge. Heute ist Jerusalem eine auf Grund des Kriegs eine geteilte Stadt. Seit 1967 ist Ostjerusalems durch Israel besetzt. Christen leben nur noch wenige in der Stadt. Quelle: Was jeder vom Islam wissen muss, 8., vollst. überarb. Neuaufl. | Herausgegeben von Affolderbach, Martin, Wöhlbrand, Inken, Verlag: Gütersloher Verlagshaus 2011, ISBN-10: 3579065599 | 14,99 EUR Dr. Martin Affolderbach, Oberkirchenrat, Referent für Islam und Weltreligionen im Kirchenamt der EKD, Hannover; geb. 1947 in Wuppertal; Studium der Evangelischen Theologie in Wuppertal, Heidelberg und Bonn; Promotion zum Dr. theol. an der Universität Bonn; Gemeindepfarrer in Bielefeld; Referent für Grundsatz- und Studienarbeit bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej), Stuttgart; Leiter der Evangelischen Jugendakademie Radevormwald; seit 1995 Oberkirchenrat im Kirchenamt der EKD in Hannover, in dieser Zeit zuerst zuständig für Migration und Ausländerfragen (bis 2001), seit 2002 zuständig für Islam und Weltreligionen sowie zeitweilig zuständig für Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Inken Wöhlbrand, Oberkirchenrätin, Referentin für Mission und Entwicklung sowie Islam-Fragen im Amt der VELKD, Hannover, zuständig für die Zusammenarbeit mit lutherischen Kirchen in Afrika, Asien, Australien und Pazifik; geb. 1963 in Hamburg; Theologiestudium in Bethel/ Bielefeld, Bern (Schweiz) und Hamburg; ökumenischer Studienaufenthalt in Südkorea; Pastorin der deutschsprachigen Gemeinden in Schottland und Nordostengland; Referentin für Ostasien und Pazifik im Evangelischen Missionswerk, Hamburg; Gemeindepastorin in Heikendorf bei Kiel; seit 2003 Oberkirchenrätin im Amt der VELKD in Hannover.
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Islamischer & christlicher Festkalender Während der christliche Festkalender am Sonnenjahr ausgerichtet ist, ist der islamische Kalender nach dem Mondjahr gestaltet. Das hat die Folge, dass die islamischen Feiertage im Laufe der Zeit durch alle Jahreszeiten hindurch wandern.
Ramadan
Zwei Monate nach Ramadan ist das Große Opferfest. Dieses erinnert nach islamischer Tradition an den Versuch der Opferung des Sohnes Abrahams, die durch Gott verhindert wurde. Im Gegensatz zur jüdisch-christlichen Erzählung ist hier um Abrahams von Hagar erstgeborenen Sohn Ismael und nicht um den Isaak, den Sohn Saras. Das Opferfest wird weltweit von allen Muslimas und Muslimen begangen, egal ob sie auf Pilgerfahrt sind oder nicht.
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Opferfest
Grußbotschaften als Geste der Wahrnehumg und des Respekts
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Der islamische Monat Ramadan z.B. kann im Frühling, Sommer, Herbst oder Winter liegen. In diesem Jahr ist der Ramadan während der längsten und wärmsten Tage des Jahres. In Deutschland müssen Muslime mehr als 16 Stunden fasten. Während dieses Monats fasten Muslime in der Regel täglich zwischen Sonnaufgang und Sonnenuntergang. Dies bedeutet im Alltag für sie, dass während dieser Zeit keine Nahrung an Speisen oder Getränke zu sich genommen werden. Jeweils am Abend und vor Sonnaufgang können sie ihr tägliches Fasten unterbrechen. Sie essen gemeinsam mit der Familie, der Nachbarschaft und der Gemeinde. Mit dem großen Fest des Fastenbrechens, das drei Tage dauert, endet dieser Monat.
Der islamische Festkalender bietet die Möglichkeit zu interreligiösen Begegnung: In vielen Moscheegemeinden ist es üblich geworden, zum allabendlichen Fastenbrechen während des Ramadans auch Menschen aus der Nachbarschaft, die keine Muslime sind, einzuladen. Die christlichen Fastenzeiten vor Weihnachten und Ostern, letztere durch die Aktion „Sieben Wochen ohne“ im Bewusstsein, geben eine gute Möglichkeit zu gemeinsamen Treffen, bei denen die religiöse Praxis des Fastens thematisiert und die unterschiedlichen Erfahrungen mit Verzicht zu angesprochen werden können. Auch das Pilgern, das in fast allen Religionen eine Rolle spielt, lässt sich um das große Opferfest herum zum Anlass für einen Austausch nehmen. Die unterschiedlichen Abrahamstraditionen, die Christentum und Islam kennen, können dabei einen Impuls für das Gespräch bieten.
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Die Jahreszählung des islamischen Kalenders beginnt mit Mohammeds Auswanderung (der Hidjra) nach Medina am 15. oder 16. Juli 622 n.Chr im Julianischen Kalender. Welcher der beiden Tage zutrifft, ist umstritten. Jahreszahlen in dieser Zählung werden häufig durch den Zusatz „Anno Hegirae“ (Abkürzung: A.H.) gekennzeichnet. Das aus zwölf Monaten bestehende islamische Mondjahr ist um etwa zehn Tage kürzer als das Sonnenjahr. Es kennt im Gegensatz zum jüdischen Kalender, der ebenfalls nach Mondumläufen rechnet, keine Schalttage oder -monate, um eine jahreszeitliche Verortung bestimmter Feste zu ermöglichen. Das hat zur Folge, dass pro Jahr der Ramadan im gregorianischen Kalender elf Tage nach vorn wandert.
Feste laden zur Begegnung ein
Die genauen Festtermine im Jahr lassen sich am Besten in sogenannten interreligiösen Kalendern finden oder im Internet. Zu Beachten ist, dass es muslimischerseits unterschiedliche Berechnungen für diese Feste gibt, je nachdem, welche Zeitrechnungen zugrunde gelegt werden. Die Anfrage bei der Moscheegemeinde vor Ort über die genauen Festtermine schafft Sicherheit und zeigt Interesse. Es hat sich bewährt, sich wechselseitig Grüße zu den großen Festen zu senden. Muslimische Grüße zum Weihnachstfest sind vielerorts ebenso normal geworden wie christliche Grüße zum Monat Ramadan bzw. zum Fest des Fastenbrechens. Solche Gesten und Grüße dokumentieren die wechselseitige Wahrnehmung und den Respekt vor der jeweils anderen Glaubenshaltung und können daher in ihrer Wirkung kaum überschätzt werden.
Quelle: „Gute Nachbarschaft Leben. Informationen und Beispiele zur Förderung des christlich-islamischen Dialogs
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in der Nordkirche“
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Schiiten, Sunniten, Aleviten Im Islam gibt es wie in allen Weltreligionen Strömungen und Gruppierungen, die sich sowohl theologisch als auch politisch und sozial unterscheiden. Bilder von einem einheitlichen, monolithischen Islam entsprechen nicht der Realität. Muslime leben in unterschiedlichsten ethnischen Gruppen, Kulturen und Sprachräumen.
Sunniten
Aleviten
stellen mit etwa 110 Mio. Menschen 10–15% der Muslime.
Zum sunnitischen Islam gehören heute über 85% der Muslime in der Welt.
machen 15 bis 30% der türkischen Bevölkerung aus.
Nach dem Tod des Propheten Mohammed zerstritten sich die Gläubigen in der Frage seiner Nachfolge als Leiter der Gemeinde. Während die Mehrheit der Muslime, die Sunniten, die vier sog. „rechtgeleiteten Kalifen“ anerkennt, halten die Schitten einzig den vierten von ihnen, den Vetter und Schwiegersohn des Propheten Alî ibn Abî “âlib, für seinen rechtmäßigen Nachfolger. Sie berufen sich dabei auf zwei Aussprüche Muhammads, die sie in diesem Sinne interpretieren.
Im Gegensatz zu den Schiiten sind die Sunniten Anhänger der vier islamischen Rechtsschulen, die sich seit dem 9. Jahrhundert als Repräsentanten der prophetischen Sunna und der Gemeinschaft der Muslime (arabisch: ahl as-sunna wa-ljamâa) formierten. Die Sunna (arabisch für „gewohnte Handlung, eingeführter Brauch“) bezeichnet im Islam die prophetische Tradition, die in der islamischen Glaubens- und Pflichtenlehre die zweite Quelle religiöser Normen nach dem Koran darstellt.
Die Aleviten (osmanisch für alevî, „Alî-Verehrer“), wurden früher als Fremdbezeichnung auch „kizilbasch“ (türkisch „Rotkopf“) genannt. Die Aleviten leben vor allem in Zentralanatolien (Kayseri, Sivas, Divrii), seit der Landflucht in den 1950er Jahren aber auch in den großen Städten. Ein Drittel ist kurdischsprachig. Die Aleviten sind ursprünglich im 14./15. Jh. in Ostanatolien innerhalb der mystischen Bruderschaft der „afawîya“ entstanden. Als diese im 16. Jh. zur persischen Dynastie der „Afawiden“ aufstieg, verloren die türkischen Anhänger den Kontakt und entwickkelten sich zu einer eigenständigen, esoterisch und innerhalb der eigenen Gruppe heiratenden Glaubensgemeinschaft.
Schiiten
Grundlegend für die Zwölferschia ist die Imâmatslehre, welche eine Kette von zwölf Imâmen annimmt, angefangen mit Alî als erstem und seinen Söhnen ³asan und Husain als zweitem und drittem Imâm. Das Imâmat wird an die direkten männlichen Nachkommen der Prophetenfamilie (Muhammad, Fâtima und Alî) weitergegeben, denen – bis auf Alî – das Recht auf weltliche Macht vorenthalten worden sei. Die Imâme gelten den Schiiten als sündenlos und unfehlbar. Nach schiit. Lehre ist der Zwölfte Imâm nicht gestorben, sondern lebt in der Verborgenheit fort und wird eines Tages als Messias, „der Rechtgeleitete“ (Mahdî), erscheinen, um die Herrschaft der Tyrannen zu beenden und Gerechtigkeit walten zu lassen. Schiitischer Auffassung zufolge starben die übrigen elf Imâme als Märtyrer, doch ist es v. a. das Martyrium des dritten Imâms Husain, ihm wird bis Heute von Schiiten bei Trauerfeiern während des Monats Muharram gedacht. Im Gegensatz zu den Sunniten glauben die Schiiten, dass der Koran erschaffen wurde. Die schiitische Rechtssprechung beruht auf dem Koran, der Überlieferung des Tuns und Lassens des Propheten und der Imâme sowie dem Konsens der Gelehrten und deren eigenständiger Rechtsfindung aufgrund rationaler Erwägungen.
Neben überlieferten Worten und Handlungen des Propheten standen dafür in der Frühzeit das Vorbild und die Äußerungen seiner prominenten Gefährten zur Verfügung, die als Vertreter und Garanten seiner Tradition anerkannt waren. Hiermit verbunden blieb die Anerkennung der Rechtmäßigkeit der ersten vier „Rechtgeleiteten Kalifen“ gegenüber den Ansprüchen der Schiiten, die allein Alî als legitimen Nachfolger des Propheten ansahen. Die Sunna des Propheten und die Anerkennung der „Rechtgeleiteten Kalifen“ wurde zum weithin anerkannten Maßstab für die politische, rechtliche und religiöse Praxis und bereits recht früh zum Gegenstand von Lehre und Bildung. Neben dem Kalifat als zentraler politischer und religiöser Institution entstanden in verschiedenen regionalen Zentren des islamischen Reiches wie Mekka, Medina, Damaskus, Basra und Kufa eigene Lehrtraditionen, die sich auf verschiedene Prophetengefährten beriefen und aus denen die späteren Rechtsschulen hervorgingen. Den Gegnern des Kalifates, insbesondere den Schiiten, stellten sich die entstehenden sunnitischen Rechtsschulen mit dem Anspruch entgegen, die authentische Tradition des Propheten und den Konsens der Gemeinschaft der Muslime zu vertreten. Dieser Anspruch wurde schließlich auch von den Kalifen anerkannt.
Aufgrund schwerer Verfolgungen hielten die Aleviten jahrhundertelang ihre Religion geheim. Sie haben kein einheitliches religiöses Dogma, verehren Alî und lehnen die Fünf Säulen des Islams ab. Das bedeutendste Ritual ist die Versammlung der Gläubigen (türk. âyin-i cem), bei der Frauen teilnehmen und Alkohol getrunken wird. Seit 1950 begann die traditionelle Ordnung der Aleviten zu zerfallen, so dass bis Ende der 1980er Jahre die religiösen und sozialen Strukturen weitgehend verloren waren. Seit den 1990er Jahren ist eine Revitalisierung der alevitischen Gemeinschaft festzustellen. Die Aleviten versuchen heute, offiziell vom türkischen Staat als soziale, ethnische und religiöse Gruppe anerkannt zu werden.
Der Islam versteht sich, ungeachtet dieser großen Verschiedenheiten, als eine einheitliche und allumfassende Gemeinschaft (umma). 16
Quelle „Schiiten, Sunniten: Kleines Islam-Lexikon, Elger, Ralf und Friederike Stolleis (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte - Alltag - Kultur, München, Beck 2001. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2008 | www.bpb.de/nachschlagen/lexika/islam-lexikon/
Salafisten - das sind doch die, die Korane verteilen!? Begriffsklärungen, inhaltliche Positionen, einzelne Strömungen
Was ist „Salafismus“, was wollen sie, die Salafisten? Durch Koranverteil-Aktionen in vielen deutschen Innenstädten wurden sie bekannt. Festzustellen ist, dass der Begriff „Salafismus“ oft verallgemeinernd als Sammelbegriff für einen radikalen bzw. militanten Islamismus verwendet wird. Salafisten sind nicht zwingend radikaler als ein Islamist. Hinter dem Schlagwort „Salafismus“, auch „traditioneller Islamismus“ oder „Neofundamentalismus“ genannt, verbirgt sich nach Ansicht von Experten eine Ausprägung des sunnitischen Islamismus, die das Ziel verfolgt, das muslimische Leben nach dem Vorbild des Propheten Mohammed und seiner Weggefährten grundlegend zu reformieren. Das heißt, Salafisten zielen in ihren Missionierungsaktivitäten in erster Linie darauf ab, die von ihnen idealisierte Gesellschaft des Frühislams zu neuem Leben zu erwecken. Sie orientieren sich dabei an „den frommen Altvorderen“, arabisch as-salaf as-salih von dem sich die Bezeichnung Salafismus ableitet. Gemeint sind die Gefährten des Propheten Mohammed und deren Nachfahren, die nach Ansicht der Salafisten auf Grund der räumlichen und zeitlichen Nähe zum Propheten ein besonders gottgefälliges Leben geführt haben. Informationen zum Frühislam entnehmen die heute weltweit tätigen Salafisten einem eng umgrenzten Bestand an Texten und Quellen. Koran und Sunna, die Sammlung der überlieferten Aussagen und Taten des Propheten Mohammed sind ihre Grundlage. Dabei ist die einzelne Überlieferung, hadith genannt, in der Regel im Zentrum des salafistischen Strebens um eine reine Lehre. Mit diesen Texten wollen die Salafisten den Glauben und die Lebensweise der frommen Vorbilder detailgenau wiederherstellen. „Man erkennt Salafisten häufig an ihrer wortgetreuen, pedantischen Interpretation der islamischen Rechtsquellen“, so Steinberg. Islamisten stellen immer die Machtfrage im Unterschied zu den Salafisten. Islamisten wollen vorrangig die Errichtung islamischer Staaten erreichen, agieren politisch. Glaubenslehren sind für sie weniger wichtig.
Typen salafistischer Gruppen Drei Haupttypen an salafistischen Gruppierungen sind auszumachen, die jeweils ganz eigene Herausforderungen für Politik und Gesellschaft darstellen. Die Puristen, politische Salafisten und salafistische Jihadisten. 1) Puristischen Salafisten Sie sind vorrangig missionarisch und „apolitisch“, die eigenen Ansichten verteidigen sie aktiv. 2) Politische Salafisten Sie werden auch „Mainstream-Salafisten“ genannt. Hier wird die demokratische Grundordnung in Deutschland hinterfragt. 3) Salafistische Jihadisten Sie gelten als besonders gefährlich, da sie die Anwendung von Gewalt im Namen Gottes befürworten. Eine neue Gruppe bilden die sogenannten „Takfiristen“, eine extrem am Rand liegende Strömung des salafistischen Jihadismus. Sie erklären andere Muslime für ungläubig, weil sie nützliche Bündnisse mit nichtreligiösen und nichtislamischen Partnern und Organisationen haben. Osama bin Laden wurde von diesen Takfiristen als Muslim disqualifiziert, weil er mit Nicht-Muslimen angeblich zusammenarbeitete.
Wahhâbismus - die Herkunft des Salafismus Der Salafismus ist Teil einer islamischen Reformbewegung, dem Wahhâbismus. Diese Reformbewegung wurde durch den saudischen Prediger Muhammad ibn Abd al-Wahhab (1703 - 1792) ins Leben gerufen. Er vertrat die Meinung, dass Muslime zum reinen, angeblich unverfälschten Islam zurückkehren, wie er in Mekka und Medina des 7. und 8. Jahrhunderts praktiziert worden soll.
Kennzeichnend ist insbesonere eine scharfe Unterscheidung von Gläubigen und Ungläubigen: Gläubig ist nicht der gewöhnliche Muslim, sondern nur Menschen, die die Verhaltensvorschriften des Wahabismus strengstens befolgen und ihre theologischen Ansichten absolut setzten. Diese puritanische Ausprägung des Islams entwickelte sich zu einer “Staatsreligion“ in Saudi-Arabien durch die Allianz Abd alWahhâbismus mit dem mächtigen Clan der Al-Saud. Um 1746 wurde Wahhâbismus zur vorherrschenden religiösen Ausprägung des Islams auf der Arabischen Halbinsel. Hauptgrund der Verbreitung war die Herrschaft des Stamms der Banû Saûd. Muhammad ibn Saûd führte einen Heiligen Krieg (Jihâd) gegen die anderen Stämme Arabiens, die nach wahhâbitischem Maßstab zu Ungläubigen erklärt wurden. Bis 1773 wurden alle umliegenden Fürstentümer erobert und die wahhâbitische Ordnung auf der Halbinsel eingeführt. 1805 und 1806 fielen auch die heiligen Sätten in Mekka und Medina in die Hände des Saûdîs. Der König von Saudi-Arabien versteht sich als Hüter der selbigen. Die Monarchie tritt als Vorkämpfer des Wahhâbismus auf. Politisch problematisch ist der Wahhâbismus als faktische Staatsideologie SaudiArabien aus zwei Gründen. „Erstens ist der Wahhâbismus durch die gezielte Religionspolitik Saudi-Arabiens expandiert; dies führt zur Stärkung salafistischer Gruppierung weltweit. Und zweitens kritisieren strenggläubige Wahabiten immer wieder die prowestliche Außenpolitik der Herrscherfamilie. Dieser Umstand war mehrfach Anlass für Konflikte und führte letztendlich zur Radikalisierung Bin Ladens und zur Entstehung von al-Qaida“, legt Islamismus-Experte Steinberg dar. Quellen:
Zudem sollte der damals weitverbreitete Brauch, bei verstorbenen Heiligen um Fürsprache zu bitten an deren Mausoleen und Andachtsstätten unterbunden werden, unter anderem durch die Einebnung aller muslimischen Grabstellen. Es sollte auch jeder, der das islamische Glaubensbekenntnis abgelegt hatte, aber Unglauben, wie ihn der Wahhâbismus definiert, ausübte, getötet werden.
Wer sind die Salafisten? Zum Umgang mit einer schnell wachsenden und sich politisierenden Bewegung | Guido Steinberg | http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/ products/aktuell/2012A28_sbg.pdf, 17.06.15 Artikel „Saudi-Arabien“ und „Wahhâbismus“ in: Elger, Ralf/ Friederike Stolleis (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte - Alltag - Kultur. München: Beck 2001. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2002.
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Glaubenszeugnis & Dialog Der interreligiöse Dialog (konkreter die
Angelehnt an diese Formulierung bezeich-
Oder es werden gemeinsame Familien
„dialogische Begegnung von Angehöri-
net die islamische Überlieferung das aus
gegründet. Dazu gehören auch die Begeg-
gen unterschiedlicher Religionen“) ist der
dem Augenblick heraus entstandene oder
nungen und Kontakte in der Nachbarschaft
Ausdruck von tiefen Veränderungen in den
die organisierte Bezeugung des Islam vor
genauso wie die Planung und Durchfüh-
Bereichen Weltpolitik, Weltwirtschaft und
anderen Menschen als da’wa (Ruf). Alles
der Kulturkontakte, damit auch der Bezie-
Werben steht, so die breite Übereinstim-
dem gegenseitigen Kennenlernen und dem
hungen zwischen den Religionen seit dem
mung in der islamischen Lehre, nur so
einvernehmlichen Zusammenleben dienen
2. Weltkrieg. Dass dieser Dialog notwendig und dringlich
lange in Übereinstimmung mit Gottes Geboten, wie es frei von Gewaltanwendung
Davon zu unterscheiden ist der christlich-
ist, zeigen die weltweiten Entwicklungen,
und äußerem Druck geschieht; denn „in der
muslimische Dialog auf institutioneller
politische und soziale Konflikte religiös zu
Religion gibt es keinen Zwang“ (Sure 2, 256).
Ebene, z.B. wenn Kirchengemeinden mit
rung von gemeinsamen Aktivitäten, die
der Moscheegemeinde vor Ort in Kontakt
rechtfertigen bzw. zu instrumentalisieren. „Spätestens seit dem Minarettbauverbot in
Im Christentum gibt der auferstande-
kommen oder der Austausch auf Exper-
der Schweiz (2009), der „Sarrazin-Debatte“
ne Christus seinen Jüngern den Auftrag
tenebene geschieht u.a. als theologische
(2010) sowie den gefährlichen Radikalisie-
und die Verheißung zur Verkündigung:
Debatten oder bei Akademietagungen.
rungstendenzen insbesondere unter den
„Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem
jungen Muslimen (Salafismus) hat die Po-
und in ganz Judäa und Samarien und bis
larisierung in der Öffentlichkeit in Sachen
ans Ende der Erde.“ (Apostelgeschichte 1,
Religion spürbar zugenommen“ (EZW Materi-
8) Dieses Zeugnis soll alle Menschen er-
aldienst 12/14, S. 468).
reichen, auch Muslime. Unter dem Leitge-
... mehr als Unterhaltung, unterschiedliche Positionen haben Raum
danken der Teilnahme an Gottes Sendung
Dialog meint in jedem Fall mehr als ein Ge-
in die Welt wurde im Verlauf des 20. Jahr-
spräch, bei dem man sich unterhält, son-
hunderts ein Verständnis von christlicher
dern eine Form von Kommunikation, bei
Mission wiederentdeckt, das sich bewusst
der eine Haltung von gegenseitiger Akzep-
Christen und Muslime haben den Auftrag
von den Irrungen der christlichen Missi-
tanz, Respekt und Anteilnahme eine Wert-
erhalten, ihren Glauben gegenüber ande-
onsgeschichte distanziert.
schätzung des Gegenübers als grundsätz-
Christentum und Islam bezeugen beide ihren Glauben
lich gleichberechtigtem Partner ausdrückt.
ren Menschen zu bezeugen. In der Geschichte christlich-islamischer
Für das christliche und das muslimische
Beziehungen wurde immer wieder Anstren-
Selbstverständnis ist wesentlich, dass der
Respekt schließt hier die Anerkennung von
gungen unternommen, einander offen oder
Glaube nicht nur in Worten bezeugt wird,
unterschiedlichen Sichtweisen und Positi-
subtil Beschränkungen in der Praxis und
sondern mit dem ganzen Leben.
onen nicht aus, sondern ausdrücklich ein.
Dialog auf vielfältigen Ebenen
Dialog ist ein Beziehungsgeschehen, das
der Bezeugung des Glaubens aufzuerlegen. Dies geschieht auch heute noch. Nur in einem Teil der Länder, in denen Christen und
auch die Apologetik als eine Kunst des Ant-
Muslime sich begegnen, ist freie Religions-
Der interreligiöse Dialog findet auf ver-
wortens umfasst, die hier in der jeweiligen
ausübung für alle möglich; in Deutschland
schiedenen Ebenen statt.
Situation aufgezeigt und verdeutlicht wird,
ist dies durch das Grundgesetz gesichert.
Christen und Muslime begegnen einander
was christlichen Glauben ausmacht.
Im Islam fordert der Koran von allen Musli-
tagtäglich im Alltag. Als Nachbarn, am Ar-
Im Hinblick auf Themen für den Dialog ist
men: „Ruf zum Weg deines Herrn mit Weis-
beitsplatz oder in der Arbeitswelt, in der
es naheligend, an Fragen und Probleme
heit und schöner Ermahnung, und streite
Schule als Schülerinnen und Schüler oder
anzuknüpfen, die sich im alltäglichen Zu-
mit ihnen auf die beste Art.“ (Sure 16, 125).
als Eltern .
sammenleben zeigen.
KRITERIEN FÜR DEN DIALOG
begegenen und ihn zunächst von seinem Anliegen her zu verstehen.
1) KENNTNISSE ÜBER JEWEILIGE DIALOGPARTNER Eine gute Recherche und inhaltliche Vor- bereitung können den Blick schärfen und helfen, die richtigen Fragen zu anzu spre chen. Dies darf aber die Offenheit und Neugier für die unmittelbare Begegnung nicht behindern.
3) DIALOG ZIELGERICHTET FÜHREN 18 & AUSWERTEN Ziele, Inhalt und Themen sollten genau abgesprochen werden. Dialogerfahrun- gen sollten von einer sachkundigen Person gesammelt, ausgewertet, geprüft und zu neuen Konzeptionen verdichtet werden.
2) RESPEKT & EINFÜHLUNGSVERMÖGEN Es ist die größte Bereitschaft gefordert, 18 den Partner auf gleicher Augenhöhe zu
4) DIALOG VOM EIGENEN STANDPUNKT AUS FÜHREN Der Dialog ist auch eine Chance zur Über-
prüfung und Festigung des eigenen Stand- punkts und zur Verbesserung der Kennt- nisse und Auskunftsfähigkeit zu zentralen christlichen Glaubensaussagen.
5) BALANCE ZWISCHEN DER SUCHE NACH GEMEINSAMKEITEN & DEM FESTHALTEN AN UNTERSCHIEDEN Im Dialog mit Muslimen ist der Glaube an Jesus Christus und seine Heilsbedeutung ein zentraler Punkt, an dem sich Anknüp- fungspunkte, aber auch grundlegende Unterschiede zeigen.
Gemeinsame Themen, miteinander feiern & beten? Es ist hilfreich, hier Merkmale für einen ge-
dem jeweils anderen Gebet oder Gottes-
terschiedlichen Worten nebeneinander
lingenden Dialog zu berücksichtigen.
dienst teilzunehmen. Eine aktive Einbezie-
bzw. nacheinander („multireligiöse Feier“)
Dabei ist ein eigener, durchdachter Stand-
hung ist beispielsweise durch ein Grußwort
finden weitgehende Zustimmung, ein ge-
punkt und der Respekt gegenüber der an-
gut möglich und zu empfehlen.
meinsames Gebet („interreligiöse Feier“) kommt aus theologischen Gründen nicht
deren Seite notwendig, um einen Dialog zu führen, der kritisch und selbstkritisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede anspricht
Achtung, Respekt und Reichtum der jeweils eigenen Tradition
in Betracht.
ohne die Wahrheitsfrage zu verschweigen. So ist es möglich, ethische Handlungsziele
Beide, Christen und Muslime, können den
gemeinsam zu verfolgen.
besonderen Charakter ihrer Gottesdienste und Gebete nicht aufgeben oder aufheben.
Gemeinsame Feiern und Gebete
Möglich ist es, mit Interesse und Achtung bei Gottesdiensten und Gebeten der jeweils
Heute leben Muslime und Christen in vie-
anderen dabei zu sein. Dies bietet die Mög-
len Teilen Deutschlands nachbarschaftlich
lichkeit, den Reichtum der eigenen Glau-
zusammen. Strukturen und Traditionen,
benstradition neu zu entdecken, Vorurteile
Gebräuche und Gewohnheiten treffen auf-
gegenüber den anderen zu überwinden und
einander. Neben dem alltäglichen Zusam-
trotz aller Unterschiedlichkeit Gemeinsam-
menleben in Kindergärten und Schulen sind
keiten hinter anfangs noch fremden Glau-
es besondere Anlässe im Lebenslauf wie
bensformen wahrzunehmen.
Heirat, Geburt und Tod, die die Frage stellt, wie gemeinsam gefeiert werden kann..
Grenzen und Möglichkeiten
Krankheit und Unglück sind Gelegenheiten,
Bei Krisensituationen oder bei Unglücksfäl-
bei denen es vorkommen kann, dass Mus-
len und Katastrophen kann der dringende
Wenn der Wunsch nach gemeinsamen re-
lime ihre christlichen Freunde um Fürbitte
Wunsch da sein, miteinander für Gerechtig-
ligiösen Feiern bei Eheschließungen, Ge-
vor Gott bitten.
keit und Frieden zu beten oder Menschen in
burten und Beerdigungen geäußert wird,
In solchen schmerzlichen Lebenspassagen
Notlagen oder Verstorbener zu gedenken.
ist dieser ernsthaft zu bedenken; sowohl
nehmen Muslime und Christen an Gebeten
die Chancen als auch die Grenzen solcher
und Gottesdiensten der anderen Glaubens-
In Kindergärten und Schulen wird immer
gemeinschaft teil, um Mitgefühl, Betroffen-
öfter auf gemeinsame religiöse Feiern zu
heit und ihre Anteilnahme zu ziegen.
Beginn und Abschluss eines Kindergarten-
Quelle: „Was jeder vom Islam wissen muss“, siehe Seite 14
oder Schuljahres gedrängt.
Bildnachweis: © esignus - fotolia.com
Bei der Teilnahme an Gebeten oder Gottes-
Schließlich wünschen christlich-muslimi-
diensten ist zu bedenken, dass es theolo-
sche Familien zunehmend bei besonderen
gische Unterschiede im Gottesverständnis
Anlässen Gottes Segen in einer gemeinsa-
(vor allem im Hinblick auf die Trintät) gibt
men religiösen Feier. Gemeinsames Beten und Feiern mit un-
und es deshalb sinnvoll ist, als Gäste an
6) DIALOG & MISSION IM ZUSAMMENHANG SEHEN Dialog und Mission schließen sich nich aus. Christliche Mission versteht sich in der Trias von Zusammenleben (Konvivenz), Dialog und Mission. Christen sind auch gegenüber Muslimen ihrem Zeugnisauftrag verpflichtet. 7)
MITEINANDER IM TUN DES GUTEN UND GERECHTEN WETTEIFERN (vgl. Sure 5,48) Christen und Muslime werden sich in erster Linie auf Ebene der Ethik, der Werke und der konkreten Handlungsziele
- dem „Dialog des Handelns“ treffen kön- nen; hier eröffnet sich ein breites Spekt- rum gemeinsamer Aktivitäten. 8)
WAHRHEITSFRAGEN NICHT AUSKLAMMERN Es ist eine zentrale Frage, wie der Wahr- heitsanspruch des eigenen Glaubens ver- treten, aber gleichzeitig dem Gegenüber sein Anspruch auf Wahrheit zugestanden werden kann.
Feiern müssen bedacht werden.
9)
DEN DIALOG AUFRICHTIG FÜHREN Die Dialogpartner sollten sich ihrer Motive und Ziele bewusst sein. Es sollte nicht die eigene „bessere“ Theorie mit der „schlechten“ Praxis des anderen vergli- chen werden.
Quelle „Kriterien für den Dialog“ Evangelische Kirche in Deutschland (Hersg.), Klarheit und gute Nachbarschaft, Christen und Muslime in Deutschland. eine Handreichtung des Rates der EKD. EKD-Texte 86, Hannover 2006, S. 112f. Quellen Artikel: Was jeder vom Islam wissen muss | 8., vollst. überarb. Neuaufl. | Herausgegeben von Affolderbach, Martin, Wöhlbrand, Inken, Verlag: Gütersloher Verlagshaus 2011, ISBN-10: 3579065599 | 14,99 EUR EZW-Materialdienst 12/14, S. 469ff | Hrsg: Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW)
19
MITEINANDER LEBEN LERNEN Erklärung der 13. Landessynode vom 14. Juli 2006 Muslime werden auf Dauer unsere Nachbarn bleiben. Schon mit der Zustimmung zur Charta Oecumenica hat sich unsere Landeskirche in ökumenischer Gemeinschaft mit anderen europäischen Kirchen verpflichtet, „den Muslimen mit Wertschätzung zu begegnen
bei gemeinsamen Anliegen mit Muslimen zusammenzuarbeiten“
(Art. 11)
Die Synode sieht es als bleibende Auf¬gabe der Landeskirche, den Gesprächsprozess mit den Muslimen in unserem Land aktiv mitzugestalten. In diesem Gespräch darf die Frage nach der Wahrheit des Glaubens nicht ausgeklammert werden; es muss vielmehr für das gegenseitige Zeugnis offen sein. Denn „ohne das Wahrheitsbewusstsein des christlichen Glaubens, das seine Wahrheit von Jesus Christus her empfängt, kann keine wirkliche Begegnung und kein wirklicher Dialog stattfinden“ (Landesbischof July in seinem Bischofsbericht vom 13. Juli 2006, Seite 17). 1. Orientierung für unseren Umgang mit Muslimen finden wir als evangelische Christinnen und Christen in Jesus Christus und dem Evangelium. a)
Im Evangelium erinnert uns Jesus an das alttestamentliche Liebesgebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18; Lukas 10,25ff.). Wie Gottes Liebe allen Menschen ohne Einschränkung gilt, so soll nach Jesu Wil- len auch unsere Hinwendung zu anderen Menschen nicht begrenzt und an Vorbedingungen geknüpft sein (Mt 5,43ff.; Lk 6,27ff.). b) Die Bibel trägt uns auf: „Seid alle¬Zeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht ...“ (1. Petr. 3, 15f.). Indem wir miteinander reden, werden Gemeinsamkeiten und Unter- schiede dieser beiden monotheistischen Religionen deutlich. Gemeinsam ist uns der Bezug auf einen einzigen Gott und eine hei- lige Schrift. Es unterscheidet uns aber der Glaube an den dreieinigen Gott und seine Selbstoffenbarung in Jesus Christus zum Heil der Welt sowie ein unterschiedliches Verständnis von Bibel und Koran. Gemeinsame Aufgabe ist es, nach Wegen der Verständigung und des Friedens zu suchen. Gemäß der biblischen Weisung „Suchet der Stadt Bestes ... und betet für sie zum HERRN; denn wenn ihr’s wohlgeht, so geht’s auch euch wohl“ (Jer 29,7) gehört es zu den Auf gaben unserer Kirchengemeinden, das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kultur und Religion zu fördern. 2. Wir ermutigen unsere Kirchengemeinden, a) Gemeindeglieder zu befähigen, über ihren Glaben qualifiziert und verständlich zu reden, b) auf muslimische Nachbarn zuzugehen, c) Möglichkeiten zur Begegnung und zu gegenseitiger Information zu schaffen, d) Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken und anzuspre- chen, zum Beispiel: Vorstellungen von Gott, Menschenbild, Verhält- nis von Religion und Politik, Menschenrechte, Gestaltung des öffent lichen Lebens und Mitwirkung an sozialen Aufgaben, e) auch schwierigen Themen nicht auszuweichen: z. B.: die Lage christ licher Minderheiten in mehrheitlich islamischen Ländern; die Frage weltweiter sozialer Gerechtigkeit; die Situation der Konvertiten in Deutschland, f) das Gespräch auf der Ebene von Kirchengemeinden und muslimi- schen Gemeinschaften zu fördern, z. B. bei Begegnungen in Kinder- gärten, in der Frauenarbeit, in der Jugendarbeit oder Erwachsenen- bildung, g) die Bemühungen von Kommunen, Schulen und Vereinen um Inte- gration zu unterstützen und kirchliche Mitarbeit anzubieten.
20
- evangelische Christen und Muslime in Württemberg 3. Wir empfehlen unseren Kirchenbezirken, a) in den Fragen christlich-islamischer Beziehungen mit den anderen christlichen Kirchen zusammenzuarbeiten, b) interreligiöse Gesprächs- und Arbeitsgruppen zu bilden, c) die Pfarrerinnen und Pfarrer bei der seelsorgerlichen Begleitung interreligiöser Familien zu unterstützen. 4. Wir schließen uns den Bitten der Evangelischen Landeskirche in Baden an die muslimischen Gemeinschaften an: Wir bitten die muslimischen Gemeinschaften, den Modellversuch „islamischer Religionsunterricht“ in Baden-Württemberg mitzutragen. Wir bitten darum, dass die muslimischen Familien ihren Kindern erlauben, den deutschsprachigen islamischen Religionsunterricht zu besuchen, soweit dies in Baden-Württemberg ab dem Schuljahr 2006/2007 möglich ist. Wir bitten die muslimischen Gemeinschaften in Baden (ergänze: und Württemberg!) darum, sich dafür einzusetzen, dass die islamischen Organisationen in Deutschland zu einer Form der Zusammenarbeit kommen, in der sie leichter als bisher Partner für Öffentlichkeit, Kirchen und Staat sein können. 3. Die muslimischen Gemeinschaften werden gebeten, sich an der Diskussion über die Identität eines aufgeschlossenen, vielfältigen Islams in Europa zu beteiligen. Dazu gehört auch das Eintreten für die verfassungsmässigen Grundrechte – insbesondere Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen, religiöse Freiheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau. 4. Wir bitten darum, dass die Verantwortlichen der muslimischen Gemeischaften Morde an Frauen und Mädchen, die angeblich im Namen der Ehre geschehen, ächten und Gewalt im Namen der Religion verurteilen. Wir werden solche Stellungnahmen aufnehmen und weitergeben. 5. Die muslimischen Gemeinschaften werden gebeten, sich zu Gesprächen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unseres Glaubens einladen zu lassen. (Erklärung des Evangelischen Oberkirchenrates Baden vom 3. Mai 2005: „Einander mit Wertschätzung begegnen“) 5. Dank Die Synode dankt allen, die sich in ihren privaten oder beruflichen Lebensbezügen, in Kirchengemeinden oder Dialoggruppen schon bisher für ein gelingendes Zusammenleben von Christen und Muslimen eingesetzt haben und bittet sie, das auch weiterhin zu tun.
Den Text der Erklärung sowie eine englische und türkische Übersetzung der Erklärung finden Sie im Internet unter www.elk-wue.de/arbeitsfelder/oekumene-und-religionen/religionen-im-dialog/islam
IMPRESSUM PUBLIKATION | Kirchenbezirk Mühlacker Konkret | ISSN 2192-8231 | AUSGABE | 1/2015, Nr. 12 | AUFLAGE 1.000 Exemplare | 2x jährlich HERAUSGEBER | Evangelischer Kirchenbezirk Mühlacker | REDAKTION & LAYOUT | Medienarbeit und Medienbildung des Kirchenbezirk Mühlacker | Diakon Michael Gutekunst, MSc TEXTE | Siehe Autorennamen | Nicht namentlich gekennzeichnete Texte verantwortet die Redaktion. KONTAKT | Medienarbeit und Medienbildung Kirchenbezirk Mühlacker, Industriestraße 76 in 75417 Mühlacker, Tel 0 70 41 - 37 84, Fax 0 70 41 - 37 37 | Mail presse@kirchenbezirk-muehlacker. de | Web kirchenbezirk-muehlacker.de/presse | VISDP | Dekan Ulf van Luijk | Diakon Michael Gutekunst BILDNACHWEIS siehe Bild | Presse & Öffentlichkeitsarbeit Kirchenbezirk Mühlacker | pixabay..de | fotalia.de| istockphoto.com | Evangelische Landeskirche in Bayern | privat
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Menschen im Dialog Begengungsabende zwischen Christen und Musilimen in Oberderdingen
In Oberderdingen gibt es eine türkisch-is-
gen, dass die Menschen die jeweils andere
lamische Ditib-Gemeinde. Ein altes Fabrik-
Religion ein wenig besser kennen lernen
gebäude wurde zu einer kleinen Moschee
könnten, dass sich die Menschen begegne-
umgebaut.
ten und miteinander vertraut würden. Das
Sie liegt direkt an einer der Haupt-Durch-
wäre doch ein sinnvolles Ziel, wenn man
gangsstraßen Oberderdingens.
zusammen in einem Ort wohnt. Ich stimmte dem Vorschlag gerne zu,
Antrittsbesuch des Imâms
seither gibt es tatsächlich diese Begegnungsabende. Einmal ist die evangelische Kirchengemeinde Gastgeber, einmal die
Als vor einigen Jahren der neue Imâm
türkisch-islamische Gemeinde.
Yilmaz seinen Dienst an der Oberderdinger Moschee antrat, machte er bei mir einen
Immer gibt es ein bisschen etwas zu essen
Antrittsbesuch.
und zu trinken. Oft ist ein Referent gela-
Er kam zusammen mit Herrn Binah, ei-
den zu einem bestimmten Thema und es
nem Mitglied des Vereinsvorstandes. Imâm
schließt sich eine Austauschrunde an.
Yilmaz hatte eine Packung türkischer Süßigkeiten als Geschenk unter dem Arm und
Und einmal haben wir uns gegenseitig un-
er hatte extra eine Begrüßung in deutscher
sere Gotteshäuser und unsere Art, Gottes-
Sprache für mich vorbereitet.
dienst zu feiern, vorgestellt.
Beim anschließenden Gespräch übernahm Herr Binah das Übersetzen und so konnten
Im März waren wir zu einer Moscheefüh-
wir uns gut unterhalten.
rung geladen, der Imâm hat uns ein Gebet und den Gebetsruf vorgeführt.
Ich war von diesem Besuch überrascht und auch ein wenig beschämt, erinner-
Im November darauf luden wir die Musli-
te ich mich doch daran, dass ich, als ich
me in unsere Laurentiuskirche ein, zeigten
kurze Zeit zuvor nach Oberderdingen kam,
ihnen Orgel, Altar, Kanzel und Taufstein,
nicht auf die Idee gekommen bin, bei der
Glocken und Gesangbuch.
türkisch-islamischen Gemeinde einen Antrittsbesuch zu machen.
Begegnung ganz praktisch
Imâm Yilmaz mit Herrn Binah auf der Kanzel der Oberderdinger Laurentiuskirche
Menschen am Ort begegnen sich
Diese Begegnungsabende sind meistens recht gut besucht, hüben wie drüben. Was
© Bild: Evangelische Kirchengemeinde Oberderdingen
Aber das tat unserem Gespräch keinen
aber aus solch einer Zusammenarbeit alles
Abbruch. Imâm Yilmaz brachte neben den
entstehen kann, zeigen folgende Beispiele:
Süßigkeiten auch ein Anliegen mit: Er fragte, ob es nicht möglich wäre, dass
Wenn man sich begegnet, erfährt man auch
unsere beiden Gemeinden sich zweimal
einiges voneinander und übereinander.
im Jahr zu einem Begegnungsabend treffen könnten. Das würde doch dazu beitra-
22
Brücken schlagen in der Diakonie
Menschen, die hier vor Ort die Religionen und Konfessionen vertreten, von Mal zu
Beim direkten Gespräch bei gefüllten Wein-
Mal vertrauensvoller und verständnisvoller
blättern oder einer Tasse Chai-Tee lernt
zusammenkamen.
man dann zum Beispiel eine türkische Krankenschwester kennen: Frau Yesim
Am Ende stand ein Schulanfängergottes-
Karadag.
dienst, in den der katholische Priester, der
Sie ist für uns zu einer sehr wichtigen
muslimische Imâm und die evangelische
Ansprechpartnerin geworden gerade im
Pfarrerin zusammen einzogen, für die Kin-
Blick auf die Arbeit unserer Diakoniesta-
der und deren neuen Lebensabschnitt bete-
tion, wenn es um türkische Familien geht.
ten und sich Gedanken um die Geschichte
Sie hilft uns, hier Brücken zu schlagen und
von Noah und der Sintflut machten.
sprachliche wie kulturelle Probleme zu
Bei der Einzelsegnung am Ende des Got-
überwinden und gute Wege zu finden.
tesdienstes bildeten die muslimischen Kinder einen bergenden Schirm um das christ-
Schulanfängergottesdienst
liche Geschehen, beim Gebet des Imâms für die Kinder beschirmten die christlichen Erstklässler ihre muslimischen Mitschüler.
Schließlich fragte die türkisch-islamische
Alle zusammen waren wir erfüllt und froh.
Gemeinde an, ob sie mit dem Imâm zum
Für den nächsten Schulanfängergottes-
ökumenischen Schulanfängergottesdienst
dienst hat sich die griechisch-orthodoxe
in die katholische Kirche dazukommen
Gemeinde gemeldet. Sie möchten auch
dürfte.
dabei sein.
die Schule gehen und zusammen in Ober-
Es ist schön zu erleben, was alles möglich
derdingen wohnen, da wäre es doch schön,
ist, wenn man sich mit Respekt und Interes-
diesen besonderen Tag gemeinsam zu be-
se aneinander begegnet.
© Ditta Grefe-Schlüntz
Die Kinder würden doch miteinander in
gehen. So trafen wir uns ein Jahr lang zu sorgfältigen Vorbereitungstreffen, und es war schön und kostbar zu erleben, wie die
Pfarrerin Ditta Grefe-Schlüntz Evangelisches Pfarramt Oberderdingen Amthof 10 in 75038 Oberderdingen Tel 0 70 45 / 5 60 Fax 0 70 45 / 20 44 66 pfarramt.oberdingen@elkw.de
Impressionen von den Begegnungen im November 2014 im Amthof Oberderdingen © Bilder: Evangelische Kirchengemeinde Oberderdingen
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Frühjahr/Sommer 1/2015
Religionsmonitor - verstehen was verbindet Sonderauswertung Islam 2015 Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick 1.
Muslime in Deutschland sind mit Staat und Gesellschaft eng verbunden – unabhängig von der Intensität muslimischen Glaubens.
2.
Das Leben als religiöse Minderheit prägt religiöse Orientierungen und Werthaltungen der Muslime in Deutschland. Diese denken häufiger über Glaubensfragen nach und sind insgesamt liberaler als Muslime in der Türkei.
3.
Der offenen Haltung vieler Muslime in Deutschland steht aber eine zunehmend ablehnende Haltung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber. Die 4 Millionen in Deutschland lebenden Muslime leiden unter einem negativen Image, das vermutlich durch die kleine Minderheit der radikalen Islamisten (weniger als 1 % aller Muslime) geprägt wird.
4.
Islamfeindlichkeit ist keine gesellschaftliche Randerscheinung, sondern findet sich in der Mitte der Gesellschaft. Islamfeindlichkeit als salonfähiger Trend kann zur Legitimation diskriminierender und ausgrenzender Verhaltensweisen gegenüber einer Minderheit genutzt werden.
5.
Regelmäßige persönliche Kontakte helfen Vorurteile gegenüber Muslimen abzubauen. Häufig aber fehlen die Gelegenheiten.
Muslime in Deutschland sind mit Staat und Gesellschaft eng verbunden – unabhängig von der Intensität ihres religiösen Glaubens. Die Befragung zeigt unter Muslimen eine hohe Verbundenheit mit Deutschland. Diese zeigt sich zum einen in der hohen Zustimmung zu den gesellschaftlichen Grundwerten und zum anderen in den vielen Kontakten zu Nicht-Muslimen.
Die gesamte Studie ist online unter www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/ aktuelle-meldungen/2015/januar/religionsmonitor Dort finden sich weitere Hintergrundinformationen.
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Egal wie die Glaubenspraxis gelebt wird, wird die Demokratie von Mus¬limen hoch geschätzt. Sie sind für religiöse Vielfalt grundsätzlich offen und erkennen andere Religionen in hohem Maße an. Dies zeigt sich in den vielfältigen Bezie-
hungen zu Menschen, die einer anderen Religion angehören. Lediglich eine kleine Minderheit der Muslime hat keine regelmäßigen Kontakte über Beruf, Schule oder Ausbildung außerhalb ihrer Religion. Die These der muslimischen Parallelgesellschaft ist faktisch nicht haltbar. „Ganz im Gegenteil sehen wir, dass das interreligiöse Zusammenleben aus Perspektive der deutschen Muslime relativ gut funktioniert“ (S. 4).
Das Leben als religiöse Minderheit prägt religiöse Orientierungen und Werthaltungen der deutschen Muslime Muslime sind deutlich religiöser als Angehörige anderer Religionen in Deutschland. Ihre religiöse Bindung bleibt über Generationen hinweg fest. Die Werthaltungen sind oft liberaler als angenommen wird. Muslime führen ihre religiösen Traditionen nicht einfach nur fort; dies zeigt sich u.a. darin, dass sie überdurchschnittlich ihren Glauben durchdenken und reflektieren. Die Zugehörigkeit zum Islam ist in Deutschland für sie nicht selbstverständlich, sondern ein Glaubensangebot unter vielen, dessen Wahl durchdacht und sein will und der Vergewisserung bedarf - im Gegensatz zu Ländern, in denen Muslime die Bevölkerungsmehrheit bilden und es mehr oder weniger normal ist, gläubiger Muslim zu sein. Die Lebenssituation der Muslime prägt ihre Glaubenspraxis. „Sichtbar wird dies in liberaleren Haltungen der hochreligiösen Muslime in Deutschland im Vergleich zu Muslimen in der Türkei [..]. In Deutschland ist Homosexualität eher akzeptiert als in der Türkei; dieser gesellschaftliche Unterschied macht sich auch in den Einstellungen der Muslime in beiden Ländern bemerkbar. Zudem zeigt sich, dass Werthaltungen der deutschen Muslime zu ethisch-moralischen Fragen weniger mit der Intensität religiösen Glaubens zusammenhängen als beispielsweise bei Muslimen in der Türkei – dem Hauptherkunftsland der in Deutschland lebenden Muslime“ (S. 5).
Der offenen Haltung der Muslime steht eine zunehmend ablehnende Haltung seitens der deutschen Mehrheitsbevölkerung gegenüber. Die deutsche Mehrheit lehnt Muslime und
den Islam zunehmend ab, obwohl diese hier Heimat gefunden haben. Der Islam wird von mehr als der Hälfte der Bevölkerung als Bedrohung gesehen, ein noch höherer Anteil meint, dass der Islam nicht in die westliche Welt passe. Dieses Negativbild führt dazu, dass fast jeder zweite sich durch Muslime wie ein Fremder im eigenen Land fühlt, rund 40% der Bevölkerung haben dieses Gefühl in Regionen, wo wenige Muslime leben und es so fast keine Kontakte mit Muslimen gibt. Ein Viertel der Bevölkerung fordert einen Einwanderungsstopp für Muslime. Diese Entwicklungen bieten einen Nährboden für rechtspopulistische Parteien, deren Programm meist auch eine politische Tagesordnung gegen Muslime enthält. Wenn Muslime im eigenen Alltag erlebt werden udn die Erfahrung gemacht wird, dass keine reale Gefahr von ihnen ausgeht, fällt das Bedrohungsempfinden geringer aus. Die Ablehnung des Islams bleibt aber bestehen. Es ist davon auszugehen, dass die kleine Minderheit der radikalen Islamisten (weniger als 1 % aller Muslime) – die bereits seit geraumer Zeit im Fokus der Öffentlichkeit steht – das Bild der 4 Millionen Muslime in Deutschland prägt. Es ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eine bedenkliche Entwicklung, wenn Muslime unter Generalverdacht geraten und dadurch ausgegrenzt werden.
Islamfeindlichkeit findet sich in der Mitte der Gesellschaft und ist keineswegs eine gesellschaftliche Randerscheinung.
Regelmäßige persönliche Kontakte helfen Vorurteile gegenüber Muslimen abzubauen. Häufig fehlt es an Gelegenheiten.
Weder die politische Orientierung noch Bildung üben einen nennenswerten Einfluss auf das Islambild aus. Die Islamfeindlichkeit ist gesellschaftlich „salonfähig“ geworden – obwohl die große Mehrheit für religiöse Vielfalt grundsätzlich aufgeschlossen ist. Der Islam wird jedoch aus dieser gesellschaftlichen Toleranz ausgenommen. Diejenigen, die den Islam trotz prinzipieller Offenheit für eine religiöse Vielfalt ablehnen, begründen dies mit mangelnder Toleranz seitens des Islams.
Die Untersuchung des Religionsmonitors belegt, dass persönliche Kontakte Voruteile abbauen können bzw. dass die Islamfeindlichkeit bei Personen am größten ist, die keine Freizeitkontakte zu Muslimen haben. Die Studie zeigt auch, dass selbst bei einem beträchtlichen Teil der Personen, die Kontakte zu Muslimen haben, noch immer ein Negativbild des Islams vorherrscht, wobei dieser Anteil wesentlich geringer ist als bei Personen ohne Kontakte mit Muslimen in der Freizeit. Gute Einzelerfahrungen werden oft als solche verstanden und als Ausnahme wahrgenommen und nicht auf andere Muslime bzw. den Islam übertragen.
Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen stellt fest, dass Anschläge auf Moscheen und Synogagen in Deutschland in den letzten Jahren zunahmen: In den Jahren 2001 bis 2011 gab es im Schnitt 22 Übergriffe auf Moscheen pro Jahr, 2010 bis 2013 waren es 36 Gewalttaten, 50% mehr. Mit antisemtischem Hintergrund wurden 51 Gewalttaten 2013 verübt, 2012 waren es 41. Statistisch kann festgestellt werden, dass die Negativeinstellung genüber Juden zugenomme hat. Ein direkter Vergleich ist nicht möglich auf Grund der unterschiedlichen Größe dieser Bevölkerungsgruppen.
Derzeit hat nur ein Drittel der Bürger überhaupt Kontakte zu Muslimen. Muslime hingegen haben umfangreiche Kontakte zu Menschen die anderen Religion angehören; nur weniger als jeder Zehnte Muslim verfügt über keine interreligiösen Freizeitkontakte. Allerdings ist es für eine Minderheit einfacher mit der Mehrheitsbevölkerung in Kontakt zu kommen einfacher als umgekehrt.
Quelle: EZW Materialdienst 11/14, S. 423f
Für ein gelingendes Miteinander Die Autoren der Bertelsmannstiftung kommen zu folgenden Schlüssen: •
Der Islam ist ein Teil Deutschlands und sollte mit den christlichen Konfessionen und dem Judentum in Deutschland gleichgestellt werden. Diskriminierung von religiösen Minderheiten muss in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft präventiv verhindert und konsequent bekämpft werden. Wir brauchen eine aktive Gleichstellungspolitik, die Menschen unabhängig von ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft fördert und ihr Potentzial anerkennt. Beispielsweise sind anonyme Bewerbungsverfahren bewährte Instrumente gegen die Diskriminierung am Arbeitsmarkt.
•
Deutschland muss für seine Zukunftsfähigkeit eine Kultur der Anerkennung und der Offenheit entwickeln, die religiöse wie kulturelle Vielfalt zulässt und den Zusammenhalt in der Gesellschaft festigt. Die institutionelle Anerkennung des Islams schreitet voran; in der Bevölkerung dagegen nehmen Ängste und Ablehnung zu, wie auch jüngste Entwicklungen (Pegida) zeigen. Diese Entwicklungen müssen ernst genommen und breit diskutiert werden. Keinesfalls sollte man diese Debatten Extremisten oder Populisten überlassen.
•
Wir benötigen mehr Wissen über die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft. Muslime als größte religiöse Minderheit in Deutschland stellen eine sehr heterogene Gruppe mit Wurzeln in vielen verschiedenen Ländern sowie mit unterschiedlichen religiösen Ausrichtungen und Sichtweisen dar. Vielfältige Gesellschaften benötigen ein umfangreiches Wissen über die Vielfalt im eigenen Land. Das ist eine Voraussetzung, um an die Lebenswirklichkeit religiöser Minderheiten anknüpfen zu können sowie Stereotype und Vorurteile in der Mehrheitsbevölkerung zu reduzieren.
•
Deutschland braucht ein inklusives Wir-Gefühl, das unterschiedliche Religionen und Kulturen umfasst. Viele gehen davon aus, dass Muslime keine Deutschen sein können und Deutsche keine Muslime, als ob es sich hierbei um zwei sich gegenseitig ausschließende Gruppen handeln würde. Mittlerweile ist der Großteil der Muslime in Deutschland geboren und aufgewachsen. Deutschland ist für sie Heimat. Diese Zugehörigkeit der Muslime sollte nicht infrage gestellt, sondern auch in öffentlichen Debatten deutlich werden. Ein neues inklusives WirGefühl entsteht zudem, wenn alle gemeinsam die Herausforderungen des Zusammenlebens bewältigen und sich weniger an unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten oder der unterschiedlichen Herkunft, sondern vielmehr an der gemeinsamen Zukunft orientieren. Begegnung und Kooperation über die Grenzen der eigenen Religion hinaus kann vor allem im unmittelbaren Lebensumfeld der Menschen stattfinden.
•
Gesellschaftlichen Dialog und Begegnung fördern. Nur wer sich freiwillig und gleichberechtigt im Alltag begegnet, entwickelt auch Vertrauen. Wir müssen als Gesellschaft Gelegenheiten für Begegnung und Dialog zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen bieten, die 25 nicht im theologischen Diskurs verhaftet bleiben, sondern Menschen in ihren Nachbarschaften und im Alltag zusammenführen. Gerade die gemeinsame Lösung alltäglicher Herausforderungen schafft Vertrauen und stiftet Freundschaften“ (S. 14).
Frühjahr/Sommer 1/2015
Islamische Organisationen in Deutschland. Aufbau, Struktur, Prägung. Neben der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche sind die Muslime inzwischen die nächstgrößte religiöse Gruppierung in Deutschland. Der Islam ist keine Kirche, er kennt weder Synoden und Bischöfe noch Papst oder Konzilien als autorisierte Sprecher und Vertreter der Gläubigen. Die Muslime in Deutschland haben sich
Der ZMD pflegt den Dialog mit Kirchen,
nach dem Vereinsrecht als religiöse Ver-
Politik und Gesellschaft und hat als erster
eine organisiert (im Sinne des Artikel 140
Verband am 20. Februar 2002 eine Grund-
Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 Ab-
satzerklärung veröffentlicht (‚Die islami-
satz 4 Weimarer Reichsverfassung).
sche Charta’), die darlegt, ‚wie die Muslime
Neben den konfessionellen Unterschieden
zu den Fundamenten dieses Rechtsstaates,
gibt es auch unterschiedliche verbandliche
zu seinem Grundgesetz, zu Demokratie,
Strukturen der in Deutschland meist in der
Pluralismus und Menschenrechten stehen.’
Rechtsform eines Vereins auftretenden Moscheegemeinden. Im Folgenden werden die wichtigsten bundesweit tätigen und in den
Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland und die IGMG
Medien präsenten islamischen Verbände skizziert
Am 21. November 1986 entstand der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland.
Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD)
Der Islamrat war die erste islamische Spitzenorganisation in Deutschland. Im „Islamrat für die Bundesrepublik
© public domain https://pixabay.com/de/chiwa-kihva-minarett-198663/
„Der Zentralrat der Muslime
Deutschland“ ist die IGMG die dominie-
in Deutschland (ZMD) ist eine
rende Kraft. Nach eigener Auskunft sind
Dachorganisation von derzeit 33 muslimischen Dachorgani-
der IGMG in Deutschland mehr als 320 Moscheevereine zuzurechnen, davon rund
sationen, Gemeinden und um-
60 in Baden-Württemberg.
schließt auch Einzelmitglieder.
Die regionalen Aktivitäten im Land er-
Der ZMD, vormals als ‚Islami-
strecken sich auf die sogenannten „Bölge“
scher Arbeitskreis‘ wurde 1987
(Regionen) Württemberg (teilweise auch
gegründet und umfasst heute
als „Bölge Stuttgart“ bezeichnet), Freiburg-
neben Zivilorganisationen rund
Donau, Schwaben sowie Rhein-Neckar-
300 Moscheegemeinden.
Saar; diese Gebiete sind insgesamt nicht
Die Zusammensetzung des
deckungsgleich mit dem Bundesland. Ei-
ZMD bildet die ganze Vielfalt
nige Vereine, die den beiden letztgenannten
der Muslime in Deutschland
Regionen zugehörig sind, haben ihren Sitz
ab. So sind im ZMD Türken, Araber (Marokkaner), Deutsche,
außerhalb der baden-württembergischen
Albaner, Iraner, Afrikaner und
Der Verband führte das aus dem Osmani-
Bosnier und viele andere mehr
schen Reich stammende Amt eines ‚Shaikh
sowie Sunniten und Schiiten in-
ul-Islam’ ein, um gegenüber dem deutschen
tegriert, was sich auch im theo-
Staat eine religiöse Autorität zu schaffen
logischen Sinne niederschlägt.
und seine Forderung nach Anerkennung als
Die Vereinssprache ist deutsch.
Körperschaft des öffentlichen Rechts und
Vorstand und Gremien besitzen
der Einführung eines islamischen Religi-
einen beträchtlichen Frauenan-
onsunterrichts unterstreichen zu können.
Landesgrenzen.
teil – etwa ein Drittel“ notiert
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der Zentralrat der Muslime auf
Die IGMG sieht ihre Aufgabe in der umfas-
seiner Homepage als Selbst-
senden Betreuung von Muslimen und tritt
auskunft (http://zentralrat.
mit attraktiven Bildungs- und Freizeitange-
de/2594.php).
boten, Sozialberatung und politischer Inte-
ressenvertretung vor allem für Jugendliche
kisch-islamische Organisation in Deutsch-
(www.ditip.de).
und Frauen auf.
land und ihm sind nach eigenen Angaben
Aus deutscher Sicht sorgt die enge Bin-
Die ideenpolitische und geistige Nähe
bundesweit zirka 300 selbstständige Mo-
dung der DITIB an den türkischen Staat
der Organisation zur 1983 von Necmet-
schee- und Bildungsvereine angeschlossen.
verfassungsrechtlich für Bedenken. Der
tin Erbakan gegründeten islamistischen
Ziel und Zweck der Verbandsarbeit ist die
Anspruch, alleiniger Ansprechpartner für
Wohlfahrtspartei (Refah Partisi) bzw. de-
religiöse, soziale und kulturelle Betreuung
Staat und Kirche zu sein, kann nicht ak-
ren Nachfolgeparteien rechtfertigt die
von Muslimen in Deutschland.
zeptiert werden.
Bezeichnung als islamistisch; der Verfas-
Der Verband hat ein Gebetslehrbuch auf
„In etwa 600 Gemeinden der DITIB sind
sungsschutz in Baden-Württemberg fasst
deutsch mit dem Titel „Der kurzgefasste
aus der Türkei entsandte Imâme (so ge-
diese Organisation unter diesem Begriff.
Ilmihal“ herausgegeben.
Die IGMG hat sich bislang nicht öffentlich
nannte „Religionsbeauftragte“) tätig. Sie unterstehen dem türkischen staatlichen
von Ideologie und politischen Zielen des
Der VIKZ brachte sich von 1995 bis zum
Präsidium für Religionsangelegenheiten
Milli Görus – Führers Necmettin Erbakan
Jahre 2000 aktiv im christlich-islamischen
(Diyanet) und haben in der Regel eine
distanziert, obwohl einige führende Funkti-
Dialog ein; im August 2000 führten Verän-
onäre eine Umdeutung versuchen. Deshalb
derung in der Leitung zu einem Rückzug
berufliche Qualifikation in so genannten Imâm-Hatip-Schulen erworben. In diesen
wird die Organisation weiter vom Verfas-
aus diesem Gespräch und der VIKZ trat aus
berufsbildenden Oberschulen werden zu-
sungsschutz beobachtet.
dem Zentralrat der Muslime aus.
sätzlich zum normalen Schulstoff grundle-
Vor Ort haben einzelne seiner Vertreter ihre
gende Arabisch-, Koran- und Islamkennt-
Es gibt in der evangelischen Kirche sehr un-
Kontakte zu christlichen Dialogpartnern
nisse vermittelt. Nur eine Minderheit von
terschiedliche Bewertungen und Prognosen
weitergeführt. Seit einiger Zeit beteiligt
ihnen soll anschließend ein mehrjähriges
zur zukünftigen Entwicklung der IGMG.
sich der Verband wieder stärker am Dialog.
Theologiestudium an einer Fachhochschule
Langjährige Kontakte in einzelnen Landes-
oder Universität absolviert haben.
kirchen mit Milli Görus Moscheevereinen
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für
Seit dem Jahr 2002 nehmen Imâme der Di-
führen offensichtlich zu einer positiven
Religion (DITIB)
yanet vor ihrer Ausreise nach Deutschland
Einschätzung. Andere Begegnungen und
an einem Deutschkurs mit landeskundli-
Analysen des ideologischen Kontextes, aus
Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt
chem Programm teil, der vom Goethe-
dem die IGMG kömmt, nähren eher Skepsis
für Religion (Diyanet Isleri Türk Islam Birli-
Institut durchgeführt wird.
und Vorsicht. Es hängt stark von den regio-
gi, DITIB) wurde am 5. Juli 1984 auf Initiati-
Die DITIB-Imâme werden vom türkischen
nalen und lokalen Verhältnissen ab, ob und
ve des türkischen Präsidiums für Religions-
Staat über das Präsidium für Religionsan-
wie Dialoge mit der IGMG geführt werden
angelegenheiten (Diyanet Islam Birligi, DIB)
gelegenheiten (Diyanet) finanziert.
können.
gegründet, einer von Mustafa Kemal 1924
Anonsten werden die Imâme von den Mo-
Eine grundsätzliche Verweigerung geord-
eingerichteten Behörde zur Verwaltung und
scheen, in denen sie tätig sind, oder deren
neter Kontakte mit diesem relativ großen
Steuerung des sunnitischen Islams in der
Trägern bezahlt werden.
Verein wäre unklug. Innerhalb seiner Mit-
Türkei.
gliedschaft und erst recht unter den Teil-
Die dem DITIP angeschlossenen „896 Orts-
Quellen
nehmern des Pflichtgebetes in ihren Mo-
gemeinden sind rechtlich und wirtschaft-
„Stand der rechtlichen Gleichstellung des Islam in Deutsch-
scheen ist durchaus mit einem gewissen
lich selbstständige eingetragene Vereine,
land“ | Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage
Pluralismus zu rechnen.
die die gleichen Prinzipien und satzungs-
| http://www.bmi.bund.de/cae/servlet/contentblob/150570/
gemäßen Zwecke der DITIB verfolgen und
publicationFile/13154/Gro_Anfrage_Islam.pdf
die DITIB als Dachverband anerkennen.
EKD-Texte 86, „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen
Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ)
DITIB ist heute die mitgliederstärkste Mi-
und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates
Der Verband Islamischer Kulturzentren
grantenorganisation in der Bundesrepublik
der EKD“ | http://www.ekd.de/download/ekd_texte_86.pdf
(VIKZ) wurde am 15. September 1973 von
Deutschland und ist zu einem anerkannten
„Gute Nachbarschaft Leben. Informationen und Beispiele zur
Anhängern des türkischen Rechtsgelehrten
Glied in der Kette der anderen Anstalten
Förderung des christlich-islamischen Dialogs in der Nord-
und Sufipredigers Süleyman Hilmi Tunahan
und Einrichtungen mit religiöser und so-
kirche“ www.nordkirche-weltweit.de/fileadmin/user_upload/
(1888-1959) gegründet, die in den dreißi-
zialer Zielsetzung in der Bundesrepublik
zmoe/media/InterreligioeserDialog/christlich-islamischer-
ger Jahren gegen die staatliche Säkulari-
Deutschland und so zu einer wichtigen
Dialog/Gute_Nachbarschaft_leben_pdf.pdf
sierungspolitik eine Korankursbewegung
Säule der Gesellschaft geworden.
www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/Startseite/Arbeitsfelder/
organisierten und sich für eine schrittweise
Umfragen zufolge vertritt die DITIB „über
IGMG | 20.07.2015, 11.43 MEZ
Re-Islamisierung einsetzten. Der zentralis-
70% der in Deutschland lebenden Musli-
tisch organisierte VIKZ ist die älteste tür-
me“ notiert die DITIP auf ihrer Homepage 27
Wochen der weltweiten Kirche | 2.10. - 18.10.
Tag der offenen Moschee | Samstag 3.10., 15 Uhr
WIE LEBEN WIR UNSEREN GLAUBEN IM ALLTAG? - Besuch & Gespräch in 2 Moscheegemeinden Islamischen Solidartitätsverein | Im Kißlingweg in 75417 Mühlacker Mit Heinrich Georg Rothe, Islambeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Würrtemberg
www.gerechtigkeit-geht.de