Leseprobe zum Buch »Street Art Manual«

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Hacking im öffentlichen Raum

S

eit die Menschheit erkannt hat, dass das ein-

Situationistischen Internationalen, einer Avant-

same Leben in einer Höhle zu hart ist, und

garde-Bewegung kreativer Sozialrevolutionäre von

sich Stämme, Gemeinschaften und Nationen

Anfang der 1950er bis Anfang der 1970er, bezeich-

zusammengefunden haben, gibt es unter ihnen

net wurde) – also gegen die Konsumgesellschaft.

Rebellen, Dissidenten und Träumer, die den Status

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr das Konsum-

quo aufzubrechen versuchen. Dieser »Status quo«

verhalten einen großen Aufschwung; mit neuen Fa-

besteht in den vorherrschenden Regeln, Normen,

briken und Industriegebieten bauten die USA ihre

Verhaltensweisen und Werten einer Kultur – und

Wirtschaft aus und sicherten sich ihre Position als

auch unserer Kultur von heute. In diesem Buch

Weltmacht. Die Ideologie des Konsumdenkens,

erfährst du, wie du den öffentlichen Raum hacken

bei der die emotionalen Bedürfnisse und Wünsche

kannst, um neue Sichtweisen auf die Stadt zu

des Menschen psychologisch genutzt werden, um

entwickeln. So wirst du Kunstwerke an Stellen

ihnen sinnloses Zeug zu verkaufen, wurde in die

erschaffen, die die Erwartungen der Menschen

globalen Märkte exportiert. Und schnell wurde

an das öffentliche Leben infrage stellen und Kultur

der Sinn des Lebens dadurch gemessen, wie viele

von Grund auf neu definieren. Wir haben ein funda-

Produkte ein Mensch besitzt oder in den Augen

mentales Recht darauf, den öffentlichen Raum, in

anderer scheinbar besitzt. Das eigentliche Dasein

dem wir leben, unabhängig von der Größe unserer

und die Erfahrungen des Lebens spielten eine

Gemeinschaft, zu verändern und zu gestalten. In

untergeordnete Rolle.

der Wissenschaft wird dies als das »Recht auf

Als Reaktion auf die Ungerechtigkeiten des Ka-

Stadt« bezeichnet. Dieses Kapitel gibt dir das Wis-

pitalismus – und seines glamourösen Nebeneffekts,

sen an die Hand, mit dem du deine Stadt zurücker-

des Konsumverhaltens – haben sich einzelne Künst-

obern kannst. In der Geschichte gibt es zahlreiche

ler aufgelehnt und in manchen Fällen auch ganze

Beispiele, in denen sich Menschen gegen Kon-

Kunstformen entwickelt: vom Situationismus bis

formität aufgelehnt haben, indem sie etwas Be-

zum Punk Rock und von den Abertausenden von

deutungsvolleres geschaffen haben. Street Art wie

Kleinstkulturen, die sich im Zuge der Bewegung ge-

auch ihr Vorgänger, das Graffiti, sind zwei Kunst-

gen den Vietnamkrieg entwickelten, bis zu den heu-

richtungen, die genau dieses Ziel umsetzen. Sie

tigen Formen der Subkultur wie Graffiti, Grime und

dienen als kreative Form des Widerstands gegen

Trap (in der Musik). Sie alle unterscheiden sich zwar

die »Show-Gesellschaft« (wie sie von Guy Debord,

grundlegend, haben aber eines gemeinsam: Die

dem französischen Philosophen und Gründer der

Künstler drücken ihren Widerstand gegen die herrschenden sozialen und politischen Bedingungen ihrer Zeit aus. Mit anderen Worten: Sie sind nicht

Ab 2009 haben die US-amerikanischen Künstler Jordan Seiler und Logan Hicks heimlich andere Künstler in einer nicht genutzten U-Bahn-Station in New York eine verborgene Untergrundgalerie aufbauen lassen.

länger Verbraucher der Kunst, sondern kreative Erzeuger. Nicht selten erfahren sie dabei extreme Unterdrückung und Ausgrenzung. 7


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