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Willi Berchtold

Pr채sident BITKOM Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.

Telefonische Pressekonferenz

5. Juli 2005

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sendesperrfrist: 5. Juli 2005, 11:00 Uhr


1 Meine sehr geehrten Damen und Herren, guten Morgen auch von meiner Seite. Eigentlich wollten wir Sie erst in einem halben Jahr zu dieser Pressekonferenz begrüßen. Sie war geplant zum Start des Bundestagswahlkampfs 2006. Aber in den letzten Wochen hat sich nun mal einiges geändert. Die bevorstehende Bundestagswahl ist eine große Chance für Deutschland. Eine neu gewählte Bundesregierung, egal welche politische Farbe sie hat, muss weiter intensiv an Refomen arbeiten. Natürlich könnten wir uns mit Wachstumsraten von einem Prozent zufrieden geben. Dann lassen wir eben die anderen an uns vorbeiziehen, die drei Prozent, fünf und mehr schaffen. Im letzten Jahr ist erstmals Italien bei zentralen Wohlstandsindikatoren an uns vorbeigegangen. Vor zwanzig Jahren hätten wir das als nationale Demütigung empfunden. Heute interessiert sich anscheinend niemand mehr wirklich dafür. Uns im BITKOM interessiert das schon. Stagnation ist uns zu wenig. Wir müssen raus aus den Startblöcken und wieder in die Offensive. Offensive heißt, dass wir unsere Aufmerksamkeit weg von der Verteilung hin zu den Quellen des Wachstums richten müssen. Wir müssen den Innovationsmotor anwerfen, und heute machen wir konkrete Vorschläge, wie das gehen kann. [Chart: Besser ist nicht gut genug - Marktvolumen, Personal] Die ITK-Branche gehört mit 756.000 Beschäftigten, 135 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 50 Milliarden Euro Exporten zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in Deutschland. Nur wenn das innovative Potenzial ITK-getriebener Technologien umfassend genutzt wird, wird Deutschland dauerhaft eine führende Rolle im internationalen Wettbewerb spielen. Die ITKBranche kann in den kommenden Jahren 120.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. Weitere 250.000 Arbeitsplätze können in Anwenderbranchen entstehen. Ob und in welchem Umfang diese Arbeitsplätze entstehen, hängt ganz wesentlich davon ab, inwieweit die ITK-Branche als Innovationsmotor politisch flankiert oder aber gebremst wird. ITK als Querschnittstechnologie hat künftig die gleiche Bedeutung wie die Energiewirtschaft: Ohne geht nichts. ITK hat damit eine grundsätzlich andere Qualität als z.B. die Bio- oder Nanotechnologie. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen die Biotechnologie und andere Innovationsbranchen. Aber es ist nun einmal ein Unterschied, ob Sie über 10.000 Arbeitsplätze sprechen, wie in der Biotechnologie, oder über 700.000 wie im ITKSektor. Viele andere Innovationsbranchen, wie z.B. der Automobil- oder der Maschinenbau, brauchen ITK um erfolgreich zu sein. Viele haben das noch nicht verstanden und scheren alle über einen Kamm. Was wir brauchen, ist eine strategisch angelegte, integrierte Innovations- und ITK-Politik. Eine solche Politik sollte langfristige Ziele verfolgen. Langfristig heißt: Wir müssen heute anfangen, um innerhalb der kommenden zehn Jahre am Ziel zu sein. Wir schlagen fünf Kernziele vor. [Chart: ITK-Anteil am BIP] Ziel 1: Der ITK-Sektor ist als ein Innovations- und Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft noch stärker zu positionieren. Hierzu ist der Anteil der ITK-Wirtschaft am deutschen Bruttoinlandsprodukt von derzeit 6% auf > 8% anzuheben. Viele andere Nationen in Asien, Europa und Nordamerika sind uns hier voraus. Deutschland liegt zurzeit im unteren Mittelfeld. Wir sehen also: Da ist noch Steigerung möglich und nötig! [Chart: Marktpotenziale ausschöpfen] Sendesperrfrist: 5. Juli 2005, 11:00 Uhr


2 Ziel 2: Die Potenziale des ITK-Markts für Wohlstand und Wachstum in Deutschland sind auszuschöpfen. Das Marktvolumen ist von derzeit 135 Milliarden Euro auf 200 Milliarden Euro zu steigern. Seit einigen Jahren schon bleiben die Investitionen in ITK hierzulande deutlich hinter dem europäischen Schnitt zurück. [Chart: Stärken der deutschen ITK-Branche] Ziel 3: Hightech-Unternehmen und hier vor allem Mittelständler müssen in wachstumsstarken Marktsegmenten als internationale Technologieführer aufgebaut werden. In bis zu 10 zu definierenden Technologiefeldern sollte jeweils mindestens ein deutsches Unternehmen international in den Top Five platziert werden. [Chart: Deutschland ist Netto-Importeur bei ITK-Produkten] Ziel 4: Deutschland muss im ITK-Sektor auch künftig eine Entwicklung vermeiden, die andere Technologiebranchen wie die Unterhaltungs- und Optoelektronik genommen haben. In diesem Sinne muss Deutschland sein Außenhandelsdefizit im ITK-Sektor abbauen und mittelfristig vom Netto-Importeur zum Netto-Exporteur werden. [Chart: Chancen auf mehr Jobs] Ziel 5: Die Arbeitsplatzpotenziale der ITK-Branche sind konsequent zu entwickeln und zu nutzen. Durch entsprechende bildungspolitische und arbeitsrechtliche Maßnahmen kann das Beschäftigungsvolumen der Branche von derzeit 756.000 auf 880.000 Arbeitsplätze gesteigert werden. Zusammengefasst: Unser Ziel muss sein, Deutschland in wichtigen Zukunftstechnologien auf den Weltmärkten wieder an die Spitze zu bringen und damit für Wohlstand und Arbeitsplätze in unserem Land zu sorgen. Wir müssen unser Möglichstes tun, damit Innovationen und neue Technologien aus Deutschland heraus entstehen und in die Weltmärkte getragen werden. Wie das gehen kann, zeigen wir mit unserem Thesenpapier. Natürlich ist die Entwicklung neuer Produkte und Dienste eine originäre Aufgabe der Wirtschaft. Aber die Politik kann den Weg der Unternehmen in die Weltmärkte mit den richtigen Maßnahmen flankieren. Die Iren haben uns vorgemacht, wie man aus dem Armenhaus Europas, aus einer Insel für Viehzüchter und Angler, einen IT-Standort allererster Wahl formt. Er ist das Ergebnis einer sehr stringenten Wirtschafts- und Technologiepolitik. Davon können wir lernen. [Chart: Strategische ITK-Politik: Politikfelder integrieren] Was bedeutet eine strategische, integrierte ITK-Politik? Strategisch heißt, dass sie eine Vision verfolgt und sich konkrete Ziele setzt. Integriert heißt, dass Politikebenen und Politikfelder besser verzahnt und koordiniert werden. Was hilft es zum Beispiel, wenn die Forschungspolitik Biometrie fördert, es an den Hochschulen aber keine entsprechenden Lehrstühle gibt und deshalb die Spezialisten fehlen? Mit einem integrierenden Ansatz müssen wir das politische Patchwork so zusammenweben, dass es zur Hightech-Branche passt. Dazu brauchen wir eine Innovationspolitik aus einem Guss und wir brauchen jemanden, der sie verantwortet. [Chart: Vorschlag 1 – Innovationsbeauftragten im Kanzleramt einsetzen] Die Innovations- und ITK-Politik muss dort verankert werden, wo die Leitlinien der Bundespolitik festgelegt werden: im Bundeskanzleramt. Deshalb schlagen wir vor, dass künftig ein Innovationsbeauftragter im Rang eines Staatsministers im Kanzleramt die Innovations- und ITK-Politik koordiniert und verantwortet. Viele Staaten haben ganze Ministerien eingerichtet, in denen die Fäden der Informations-, Telekommunikations- und Sendesperrfrist: 5. Juli 2005, 11:00 Uhr


3 Medienpolitik zusammenlaufen. Unter einem Dach sind dort Themen angesiedelt wie die Regulierung der Telekommunikationsmärkte, Breitbandförderung, Datenschutzfragen, ECommerce-Regelungen oder die Exportförderung von ITK-Produkten. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Das föderale, dezentrale Prinzip in Deutschland kann eine Stärke sein. In diesem Fall ist es eine Schwäche. [Chart: Vorschlag 2 – Innovationseliten fördern] Ohne helle Köpfe ist Innovation nicht denkbar. Innovation braucht Innovationseliten und Innovationseliten brauchen gezielte Förderung. Wir haben Förderprogramme für musisch und sportlich besonders begabte Kinder und Jugendliche. Für den Bereich Technik haben wir nichts, außer einem Bundeswettbewerb. Diese Lücke ist zu schließen. Wir brauchen Programme für technisch Hochbegabte, die sich an den bestehenden Programmen für Musik, Kunst und Sport orientieren. Außerdem sind in allen größeren Städten naturwissenschaftlich-technische Gymnasien einzurichten, die spezielle Klassen für besonders begabte Schülerinnen und Schüler vorsehen. Nicht zuletzt muss der Bund mehr Kompetenzen im Bildungssektor erhalten. Und die Bundesländer sollten sich verpflichten, den Hochschulen insgesamt mehr Autonomie zu geben. U.a. sollten Studiengebühren allein den Hochschulen zukommen und ihre Verwendung sollte nicht reglementiert werden. [Chart: Vorschlag 3 – FuE-Ausgaben erhöhen und professionell kontrollieren] Unser dritter Vorschlag betrifft die Forschungsförderung. Forschungsausgaben müssen signifikant erhöht und Forschungspolitik muss professionell evaluiert und kontrolliert werden. Zunächst sollten die öffentlichen FuE-Investitionen bis 2010 jährlich um mindestens fünf Prozent erhöht werden. Zurzeit werden von Bund und Ländern ca. 16 Milliarden Euro öffentliche Fördermittel jährlich in Forschung und Entwicklung gesteckt. Hier muss ein professionelles Controlling eingeführt werden, so wie wir das auch in den Unternehmen tun. Dieses Controlling muss insbesondere den langfristigen Return-on-Investment transparent machen. Wir sollten wissen, was für diese 16 Milliarden Euro zurückkommt - im Sinne der Entwicklung international erfolgreicher Technologien, des Aufbaus leistungsfähiger Industriesektoren und damit zusammenhängend der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze. [Chart: Vorschlag 4 – Hightech-Wachstumsfonds einrichten] Forschungsprogramme nützen wenig, wenn aus den Ergebnissen keine erfolgreichen Produkte werden. Daran hapert es. Wir haben gute Ideen, aber das Geschäft machen andere. Ein Kernproblem ist die Finanzierung des Wachstums. Wer in Deutschland Wachstumskapital sucht, sucht oft vergeblich. Also geht er nach London, Paris oder New York. Wir schlagen die Einrichtung eines Technologiefonds vor, der ausschließlich in international orientierte, wachstums- und innovationsstarke mittelständische Unternehmen investiert. Im Gegensatz zu vielen Risikokapitalgebern wäre dieser Technologiefonds langfristig orientiert. Die Laufzeit der Beteiligungen sollte zwischen 10 und 15 Jahren liegen. Der Fonds sollte ein Volumen von zunächst einer Milliarde Euro haben. Er sollte von der KfW aufgelegt werden und für privates Kapital offen sein. [Chart: Vorschlag 5 – Public Sector bis 2010 durchgängig digitalisieren] Sehr deutlich wird die politische Verantwortung im öffentlichen Sektor. Während die Unternehmen ihre Geschäftsprozesse weitgehend digitalisiert haben, hinken die öffentlichen Verwaltungen hinterher. Statt der technologischen Entwicklung nachzulaufen, muss die öffentliche Hand als Leitanwender moderne Technologien ausrollen. Der Public Sector ist geradezu prädestiniert für digitale Prozesse. Wir fordern, dass diese Digitalisierung bis 2010 abgeschlossen wird. Das gilt für Verwaltungen, Gesundheits- und Bildungssystem sowie Sicherheitsbehörden. Die Bundesregierung muss dazu u.a. den Zeitplan zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte im Jahr 2006 einhalten. Um den Ausbau der öffentlichen Sendesperrfrist: 5. Juli 2005, 11:00 Uhr


4 ITK-Infrastruktur in Zeiten knapper Kassen zu finanzieren, sind verstärkt öffentlich-private Partnerschaften zu nutzen. In diesem Rahmen sollte sich der öffentliche Bereich für alternative Finanzierungsinstrumente wie z.B. „Share in Savings“ öffnen. [Chart: Vorschlag 6 – Freiräume schaffen, Belastungen senken] Unser letzter Vorschlag betrifft die deutsche Regelungswut. Dirigismus und ausufernde Bürokratie lähmen die wirtschaftliche Entwicklung. Gerade die extrem schnelllebige ITKIndustrie braucht Freiräume für Investitionen und Innovationen. Staatliche Eingriffe dürfen neue Märkte nicht verhindern. Die Bundesregierung sollte deshalb eine Kampagne für unternehmerische Freiheit starten mit dem Ziel, Bürokratie beschleunigt abzubauen, die Belastung mit Steuern und Abgaben zu verringern, den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten und Sonderbelastungen für die Hightech-Branche zu beenden. Durch ein entsprechendes Bündel an Maßnahmen sind Wachstumshemmnisse für Innovationstreiber und Pioniere zu beseitigen. Die Bundesregierung muss deshalb alle Eingriffe in den Markt auf den Prüfstand stellen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss und fasse zusammen: 1.

Wir müssen die Wachstumskräfte der Hightech-Branche entfesseln. Es geht um 120.000 Arbeitsplätze im ITK-Sektor und nochmals 250.000 in benachbarten Branchen, die zusätzlich entstehen können. Hierzu muss eine strategische, integrierte Innovations- und ITK-Politik aufgesetzt werden. Diese Politik muss ein Staatsminister im Kanzleramt koordinieren und verantworten.

2.

Erfolgreiche Innovationspolitik beginnt an der Basis. Technisch besonders begabte Kinder und Jugendliche müssen künftig genauso gefördert werden, wie musisch oder sportlich Begabte.

3.

FuE-Investitionen müssen um mindestens 5% pro Jahr erhöht werden. Der Return-onInvestment muss künftig professionell kontrolliert werden.

4.

Ein neuer Technologiefonds muss das Wachstum besonders innovationsstarker, mittelständischer Hightech-Firmen unterstützen.

5.

Der öffentliche Sektor muss modernisiert und bis 2010 komplett digitalisiert werden.

6.

und letztens: Alle Markteingriffe müssen auf den Prüfstein gestellt werden. Das gilt u.a. für Steuern, Arbeitsrecht, Bürokratie und Sonderbelastungen der Hightech-Branche.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine komplette Perspektivenumkehr in unserem Land. Weg vom Bergbau, hin zur Innovation. Weg vom Versorgungsdenken, hin zur Eigenverantwortung. Raus aus der Defensivhaltung, hinein in eine offensive, internationale Wirtschaftspolitik. Raus aus der Freizeitgesellschaft, hinein in eine Gesellschaft die weiß, dass es ohne Schweiß auf Dauer keinen Wohlstand gibt. Weg vom Jammern und Wehklagen, hin zu einer Aufbruchstimmung für Wachstum und Innovation. Dazu wollen wir als BITKOM beitragen. Vielen Dank!

Sendesperrfrist: 5. Juli 2005, 11:00 Uhr


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