David Hockney Martin Gayford
Die Welt der Bilder FÃœR KINDER
MIDAS
ILLUSTRIERT VON ROSE BLAKE
David Hockney Martin Gayford
Die Welt der Bilder FÃœR KINDER
ILLUSTRIERT VON ROSE BLAKE
MIDAS
INHALT EINFÜHRUNG
6
Kapitel 1: NACHDENKEN ÜBER KUNST
8
Warum machen wir Bilder?
Kapitel 2: ZEICHEN SETZEN
26
Wann ist ein Zeichen interessant?
Kapitel 3: LICHT UND SCHATTEN
42
Was genau sind Schatten?
Kapitel 4: VORSICHT LÜCKE
56
Wie legen Künstler eine Szene an?
Kapitel 5: SPIEGEL UND REFLEXIONEN
72
Wie spielen Künstler mit Licht?
Kapitel 6: MALEREI UND FOTOGRAFIE Womit arbeiten Künstler?
Kapitel 7: BEWEGTE BILDER
84
100
Können sich Bilder wirklich bewegen?
Kapitel 8: DIE GESCHICHTE GEHT WEITER Was bringt die Zukunft für die Bilder?
GESCHICHTE DER ERFINDUNGEN GLOSSAR
122
BILDNACHWEISE INDEX
127
124
118
110
EINFÜHRUNG Bilder sind überall: auf Laptops, dem Handy, in Zeitschriften, Zeitungen und in Büchern wie diesem hier. Wir sehen sie auf der Straße und im Fernsehen. Sie hängen an Wänden – zu Hause, aber auch in Kunstgalerien und Museen. Wir denken, träumen und versuchen, die Welt um uns zu verstehen – in Bildern ebenso wie in Worten. Dieses Buch basiert auf vielen Gesprächen mit meinem Freund Martin Gayford, er ist Kunstkritiker und schreibt über Kunst. Es ist also gewissermaßen ein Dialog. Damit du weißt, wer gerade spricht, steht der jeweilige Name neben dem Text. Und eine dritte Person nimmt an unserer Unterhaltung teil: unsere Illustratorin Rose Blake. Sie hat die Bilder von uns dreien hier auf die Seiten gezeichnet. Auch meine Haustiere und andere Künstler sind auf ihren Bildern zu finden.
Ich bin David Hockney und ich bin Künstler. Ich mache Bilder. Ich zeichne, male, fotografiere und arbeite am Computer und mit dem Tablet. Dabei behalte ich immer auch die Arbeiten anderer Künstler im Blick und unterhalte mich mit anderen Menschen über Kunst.
David
6
Dieses Buch ist also keine gewöhnliche Kunstgeschichte (in der man die Ereignisse erwartungsgemäß in der Reihenfolge findet, in der sie passiert sind). Eine solche Zeitleiste findest du ab Seite 118. Sie erklärt, welche Werkzeuge Künstler benutzten und wie sich neue Erfindungen auf die Kunstwerke auswirkten. Auf Seite 122 im Glossar kannst du Wörter nachschlagen, die du vielleicht noch nicht kennst. Mir gefallen vielleicht ganz andere Bilder als dir, und wenn du deine eigene Geschichte der Bilder schreiben würdest, dann vielleicht mit anderen als denen, die ich in diesem Buch verwendet habe. Sprich am besten darüber, was du siehst, wenn du dieses Buch liest (oder vorgelesen bekommst). Wenn wir Bilder betrachten, bringt jeder seine eigene Sichtweise mit; das ist das Tolle an der Kunst – und der Grund, warum ich immer neue Kunst schaffe. – David Hockney
Martin
Rose
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NACHDENKEN ÜBER KUNST Warum machen wir Bilder?
DAVID: Bilder sind sehr alt – vielleicht sogar älter
als die Sprache. Ich stelle mir gern vor, dass der
erste Mensch, der ein Tier zeichnete, von jemandem beobachtet wurde. Und als diese andere Person dem Tier dann in der Natur wieder begegnet ist, sah sie es bestimmt etwas klarer. Wenn wir Bilder schaffen, müssen wir sehr genau hinschauen. Der Künstler, der vor 17.000 Jahren den Bullen auf die Höhlenwand von Lascaux in Südfrankreich gemalt hat, muss das Tier wohl sehr genau beobachtet haben.
Zeichnung eines Bullen, Höhle von Lascaux, Frankreich, ca. 15.000 v. Chr.
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PABLO PICASSO, Die Eule , 1952
Jedes Bild, das von Menschen gemacht wurde, hat seine eigenen Regeln. Jemand hat es an einer bestimmten Stelle geschaffen und so arrangiert, dass es eine bestimmte Fläche bedeckt. Als der spanische Maler Pablo Picasso 1952 dieses Bild von einer Eule anfertigte, zeigte er damit seine ganz persönliche Sichtweise. Wir alle sehen die Welt auf unterschiedliche Art und Weise. Selbst wenn wir ein kleines quadratisches Objekt betrachten – ein Kästchen –, sieht es der eine so und der andere eben anders. Wenn wir einen Raum betreten, nehmen wir die Dinge durch die Brille unserer Gefühle, Erinnerungen und Bedürfnisse wahr.
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Wandgemälde. Pharao Ramses II. bei einer nubischen Militärexpedition, Ägypten, 13. Jh. v. Chr.
MARTIN: Wenn wir Kunst betrachten, interessieren uns meistens zwei Fragen: Warum wurde dieses Bild geschaffen und was bedeutet es? Und man muss sich auch fragen: Was zeigt das Bild? In der Kunst Ägyptens ist der Pharao die größte Figur. Schau dir dieses Bild von Pharao Ramses II. an. Es wurde im 13. Jahrhundert v. Chr. auf die Wand eines Tempels gemalt. Hätte man ihn damals jedoch mit einem Zentimetermaß gemessen, wäre der Pharao nicht größer gewesen als andere Menschen zu seiner Zeit, aber in der Vorstellung der Ägypter überragte er alle und wurde dementsprechend groß gemalt.
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DAVID: Im Laufe der Zeit waren Künstler
immer auf der Suche nach Möglichkeiten, unsere dreidimensionale Welt auf einer ebenen Fläche darzustellen, also auf einem Blatt Papier oder einer Leinwand. Insofern lässt sich ein Bild mit einer Landkarte vergleichen. Die Aufgabe eines Kartenzeichners besteht darin, die Eigenschaften eines gewölbten Objekts – der Erde – auf einer Fläche darzustellen. Das ganz genau hinzubekommen ist unmöglich! Darum spiegeln auch alle Karten die Interessen und das Wissen der Person wider, die sie hergestellt hat. Bei Bildern ist das genauso.
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JAN VAN EYCK, Die Arnolfini-Hochzeit, 1434
MARTIN: Wenn du die Geschichte von Bildern genauer betrachtest,
findest du Verbindungen zwischen Bildern, die aus völlig verschiedenen Epochen und von unterschiedlichen Orten stammen. Zwei Personen in einem Raum, der Blick aus dem Fenster, ein Haustier: All das finden wir in Jan van Eycks Bild »Die Arnolfini-Hochzeit« – aber auch in deinem Gemälde »Mr. and Mrs. Clark and Percy« (auf der nächsten Seite), das mehr als 500 Jahre später entstanden ist. Van Eyck arbeitete im 15. Jahrhundert in den Niederlanden. Seine Bilder waren frisch und neuartig, sie sahen ganz anders aus als die Bilder der anderen Künstler zu jener Zeit. Indem er Ölfarben in Schichten übereinander auftrug, schuf er tiefe, satte Farben und feine Details. Er malte dieses Bild von Giovanni Arnolfini, einem Händler aus Brügge, und seiner Gattin im Jahre 1434. DAVID: Van Eycks Gemälde sind voll von Gegenständen, die so vorher nie
zu sehen gewesen waren. Kein Maler hatte jemals einen Spiegel im Bild, so wie in der Mitte des Arnolfini-Bildes. Sicher war das für van Eyck schwer zu malen, aber jeder, der es nach ihm tat, konnte seinem Beispiel folgen. Das gilt für fast alles in diesem Bild: die leicht angeschmutzten Holzpantoffeln, die Orangen am Fenster und den Kronleuchter. Als van Eyck einmal herausgefunden hatte, wie man das malen musste, konnte ihn jeder Künstler imitieren.
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DAVID HOCKNEY, Mr. and Mrs. Clark and Percy, 1970–71
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DAVID: Mein Bild habe ich 1970 und 1971 gemalt,
es zeigt meine Freunde Celia Birtwell und Ossie Clark in ihrer Wohnung am Notting Hill Gate in London. MARTIN: Manche Bilder sprechen uns an,
auch wenn die Gegenstände darauf inzwischen ungewohnt sind. Das weiße WählscheibenTelefon in der Ecke des Bildes, das 1971 sicher modern und schick war, wirkt heute einigermaßen merkwürdig (wie der komische Hut von Giovanni Arnolfini oder die grüne Robe seiner Gattin). Vielleicht fragen sich unsere Leser sogar, was dieses weiße Telefon eigentlich ist. Dennoch betrachten sie die beiden Menschen auf dem Bild wohlwollend und mit Interesse, ebenso die Blumen und Percy, die Katze – genau wie wir uns die Tiere auf den Wänden urzeitlicher Höhlen anschauen, ohne zu wissen, wer sie gemalt hat oder warum.
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UTAGAWA HIROSHIGE, Ansicht des Hafens (Miya: Station Nr. 42), ca. 1847–52
DAVID: Bilder beeinflussen andere Bilder. Vincent van Gogh war einer der ersten Maler im Europa
des 19. Jahrhunderts, der die leuchtenden Farben und schwungvollen Linien einsetzte, die er aus der japanischen Malerei kannte, wie zum Beispiel in dem Farbholzschnitt oben auf dieser Seite. Er ließ sich in Arles in Südfrankreich nieder, wo die Sonne stark und grell schien. Van Goghs intensive Farben hatten großen Einfluss auf viele Künstler nach ihm.
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VINCENT VAN GOGH, Père Tanguy, 1887
Und noch eines schaute er sich von der japanischen Kunst ab: die fehlenden Schatten. Darüber, wie Künstler Licht und Schatten einsetzen, sprechen wir weiter hinten in diesem Buch. MARTIN: Für dieses Bild von seinem Freund, Père Tanguy, verwendete
van Gogh eine Reihe japanischer Farbholzschnitte aus seiner Sammlung als spannenden Hintergrund. Im späten 19. Jahrhundert sammelten Künstler begeistert diese Holzschnitte, denn sie zeigten eine völlig neue Arbeitsweise. Kunst musste nicht mehr so aussehen wie die reale Welt.
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DAVID: Um noch einmal auf van Eyck und sein Porträt von Arnolfini
zurückzukommen, ich stelle mir van Eyck gern bei der Arbeit vor. Sein Atelier muss fast wie ein Hollywood-Filmstudio ausgesehen haben. Perücken, Waffen, Kronleuchter, Modelle – alle möglichen Requisiten. Es ist völlig unmöglich, aus der Erinnerung solche Bilder zu malen. Das muss eher wie bei einem Filmdreh abgelaufen sein: Kostüme, Licht, Kamera und los! MARTIN: Es gibt viele Querverbindungen zwischen Malerei, Fotografie
und Kino. Darauf gehen wir weiter hinten im Buch noch genauer ein. DAVID: Als ich klein war, nannte man das Kino noch »Pictures« … Bilder.
Mama, können wir zu den Bildern gehen? Ein Film ist ja nichts anderes als bewegte Bilder … trotzdem sind es immer noch Bilder. MARTIN: Filme wurden in Hollywood gedreht, weil das Licht in
Kalifornien so intensiv war. Die Filmemacher lösten damit also ein Problem, mit dem sich auch große Maler schon herumschlagen mussten, darunter Caravaggio und Leonardo da Vinci: die Beleuchtung. Sie mussten herausfinden, wie sie das Motiv am besten ausleuchteten, um ein möglichst starkes Bild zu schaffen.
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LEONARDO DA VINCI, Mona Lisa, ca. 1503–19
Fotografie von Marlene Dietrich, ca. 1937
DAVID: Leonardos großartiges Gemälde von der Mona Lisa ist eines
der ersten Porträts mit Schattenübergängen. Das Gesicht ist wunderbar ausgeleuchtet. Schau dir die Schatten unter der Nase an, und dieses Lächeln, wie da Vinci die Farbübergänge von heller bis zu dunkler Haut meistert. Ich habe keine Ahnung, wie er das hinbekommen hat – es muss ewig gedauert haben, die Farbe aufzutragen. Diese Beleuchtung erinnert mich eher an Fotos der großen Schauspielerin Marlene Dietrich.
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DAVID: Walt Disney war ein großer amerikanischer
Künstler. Wer waren denn die eigentlichen Stars der 1930er und 1940er? Micky Maus und Donald Duck! Und heute gibt es sie immer noch. Wenn man sich den Film »Pinocchio« Bild für Bild anschaut, sieht man die erstaunliche Sequenz, in der Pinocchio mit Geppetto den Bauch des Wals betritt. Sie entfachen ein Feuer, um das Ungetüm zum Rülpsen zu bringen, und dann kommt die geniale Stelle, wo beide aus dem Wal herausgeschleudert werden. Dann verfolgt sie der Wal. Auf ihrem Floß geraten beide in einen Sturm und werden schließlich an einen Strand gespült. Als ich begriff, wie das gemacht wurde, war ich erstaunt. Teile des Films, die weißen Schaumkronen und tobenden Wellen, sehen aus wie chinesische und japanische Holzschnitte – offensichtlich hatten sich die Trickfilmzeichner von Disney diese Kunstwerke angeschaut, ebenso einige Fotos von Wellen und Meer. Als Geppetto und Pinocchio an die Küste gespült werden, sieht man die Wasserblasen, bis das Wasser schließlich im Sand versinkt. Fantastisch!
WALT DISNEY PRODUCTIONS, Standbild aus Pinocchio, 1940
UTAGAWA HIROSHIGE, Detail aus Naruto-Strudel, Provinz Awa, ca. 1853
MARTIN: In der Geschichte geht es nicht geradeaus. Alle Künstler
stoßen auf unterschiedliche Probleme – wie sie den Raum einsetzen, um in ihren Bildern Geschichten zu erzählen, oder wie sie den Strich eines Pinsels oder Stifts wie eine Person oder einen Gegenstand aussehen lassen. Darum schauen wir uns in diesem Buch zuerst einige dieser Ideen an, bevor wir uns zu bestimmten Orten oder in bestimmte Zeiten begeben. Wir werden uns auch darüber unterhalten, wie sich die technische Entwicklung auf die Geschichte der Kunst ausgewirkt hat. Seit der Erfindung der Fotografie haben es Zeitungen, bewegte Bilder, das Fernsehen, das Internet und das Smartphone möglich gemacht, Milliarden von Bildern in Lichtgeschwindigkeit zu teilen – auf der ganzen Welt. Bilder ändern sich, und zwar schnell. Immer mehr Menschen stellen sie her und bearbeiten sie, viel schneller als je zuvor. DAVID: Die Menschen lieben Bilder. Sie haben einen starken Einfluss darauf,
wie wir die Welt um uns erleben. Viele Leute haben sich schon immer lieber
Bilder angesehen, als zu lesen; vielleicht wird das auch immer so bleiben. Ich glaube, die Menschen mögen Bilder sogar noch lieber als Worte. Ich schaue mir die Welt gern an und habe mich schon immer dafür interessiert, wie wir sehen und was wir sehen. Die Geschichte der Bilder beginnt in den Höhlen und endet heute, auf dem iPad. Und wer weiß, wie es weitergeht?
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ZEICHEN SETZEN
Wann ist ein Zeichen interessant?
Felsbild eines Lรถwen, Hรถhle Les Combarelles, Frankreich, ca. 12.000 v. Chr.
DAVID: Sobald du zwei oder drei Zeichen auf einem Blatt Papier hinterlässt,
fangen sie an, wie irgendetwas auszusehen. Zwei kleine Striche könnten zum Beispiel zwei Figuren oder zwei Bäume sein. Vier Zeichen könnten
ein Gesicht darstellen, das weiß jeder. Wir lesen alle möglichen Dinge aus Zeichen. Mit ganz wenig lassen sich Landschaften, Menschen oder Tiere darstellen. MARTIN : Wenn wir die Welt betrachten, erkennen wir in einem Ding
oft ein anderes Ding. Der Künstler Leonardo da Vinci sagte, er stelle sich die zufälligen Formen oder Muster auf den Mauern und Steinen in seiner Umgebung meist als unglaubliche Landschaften, Figuren oder Gesichter vor. Schau dir das Bild des Löwen an, es ist mehr als 14.000 Jahre alt. Vorzeitliche Künstler bearbeiteten den Fels mit Steinwerkzeugen und verwandelten natürliche Risse und Wölbungen in das Bild eines großes Tieres.
DAVID: Was macht ein Zeichen interessant? Ich glaube, es ist die Bewegung
– die Art und Weise, wie ein Künstler den Stift oder Pinsel einsetzt. Oft
kann man erkennen, ob er die Linie schnell oder recht langsam gezeichnet hat. Chinesische Maler trainierten ihre Kunst, indem sie dieselben Bilder immer und immer wieder malten. Angenommen, sie zeichneten einen Vogel. Sie begannen vielleicht mit zehn Strichen, bis sie schließlich mit drei oder vier auskamen. Ich habe einmal einen jungen chinesischen Maler beobachtet, der Katzen malte. Er setzte jeden Strich ganz perfekt. Auch die chinesischen Schriftzeichen sind eng mit der Malerei verbunden. Winzige Veränderungen an einem Zeichen sorgen sofort für eine neue Bedeutung.
WU ZHEN, Seite aus einem Album mit Bambus-Zeichnungen , 1350
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MUQI FACHANG, Sechs Kakipflaumen, 13. Jahrhundert
Im 13. Jahrhundert malte der chinesische Geistliche und Maler Muqi dieses zarte Bild von sechs Früchten mit Tusche auf Seide. Dazu hinterließ er fast gar keine Zeichen – man kann die wenigen Pinselstriche förmlich zählen. Dennoch vermochte er es, alle Früchte verschieden aussehen zu lassen. Zu jener Zeit benutzten chinesische Maler keine Farben, darum war es besonders wichtig, wie sie die Tusche verwendeten und den Pinsel führten. Während der Ming-Dynastie zählte ein Kunst-Autor 26 verschiedene Möglichkeiten, Felsen zu malen, und sogar 27, um das Bild eines Baumes mit Blättern zu versehen!
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DAVID: Maler borgen ständig Zeichen untereinander aus. Du kannst das
erkennen, wenn du ihre Bilder genauer betrachtest. Sie lernen, indem sie
Arbeiten anderer Künstler kopieren. Auch Rembrandt, der im 17. Jahrhundert in Amsterdam arbeitete, hatte vermutlich einige chinesische Zeichnungen gesehen. Amsterdam war eine Hafenstadt und die Holländer trieben vor allem Handel mit dem Fernen Osten. Vermutlich brachten sie neben Gewürzen, Porzellan und Seide auch Bilder auf ihren Schiffen mit. Schau dir Rembrandts Skizze des Kindes an, das gerade laufen lernt. Das Kind wird von seiner Mutter und einer älteren Schwester gehalten. Die Mutter hält es gut fest, die Schwester zögert etwas. Das Kind scheint sich etwas zu fürchten, was nur an ein oder zwei Zeichen auf seinem Gesicht zu erkennen ist. Der Vater hockt links und schaut erstaunt – zu erkennen lediglich an zwei wunderschönen Tuscheflecken.
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REMBRANDT VAN RIJN, Ein Kind lernt laufen, ca. 1656
Rembrandt verwendet nicht viele Linien. Dennoch können wir erkennen, dass der Rock der Mutter etwas abgetragen und der Eimer der Milchmagd ziemlich schwer ist – eine unglaubliche Zeichnung. Rembrandts Zeichnungen sind nicht besonders groß, denn Papier war sehr teuer. Er musste jeden Millimeter nutzen! Wenn die Zeichnungen nur in einem kleinen Format reproduziert werden, erkennt man nicht alle Details, aber wenn man sie vergrößert und dann noch einmal anschaut, sieht man deutlich mehr. Und man erkennt, wie schön die Zeichnung ist.
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DAVID: Es gab einmal eine Zeit, zu der jeder zeichnen konnte. Bevor die
Fotografie aufkam, wurde Zeichnen sogar an der US-Militärakademie
unterrichtet, denn die Offiziere in der Armee mussten zeichnen können. Ingenieure mussten eine Maschine zeichnen können. Das war schon seit 30.000 Jahren so. Und sehr gut zeichnen zu können, will gelernt sein. MARTIN: Wir wissen, dass viele berühmte Maler, wie Raffael,
Michelangelo und J. M. W. Turner, bereits als Teenager zu malen begonnen haben. Das ist wie ein Musikinstrument spielen oder Tennis – man muss täglich üben. Michelangelos Zeichnungen, wie die des laufenden Mannes, beeindruckten alle, die ihn trafen. Eine berühmte Geschichte erzählt, wie Jacopo Gallo, ein römischer Adliger, 1496 das Haus des Künstlers besuchte. Er wollte einige Werke von Michelangelo anschauen. Dieser hatte jedoch gerade keine Bilder da, aber er nahm seine Feder und zeichnete eine Hand. Gallo war sprachlos, so perfekt war sie. DAVID: Du wärst auch erstaunt, wenn eine Michelangelo-Zeichnung plötzlich
vor deinem Auge auftauchen würde, vor allem, wenn du vorher noch nicht viel
von ihm kanntest. Michelangelos Zeichnungen sind toll. Bei manchen weiß man gar nicht, wie er das hinbekommen hat.
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MICHELANGELO, Figurstudie eines laufenden Mannes, ca. 1527–60
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WILLIAM-ADOLPHE BOUGUEREAU, Mignon, 1869
MARTIN: Ende des 18. Jahrhunderts schienen die Pinselstriche zu
verschwinden. Die Gemälde, die in den großen Galerien wie der Royal Academy in London oder im Salon in Paris ausgestellt wurden, hatten eine glatte Oberfläche. Sie sahen fast ein wenig wie Fotos aus. Als jedoch Édouard Manet in Paris in den 1850er- und 1860erJahren zu malen begann, kam der Pinselstrich zurück! Seine Bilder – wie das Porträt der Malerin Berthe Morisot – hoben sich von allen anderen ab. Nach Manet kamen Claude Monet, die Impressionisten und Vincent van Gogh. Zu jener Zeit wurden sie alle kritisiert, weil sie Bilder ausstellten, die eher wie Skizzen als wie fertige Gemälde aussahen.
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ÉDOUARD MANET, Berthe Morisot mit Veilchenstrauß, 1872
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DAVID: Monet und die Impressionisten malten unter freiem Himmel statt im
Atelier. Sie arbeiteten bei jedem Wetter, häufig auch sehr schnell. Es gibt zum Beispiel wunderschöne Monet-Gemälde von schmelzenden Eisschollen auf der Seine. Eis auf diesem Fluss war so selten, dass Monet sofort hingehen und dieses Naturereignis im Bild festhalten musste. MARTIN: Der Winter 1879–80 war einer der kältesten im
19. Jahrhundert. Auf der Seine bildete sich eine dicke Eisschicht, bedeckt von mehreren tiefen Lagen Schnee. Monet lebte zu jener Zeit in Vétheuil, einer kleinen Stadt außerhalb von Paris. Es wird erzählt, dass das Eis auf der Seine am Abend des 4. Januar zu schmelzen begann, zuerst im Osten, dann immer weiter im Westen. DAVID: Monet muss sich sofort an die Arbeit gemacht haben, als er von
den Eisschollen auf der Seine erfuhr. Das Eis konnte ja schon in einer
Nacht geschmolzen sein. Er musste sich also sehr beeilen. Wenn die Sonne untergeht, weiß man, dass es bis zur Dunkelheit nur noch ungefähr eine Stunde dauert. Er muss also sehr genau hingeschaut haben! Bilder können uns Dinge zeigen, die wir ohne sie gar nicht wahrgenommen hätten. Monet sorgte dafür, dass wir die Welt ein bisschen deutlicher erkennen.
CLAUDE MONET, Eisgang, 1880
DAVID: Wie schnell sich Licht und Himmel verändern, ist mir beim Malen in
Yorkshire aufgefallen. Das Klima dort ist ähnlich wie in Nordfrankreich, wo
Monet arbeitete. Auf meinen Kohlezeichnungen von Woldgate in Ost-Yorkshire im Frühling 2013 verwendete ich viele verschiedene Zeichen. Man braucht eine gewisse Vielfalt. Ich schaute mir Pablo Picasso an, Henri Matisse und Raoul Dufy. Ich verwendete aber nur solche Zeichen, die mit einem Kohlestift möglich sind; mehr geht nicht. Es gibt ebenso eine Geschichte der Zeichen wie es eine Geschichte der Bilder gibt! Du kannst verschiedene Zeichen anschauen, die ein Künstler verwendet, und dann etwas ausborgen – Zeichen mit einer Feder, mit Zeichenkohle, Bleistift, ebenso Striche mit Pinsel und Farbe. Und du erkennst sie noch besser, wenn du selbst zeichnen lernst und die Zeichen kopierst.
RAOUL DUFY, Die Avenue du Bois de Boulogne, 1928
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DAVID HOCKNEY, Woldgate, 26. Mai 2013, 2013
1. Auflage 2019 ISBN 978-3-03876-144-0 Die Welt der Bilder für Kinder © 2019 Midas Verlag AG Übersetzung: Claudia Koch Lektorat & Projektleitung: Gregory C. Zäch Buchdesign: Sarah Praill Texte von Martin Gayford © 2018 Martin Gayford Texte von David Hockney © 2018 David Hockney Arbeiten von David Hockney © 2018 David Hockney Illustrationen von Rose Blake © 2018 Rose Blake Englische Orignalausgabe: A History of Pictures for Children © 2018 by Thames & Hudson Gekürzte und adaptierte Fassung des Buches by Mary Richards Welt der Bilder von David Hockney und Martin Gayford Midas Verlag AG, Dunantstrasse 3, CH 8044 Zürich Mail: kontakt@midas.ch, Social Media: @midasverlag Alle Rechte vorbehalten. Printed in China
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Die Geschichte der Bilder beginnt in den Höhlen und endet - zumindest momentan - mit dem iPad. Wer weiss, wohin die Reise noch führt? – David Hockney
Begleite David Hockney und Martin Gayford auf einer spannenden Reise durch die Welt der Bilder, wunderschön illustriert von Rose Blake wirst du eine große Bandbreite von Kunstwerken entdecken: Höhlenmalereien, Fresken, Skulpturen, Gemälde, Fotografien, Videokunst und noch viel mehr. Zudem lernst du zahlreiche Künstler wie Caravaggio, Van Gogh, Monet oder Picasso kennen und erfährst, wie sie gearbeitet haben. Dieses Buch macht neugierig und öffnet die Augen für die Vielfalt der Kunst.
David Hockney David Hockney ist einer der populärsten lebenden Künstler der Welt. Er schafft Bilder in fast jedem Medium und studiert auch gern die Werke anderer Künstler.
Martin Gayford ist Kunstkritiker und Autor. Mit David Hockney führte er im Laufe der Jahre viele Gespräche über Kunst, von denen einige zu Büchern wurden.
Martin Gayford Rose Blake ist eine mehrfach preisgekrönte Illustratorin aus London. Sie kennt David Hockney, seit sie 11 Jahre alt ist. Rose Blake
www.midas.ch ISBN-13: 978-3-03876-144-0
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