Self Display

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BUT WHO AM I? SELF DISPLAY DIE BEEINFLUSSUNG DER IDENTITÄT DURCH WERBUNG UND KONSUM





SELF DISPLAY



SELF DISPLAY DIE BEEINFLUSSUNG DER IDENTITÄT DURCH WERBUNG UND KONSUM



WER IST DER MENSCH, DER IN DIE WELT GEWORFEN WIRD UND AUFGEFORDERT IST, SICH SELBST ZU ERFINDEN?



FOREWORD

Self Display

In Zeiten der Werbefluten bekommen wir täglich Angebote unterbreitet, wer und wie wir sein können. »Self Display« legt die gesellschaftlichen und psychologischen Prozesse der Beeinflussung der Identitätsfindung durch Medien und Werbung offen. Dabei stellt sich letztlich die Frage, wie frei wir bei der Erfindung unseres Selbst wirklich sind, und wie wir mit der Freiheit umgehen, die uns umgibt. Welche Rolle spielt dabei das sich stetig erneuernde Konsumbedürfnis und welche Motivation liegt ihm zugrunde? Der Konsum bietet die Möglichkeit, uns stetig neu zu definieren, leistet Hilfe beim Finden unserer Selbst. Er offeriert Welten und das Angebot, in diese einzutauchen und in unsicheren Zeiten Halt zu finden. Wir können gefällte Entscheidungen und uns stetig umformen und erneuern. Und wir machen davon Gebrauch. Doch was steckt dahinter? Dieses Buch kombiniert Texte verschiedenen Ursprungs (philosophischer, soziologischer, psychologischer und literarischer Art), bringt sie zu einem Gedankenspiel in Zusammenhang und führt stellvertretend einen inneren Monolog. Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, anhand derer das heutige Sein und die Entwicklung der eigenen Identität reflektiert und hinterfragt werden kann. Im Mittelpunkt steht unser Umgang mit und unsere Reaktion auf Werbung und Konsum und die Rolle, die diese bei der Frage spielen, wer und wie wir sein wollen. Die Texte kommentieren und relativieren sich implizit gegenseitig und treten in einen eigenständigen Dialog. Durch ihren unterschiedlichen Ursprung zeitlicher und thematischer Art wird eine Universalität geschaffen. Es entsteht eine Distanz und Allgemeingültigkeit anhand derer offensichtlich wird, dass die Fragestellung zeitlich weit über das Gegenwärtige hinaus geht. Bleibt am Ende die Erkenntnis, dass hinter allem der Versuch verborgen steckt, der eigenen Vergänglichkeit zu entgehen?


Contents

Prologue 32

FJODOR DOSTOJEWSKI

Chapter 1 46

DEDICATE YOURSELF DAS ERSTE PRINZIP DES EXISTENZIALISMUS aus: Gesammelte Werke (Broschiert)

FREE YOURSELF

ERICH FROMM

WIR KÖNNTEN GÖTTER WERDEN

aus: Haben oder Sein

Chapter 2

EXPRESS YOURSELF

JUDITH MAIR SILKE BECKER

FAKE FOR REAL

aus: über die private und politische Taktik des So-Tun-Als-O b

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GUY MADDIN

MY WINNIPEG

taken from the Motion Picture

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RUDOLPH SOMMER

PROZESS DER INDENTITÄTSFINDUNG

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94 96

HANS M. ENZENSBERGER

RICHARD SENNETT

aus: Psychologie des Verbrauchers

DER AUGENSCHEIN aus: Zukunftsmusik

DIE TYRANNEI DER INTIMITÄT aus: Verfall und Ende


Chapter 3 104 108 110 136 144 160 164

THEODOR W. ADORNO

RECOGNIZE YOURSELF DIE MOTIVE aus: Eingriffe, neun kritische Modelle

MARCEL PROUST

MADELEINE

aus: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

CHRISTIAN SCHEIER

DAS GEHEIMNIS STARKER MARKEN

aus: Wie Werbung wirkt – Erkenntnisse im Neuromarketing

CHRISTIAN KRACHT

FASERLAND

MARTIN LINDSTRÖM

DIRK V. LOWTZOW

J. G. BALLARD

aus: Faserland

BUY - OLOGY aus: How everything we believe why we buy is wrong

IMITATIONEN aus: Die Kapitulation

THE TRANSLATOR aus: Crash


Contents

Chapter 4

CHALLENGE YOURSELF

170

JA/ PANIK

172

DIEDRICH DIEDRICHSEN

RADICAL CHIC

aus: Radical Chic

RICHARD DAVID PRECHT

KOLLEKTIVE SELBSTWAHL

aus: Warum wir alle nur noch uns selbst w채hlen

HERBERT MARCUSE

DER EINDIMENSIONALE MENSCH

182 194 210 214

MARC SIEMONS

MARC SIEMONS

ALLES HIN HIN HIN aus: The Angst and the Money

aus: Der eindimensionale Mensch

DIE NEGATION aus: Kapitalismus und Depression Bd.1

DIE VERZWEIFLUNG aus: Kapitalismus und Depression Bd.1


Chapter 5 220 224

238 288 294 306

BARBARA KRUGER

ACTUALIZE YOURSELF DIE JAGD aus: Die Jagd

FJODOR DOSTOJEWSKI

DAS BESTE IM LEBEN IST DIE BLAUSÄURE

aus: Das Schwindelerregende Volksbühne Berlin

ASKEGAARD BELK/ GER

THE FIRE OF DESIRE

ASKEGAARD BELK/ GER

JOHANN W. GOETHE

CARL HEGEMANN

aus: Journal of Consumer Research

THE CYCLE OF DESIRE aus: Jourmal of Consumer Research

DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER aus: Die Leiden des jungen Werther

DIE VERWAHRLOSUNG aus: Kapitalismus und Depression Bd. 2



a part of you



a part of you



a part of you



a part of you



a part of you



a part of you


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/ fauser jรถrg

D E D I C ATE 34


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YO U R S E LF 35


PROLOGUE 36


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DER MENSCH IST NICHTS ANDERES ALS DAS, WOZU ER SICH MACHT.


jean paul sartre

Dostojewski schrieb: wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt. In der Tat ist alles erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und folglich ist der Mensch verlassen, denn er findet weder in sich noch auĂ&#x;er sich einen Halt.

er sich geschaffen haben wird. Folglich gibt es keine menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, sie zu ersinnen. Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht. Das ist das erste Prinzip des Existentialismus.

Der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, fßr all das verantwortlich ist, was er tut. Der Mensch, wie ihn der Existentialist versteht, ist nicht definierbar, weil er zunächst nichts ist. Er wird erst dann und er wird so sein, wie er sich


F R E E YO


OURSELF


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st

Chapter


A TIMELESS LAND. WHERE HORSES RUN FREE. WHERE SOME MEN DO WHAT OTHERS ONLY DREAM ABOUT.

DIE PRÄRIE COME TO WHERE THE FLAVOUR IS


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WIR WAREN IM BEGRIFF GÖTTER ZU WERDEN.

Die große Verheißung unbegrenzten Fortschritts – die Aussicht auf Unterwerfung der Natur und auf materiellen Überfluß, auf das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl und auf uneingeschränkte persönliche Freiheit – das war es, was die Hoffnung und den Glauben von Generationen seit Beginn des Industriezeitalters aufrechterhielt. Zwar hatte die menschliche Zivilisation mit der aktiven Beherrschung der Natur durch den Menschen begonnen, aber dieser Herrschaft waren bis zum Beginn des Industriezeitalters Grenzen gesetzt. Von der Ersetzung der menschlichen und tierischen Körperkraft durch mechanische und später nukleare Energie

bis zur Ablösung des menschlichen Verstandes durch den Computer bestärkte uns der industrielle Fortschritt in dem Glauben, auf dem Wege zu unbegrenzter Produktion und damit auch zu unbegrenztem Konsum zu sein, durch die Technik allmächtig und durch die Wissenschaft allwissend zu werden. Wir waren im Begriff, Götter zu werden, mächtige Wesen, die eine zweite Welt erschaffen konnten, wobei uns die Natur nur die Bausteine für unsere neue Schöpfung zu liefern brauchte. Männer und in zunehmendem Maß auch Frauen erlebten ein neues Gefühl der Freiheit.


erich fromm

Sie waren Herren ihres eigenen Lebens; die Ketten der Feudalherrschaft waren zerbrochen, sie waren aller Fesseln ledig und konnten tun, was sie wollten. So empfanden sie es wenigstens. Und obwohl dies nur für die Mittel- und Oberschicht galt, verleiteten deren Errungenschaften andere zu dem Glauben, die neue Freiheit werde schließlich allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute kommen, wenn die Industrialisierung nur im gleichen Tempo voranschreite. Sozialismus und Kommunismus wandelten sich rasch von einer Bewegung, die eine neue Gesellschaft und einen neuen Menschen anstrebte, zu einer Kraft, die das Ideal eines bürgerlichen Lebens für alle

aufrichtete: der universale Bourgeois als Mann und Frau der Zukunft. Leben erst alle in Reichtum und Komfort, dann, so nahm man an, werde jedermann schrankenlos glücklich sein. Diese Trias von unbegrenzter Produktion, absoluter Freiheit und uneingeschränktem Glück bildete den Kern der neuen Fortschrittsreligion, und eine neue irdische Stadt des Fortschritts ersetzte die »Stadt Gottes«. Ist es verwunderlich, daß dieser neue Glaube seine Anhänger mit Energie, Vitalität und Hoffnung erfüllte? AUS: HABEN ODER SEIN


EXPRESS Y 54


YO U R S E L F 55


WELCHE IDEN DA IHNEN ANB

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nd 56

Chapter


NTITÄT ARF ICH IETEN?

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MIT WEIT AUFGERISSENEN AUGEN ZU SCHAUEN, ZU LESEN, ZU HÖREN. WEIL JA NICHTS VON VORNHEREIN UNWICHTIG SEIN KANN FÜR DIE DÜNNE GEGENWARTSMEMBRAN


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BE THE F

TO GET IN TO

BRAND N 60


FIRST ONE

OUCH WITH THE

NEW YOU 61


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FAKE FOR REAL

mair & becker

FAKE FOR REAL

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ie Gegenwart besteht aus einem verflochtenen Image- und Medien- Dickicht durch Wirtschaft, Kultur und Politik. Damit sind die Vorzeichen, unter denen die vermeintlich freie Wahl der Möglichkeiten steht, komplett andere. Das Spiel mit multiplen Identitäten, kulturellen Accessoires und einem collagenhaften Sowohl als auch- Lebenswandel wird zum Motor eines kulturellen Kapitalismus, dessen Marken, Vermarktungskonzepte und Werbebotschaften uns Zugang zu anderen wählbaren Welten und Identitäten anbieten.

UND SO GREIFEN WIR, UM UNSER ICH ERFOLGREICH AUF DEM MARKT DER MÖGLICHKEITEN ZU PLATZIEREN, AUF ZEICHEN UND SYMBOLE ZURÜCK, VON DENEN WIR HOFFEN, DASS SIE UNS DIE SO BITTER BENÖTIGTE INDIVIDUALITÄT VERLEIHEN.

Für die erfolgreiche Inszenierung und Vermarktung des Selbst steht ein reichhaltiger Zeichenfundus, ein sich ständig erneuerndes Sortiment an Gesten, Dingen, Verhaltensweisen, Markenpersönlichkeiten und Logos zur JUDITH MAIR & SILKE BECKER

DAS GANZE GEHAMPEL WURDE MIT EINER THEATRALISCHEN UND SELBSTBEWUSSTEN BESESSENHEIT DURCHGEZOGEN, DIE AN PARODIE GRENZTE, WIR SPIELTEN MANHATTEN IN DEN FÜNFZIGERN. JULIE BURCHILL


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einer Geste der Lässigkeit vorgetragen – einen paradoxen Spagat zwischen Konformität und Individualität zu bewältigen: Man will dazu gehören und gleichzeitig anders sein, und so gehen die einen als konforme Individualisten durchs Leben, während die anderen der Rolle des individuellen Konformisten den Vorzug geben. Wie immer, wenn es sich um Abgrenzung und Dazugehörigkeit dreht, ist auch die entsprechende Marke zur Stelle. WAR DIE MARKE FRÜHER NICHT MEHR ALS DER STEMPEL VON WAREN ODER AUCH DIENSTLEISTUNGEN, HAT SIE SICH HEUTE VON DEM PRODUKT ALS SOLCHEM EMANZIPIERT UND WIRD IM KULTURELLEN KAPITALISMUS

LOSGELÖST VON

KONKRETEN PRODUKTEN ZUM EIGENEN

AUTONOMEN

WERTESYS-

TEM UND SINNLIEFERANTEN

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EINE WARE SCHEINT AUF DEN ERSTEN BLICK EIN SELBSTVERSTÄNDLICHES DING. IHRE ANALYSE ERGIBT, DASS SIE EIN SEHR VERTRACKT IST, VOLL METAPHYSISCHER SPITZFINDIGKEIT & THEOLOGISCHER MUCKEN. KARL MARX

DAS ZIEL DER MARKENTECHNIK IST DIE SICHERUNG EINER MONOPOLSTELLUNG IN DER PSYCHE DER VERBRAUCHER. HANS DOMIZLAFF

Wie immer die Wahl auch ausfällt und zu welchen individuellen und konformen Symbolen man greift, zu jedem Symbol und Zeichen gibt es einen Katalog mit nicht enden wollenden Variationen der immer gleichen Frage, ob das gewählte Zeichen auch als Aussage der eigenen Persönlichkeit taugt. Auswahl, Einsatz und Anprobe der »richtigen« Zeichen genügen für die perfekte Inszenierung noch lange nicht. Denn darüber, ob die mühsam ausgewählten Marken, Gesten oder Dinge tatsächlich zum Zeichen der gewünschten Aussagen taugen, entscheiden immer noch die anderen. Die Welt wird, wie Goffman gezeigt hat, »zur Bühne, einer ziemlich komplizierten Bühne sogar«, mit Publikum, Haupt-, JUDITH MAIR & SILKE BECKER

Neben- und Laiendarstellern und Statisten, mit Zuschauerraum, Kulisse, Drehbuch und dem Zeichensortiment als Requisiten- und Kostümfundus, aus dem sich jeder das herauspickt, von dem er glaubt, dass es die gewünschte Rolle, für die man sich entschieden hat, möglichst präzise darstellt.

Das sich hier auftuende Spiegelkabinett aus Sein und Schein, aus realer Fiktion und fiktionaler Realität sowie der Umstand, Objekt in den Augen anderer zu sein und damit der Zwang, sich auf der Bühne zu inszenieren, ist mal Segen und mal Fluch, meistens Pflicht und selten Kür. Beim Blockbuster »I ch « wird der dröge Alltag zum Film: Ob dicht hintereinander geschnittene Sequenzen, schonungslose Nahaufnahmen oder weite Totalen: Man gibt seine Rolle für die anderen zum Besten, die anderen wiederum für einen selbst und jeder hat dann als Publikum, Drehbuchautor, Darsteller und Produzent alle Hände voll zu tun. So ergibt sich um einen herum eine nicht enden wollende Reihe von Aufführungen: Lang geprobte, aufwändige Inszenierungen, Low-Budget Produktionen, spontane Happenings, experimentelle Performances, gewolltes und ungewolltes Improvisationstheater, im Detail getreue Hollywood Evergreen Remakes, nicht enden wollende Dramen, theorielastige Epiloge und lang angekündigte Premieren – und immer wieder Programmänderungen. Ist man – ob in der U-Bahn oder bei der Taufe des Neffen – Publikum einer außergewöhnlich gelungenen Vorstellung geworden, ist es heute nicht unüblich, die überzeugende Darstellung mit dem Prädikat »Grosses Kino« auszuzeichnen, während dem Missfallen über eine


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schlechte Aufführung seit jeher mit »Ich glaube, ich bin im falschen Film« Ausdruck verliehen wird. Die bequeme Rolle des Publikums, in der man sich wie im »echten« Kino mit einer Tüte Popcorn in der Hand gemütlich zurücklehnen kann und wartet, was einem so geboten wird, ist zwar gefragt, wird aber nicht oft vergeben. Gute Chancen, eine Rolle als Publikum zu erhaschen, hat man eher bei spontanen, öffentlichen Vorführungen wie sie sich in hin und wieder in Einkaufspassagen, der Schlange im Supermarkt oder an Straßenkreuzungen ereignen. Wo es nicht mehr um Besitz geht, sondern um Teilnahme, nicht mehr um das Produkt, sondern um Effekte, nicht mehr um Sein, sondern um Schein und die Hälfte der Kapitalwerte der Unternehmen aus immateriellen Werten und nicht aus harten Vermögenswerten besteht, wird der Prozess der Vermarktung entscheidender als der der Produktionsweise. ABER SO GEHT ES IM LEBEN: MAN MEINT, MAN SPIELE SEINE ROLLE IN EINEM BESTIMMTEN SPIEL UND AHNT NICHT, DASS INZWISCHEN AUF DER BÜHNE UNBEMERKT DAS DEKOR AUSGEWECHSELT WORDEN IST, MAN UNVERMUTET IN EINEM ANDEREN STÜCK MITSPIELT UND ES AN DER ZEIT IST, DIE ROLLE ZU ÜBERDENKEN.

Oder wie Rifkin sagt, die Organisation der Konsumtion wird in diesem Jahrhundert genauso wichtig sein wie es im vergangenen die Organisation der Produktion gewesen ist. Die entscheidenden Zutaten, die Rohstoffe des kulturellen Kapitalismus, sind nicht Kaut-

schuk, Aluminium oder Stahl, sondern Images, Ideen, Erlebnisse oder Werbung, Haltung und Orinetierung. Die Konsequenz dieser Entwicklung in der westlichen Konsumwelt ist ebenso schlicht wie unübersehbar:

1. DAS MARKETING WIRD ZUM KERN JEDES GE– SCHÄFTSMODELLS, 2. DIE PRODUKTION ZU EINEM IHR ANGEGLIEDERTEN UND UNTERGEORDNETEN BEREICH, 3. DAS PRODUKT ZU EINEM MARKETINGINSTRUMENT UNTER VIELEN, 4. DAS IMAGE ZUR IDEOLOGIE, 5. UND MARKEN ZU KULTURELLEN ACCESSOIRES. Damit wäre auch das Lieblingskind des nachindustriellen, auf ideellen und kulturellen Feldern operierenden kulturellen Kapitalismus gefunden: die Marke. Für einen diverse Erfahrungsmöglichkeiten liefernden und Sinn fabrizierenden kulturellen Kapitalismus ist sie das, was das Produkt für den auf Eigentum und Besitz forcierten industriellen Kapitalismus war. War die Marke früher nicht mehr als der Stempel von Waren oder Dienstleistungen, hat sie sich heute von dem Produkt als solchem emanzipiert und wird im kulturellen Kapitalismus, losgelöst von konkreten Produkten und Verkaufskontexten zum eigenen, autonomen Wertesystem und Sinnlieferanten Wertesystem und SinnlieferantenWertesystem und entsprechenden Sinnlieferanten Anders gesagt: Der hart umkämpfte Markt liegt nicht mehr im Supermarkt um die Ecke, sondern im Kopf des Verbrauchers. Glaubt man der gängigen Literatur, funktioniert eine starke Marke heute als Repräsentant bestimmter Werte, einer Lebensauffassung oder gar einer eigenen Philosophie. Sie zeichnet sich durch eine unverwechselbare Haltung und einen EXPRESS YOURSELF

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hohen Bekanntheitsgrad und Wiedererkennungswert aus, sie genießt Respekt, ihr Markenbild provoziert eine Menge an positiv besetzten Assoziationen. Sie drängt in den Bereich der Lebensphilosophie, der Identitätsbildung und Sinnstiftung und bewirbt sich damit um die Rolle, die traditionellen Wegweisern und Identitätsstiftern wie der Politik, der Religion oder Familie einmal zukamen.

ven Muster, »Marken zu Mythen« und »Logos zu Hostien«, wie Nobert Bolz und David Bossart in Kultmarketing zum Besten geben.

HALTUNG DURCH MARKEN

Nicht zu unterschätzen: Die Rolle des Konsumenten.Denn erst durch ihn wird sie zu dem, was sie sein soll – so die Meinung der Markentechniker und -experten. Der Konsument ist es, der

Damit wird das Marketing als die um die Marke herumgestrickte Propaganda zu einem der populärsten kollekti-

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ALS SUBSYSTEM VERMITTELT DIE MARKE ORIENTIERUNG UND LIEFERT EINE EIGENE WERTE- UND ERLEBNISWELT.


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das Markenimage füttert und im besten Fall für glaubwürdig erklärt. Ohne Konsument keine Marke, denn genau genommen ist er der Urheber und Produzent des Images. Wenn Marc Jacobs auf die Frage, was ihm von seinem ersten Abend im Studio 54 in Erinnerung geblieben sei, antwortet, dass er wohl ein Paar Chucks getragen habe, und Kurt Cobain auf dem legendären Foto nach seinem Selbstmord ein Converse Modell trägt, ist das eine mehrstellige Einzahlung auf das Imagekonto des Unternehmens. Wenn im britischen Big Brother-Container eine als dümmlich verschriene Kandidatin permanent im Burberry-Bikini durchs Haus spaziert, bedeutet das wiederum eine größere Abbuchung von der Image-Haben Seite, die möglicherweise sogar bis zur Kontosperrung führen kann. MARKEN DEFINIEREN GEGENWÄRTIG EINE PERSÖNLICHE HALTUNG ZU DER WELT, SIE POSITIONIEREN INDIVIDUEN WIE ES FRÜHER STANDESUNTERSCHIEDE ÜBERNAHMEN. MARKE UND PRODUKT ERMÖGLICHEN DIE PARTIZIPATION AN EINER FIKTIVEN GEMEINSAMEN WELT,

in der die sozialen Unterschiede zwar nicht als solche verschwinden, aber in neue Trennlinien übergehen«, so Alexander M eschig . Und so bastelten die Markenexperten ständig an ansprechenden Projektionsflächen und Leistungen, damit der »Image-Transfer« auch gelingt und die Marke nicht als künstlich und hohl erlebt wird. Markenspezialisten reden von einer solchen Marke als brand–driven (statt product-driven), und von »Unique

Brand Behaviour«: »Wir verkaufen eine Philosophie – das Motorrad gibt es kostenlos dazu«, kokettiert Harley Davidson, und Charles Revlon, Chef des Kosmetikkonzerns Revlon erklärt: »In unseren Fabriken produzieren wir Produkte, an der Ladentheke verkaufen wir Hoffnung.« Laut Jägermeister, dem Kräuterschnaps mit dem Hirschkopf-Logo, ist das Ziel ihrer Branding-Strategie erst dann erreicht, wenn die Leute, denen ein Hirsch vors Auto springt, sofort an Jägermeister denken. Renzo Rosso, Chef des italienischen Fashion-Labels Diesel lässt wissen: »Wir verkaufen einen Lebensstil. Ich glaube, wir haben eine Bewegung geschaffen. Das Diesel-Konzept ist alles. Es ist die Art zu leben, die Art Kleidung zu tragen, die Art, etwas zu tun.« Über einen Mangel an Bereitwilligen für ein gutes Gelinge »Image-Transfers« kann man sich nicht beklagen. Wir pilgern zu NikeTown und Adidas-Flagshipstores wie einst unsere Großeltern zu Kathedralen und Wallfahrtsorten, um anschließend ähnIich leidenschaftlich über Glaubensfragen zu debattieren. Man findet nichts dabei, zu einem Auswärtsspiel in die AOL Arena einzufallen, im Playmobilstadion von Greuther Fürth (wieder ein Auswärtsspiel) zu stehen und seinem Lieblingsverein nicht zujubeln zu können, ohne gleichzeitig auch den Logos sauf seinen Trikots zu huldigen. Wie in der Weltwoche (27/04) zu lesen war, hat sich auch die Wissenschaft dem kulturellen Phänomen genähert und erklärt, dass der iPod seine Benutzer in eine »perfekte, selbstkontrollierte B lase « verfrachtet, die selbst Warteschlangen oder den morgendlichen Weg zur Arbeit erträglich werden lässt. Und auch denjenigen, denen das nötige Kleingeld fehlt, kann geholfen EXPRESS YOURSELF

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WIR SIND KONSUMENTEN. UNS GEHT ES UM TURNSCHUHE, MUSIK & JEEPS. UNSER LEBEN, UNSERE FREIHEIT, UNSER GLÜCK & UNSERE WUNDER SIND DIE MARKEN IN DEN REGALEN UNSERER STORES. KALLE LASN


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werden: Einfach die weißen Kopfhörer »im typischen iPod-Look« bestellen, da macht es auch nichts, wenn das Kabel zu einem gewöhnlichen mp3-Player führt oder sich als bloßes Accessoire herausstellt. Oder, wie Douglas Coupland einmal in Neon zum Besten gab: »Ich finde Autoren schrecklich, die im Jahr 2003 Sätze schreiben wie: »Er stieg in seinen Wagen und fuhr zu dem Supermarkt.« Nein, es muss heißen: »Er stieg in seinen Honda Accord und fuhr zu Wal-Mart.« EINE AUSWAHL DER ZEICHEN ERFOLGT MIT GROSSER SORGFALT, DIESER BESTEHENDE EIGENE ZEICHENSATZ WIRD IMMER WIEDER GEPRÜFT UND ERGÄNZT. KEIN EINFACHES UNTERFANGEN, BEI DER UNMENGE DER INTENDIERTEN AUSSAGEN, DIE MAN, MÖGLICHST NOCH ALLE ZUR GLEICHEN ZEIT, ÜBER SICH TREFFEN WILL.

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ES GILT, EINE WELT FREIER ENTSCHEIDUNGEN ZU SCHAFFEN, EINE WELT, IN DER ERSCHEINUNGEN SICH ENDLICH WIEDER IN BEZIEHUNGEN SETZEN KÖNNEN, DIE FREI SIND VON FIBELHAFTER SERVILER CAUSALITÄT UND BORNIERTER, ZEIGEFINGERNDER CONSECUTIO. SIGMAR POLKE

Von einem anderen Tummelplatz der zu kulturellen Accessoires gewordenen Marken erzählt das Anfang 2003 ins Leben gerufene »American Brandstand R esearch P roject « , eine Art semiotisches Barometer, das die in den platzierten Songs der Top TwentyBillboard Charts erwähnten Marken auflistet und damit zeigt »that pop culture relevance is a key dynamic in modern brand strategy«. Laut Brandstand wird in fast 40 Prozent aller platzierten Songs mindestens eine Marke erwähnt, Sieger der Gesamtwertung der vergangenen Jahre ist unangefochten die Marke Mercedes, die wir auf der Ende 2004 veröffentlichten Liste auf Platz 4 finden, gefolgt von Gucci auf Platz 5, Nike JUDITH MAIR & SILKE BECKER

auf Platz 9 und MTV auf Platz 13. Die Mechanismen des Marketing und des Branding reichen heute weit über die Marke »an sich« hinaus und sind längst zu einem der bestimmenden gesellschaftlichen Strickmuster geworden. Die Vermarktung wird zum universellen Gestaltungsmuster, das Image zur Ideologie. Das Motto ist: Der Schein trügt nie – wahr ist, was gut gemacht ist. Wobei die Frage lautet: Wie stellt sich eine private Kultur dar, die diese Ideologie reflektierend nun selbst zur Marke wird und um Image und Marketing kreist? Selbst die Imagearbeit an der Marke Deutschland gibt man in marketingerprobte Hände, um dafür zu sorgen, dass Deutschland sich nicht »von der Premium- zu MainstreamMarke entwickelt«. Passend zur Fußballweltmeisterschaft 2006 haben die Bundesregierung und der BDI Anfang des Jahres eine neue Image-Kampagne ausgelobt. Die zuständige Agentur wurde Scholz & Friends, der abgesegnete Slogan »Deutschland – Land der Ideen«, die Zielgruppe werden potenzielle Direktinvestoren im Ausland sein, der Etat für die beiden Laufjahre beträgt 32 Millionen Euro und stammt aus der Kasse des Bundes sowie einer ganzen Riege deutscher Unternehmen.

Das Ich als und Selbstproduktion statt Selbstfindung getreu der Devise »Copy and paste «. Die dazugehörige, wenn man es so nennen mag, kulturelle Taktik fordert dazu auf, in immer wieder neue Identitäten zu schlüpfen, diese anund auszuprobieren wie Kleidungstücke, die man keinen Tag länger trägt als bis zu dem, an dem man das Gefühl hat, aus ihnen herausgewachsen zu sein. Die Version des Ich gilt hier nur bis auf weiteres, sie erhebt keinen Anspruch


SELF TANTALUS DISPLAY

auf Gültigkeit, sampelt Versatzstücke und ironische Anspielungen. Das vermeintlich Gewachsene und Unverstellte wird ersetzt durch das Zitat und der Anspruch auf Authentizität durch Geltung der Oberfläche: Das Ich als Geschmacksmuster und Selbstproduktion statt Selbstfindung getreu der Devise »Copy and paste«. Unangefochtene Anführerin des »Express yourself— bediene dich aus dem Fundus an TypenSchablonen und Klischees« ist immer noch und schon wieder Madonna. Ihre letzte Tour trug konsequenterweise den

Namen »Reinvention-Tour«, und Icon ist der Titel des vierteljährlich erscheinenden Magazins ihres größten offiziellen amerikanischen Fan-Clubs. Als Experte des »Erfinde dich selbst« begegnet uns auch Adam in Sadie Smiths Roman Der Autogrammhändler, »der jeden Sommer von einer schlecht passenden Identität zur nächsten getaumelt ist; der Hippiephasen durchgemacht hat, Grunge, Kaffeehausgangster, Back to the Roots (»Black is Beautiful«, Repatriierung, Rastafurismus), Anglophili, Amerika-

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HABEN WIR ETWA BEHAUPTET, WIR WOLLEN FREIHEIT, MOBILITÄT UND VERÄNDERUNG? ENTSCHULDIGUNG, ABER KÖNNTEN WIR STATT DESSEN AUCH KONTINUITÄT, GEMEINSCHAFT UND TRADITION BEKOMMEN? JULIE BURCHILL

DER AUGENBLICK DER ENTSCHEDUNG, DAS IST DER WAHNSINN SOREN KIERKEGAARD

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nisierung, Afros, glatt gezogen, rastalockig, kahl geschoren, weite Jeans, knallenge Jeans, weiße Mädchen, schwarze Mädchen. Wobei sich einzig die interessante Frage stellt: »Wie ist er von da nach hier gekommen?« Trotz erstklassiger Fachfrauen und Fachmänner des Erfinde dich selbst und des Spiels mit überhitzten Zeichen – und der noch viel größeren Zahl sympathischer Dilettanten und Dilettantinnen, werden immer wieder die Stimmen derer laut, die »wieder falsche Echtheit statt echter Falschheit« (Diedrich Diederichsen ) fordern. Es sind die Stimmen all der Authentizitätsfreaks, die nichts davon hören wollen, dass gerade die authentische Pose mit ihrem humorlosen Alleingültigkeitsanspruch unter all den gebrochenen, verfeinerten, verfremdeten oder überspitzten Ich-Zitaten langsam zur Karikatur verkommt. Wie schwierig es hingegen tatsächlich ist, sich nicht zu erfinden und nicht mit der Art und Weise, wie man sich kleidet, keine Aussagen über seine Identität zu treffen und »symbolfreie« Zeichen ohne Botschaft aufzutreiben, zeigt uns wiederum Cayce Pollard, die Heldin aus dem Roman Mustererkennung: »Dorotheas Outfit will, bei aller scheinbaren Schlichtheit, immer noch mehrerlei auf einmal sagen, und das mindestens in drei Sprachen.« Da Cayce zu lange den »Reaktorkernen der Mode« ausgesetzt war, hat sich »das Spektrum dessen, was sie tragen kann und will, gnadenlos eingeschränkt«. Sie sucht nach den neutralen Symbolen mit semiotischem Nullwert und verfolgt einen konsequenten Minimalismus. Cayce trägt »Cayce-Pollard-Units«, CPUs, unauffällige Kleidungsstücke, penibel befreit von Markenlabels, deJUDITH MAIR & SILKE BECKER

nen so der Mund verboten wurde und die im Idealfall »nichts« sagen. »Sie verträgt nur Sachen, die in jedem beliebigen Jahr zwischen 1954 und 2000 unkommentiert durchgegangen wären. Sie ist eine designfreie Zone, eine EinFrau-Verweigerungsbewegung«, so ihr Erfinder William Gibson.

DAS ENDE DER AUSSCHLIESSLICHKEIT Das An- und Ausprobieren unterschiedlicher Identitäten ist mehr als ein nettes ästhetisches Experiment oder harmloser Zeitvertreib. Es zeigt sich als kluge Anpassungsübung auf sich verändernde gesellschaftliche Verhältnisse sowie das Ausagieren der Widersprüche, die der Kapitalismus tagtäglich zu uns durchreicht. Das Spiel mit Images, Marken und inszenierten Identitäten und die Kommunikation durch Zeichen und Symbole ist eine kulturelle Taktik: Eine Anpassungsübung in einer Kultur, in der sich Fiktion und Realität vermischen, die Flexibilität und den Wandel zur Tugend erklärt. Eine Kultur, in der das Authentische zu einer Pose unter vielen wird, Erwachsensein sich in seiner Sex-and-Drugs and-Rock’n’Roll Geste gefällt, Erfolg zur marketinggeschürten Jeder-kann-wenn-er-nur-will Phantasie wird und Politik als Entertainmentformat im Plauderton daherkommt – und denjenigen, die mit diesen Anpassungsübungen begonnen haben, ist das durchaus bewusst. Das wiederum kann nur einen Weg zulassen: Das Leben im paradoxen Modus des Sowohl–als– auch. Die im kulturellen Kapitalismus zirkulierenden, inszenierten Botschaften und Bilder als Schablonen und Storyboards, an denen man sich orientiert,


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sind geborgt. Wie mit den verfügbaren Schablonen und Storyboards gearbeitet wird, hat Eva Illouz in Der Konsum der Romantik anhand des Glaubens an die romantische Liebe – eint; der größten kollektiven postmodernen Utopien – gezeigt, indem sie die wechselseitige Verstrickung von romantischer Liebe und kulturellem Kapitalismus filetiert hat. Basierend auf dem Ausspruch Rochefoucaulds, »Viele Menschen würden sich niemals verlieben, wenn sie nicht so viel davon gehört hätten«, fächert Illouz auf, wie die in den Werbebildern, Produkten und Marken der Konsumkultur symbolisierten Vorstellungen und Bedürfnisse unser Bild von der romantischen Liebe verfärben und prägen. Dabei lautet ihre Frage, warum ein »bestimmtes kulturelles Gefühlsvokabular« populärer ist als ein anderes. Um es mit Illouz zu sagen: »Warum ist das Bild eines Paares, das Hand in Hand am Meer entlangspaziert verbreiteter als das Bild, das Mann und Frau gemeinsam vor dem Fernseher zeigt? Warum erinnern sich die meisten Menschen leichter an kurze und intensive Affären als an sich langsam entwickelnde Beziehungen?« ES REICHT AUS, SICH EINZELNER VERSATZSTÜCKE UND EINZEILER ZU BEDIENEN. ES GEHT EINZIG DARUM, AUCH DIESE ROLLE EINMAL IM REPERTOIRE GEHABT ZU HABEN.

Die kulturelle Praktik des Als-ob und ihre Wechselwirkung in die politische Ökonomie und Populärkultur zeigt sich auch außerhalb »des Konsums der Romantik« jeden Tag in unterschiedlichen Facetten, wobei wir die folgenden zwei Fälle betrachten wollen: Als erstes wer-

fen wir einen Blick auf die weit verbreitete Angewohnheit, einen Lebensstil zu kultivieren, den man sich, mit Blick auf die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse, »eigentlich« nicht leisten kann, um uns dann die von Politikpropaganda und Markenwerbung kreierte hohle Geste des Als-ob-Unternehmerdaseins anzuschauen, mit dem die Selbstständigkeit heute als das unbeschwerte Einkommensideal des 21. Jahrhunderts angepriesen wird.

Mit dem Entstehen stehen der multiplen Optionsgesellschaft wurde dann auch der Multiple-Choice-Modus des Sowohl-als-auch eingeführt – Mehrfachnennungen möglich und durchaus gewünscht. Man hat die Qual der Wahl, die »Tyrannei der Möglichkeiten « (H annah A rendt ) gehört mit zum Programm, Kneifen gilt nicht, Eigenleistung ist nicht länger Kür, sondern Pflicht. Denn eine plurale Kultur bringt es mit sich, dass alles, die eigene Identität und der eigene Lebensstil bis ins Kleingedruckte hinein entscheidbar sind wobei die Frage »Was will ich eigentlich ?« zu denjenigen zählt, die häufigsten gestellt und immer neu beantwortet werden. Heraus kommt eine »Kultur des Entscheidens«. Der Zugriff auf das gut arrangierte Sortiment an Lebensstilen und Identitäten erlaubt, sich Fragen mehrmals zu stellen und, im Zweifel, diese immer wieder neu zu beantworten. An der Stelle einstiger, längst außer Kraft getretener Zuschreibungen und Anleitungen, die uns eindeutig sagen, wer und wie wir sein müssen, stehen heute variable Entwürfe ohne Allgemeingültigkeitsanspruch, aus denen wir uns bedienen können, ohne uns durch sie vereinnahmen zu lassen. Ganz im Gegenteil: Das EXPRESS YOURSELF

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FAKE FOR REAL

men zu lassen. Ganz im Gegenteil: Das Spiel mit Identitäten und Inszenierungen macht es möglich, sich für etwas zu entscheiden, ohne sich »voll und ganz « damit identifizieren zu müssen. Es erlaubt und fordert dazu auf, sich »andere« Identitäten und Meinungen auszuleihen und sich so Einlass zu unterschiedlichen Ebenen und Bereichen zu verschaffen. DAS SPIEL MIT IDENTITÄTEN UND INSZENIERUNGEN MACHT ES MÖGLICH, SICH FÜR ETWAS ZU ENTSCHEIDEN, OHNE SICH »VOLL UND GANZ« DAMIT IDENTIFIZIEREN ZU MÜSSEN.

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FAKE FOR REAL ueber die private und politische Taktik des So-tun-als-ob erschienen beim Campus Verlag Frankfurt/ New York, 2005

Die Sowohl-als-auch Identität eröffnet uns die Möglichkeit, das, was wir tun und wer wir sind, unter dem Gesichtspunkt des Vorläufigen zu betrachten, es mit einem Fragezeichen zu versehen oder in Anführungsstriche zu setzen. Um diesen Spagat zu bewältigen, ist es erforderlich, seine Rollen gut zu kennen und die Oberflächenwirkung immer wieder zu testen. Dabei ist es nicht zwingend notwendig, alle gewählten Rollen und Oberflächen bis zur Perfektion durchzuexerzieren. So ist es nicht unüblich, zwei und manchmal sogar mehrere Lebensmodelle und Identitäten parallel zu verfolgen. Das, was der Bauer früher Drei-Felderwirtschaft nannte, kommt hier zu neuen Ehren: Während man auf dem einem Feld sät, beackert man das andere und erntet auf dem dritten. Wir sind es gewohnt, in jeder Situation nicht das Endgültige, sondern das Vorläufige als nächste Stufe zu einer weiteren Begebenheit zu erkennen. Im Kopf präsent ist stets das »Sowohl-als-auch«, das AbwäJUDITH MAIR & SILKE BECKER

gen zwischen potenziell eintreffenden Möglichkeiten. »Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann« philosophiert Francis Picabia heute auf Postkarten in Fußgängerzonen. Mittlerweile wechselt das Denken nicht nur die Richtung, es überholt sich noch gleichzeitig und sieht sich dabei zu. Man reflektiert Entscheidunegn und kategorisiert es mit den Augen des imaginären Kritikers noch vor der Premiere. Denn was der kulturelle Kapitalismus verlangt, ist nicht mehr nur ein chamäleonartiger Wechsel zwischen den Lebensstilen oder zwischen dem, was urtümlich Arbeit bedeutet, und dem, was Spaß verspricht, sondern ein komplexes Zusammenspiel des Empfindens und Entscheidens und der eigenen Beobachtung und Reflexion über Empfundenes und Entschiedenes – noch ehe es überhaupt empfunden und entschieden wurde. Am treffendsten lässt sich dieses Phänomen mit dem Prinzip des »Rhizoms«, das Gilles Deleuze und Felix Guattari bereits 1977 aufgestellt haben, vergleichen. Das der Botanik entlehnte Kommunikationsmodell gleicht nicht einer hierarchischen, baumartigen Struktur, sondern verflicht sich vielmehr wie ein Wurzelsystem (Rhizom) ohne Hauptwurzel und somit, auf die Kommunikation bezogen, ohne erkennbare Kausalkette aus einem Gefüge immer neuer Ebenen. Kurz gesagt: das Rhizom verursacht Kopfzerbrechen und verlangt beinahe Unmögliches – einen paradoxen Spagat zwischen Konformität und Individualität zu bewältigen.


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GUY MADDIN MY WINNIPEG

/


DIE STADT WINNIPEG IST WIE EIN GROSSES, WEISSES BLATT PAPIER. KEIN MENSCH LÄUFT DORT GERADEAUS, ALLE SCHEINEN PFADEN ZU FOLGEN AUF DENEN IHRE VORFAHREN VIELLEICHT VOR ZEHN GENERATIONEN VON JAHREN GINGEN. MANCHMAL SIEHST DU EINEN MANN AUF DEM FUSSWEG EINEM BAUM AUSWEICHEN, DER DORT SCHON SEIT EINEM JAHRHUNDERT NICHT MEHR STEHT. DER NÄCHSTE LÄUFT UM EINEN BACH HERUM ODER TRITT ZURÜCK, UM EINE HERDE DAMMWILD VORBEI ZU LASSEN. SIE LAUEN HERUM WIE AUFGESCHEUCHTE HÜHNER BIS DU MERKST, DASS SIE EINFACH NUR SCHLAFWANDELN UND GEHEIMNISVOLLE IMPULSE IHRE SCHRITTE LENKEN.

WE SLEEP AS WE WALK, WALK AS WE DREAM

ALWAYS LOST WINNIPEG HAS TEN TIMES THE SLEEPWALKING RATE IN THE WORLD. BECAUSE WE DREAM OF WHERE WE WALK AND WE WALK TO WHERE WE DREAM ... WE ARE ALWAYS LOST ...

BEFUDDLED SO SLEEPY THE SLEEP-ON-FOOT-WINNIPEGER IS THE CITIZEN OF THE NIGHT THE WINNIPEG-NIGHT. WHY IS THIS SO? WHY ARE WE SO SLEEPY?

WHY? WHY CAN’T WE JUST OPEN OUR EYES? IS IT THE MYSTICLY PAIRED RIVER-FORKS? THE BIOMAGNETIC INFLUENCE OF OUR BISONS? THE POWERFUL NORTHERN LIGHTS?

WE DON’T KNOW WE SLEEP TAKEN FROM: THE MOTION PICTURE | USA 2003


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IDENTITAETSFINDUNG

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SELF DISPLAY

rudolf sommer

PROZESS DER IDENTITAETSFINDUNG

B

efassen wir uns jetzt etwas ausführlicher mit dem Prozess der Identitätsfindung oder -konstruktion in der heutigen Zeit. Allem voran wären drei wesentliche Faktoren zu bezeichnen, die diesen Prozess im wesentlichen bestimmen und prägen:

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1. DIE UMBRUCHSITUATION UNSERER POSTMODERNEN GESELLSCHAFT 2. DIE FRAGMENTIERUNG UNSERER IDENTITÄT 3. DIE LOSLÖSUNG DER IDENTITÄTSENTWICKLUNG VON VORGEGEBENEN MUSTERN Während wir uns in der Vergangenheit gewissermaßen »in einem vorgegebenen Identitätsgehäuse eingerichtet haben« (H. Keupp), hat die durch den Wegfall der geschlossenen Systeme, die uns in das »Identitätsgehäuse« quasi gezwungen haben, zu einer Befreiung im Sinne einer größeren Unbestimmtheit geführt. Stuart Hall bezweifelt die Einheitlichkeit und Stabilität der Identität in unserer heutigen Zeit: Während ich mich in der Vergangenheit eiEXPRESS YOURSELF

DAS SUBJEKT, DAS VORHER SO ERFAHREN WURDE, ALS OB ES EINE EINHEITLICHE UND STABILE IDENTITÄT HÄTTE, IST NUN IM BEGRIFF FRAGMENTIERT ZU WERDEN. ICH MUSS MEINE IDENTITÄT SELBST ERFINDEN. STUART HALL


IDENTITAETSFINDUNG

ner von außen vorgegebenen Identität angepasst habe oder anpassen musste, bin ich heute gezwungen, meine Identität selbst zu erfinden oder mich selbst als Identität zu inszenieren. Dies erfolgt in einem permanenten Rückkopplungsprozess zu meiner Umwelt.

DER WEG ZUR IDENTITÄT ICH MUSS MIR SELBST VERDEUTLICHEN, DASS MEINE HANDLUNG IN ÜBEREINSTIMMUNG MIT MEINEM

SELBSTKONZEPT

ERFOLGT.

SELBSTINSZENIERUNG WIRD SOMIT ZUR ABSOLUTEN NOTWENDIGKEIT FÜR EINE AUFRECHTERHALTUNG MEINER EIGENEN IDENTITÄT.

Während in der Vergangenheit der Prozess der Identitätsfindung immer mehr auf ein klares und vorbestimmtes Ergebnis zulief, ist der Ausgang jetzt ungewiss. Ich kann mir nicht sicher sein, wie ich beispielsweise meine Identität in zehn Jahren sehen und erleben werde, was mir dann wichtig und unwichtig ist und wie ich dies zum Ausdruck bringen möchte. Diese Entwicklung hat zwei wesentliche Konsequenzen:

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SICHER? DIESER RÜCKKOPPLUNGSEFFEKT, DER VON DER GESELLSCHAFT GELEISTET WURDE, WIRD IN ZUNEHMENDEM MASSE AUF MICH SELBST ÜBERTRAGEN.. HEINER KEUPP

1. DAS VERLASSEN GESICHERTER IDENTITÄTSZIELE FÜHRT ZU EINER GROSSEN VERUNSICHERUNG 2. DER SUCHPROZESS WIRD GEWISSERMASSEN VON DER KINDHEIT UND JUGEND AUF DAS GANZE LEBEN AUSGEDEHNT Wir befinden uns in einer permanenten Umbruchsituation, in der wir vergeblich Sicherheit suchen. Gleichzeitig gewinnt der Rückkopplungsprozess zwischen Verhalten und Identität an Bedeutung. Ich benötige ein deutlich RUDOLF SOMMER


SELF DISPLAY

höheres Quantum an Bestätigung meiner Identität, um so mindestens im Jetzt Sicherheit zu erlangen. Betrachten wir den Umbruch im Einzelnen, dann sehen wir, dass dieser auf allen Ebenen erfolgt. Heiner Keupp spricht von zehn »Umbruchserfahrungen in spätmodernen G esellschaften « , die nachstehend angeführt werden: 1. E NTGRENZUNG INDIVIDUELLER UND KOLLEK– TIVER LEBENSMUSTER: SUBJEKTE FÜHLEN SICH ENTBETTET 2. ERWERBSARBEIT ALS BASIS BRÜCHIG 3. MULTIPHRENE SITUATION WIRD ZUR NORMAL– ERFAHRUNG 4. VIRTUELLE WELTEN ALS NEUE REALITÄTEN 5. ZEITGEFÜHL ERFÄHRT EINE SCHRUMPFUNG DER GEGENWART 6. PLURALISIERUNG VON LEBENSFORMEN 7. DRAMATISCHE VERÄNDERUNG VON GESCHLECH– TERROLLEN 8. INDIVIDUALISIERUNG VERÄNDERT JEWEILS DAS VERHÄLTNIS VOM EINZELNEN ZUR GEMEINSCHAFT 9. INDIVIDUALISIERTE FORMEN DER SINNSUCHE

Kommen wir zurück zu den eigentlichen Ursachen für die Notwendigkeit der Selbstinszenierung. In einer Gesellschaft in der ein Feedback in immer geringerem Umfang durch die Institutionen der Gesellschaft erfolgt, das heißt, die Gesellschaft mir in immer geringerem Umfang deutlich macht, was richtig oder falsch ist oder entsprechend belohnt oder bestraft, muss ich selbst Mechanismen entwickeln, die verdeutlichen, dass mein Handeln richtig ist. Der Rückkopplungseffekt, der von der Gesellschaft geleistet Wurde, wird zunehmend auf mich selbst übertragen. Ich muss mir selbst verdeutlichen, dass mein Handeln in Übereinstimmung mit meinem Selbstkonzept erfolgt. Je stärker es zu einer »Individuierung« unserer Gesellschaft kommt - und dieser Begriff ist angemessener als Individualisierung, die nicht wirklich stattfindet -, desto stärker bedarf es dieser Rückkopplungsprozesse zur Bestätigung meiner selbst.

AUCH HIER ERLEBEN WIR, DASS DAS KONSUMVERHALTEN ES UNS UNTER ANDEREM ERMÖGLICHT, IN EINE NEUE ROLLE ODER IDENTITÄT HINEINZUFINDEN, INDEM WIR DIE REALEN

ODER ANGENOMMENEN

VERHALTENSWEISEN KOPIEREN.

Über diese Situation mag man lamentieren und eine Rückkehr festerer Bezugssysteme in unserer Gesellschaft wünschen, die Entwicklung lässt sich jedoch nicht aufhalten. Die Fragmentierung unserer Welt wird sich durch eine weitere Differenzierung der indiEXPRESS YOURSELF

TAKEN FROM: THE MOTION P

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IDENTITAETSFINDUNG

tät « .

Insbesondere verweist er auch auf den narrativen Charakter unseres Ich-Findungsprozesses.

WIR ERZÄHLEN UNS UND ANDEREN GESCHICHTEN ÜBER UNS, TEILWEISE WAHR, TEILWEISE ERFUNDEN ODER VERÄNDERT,

UM

UNSERE

IDENTITÄT ZU VERDEUTLICHEN.

Hier ergibt sich eine interessante Parallelität zur Werbung, die gleichermaßen Geschichten über Produkte und Marken erzählt. Das Muster der Bedeutung unserer eigenen Geschichten ist so auf die Markenwelt übertragbar und umgekehrt. Finden wir das Symbolsystem unserer eigenen Geschichten in der Werbung wieder, dann erlauben es diese Marken, die von uns zugeordnete Bedeutung zu verstärken.

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Unser Selbstverständnis ist bestimmt durch eine Vielzahl von Wertvorstellungen, die wir zum Ausdruck bringen wollen: Umweltbewusstsein, Verantwortung für die Gesellschaft, Kennertum oder Seriosität. Für all das werden uns Produkte angeboten, mit denen wir genau diese Werte zum Ausdruck bringen können. Damit werden wir aber auch für unsere Umwelt einschätzbar. Erzähle du mir, was du konsumierst und ich weiß, was für ein Mensch du bist. Unsere Konsumpatterns erzählen ganze Geschichten über uns, oder wir möchten Geschichten erzählen.Hier erreichen wir einen Punkt, der von besonderem Interesse ist. Was ist, wenn ich RUDOLF SOMMER

nicht meine wirkliche Identität zeigen möchte, sondern mich bewusst hinter einer Scheinidentität verstecke? Die Geschichte, die ich über mich mit Hilfe meines Konsumverhaltens erzähle, ist keine reale, sondern nur noch eine fiktive. Der Sinn und die Bedeutung meines Konsumverhaltens liegen nur noch in der Aufrechterhaltung dieser Fiktion. Meine direkte soziale Umwelt und die Medien spiegeln mir dies zurück und halten mich in der Fiktion gefangen. Die soeben beschriebene Umbruchsituation unserer Gesellschaft verwischt zunehmend Fiktion und Realität. Viele ertragen hierbei ihre Realität nicht mehr und flüchten in die Fiktion einer scheinbaren Identität. Die Markenwelt stellt hierfür die Geschichten bereit, um diesen Fake der Wirklichkeit zu ermöglichen. Obwohl es eine Unzahl an möglichen Geschichten gibt, die ich mit Hilfe meines Konsumverhaltens über mich erzählen könnte, werden diese Themen am Ende durch die drei großen Motivbereiche, bestimmt: Überleben, Sex und Nachwuchs, Anerkennung in der jeweiligen Bezugsgruppe. Die von mir geschaffene Identität soll am Ende in eine maximale Bedürfnisbefriedigung mit höchstem Lustgewinn führen.

DIE BEDEUTUNG VON PRODUKTEN UND MARKEN Produkte und Marken besitzen eine Bedeutung, in dem diese meine Identität nach außen und innen stützen. Der Grund, ein bestimmtes Produkt zu kaufen oder hierfür einen bestimmten Preis zu bezahlen, bestimmt sich aus dem funktionalen Wert des Produktes, ein Grundbedürfnis zu befriedigen, wie beispielsweise meinen Durst zu


SELF DISPLAY

stillen, und aus dem psychologischen Mehrwert des Produktes. Bedeutung können wir sowohl ausgehend von der persönlichen Geschichte oder aus dem gesellschaftlichen oder kulturellen Bezug erklären. Wir mögen den Schokoladen-Pudding von Dr. Oetker besonders gern, weil er uns an unsere Kindheit und an die Belohnung durch unsere Mutter erinnert. Diesen Teil unserer persönlichen Historie wiederholen wir in der Verwendung des spezifischen Produktes. Bedeutung setzt immer ein Zeichensystem voraus, das in der Lage ist, die Bedeutung zu vermitteln. Wir bewegen uns somit auf dem Gebiet der sogenannten Semiotik. Das heißt, die Kommunikation zwischen zwei Personen bestimmt sich nicht nur durch das Gesagte, sondern primär durch die Bedeutung des Gesagten. Diese wiederum ist weitgehend gesellschaftlich oder kulturell bedingt. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass die symbolische Bedeutung der Verwendung eines Produktes nicht zwingend des sozialen Umfeldes bedarf. In dieser Hinsicht besteht auch gewissermaßen eine Kommunikation mit mir selbst.

DIESER MEHRWERT ERKLÄRT SICH AUS DER BEDEUTUNG, DIE DIESES PRODUKT FÜR MICH PERSÖNLICH HAT.

Man könnte es auch so formulieren: Das Produkt oder die Marke ist eine Botschaft an mich selbst. Betrachten wir jetzt die Bedeutungen, die sich aufgrund des gesellschaftlichen Bezugs ergeben oder, anders ausgedrückt,

durch das gesellschaftliche Umfeld vordefiniert werden, dann lassen sich diese laut Karmasin in drei Bereiche klassifizieren: 1. 2. 3.

PRIME VALUE: DER WERT, DER AUS DEM MATE– RIAL KOMMT LABOR VALUE: DER WERT, DER AUS DER BEAR– BEITUNG KOMMT SYMBOLIC VALUE: DER WERT, DER SICH AUS DER BEDEUTUNG FÜR DIE SPEZIFISCHE GESELL– SCHAFT UND KULTUR ERGIBT

Diese drei Dimensionen können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, sondern sind eng miteinander verknüpft. Georg Franck hat hierzu in seinen beiden Büchern »Ökonomie der Aufmerksamkeit « und »M entaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des G eistes « ein sehr interessantes Konzept entwickelt. Franck sieht, ähnlich wie Karmasin, die Produkte als B otschaften . Er begreift diese in ihrer Wirkung nach außen. Die Funktionalität bestimmt sich aus der Wirkung auf andere direkt oder indirekt. Selbst wenn die Produktverwendung als solche nicht von anderen wahrgenommen werden kann, geht es um das Erreichen eines Selbstbildes, die als attraktiv erlebt wird oder Aufmerksamkeit auslöst. Dennoch wirken die Erklärungsversuche dann sehr schnell weit hergeholt. Lesen wir ein bestimmtes Buch nur, weil der Schriftsteller bekannt ist, weil wir mit anderen über das Buch sprechen können und uns so profilieren oder weil wir uns selbst als Intellektuellen bestätigen möchten? Mit Sicherheit wird dies alles auch eine Rolle spielen, jedoch reicht es zur Erklärung nicht aus. Ich möchte deshalb an dieser Stelle eine weitere Dimension einfügen: der Wunsch nach Veränderung und einem neuen selbst EXPRESS YOURSELF

SICHER? UNSERE KONSUMPATTERNS ERZÄHLEN GANZE GESCHICHTEN ÜBER UNS, ODER WIR MÖCHTEN GESCHICHTEN ERZÄHLEN. JEROME BRUNER

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IDENTITAETSFINDUNG

viduellen Erfahrungswelten fortsetzen. Die Zunahme an Medienangeboten und die zunehmende Vernetzung der Menschen, verbunden mit der Globalisierung unserer individuellen Welt, reduzieren die Möglichkeit sowie den Nutzen einheitlicher und stabiler Bezugssysteme.

WIR ERZÄHLEN UNS UND ANDEREN GESCHICHTEN ÜBER UNS, TEILWEISE WAHR, TEILWEISE ERFUNDEN ODER VERÄNDERT,

UM

UNSERE

den hiermit einhergehenden Rückkopplungseffekt . Sich bieder oder sexy, extrem modisch oder zeitlos anzuziehen, verrät nicht nur anderen, sondern auch uns selbst, wie wir uns sehen. Teilweise ist unser Verhalten auch ein Prozess des Bewusstmachens unserer unbewussten Identität. Das durch unser Unbewusstes gesteuerte Verhalten erlaubt uns eine bewusste Auseinandersetzung mit unserer Identität. Wir werden uns in unserem Verhalten und auch in unserem Kaufverhalten selbst gewahr. Die Selbstinszenierung ist also eine Art der Kommunikation an andere und vor allem auch an mich selbst hinsichtlich

IDENTITÄT ZU VERDEUTLICHEN.

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Der hilflose Versuch der Politiker, nationale Identitäten in einer globalisierten Welt aufrechtzuerhalten, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nationalstaaten werden zunehmend von gemeinsamen Interessen und nicht von gemeinsamen Identitäten bestimmt. Der eigentliche Prozess der Selbstinszenierung verläuft überwiegend unbewusst ab. Es wird von uns nur in der Konsistenz unseres Handelns erlebt. Wenn wir Kleidung kaufen, dann sprechen wir davon: »Das passt zu mir, oder das passt nicht zu mir.«

Wir können jedoch nur bedingt begründen, warum dieses Produkt oder jene, Marke zu uns passt oder nicht. Häufig werden dann funktionale Aspekte wie »Ich achte immer auf Qualität« genannt, die jedoch nur Begründungen, aber keine Gründe darstellen. Gerade Bekleidung ist ein gutes Beispiel für eine nach außen getragene Identität und RUDOLF SOMMER

meiner Wertorientierung und meiner Einstellungen. Je weniger ich oder eben meine Umwelt von meinem Selbstkonzept überzeugt bin, desto stärker sehe ich mich gezwungen, dies zum Ausdruck zu bringen. Der anerkannte Künstler muss sich nicht mehr mit dem Nimbus des Künstlers umgeben, während der Schüler sehr darauf achten wird, entweder den Lehrer nachzuah-


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men oder zu »Stilmitteln« zu greifen, die ihn und andere vermuten lassen, dass er ein großer Künstler ist oder mindestens wird.

IDENTITÄT UND STORYTELLING Ebenso eng mit der Schaffung einer Ich-Identität verknüpft ist die Verbindung eines Sinns mit unserem Handeln. Unser Handeln ist nicht nur im Sinne einer Stimulus-Response-Theorie von Bedürfnissen und Befriedigungen bestimmt, dies würde im Zweifel eine Identität nicht erforderlich machen,

sie besonders sauber wird, sondern es hat gleichfalls eine symbolische Bedeutung hinsichtlich unserer spezifischen Wertvorstellung von Familie. Jerome Bruner verdeutlicht diese Zusammenhänge sehr schön in seinem Buch »Sinn, Kultur und Ich-Identität«. Insbesondere verweist er auch auf den narrativen C harakter unseres I ch Findungsprozesses.. Hier ergibt sich eine interessante Parallelität zur Werbung, die gleichermaßen Geschichten über Produkte und Marken erzählt. Das Muster der Bedeutung unserer eigenen Geschichten ist so auf die Markenwelt übertragbar und umgekehrt. Finden wir das Symbolsystem unserer eigenen Geschichten in der Werbung wieder, dann erlauben es diese Marken, die von uns zugeordnete Bedeutung zu verstärken. Unser Selbstverständnis ist bestimmt durch eine Vielzahl von Wertvorstellungen, die wir zum Ausdruck bringen wollen: Umweltbewusstsein, Verantwortung für die Gesellschaft, Kennertum oder Seriosität. Für all das werden uns Produkte angeboten, mit denen wir genau diese Werte zum Ausdruck bringen können.

SICHER? UNSERE KONSUMPATTERNS ERZÄHLEN GANZE GESCHICHTEN ÜBER UNS, ODER WIR MÖCHTEN GESCHICHTEN ERZÄHLEN. JEROME BRUNER

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DIESER MEHRWERT ERKLÄRT SICH AUS DER BEDEUTUNG, DIE DIESES

sondern wir suchen auch einen Sinn in unserem Handeln. Dieser Sinn wird durch unsere Alltagskultur definiert, zu der auch unser Konsumverhalten gehört. In dieser Hinsicht bietet uns unser Konsumverhalten ein Symbolsystem an, das unserem Verhalten neben der Erreichung bestimmter Ziele auch Sinn und Bedeutung verleiht. Wir waschen die Wäsche nicht nur mit Persil, damit

PRODUKT FÜR MICH PERSÖNLICH HAT.

Damit werden wir aber auch für unsere Umwelt einschätzbar. Erzähle du mir, was du konsumierst und ich weiß, was für ein Mensch du bist. Unsere Konsumpatterns erzählen ganze Geschichten über uns, oder wir möchten Geschichten erzählen.Hier erreichen EXPRESS YOURSELF


IDENTITAETSFINDUNG

lich Sicherheit suchen. Gleichzeitig gewinnt der Rückkopplungsprozess zwischen Verhalten und Identität an Bedeutung. Ich benötige ein deutlich höheres Quantum an Bestätigung meiner Identität, um so mindestens im Jetzt Sicherheit zu erlangen. Betrachten wir in diesem Zusammenhang den Umbruch im Einzelnen, dann sehen wir, dass dieser auf allen Ebenen erfolgt. Heiner Keupp spricht von zehn »Umbruchserfahrungen in spätmodernen

Gesellschaften«, die nachstehend angeführt werden:

1. E NTGRENZUNG INDIVIDUELLER UND KOLLEK– TIVER LEBENSMUSTER: SUBJEKTE FÜHLEN SICH ENTBETTET 2. ERWERBSARBEIT ALS BASIS BRÜCHIG 3. MULTIPHRENE SITUATION WIRD ZUR NORMAL– ERFAHRUNG 4. VIRTUELLE WELTEN ALS NEUE REALITÄTEN 5. ZEITGEFÜHL ERFÄHRT EINE SCHRUMPFUNG DER GEGENWART 6. PLURALISIERUNG VON LEBENSFORMEN 7. DRAMATISCHE VERÄNDERUNG VON GESCHLECH– TERROLLEN 8. INDIVIDUALISIERUNG VERÄNDERT JEWEILS DAS VERHÄLTNIS VOM EINZELNEN ZUR GEMEINSCHAFT 9. INDIVIDUALISIERTE FORMEN DER SINNSUCHE

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SICHER? DIESER RÜCKKOPPLUNGSEFFEKT, DER VON DER GESELLSCHAFT GELEISTET WURDE, WIRD IN ZUNEHMENDEM MASSE AUF MICH SELBST ÜBERTRAGEN.. HEINER KEUPP

Kommen wir zurück zu den eigentlichen Ursachen für die Notwendigkeit der Selbstinszenierung. In einer Gesellschaft in der ein Feedback in immer geringerem Umfang durch die Institutionen der Gesellschaft erfolgt, das heißt, die Gesellschaft mir in immer geringerem Umfang deutlich macht, was richtig oder falsch ist oder entsprechend belohnt oder bestraft, muss ich selbst Mechanismen entwickeln, die verdeutlichen, dass mein Handeln richtig ist. Der Rückkopplungseffekt, der von der Gesellschaft geleistet Wurde, wird RUDOLF SOMMER

zunehmend auf mich selbst übertragen. Ich muss mir selbst verdeutlichen, dass mein Handeln in Übereinstimmung mit meinem Selbstkonzept erfolgt.

ICH MUSS MIR SELBST VERDEUTLICHEN, DASS MEINE HANDLUNG IN ÜBEREINSTIMMUNG MIT MEINEM

SELBSTKONZEPT

ERFOLGT.

SELBSTINSZENIERUNG WIRD SOMIT ZUR ABSOLUTEN NOTWENDIGKEIT FÜR EINE AUFRECHTERHALTUNG MEINER EIGENEN IDENTITÄT.

Je stärker es zu einer »Individuierung« unserer Gesellschaft kommt - und dieser Begriff ist angemessener als Individualisierung, die nicht wirklich stattfindet -, desto stärker bedarf es dieser Rückkopplungsprozesse zur Bestätigung meiner selbst. Über diese Situation mag man lamentieren und eine Rückkehr festerer Bezugssysteme in unserer Gesellschaft wünschen, die Entwicklung lässt sich jedoch nicht aufhalten. Die Fragmentierung unserer Welt wird sich durch eine weitere Differenzierung der individuellen Erfahrungswelten fortsetzen. Die Zunahme an Medienangeboten und die zunehmende Vernetzung der Menschen, verbunden mit der Globalisierung unserer individuellen Welt, reduzieren die Möglichkeit sowie den Nutzen einheitlicher und stabiler Bezugssysteme. Der hilflose Versuch der Politiker, nationale Identitäten in einer globalisierten Welt aufrechtzuerhalten, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nationalstaaten werden zunehmend von gemein-


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samen Interessen und nicht von gemeinsamen Identitäten bestimmt. Der eigentliche Prozess der Selbstinszenierung verläuft überwiegend unbewusst ab. Es wird von uns nur in der Konsistenz unseres Handelns erlebt. Wenn wir Kleidung kaufen, dann sprechen wir davon: »Das passt zu mir, oder das passt nicht zu mir.« Wir können jedoch nur bedingt begründen, warum dieses Produkt oder jene, Marke zu uns passt oder nicht. Häufig werden dann funktionale Aspekte wie »Ich achte immer auf Qualität« genannt, die jedoch nur Begründungen, aber keine Gründe darstellen. Gerade Bekleidung ist ein gutes Beispiel für eine nach außen getragene Identität und den hiermit einhergehenden Rückkopplungseffekt. Sich bieder oder sexy, extrem modisch oder zeitlos anzuziehen, verrät auch uns selbst, wie wir uns sehen. Teilweise ist unser Verhalten auch ein Prozess des Bewusstmachens unserer unbewussten Identität. Das durch unser Unbewusstes gesteuerte Verhalten erlaubt uns eine bewusste Auseinandersetzung mit unserer Identität. Wir werden uns in unserem Verhalten und auch in unserem Kaufverhalten selbst gewahr. Die Selbstinszenierung ist also eine Art der Kommunikation an andere und vor allem auch an mich selbst hinsichtlich meiner Wertorientierung und meiner Einstellungen. Je weniger ich oder eben meine Umwelt von meinem Selbstkonzept überzeugt bin, desto stärker sehe ich mich gezwungen, dies zum Ausdruck zu bringen. Der anerkannte Künstler muss sich nicht mehr mit dem Nimbus des Künstlers umgeben, während der Schüler sehr darauf achten wird, entweder den Lehrer nachzuahmen oder zu »Stilmitteln«

zu greifen, die ihn und andere vermuten lassen, dass er ein großer Künstler ist oder mindestens wird.

IDENTITÄT UND STORYTELLING Ebenso eng mit der Schaffung einer Ich-Identität verknüpft ist die Verbindung eines Sinns mit unserem Handeln. Unser Handeln ist nicht nur im Sinne einer Stimulus-Response-Theorie von Bedürfnissen und Befriedigungen bestimmt, dies würde im Zweifel eine Identität nicht erforderlich machen, sondern wir suchen auch einen Sinn in unserem Handeln. Dieser Sinn wird durch unsere Alltagskultur definiert, zu der auch unser Konsumverhalten gehört. In dieser Hinsicht bietet uns unser Konsumverhalten ein Symbolsystem an, das unserem Verhalten neben der Erreichung bestimmter Ziele auch Sinn und Bedeutung verleiht. Wir waschen die Wäsche nicht nur mit Persil, damit sie besonders sauber wird, sondern es hat gleichfalls eine symbolische Bedeutung hinsichtlich unserer spezifischen Wertvorstellung von Familie.

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AUCH HIER ERLEBEN WIR, DASS DAS KONSUMVERHALTEN ES UNS UNTER ANDEREM ERMÖGLICHT, IN EINE NEUE ROLLE ODER IDENTITÄT HINEINZUFINDEN, INDEM WIR DIE REALEN

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VERHALTENSWEISEN KOPIEREN.

Jerome Bruner verdeutlicht diese Zusammenhänge sehr schön in seinem Buch »Sinn, Kultur, Ich-Identität«. EXPRESS YOURSELF


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wir einen Punkt, der von besonderem Interesse ist. Was ist, wenn ich nicht meine wirkliche Identität zeigen möchte, sondern mich bewusst hinter einer Scheinidentität verstecke? Die Geschichte, die ich über mich mit Hilfe meines Konsumverhaltens erzähle, ist keine reale, sondern nur noch eine fiktive. Der Sinn und die Bedeutung meines Konsumverhaltens liegen nur noch in der Aufrechterhaltung dieser Fiktion. Meine direkte soziale Umwelt und die Medien spiegeln mir dies zurück und halten mich in der Fiktion gefangen. Die soeben beschriebene Umbruchsituation unserer Gesellschaft verwischt zunehmend Fiktion und Realität. Viele ertragen hierbei ihre Realität nicht mehr und flüchten in die Fiktion einer scheinbaren Identität. Die Markenwelt stellt hierfür die Geschichten bereit, um diesen Fake der Wirklichkeit zu ermöglichen. Obwohl es eine Unzahl an möglichen Geschichten gibt, die ich mit Hilfe meines Konsumverhaltens über mich erzählen könnte, werden diese Themen am Ende durch die drei großen Motivbereiche, bestimmt: Überleben, Sex und Nachwuchs, Anerkennung in der jeweiligen Bezugsgruppe. Die von mir geschaffene Identität soll am Ende in eine maximale Bedürfnisbefriedigung mit höchstem Lustgewinn führen.

DIE BEDEUTUNG VON PRODUKTEN UND MARKEN Produkte und Marken besitzen eine Bedeutung, in dem diese meine Identität nach außen und innen stützen. Der Grund, ein bestimmtes Produkt zu kaufen oder hierfür einen bestimmten Preis zu bezahlen, bestimmt sich aus RUDOLF SOMMER

dem funktionalen Wert des Produktes, ein Grundbedürfnis zu befriedigen, wie beispielsweise meinen Durst zu stillen, und aus dem psychologischen Mehrwert des Produktes. Bedeutung können wir sowohl ausgehend von der persönlichen Geschichte oder aus dem gesellschaftlichen oder kulturellen Bezug erklären. Wir mögen den Schokoladen-Pudding von Dr. Oetker besonders

gern, weil er uns an unsere Kindheit und an die Belohnung durch unsere Mutter erinnert. Diesen Teil unserer persönlichen Historie wiederholen wir in der Verwendung des spezifischen Produktes. Bedeutung setzt immer ein Zeichensystem voraus, das in der Lage ist, die Bedeutung zu vermitteln. Wir bewegen uns somit auf dem Gebiet der sogenannten Semiotik. Das heißt, die Kommunikation zwischen zwei Personen bestimmt sich nicht nur durch das Gesagte, sondern primär durch die Bedeutung des Gesagten. Diese wiederum ist weitgehend gesellschaftlich oder kulturell bedingt. Auf der anderen


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Seite haben wir gesehen, dass die symbolische Bedeutung der Verwendung eines Produktes nicht zwingend des sozialen Umfeldes bedarf. In dieser Hinsicht besteht auch gewissermaßen eine Kommunikation mit mir selbst. Man könnte es auch so formulieren: Das Produkt oder die Marke ist eine Botschaft an mich selbst. Betrachten wir jetzt die Bedeutungen, die sich aufgrund des gesellschaftlichen Bezugs ergeben oder, anders ausgedrückt, durch das gesellschaftliche Umfeld vordefiniert werden, dann lassen sich diese laut Karmasin in drei Bereiche klassifizieren: 1. 2. 3.

SICHER? UNSERE KONSUMPATTERNS ERZÄHLEN GANZE GESCHICHTEN ÜBER UNS, ODER WIR MÖCHTEN GESCHICHTEN ERZÄHLEN. JEROME BRUNER

PRIME VALUE: DER WERT, DER AUS DEM MATE– RIAL KOMMT LABOR VALUE: DER WERT, DER AUS DER BEAR– BEITUNG KOMMT SYMBOLIC VALUE: DER WERT, DER SICH AUS DER BEDEUTUNG FÜR DIE SPEZIFISCHE GESELL– SCHAFT UND KULTUR ERGIBT

Diese drei Dimensionen können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, sondern sind eng miteinander verknüpft. Georg Franck hat hierzu in seinen beiden Büchern »Ökonomie der Aufmerksamkeit « und »M entaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des G eistes « ein sehr interessantes Konzept entwickelt. Franck sieht, ähnlich wie Karmasin, die Produkte als B otschaften . Er begreift diese in ihrer Wirkung nach außen. Die Funktionalität bestimmt sich aus der Wirkung auf andere direkt oder indirekt. Selbst wenn die Produktverwendung als solche nicht von anderen wahrgenommen werden kann, geht es um das Erreichen eines Selbstbildes, die als attraktiv erlebt wird oder Aufmerksamkeit auslöst. Dennoch wirken die Erklärungsversuche dann sehr schnell weit hergeholt. EXPRESS YOURSELF

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IDENTITAETSFINDUNG

Lesen wir ein bestimmtes Buch nur, weil der Schriftsteller bekannt ist, weil wir mit anderen über das Buch sprechen können und uns so profilieren oder weil wir uns selbst als Intellektuellen bestätigen möchten? Mit Sicherheit wird dies alles auch eine Rolle spielen, jedoch reicht es zur Erklärung nicht aus.

SELBSTVERSTÄNDLICH KANN MAN AUCH IM WEITESTEN SINN PRODUKTE ALS BOTSCHAFTEN AN SICH SELBST VERSTEHEN.

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CONSUMER’S MIND Psychologie des Verbrauchers erschienen beim Dt Fachverlag Frankfurt am Main, 2007

Ich möchte deshalb an dieser Stelle eine weitere Dimension einfügen: der Wunsch nach Veränderung. Sehr eng verknüpft hiermit ist die Suche nach dem Neuen. Wenn wir beispielsweise kleine Kinder betrachten, dann lässt sich das Verhalten durch diese beiden Dimensionen, sieht man von der primären Bedürfnisbefriedigung ab, erklären: die Aufmerksamkeit der Umwelt und insbesondere der Mutter auf sich zu ziehen und die Welt zu entdecken. Die Welt zu entdecken, ist hierbei nicht Selbstzweck, sondern wird angetrieben von der Notwendigkeit der Veränderung und besseren Anpassung an die Umwelt. Unser Bewusstsein und die gehirnphysiologische Basis bedürfen zu ihrer Entwicklung der Veränderung. Wir bezahlen gewissermaßen für den Neuigkeitsgrad eines Produktes. Die Premiere ist in der Regel nicht nur im Theater am teuersten. Selbstverständlich existieren eine Vielzahl an Fällen, in denen der Neuigkeitscharakter auch eng mit einer erhöhten Aufmerksamkeit verbunden ist. Die Mode ist hierfür RUDOLF SOMMER

das beste Beispiel. Nichts ist wertloser als die Mode der letzten Saison. Der Ausverkauf am Ende der Saison macht diesen Preisverfall überdeutlich, obwohl die Wertigkeit der Kleidung nicht abgenommen hat. Die Suche nach Veränderung ist gepaart mit der Notwendigkeit der Stimulanz unseres Gehirns. Die Gleichförmigkeit der Reize führt zur Regression. Dies bedeutet gleichzeitig, dass ein Produkt oder eine Marke an Attraktivität verliert, wenn es nicht immer wieder etwas Neues bietet oder sich in einem neuen Auftritt zeigen kann. Ähnlich wie die Aufmerksamkeit ist auch die Veränderung nichts Absolutes, sondern gesellschaftlich, determiniert. Letztendlich bestimmt das gesellschaftliche Umfeld ob etwas innovativ genug ist, um Veränderung zu ermöglichen. Gerade viele technologische Innovationen leiden darunter, dass sie hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur

ZURÜCK Veränderung unterschätzt werden. Die Intensität oder Wertigkeit der Bedeutung definiert sich nach außen durch die Aufmerksamkeit, die ich mit diesem Verhalten erziele. Nach innen können wir zwei Aspekte beobachten: Als Pendant zur Aufmerksamkeit mag die emotionale Bedeutung oder Aufladung für den Fall des Erhaltes meiner Identität stehen. Hinzu kommt jedoch noch die Relevanz für die Veränderung und die Frage, inwieweit die Verwendung eines Produktes einen neuen Reiz zu vermitteln vermag, wenn auch die inhaltliche Bedeutung unverändert bleibt.


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HANS MAGNUS ENZENSBERGER DER AUGENSCHEIN

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DU SAGST: ICH MACHE DIE AUGEN AUF UND SEHE, WAS DA IST ICH MACHE DIE AUGEN ZU UND SEHE, WAS NICHT DA IST SO EINFACH IST DAS SO LEICHT BIST DU ZU TÄUSCHEN DENN IN WIRKLICHKEIT STEHT DIE WIRKLICHKEIT KOPF AUCH DEIN KOPF, AUCH DAS KINO IN DEINEM KOPF WOHER WEISST DU OB SICH DAS AUGE BEWEGT UND DAS BILD STEHT STILL ODER DAS AUGE STEHT STILL UND DAS BILD BEWEGT SICH? SICHER IST NUR DASS DAS VERSCHWUNDENE NICHT VERSCHWUNDEN IST UND DAS VORHANDENE NICHT VORHANDEN ENTWEDER DU SIEHST DAS KINO ODER DEN FILM ENTWEDER DAS AUGE ODER DAS BILD UND DESHALB STARRST DU UNAUFHÖRLICH MIT AUFGERISSENEN AUGEN ZUM VERRÜCKTWERDEN UND BLICKST MIT GESCHLOSSENEN AUGEN AUF DIESE GEGENSTÄNDE DIE VOR DIR AUF DEM TISCH TANZEN 133 SO EINFACH IST DAS SO LEICHT BIST DU ZU TÄUSCHEN ODER DU BLICKST IN EIN PAAR AUGEN, IN DENEN SICH DEINE AUGEN SPIEGELN IN DENEN SICH EIN PAAR AUGEN SPIEGELN IN DIE DU BLICKST MACH DIE AUGEN AUF UND DAS ERSCHEINENDE IST VERSCHWUNDEN MACH DIE AUGEN ZU UND DAS VERSCHWUNDENE ERSCHEINT ABER DAS SIEHST DU NICHT EIN

DU SAGST: ICH MACH DIE AUGEN AUF UND ICH SEHE, WAS DA IST AUS: ZUKUNFTSMUSIK


TYRANNEI DER INTIMITAET

richard sennett

TYRANNEI DER INTIMITAET

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ene stummen, vereinzelten Menschen in den Cafés, jene Flaneure, die auf den Boulevards umherspazierten, waren nach wie vor der Ansicht, daß sie sich in einer spezifischen Umgebung befanden und daß sie mit den anderen, die sich darin bewegten, etwas Gemeinsames teilten. Die Mittel, mit denen sie jetzt, da weder Kleidung noch Sprache Aufschluß gaben, ein Bild ihrer kollektiven Identität entwarfen, waren die Mittel der Phantasie und der Projektion. Und da sie gesellschaftliches Leben nur mehr in Kategorien der Persönlichkeit und persönlicher Symbole auffaßten, entwickelten sie die Vorstellung einer gemeinsamen öffentlichen Persönlichkeit, die nur in ihrer Phantasie Bestand hatte. Angesichts des Umstandes, daß die Persönlichkeitssymbole in der Wirklichkeit so instabil waren, daß die Deutung der Persönlichkeit immense Schwierigkeiten bereitete, wird verständlich, daß man auf den Gedanken verfallen konnte, die Kategorie der Persönlichkeit auf die Gruppe insgesamt auszudehnen, und sei es nur in Phantasie und Projektion. Zwischen der durch Projektion erzeugten Kollektivpersönlichkeit und dem Verlust der Gruppeninteressen besteht ein direkter Zusammenhang: Je mehr das Leben einer Gruppe von einer phantasierten Kollektivpersönlichkeit beherrscht wird, desto weniger ist diese Gruppe imstande, ihre Kollektivinteressen zu artikulieren. In den letzten hundert Jahren, in denen sich Gemeinschaften mit einer Kollektivpersönlichkeit herausgebildet haben, ist es nun dahin gekommen, daß eine gemeinsame Vorstellungswelt bei den Menschen geradezu ein Hindernis für gemeinsames Handeln darstellt. So wie Persönlichkeit selbst zu einer antisozialen Kategorie geworden ist, so hat sich aus der Kol-

RICHARD SENNETT


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lektivpersönlichkeit eine Gruppenidentität entwickelt, die sich nur schwer in Gruppenhandeln umsetzen läßt. Gemeinschaft ist zu einer Dimension von kollektivem Sein statt von kollektivem Handeln geworden. Narziß kniet an einer Quelle nieder und wird von seinem eigenen Spiegelbild auf dem Wasser überwältigt. Man ruft ihn an, vorsichtig zu sein, doch er achtet auf nichts und niemanden. Eines Tages beugt er sich hinab, um das Bild zu liebkosen, stürzt und ertrinkt. Der Mythos von Narziß hat eine doppelte Bedeutung: Die Versenkung ins eigene Selbst hindert Narziß daran, zu erfahren, was er ist und was er nicht ist; und die Versenkung ins eigene Selbst zerstört den, der sich auf sie einläßt. Narziß sieht sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, vergißt, daß das Wasser etwas außer ihm Existierendes ist, und wird so blind gegenüber dessen Gefahren. Als Charakterstörung ist der Narzißmus das genaue Gegenteil von Eigenliebe. Die Auslöschung der Grenze zwischen dem Selbst und dem Anderen bedeutet, daß dem Selbst nie etwas Neues, »Anderes« begegnen kann. Dieses wird verschlungen und so lange umgeformt, bis sich das Selbst darin wiedererkennt – damit aber wird das oder der Andere bedeutungslos. Deshalb bezeichnet das klinische Profil des Narzißmus keine Aktivität, sondern einen Zustand. Die Umrisse, Grenzen und Formen von Zeit- und Beziehungsverhältnissen sind ausgelöscht. Der Narzißt ist nicht auf Erfahrungen aus, er will erleben in allem, was ihm gegenübertritt, sich selbst erleben. So wertet er jede Interaktion und jede Szene ab, weil keine ausreicht, ihn ganz zu umfassen. Der Mythos von Narziß zeigt das sehr deutlich: Man ertrinkt im Selbst — es entfaltet sich ein entropischer P rozess . Ganz besonders hat sich H einz Kohut in seinen Schriften darum bemüht, der Idee des Narzißmus zu neuer Bedeutung zu verhelfen und von einer anderen Seite zu betrachten. Sein Kampf um eine neue Sprache zur Beschreibung dieses Phänomens und der wachsenden Bedeutung der narzißtischen Charakterstörungen selbst verdient deshalb besonderes Interesse, weil sich diese Sprache über weite Strecken auch auf gesamtgesellschaftliche Vorgänge übertragen läßt und zur Beschreibung langfristiger kultureller Entwicklungen verwendet werden kann.

Vieles, was heute über den Narzißmus geschrieben wird, ist pure Soziologie – aber den meisten Autoren bleibt das verborgen, sie tun so, als würden sie nur eben eine bislang unzureichend erfaßte Dimension des psychischen Lebens erschließen und erklären. Kohut untersucht, welche Beziehung das »Grössen-Selbst« zu den »Objekten« in der Welt (darunter sind sowohl Gegenstände als auch Personen zu verstehen) eingeht, und führt dann aus, daß die Kontrolle, die dieses Selbst über die Welt anstrebt, »der Vorstellung von Kontrolle näher [ist], die ein Erwachsener über seinen eigenen Körper und seine eigene Seele hat, als der Vorstellung von Kontrolle, die er über andere ausüben kann«. Die Deutung der Welt in Kategorien des Selbst hat EXPRESS YOURSELF

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TYRANNEI DER INTIMITAET

Ursachen ausgezeichnet, die sich nur schwer in Gruppenhandeln umsetzen läßt. Gemeinschaft ist zu einer Dimension von kollektivem Sein statt von kollektivem Handeln geworden. Narziß kniet an einer Quelle nieder und wird von seinem eigenen Spiegelbild auf dem Wasser überwältigt. Man ruft ihn an, vorsichtig zu sein, doch er achtet auf nichts und niemanden. Eines Tages beugt er sich hinab, um das Bild zu liebkosen, stürzt und ertrinkt. Der Mythos von Narziß hat eine doppelte Bedeutung: Die Versenkung ins eigene S elbst hindert N arziss daran , zu erfahren , was er ist und was er nicht ist ; und die Versenkung ins eigene Selbst zerstört den, der sich auf sie einläßt. Narziß sieht sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, vergißt, daß das Wasser etwas außer ihm Existierendes ist, und wird so blind gegenüber dessen Gefahren. Als Charakterstörung ist der Narzißmus das genaue Gegenteil von Eigenliebe. Die Auslöschung der Grenze zwischen dem Selbst und dem Anderen bedeutet, daß dem Selbst nie etwas Neues, »Anderes« begegnen kann. Dieses wird verschlungen und so lange umgeformt, bis sich das Selbst darin wiedererkennt – damit aber wird das oder der Andere bedeutungslos. Deshalb bezeichnet das klinische Profil des Narzißmus keine Aktivität, sondern einen Zustand. Die Umrisse, Grenzen und Formen von Zeit- und Beziehungsverhältnissen sind ausgelöscht. Der Narzißt ist nicht auf Erfahrungen aus, er will erleben in allem, was ihm gegenübertritt, sich selbst erleben. So wertet er jede Interaktion und jede Szene ab, weil keine ausreicht, ihn ganz zu umfassen. Der Mythos von Narziß zeigt das sehr deutlich: Man ertrinkt im Selbst — es entfaltet sich ein entropischer Prozeß. Ganz besonders hat sich Heinz Kohut in seinen Schriften darum bemüht, der Idee des Narzißmus zu neuer Bedeutung und zu einer neuen Beachstung zu verhelfen.

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DIESER MYTHOS BEZEUGT NICHT BLOSS DIE FREVELHAFTIGKEIT DER EIGENLIEBE; ER WEIST AUF DIE GEFAHR DER PROJEKTION HIN, EINES VERHÄLTNISSES ZUR WELT, DAS DIE WIRKLICHKEIT NUR IN BILDERN DES EIGENEN SELBST AUFNIMMT.

Sein Kampf um eine neue Sprache zur Beschreibung dieses Phänomens und der wachsenden Bedeutung der narzißtischen Charakterstörungen selbst verdient deshalb besonderes Interesse, weil sich diese Sprache über weite Strecken auch auf gesamtgesellschaftliche Vorgänge übertragen läßt und zur Beschreibung langfristiger kultureller Entwicklungen verwendet werden kann. Vieles, was heute über den Narzißmus geschrieben wird, ist pure Soziologie – aber den meisten Autoren bleibt das verborgen, sie tun so, als würden sie nur eben eine bislang unzureichend erfaßte Dimension des psychischen Lebens erschließen und erklären. Kohut untersucht, welche Beziehung das »Größen-Selbst« zu den »Objekten« in der Welt (darunter sind sowohl Gegenstände als auch Personen zu verstehen) einRICHARD SENNETT


SELF DISPLAY

geht, und führt dann aus, daß die Kontrolle, die dieses Selbst über die Welt anstrebt, »der Vorstellung von Kontrolle näher [ist], die ein Erwachsener über seinen eigenen Körper und seine eigene Seele hat, als der Vorstellung von Kontrolle, die er über andere ausüben kann«. Die Deutung der Welt in Kategorien des Selbst hat zur Folge, »daß der Gegenstand einer solchen narzißtischen Liebe sich durch die Erwartungen und Forderungen des Subjektes unterdrückt und versklavt fühlt«. Eine andere Dimension dieser Art von Objektbeziehung des »Größen-Selbst« ist die »Spiegelübertragung« in der Beziehung zum Therapeuten und, auf einer allgemeineren Ebene, eine Weltsicht, in der der Andere zum Spiegel des Selbst wird. Das Selbst, das solche Züge trägt, fügt sich, wie es scheint, sehr wohl in die Geschichte von Persönlichkeit und Kultur. Bedeutung gibt es für dieses Selbst nur dort, wo es sich wiedererkennt, wo es sich »spiegeln« kann. Aber es gibt noch eine engere Verbindung zu den Entwicklungen, die wir bisher verfolgt haben. Die klinische Untersuchung des Narzißmus hat sich nachdrücklich mit der Spaltung zwischen Handeln und Gefühlsregung beschäftigt. Mit der Frage »Was fühle ich wirklich?« löst sich dieses »Persönlichkeitsprofil« zusehends abgelöst wird und zwarvon der anderen Frage »Was tue ich?« Auch das ständige Interesse für die Motive anderer führt in ganz ähnlicher Weise zu einer Entwertung von deren Handeln; es kommt nämlich nicht darauf an, was sie tun, es kommt auf die eigenen Phantasien darüber an, was die anderen beim Handeln empfinden. Der Wirklichkeit wird auf diese Weise ihre »Legitimität« entzogen, und dass man die anderen nur noch über phantasierte M otive wahrnimmt , hat zur Folge, daß die tatsächlichen Beziehungen zu ihnen apathisch oder farblos werden. Auch dies ist uns vertraut. Es ist das Selbst, das sich einzig aus seiner Motivation heraus bestimmt. Ein Selbst, das an seinem Gefühlsleben und nicht an seinen Handlungen gemessen wird, trat politisch erstmals in den Klassenkämpfen Mitte des 19. Jahrhunderts auf und ist heute zu einem allgemeinen Maßstab politischer Legitimität geworden. Die Gemeinsamkeit von Gefühlsregungen und nicht gemeinsames Handeln definiert seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das, was Gemeinschaft ausmacht – diese Gemeinsamkeit reicht nur so weit, wie der Spiegel das Bild des Selbst noch zurückspiegeln kann. Es gibt jedoch eine entscheidende Frage, die die Psychoanalyse gar nicht stellt: Was geschieht, wenn die »Wirklichkeit« selbst von narzisstischen N ormen beherrscht wird ?

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VERFALL & ENDE des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität erschienen bei Fischer Frankfurt am Main, 1990 EXPRESS YOURSELF


RECOGNIZE 138


YO U R S E L F 139


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rd

Chapter

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DAS ERGEBNIS IST EINE MASS ANZIEHUNGSKRAFT


SIVE

Wir f체hlen psychophysische Erregungszust채nde, die wir uns kulturell angeeignet haben 141


Geschichten haben schon immer die Aufgabe gehabt, Bedeutungen und Kulturwissen verschlüsselt, also implizit, von Generation zu Generation zu übertragen. Das klingt wie ein Märchen, wie eine Fiktion. Und genau das ist es auch. Marken schaffen Möglichkeiten, bieten fiktive, symbolische Belohnungen, die weit über die physische Wirkung des Produkts hinausgehen. Die

Belohnung muss also nicht wirklich stattfinden, denn sie findet fiktiv statt. Ähnlich wie Romane vermitteln uns Marken fiktive Belohnungen. Dabei war Konsum schon immer Träumerei. Kunden standen vor den Schaufenstern und konnten sich in ein anderes Leben träumen. Es sind Vorstellungen, Möglichkeiten, die wir mit den Produkten und Marken verbinden. Sie wirken wie Placebos.

DAS STORYTELLING &

DIE MOTIV

UNSERES HAN

Die Motive unseres Ha tief im Unterbewussts und wirken von dort au halten. »Die Frage danach, wie man Menschen motiviert, ist etwa so sinnvoll wie die Frage, Wie erzeugt man Hunger? Die einzig vernünftige Antwort lautet Gar nicht, er stellt sich von alleine ein« »Zürcher Modell der sozialen Motivation«:

es werden die drei zentralen, sozialen Motivsysteme des Menschen identifiziert. Erregungsmotiv Autonomiemotiv Sicherheitsmotiv

S. 136 S. 144 S. 160


VE

NDELNS

andelns liegen ein verborgen us auf das Ver-

REAL LIFE? REALITY? Was längst der Symphonie geschah, die der müde Angestellte, in Hemdsärmeln seine Suppe schlürfend, mit halbem Ohr toleriert, geschieht nun auch den Bildern. Sie sollen seinem grauen Alltag Glanz spenden und doch ihm selber wesentlich gleichen: so sind sie vorweg vergeblich. Was anders wäre, ist unerträglich, weil es an das erinnert, was ihm versagt ist. Alles erscheint, als gehöre es ihm, weil er selber sich nicht gehört. Er muß sich nicht einmal mehr fortbewegen, um ins Kino zu kommen, und was ihn in Amerika kein Geld und nirgends Anstrengung kostet, dürfte er nur desto geringer schätzen. Die bedrohlich erkaltete Welt kommt zutraulich zu ihm, als wäre sie ihm auf den Leib geschrieben: er verachtet sich in ihr. Distanzlosigkeit, die Parodie auf Brüderlichkeit und Solidarität, hat dem neuen Medium sicherlich zu seiner unbeschreiblichen Popularität mitverholfen. Alles wird vom kommerziellen Fernsehen vermieden, was, wie sehr auch entfernt, an die kultischen Ursprünge des Kunstwerks, dessen Zelebrierung bei besonderm Anlaß anklingen könnte. Mit der Begründung, Fernsehen im dunklen Raum sei schmerzhaft, läßt man abends das elektrische Licht brennen, und weigert sich, unter Tags die Rolläden zu schließen: die Situation darf sich von der normalen möglichst wenig abheben. Undenkbar, daß die Erfahrung der Sache selbst davon unabhängig bliebe. Die Grenze zwischen Realität und Gebilde wird fürs Bewußtsein herabgemindert. Das Gebilde wird für ein Stück Realität, eine Art Wohnungszubehör genommen, das man mit dem Apparat sich gekauft hat. Schwerlich ist, es zu weit hergeholt, daß umgekehrt die Realität durch die Fernsehbrille angeschaut, daß der unterschobene Sinn des Alltags auf diesen zurückgespiegelt wird. AUS: THEODOR W. ADORNO | EINGRIFFE: NEUN KRITISCHE MODELLE

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adeleine /

M

Viele Jahre lange hatte von Combray nichts mehr für mich existiert, als meine Mutter an einem Wintertag, an dem ich durchfroren nach Hause kam, mir vorschlug, ich solle entgegen meiner Gewohnheit eine Tasse Tee zu mir nehmen. Ich lehnte erst ab, besann mich dann aber, ich weiß nicht warum, eines anderen. Sie ließ daraufhin eines jener dicklichen, ovalen Sandtörtchen holen, die man „Petites Madeleines“ nennt und die aussehen, als habe man dafür die gefächerte Schale einer Jakobs-Muschel benutzt. Gleich darauf führte ich, ohne mir etwas dabei zu denken, doch bedrückt über den trüben Tag und die Aussicht auf ein trauriges Morgen, einen Löffel Tee mit einem aufgeweichten kleinen Stück Madeleine darin an die Lippen. In der Sekunde nun, da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog.


M

Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Es hatte mir mit einem Schlag, wie die Liebe, die Wechselfälle des Lebens gleichgültig werden lassen, seine Katastrophen ungefährlich, seine Kürze imaginär, und es erfüllte mich mit einer köstlichen Essenz; oder vielmehr: diese Essenz war nicht in mir, ich war sie selbst. Ich hatte aufgehört mich mittelmäßig, zufallbedingt, sterblich zu fühlen. Woher strömte diese mächtige Freude mir zu? Ich fühlte, daß sie mit dem Geschmack des Tees und des Kuchens in Verbindung stand, daß sie aber weit darüber hinausging und von ganz anderer Wesensart sein mußte. Woher kam sie mir? Was bedeutete sie? Wo konnte ich sie fassen? Ich trinke einen zweiten Schluck und finde nichts darin als im ersten, dann einen dritten, der mir etwas weniger davon schenkt als der vorige. Ich muß aufhören, denn die geheime Kraft des Trankes scheint nachzulassen. Es ist ganz offenbar, daß die Wahrheit, die ich suche, nicht in ihm ist, sondern in mir. Er hat sie dort geweckt, kennt sie aber nicht und kann nur auf unbestimmte Zeit und mit ständig schwindender Stärke seine Aussage wiederholen, die ich gleichwohl nicht zu deuten weiß und die ich wenigstens wieder von neuem aus ihm herausfragen und unverfälscht etwas später zu meiner Verfügung haben möchte, um eine entscheidende Erleuchtung daraus zu schöpfen. Ich stelle die Tasse ab und wende mich meinem Geist zu. Er muß die Wahrheit finden. [...] AUS: NACH DER VERLORENEN ZEIT

ARCEL PROUST


STARKE MARKEN

DAS GEHEIMNIS STARKER MARKEN CHRISTIAN SCHEIER

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as Stirnhirn ist beim Menschen besonders ausgeprägt. Keine andere Hirnregion unterscheidet uns so deutlich vom Affen. Einer der zentralsten Bereiche im Stirnhirn ist der orbitofrontale Kortex (OFK), der direkt hinter den Augen sitzt. Er ist Teil eines ausgeklügelten Belohnungssystems in unserem Gehirn. Der OFK stellt sich die Frage: »Ist diese Marke eine Belohnung für mich? Sind das Markenmuster und seine Bedeutung belohnend?« Wenn die Antwort Ja lautet, dann erst entsteht Verhalten. Hier wird auch der Belohnungswert mit anderen Aspekten verrechnet, also zum Beispiel, ob ich mir das Menü leisten kann, was andere von mir denken, wenn ich mir das kaufe und vieles mehr. Es wird folglich nicht nur die Marke selbst bewertet, sondern auch ihre »Passung« mit der Situation und dem persönlichen Selbstkonzept. Selbst wenn uns der Apple Computer sehr gefällt und seine implizite Bedeutung eine Belohnung für uns wäre, kann es trotzdem sein, dass diese Marke nicht zu uns passt. Diese Prozesse laufen aber keineswegs explizit, d.h. bewusst

CHRISTIAN SCHEIER


SELF DISPLAY

und reflektiert ab, sondern implizit im Bruchteil einer Sekunde. Die implizite Belohnung entsteht durch die Fragen »Ist es positiv oder negativ?« und »Ist dies eine Belohnung für mich?«. Ohne eine Belohnung kein Verhalten. Die Anziehungskraft starker Marken entsteht durch implizite Prozesse, die der Marke Bedeutung und Belohnung zuweisen. Der OFK ist demnach Teil des impliziten Belohnungssystems im Gehirn. Dieser Bereich leuchtet zum Beispiel beim Betrachten der Lieblingsmarke oder wenn uns ein schöner Mensch direkt in die Augen schaut auf. Wenn wir also eine Belohnung empfinden. Eine Markeninszenierung, die für den Betrachter eine wie auch immer geartete Belohnung bedeutet, aktiviert diese Hirnregion. Das Ergebnis ist eine massive Anziehungskraft. Dieselbe Anziehungskraft starker Marken liegt also im OFK und den dort gespeicherten Belohnungswerten begründet. Würde man Apple-Fans im Hirnscanner Bilder des neuen iPhone zeigen, wäre der OFK maximal aktiviert.

WOFÜR WAR DER OFK GEMACHT, BEVOR ES MARKEN GAB? Für den sozialen Austausch. Fällt diese Hirnregion etwa durch einen Unfall oder eine Krankheit aus, können sich die Betroffenen nicht mehr sozial angepasst verhalten, ihre Persönlichkeit verändert sich dramatisch. Der

Mensch ist ein Herdentier, auch wenn wir die Individualität gerne betonen. Er ist nicht nur auf sein eigenes Überleben aus, indem er schnell dem Säbelzahntiger entkommt, sondern vor allem auf das Überleben in und mit seiner »Herde«. Die Evolution mit dem Grundsatz »survival of the fittest « wird oft ausgelegt als »ich zuerst und nach mir die Sintflut«. Diese individualistische Sichtweise ist aber unvollständig. Da meine Verwandten zum Teil dieselben Gene besitzen wie ich, fördere ich durch mein Helferverhalten die Weitergabe meines Erbguts. Der renommierte Evolutionsbiologe John Maynard Smith 1 nennt dieses Phänomen »Verwandtschaftsselektion «. Unser Überleben hängt insgesamt davon ab, wie gut wir darin sind, uns in ein soziales Netz zu integrieren. Satt zu sein reicht für das Wohlbefinden des Menschen bei weitem nicht aus. Soziale Isolierung, wenn also der Austausch und die Kommunikation mit der Herde fehlen, führt zu weit reichenden, negativen Konsequenzen. Der Psychologe Rene Spitz 2 fand schon vor Jahren heraus, dass Kinder in Kliniken, die keinen Kontakt zu einer Bezugsperson herstellten, apathisch wurden und psychisch erkrankten. Wenn in der Kommunikation mit den Kollegen etwas nicht stimmt und Ausgrenzung erlebt wird (»Mobbing«), entstehen Nervosität, Verunsicherungen, Depression und

1 John Maynard Smith (* 6. Januar 1920 in London; † 19. April 2004 in Lewes, East Sussex) war ein englischer Theoretischer Biologe, der auf dem Gebiet der Evolutionären Spieltheorie, einem mathematisch geprägten Bereich der Evolutionsbiologie, forschte und mehrere richtungsweisende Arbeiten publizierte. Auf Maynard Smith geht das Konzept der Evolutionär Stabilen Strategie (ESS) zurück.

2 René Arpad Spitz (* 29. Januar 1887 in Wien, Österreich; † 14. September 1974 in Denver, Colorado, USA) war ein österreichisch-amerikanischer Psychoanalytiker und Wegbereiter von Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie. RECOGNIZE YOURSELF

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»IST ES POSITIV ODER NEGATIV?« »IST ES EINE BELOHNUNG FÜR MICH?« OHNE BELOHNUNG KEIN (KAUF-)VERHALTEN


STARKE MARKEN

DAS GEHEIMNIS STARKER MARKEN CHRISTIAN SCHEIER

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as Stirnhirn ist beim Menschen besonders ausgeprägt. Keine andere Hirnregion unterscheidet uns so deutlich vom Affen. Einer der zentralsten Bereiche im Stirnhirn ist der orbitofrontale Kortex (OFK), der direkt hinter den Augen sitzt. Er ist Teil eines ausgeklügelten Belohnungssystems in unserem Gehirn. Der OFK stellt sich die Frage: »Ist diese Marke eine Belohnung für mich? Sind das Markenmuster und seine Bedeutung belohnend?« Wenn die Antwort Ja lautet, dann erst entsteht Verhalten. Hier wird auch der Belohnungswert mit anderen Aspekten verrechnet, also zum Beispiel, ob ich mir das Menü leisten kann, was andere von mir denken, wenn ich mir das kaufe und vieles mehr. Es wird folglich nicht nur die Marke selbst bewertet, sondern auch ihre »Passung« mit der Situation und dem persönlichen Selbstkonzept. Selbst wenn uns der Apple Computer sehr gefällt und seine implizite Bedeutung eine Belohnung für uns wäre, kann es trotzdem sein, dass diese Marke nicht zu uns passt. Diese Prozesse laufen aber keineswegs explizit, d.h. bewusst

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und reflektiert ab, sondern implizit im Bruchteil einer Sekunde. Die implizite Belohnung entsteht durch die Fragen »Ist es positiv oder negativ?« und »Ist dies eine Belohnung für mich?«. Ohne eine Belohnung kein Verhalten. Die Anziehungskraft starker Marken entsteht durch implizite Prozesse, die der Marke Bedeutung und Belohnung zuweisen. Der OFK ist demnach Teil des impliziten Belohnungssystems im Gehirn. Dieser Bereich leuchtet zum Beispiel beim Betrachten der Lieblingsmarke oder wenn uns ein schöner Mensch direkt in die Augen schaut auf. Wenn wir also eine Belohnung empfinden. Eine Markeninszenierung, die für den Betrachter eine wie auch immer geartete Belohnung bedeutet, aktiviert diese Hirnregion. Das Ergebnis ist eine massive Anziehungskraft. Dieselbe Anziehungskraft starker Marken liegt also im OFK und den dort gespeicherten Belohnungswerten begründet. Würde man Apple-Fans im Hirnscanner Bilder des neuen iPhone zeigen, wäre der OFK maximal aktiviert.

WOFÜR WAR DER OFK GEMACHT, BEVOR ES MARKEN GAB? Für den sozialen Austausch. Fällt diese Hirnregion etwa durch einen Unfall oder eine Krankheit aus, können sich die Betroffenen nicht mehr sozial angepasst verhalten, ihre Persönlichkeit verändert sich dramatisch. Der

Mensch ist ein Herdentier, auch wenn wir die Individualität gerne betonen. Er ist nicht nur auf sein eigenes Überleben aus, indem er schnell dem Säbelzahntiger entkommt, sondern vor allem auf das Überleben in und mit seiner »Herde«. Die Evolution mit dem Grundsatz »survival of the fittest « wird oft ausgelegt als »ich zuerst und nach mir die Sintflut«. Diese individualistische Sichtweise ist aber unvollständig. Da meine Verwandten zum Teil dieselben Gene besitzen wie ich, fördere ich durch mein Helferverhalten die Weitergabe meines Erbguts. Der renommierte Evolutionsbiologe John Maynard Smith 1 nennt dieses Phänomen »Verwandtschaftsselektion «. Unser Überleben hängt insgesamt davon ab, wie gut wir darin sind, uns in ein soziales Netz zu integrieren. Satt zu sein reicht für das Wohlbefinden des Menschen bei weitem nicht aus. Soziale Isolierung, wenn also der Austausch und die Kommunikation mit der Herde fehlen, führt zu weit reichenden, negativen Konsequenzen. Der Psychologe Rene Spitz 2 fand schon vor Jahren heraus, dass Kinder in Kliniken, die keinen Kontakt zu einer Bezugsperson herstellten, apathisch wurden und psychisch erkrankten. Wenn in der Kommunikation mit den Kollegen etwas nicht stimmt und Ausgrenzung erlebt wird (»Mobbing«), entstehen Nervosität, Verunsicherungen, Depression und

1 John Maynard Smith (* 6. Januar 1920 in London; † 19. April 2004 in Lewes, East Sussex) war ein englischer Theoretischer Biologe, der auf dem Gebiet der Evolutionären Spieltheorie, einem mathematisch geprägten Bereich der Evolutionsbiologie, forschte und mehrere richtungsweisende Arbeiten publizierte. Auf Maynard Smith geht das Konzept der Evolutionär Stabilen Strategie (ESS) zurück.

2 René Arpad Spitz (* 29. Januar 1887 in Wien, Österreich; † 14. September 1974 in Denver, Colorado, USA) war ein österreichisch-amerikanischer Psychoanalytiker und Wegbereiter von Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie. RECOGNIZE YOURSELF

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»IST ES POSITIV ODER NEGATIV?« »IST ES EINE BELOHNUNG FÜR MICH?« OHNE BELOHNUNG KEIN (KAUF-)VERHALTEN


STARKE MARKEN

Kaufverhalten

]+[

]-[

BELOHNUNG BEWERTUNG

] OFK [ SELBSTERGÄNZUNG & GRUPPENZUGEHÖRIGKEIT

Bedeutung Decode Code Botschaft

Produkt x

152 VERARBEITUNG DES ANBLICKS VON MARKEN

ABB 1

DIE BETRACHTUNG STARKER MARKEN AKTIVIERT DAS BELOHNUNGSZENTRUM DES GEHIRNS (OFK), SOFERN DER CODE DES PRODUKTES VOM BETRACHTER ALS POSITIV DECHIFFRIERT WIRD.

Angst. Soziale Ächtung führt sogar zu einer Aktivierung der Schmerzzentren in unserem Gehirn. Bei der Vermarktung von Produkten und Marken müssen wir deshalb das soziale Wesen des Menschen berücksichtigen. Das gilt vor allem bei der Markenkommunikation.Kommunikation ist also nicht nur ein Bestandteil, sondern vielmehr eine CHRISTIAN SCHEIER

Grundvoraussetzung unseres Lebens und Überlebens in der Herde. Unser Gehirn ist deshalb neurobiologisch auf gute soziale Beziehungen geeicht. Für keine andere Funktion gibt es so viele spezialisierte Hirnareale wie für die Interaktion mit anderen. Die Kommunikation mit unserer Herde hat dazu geführt, dass sich unser Gehirn so stark entwickelte.


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Anzahl und Differenziertheit der sozialen Kommunikation setzen ein besonders entwickeltes (und damit größeres) Gehirn voraus. »Tatsache ist, wir haben ein ziemlich soziales Gehirn«, sagt auch Christian Keysers  3, Biopsychologe vom Neuroimaging Center im niederländischen Groningen. Inzwischen gibt es unter dem Label »Social Neuroscience « eine eigene Forschungsrichtung, die diesen »sozialen« Hirnstrukturen und deren Verständnis nachgeht. Was das für die Markenkommunikation heißen kann, zeigt das Beispiel des Gesichtsareals. Diese Hirnregion (Fachbegriff: fusiform Gyrus) leuchtet immer dann auf, wenn wir Gesichter sehen, zum Beispiel in der Werbung. Das Gesichtsareal ist sehr spezialisiert. Es gibt allerdings auch bestimmte Bereiche der Wahrnehmung, für die es mit verwendet wird, weil diese Bereiche gesichtsartige Züge haben, zum Beispiel Tiere, Cartoons, der berühmte Smiley oder das TUI-Markenlogo. Alle eben diese Dinge bedeuten aus der Perspektive des Gehirns »Gesicht«, auch wenn sie einem menschlichen Gesicht nur entfernt ähnlich sehen. Das »Gesicht« eines Autos mit den Scheinwerferaugen und dem lachenden Kühlergrill aktiviert deshalb das Gesichtsareal. Autos zeigt man in der Werbung also am besten so, dass die Frontseite (das Gesicht) klar erkennbar ist. Das Gesichtsareal ist ein Beispiel für die Tatsache, dass die neuronalen Netzwerke in unserem Gehirn auf eine Verarbeitung sozialer

Informationen und auf Kommunikation getrimmt sind. Zu diesen sozialen Netzwerken gehören neben dem Gesichtsareal auch die Amygdala (Teil des Emotionszentrums) oder der ventromediale , präfrontale Kortex (direkt hinter der Stirn, über den Augen). Das sind genau die Hirnregionen, die im Hirnscanner hell aufleuchten, wenn starke Marken gesehen werden. Marken haben also soziale Aspekte. Wie wir noch sehen werden, hat das auch damit zu tun, dass starke Marken die Zugehörigkeit zu oder die Abgrenzung von einer Herde signalisieren. Im Unterschied zu Coca-Cola etwa aktiviert Pepsi im Hirnscanner keine dieser sozialen Hirnregionen, sondern lediglich einen uralten Lustkern (N ucleus A ccumbens ) . Starke Marken haben soziale Relevanz und das zeigt sich im Hirnscanner als Aktivierung sozialen Netzwerke.

MARKEN SIGNALISIEREN DIE ZUGEHÖRIGKEIT ZUR EIGENEN HERDE Genau diese höheren Funktionen von Marken sind der Grund für die Aktivierung der sozialen Netzwerke beim Betrachten starker Marken. Bei der Vermarktung von Produkten und Marken müssen wir uns deshalb nicht nur darum kümmern, eine individuelle Präferenz zu erzielen, sondern unsere Produkte auch mit einer sozialer Bedeutung aufladen. Der Wert einer Marke besteht in ihrer sozialen Bedeutung. Die Markenkommunikation hat die Funktion, über die Codes Marken und Produkte mit Bedeutung aufzuladen.

3 Christian Keysers (* 6. Januar 1920 in London; † 19. April 2004 in Lewes, East Sussex) war ein englischer Theoretischer Biologe, der auf dem Gebiet der Evolutionären Spieltheorie, einem mathematisch geprägten Bereich der Evolutionsbiologie, forschte und mehrere richtungsweisende Arbeiten publizierte. Auf Maynard Smith geht das Konzept der Evolutionär Stabilen Strategie (ESS) zurück. RECOGNIZE YOURSELF

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FÜR KEINE ANDERE FUNKTION GIBT ES SO VIELE HIRNAREALE WIE FÜR DIE INTERAKTION MIT ANDEREN. TATSACHE IST. WIR HABEN EIN ZIEMLICH SOZIALES GEHIRN.


STARKE MARKEN

Starke Marken zeichnet aus, dass sie mit der Zeit selbst zu einem kulturellen Code werden. Das kann aber nicht nur durch die Markenkommunikation erfolgen, sondern muss durch die Produktnutzung im sozialen Kontext der Zielgruppe ergänzt werden. Die Markenkommunikation kann Produkte und Marken mit Bedeutung zwar aufladen, zum kulturellen Code werden sie jedoch erst durch die Nutzer selbst.

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Der Grund liegt in der sozialen Natur des Menschen und seines Gehirns. Wir haben schon gesehen, dass bei starken Marken deshalb im Hirnscanner auch die sozialen Netzwerke aufleuchten. Starke Marken sind dann Codes, wenn sie uns helfen, uns gegenüber anderen abzugrenzen und Zugehörigkeit zur »eigenen Herde« zu signalisieren. Das gilt für alle Zielgruppen und Subkulturen unabhängig von der Soziodemografie (Alter, Geschlecht usw.). Durch diese soziale Bedeutung wird das Produkt selbst zum Code. Wir haben gesehen, wie wichtig die Zugehörigkeit zur Herde, zur Sippe oder zum Stamm war und heute noch ist. Wir wechseln zwischen den Herden und fühlen uns in den verschiedenen Lebensbereichen ganz unterschiedlichen Gruppen zugehörig. Und auch hier spielen Codes eine entscheidende Rolle. Sie signalisieren nicht nur Zugehörigkeit zum eigenen Stamm und die Abgrenzung

gegenüber anderen, sie machen auch ein Statement über die Person selbst. Die Sozialpsychologen nennen das »symbolische Selbstergänzung«. Die Codes sollen nicht nur ein bestimmtes Bild anderen gegenüber vermitteln, sondern sie sollen auch das Bild stützen und erganzen, das ich selbst von mir habe. Wir machen durch Codes ein Statement über uns selbst, grenzen uns ab und signalisieren gleichzeitig Zugehörigkeit. Und genau diese Funktionen übernehmen auch Produkte oder Marken. Der Wert einer Marke besteht in ihrer sozialen Bedeutung. Die Kommunikation über Marken hat die Funktion, Produkte mit Bedeutung aufzuladen und mit Geschichten und emotionalen Assoziationen zu verknüpfen.

DIE BEDEUTUNG VON PRODUKTEN UND DEN MARKEN Wir lernen nicht nur über die Werbung, sondern auch implizit über Produktund Marken Nutzer. Das Bild des stereotypen Käufers eines Produktes oder einer Marke sind mächtige Codes. Wir verbinden mit Marken eine bestimmte Herde, zu der wir gehören wollen oder eben nicht. Je wichtiger die Produktkategorie für unser Selbstbild ist, desto bedeutender ist das Bild der Nutzer. Aus diesem Grund sind die Protagonisten und deren Inszenierung in den Werbemitteln so wichtig. Anzeigen der iPod-Kam-

4 Manfred Spitzer (* 27. Mai 1958 in Lengfeld in der Nähe von Darmstadt) ist ein deutscher Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer. Seit 1998 ist er ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, als der er auch die Gesamtleitung des 2004 dort eröffneten Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) innehat, das sich vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt.

5 Norbert Bischof (* 6. März 1930 in Breslau) ist ein Psychologe und Systemtheoretiker. Zu seinen bedeutendsten Werken gehört Das Rätsel Ödipus, in dem er für eine biologischen Inzestbarriere argumentiert, und dabei das Zürcher Modell sozialer Motivation herleitet. Dieses Modell gilt mittlerweile als ein wichtiges integratives Modell für menschliche Motivation. CHRISTIAN SCHEIER


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pagne: Exklusivität und Individualität werden vor allem mit sensorischen und symbolischen Codes transportiert. Die Exklusivität des iPod wird in der Kommunikation transportiert. Auffallend ist: Alle Protagonisten schauen nicht den Betrachter an, sondern wenden sich sogar von ihm ab. Diese Inszenierung der Protagonisten unterstreicht die Individualität und Abgrenzungsfunktion des iPod. Wie wäre es nun, wenn der iPod plötzlich sehr günstig wäre und jeder ihn sich leisten könnte? Wir haben schon nach den sozialem Charakter des Gehirns und des Menschen insgesamt betont. Die Abgrenzungsfunktion wäre nicht mehr glaubwürdig. Eine wichtige Aufgabe der Markenkommunikation ist es also, Produkte und Marken über implizite Codes mit Bedeutung aufzuladen, damit sie zur Selbstergänzung, zur Abgrenzung oder zur Zugehörigkeit zu einer Herde genutzt werden können. Diese Beispiele zeigen, wie vor allem die impliziten Codes Produkte und Marken mit Bedeutung aufladen und wie durch die Nutzung im sozialen Kontext diese Produkte selbst zum Code und damit zu wirklich starken Marken werden.

DIE DREI GRUNDMOTIVE DES MENSCHEN Die Nutzer der Marke laden die Marke auch mit Bedeutung auf, genauso wie die Codes in der Markenkommunikation. Auch dies gilt es zu steuern! Die Gefahr von Rabatten etwa ist es, nicht zur bisherigen Zielgruppe passende Kunden als Nutzer und damit Bedeutungsträger zu gewinnen. Erst wenn diese Bedeutung auf für den Kunden relevante Motive und Bedürfnisse trifft, entsteht Verhalten. Motive geben

also den Codes die nötige Energie, um Kaufverhalten auszulösen. Wie aber bringt die Markenkommunikation diese Motive in die Köpfe der Kunden? Die Antwort ist einfach: gar nicht! Denn die Motive sind bereits in den Kunden vorhanden. Der bekannte Hirnforscher Manfred Spitzer 4 drückt das in seinen Untersuchungen so aus: »Die Frage danach, wie man Menschen motiviert, ist etwa so sinnvoll wie die Frage, Wie erzeugt man Hunger? Die einzig vernünftige Antwort lautet Gar nicht, er stellt sich von alleine ein«. Markenkommunikation kann also keine magischen Motivationen wecken, keine Motive in die Köpfe der Kunden pflanzen, obwohl Gegner der Werbung das häufig

KEIN VERHALTEN OHNE MOTIV kolportieren. Die Werbung weckt aber keine neuen Bedürfnisse. Stattdessen muss die Markenkommunikation die Produkte und Marken an die schon bestehenden Motive anknüpfen. Das Gehirn trägt die Motive in sich, sie können nicht von außen hinein gebracht werden. Gelingt die Anknüpfung an die Motive nicht, scheitert das Produkt, die Kommunikation oder beides. Denn ohne Motive gibt es kein Verhalten. Die Anknüpfung an die Motive ist Aufgabe der in der Markenkommunikation häufig verwendeten Codes. Codes haben also nicht nur die Funktion, Bedeutung zu transportieren. Sie haben auch die Aufgabe, eine Brücke zu den relevanten Motiven zu schlagen. Sie sind die Verbindung zwischen dem Produkt und den Motiven. Codes schlagen die RECOGNIZE YOURSELF

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STARKE MARKEN WERDEN MIT DER ZEIT SELBST ZU EINEM CODE KULTURELLER ART UND WEISE


STARKE MARKEN

Starke Marken zeichnet aus, dass sie mit der Zeit selbst zu einem kulturellen Code werden. Das kann aber nicht nur durch die Markenkommunikation erfolgen, sondern muss durch die Produktnutzung im sozialen Kontext der Zielgruppe ergänzt werden. Die Markenkommunikation kann Produkte und Marken mit Bedeutung zwar aufladen, zum kulturellen Code werden sie jedoch erst durch die Nutzer selbst.

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Der Grund liegt in der sozialen Natur des Menschen und seines Gehirns. Wir haben schon gesehen, dass bei starken Marken deshalb im Hirnscanner auch die sozialen Netzwerke aufleuchten. Starke Marken sind dann Codes, wenn sie uns helfen, uns gegenüber anderen abzugrenzen und Zugehörigkeit zur »eigenen Herde« zu signalisieren. Das gilt für alle Zielgruppen und Subkulturen unabhängig von der Soziodemografie (Alter, Geschlecht usw.). Durch diese soziale Bedeutung wird das Produkt selbst zum Code. Wir haben gesehen, wie wichtig die Zugehörigkeit zur Herde, zur Sippe oder zum Stamm war und heute noch ist. Wir wechseln zwischen den Herden und fühlen uns in den verschiedenen Lebensbereichen ganz unterschiedlichen Gruppen zugehörig. Und auch hier spielen Codes eine entscheidende Rolle. Sie signalisieren nicht nur Zugehörigkeit zum eigenen Stamm und die Abgrenzung

gegenüber anderen, sie machen auch ein Statement über die Person selbst. Die Sozialpsychologen nennen das »symbolische Selbstergänzung«. Die Codes sollen nicht nur ein bestimmtes Bild anderen gegenüber vermitteln, sondern sie sollen auch das Bild stützen und erganzen, das ich selbst von mir habe. Wir machen durch Codes ein Statement über uns selbst, grenzen uns ab und signalisieren gleichzeitig Zugehörigkeit. Und genau diese Funktionen übernehmen auch Produkte oder Marken. Der Wert einer Marke besteht in ihrer sozialen Bedeutung. Die Kommunikation über Marken hat die Funktion, Produkte mit Bedeutung aufzuladen und mit Geschichten und emotionalen Assoziationen zu verknüpfen.

DIE BEDEUTUNG VON PRODUKTEN UND DEN MARKEN Wir lernen nicht nur über die Werbung, sondern auch implizit über Produktund Marken Nutzer. Das Bild des stereotypen Käufers eines Produktes oder einer Marke sind mächtige Codes. Wir verbinden mit Marken eine bestimmte Herde, zu der wir gehören wollen oder eben nicht. Je wichtiger die Produktkategorie für unser Selbstbild ist, desto bedeutender ist das Bild der Nutzer. Aus diesem Grund sind die Protagonisten und deren Inszenierung in den Werbemitteln so wichtig. Anzeigen der iPod-Kam-

4 Manfred Spitzer (* 27. Mai 1958 in Lengfeld in der Nähe von Darmstadt) ist ein deutscher Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer. Seit 1998 ist er ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, als der er auch die Gesamtleitung des 2004 dort eröffneten Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) innehat, das sich vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt.

5 Norbert Bischof (* 6. März 1930 in Breslau) ist ein Psychologe und Systemtheoretiker. Zu seinen bedeutendsten Werken gehört Das Rätsel Ödipus, in dem er für eine biologischen Inzestbarriere argumentiert, und dabei das Zürcher Modell sozialer Motivation herleitet. Dieses Modell gilt mittlerweile als ein wichtiges integratives Modell für menschliche Motivation. CHRISTIAN SCHEIER


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pagne: Exklusivität und Individualität werden vor allem mit sensorischen und symbolischen Codes transportiert. Die Exklusivität des iPod wird in der Kommunikation transportiert. Auffallend ist: Alle Protagonisten schauen nicht den Betrachter an, sondern wenden sich sogar von ihm ab. Diese Inszenierung der Protagonisten unterstreicht die Individualität und Abgrenzungsfunktion des iPod. Wie wäre es nun, wenn der iPod plötzlich sehr günstig wäre und jeder ihn sich leisten könnte? Wir haben schon nach den sozialem Charakter des Gehirns und des Menschen insgesamt betont. Die Abgrenzungsfunktion wäre nicht mehr glaubwürdig. Eine wichtige Aufgabe der Markenkommunikation ist es also, Produkte und Marken über implizite Codes mit Bedeutung aufzuladen, damit sie zur Selbstergänzung, zur Abgrenzung oder zur Zugehörigkeit zu einer Herde genutzt werden können. Diese Beispiele zeigen, wie vor allem die impliziten Codes Produkte und Marken mit Bedeutung aufladen und wie durch die Nutzung im sozialen Kontext diese Produkte selbst zum Code und damit zu wirklich starken Marken werden.

DIE DREI GRUNDMOTIVE DES MENSCHEN Die Nutzer der Marke laden die Marke auch mit Bedeutung auf, genauso wie die Codes in der Markenkommunikation. Auch dies gilt es zu steuern! Die Gefahr von Rabatten etwa ist es, nicht zur bisherigen Zielgruppe passende Kunden als Nutzer und damit Bedeutungsträger zu gewinnen. Erst wenn diese Bedeutung auf für den Kunden relevante Motive und Bedürfnisse trifft, entsteht Verhalten. Motive geben

also den Codes die nötige Energie, um Kaufverhalten auszulösen. Wie aber bringt die Markenkommunikation diese Motive in die Köpfe der Kunden? Die Antwort ist einfach: gar nicht! Denn die Motive sind bereits in den Kunden vorhanden. Der bekannte Hirnforscher Manfred Spitzer 4 drückt das in seinen Untersuchungen so aus: »Die Frage danach, wie man Menschen motiviert, ist etwa so sinnvoll wie die Frage, Wie erzeugt man Hunger? Die einzig vernünftige Antwort lautet Gar nicht, er stellt sich von alleine ein«. Markenkommunikation kann also keine magischen Motivationen wecken, keine Motive in die Köpfe der Kunden pflanzen, obwohl Gegner der Werbung das häufig

KEIN VERHALTEN OHNE MOTIV kolportieren. Die Werbung weckt aber keine neuen Bedürfnisse. Stattdessen muss die Markenkommunikation die Produkte und Marken an die schon bestehenden Motive anknüpfen. Das Gehirn trägt die Motive in sich, sie können nicht von außen hinein gebracht werden. Gelingt die Anknüpfung an die Motive nicht, scheitert das Produkt, die Kommunikation oder beides. Denn ohne Motive gibt es kein Verhalten. Die Anknüpfung an die Motive ist Aufgabe der in der Markenkommunikation häufig verwendeten Codes. Codes haben also nicht nur die Funktion, Bedeutung zu transportieren. Sie haben auch die Aufgabe, eine Brücke zu den relevanten Motiven zu schlagen. Sie sind die Verbindung zwischen dem Produkt und den Motiven. Codes schlagen die RECOGNIZE YOURSELF

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STARKE MARKEN WERDEN MIT DER ZEIT SELBST ZU EINEM CODE KULTURELLER ART UND WEISE


STARKE MARKEN

Kaufverhalten

Produkt mit passendem Code füllt Ungleichgewicht auf

UNGLEICHGEWICHT

GRUNDMOTIVE DES MENSCHEN NACH DEM ZÜRCHER MODELL

HANDLUNGSBEDARF

] SOLLWERT [ ] ISTWERT [

SICHERHEITSSYSTEM

ERREGUNGSSYSTEM

ABB 2 REGULATIVE MOTIVWIRKUNG DES KONSUMS

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Brücke zwischen Produkt und Motiv. Ohne den Anschluss an Motive bleibt das Kaufverhalten aus. Codes laden deshalb Produkte und Marken nicht nur mit Bedeutung auf, sondern sie sind für den Anschluss an die relevanten Motive verantwortlich.Aber welche Motive gibt es in den Köpfen der Kunden? Wir haben schon nach den sozialem Charakter des Gehirns und des Menschen insgesamt betont. Es ist deshalb kein Zufall, dass das differenzierteste und am weitesten entwickelte Modell der menschlichen Motive das »Zürcher Modell der sozialen M otivation « heißt. Das Modell wurde vom anerkannten Deutschen Psychologen Norbert Bischof 5 entwickelt. Es integriert Erkenntnisse CHRISTIAN SCHEIER

AUTONOMIESYSTEM

PRODUKTE UND MARKEN KOMMEN ALSO AN ZWEI STELLEN INS SPIEL: ERSTENS, UM DIE LANGFRISTIGEN MOTIVE ZU BEDIENEN, UND ZWEITENS, UM AUS DEM GLEICHGEWICHT GERATENE MOTIVE SITUATIONSBEDINGT WIEDER INS LOT ZU BRINGEN.

der Hirnforschung, der Verhaltensforschung, der Evolutionslehre, der Entwicklungs- und der Motivationspsychologie. Darin werden die entscheidenden drei zentralen, sozialen Motivsysteme des Menschen identifiziert. Man unterscheidet diesbezüglich wie folgt: 1. SICHERHEITSSYSTEM: DAS STREBEN NACH SICHERHEIT UND GEBORGENHEIT, INSBESONDERE BEI VERTRAUTEN MENSCHEN (FAMILIE, FREUNDE). In dieses System gehört auch das Fürsorgemotiv, also die Motivation, anderen Menschen (vor allem den eigenen zu helfen, sie zu unterstützen). 2. ERREGUNGSSYSTEM: DAS STREBEN NACH ABWECHSLUNG UND NEUEM.


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Hierzu unter anderem das Streben hin zu fremden Menschen, die Ablösung und Abnabelung von der Familie. Dieses Motivsystem hat letztlich die Funktion, meine Gene mit fremden Genen zusammenzubringen, also Inzest zu vermeiden. Ein weiterer Aspekt des Erregungssystems ist der Spieltrieb des Menschen und die Erwartung stetig und fortlaufend mit neuen Erfahrungen uns Sitautionen konfrontiert zu werden. 3. AUTONOMIESYSTEM: DAS STREBEN NACH UNABHÄNGIGKEIT, NACH DURCHSETZUNG GEGENÜBER ANDEREN, NACH KONTROLLE UND MACHT. Dieses Motivsystem bündelt eine ganze Reihe von Einzelmotiven: das Streben nach Macht (Beherrschung von anderen), Leistung (sich selbst »beherrschen«), Geltung und Selbstwert. Im Normalfall ist das Gefühl, die Dinge selbst zu bestimmen, fundamental wichtig für unsere psychische Gesundheit. Warum haben viele Menschen mehr Angst vor dem Fliegen als vor dem Autofahren, obwohl das Fliegen statistisch betrachtet viel sicherer ist? Weil wir im Flugzeug die Kontrolle an den Piloten abgeben, die Dinge im Unterschied zum Autofahren nicht mehr selbst steuern können. Das ist für viele ein beklemmendes Gefühl, das sie als Flugangst erleben. Die Motive geben im Kern vor, wer die Kunden sind. Alle drei Motive sind grundsätzlich in jedem Menschen vorhanden, ihre Ausprägung ist aber von Person zu Person verschieden. Diese Ausprägungen bestimmen unsere Persönlichkeit. Einige Menschen sind besonders neugierig (etwa Künstler und Kreative), andere sind eher auf Durchsetzung aus (zum Beispiel Ma-

nager), für wieder andere bedeutet es Erfüllung, Menschen zu helfen (beispielsweise Sozialarbeiter). Wir unterscheiden uns grundlegend in Bezug auf die Sollwerte der Motive, also wie viel Sicherheit, Erregung und Autonomie jeder von uns braucht, um zufrieden und glücklich zu sein. Diese Sollwerte sind über Zeit und Situationen hinweg stabil. Wir ändern unseren Charakter ja nicht stündlich. Jedes Motiv ist bei uns allen irgendwann am Tage oder in der Woche einmal aktiv, je nach Situation. Im Alltag bestimmt die Situation den Istwert der Motive. Ständig vergleicht unser Unterbewusstsein den Sollwert mit dem Istzustand in der Situation, ein Ungleichgewicht fällt sofort auf. Das Motiv ist dann aktiviert und unser Unterbewusstsein ist nun darauf aus, nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, dieses Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bekommen. Das Ergebnis ist Verhalten, zum Beispiel Kaufverhalten. Marken und Produkte haben nur eine Funktion: Sie sollen ein Ungleichgewicht in den Motiven ausgleichen oder verhindern.

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KONSUM REGULIERT MOTIVE Ein Motiv funktioniert also wie ein Konto: Ist es im Minus, wird alles dafür getan, das Konto schnell wieder auszugleichen, etwa indem ein Produkt oder eine Marke gekauft oder genutzt wird. Verhalten entsteht also nur, wenn mindestens ein Motiv aktiviert, das heißt im Ungleichgewicht ist. Diese situationsabhängige Motivlage heißt »Verfassung « . Und diese Verfassung ist nicht über längere Zeit stabil, sondern kann sich stündlich ändern. Ein kalter Luftstrom ist angenehm, wenn uns zu heiß ist, aber unangenehm, wenn wir RECOGNIZE YOURSELF

MARKEN UND PRODUKTE HABEN NUR EINE FUNKTION: SIE SOLLEN EIN UNGLEICHGEWICHT IN DEN MOTIVEN AUSGLEICHEN ODER VERHINDERN.


STARKE MARKEN

ohnehin schon frieren. Wie ein Reiz bewertet wird, hängt also nicht einfach von seinen objektiven Merkmalen ab, sondern von den Vorerfahrungen und Sollwerten sowie dem momentanen Zustand (Verfassung). Produkte und Marken kommen also an zwei Stellen ins Spiel: erstens, um die langfristigen M otive zu bedienen, und zweitens, um aus dem Gleichgewicht geratene Motive situationsbedingt wieder ins Lot zu bringen. Der entscheidende Punkt ist: Einige Produkte bedienen

DAS VERSPRECHEN ZUM ABENTEUER

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mehr die Verfassungen der Kunden, andere dienen eher als Persönlichkeitsmarkierer , sind also von den stabilen Sollwerten der Motive zu definieren. Ob ein Produkt eher als Persönlichkeitsmarkierer oder als kurzfristige Motivregulierung in einer speziellen Verfassung dient, bestimmt alleine der Kunde, je nachdem ob das Produkt ein für das Selbstbild relevantes Statement als Bedeutung in sich trägt oder nicht. Aber wie wir gesehen haben unterliegen die Motive auch einer Dynamik. Diese täglichen Schwankungen erfolgen durch konkrete Situationen, in denen das eine oder andere Motiv ins Ungleichgewicht gerät. Produkte und Marken können dann helfen das Gleichgewicht wieder herzustellen.

BECK’S VERSUS JEVER Der deutsche Biertrinker kann zwischen über 1.000 Biermarken wählen. Es gibt kaum eine andere Konsumgüterbranche, in der so viele Marken um unsere Gunst werben. Die Beck’s-BrauCHRISTIAN SCHEIER

erei konnte entgegen dem Markttrend sinkender Absätze im Biermarkt junge Biertrinker für sich gewinnen. Dieser Erfolg kann nicht nur mit der Qualität von Beck’s zu tun haben. Was ist also das Erfolgsgeheimnis der Marke? Die Antwort liegt in den Codes und ihrer Motivbedeutung. Auf die oberflächliche Weise betrachtet erscheint die Beck’s Werbung trivial: Das Bier schmeckt, erfrischt und wird in Gesellschaft getrunken. Analysiert man die Codes, kommt das Eigentümliche der Marke zum Vorschein. Beck’s benutzt zwei sprachliche Codes: den Claim Beck’s Experience und den Song »Sail Away«. Beides zahlt auf das Erregungsmotiv ein. Es verspricht neue Erfahrungen. Das Symbol Segelschiff mit grünen Segeln ist seit fast 20 Jahren das Schlüsselbild. Wofür steht ein Dreimaster? Er kodiert Aspekte wie »Expedition« und »Entdeckung « . Schon Kolumbus segelte mit einem Dreimaster über die Meere. Der Dreimaster ist ein kulturell gelerntes Symbol, dessen implizite Bedeutung die meisten von uns mühelos dekodieren können. Er ist also nicht nur ein starkes visuelles Signal, sondern auch eine verschlüsselte Botschaft. Der Code »Dreimaster« ist also eine Brücke zum Erregungsmotiv . Inhaltlich verstärkt das Meer das Thema Abenteuer - ein See würde hier nicht funktionieren, ist begrenzt, das Meer dagegen offen. Aber auch die Protagonisten sind Symbole. Es sind keine Teenies mehr, sondern junge Erwachsene. Sie entsprechen überhaupt nicht dem Klischee eines Biertrinkers. Bier hat nämlich, wie alle Produkte, auch eine Kehrseite. Diese Kehrseite gilt es zu bearbeiten. Die Protagonisten arbeiten aktiv gegen das negative Bild des Biertrinkers (Bierbauch, Schweiss usw.). Der wirksamste psychologische


SELF DISPLAY

DECODIERUNG FRISCHE MEER

Sprache

KOLUMBUS

Geschichte

ABENTEUER

Symbolik

ENTDECKER

Sensorik

Beck’s

KEINE GRENZEN

LERNVORGANG/ NEURONALE VERKNÜPFUNG

ABB 3 WIRKUNG EINES MARKEN CODES

Hebel ist die Positionierung der Marke im Bereich Abenteuer und Freiheit. Beck’s bedient das Erregungsmotiv. Das erklärt den Erfolg der Marke bei Jugendlichen. Die Marke ist anschlussfähig an genau das Motiv, das bei Jugendlichen gerade aktiv ist. Hier empfinden sie einen starken Sollwert und Beck’s hilft ihnen, das Konto ihres Erregungsmotivs aufzufüllen. Jedes Detail der Beck’s Werbung ist also stimmig. Sie zielt mit allen eingesetzten Codes - vom offenen Meer über den Dreimaster bis zum Ohrwurm - auf das hoch aktivierte Erregungsmotiv der Jugendlichen. Das Ergebnis ist ein Lernvorgang, der die Marke mit Hilfe

DIE MARKENNETZWERKE SIND ALS KOMPLEXES MUSTER ÜBER DAS GESAMTE GEHIRN VERTEILT. WENN ALSO EIN KUNDE DEN DREIMASTER SIEHT, WIRD DAS GESAMTE BECK’S NETZWERK AUF EINEN SCHLAG AKTIVIERT.

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der Codes im Gehirn der Zielgruppe verankert und an ein aktuell relevantes Motiv anschließt. Erst dadurch entfaltet die Kampagne nachhaltige Wirkung. Gleichzeitig zu diesem Streben nach Abenteuer und Abnabelung haben Jugendliche einen starken Wunsch nach Anschluss eine Gruppe, sind sie doch gerade im Begriff, die Herde, ihre Familie, zu verlassen. Es ist also wichtig, hier immer eine größere Gruppe von Menschen zu zeigen. Jever dagegen tritt anders auf. Die verlassene Szenerie strahlt Ruhe aus und ist eher an das Sicherheitsmotiv anschlussfähig. Der Protagonist selbst RECOGNIZE YOURSELF

DAS PRODUKT WIRD ASSOZIATIV IN DAS NEURONALE NETZWERK DES DREIMASTERS EINGEFLOCHTEN.


STARKE MARKEN

ohnehin schon frieren. Wie ein Reiz bewertet wird, hängt also nicht einfach von seinen objektiven Merkmalen ab, sondern von den Vorerfahrungen und Sollwerten sowie dem momentanen Zustand (Verfassung). Produkte und Marken kommen also an zwei Stellen ins Spiel: erstens, um die langfristigen M otive zu bedienen, und zweitens, um aus dem Gleichgewicht geratene Motive situationsbedingt wieder ins Lot zu bringen. Der entscheidende Punkt ist: Einige Produkte bedienen

DAS VERSPRECHEN ZUM ABENTEUER

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mehr die Verfassungen der Kunden, andere dienen eher als Persönlichkeitsmarkierer , sind also von den stabilen Sollwerten der Motive zu definieren. Ob ein Produkt eher als Persönlichkeitsmarkierer oder als kurzfristige Motivregulierung in einer speziellen Verfassung dient, bestimmt alleine der Kunde, je nachdem ob das Produkt ein für das Selbstbild relevantes Statement als Bedeutung in sich trägt oder nicht. Aber wie wir gesehen haben unterliegen die Motive auch einer Dynamik. Diese täglichen Schwankungen erfolgen durch konkrete Situationen, in denen das eine oder andere Motiv ins Ungleichgewicht gerät. Produkte und Marken können dann helfen das Gleichgewicht wieder herzustellen.

BECK’S VERSUS JEVER Der deutsche Biertrinker kann zwischen über 1.000 Biermarken wählen. Es gibt kaum eine andere Konsumgüterbranche, in der so viele Marken um unsere Gunst werben. Die Beck’s-BrauCHRISTIAN SCHEIER

erei konnte entgegen dem Markttrend sinkender Absätze im Biermarkt junge Biertrinker für sich gewinnen. Dieser Erfolg kann nicht nur mit der Qualität von Beck’s zu tun haben. Was ist also das Erfolgsgeheimnis der Marke? Die Antwort liegt in den Codes und ihrer Motivbedeutung. Auf die oberflächliche Weise betrachtet erscheint die Beck’s Werbung trivial: Das Bier schmeckt, erfrischt und wird in Gesellschaft getrunken. Analysiert man die Codes, kommt das Eigentümliche der Marke zum Vorschein. Beck’s benutzt zwei sprachliche Codes: den Claim Beck’s Experience und den Song »Sail Away«. Beides zahlt auf das Erregungsmotiv ein. Es verspricht neue Erfahrungen. Das Symbol Segelschiff mit grünen Segeln ist seit fast 20 Jahren das Schlüsselbild. Wofür steht ein Dreimaster? Er kodiert Aspekte wie »Expedition« und »Entdeckung « . Schon Kolumbus segelte mit einem Dreimaster über die Meere. Der Dreimaster ist ein kulturell gelerntes Symbol, dessen implizite Bedeutung die meisten von uns mühelos dekodieren können. Er ist also nicht nur ein starkes visuelles Signal, sondern auch eine verschlüsselte Botschaft. Der Code »Dreimaster« ist also eine Brücke zum Erregungsmotiv . Inhaltlich verstärkt das Meer das Thema Abenteuer - ein See würde hier nicht funktionieren, ist begrenzt, das Meer dagegen offen. Aber auch die Protagonisten sind Symbole. Es sind keine Teenies mehr, sondern junge Erwachsene. Sie entsprechen überhaupt nicht dem Klischee eines Biertrinkers. Bier hat nämlich, wie alle Produkte, auch eine Kehrseite. Diese Kehrseite gilt es zu bearbeiten. Die Protagonisten arbeiten aktiv gegen das negative Bild des Biertrinkers (Bierbauch, Schweiss usw.). Der wirksamste psychologische


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DECODIERUNG FRISCHE MEER

Sprache

KOLUMBUS

Geschichte

ABENTEUER

Symbolik

ENTDECKER

Sensorik

Beck’s

KEINE GRENZEN

LERNVORGANG/ NEURONALE VERKNÜPFUNG

ABB 3 WIRKUNG EINES MARKEN CODES

Hebel ist die Positionierung der Marke im Bereich Abenteuer und Freiheit. Beck’s bedient das Erregungsmotiv. Das erklärt den Erfolg der Marke bei Jugendlichen. Die Marke ist anschlussfähig an genau das Motiv, das bei Jugendlichen gerade aktiv ist. Hier empfinden sie einen starken Sollwert und Beck’s hilft ihnen, das Konto ihres Erregungsmotivs aufzufüllen. Jedes Detail der Beck’s Werbung ist also stimmig. Sie zielt mit allen eingesetzten Codes - vom offenen Meer über den Dreimaster bis zum Ohrwurm - auf das hoch aktivierte Erregungsmotiv der Jugendlichen. Das Ergebnis ist ein Lernvorgang, der die Marke mit Hilfe

DIE MARKENNETZWERKE SIND ALS KOMPLEXES MUSTER ÜBER DAS GESAMTE GEHIRN VERTEILT. WENN ALSO EIN KUNDE DEN DREIMASTER SIEHT, WIRD DAS GESAMTE BECK’S NETZWERK AUF EINEN SCHLAG AKTIVIERT.

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der Codes im Gehirn der Zielgruppe verankert und an ein aktuell relevantes Motiv anschließt. Erst dadurch entfaltet die Kampagne nachhaltige Wirkung. Gleichzeitig zu diesem Streben nach Abenteuer und Abnabelung haben Jugendliche einen starken Wunsch nach Anschluss eine Gruppe, sind sie doch gerade im Begriff, die Herde, ihre Familie, zu verlassen. Es ist also wichtig, hier immer eine größere Gruppe von Menschen zu zeigen. Jever dagegen tritt anders auf. Die verlassene Szenerie strahlt Ruhe aus und ist eher an das Sicherheitsmotiv anschlussfähig. Der Protagonist selbst RECOGNIZE YOURSELF

DAS PRODUKT WIRD ASSOZIATIV IN DAS NEURONALE NETZWERK DES DREIMASTERS EINGEFLOCHTEN.


STARKE MARKEN

SICH FALLEN LASSEN

DECODIERUNG

KLASSISCH LEGERES OUTFIT DUNKLE STIMME MARKANTES GESICHT

SICHERHEITS SYSTEM

VOICE-OVER

AUTONOMIE SYSTEM ALLEIN UNTERWEGS

ERREGUNGS SYSTEM

Jever

ABB 4

WIRKUNG EINES MARKENCODES: DIE ENTSCHLÜSSELTEN CODES KNÜPFEN AN DEN IM UNTERBEWUSSTSEIN VERBORGENEN MOTIVEN AN UND WIRKEN VON DORT AUS AUF UNSER VERHALTEN. DIE VERBINDUNG ZWISCHEN DEN CODES UND DEN MOTIVEN ERWACHSEN AUS IMPLIZITEM, KULTURELLEN LERNEN. JEVER DIFFERENZIERT SICH AUF MOTIVEBENE VOM WETTBEWERB DURCH DIE GLEICHZEITIGE ANSPRACHE DER MOTIVE SICHERHEIT UND AUTONOMIE.

164 ist ein Businessman, der Autonomie ausstrahlt: Dreitagebart, Mantel und Anzug, aber selbstbewusst leger. Und dann die entscheidende Szene: Der Protagonist lässt sich fallen. Diese Szene ist enorm wichtig. Sie verdeutlicht, dass Jever zwei Motive gleichzeitig bedient - das Autonomie- und das S icherheitsmotiv (sich fallen lassen). Jever hätte über die Jahre viel Geld an Mediaausgaben sparen können, wenn sie auf diese Sekunden verzichtet hätten. Diese Szene macht die Marke allerdings komplexer und damit nachhaltig differenzierender. Das Geld hat sich also mehr als rentiert. Die für CHRISTIAN SCHEIER

den Jever-Spot verantwortliche Kreativagentur Jung von Matt erkannte die Relevanz der Szene intuitiv, in der sich der Protagonist fallen lässt. Der Auftraggeber hatte die Szene ursprünglich abgelehnt. Der Fall des Mannes in den Dünensand wirke so, als wäre er betrunken. Die Agentur hingegen sah darin ein Symbol totaler Entspannung, kämpfte für diese Szene und setzte sich am Ende durch. Eine systematische Bedeutungsanalyse der Codes und der damit angesprochenen Motive kann helfen, die interne Diskussion auf eine solide Grundlage


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zu stellen, indem sie die wahre Bedeutung solcher Szenen offen legt. Das Jever Beispiel zeigt, dass erfolgreiche Marken sich nicht auf ein Motiv festlegen müssen, sondern auch einen Motivmix ansprechen können. Werden mehrere Motive angesprochen, steigt die Komplexität der Marke. Das macht es dem Wettbewerber schwerer, die Marke anzugreifen, denn die Differenzierung ist dadurch nachhaltiger.

DIE MARKE ALS NEURONALES NETZWERK Die Grundlage für das Zusammenspiel von Codes und Motiven sind neuronale N etzwerke in unserem Gehirn. In diesen neuronalen Netzwerken sind die Codes mit den Motiven verknüpft. Bereits direkt nach der Geburt beginnt unser Gehirn, wie ein Schwamm Informationen aufzunehmen. Damit es nicht überfordert wird, entwickeln sich die Sinne erst langsam. So kann das Gehirn Schritt für Schritt seine Arbeitsweise verfeinern. Die eingehenden Informationen, egal über welchen Sinneskanal sie kommen, werden gespeichert. Man geht heute davon aus, dass es kein Vergessen gibt, das heißt, alles wird gespeichert, aber nur wenig davon ist bewusst abrufbar ist. Das meiste wird in den Tiefen des Unterbewusstseins abgelegt. Unser Gehirn, getrieben von Effizienz, legt Informationen nicht wie ein Computer einzeln ab, sondern organisiert die Welt in so genannten neuronalen N etzwerken . Ein solches Netzwerk besteht aus einer Vielzahl von Nervenzellen (Neuronen), die miteinander verbunden sind. Dabei können die Netzwerke sensorische, episodische, symbolische oder sprachliche Codes enthalten. Jeder Code kann prinzipiell in ganz viele

Netzwerke integriert sein. Der »Code Blau« kann Bestandteil der Netzwerke »Deutsche Bank«, »Allianz«, »Wasser«, »Frische« usw. sein. Diese Verbindungen zwischen den Codes sowie zwischen den Codes und den Motiven erwachsen aus implizitem, kulturellem Lernen. So entsteht die Verbindung zwischen dem Dreimaster und der Bedeutung »Abenteuer« und diese Bedeutung wird durch die Markenkommunikation von Beck’s in das Beck’s-Netzwerk integriert. Die Markennetzwerke sind über das gesamte Gehirn verteilt: Wenn wir die lila Farbe von Milka sehen, sind Netzwerke im visuellen Kortex aktiviert. Sie sind es auch, die die Farbe speichern. Die akustischen Merkmale einer Marke, zum Beispiel der »Sail Away«-Song von Beck’s, sind im auditiven Kortex gespeichert, direkt hinter den Ohren, im Temporallappen ( genauer : im assoziativen Teil ) .

INTEGRATION IN DAS 165

NEURONALE NETZ Die haptischen Merkmale der Marke, also wie sich etwa eine Verpackung anfühlt, sind im somatosensorischen Kortex ganz oben im Gehirn abgelegt. Die motivationalen Aspekte der Marke sind ganz vorne, im orbitofrontalen Kortex abgelegt. Ein Markennetzwerk mit seinen Codes und den Motiven ist also über das gesamte Gehirn verteilt. Auch dies unterstreicht noch einmal ganz deutlich, dass es keinen Sinn macht, mit dem Hirnscanner nach dem Sitz einer Marke oder einem Kaufknopf zu suchen. Die Marke ist nicht ein konkreter Inhalt RECOGNIZE YOURSELF

ES GEHT DARUM, DAS PRODUKT SO ZU INSZENIEREN, DASS MAN NACHEMPFINDEN KANN, WIE SICH DAS KONSUMERLEBNIS ANFÜHLT


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STARKE MARKEN

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in den Köpfen der Kunden, mit dem andere Inhalte assoziiert sind, sondern ein neuronales Netzwerk, dessen Bedeutung im gesamten Muster liegt. Das charakteristische Muster des Netzwerks bestimmt die Marke und ihre Bedeutung. Bevor wir nun tiefer in die neuronalen Netzwerke im Kopf einsteigen, wollen wir kurz die Frage aufwerfen, warum das Gehirn Marken und insgesamt Bedeutung in Form von neuronalen Netzwerken organisiert. Ein wichtiger Grund ist Effizienz: ein Code genügt, um alle damit verbunden Codes und Motive zu aktivieren. Das erlaubte unserem Vorfahren, schon beim verdächtigen Rascheln des Gebüschs schnell die Bedeutung »Säbelzahntiger« zu erkennen und sofort zu reagieren. Diese Eigenart der Netzwerke können wir in der Markenkommunikation nutzen. Wenn also ein Kunde den Dreimaster sieht, wird das gesamte Beck’s-Netzwerk auf einen Schlag aktiviert. Für die Marketingpraxis bedeutet das, dass die Kunden vor allem diejenigen Codes wahrnehmen müssen, die für diese Aktivierung des gesamten Markennetzwerks be-

DIE LIEBE ZU GESCHICHTEN sonders gut geeignet sind. Zeigt man nur die Farbe Grün, wird das Beck’sNetzwerk nicht eindeutig aktiviert, sondern auch andere Netzwerke wie das der Dresdner Bank. Der Dreimaster aber steht eindeutig für das Markennetzwerk von Beck’s. Er aktiviert das Netzwerk und damit die weiteren Codes. Steht der Kunde vor dem Regal, greift er eher zu, je mehr Codes zu einer Marke aktiviert werden. Auch CHRISTIAN SCHEIER

dies unterstreicht noch einmal ganz deutlich, dass es keinen Sinn macht, mit dem Hirnscanner nach dem Sitz einer Marke oder einem Kaufknopf zu suchen. Es macht deshalb Sinn, auf der Verpackung Elemente der Werbung zu zeigen. Erst wenn ein Markennetzwerk einmal aktiviert ist, werden alle nachfolgenden Codes damit in Verbindung gebracht.

ANSCHLUSS AN DIE MOTIVE Das ganze Markennetzwerk – sei es noch so gut in den Köpfen der Kunden verankert, sei es noch so stark und mit viel Geld in die Köpfe hineingetragen – ist wertlos, wenn der Anschluss an die Motive fehlt. Das Netzwerk alleine, die reine Reizkonditionierung, löst kein nachhaltiges Verhalten aus. Die Motive liegen tief im Unterbewusstsein verborgen und wirken von dort aus auf das Verhalten. Nur die für die Motive relevanten Codes werden an diese angeschlossen und damit wirksam.Die Verbindung von einem Code zu einem Motiv kann nicht durch eine markentechnische Kommunikation aufgebaut werden. Diese Verbindungen bestehen entweder oder sie bestehen nicht. Die Bedeutung des Codes »Dreimaster« wurde nicht durch die Beck’s-Werbung gelernt. Der Dreimaster hatte zuvor schon Bedeutung. Diese Verbindungen zwischen den Codes und den Motiven sind implizit durch die Sozialisierung entstanden – sie sind kulturell gelernt. Man kann in der Kommunikation also nur Verbindungen zu den Motiven nutzen, die bereits gelernt wurden. Markenkommunikation kann Codes miteinander verbinden, aber die Verbindung der Codes zu den Motiven muss in der Zielgruppe, der Herde, der


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Kultur bereits angelegt sein. Das Markennetzwerk besteht nicht nur aus den Codes, sondern auch aus den Motiven, die mit den Codes verbunden sind. Es gilt also genau diejenigen Codes zu identifizieren, die mit den relevanten Motiven verbunden sind. Zum Beispiel ist der Code »Dreimaster« mit dem Erregungsmotiv verbunden – er steht für »Abenteuer« und »Expedition « und ist deshalb ein besonders relevanter Code des Markennetzwerks von Beck’s. Denn wie wir gesehen haben, ist es genau das Erregungsmotiv, das bei der Zielgruppe der jungen Erwachsenen besonders aktiviert ist. Der Code »Dreimaster« bildet damit die Brücke zum Motiv. Für das Marketing bedeutet das: Die Stärke einer Marke hängt davon ab, wie viele Codes in ihrem Markennetzwerk mit den relevanten Motiven in der Zielgruppe verbunden sind. Je mehr Codes eine Verbindung zu den Motiven haben, desto bedeutsamer ist die Marke.

WERBUNG WIRKT VOR ALLEM IMPLIZIT Die aktuelle Forschung zeigt eindeutig, dass in unseren Köpfen zwei grundsätzlich verschiedene Systeme am Werk sind: der Pilot und sein Autopilot. Der Autopilot steuert das Verhalten implizit, d. h. ohne darüber zu reflektieren, und handelt spontan. Der Pilot dagegen handelt reflektiert. Die Vorgänge im Autopiloten sind für den Piloten meist nicht einsehbar. Der Autopilot in unserem Kopf ist hoch effizient, intuitiv (zum Beispiel durch die Spiegelneuronen), spontan, entscheidet in zwei Sekunden, liebt Geschichten und Symbole und hasst Argumente und Logik, reagiert auf bekannte Symbole. Er arbeitet im Untergrund, er arbeitet implizit. Er nimmt lieber 50 Euro heu-

te als 100 Euro in einer Woche, greift zur Schokolade, obwohl wir gerade abnehmen wollen, zur Zigarette, wenn wir Kaffeeduft riechen, und beschert den Shopping-TV-Sendern gute Umsätze. Meistens arbeitet der Autopilot. Wir kriegen von seinem Treiben wenig bis gar nichts mit. Hier sind die automatisierten Programme gespeichert, die durch die Codes aktiviert werden und dann unterbewusst unser Verhalten steuern. Der Pilot enthält alle Emotionen und kognitiven Vorgänge, die uns bewusst sind und die wir deshalb kontrollieren. können. Dieses System ist langsam, fällt Entscheidungen nur zögerlich, kann dafür aber planen und nachdenken. Mit System 2 lösen wir die Aufgabe 12 x 48 und ziehen die Wurzel aus der Zahl 8 1. System 2 ist beherrscht, kontrolliert, aber auch flexibler als System 1. Wenn wir den teuren Ring doch nicht kaufen, weil unser Bankkonto nach Weihnachten leer geräumt ist, oder doch mit dem Rauchen aufhören oder die Diät beginnen, dann ist das System 2 am Werk. Die Arbeit von System 2 ist anstrengend und kostet viel Energie. Dafür sind die Vorgänge bewusst, wir sind voll informiert. Kurz gesagt haben wir also zwei Funktionsweisen: automatisiert (Autopilot) und reflektiert (Pilot). Die meisten Dinge, die wir lernen, lernen wir automatisiert und implizit - quasi im Vorbeigehen. Dieses unterbewusste Lernen ist enorm mächtig und effizient. Es ist daher von Vorteil, Marken und Produkte mit einem kulturellen Mehrwert aufzuladen. Werbung wirkt. Vor allem implizit, also unterbewusst. Denn die bewusste Erinnerung an einen Fernsehspot oder RECOGNIZE YOURSELF

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DIE BELOHNUNG MUSS NICHT WIRKLICH STATTFINDEN, SIE FINDET FIKTIV STATT. ÄHNLICH WIE ROMANE VERMITTELN UNS MARKEN FIKTIVE BELOHNUNGEN.


STARKE MARKEN

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in den Köpfen der Kunden, mit dem andere Inhalte assoziiert sind, sondern ein neuronales Netzwerk, dessen Bedeutung im gesamten Muster liegt. Das charakteristische Muster des Netzwerks bestimmt die Marke und ihre Bedeutung. Bevor wir nun tiefer in die neuronalen Netzwerke im Kopf einsteigen, wollen wir kurz die Frage aufwerfen, warum das Gehirn Marken und insgesamt Bedeutung in Form von neuronalen Netzwerken organisiert. Ein wichtiger Grund ist Effizienz: ein Code genügt, um alle damit verbunden Codes und Motive zu aktivieren. Das erlaubte unserem Vorfahren, schon beim verdächtigen Rascheln des Gebüschs schnell die Bedeutung »Säbelzahntiger« zu erkennen und sofort zu reagieren. Diese Eigenart der Netzwerke können wir in der Markenkommunikation nutzen. Wenn also ein Kunde den Dreimaster sieht, wird das gesamte Beck’s-Netzwerk auf einen Schlag aktiviert. Für die Marketingpraxis bedeutet das, dass die Kunden vor allem diejenigen Codes wahrnehmen müssen, die für diese Aktivierung des gesamten Markennetzwerks be-

DIE LIEBE ZU GESCHICHTEN sonders gut geeignet sind. Zeigt man nur die Farbe Grün, wird das Beck’sNetzwerk nicht eindeutig aktiviert, sondern auch andere Netzwerke wie das der Dresdner Bank. Der Dreimaster aber steht eindeutig für das Markennetzwerk von Beck’s. Er aktiviert das Netzwerk und damit die weiteren Codes. Steht der Kunde vor dem Regal, greift er eher zu, je mehr Codes zu einer Marke aktiviert werden. Auch CHRISTIAN SCHEIER

dies unterstreicht noch einmal ganz deutlich, dass es keinen Sinn macht, mit dem Hirnscanner nach dem Sitz einer Marke oder einem Kaufknopf zu suchen. Es macht deshalb Sinn, auf der Verpackung Elemente der Werbung zu zeigen. Erst wenn ein Markennetzwerk einmal aktiviert ist, werden alle nachfolgenden Codes damit in Verbindung gebracht.

ANSCHLUSS AN DIE MOTIVE Das ganze Markennetzwerk – sei es noch so gut in den Köpfen der Kunden verankert, sei es noch so stark und mit viel Geld in die Köpfe hineingetragen – ist wertlos, wenn der Anschluss an die Motive fehlt. Das Netzwerk alleine, die reine Reizkonditionierung, löst kein nachhaltiges Verhalten aus. Die Motive liegen tief im Unterbewusstsein verborgen und wirken von dort aus auf das Verhalten. Nur die für die Motive relevanten Codes werden an diese angeschlossen und damit wirksam.Die Verbindung von einem Code zu einem Motiv kann nicht durch eine markentechnische Kommunikation aufgebaut werden. Diese Verbindungen bestehen entweder oder sie bestehen nicht. Die Bedeutung des Codes »Dreimaster« wurde nicht durch die Beck’s-Werbung gelernt. Der Dreimaster hatte zuvor schon Bedeutung. Diese Verbindungen zwischen den Codes und den Motiven sind implizit durch die Sozialisierung entstanden – sie sind kulturell gelernt. Man kann in der Kommunikation also nur Verbindungen zu den Motiven nutzen, die bereits gelernt wurden. Markenkommunikation kann Codes miteinander verbinden, aber die Verbindung der Codes zu den Motiven muss in der Zielgruppe, der Herde, der


SELF DISPLAY

Kultur bereits angelegt sein. Das Markennetzwerk besteht nicht nur aus den Codes, sondern auch aus den Motiven, die mit den Codes verbunden sind. Es gilt also genau diejenigen Codes zu identifizieren, die mit den relevanten Motiven verbunden sind. Zum Beispiel ist der Code »Dreimaster« mit dem Erregungsmotiv verbunden – er steht für »Abenteuer« und »Expedition « und ist deshalb ein besonders relevanter Code des Markennetzwerks von Beck’s. Denn wie wir gesehen haben, ist es genau das Erregungsmotiv, das bei der Zielgruppe der jungen Erwachsenen besonders aktiviert ist. Der Code »Dreimaster« bildet damit die Brücke zum Motiv. Für das Marketing bedeutet das: Die Stärke einer Marke hängt davon ab, wie viele Codes in ihrem Markennetzwerk mit den relevanten Motiven in der Zielgruppe verbunden sind. Je mehr Codes eine Verbindung zu den Motiven haben, desto bedeutsamer ist die Marke.

WERBUNG WIRKT VOR ALLEM IMPLIZIT Die aktuelle Forschung zeigt eindeutig, dass in unseren Köpfen zwei grundsätzlich verschiedene Systeme am Werk sind: der Pilot und sein Autopilot. Der Autopilot steuert das Verhalten implizit, d. h. ohne darüber zu reflektieren, und handelt spontan. Der Pilot dagegen handelt reflektiert. Die Vorgänge im Autopiloten sind für den Piloten meist nicht einsehbar. Der Autopilot in unserem Kopf ist hoch effizient, intuitiv (zum Beispiel durch die Spiegelneuronen), spontan, entscheidet in zwei Sekunden, liebt Geschichten und Symbole und hasst Argumente und Logik, reagiert auf bekannte Symbole. Er arbeitet im Untergrund, er arbeitet implizit. Er nimmt lieber 50 Euro heu-

te als 100 Euro in einer Woche, greift zur Schokolade, obwohl wir gerade abnehmen wollen, zur Zigarette, wenn wir Kaffeeduft riechen, und beschert den Shopping-TV-Sendern gute Umsätze. Meistens arbeitet der Autopilot. Wir kriegen von seinem Treiben wenig bis gar nichts mit. Hier sind die automatisierten Programme gespeichert, die durch die Codes aktiviert werden und dann unterbewusst unser Verhalten steuern. Der Pilot enthält alle Emotionen und kognitiven Vorgänge, die uns bewusst sind und die wir deshalb kontrollieren. können. Dieses System ist langsam, fällt Entscheidungen nur zögerlich, kann dafür aber planen und nachdenken. Mit System 2 lösen wir die Aufgabe 12 x 48 und ziehen die Wurzel aus der Zahl 8 1. System 2 ist beherrscht, kontrolliert, aber auch flexibler als System 1. Wenn wir den teuren Ring doch nicht kaufen, weil unser Bankkonto nach Weihnachten leer geräumt ist, oder doch mit dem Rauchen aufhören oder die Diät beginnen, dann ist das System 2 am Werk. Die Arbeit von System 2 ist anstrengend und kostet viel Energie. Dafür sind die Vorgänge bewusst, wir sind voll informiert. Kurz gesagt haben wir also zwei Funktionsweisen: automatisiert (Autopilot) und reflektiert (Pilot). Die meisten Dinge, die wir lernen, lernen wir automatisiert und implizit - quasi im Vorbeigehen. Dieses unterbewusste Lernen ist enorm mächtig und effizient. Es ist daher von Vorteil, Marken und Produkte mit einem kulturellen Mehrwert aufzuladen. Werbung wirkt. Vor allem implizit, also unterbewusst. Denn die bewusste Erinnerung an einen Fernsehspot oder RECOGNIZE YOURSELF

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DIE BELOHNUNG MUSS NICHT WIRKLICH STATTFINDEN, SIE FINDET FIKTIV STATT. ÄHNLICH WIE ROMANE VERMITTELN UNS MARKEN FIKTIVE BELOHNUNGEN.


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IN JEDER SEKUNDE VERSORGEN DIE FÜNF SINNE DAS GEHIRN MIT 11 MIO BITS INFORMATION. IM GLEICHEN ZEITRAUM VERARBEITET UNSER BEWUSSTES ERLEBEN ABER NUR GANZE 40 BIS 50 BITS. UNSER GEHIRN IST IN ZWEI SYSTEME ZU UNTERTEILEN: DER PILOT UND DER AUTOPILOT. DABEI STEUERT DER AUTOPILOT DAS VERHALTEN IMPLIZIT, D.H. OHNE DARÜBER ZU REFLEKTIEREN UND HANDELT SPONTAN. ER HAT IM GEGENSATZ ZUM PILOTEN EINE FAST UNBEGRENZTE KAPAZITÄT UND VERARBEITET ALLE INFORMATIONEN AUS DER UMWELT. AN DEN PILOTEN (UNSER BEWUSSTSEIN) WIRD NUR EIN MINIMALER TEIL WEITER GEGEBEN.

STARKE MARKEN

spontanes verhalten

] AUTOPILOT [

40 BITS PRO SEC ] AUGEN [

ABB 5

INFORMATIONSAUFNAHME DES MENSCHEN:

CHRISTIAN SCHEIER

reflektiertes verhalten

UNBEWUSST 10 999 960 BITS BEWUSST 40 BITS

Gedächtnis Wahrnehmung Assoziationen Einstellungen Emotionen & Motive Denken Fakten Vernunft Sprache

] PILOT [

30 BITS PRO SEC

] OHR [

5 BITS PRO SEC ] HAUT [


SELF DISPLAY

die beworbene Marke macht nur einen Bruchteil dessen aus, was das Gehirn tatsächlich aufnimmt. Nur weil die Konsumenten sich an eine Werbung nicht explizit erinnern können, heißt das nicht, dass sie die Werbung nicht trotzdem mit ihrem Unterbewusstsein verarbeitet haben und die darin angelegten Codes ihre volle Wirkung entfalten. Obwohl es problematisch ist, komplexe Funktionen wie diejenigen des Piloten oder des Autopiloten anatomischen Strukturen zuzuordnen, können wir die wichtigsten Hirnregionen der beiden Systeme grob verorten. Die Arbeit des Piloten asiert unter anderem auf dem so genannten dorso - lateralen G ehirn , präfronta len Kortex , ganz vorne im Gehirn, im so genannten Stirnhirn. In dieser Hirnregion wird das Zentrum des Arbeitsgedächtnisses vermutet, mit dem wir zum Beispiel darüber nachdenken, wo wir den nächsten Urlaub verbringen wollen. Zum Piloten gehört zudem das Anterior C ingulum , das unter anderem auch Konflikte und Turbulenzen des Autopiloten registriert und darauf reagiert. Der Autopilot basiert auf einer Vielzahl von H irnstrukturen , denen gemeinsam ist, dass sie ihre Arbeit weitgehend unbewusst verrichten. Dazu gehören alle sensorischen Areale, das limbische S ystem (das Emotionszentrum), der sogenannte orbitofrontale Kortex (das Bewertungszentrum) und die Basalganglien (die Mustererkenner und -lerner). Denn diese Vorgänge laufen im Gehirn unbewusst und automatisch, also implizit, ab.ohne darüber zu reflektieren und handelt spontan. Er hat im Gegensatz zum Piloten eine fast unbegrenzte Kapazität.

SPIEGELNEURONEN: DIE NICHTSPRACHLICHE KOMMUNIKATION Romantik auf der Leinwand: Leonardo DiCaprio und Kate Winslet stehen mit ausgestreckten Armen am Bug der Titanic, der Fahrtwind bläst ihnen ins Gesicht. Der Zuschauer meint, die frische Meeresbrise zu spüren. Das Gefühl von Freiheit schwappt vom Atlantik ins Kino. Die Ursache für diese Gefühle liegt im Gehirn. Dort gaukeln uns spezielle Zellen – die Spiegelneuronen – vor, die Szenen auf der Leinwand tatsächlich zu erleben. Sie reagieren beim Beobachten von Verhaltensweisen ebenso, als würde man diese selbst ausführen. Spiegelneuronen werden also nicht nur aktiv, wenn wir selbst jemanden in den Arm nehmen, sondern auch, wenn wir dies nur sehen. Sie sind darüber hinaus in der Lage, in uns jene Zustände zu erzeugen, die wir bei einer anderen Person wahrnehmen: Wir erleben, was andere fühlen, in Form einer spontanen inneren Simulation. Damit verfügen wir über eine geniale direkte Möglichkeit, unmittelbaren Aufschluss über den inneren Zustand unserer Mitmenschen zu erhalten, über ihre Absichten, Empfindungen und Gefühle und diese enttsprchend nachzuempfinden. Dieser durch die Spiegelneuronen vermittelte Vorgang läuft vorgedanklich, vorsprachlich und implizit ab. Er ist die neurobiologische Grundlage für intuitives Wahrnehmen und Verstehen und für nichtsprachliche Kommunikation. Das System der Spiegelneuronen ist also effizient und funktioniert auch bei minimaler Aufmerksamkeit. Solche inneren, spontanen Simulationen können beim Betrachten von Werbung zu »virtuellen Konsumerlebnissen« führen, weil die RECOGNIZE YOURSELF

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STARKE MARKEN ADDIEREN ALSO ZUM GEBRAUCHSWERT ETWAS DAZU – EINEN FIKTIONSWERT. ALLEIN DER BESITZ ERMÖGLICHT EINE ANNÄHERUNG AN DIE FIKTION, EIN HELD ZU SEIN.


STARKE MARKEN

Spiegelneuronen dafür sorgen, dass der Kunde das Gezeigte nachempfindet und so die Bedeutung für sich unbewusst, implizit, lernt. Wenn also der Protagonist in der Bierwerbung zur Flasche oder zum Glas greift und sich einen Schluck Bier gönnt, nehmen wir selbst einen virtuellen Schluck und können die Frische nachempfinden. In unserem Gehirn werden die gleichen Areale aktiviert, als würden wir diesen Schluck nehmen. In der Werbung wirkt die Inszenierung des Konsumerlebnisses vor allem durch die nichtsprachlichen Code Die Frage ist also nicht, ob oder wann wir das Produkt in der Werbung zeigen. Es geht darum, das Produkt oder die Dienstleistung so zu inszenieren, dass der Kunde nachempfinden kann, wie sich das Konsumerlebnis anfühlt. Kunden schlüpfen also aufgrund der Spiegelneuronen wie im Kino unbewusst in die Haut des Protagonisten, auch wenn sie der Werbung anders als im Kino nur wenig Aufmerksamkeit schenken.

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DIE KRAFT VON GESCHICHTEN Geschichten waren schon immer eine wichtige Möglichkeit für Menschen, bedeutsame Inhalte zu kommunizieren. Schauen wir ins Gehirn, finden wir sogar eigene neuronale Netzwerke , die sich um das Speichern von Geschichten kümmern. Die Gedächtnisforscher sprechen hier vom sog. »episodischen Gedächtnis«, weil es beispielsweise unsere eigene Lebensgeschichte speichert, das autobiografische Gedächtnis beinhaltet. Geschichten haben schon immer die Aufgabe gehabt, Bedeutungen und Kulturwissen verschlüsselt, also implizit, von Generation zu Generation zu übertragen. So sind Märchen und CHRISTIAN SCHEIER

Mythen von Generation zu Generation übertragen worden. Märchen sind aber nicht nur nette Geschichten vor dem Insbettgehen, sondern transportieren implizit Bedeutungen und Kulturwissen. Geschichten transportieren implizite, kulturell gelernte Bedeutungen, weit über das Offensichtliche und Explizite hinaus. Diese impliziten Be-

KONSUM WAR SCHON IMMER TRÄUMEREI deutungen finden sich auch heute noch in Kino- und Spielfilmen wieder. So ist manche Fernsehsendung lediglich eine erfolgreiche Neuauflage des Märchens Aschenputtel: Eine unterschätzte Frau verliebt sich in den Prinzen. Der Erfolg solcher Filme und Serien belegt die Strahlkraft, die diese Geschichten auch heute noch auf Menschen haben. Etwa die Erinnerung an den ersten Kuss, die Abschlussprüfung an der Uni oder unseren ersten Arbeitstag. Nicht nur diese Beispiele machen deutlich, dass diese Geschichten häufig starke Emotionen auslösen und uns in starker Hinsicht bewegen. Genau dieser Aspekt führt emotiional dazu, dass sie eine starke Wirkung auf Kunden entfalten. Menschen lieben Geschichten. Das »Story Telling « ist deshalb im Marketing inzwischen ein beliebtes Instrument, Bedeutungen zu übermitteln. Geschichten sind unter anderem deshalb wirksame Bedeutungsträger, weil wir sie aufgrund der Spiegelneuronen spontan miterleben,können. Es besteht des- halb kaum ein Unterschied


SELF DISPLAY

zwischen erlebten und erzählten Geschichten, denn wir müssen eine Geschichte miterleben (»simulieren«), um sie zu verstehen. Dazu kommt, dass Geschichten sehr effiziente Bedeutungsträger sind. Neuere Untersuchungen unterscheiden innerhalb des Gedächtnisses ein episodisches Gedächtnis (»Was mir Montag voriger Woche in Hamburg passierte«) und ein Wissensgedächtnis , das sich auf Fakten bezieht (»zwei mal zwei ist vier«). Das episodische G edächtnis gilt als das am höchsten entwickelte Gedächtnissystem des Menschen. Es ist deshalb auch bei Hirnschädigungen besonders anfällig. Die Einspeicherung des episodischen G edächtnisses wird H ippo campus im engeren Sinne zugeordnet, das Wissensgedächtnis im benachbarten entorhinalen, perirhinalen und parahippocampalen C ortex (EPPC ). Das episodische Gedächtnis ist stark an Emotionen gekoppelt, unter anderem durch die enge anatomisch Verknüpfung zwischen dem Hippocampus und der Amygdala. Der zentrale Aspekt dieser Gedächtnisform ist, dass sie zeitliche Ordnungskriterien umfasst. Wie der Name andeutet, speichert das Gehirn hier in erster Linie Episoden, also Geschichten. Geschichten sind letztlich nichts anderes als zeitlich geordnete Bedeutungsmuster.

VOM GEBRAUCHS- ZUM FIKTIONSWERT Starke Marken addieren also zum Gebrauchswert etwas dazu – einen Fik-

So kauft jemand, der sich auch einmal wie ein Extrembergsteiger fühlen will, vielleicht einen Eispickel von der Marke, die auch Reinhold Messner ausstattet. Allein der Besitz ermöglicht eine Annäherung an die Fiktion, ein Held zu sein. Der Fiktionswert von Marken ist quasi der gemeinsame Nenner aller von Marken transportierbaren, symbolischen Belohnungen. Der Konsumphilosoph Wolfgang Ullrich  6 beschreibt in seinem Buch »Habenwollen« die Verschiebung in unserer Konsumkultur vom Gebrauchs- hin zum Fiktionswert von Produkten. »Primär geht es mittlerweile also darum, was ein Ding, im Inneren des Konsumenten auslöst«, so Ullrich. Was ist damit gemeint? tionswert .

Betrachten wir die Bounty-Werbung. Eine Frau sitzt an einem einsamen, eher öden Strand. Sie beisst in ein Bounty und die karge, abgeschiedene Insel beginnt eine farbenprächtige, exotische und phantastische Vegetation zu entwickeln und zu guter Letzt betritt noch ein gut aussehender Mann die Szenerie. Der neue Bounty-Spot zeigt, wie sich die karge Insel nach einem Biss in ein Bounty in ein Paradies verwandelt. In eben dieser Fiktion liegt die Bedeutung und Belohnung der Marke.Niemand glaubt, dass uns dies wirklich beim Verzehr eines BountyRiegels passiert. Das klingt wie ein Märchen, wie eine Fiktion. Und genau das ist es auch. Marken schaffen Möglichkeiten, bieten fiktive, symbolische Belohnungen, die weit über die physi-

6 Wolfgang Ullrich studierte Philosophie und Kunstgeschichte und promovierte 1994. In seinen Schriften befasst er sich mit Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, mit bildsoziologischen Fragen sowie Wohlstandsphänomenen. Vor allem beschäftigt ihn die Aufrüstung des Begriffs von Kunst, wodurch deren Rolle in der Moderne überschätzt worden sei. RECOGNIZE YOURSELF

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WIR HALTEN DURCH EIN SNICKERS NICHT LÄNGER DURCH, ABER ES FÜHLT SICH SO AN.


STARKE MARKEN

der Kunde das Gezeigte nachempfindet und so die Bedeutung für sich unbewusst, implizit, lernt. Wenn also der Protagonist in der Bierwerbung zur Flasche oder zum Glas greift und sich einen Schluck Bier gönnt, nehmen wir selbst einen virtuellen Schluck und können die Frische nachempfinden. In unserem Gehirn werden die gleichen Areale aktiviert, als würden wir diesen Schluck nehmen. In der Werbung wirkt die Inszenierung des Konsumerlebnisses vor allem durch die nichtsprachlichen Code Die Frage ist also nicht, ob oder wann wir das Produkt in der Werbung zeigen. Es geht darum, das Produkt oder die Dienstleistung so zu inszenieren, dass der Kunde nachempfinden kann, wie sich das Konsumerlebnis anfühlt. Kunden schlüpfen also aufgrund der Spiegelneuronen wie im Kino unbewusst in die Haut des Protagonisten, auch wenn sie der Werbung anders als im Kino nur wenig Aufmerksamkeit schenken.

DIE KRAFT VON GESCHICHTEN 176

Geschichten waren schon immer eine wichtige Möglichkeit für Menschen, bedeutsame Inhalte zu kommunizieren. Schauen wir ins Gehirn, finden wir sogar eigene neuronale Netzwerke , die sich um das Speichern von Geschichten kümmern. Die Gedächtnisforscher sprechen hier vom sog. »episodischen Gedächtnis«, weil es beispielsweise unsere eigene Lebensgeschichte speichert, das autobiografische Gedächtnis beinhaltet. Geschichten haben schon immer die Aufgabe gehabt, Bedeutungen und Kulturwissen verschlüsselt, also implizit, von Generation zu Generation zu übertragen. So sind Märchen und Mythen von Generation zu GeneratiCHRISTIAN SCHEIER

on übertragen worden. Märchen sind aber nicht nur nette Geschichten vor dem Insbettgehen, sondern transportieren implizit Bedeutungen und Kulturwissen. Geschichten transportieren implizite, kulturell gelernte Bedeutungen, weit über das Offensichtliche und Explizite hinaus. Diese impliziten Bedeutungen finden sich auch heute noch

KONSUM WAR SCHON IMMER TRÄUMEREI in Kino- und Spielfilmen wieder. So ist manche Fernsehsendung lediglich eine erfolgreiche Neuauflage des Märchens Aschenputtel: Eine unterschätzte Frau verliebt sich in den Prinzen. Der Erfolg solcher Filme und Serien belegt die Strahlkraft, die diese Geschichten auch heute noch auf Menschen haben. Etwa die Erinnerung an den ersten Kuss, die Abschlussprüfung an der Uni oder unseren ersten Arbeitstag. Nicht nur diese Beispiele machen deutlich, dass diese Geschichten häufig starke Emotionen auslösen und uns in starker Hinsicht bewegen. Genau dieser Aspekt führt emotiional dazu, dass sie eine starke Wirkung auf Kunden entfalten. Menschen lieben Geschichten. Das »Story Telling « ist deshalb im Marketing inzwischen ein beliebtes Instrument, Bedeutungen zu übermitteln. Geschichten sind unter anderem deshalb wirksame Bedeutungsträger, weil wir sie aufgrund der Spiegelneuronen spontan miterleben,können. Es besteht des- halb kaum ein Unterschied zwischen erlebten und erzählten Ge-


SELF DISPLAY

schichten, denn wir müssen eine Geschichte miterleben (»simulieren«), um sie zu verstehen. Dazu kommt, dass Geschichten sehr effiziente Bedeutungsträger sind. Neuere Untersuchungen unterscheiden innerhalb des Gedächtnisses ein episodisches Gedächtnis (»Was mir Montag voriger Woche in Hamburg passierte«) und ein Wissensgedächtnis , das sich auf Fakten bezieht (»zwei mal zwei ist vier«). Das episodische G edächtnis gilt als das am höchsten entwickelte Gedächtnissystem des Menschen. Es ist deshalb auch bei Hirnschädigungen besonders anfällig. Die Einspeicherung des episodischen G edächtnisses wird H ippo campus im engeren Sinne zugeordnet, das Wissensgedächtnis im benachbarten entorhinalen, perirhinalen und parahippocampalen C ortex (EPPC ). Das episodische Gedächtnis ist stark an Emotionen gekoppelt, unter anderem durch die enge anatomisch Verknüpfung zwischen dem Hippocampus und der Amygdala. Der zentrale Aspekt dieser Gedächtnisform ist, dass sie zeitliche Ordnungskriterien umfasst. Wie der Name andeutet, speichert das Gehirn hier in erster Linie Episoden, also Geschichten. Geschichten sind letztlich nichts anderes als zeitlich geordnete Bedeutungsmuster.

VOM GEBRAUCHS- ZUM FIKTIONSWERT Starke Marken addieren also zum Gebrauchswert etwas dazu – einen Fiktionswert . So kauft jemand, der sich

auch einmal wie ein Extrembergsteiger fühlen will, vielleicht einen Eispickel von der Marke, die auch Reinhold Messner ausstattet. Allein der Besitz ermöglicht eine Annäherung an die Fiktion, ein Held zu sein. Der Fiktionswert von Marken ist quasi der gemeinsame Nenner aller von Marken transportierbaren, symbolischen Belohnungen. Der Konsumphilosoph Wolfgang Ullrich  6 beschreibt in seinem Buch »Habenwollen« die Verschiebung in unserer Konsumkultur vom Gebrauchs- hin zum Fiktionswert von Produkten. »Primär geht es mittlerweile also darum, was ein Ding, im Inneren des Konsumenten auslöst«, so Ullrich. Was ist damit gemeint? Betrachten wir die Bounty-Werbung. Eine Frau sitzt an einem einsamen, eher öden Strand. Sie beisst in ein Bounty und die karge, abgeschiedene Insel beginnt eine farbenprächtige, exotische und phantastische Vegetation zu entwickeln und zu guter Letzt betritt noch ein gut aussehender Mann die Szenerie. Der neue Bounty-Spot zeigt, wie sich die karge Insel nach einem Biss in ein Bounty in ein Paradies verwandelt. In eben dieser Fiktion liegt die Bedeutung und Belohnung der Marke.Niemand glaubt, dass uns dies wirklich beim Verzehr eines BountyRiegels passiert. Das klingt wie ein Märchen, wie eine Fiktion. Und genau das ist es auch. Marken schaffen Möglichkeiten, bieten fiktive, symbolische Belohnungen, die weit über die physische Wirkung des Produkts hinausge-

6 Wolfgang Ullrich studierte Philosophie und Kunstgeschichte und promovierte 1994. In seinen Schriften befasst er sich mit Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, mit bildsoziologischen Fragen sowie Wohlstandsphänomenen. Vor allem beschäftigt ihn die Aufrüstung des Begriffs von Kunst, wodurch deren Rolle in der Moderne überschätzt worden sei. RECOGNIZE YOURSELF

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WIR HALTEN DURCH EIN SNICKERS NICHT LÄNGER DURCH, ABER ES FÜHLT SICH SO AN.


STARKE MARKEN

sche Wirkung des Produkts hinausgehen. Die Belohnung muss also nicht wirklich stattfinden, denn sie findet fiktiv statt. Ähnlich wie Romane vermitteln uns Marken fiktive Belohnungen. Dabei war Konsum schon immer Träumerei. Kunden standen vor den Schaufenstern und konnten- sich in ein anderes Leben träumen. Es sind Vorstellungen, Möglichkeiten, die wir mit den Produkten und Marken verbinden. Sie wirken wie Placebos. Wir halten durch ein Snickers nicht länger durch, aber es fühlt sich so an. Wir sind unseren Lieben durch eine SMS nicht physisch näher, aber es fühlt sich so an.

Die Grundlage für die Fiktionalisierung von Produkten haben wir bereits kennengelernt: die spezifisch menschliche Fähigkeit des symbolischen Lernens, des Lernens am Modell und der Interpretation von Reizen bzw. Produkten. Affen werden niemals Marken nutzen. Nur der Mensch verfügt über das Bedürfnis und die Fähigkeit, symbolisch Belohnung zu erfahren. Dass wir Produkte und Marken mit Bedeutung belegen, die weit über den originären Gebrauchswert hinausgehen, ist ein Indiz für eine hohe Entwicklungsstufe unserer Konsum- und Markenkultur. Deshalb ist die Sichtweise,

Religion HALT & SYMBOLIK

STARKE MARKE

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IM MENSCHLICHEN GEHIRN SPIELEN SICH BEI DER WAHRNEHMUNG STARKER MARKEN DIE GLEICHEN AKTIVITÄTEN AB WIE BEIM ANBLICK RELIGIÖSER BILDER.. ES GIBT KEINEN ERKENNBAREN UNTERSCHIED IN DER REAKTION DES GEHIRNS AUF STARKE MARKEN ODER AUF RELIGIÖSE KULTGEGENSTÄNDE UND PERSONEN.

ABB 6

RELIGIÖSE MOTIVE

CHRISTIAN SCHEIER


SELF DISPLAY

die den Kunden zum Opfer macht, das durch subtile Machenschaften manipuliert wird, so falsch. Wir alle sind Experten – wir sind Konsumexperten. Wir wissen, dass wir verführt werden sollen. Und dabei sehen wir uns nicht als Opfer, sondern wir möchten verführt werden und uns über Marken mit Möglichkeiten und Fiktionen ausstatten und ausschmücken. Der Kunde ist also kein willenloses Opfer, weil es den starken – aber meist impliziten – Wunsch nach Fiktion und Träumerei gibt. In einer hochentwickelten Marken- und Konsumkultur muss mehr als der originäre Gebrauchswert geboten werden. Marken müssen einen Fiktionswert bieten. Die Fiktion muss aber implizit sein und bleiben. Die Geschichte ist das Vehikel, um der Marke eine Bedeutung zu verleihen. Dies heißt auch, dass sehr unterschiedliche Geschichten die gleiche Bedeutung beinhalten können. Wenn wir uns also mit Werbung auseinander setzen, geht es einerseits um die Geschichte, andererseits um die Bedeutung, die durch diese Geschichte dem Produkt oder der Marke gegeben wird. Im Marketing wird hierzu der Begriff des Storytellings genutzt. In dieser Hinsicht kann man Werbung auch als eine moderne Form des Märchens verstehen. Ähnlich wie die Werbung versucht das Märchen, eine Botschaft

über grundlegende Erkenntnisse oder Erfahrungen des Lebens zu vermitteln. Eine der häufigsten Botschaften lautet: Am Ende gewinnt das Gute immer über das Böse, oder wahre Liebe wird am Ende immer zu gemeinsamem Glück führen. Die psychologische Analyse von Märchen ist eine gute Basis für die Analyse von Werbung. Christian Spath 7 und Bernhard G. Foerg 8 setzen sich in ihrem Buch »Storytelling & Marketing« sehr ausführlich mit der Funktion der Geschichte als Form der Kommunikation sowie als Marketing Instrument auseinander. Geschichten basieren auf Erfahrungen, die man selbst gemacht hat oder von denen man gehört hat. Das Unternehmen wird so in die Rolle des Erzählers versetzt, der überein bestimmtes Produkt berichtet. Hiermit wird die erzählte Erfahrung in die eigene Erfahrung integriert. Die Marke übernimmt die Rolle des Helden, die einerseits durch eine Identität und andererseits durch einen Mythos bestimmt ist. Die Identität stellt die Voraussetzung zur Erfüllung der Rolle in der Geschichte dar. »Nur ein starker Prinz kann die Prinzessin retten.« Der Mythos ergibt sich als Folge der Geschichte und stellt einen grundlegenden Zusammenhang dar, der kollektiv als richtig angesehen wird: »Irgendwann erhält das Böse seine gerechte Strafe.«

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7 Christian Spath (geb. 1966 in Wien) ist bei der ARCOTEL Hotels & Resorts GmbH für PR, Strategische Kooperationen, Corporate Events und Medienmanagement verantwortlich. Nach dem Studium des Kunst- und Medienmanagements richtete er seinen beruflichen Schwerpunkt auf den Bereich Marketing & Kommunikation.

8 Bernhard Georg Foerg (geb. 1972 in Berchtesgaden, Bayern) ist Kulturmanager/Kulturberater und Autor, spezialisiert auf Programmentwicklung, Marketing und Business Development. Speziell bei seinen Forschungsarbeiten zu „besonderen Orten" und deren Auswirkungen auf lokale/nationale Identitäten wurde neben Cultural Studies auch Storytelling als Methode eingesetzt. RECOGNIZE YOURSELF

WIE WERBUNG WIRKT Erkenntnisse im Neuromarketing erschienen bei Rudolf Haufe München, 2006


Blanche! STELLA :

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BLANCHE:

Stella, oh , S tella ! Stern

Stella! Stella,

du mein


STELLA die Tür aufreißend, ruft freudig erregt

Blanche! Die Schwestern starren einander eine Weile sprachlos an. Stella zu einem Lichtschalter rechts rückwärts hinter der spiralförmigen Treppe. Macht Licht. Dann erst läuft sie in die Arme ihrer Schwester.

BLANCHE

Stella, oh, Stella! Stella! Stella, du mein Stern. Dann beginnt Blanche mit fieberhafter Lebhaftigkeit zu sprechen,als fürchte sie, eine Pause eintreten zu lassen, in der sie – oder die Schwester – zur Besinnung kommen könnte.

Lass dich anschauen! Aber du darfst mich nicht ansehen, Stella, nein, nein, nein: nicht bevor ich ein Bad genommen und mich ausgeruht habe! Und dreh das starke Licht ab! Dreh es ab! Ich lasse mich nicht sehen in diesem erbarmungslos grellen Licht! Stella gehorcht lachend.

JETZT KOMM HER ZU MIR! OH, DU MEIN BABY, MEINE STELLA, DU MEIN STERN!

Wieder umarmt sie sie.

Ich habe schon geglaubt, du würdest nie wieder heimkommen in diese entsetzliche Wohnung! – Oh, was sage ich da? Das wollte ich nicht sagen! Ich wollte nett sein und sagen: was für ein komfortables Haus du hast – ha, ha, ha! Lamm Gottes! Du hast noch nicht ein Wort zu mir gesagt!

STELLA

Du hast mich gar nicht dazu kommen lassen, Liebling! Sie lacht und umarmt Blanche, aber der Blick, mit dem sie Blanche streift, ist ein wenig ängstlich.

BLANCHE

Also jetzt sprich du! Öffne deinen hübschen Mund und sprich, während ich nach einem geistigen Getränk Umschau halte! Du hast doch sicher hier irgendwo etwas zum Trinken! Wo kann es nur sein, frage ich mich? Oh, ich spioniere! Ich spioniere!

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ALLETS tgerre giduerf tfur ,dneßierfua rüT eid !ehcnalB

solhcarps elieW enie rednanie nerrats nretsewhcS eiD r e t n i h s t r äw kc ü r s t hc e r r e t l a hc s t hc i L m e n i e u z a l l e t S . n a .thciL thcaM .epperT negimröflarips red .retsewhcS rerhi emrA eid ni eis tfuäl tsre nnaD

Blanche! EHCNALB

.nretS niem ud ,alletS !alletS !alletS ,ho ,alletS

uz tiekgitfahbeL retfahrebeif tim ehcnalB tnnigeb nnaD eis red ni ,nessal uz netertnie esuaP enie ,eis ethcrüf sla,nehcerps .etnnök nemmok gnunniseB ruz – retsewhcS eid redSTELLA : o–

, n i e n , a l l e t S , n e h e s n a t h c i n h c i m t s f r a d u d r e b A ! n e ua h c s n a h c i d s s a L thuregsua hcim dnu nemmoneg daB nie hci roveb thcin :nien ,nien thcin hcim essal hcI !ba se herD !ba thciL ekrats sad herd dnU !ebah ! t h c i L n e l l er g s o l s g n u m r a b r e m e s e i d n i n e h e s

. d n e hc a l t hc r o h e g a l l e t S

! R I M U Z R E H M M OK T Z T E J !N R ETS N I E M U D ,ALL ETS E N I E M ,YBAB N I E M U D ,HO .eis eis tmramu redeiW

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Stella,

eseid ni nemmokmieh redeiw ein tsedrüw ud ,tbualgeg nohcs ebah hcI thcin hci etllow saD ?ad hci egas saw ,hO – !gnunhoW ehcilztestne suaH selbatrofmok nie rüf saw :negas dnu nies tten etllow hcI !negas uz troW nie thcin hcon tsah uD !settoG mmaL !ah ,ah ,ah – tsah ud !tgaseg rim BLANCHE: oh , S tella ! Stern

Stella! Stella,

du mein

ALLETS

! g n i l b e i L , n e s s a l n e m m o k u z ad t h c i n r a g h c i m t s a h u D

t i m , kc i l B r e d r e b a , e hc n a l B t m r a m u d n u t hc a l e i S . hc i l t s g n ä g i n ew n i e t s i , t f i e r t s e hc n a l B e i s m e d

EHCNALB ,hcirps dnu dnuM nehcsbüh nenied enffÖ !ud hcirps tztej oslA tsah uD !etlah uahcsmU knärteG negitsieg menie hcan hci dnerhäw ,nies run se nnak oW !neknirT muz sawte owdnegri reih rehcis hcod !ereinoips hcI !ereinoips hci ,hO ?hcim hci egarf


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GRUNDMOTIV NO. 01


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FASERLAND

CHRISTIAN KRACHT

FASERLAND

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I

ch laufe zum ticketschalter und ziehe meine kreditkarte aus der Barbourjacke. die frau hinter dem Schalter ist ziemlich verschlafen und sie merkt nicht, dass meine Hände immer noch zittern, und ich lege die blöde Kreditkarte auf den Schalter, und zwar genauso wie in der Visa-Werbung, wo die frau die Kante der Karte mit einem Schnapp auf den Tisch schnalzt, und dann sage ich, dass ich die nächste Maschine nach Frankfurt möchte. Dann kommt der übliche Unsinn mit Fensterplatz oder Gang, Raucher oder Nichtraucher und während sie in ihrem Computer nachsieht, ob da noch Plätze frei sind, halte ich mich am Schalter fest, weil ich das gefühl habe: ich werde umkippen, wenn ich mich jetzt nicht beherrsche. Die Frau von der Lufthansa gibt mir meine Bordkarte und lächelt verschlafen, und dann guckt sie etwas erstaunt, weil ich mir eine Zigarette anzünde, da ich ihr doch gesagt hatte, ich möchte im Nichtraucher sitzen. Sie zieht eine Augenbraue hoch, und in dem Moment sieht sie sehr gut aus, fast schnippisch oder spöttisch. Ich ringe mir so ein verkrampftes Lächeln ab und nehme die Bordkarte und gehe durch die Sicherheitskontrollen, ohne mich nochmal umzudrehen.Dann laufe ich durch diesen Metalldetektor-Rahmen zum Gate, und ich habe wieder dieses Gefühl der Anonymität und des Wichtigseins, obwohl ich genau weiß, daß es

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nichts Schlimmeres gibt als den Morgenflug von Hamburg nach Frankfurt. Jeder Betriebsratsvorsitzende einer Kugellagerfabrik fliegt heutzutage, die kennen sich alle schon, die Betriebsräte, und sie grüßen sich am Gate mit einem nonchalanten Lächeln und zupfen dabei ihre bunten Krawatten zurecht und ihre senffarbenen Sakkos und erzählen sich dann im Flugzeug von ihrem letzten Phuket-Aufenthalt. Jedenfalls laufe ich zu dem Rondell, diesem großen Korb mit den Ballistos und den Salamibrötchen, den die Lufthansa neben der Kaffeemaschine aufgestellt hat, weil die Stewardessen zu faul sind, während des Fluges irgend etwas aufzutischen, und hole mir vier Salamibrötchen und sechs Ballistos und zwei Joghurts von Ehrmann und stopfe sie mir in die Taschen meiner Barbourjacke. Plötzlich geht es mir wieder besser. Ein Betriebsratsvorsitzender, der sich gerade zaghaft ein Salamibrötchen besieht, guckt ganz kritisch, so mit zusammengezogenen Augenbrauen, als ob er das, was ich da mit der Lufthansa-Verpflegung tue, nicht gutheißen kann, und wenn ich ein Ausländer wäre und kein Jackett anhätte, wofür er einen halben Monatslohn hergeben müßte, dann hätte er auch bestimmt etwas gesagt. Und weil er so frech guckt und gar nicht aufhört damit, stopfe ich mir noch zwei Ballistos in die Tasche und noch zwei Joghurts und nehme mir auch noch acht weiße Plastiklöffel. Dann esse ich ganz schnell hintereinander zwei Joghurts auf Während ich das tue, starre ich dem Mann ins Gesicht, bis er wegguckt, denn konfrontiert werden mag er ja auch nicht, dieses SPD-Schwein. Dann merke ich, daß ich ganz furchtbar niesen muß, und da kommt es auch schon, und ich niese wie ein Wahnsinniger auf das ganze blöde Sortiment der Lufthansa. Der Mann ist jetzt richtig erbost, und murmelt: So eine Frechheit oder irgend etwas ähnlich Belangloses, und ich starre ihn an und sage ganz leise, aber so, daß er es hört: Halt‘s Maul, du SPD-Nazi. Der Mann verschwindet ganz schnell zur Kaffeemaschine, und ich merke, daß es mir viel besser geht.

Wirklich bedeutend besser. Ich laufe mit meiner prall gefüllten Barbourjacke zu einem Sitzplatz und muß die ganze Zeit grinsen, und dann setze ich mich und esse ein Ehrmann-Joghurt mit einem Plastiklöffel, und als ich fertig gegessen habe, zünde ich mir eine Zigarette an und nehme mir eine Süddeutsche, obwohl mich wirklich nichts weniger interessiert als Tageszeitungen. Über den Rand der Zeitung beobachte ich, wie der Mann von eben mit einer Stewardeß spricht und dann immer zu mir herschaut und jedesmal, wenn unsere Blicke sich treffen, grinse ich ihn an. Ich hoffe sehr, daß wir im Flugzeug nebeneinander sitzen werden, weil ich dann, und für solche Fälle habe ich ja noch die Joghurts, mich wie ein Irrer betrinken werde und die Joghurt und den Ballisto-Matsch aus meinem Mund dribbeln lassen werde. Jetzt rufen sie die Maschine nach Frankfurt aus, die grünen RECOGNIZE YOURSELF

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FASERLAND

Lämpchen an der Anzeigetafel, die ich schon als Kind sehr bewundert habe, blinken auf, und ich blinke wie damals, wie jedesmal, mit den Augen im Takt mit: Links, rechts, links, rechts. Ich stehe auf, werfe die Zigarette in den Aschenbecher und gehe zum Ausgang. Leider ist der Mann von eben nirgends mehr zu sehen, und ich gehe an der Stewardeß vorbei, die die Bordkarten abreißt, es ist die gleiche, die vorhin mit dem Mann gesprochen hat, und ich lächle sie an, und sie lächelt zurück, und dann wünscht sie mir einen guten Flug.Dann sitze ich im Bus, der die Passagiere zum Flugzeug bringt, und ich rieche das Flugzeugbenzin und den Mundgeruch der Geschäftsmänner und das Eternity-Parfum der Geschäftsfrauen, und ich sehe mir die Hamburger Flughafengebäude an, klein und gedrungen und funktional, und ich denke an den Flughafen Tempelhof in Berlin, der wirklich wunderbar ist, weil da auf dem Flughafen das Erhabene des Fliegens unterstrichen wird und nicht ausgelöscht, wie hier in Hamburg. Der Bus hält vor dem Flugzeug, das Regensburg heißt oder Passau oder Neumünster oder wie auch immer, und ich steige aus und laufe auf die Flugzeugtreppe zu. Dieser Moment ist fast das Beste am Fliegen, wenn man aus dem Bus steigt und der Wind den Mantel hochweht und man den Koffer fester mit der Hand umschließt, und an der Treppe steht eine Stewardeß, die ihre Uniform mit einer Hand vor der Brust zusammenhält, und die Düsen jaulen sich schon warm. Das. ist so eine Art Übergang von einem Leben ins andere oder eine Mutprobe. Irgend etwas ändert sich im Leben, alles wird für einen kurzen Moment erhabener. Na ja, das denke ich jedenfalls immer, wenn ich fliege, daß es bei mir so wird, meine ich.

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Ich sitze im Flugzeug, und neben mir sitzt leider nicht der Mann von vorhin, sondern eine sehr alte Frau, die einen Siegelring trägt und eine Perlenkette, ganz eng um ihren faltigen Hals. Sie trägt‘ die Haare hinten hochgebunden, und jetzt, während das Flugzeug zur Startbahn rollt, knetet sie an ihren Händen herum. Es sind sehr schöne Hände, mit ganz vielen braunen Punkten drauf. Die Frau ist, das sage ich mal so, von Sommersprossen direkt zu Altersflecken übergegangen, und das ist sicher kein so schlechter Übergang. An ihrem schlanken Handgelenk trägt sie eine dünne, flache Cartier-Uhr, deren Armband ihr etwas zu groß ist, und sie schiebt die Armbanduhr immer wieder hoch, wenn sie herunterrutscht. Sie haßt sicher das Fliegen, denke ich. Sie hat sich immer geweigert zu fliegen, und jetzt muß sie es doch tun, weil ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. In Frankfurt wird sie nämlich ihren Anlageberater treffen oder ihren Rechtsanwalt, um dort die Sache mit ihrem Testament zu klären. Das hat sie bislang immer schriftlich gemacht, aber jetzt geht es nicht mehr schriftlich, weil sie mit ihrem Rechtsanwalt zusammen zu einer Bank muß, um dort persönlich ein paar Schriftstücke einzusehen. Das ist so eine CHRISTIAN KRACHT


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Privatbank, innen ganz in Mahagoni und mit roten Samtvorhängen und mit vielen alten abgewetzten Brücken ausgelegt, damit die Angestellten keinen Lärm machen, wenn sie über den Fußboden laufen. Die Bank gibt es schon seit 1790, und im Krieg wurde sie. zerbombt, und deswegen befindet sie sich heute in einem häßlichen Neubau im Frankfurter Westend, aber von innen sieht man nicht, daß es ein Neubau ist, höchstens an den niedrigen Dekken. Und während ich so da sitze und das Gesicht der Frau von der Seite ansehe und überlege, wie die alte Frau wohl riechen mag, weil sie sicher nicht schlecht riecht, nicht wie viele alte Menschen, die keine Lust mehr haben, sich zu waschen, weil ihnen die Lust am Waschen, das sich Saubermachen für irgend jemand und besonders für sich selbst irgendwann mal vergangen ist, da muß ich plötzlich an Isabella Rossellini denken, und wie jedesmal, wenn ich an Isabella denke, läuft mir so ein kleiner Schauer den Rücken herunter.Isabella Rossellini ist die schönste Frau der Welt. Das klingt so platt, aber es ist doch wahr. Das ist sogar tausendprozentig wahr. Und das schönste an ihr ist die Nase. Die kann man gar nicht beschreiben, selbst wenn man wollte. Ich jedenfalls möchte mit Isabella Rossellini Kinder haben, richtige kleine Schönheiten, mit einer Schleife im Haar, egal ob sie Mädchen oderjungen wären, und allen Kindern, die wir zusammen hätten, müßte vorne ein kleines Stückchen des Schneidezahns fehlen, genau wie bei ihrer Mutter.Wir würden alle zusammen auf einer Insel wohnen, aber nicht auf einer Südseeinsel oder so ein Dreck, sondern auf den Äußeren Hebriden oder auf den Kerguelen, jedenfalls auf so einer Insel, wo es ständig windet und stürmt und wo man im Winter gar nicht vor die Tür gehen kann, weil es so kalt ist. Isabella und die Kinder und ich würden dann zu Hause sitzen, und wir würden alle Fischerpullover tragen und Anoraks, weil ja auch die Heizung nicht richtig funktionieren würde, und wir würden zusammen Bücher lesen, und ab und zu würden Isabella und ich uns ansehen und dann lächeln. Und nachts würden wir beide im Bett liegen, die Kinder im Nebenzimmer, und wir würden auf ihr gleichmäßiges Atmen hören, leicht gedämpft, weil die Kinder immer einen Schnupfen haben, wegen dem Wetter, und dann würde ich mit meinen Händen Isas Beine anfassen und ihren Bauch und ihre Nase. Ich habe schon viele Filme gesehen, da war Isabella nackt, und Nigel hat zum Beispiel immer gesagt, sie hätte einen erschreckend häßlichen Körper, aber ihr Körper ist nicht häßlich, sondern nur nicht perfekt, und sie weiß das, und deswegen liebe ich sie. Während mir das alles wieder mal durch den Kopf geht, hebt das Flugzeug ab, und die alte Frau neben mir schließt die Augen und umklammert mit ihren schönen Händen die Armlehnen, so fest, daß ihre Venen hervortreten und ihre Knöchel ganz weiß werden. Das Nichtraucherzeichen erlischt, und ich zünde mir eine Zigarette an.

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FASERLAND erschienen bei DTV München, 2002

RECOGNIZE YOURSELF


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Und zwar: ich lebe ehelos. Hier liegt der Hase, meine Herrn, im Pfeffer. Wonach soll man trachten? Man selbst zu sein: PEER GYNT

Des Lebens Sinn heißt: dem Genusse sich vermieten. Steht doch geschrieben: Hin ist hin, Und futsch ist futsch – Was darf ich bieten? Der ist gefunden.

Und zwar: ich lebe ehelos. Hier liegt der Hase, meine Herrn, im Pfeffer. Wonach soll man trachten? Man selbst zu sein: des Pudels Kern. Auf sich und seins nur soll man achten. Doch darf man dann Packesel sein für andrer Wohl und Wehe? Nein!

V. EBERKOPF

Doch dieses An-und-für-sich-Wesen kostete sicher manchen Streit

PEER GYNT

0 ja, gewiß; zu seiner Zeit; Doch bin ich rühmlich draus genesen. Nur einmal war ich drauf und dran, ins Netz zu gehn im Übermute. Ich war ein kecker, junger Mann; die Dame, die ich liebgewann – sie war von königlichem Blute

MONSIEUR

Ballon. Prinzessin?

PEER GYNT

(wegwerfend)

Nun, aus einem alten Geschlechte –

PEER GYNT:

TRUMPETERSTRÄLE

(haut auf denTiscb)

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Adliges Geschmeiss!

PEER GYNT

(nachsichtig)

Sie verstehn! Es gab da einen Umstand, den die Hochzeit schnell bereinen sollte.

Ich bin ein Mann von heiklem Sinne und stehe gern auf eignem Fuß. Als nun der Schwiegervater Doch, rundheraus, vom Anbeginne war mir das Ganze zum Verdruß.

kam und dringend ins Gebet mich nahm, ich solle Namen, Stand abschreiben und meine Adelung betreiben, samt manchem andern äußerst Dämlichen, um nicht zu sagen Unannehmlichen, da machte ich mit Anstand Schluß, gab ihm mein Nein aufs Ultimatum und meiner Braut den letzten Kuß.

(Trommelt auf den Tisch und scheint andächtig)


TNYG REEP

niH :nebeirhcseg hcod thetS .neteimrev hcis essuneG med :tßieh nniS snebeL seD .nednufeg tsi reD ?neteib hci frad saW – hcstuf tsi hcstuf dnU ,nih tsi llos hcanoW .reffefP mi ,nrreH eniem ,esaH red tgeil reiH .solehe ebel hci :rawz dnU llos run snies dnu hcis fuA .nreK sleduP sed :nies uz tsbles naM ?nethcart nam !nieN ?eheW dnu lhoW rerdna rüf nies lesekcaP nnad nam frad hcoD .nethca nam

F P OK R E B E .V

tiertS nehcnam rehcis etetsok neseW-hcis-rüf-dnu-nA seseid hcoD

TNYG REEP

raw lamnie ruN .neseneg suard hcilmhür hci nib hcoD ;tieZ renies uz ;ßiweg ,aj 0 ,rekcek nie raw hcI .etumrebÜ mi nheg uz zteN sni ,nard dnu fuard hci etulB mehcilginök nov raw eis – nnawegbeil hci eid ,emaD eid ;nnaM regnuj

RUEISNOM

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Und zwar: ich lebe ehelos. Hier liegt der Hase, meine Herrn, im Pfeffer. Wonach soll man trachten? Man selbst zu sein: PEER GYNT:

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GRUNDMOTIV NO. 02


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BUY - OLOGY

MARTIN LINDSTRÖM

BUY - OLOGY

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euromarketing, diese neue und faszinierende Verbindung von Marketing und Wissenschaft, stellt das »Fenster« zum menschlichen Gehirn dar, auf das wir lange gewartet haben. Neuromarketing ist der Schlüssel zu dem, was ich als »Buyology « [den Kaufauslöser in unserem Hirn] bezeichne: die unbewussten Gedanken, Gefühle und Wünsche, die alle Kaufentscheidungen bestimmen, die wir treffen. Unsere Studie, die 2004 begann, beanspruchte insgesamt fast drei Jahre meines Lebens, kostete rund sieben Millionen USDollar (die von acht internationalen Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden), umfasste zahllose Experimente und beschäftigte Tausende von Probanden auf der ganzen Welt sowie 200 Forscher, zehn Professoren und Ärzte und eine Ethikkommission. Eingesetzt wurden zwei der am weitesten entwickelten Apparate für Gehirnscans: ein funktioneller Magnetresonanztomograf sowie eine neue Version eines Elektroenzephalografen, dessen Arbeit als Steady-State Topography (SST) bezeichnet wird und der Gehirnwellen in Echtzeit auf-

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Zigarettenkonsum NEIN

] OFK [

] PILOT [

WER DAS RAUCHEN AUFGIBT VERRINGERT DAS RISIKO TÖDLICHER HERZ- UND LUNGENERKRANKUNGEN

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ABB 1

DER WIDERSPRUCH DES GEHIRNS BEEINFLUSSEN SIE DIE WARNHINWEISE AUF DEN ZIGARETTENPACKUNGEN? JA, ICH RAUCHE DADURCH WENIGER. DAS GEHIRN WIDERSPRICHT JEDOCH: DIE ERGEBNISSE DES FMRI ZEIGTEN, DASS DIE WARNHINWEISE RAUCHER KEINESFALLS ABSCHRECKTEN, SONDERN DAZU ANREGTEN, SIICH EINE ZIGARETTE ANZUSTECKEN. RECOGNIZE YOURSELF

ABER IHR GEHIRN HATTE IHR WIDERSPROCHEN. GENAU DAS GLEICHE TUN ALLE UNSERE GEHIRNE TAGTÄGLICH.


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zeichnet. Das Forschungsteam wurde geleitet von Dr. Gemma Calvert 1, Professorin für Neuroimaging an der University of Warwick und Gründerin von Neurosense in Oxford, sowie von Professor Richard Silberstein 2, dem Geschäftsführer von Neuro-Insight in Australien. Die gesamte Studie war 25-mal so umfangreich wie jede andere bisher durchgeführte Neuromarketing-Erhebung. Das Forschungsergebnis? Es wird Ihre Vorstellung von den Gründen für Ihr Kaufverhalten deutlich verändern.

DER WARNHINWEIS

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Marlene, eine der Raucherinnen, die sich an der Studie beteiligten, lag flach auf dem Rücken im Magnetresonanztomografen . Die Maschine tickte, die Plattform wurde ein wenig angehoben und rastete ein. Leise Zweifel spiegelten sich auf Marlenes Gesicht – wen wundert’s? Aber sie lächelte tapfer, als ihr ein Techniker für den ersten Gehirnscan des Tages die Kopfspule des Gerätes aufsetzte. Aufgrund des von Marlene ausgefüllten Fragebogens und des mit ihr geführten Interviews wusste ich, dass sie vor 15 Jahren mit dem Rauchen angefangen hatte. Sie betrachtete sich nicht als nikotinabhängig, sondern als »Party-Raucherin«. »Beeinflussen

Sie die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen?«, hatte der Fragebogen wissen wollen. »Ja«, hatte Marlene geschrieben. »Rauchen Sie aufgrund dieser Warnhinweise weniger?« Nochmals »ja«. Ihre Antworten im Interview waren ziemlich eindeutig, aber nun war es Zeit, ihr Gehirn zu befragen. Marlene lag etwas mehr als eine Stunde im Tomografen. Ein kleiner Apparat von der Größe eines Autorückspiegels projizierte nacheinander einige Warnhinweise von Zigarettenpackungen aus verschiedenen Blickwinkeln auf eine Leinwand. Marlene sollte bei jedem Bild ihren Wunsch nach einer Zigarette durch Betätigung eines Druckknopfes ausdrücken, abgestuft nach der Intensität ihres Verlangens. Über die nächsten eineinhalb Monate unterzogen sich weitere Probanden den Gehirnscans. Fünf Wochen später präsentierte mir Dr. Calvert, die Leiterin des Teams, die Ergebnisse. Ich fand sie erschreckend. Sogar Dr. Calvert war überrascht: Die Warnhinweise vorn, hinten und auf den Seiten der Zigarettenpackungen unterdrückten das Verlangen der Raucher nach einer Zigarette überhaupt nicht. Anders formuliert: Sämtliche schaurigen Fotos, staatlichen Einschränkungen, Milliarden von Euro, die 123 Länder in Nichtraucherkampa-

1 Professor Calvert started out in the marketing and advertising industry, working for FKB-Carlson between 1987-1991 before returning to academe to read Psychology at the London School of Economics. She undertook her DPhil at the University of Oxford which she was awarded in 1998, the University's first thesis involving the use of functional magnetic resonance imaging (fMRI) to study human brain function.

2 Professor Richard Silberstein, CEO of Neuro-Insight holds a Ph.D. from the University of Melbourne in Neurophysiology and a BSc (Hon) majoring in Physics from Monash University. He is an Honorary Senior Principal Research Fellow at the Howard Florey Institute of Medical Physiology and serves on the Executive Board of the International Society for Brain Electromagnetic Topography and the Pan Pacific Conference for Brain Topography as well as the Editorial Board of Brain Topography. MARTIN LINDSTRÖM


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gnen investiert hatten, waren letztendlich rausgeschmissenes Geld. Noch erstaunlicher als diese Erkenntnis war jene, auf die Dr. Calvert stieß, als sie die Daten weiter analysierte. Die Warnungen vor Zigaretten hatten ein Areal im Gehirn der Raucher aktiviert, das man als Nucleus accumbens bezeichnet oder auch »Suchtzentrum«. Diese Hirnregion ist ein neuronales Netz, das aktiv reagiert und daher in TomografieBildern aufleuchtet, wenn der Körper ein unbezwingbares Verlangen nach etwas hat – sei es Alkohol, Drogen, Tabak, Sex oder Glücksspiele. Wird der Nucleus accumbens stimuliert, fordert er immer höhere Dosen zu seiner Befriedigung. Die Ergebnisse der funktionellen Magnetresonanztomografie (FMRI) zeigten also, dass die Warnhinweise Raucher keinesfalls abschreckten, sondern dazu anregten, sich eine Zigarette anzustecken.Die meisten Raucher kreuzten »Ja« an, wenn sie angeben sollten, ob die Warnhinweise funktionierten – vielleicht glaubten sie, dies sei die richtige Antwort oder das, was die Forscher lesen wollten, oder sie fühlten sich einfach schuldig, weil sie wussten, was Raucher ihrer Gesundheit antun. Ihr Bewusstsein konnte dies jedoch nicht erkennen. Marlene hatte nicht gelogen, als sie den Fragebogen ausfüllte. Aber ihr Gehirn hatte ihr hartnäckig widersprochen. Genau das Gleiche tun alle unsere Gehirne tagtäglich. Das Forschungszentrum von Daimler Chrysler in Ulm setzte die Magnetresonanztomografie in 2002 ein, um zu erfahren, was in den Gehirnen von Konsumenten vor sich ging, wenn man ihnen eine Reihe Fotos von verschiedenen Autos zeigte, darunter Mini Coopers und Ferraris. Die Forscher entdeckten, dass beim Anblick

eines Mini Coopers eine der hinteren Hirnregionen aktiviert wurde, die auf Gesichter reagiert. Die Magnetresonanztomografie hatte gerade das wesentliche Element offengelegt, das den Reiz eines Mini Coopers ausmacht. Nicht die stilisierte Form einer Bulldogge, die eckige Karosserie, der 1,6Liter-Reihenvierzylinder-Motor oder die Airbags mit Seitenaufprallschutz machen den Charme des Wagens aus, sondern der Mini Cooper bleibt Menschen als ein liebenswertes Gesicht in Erinnerung. Ein kleines Wesen aus glänzendem Stahl, Bambi auf vier Rädern. Man spürt den Drang, in eines der Metallbäckchen zu kneifen.Untersuchungen innerhalb des gebietes der Neurowissenschaften verdeutlichte, was ich schon lange vermutet hatte:

WARNHINWEISE AKTIVIEREN SUCHTZENTRUM Marken sind viel mehr als von auffälligem Design umgebene, erkennbare Produkte. Die Beobachtung der Reaktionen auf eine der beliebtesten Fernsehshows der USA (American Idol) würde eine meiner Fragen beantworten: Ist Produktplatzierung wirklich erfolgreich, oder ist sie Geldverschwendung? 400 Teilnehmern wurde eine schwarze, turbanähnliche Haube aufgestülpt, die mit einem Dutzend Elektroden verdrahtet war, welche wie Teelichter aussahen. Die Forscher stellten ein paar Verbindungen zwischen den Drähten her und krönten das Ganze mit einer Spezialbrille. Die Elektroden waren so über bestimmten RECOGNIZE YOURSELF

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WENN WIR SEHEN, DASS EIN ANDERER UNGEWÖHNLICHE KOPFHÖRER TRÄGT, WECKEN DIE SPIEGELNEURONEN IN UNS DEN WUNSCH, DIE GLEICHEN SCHICKEN KOPFHÖRER ZU BESITZEN.


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zeichnet. Das Forschungsteam wurde geleitet von Dr. Gemma Calvert 1, Professorin für Neuroimaging an der University of Warwick und Gründerin von Neurosense in Oxford, sowie von Professor Richard Silberstein 2, dem Geschäftsführer von Neuro-Insight in Australien. Die gesamte Studie war 25-mal so umfangreich wie jede andere bisher durchgeführte Neuromarketing-Erhebung. Das Forschungsergebnis? Es wird Ihre Vorstellung von den Gründen für Ihr Kaufverhalten deutlich verändern.

DER WARNHINWEIS

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Marlene, eine der Raucherinnen, die sich an der Studie beteiligten, lag flach auf dem Rücken im Magnetresonanztomografen . Die Maschine tickte, die Plattform wurde ein wenig angehoben und rastete ein. Leise Zweifel spiegelten sich auf Marlenes Gesicht – wen wundert’s? Aber sie lächelte tapfer, als ihr ein Techniker für den ersten Gehirnscan des Tages die Kopfspule des Gerätes aufsetzte. Aufgrund des von Marlene ausgefüllten Fragebogens und des mit ihr geführten Interviews wusste ich, dass sie vor 15 Jahren mit dem Rauchen angefangen hatte. Sie betrachtete sich nicht als nikotinabhängig, sondern als »Party-Raucherin«. »Beeinflussen

Sie die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen?«, hatte der Fragebogen wissen wollen. »Ja«, hatte Marlene geschrieben. »Rauchen Sie aufgrund dieser Warnhinweise weniger?« Nochmals »ja«. Ihre Antworten im Interview waren ziemlich eindeutig, aber nun war es Zeit, ihr Gehirn zu befragen. Marlene lag etwas mehr als eine Stunde im Tomografen. Ein kleiner Apparat von der Größe eines Autorückspiegels projizierte nacheinander einige Warnhinweise von Zigarettenpackungen aus verschiedenen Blickwinkeln auf eine Leinwand. Marlene sollte bei jedem Bild ihren Wunsch nach einer Zigarette durch Betätigung eines Druckknopfes ausdrücken, abgestuft nach der Intensität ihres Verlangens. Über die nächsten eineinhalb Monate unterzogen sich weitere Probanden den Gehirnscans. Fünf Wochen später präsentierte mir Dr. Calvert, die Leiterin des Teams, die Ergebnisse. Ich fand sie erschreckend. Sogar Dr. Calvert war überrascht: Die Warnhinweise vorn, hinten und auf den Seiten der Zigarettenpackungen unterdrückten das Verlangen der Raucher nach einer Zigarette überhaupt nicht. Anders formuliert: Sämtliche schaurigen Fotos, staatlichen Einschränkungen, Milliarden von Euro, die 123 Länder in Nichtraucherkampa-

1 Professor Calvert started out in the marketing and advertising industry, working for FKB-Carlson between 1987-1991 before returning to academe to read Psychology at the London School of Economics. She undertook her DPhil at the University of Oxford which she was awarded in 1998, the University's first thesis involving the use of functional magnetic resonance imaging (fMRI) to study human brain function.

2 Professor Richard Silberstein, CEO of Neuro-Insight holds a Ph.D. from the University of Melbourne in Neurophysiology and a BSc (Hon) majoring in Physics from Monash University. He is an Honorary Senior Principal Research Fellow at the Howard Florey Institute of Medical Physiology and serves on the Executive Board of the International Society for Brain Electromagnetic Topography and the Pan Pacific Conference for Brain Topography as well as the Editorial Board of Brain Topography. MARTIN LINDSTRÖM


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gnen investiert hatten, waren letztendlich rausgeschmissenes Geld. Noch erstaunlicher als diese Erkenntnis war jene, auf die Dr. Calvert stieß, als sie die Daten weiter analysierte. Die Warnungen vor Zigaretten hatten ein Areal im Gehirn der Raucher aktiviert, das man als Nucleus accumbens bezeichnet oder auch »Suchtzentrum«. Diese Hirnregion ist ein neuronales Netz, das aktiv reagiert und daher in TomografieBildern aufleuchtet, wenn der Körper ein unbezwingbares Verlangen nach etwas hat – sei es Alkohol, Drogen, Tabak, Sex oder Glücksspiele. Wird der Nucleus accumbens stimuliert, fordert er immer höhere Dosen zu seiner Befriedigung. Die Ergebnisse der funktionellen Magnetresonanztomografie (FMRI) zeigten also, dass die Warnhinweise Raucher keinesfalls abschreckten, sondern dazu anregten, sich eine Zigarette anzustecken.Die meisten Raucher kreuzten »Ja« an, wenn sie angeben sollten, ob die Warnhinweise funktionierten – vielleicht glaubten sie, dies sei die richtige Antwort oder das, was die Forscher lesen wollten, oder sie fühlten sich einfach schuldig, weil sie wussten, was Raucher ihrer Gesundheit antun. Ihr Bewusstsein konnte dies jedoch nicht erkennen. Marlene hatte nicht gelogen, als sie den Fragebogen ausfüllte. Aber ihr Gehirn hatte ihr hartnäckig widersprochen. Genau das Gleiche tun alle unsere Gehirne tagtäglich. Das Forschungszentrum von Daimler Chrysler in Ulm setzte die Magnetresonanztomografie in 2002 ein, um zu erfahren, was in den Gehirnen von Konsumenten vor sich ging, wenn man ihnen eine Reihe Fotos von verschiedenen Autos zeigte, darunter Mini Coopers und Ferraris. Die Forscher entdeckten, dass beim

Anblick eines Mini Coopers eine der hinteren Hirnregionen aktiviert wurde, die auf Gesichter reagiert. Die Magnetresonanztomografie hatte gerade das wesentliche Element offengelegt, das den Reiz eines Mini Coopers ausmacht. Nicht die stilisierte Form einer Bulldogge, die eckige Karosserie, der 1,6-Liter-Reihenvierzylinder-Motor oder die Airbags mit Seitenaufprallschutz machen den Charme des Wagens aus, sondern der Mini Cooper bleibt Menschen als ein liebenswertes Gesicht in Erinnerung. Ein kleines Wesen aus glänzendem Stahl, Bambi auf vier Rädern. Man spürt den Drang, in eines der Metallbäckchen zu kneifen. Untersuchungen innerhalb des gebietes der Neurowissenschaften verdeutlichte, was ich schon lange vermutet

WARNHINWEISE AKTIVIEREN SUCHTZENTRUM hatte: Marken sind viel mehr als von auffälligem Design umgebene, erkennbare Produkte. Die Beobachtung der Reaktionen auf eine der beliebtesten Fernsehshows der USA (American Idol) würde eine meiner Fragen beantworten: Ist Produktplatzierung wirklich erfolgreich, oder ist sie Geldverschwendung? 400 Teilnehmern wurde eine schwarze, turbanähnliche Haube aufgestülpt, die mit einem Dutzend Elektroden verdrahtet war, welche wie Teelichter aussahen. Die Forscher stellten ein paar Verbindungen zwischen den Drähten her und krönten das Ganze mit einer Spezialbrille. Die Elektroden waren so über bestimmten RECOGNIZE YOURSELF

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WENN WIR SEHEN, DASS EIN ANDERER UNGEWÖHNLICHE KOPFHÖRER TRÄGT, WECKEN DIE SPIEGELNEURONEN IN UNS DEN WUNSCH, DIE GLEICHEN SCHICKEN KOPFHÖRER ZU BESITZEN.


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Gehirnregionen angebracht, dass das Forscherteam hinter einer Glasscheibe die Gehirnwellen beobachten und mathematisch genau in Echtzeit messen konnte. Unter anderem ließ sich mittels der Steady-State Topography feststellen, wie stark die Teilnehmer emotional involviert waren, was mit ihrem Gedächtnis geschah und welche Bilder sie anzogen oder abstießen. Produktplatzierungen in Filmen sind

SEHNSÜCHTIG STARRTE DER MAKAKE

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so alt wie das Medium selbst. Aber die Produktplatzierung, wie wir sie heute kennen, lässt sich auf einen kleinen Außerirdischen in den 80er Jahren zurückführen. Falls Sie »E.T.« von Steven Spielberg nie gesehen haben: Im Mittelpunkt steht der vaterlose, einsame Junge Elliott, der ein merkwürdiges Wesen entdeckt, das im Wald hinter seinem Haus lebt. Um dieses Wesen aus seinem Versteck zu locken, legt Elliott auf den Pfad, der vom Wald zum Haus führt, eine Spur von Süßigkeiten – die Amerikaner sofort als Reese’s Pieces von Hershey erkennen. Eine Woche nachdem der Film in die Kinos kam, hatte sich der Absatz von Reese’s Pieces verdreifacht, und binnen weniger Monate nahmen über 800 Kinos im ganzen Land diese Süßigkeit erstmalig in ihr Kiosk-angebot auf. Seit den Tagen von »E.T.« hat Produktplatzierung in Filmen geradezu groteske Ausmaße angenommen. Haben Sie denn zufällig »Casino Royale« gesehen, den vorletzten Bond-Film mit Daniel Craig? MARTIN LINDSTRÖM

Erinnern Sie sich an irgendwelche Marken aus dem Film? FedEx? Die Omega-Uhr an Bonds Handgelenk? Den Vaio-Computer von Sony? Louis Vuitton? Ford? Die fungierten alle als Statisten. Wenn es Ihnen geht wie mir, dann erinnern Sie sich nur an den Aston Martin, und das liegt vermutlich an der langjährigen Verbindung dieses Autos mit James Bond und weniger an diesem einen Film. Wir zeigten unseren Teilnehmern nacheinander jeweils eine Sekunde lang 20 Produktlogos. Darunter waren solche von Unternehmen, die in den Werbepausen von American Idol 30-Sekunden-Spots sendeten, einschließlich Coke, Ford und Cingular. Diese nannten wir Sponsorlogos. Außerdem zeigten wir den Freiwilligen Logos von Produkten, die nicht im Zusammenhang mit der Show beworben wurden – alles Mögliche von Fanta über Verizon und Target bis zu Ebay. Diese bezeichneten wir als Nicht-Sponsorlogos. Anschließend führten wir unseren Probanden eine 20-minütige Sonderausgabe von American Idol vor sowie eine Episode einer anderen Show, die wir als Benchmark zur Verifizierung unserer Resultate verwenden wollten. Nachdem sich die Teilnehmer beide Shows angesehen hatten, präsentierten wir ihnen dreimal hintereinander die gleiche Folge von Logos. Ziel war es, herauszufinden, ob sich die Probanden daran erinnern würden, welche Logos sie während der Show gesehen hatten und welche nicht. Im Laufe der Jahre ist die Neuromarketing-Forschung zu dem Schluss gekommen, dass die Erinnerung an ein Produkt das zuverlässigste Maß für die Wirkung der entsprechen-


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den Werbung ist. Außerdem hängt die Erinnerung an das Produkt mit dem zukünftigen Kaufverhalten zusammen. Das heißt, wenn wir uns an 8×4 und Johnnie Walker erinnern, ist es um einiges wahrscheinlicher, dass sie wieder in unseren Einkaufskorb wandern. Eine Woche nach dem Experiment traf ich Professor Silberstein, um die Ergebnisse zu diskutieren. Zunächst hatte Professor Silberstein aufgrund der Tests vor Sendung der Show feststellen können, dass sich die Teilnehmer nicht besser an die Produkte der Hauptsponsoren von American Idol – Ford, Cingular Wireless und CocaCola – erinnerten als an die anderen nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Marken. Sämtliche Logos hatten die gleiche Ausgangsposition. Das Bild sollte sich ändern. Nachdem die Probanden die beiden Shows gesehen hatten, erinnerten sie sich deutlich besser an die Sponsorlogos als an die NichtSponsorlogos.

DER AFFE UND DAS EIS Die SST-Resultate zeigten, dass CocaCola besser im Gedächtnis blieb als Cingular Wireless und erheblich besser als Ford. Die nach Betrachten der Shows durchgeführten Tests zeigten, dass die Teilnehmer sich nun weniger an die Ford-Werbung erinnerten als ganz zu Anfang, als sie ins Studio kamen. Das Anschauen der mit CokeWerbung übersättigten Show hatte tatsächlich die Erinnerung der Probanden an die Ford-Werbung unterdrückt. Aber durch welche Vorgänge in unserem Gehirn bleibt ein Produkt so viel besser im Gedächtnis und ist so viel ansprechender als andere? Im Jahr 1992 untersuchten der italieni-

sche Wissenschaftler Professor Giacomo R izzolatti und sein Forscherteam in Parma die Gehirne einer bestimmten Affenart – der Makaken –, um herauszufinden, wie das Gehirn das motorische Verhalten steuert. Sie konzentrierten sich dabei auf eine Hirnregion, die Neurowissenschaftler als F5 oder prämotorische R inde bezeichnen und die bei bestimmten Handlungen aktiv wird, beispielsweise beim Aufheben einer Nuss. Interessanterweise stellten die Wissenschaftler fest, dass sie nicht nur ein Aufleuchten der prämotorischen N euronen beobachten konnten, wenn die Affen tatsächlich nach der Nuss griffen, sondern auch, wenn die Tiere sahen, dass andere Affen nach einer Nuss griffen – eine echte Überraschung für Rizzolattis Team, denn die Neuronen im prämotorischen Kortex reagieren üblicherweise nicht auf eine visuelle Stimulierung. An einem besonders heißen Sommernachmittag beobachteten Rizzolatti und seine Leute etwas sehr Merkwürdiges. Als einer von Rizzolattis Studenten mit einer Tüte Eiscreme ins Labor kam, starrte ihn ein Makake geradezu sehnsüchtig an. Als der Student das Eis zum Mund führte und daran leckte, wurde der Monitor, der mit den Elektroden verbunden war, welche die Aktivitäten in der prämoto rischen R inde des Affen maßen, aktiv: biep, biep, biep. Der Makake hatte überhaupt nichts getan. Er hatte weder seinen Arm bewegt noch Eiscreme geschleckt, er hielt nicht einmal irgendetwas in der Hand. Allein aufgrund der Beobachtung, dass der Student ein Eis zum Mund führte, hatte das Gehirn des Affen geistig die gleiche Aktivität imitiert. Dieses bemerkenswerte PhäRECOGNIZE YOURSELF

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DOPAMIN: DIE CHEMIKALIE DES VERGNÜGENS ÜBERFLUTET UNSER GEHIRN BEIM KONSUMIEREN. SIE IST DIE AM STÄRKSTEN SUCHTERZEUGENSTE SUBSTANZ, DIE WIR KENNEN.


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Gehirnregionen angebracht, dass das Forscherteam hinter einer Glasscheibe die Gehirnwellen beobachten und mathematisch genau in Echtzeit messen konnte. Unter anderem ließ sich mittels der Steady-State Topography feststellen, wie stark die Teilnehmer emotional involviert waren, was mit ihrem Gedächtnis geschah und welche Bilder sie anzogen oder abstießen. Produktplatzierungen in Filmen sind

SEHNSÜCHTIG STARRTE DER MAKAKE

204

so alt wie das Medium selbst. Aber die Produktplatzierung, wie wir sie heute kennen, lässt sich auf einen kleinen Außerirdischen in den 80er Jahren zurückführen. Falls Sie »E.T.« von Steven Spielberg nie gesehen haben: Im Mittelpunkt steht der vaterlose, einsame Junge Elliott, der ein merkwürdiges Wesen entdeckt, das im Wald hinter seinem Haus lebt. Um dieses Wesen aus seinem Versteck zu locken, legt Elliott auf den Pfad, der vom Wald zum Haus führt, eine Spur von Süßigkeiten – die Amerikaner sofort als Reese’s Pieces von Hershey erkennen. Eine Woche nachdem der Film in die Kinos kam, hatte sich der Absatz von Reese’s Pieces verdreifacht, und binnen weniger Monate nahmen über 800 Kinos im ganzen Land diese Süßigkeit erstmalig in ihr Kiosk-angebot auf. Seit den Tagen von »E.T.« hat Produktplatzierung in Filmen geradezu groteske Ausmaße angenommen. Haben Sie denn zufällig »Casino Royale« gesehen, den vorletzten Bond-Film mit Daniel Craig? MARTIN LINDSTRÖM

Erinnern Sie sich an irgendwelche Marken aus dem Film? FedEx? Die Omega-Uhr an Bonds Handgelenk? Den Vaio-Computer von Sony? Louis Vuitton? Ford? Die fungierten alle als Statisten. Wenn es Ihnen geht wie mir, dann erinnern Sie sich nur an den Aston Martin, und das liegt vermutlich an der langjährigen Verbindung dieses Autos mit James Bond und weniger an diesem einen Film. Wir zeigten unseren Teilnehmern nacheinander jeweils eine Sekunde lang 20 Produktlogos. Darunter waren solche von Unternehmen, die in den Werbepausen von American Idol 30-Sekunden-Spots sendeten, einschließlich Coke, Ford und Cingular. Diese nannten wir Sponsorlogos. Außerdem zeigten wir den Freiwilligen Logos von Produkten, die nicht im Zusammenhang mit der Show beworben wurden – alles Mögliche von Fanta über Verizon und Target bis zu Ebay. Diese bezeichneten wir als Nicht-Sponsorlogos. Anschließend führten wir unseren Probanden eine 20-minütige Sonderausgabe von American Idol vor sowie eine Episode einer anderen Show, die wir als Benchmark zur Verifizierung unserer Resultate verwenden wollten. Nachdem sich die Teilnehmer beide Shows angesehen hatten, präsentierten wir ihnen dreimal hintereinander die gleiche Folge von Logos. Ziel war es, herauszufinden, ob sich die Probanden daran erinnern würden, welche Logos sie während der Show gesehen hatten und welche nicht. Im Laufe der Jahre ist die Neuromarketing-Forschung zu dem Schluss gekommen, dass die Erinnerung an ein Produkt das zuverlässigste Maß für die Wirkung der entsprechen-


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den Werbung ist. Außerdem hängt die Erinnerung an das Produkt mit dem zukünftigen Kaufverhalten zusammen. Das heißt, wenn wir uns an 8×4 und Johnnie Walker erinnern, ist es um einiges wahrscheinlicher, dass sie wieder in unseren Einkaufskorb wandern. Eine Woche nach dem Experiment traf ich Professor Silberstein, um die Ergebnisse zu diskutieren. Zunächst hatte Professor Silberstein aufgrund der Tests vor Sendung der Show feststellen können, dass sich die Teilnehmer nicht besser an die Produkte der Hauptsponsoren von American Idol – Ford, Cingular Wireless und CocaCola – erinnerten als an die anderen nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Marken. Sämtliche Logos hatten die gleiche Ausgangsposition. Das Bild sollte sich ändern. Nachdem die Probanden die beiden Shows gesehen hatten, erinnerten sie sich deutlich besser an die Sponsorlogos als an die NichtSponsorlogos.

DER AFFE UND DAS EIS Die SST-Resultate zeigten, dass CocaCola besser im Gedächtnis blieb als Cingular Wireless und erheblich besser als Ford. Die nach Betrachten der Shows durchgeführten Tests zeigten, dass die Teilnehmer sich nun weniger an die Ford-Werbung erinnerten als ganz zu Anfang, als sie ins Studio kamen. Das Anschauen der mit CokeWerbung übersättigten Show hatte tatsächlich die Erinnerung der Probanden an die Ford-Werbung unterdrückt. Aber durch welche Vorgänge in unserem Gehirn bleibt ein Produkt so viel besser im Gedächtnis und ist so viel ansprechender als andere? Im Jahr 1992 untersuchten der italieni-

sche Wissenschaftler Professor Giacomo R izzolatti und sein Forscherteam in Parma die Gehirne einer bestimmten Affenart – der Makaken –, um herauszufinden, wie das Gehirn das motorische Verhalten steuert. Sie konzentrierten sich dabei auf eine Hirnregion, die Neurowissenschaftler als F5 oder prämotorische R inde bezeichnen und die bei bestimmten Handlungen aktiv wird, beispielsweise beim Aufheben einer Nuss. Interessanterweise stellten die Wissenschaftler fest, dass sie nicht nur ein Aufleuchten der prämotorischen N euronen beobachten konnten, wenn die Affen tatsächlich nach der Nuss griffen, sondern auch, wenn die Tiere sahen, dass andere Affen nach einer Nuss griffen – eine echte Überraschung für Rizzolattis Team, denn die Neuronen im prämotorischen Kortex reagieren üblicherweise nicht auf eine visuelle Stimulierung. An einem besonders heißen Sommernachmittag beobachteten Rizzolatti und seine Leute etwas sehr Merkwürdiges. Als einer von Rizzolattis Studenten mit einer Tüte Eiscreme ins Labor kam, starrte ihn ein Makake geradezu sehnsüchtig an. Als der Student das Eis zum Mund führte und daran leckte, wurde der Monitor, der mit den Elektroden verbunden war, welche die Aktivitäten in der prämoto rischen R inde des Affen maßen, aktiv: biep, biep, biep. Der Makake hatte überhaupt nichts getan. Er hatte weder seinen Arm bewegt noch Eiscreme geschleckt, er hielt nicht einmal irgendetwas in der Hand. Allein aufgrund der Beobachtung, dass der Student ein Eis zum Mund führte, hatte das Gehirn des Affen geistig die gleiche Aktivität imitiert. Dieses bemerkenswerte PhäRECOGNIZE YOURSELF

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Spiegel

neuronen

GETEILTES GEFÜHL DER BEOBACHTETEN AKTIVITÄT

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ABB 2

SPEIGELNEURONEN ALLEIN AUFGRUND DER BEOBACHTUNG, DASS DER FORSCHER IM LABOR EIN EIS ZUM MUND FÜHRTE, HATTE DAS GEHIRN DES AFFEN GEISTIG DIE GLEICHE AKTIVITÄT IMITIERT. DER AFFE TEILT DURCH DAS ZUSEHEN DAS GEFÜHL, EIN EIS ZU SCHLECKEN, AUCH WENN ER KEINES IN DER HAND HAT..

nomen sollte Rizzolatti als »Spiegelneuronen bei der A rbeit « definieren – Neuronen, die aktiv werden, wenn eine Handlung ausgeführt wird oder wenn die gleiche Handlung beobachtet wird. Die Spiegelneuronen der Affen wurden aber nicht bei jeder Bewegung MARTIN LINDSTRÖM

aktiv, die ein Student oder ein anderer Affe machte. Rizzolattis Team konnte nachweisen, dass die Spiegelneuronen der Makaken nur auf »gezielte Bewegungen« reagierten – das heißt auf Aktivitäten, die sich auf ein Objekt bezogen, sei es das Aufheben einer


SELF DISPLAY

Nuss oder das Führen der Eiscremetüte zum Mund, aber nicht auf andere Bewegungen wie das Durchqueren eines Raumes oder das Verschränken von Armen. Funktioniert das menschliche Gehirn auf die gleiche Weise? Gehirnscans derjenigen Regionen, in denen man Spiegelneuronen vermutet, deuten darauf anscheinend hin. Spiegelneuronen sind auch dafür verantwortlich, dass wir häufig unbewusst das Verhalten anderer Menschen nachahmen. Wenn andere Menschen wispern, sprechen auch wir leiser. Wenn wir mit alten Menschen zusader mmen sind, gehen wir automatisch langsamer. Gääähn. Gähnen Sie jetzt auch, oder spüren Sie zumindest einen leichten Drang zum Gähnen? Ich schon, aber nicht weil ich müde bin, sondern weil ich das Wort Gääähn schrieb. Spiegelneuronen werden nicht nur dann aktiv, wenn wir das Verhalten anderer Menschen beobachten, sondern auch, wenn wir lesen, was andere tun. Genau wie Spiegelneuronen dafür sorgten, dass das Affengehirn die Bewegung des Studenten nachvollzog, so bringen sie uns Menschen dazu, das Einkaufsverhalten anderer nachzuahmen. Wenn wir sehen, dass eine andere Person ungewöhnliche Kopfhörer trägt, dann wecken unsere Spiegelneuronen in uns den Wunsch, die gleichen schicken Kopfhörer zu besitzen. Spiegelneuronen können auch auf etwas reagieren, was wir online sehen. Nehmen wir als Beispiel den 17-jährigen Nick Baily aus Detroit, Michigan. Am 6. November 2006 brachte Nintendo die heiß ersehnte Spielkonsole Wii auf den Markt. Nachdem er 17 Stunden vor dem nächsten Toys’R’Us angestanden hatte, eilte der Jugendliche mit seiner neuen Konsole nach Hause. An seiner Stelle hätten die

meisten Käufer zu Hause die Konsole ausgepackt. Aber nicht Nick Baily. Er brachte erst die Videokamera in Position, steckte sich ein Mikrofon an den Hemdkragen und schaltete die Kamera ein. Dann packte er seine Wii-Konsole aus, während die Kamera lief. Ein paar Stunden später konnte man Nick auf YouTube beim Auspacken zusehen – und schon in der ersten Woche taten das rund 71.000 Zuschauer. Es schien, als ob allein die Beobachtung des Vergnügens, das jemand empfindet, der die neue Wii-Konsole auspackt, den an-

EINKAUF AUS FUTTERNEID deren Nintendo-Fans fast so viel Spaß machte, als würden sie selbst das neue Gerät aus dem Karton nehmen. Die Spiegelneuronen sind nicht alleine tätig. Häufig arbeiten sie mit Dopamin zusammen, der Chemikalie des Vergnügens in unserem Gehirn. Dopamin ist eine der am stärksten suchterzeugenden Substanzen, die wir kennen, und Einkaufsentscheidungen werden zumindest teilweise durch seine verführerische Wirkung gesteuert. Wenn Sie beispielsweise eine tolle Digitalkamera oder funkelnde Diamantohrringe sehen, dann überflutet Dopamin Ihr Gehirn ganz diskret mit Vergnügen, und ehe Sie wissen, wie Ihnen geschieht, haben Sie schon den Kreditkartenabschnitt unterschrieben (die Forschung ist sich weitgehend einig, dass Einkaufsentscheidungen binnen 2,5 Sekunden getroffen werden können).Wissenschaftler haben festgestellt, dass eine Region im StirnlapRECOGNIZE YOURSELF

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ALLEIN DIE BEOBACHTUNG DES VERGNÜGENS, DAS JEMAND EMPFINDET, DER DIE NEUE KONSOLE AUSPACKT BEREITET DEN NINTENDO FANS EBENSOLCHEN SPASS, ALS WÜRDEN SIE SELBST DAS GERÄT AUS DEM KARTON NEHMEN.


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die als Brodmann-Areal 10 bezeichnet und aktiviert wird, wenn wir Produkte erblicken, die wir »echt cool« finden (im Gegensatz zu einem Satz Kreuzschlüssel), mit Selbstwahrnehmung und sozialen Emotionen zusammenhängt. Das heißt, dass wir bewusst oder unbewusst aufregende Dinge wie iPhones, Porsches und dergleichen hauptsächlich hinsichtlich ihres Potenzials beurteilen, unseren gesellschaftlichen Status zu erhöhen. penkortex ,

KINO STARKER MARKEN

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Die nächste Studie befasste sich mit Fragen zu unterschwelligen Botschaften, auf die ich schon lange eine Antwort suchte. Werden Raucher durch Bilder beeinflusst, die nur ihr Unterbewusstsein wahrnimmt? Kann eine Sucht nach Zigaretten durch Bilder ausgelöst werden, die zwar mit einer Zigarettenmarke, aber nicht explizit mit dem Rauchen zusammenhängen, also beispielsweise durch einen Marlboro-roten Ferrari oder ein Kamel, das auf den Sonnenuntergang in denBergen zutrabt. Da die Tabakwerbung im Fernsehen, in Zeitschriften und an den meisten anderen Orten verboten ist, geben Zigarettenhersteller wie Philip Morris, der Marlboro auf den Markt bringt, und die R. J. Reynolds Tobacco Company, der Camel gehört, einen hohen Prozentsatz ihrer Marketingbudgets für diese Art unterschwelliger Markenpräsentation aus. Philip Morris bietet beispielsweise den Betreibern von Bars finanzielle Anreize, damit sie in ihren Etablissements bestimmte Farben verwenden, besonders für Möbel, Aschenbecher und suggestive Fliesen, deren Form Teilen des Marlboro-Logos nachempfunden ist, MARTIN LINDSTRÖM

sowie weitere ausgetüftelte Symbole, die alle zusammen das Wesen von Marlboro ausmachen – ohne dass der Markenname oder das Logo irgendwo zu sehen sind. Diese »Installationen« oder »Marlboro Motels«, wie sie im Fachjargon gerne bezeichnet werden, bestehen meistens aus einer Art Foyer mit bequemen Sofas in Marlboro-Rot vor großen Fernsehbildschirmen, auf denen man Szenen aus dem Wilden Westen sieht, die alle charakteristisch für den zum Kult gewordenen »Marlboro Man« sind. Wie erwartet zeigte die FMRI eine deutliche Reaktion im Nucleus accumbens unserer Freiwilligen – dem Bereich, der, wie wir wissen, mit Belohnung, Verlangen und Sucht im Zusammenhang steht, wenn sie die Zigarettenschachteln sahen. Wesentlich interessanter war die Feststellung, dass die gleichen Regionen im Suchtzentrum des Gehirns der Raucher, die auf die eindeutigen Bilder der Zigarettenpäckchen und Logos reagiert hatten, fast sofort aktiv wurden, wenn ihnen die nicht explizi-

DEM ANBLICK RELIGIÖSER BILDER GLEICH ten Bilder – die Cowboys zu Pferd, das Kamel in der Wüste – weniger als fünf -Sekunden lang gezeigt wurden.Noch faszinierender war die Tatsache, dass Dr. Calvert, als sie die Reaktionen auf die beiden unterschiedlichen Bildarten verglich, sogar eine stärkere Aktivität in den Belohnungs- und Suchtzentren beobachten konnte, wenn die Probanden die unterschwelligen Bilder statt


SELF DISPLAY

der offensichtlichen Werbung betrachteten. Konkret formuliert: Der Anblick der logofreien Bilder, die mit Zigaretten assoziiert wurden, verursachten bei Rauchern ein stärkeres Verlangen als die Logos und Bilder von Zigarettenschachteln – dies galt für Camel- und Marlboro-Raucher gleichermaßen. Für mich stellten die Ergebnisse eine wahre Erleuchtung dar. Jedes Jahr spreche ich auf zahlreichen Konferenzen auf der ganzen Welt. Auf jeder begegnen mir Hunderte von Logos auf den Wänden, auf Broschüren, Tüten, Kugelschreibern, überall. Unternehmen betrachten ihr Logo als das wichtigste Element ihrer Werbung. Aber wie unsere Studie mit 99 Prozent statistischer Sicherheit gezeigt hatte, war das Logo, wenn nicht schon tot, dann zumindest auf künstliche Beatmung angewiesen.

VERTRAUEN & SICHERHEIT Welch genauer Zusammenhang besteht zwischen Ritualen und unseren Gedanken beim Einkauf? Ein großer. Produkte und Marken, die mit Ritualen oder Aberglaube verbunden sind, bleiben uns viel besser im Gedächtnis haften als andere. In unserer unbeständigen, schnelllebigen Welt suchen wir alle nach Halt und etwas Vertrautem, und mit Produkten assoziierte Rituale geben uns ein tröstliches Gefühl der Zugehörigkeit. Fühlen wir uns als Teil der Apple- oder Netflix-Gemeinde nicht gleich sicherer, weil wir wissen, dass es da draußen Millionen anderer Menschen gibt, die jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit ihren iPods lauschen? In einer zunehmend normierten, sterilen, homogenen Welt helfen uns Rituale, eine Marke von einer anderen zu unterscheiden. An einem

frühen Winternachmittag im Jahr 2007 hatte sich eine kleine, aufgeregte Menge am Hafen von Port Newark in New Jersey versammelt, um auf die Ankunft eines einfachen Containers zu warten. Ein Rabbiner stand inmitten der Gruppe. Endlich öffnete sich die Lade-luke des Schiffes, und aus dem Dunkeln kam ein Mann mit einem Silbertablett in der Hand, auf dem Packungen mit … Erde lagen. Dies war heilige Erde, die Holy Land Earth, eine Firma in Brooklyn, die sich auf den Export von Erde aus Israel spezialisiert, in die Vereinigten Staaten gebracht hatte. Sie fragen sich vielleicht, was Menschen mit Erde aus Israel wollen. Nun, eine Handvoll Erde aus dem Heiligen Land kann einem Begräbnis den letzten heiligen Schliff geben. Wenn Leute bereit sind, größere Summen für etwas wie Erde auszugeben, das für sie von religiöser oder spiritueller Bedeutung ist, dann besteht ganz offensichtlich ein Zusammenhang zwischen Spiritualität und Branding. Dies wollte ich beweisen. Symbole sind in den meisten Religionen allgegenwärtig. Das Kreuz. Die Taube. Ein Engel. Eine Dornenkrone. Auch Produkte und Marken verfügen über Kultsymbole. Logos sind durchaus nicht so einflussreich, wie Unternehmen glauben, doch auf Märkten, auf denen die Anzahl an Produkten ständig wächst, gewinnen einfache, aber ausdrucksvolle Symbole zunehmend an Bedeutung, weil sie eine weltweit sofort verständliche Kurzschrift darstellen. Nehmen wir als Beispiel sämtliche Apple-Symbole – vom Logo über den Papierkorb bis zum Smiley-Gesicht, das nach dem Einschalten auf dem Bildschirm erscheint, sie alle werden RECOGNIZE YOURSELF

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IN UNSERER UNBESTÄNDIGEN, SCHNELLLEBIGEN WELT SUCHEN WIR ALLE NACH HALT UND ETWAS VERTRAUTEM.


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die als Brodmann-Areal 10 bezeichnet und aktiviert wird, wenn wir Produkte erblicken, die wir »echt cool« finden (im Gegensatz zu einem Satz Kreuzschlüssel), mit Selbstwahrnehmung und sozialen Emotionen zusammenhängt. Das heißt, dass wir bewusst oder unbewusst aufregende Dinge wie iPhones, Porsches und dergleichen hauptsächlich hinsichtlich ihres Potenzials beurteilen, unseren gesellschaftlichen Status zu erhöhen. penkortex ,

KINO STARKER MARKEN

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Die nächste Studie befasste sich mit Fragen zu unterschwelligen Botschaften, auf die ich schon lange eine Antwort suchte. Werden Raucher durch Bilder beeinflusst, die nur ihr Unterbewusstsein wahrnimmt? Kann eine Sucht nach Zigaretten durch Bilder ausgelöst werden, die zwar mit einer Zigarettenmarke, aber nicht explizit mit dem Rauchen zusammenhängen, also beispielsweise durch einen Marlboro-roten Ferrari oder ein Kamel, das auf den Sonnenuntergang in denBergen zutrabt. Da die Tabakwerbung im Fernsehen, in Zeitschriften und an den meisten anderen Orten verboten ist, geben Zigarettenhersteller wie Philip Morris, der Marlboro auf den Markt bringt, und die R. J. Reynolds Tobacco Company, der Camel gehört, einen hohen Prozentsatz ihrer Marketingbudgets für diese Art unterschwelliger Markenpräsentation aus. Philip Morris bietet beispielsweise den Betreibern von Bars finanzielle Anreize, damit sie in ihren Etablissements bestimmte Farben verwenden, besonders für Möbel, Aschenbecher und suggestive Fliesen, deren Form Teilen des Marlboro-Logos nachempfunden ist, MARTIN LINDSTRÖM

sowie weitere ausgetüftelte Symbole, die alle zusammen das Wesen von Marlboro ausmachen – ohne dass der Markenname oder das Logo irgendwo zu sehen sind. Diese »Installationen« oder »Marlboro Motels«, wie sie im Fachjargon gerne bezeichnet werden, bestehen meistens aus einer Art Foyer mit bequemen Sofas in Marlboro-Rot vor großen Fernsehbildschirmen, auf denen man Szenen aus dem Wilden Westen sieht, die alle charakteristisch für den zum Kult gewordenen »Marlboro Man« sind. Wie erwartet zeigte die FMRI eine deutliche Reaktion im Nucleus accumbens unserer Freiwilligen – dem Bereich, der, wie wir wissen, mit Belohnung, Verlangen und Sucht im Zusammenhang steht, wenn sie die Zigarettenschachteln sahen. Wesentlich interessanter war die Feststellung, dass die gleichen Regionen im Suchtzentrum des Gehirns der Raucher, die auf die eindeutigen Bilder der Zigarettenpäckchen und Logos reagiert hatten, fast sofort aktiv wurden, wenn ihnen die nicht explizi-

DEM ANBLICK RELIGIÖSER BILDER GLEICH ten Bilder – die Cowboys zu Pferd, das Kamel in der Wüste – weniger als fünf -Sekunden lang gezeigt wurden.Noch faszinierender war die Tatsache, dass Dr. Calvert, als sie die Reaktionen auf die beiden unterschiedlichen Bildarten verglich, sogar eine stärkere Aktivität in den Belohnungs- und Suchtzentren beobachten konnte, wenn die Probanden die unterschwelligen Bilder statt


SELF DISPLAY

der offensichtlichen Werbung betrachteten. Konkret formuliert: Der Anblick der logofreien Bilder, die mit Zigaretten assoziiert wurden, verursachten bei Rauchern ein stärkeres Verlangen als die Logos und Bilder von Zigarettenschachteln – dies galt für Camel- und Marlboro-Raucher gleichermaßen. Für mich stellten die Ergebnisse eine wahre Erleuchtung dar. Jedes Jahr spreche ich auf zahlreichen Konferenzen auf der ganzen Welt. Auf jeder begegnen mir Hunderte von Logos auf den Wänden, auf Broschüren, Tüten, Kugelschreibern, überall. Unternehmen betrachten ihr Logo als das wichtigste Element ihrer Werbung. Aber wie unsere Studie mit 99 Prozent statistischer Sicherheit gezeigt hatte, war das Logo, wenn nicht schon tot, dann zumindest auf künstliche Beatmung angewiesen.

VERTRAUEN & SICHERHEIT Welch genauer Zusammenhang besteht zwischen Ritualen und unseren Gedanken beim Einkauf? Ein großer. Produkte und Marken, die mit Ritualen oder Aberglaube verbunden sind, bleiben uns viel besser im Gedächtnis haften als andere. In unserer unbeständigen, schnelllebigen Welt suchen wir alle nach Halt und etwas Vertrautem, und mit Produkten assoziierte Rituale geben uns ein tröstliches Gefühl der Zugehörigkeit. Fühlen wir uns als Teil der Apple- oder Netflix-Gemeinde nicht gleich sicherer, weil wir wissen, dass es da draußen Millionen anderer Menschen gibt, die jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit ihren iPods lauschen? In einer zunehmend normierten, sterilen, homogenen Welt helfen uns Rituale, eine Marke von einer anderen zu unterscheiden. An einem

frühen Winternachmittag im Jahr 2007 hatte sich eine kleine, aufgeregte Menge am Hafen von Port Newark in New Jersey versammelt, um auf die Ankunft eines einfachen Containers zu warten. Ein Rabbiner stand inmitten der Gruppe. Endlich öffnete sich die Lade-luke des Schiffes, und aus dem Dunkeln kam ein Mann mit einem Silbertablett in der Hand, auf dem Packungen mit … Erde lagen. Dies war heilige Erde, die Holy Land Earth, eine Firma in Brooklyn, die sich auf den Export von Erde aus Israel spezialisiert, in die Vereinigten Staaten gebracht hatte. Sie fragen sich vielleicht, was Menschen mit Erde aus Israel wollen. Nun, eine Handvoll Erde aus dem Heiligen Land kann einem Begräbnis den letzten heiligen Schliff geben. Wenn Leute bereit sind, größere Summen für etwas wie Erde auszugeben, das für sie von religiöser oder spiritueller Bedeutung ist, dann besteht ganz offensichtlich ein Zusammenhang zwischen Spiritualität und Branding. Dies wollte ich beweisen. Symbole sind in den meisten Religionen allgegenwärtig. Das Kreuz. Die Taube. Ein Engel. Eine Dornenkrone. Auch Produkte und Marken verfügen über Kultsymbole. Logos sind durchaus nicht so einflussreich, wie Unternehmen glauben, doch auf Märkten, auf denen die Anzahl an Produkten ständig wächst, gewinnen einfache, aber ausdrucksvolle Symbole zunehmend an Bedeutung, weil sie eine weltweit sofort verständliche Kurzschrift darstellen. Nehmen wir als Beispiel sämtliche Apple-Symbole – vom Logo über den Papierkorb bis zum Smiley-Gesicht, das nach dem Einschalten auf dem Bildschirm erscheint, sie alle werden eindeutig mit RECOGNIZE YOURSELF

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IN UNSERER UNBESTÄNDIGEN, SCHNELLLEBIGEN WELT SUCHEN WIR ALLE NACH HALT UND ETWAS VERTRAUTEM.


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eindeutig mit dem Unternehmen assoziiert, selbst wenn man sie für sich alleine sieht. Denken Sie einmal an die unverwechselbaren goldenen Bögen von McDonald’s oder den typischen Nike-Haken. Was macht Marken wie Guinness, Ferrari, Harley-Davidson und Apple »unverkennbar«? Nun, ein Schluck Guinness ist genauso eindeutig Guinness wie ein ganzes Glas voll; die Harley-Davidson-Räder sind so unverkennbar wie das Motorrad, und ein Stück Blech von einem zu Schrott gefahrenen Ferrari lässt sich aufgrund der roten Signalfarbe der Marke zuordnen. Ich verwendete unverkennbare Marken für diese Studie, denn sie sind robuster und involvieren uns stärker emotional – sie besitzen eine leidenschaftliche und treue Fangemeinde. Aber um die Beziehung zu starken Marken besser verstehen zu können, brauchte ich nicht nur die Reaktion unserer Freiwilligen auf solche, sondern auch auf schwache Marken. Also bezog ich Microsoft, BP und weitere

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DER TROST UND DIE ZUGEHÖRIGKEIT ähnlich farblose Marken in das Experiment mit ein. Dr. Calvert stellte fest, dass starke Marken zu mehr Aktivitäten in vielen Gehirnregionen führten, die mit Gedächtnis, Gefühlen, Entscheidungsfindung und Sinn und Bedeutung zu tun haben, als schwache Marken. Das überraschte mich nicht besonders. Es ist einleuchtend, dass das BP-Logo einen gefühlsmäßig weniger berührt als ein leuchtend roter Ferrari. Dr. Calvert entdeckte aber MARTIN LINDSTRÖM

auch, dass sich in den Gehirnen der Probanden immer dann, wenn sie starke Marken wahrnahmen, einen iPod, eine Harley-Davidson, einen Ferrari und andere, die gleichen Aktivitäten abspielten wie beim Anblick religiöser Bilder. Es gab keinen erkennbaren Unterschied in der Reaktion der Gehirne auf starke Marken oder auf religiöse Kultgegenstände und Personen. Um es final zusammenzufassen: Unsere Forschung zeigte, dass die Emotionen, die wir (oder zumindest diejenigen von uns, die sich für fromm halten) empfinden, wenn wir einen iPod, ein Glas Guinness oder einen Ferrari-Sportwagen sehen, ähnlich den Gefühlen sind, die religiöse Symbole beziehungsweise religiös konnotierte Personen oder Dinge hervorrufen, etwa ein Kreuz oder ein Rosenkranz, Mutter Teresa, die Jungfrau Maria oder die Bibel. Die Reaktionen unserer Freiwilligen auf die starken Marken und Kultsymbole waren nicht nur bloß ähnlich, sondern fast identisch. Aber in Wahrheit sind die visuellen Eindrücke wesentlich wirkungsvoller und bleiben besser im Gedächtnis, wenn sie mit einem anderen Sinneseindruck verbunden sind, beispielsweise einem Geräusch oder einem Geruch.Aufgrund unseres Experiments kam Dr. Calvert zu dem Schluss, dass der Geruch vielfach die gleichen Gehirnregionen aktiviert wie der Anblick eines Produkts – auch der Anblick des Produktlogos. Das heißt, wenn Sie einen Doughnut riechen, dann entsteht in Ihrem Kopf auch das Bild eines Doughnuts – zusammen mit dem Dunkin’-Donuts- oder Krispy-KremeLogo. In einer zunehmend normierten, sterilen, homogenen Welt helfen uns Rituale, eine Marke von einer anderen


SELF DISPLAY

zu unterscheiden. An einem frühen Winternachmittag im Jahr 2007 hatte sich eine kleine, aufgeregte Menge am Hafen von Port Newark in New Jersey versammelt, um auf die Ankunft eines einfachen Containers zu warten. Ein Rabbiner stand inmitten der Gruppe. Endlich öffnete sich die Lade-luke des Schiffes, und aus dem Dunkeln kam ein Mann mit einem Silbertablett in der Hand, auf dem Packungen mit … Erde lagen. Dies war heilige Erde, die Holy Land Earth, eine Firma in Brooklyn, die sich auf den Export von Erde aus Israel spezialisiert, in die Vereinigten Staaten gebracht hatte. Sie fragen sich vielleicht, was Menschen mit Erde aus Israel wollen. Nun, eine Handvoll Erde aus dem Heiligen Land kann einem Begräbnis den letzten heiligen Schliff geben. Wenn Leute bereit sind, größere Summen für etwas wie Erde auszugeben, das für sie von religiöser oder spiritueller Bedeutung ist, dann besteht ganz offensichtlich ein Zusammenhang zwischen Spiritualität und Branding. Versuchen Unternehmen gezielt, religiöse Elemente in ihr Marketing einzubauen? Ich bin ziemlich sicher, dass sie das tun, aber ich kann Ihnen versichern, dass sie dies zumindest in den Vereinigten Staaten niemals zugeben werden.

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eindeutig mit dem Unternehmen assoziiert, selbst wenn man sie für sich alleine sieht. Denken Sie einmal an die unverwechselbaren goldenen Bögen von McDonald’s oder den typischen Nike-Haken. Was macht Marken wie Guinness, Ferrari, Harley-Davidson und Apple »unverkennbar«? Nun, ein Schluck Guinness ist genauso eindeutig Guinness wie ein ganzes Glas voll; die Harley-Davidson-Räder sind so unverkennbar wie das Motorrad, und ein Stück Blech von einem zu Schrott gefahrenen Ferrari lässt sich aufgrund der roten Signalfarbe der Marke zuordnen. Ich verwendete unverkennbare Marken für diese Studie, denn sie sind robuster und involvieren uns stärker emotional – sie besitzen eine leidenschaftliche und treue Fangemeinde. Aber um die Beziehung zu starken Marken besser verstehen zu können, brauchte ich nicht nur die Reaktion unserer Freiwilligen auf solche, sondern auch auf schwache Marken. Also bezog ich Microsoft, BP und weitere

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DER TROST UND DIE ZUGEHÖRIGKEIT ähnlich farblose Marken in das Experiment mit ein. Dr. Calvert stellte fest, dass starke Marken zu mehr Aktivitäten in vielen Gehirnregionen führten, die mit Gedächtnis, Gefühlen, Entscheidungsfindung und Sinn und Bedeutung zu tun haben, als schwache Marken. Das überraschte mich nicht besonders. Es ist einleuchtend, dass das BP-Logo einen gefühlsmäßig weniger berührt als ein leuchtend roter Ferrari. Dr. Calvert entdeckte aber MARTIN LINDSTRÖM

auch, dass sich in den Gehirnen der Probanden immer dann, wenn sie starke Marken wahrnahmen, einen iPod, eine Harley-Davidson, einen Ferrari und andere, die gleichen Aktivitäten abspielten wie beim Anblick religiöser Bilder. Es gab keinen erkennbaren Unterschied in der Reaktion der Gehirne auf starke Marken oder auf religiöse Kultgegenstände und Personen. Um es final zusammenzufassen: Unsere Forschung zeigte, dass die Emotionen, die wir (oder zumindest diejenigen von uns, die sich für fromm halten) empfinden, wenn wir einen iPod, ein Glas Guinness oder einen Ferrari-Sportwagen sehen, ähnlich den Gefühlen sind, die religiöse Symbole beziehungsweise religiös konnotierte Personen oder Dinge hervorrufen, etwa ein Kreuz oder ein Rosenkranz, Mutter Teresa, die Jungfrau Maria oder die Bibel. Die Reaktionen unserer Freiwilligen auf die starken Marken und Kultsymbole waren nicht nur bloß ähnlich, sondern fast identisch. Aber in Wahrheit sind die visuellen Eindrücke wesentlich wirkungsvoller und bleiben besser im Gedächtnis, wenn sie mit einem anderen Sinneseindruck verbunden sind, beispielsweise einem Geräusch oder einem Geruch.Aufgrund unseres Experiments kam Dr. Calvert zu dem Schluss, dass der Geruch vielfach die gleichen Gehirnregionen aktiviert wie der Anblick eines Produkts – auch der Anblick des Produktlogos. Das heißt, wenn Sie einen Doughnut riechen, dann entsteht in Ihrem Kopf auch das Bild eines Doughnuts – zusammen mit dem Dunkin’-Donuts- oder Krispy-KremeLogo. In einer zunehmend normierten, sterilen, homogenen Welt helfen uns Rituale, eine Marke von einer anderen


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zu unterscheiden. An einem frühen Winternachmittag im Jahr 2007 hatte sich eine kleine, aufgeregte Menge am Hafen von Port Newark in New Jersey versammelt, um auf die Ankunft eines einfachen Containers zu warten. Ein Rabbiner stand inmitten der Gruppe. Endlich öffnete sich die Lade-luke des Schiffes, und aus dem Dunkeln kam ein Mann mit einem Silbertablett in der Hand, auf dem Packungen mit … Erde lagen. Dies war heilige Erde, die Holy Land Earth, eine Firma in Brooklyn, die sich auf den Export von Erde aus Israel spezialisiert, in die Vereinigten Staaten gebracht hatte. Sie fragen sich vielleicht, was Menschen mit Erde aus Israel wollen. Nun, eine Handvoll Erde aus dem Heiligen Land kann einem Begräbnis den letzten heiligen Schliff geben. Wenn Leute bereit sind, größere Summen für etwas wie Erde auszugeben, das für sie von religiöser oder spiritueller Bedeutung ist, dann besteht ganz offensichtlich ein Zusammenhang zwischen Spiritualität und Branding. Versuchen Unternehmen gezielt, religiöse Elemente in ihr Marketing einzubauen? Ich bin ziemlich sicher, dass sie das tun, aber ich kann Ihnen versichern, dass sie dies zumindest in den Vereinigten Staaten niemals zugeben werden.

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PEER GYNT

DA, EIN KNALL! Nieder stürzt mein Bock. Ich springe, eh’ er richtig kam zu Fall, sitz ihm hintenauf schon wacker, greif am Lauscher ihn, am linken, laß des Messers Schneide blinken, zück zum Stoß ins Blatt die Klinge – Hei! da schreit er wild, der Racker, steht mit eins auf allen Vieren, stößt nach achtern aus und läßt Dolch und Scheide mich verlieren, schraubt mich um die Lenden fest, stemmt’s Gestäng mir an die Schienen, hält mich also eingezwängt; damit rennt er los und sprengt auf dem Gendin-Grat von hinnen.

Jesus! ASE:

ASE

Jesus!

PEER GYNT

Sahst du jemals nah den Gendin-Grat? Der macht dir bang: Eine halbe Meile lang, wie eine Sense scharf ist der. Über Schroffen, Ferner, Leiten und Geröll darunter her siehst du da zu beiden Seiten düstre Fluten, schwarz wie Sünde –Mehr denn fünfmalhundert Faden geht es stracks hinab in Schlünde. –Durchs Gebraus auf Grates Strich Schnellten für der er und ich. Nie noch ritt ich solchen Traber! Just genüber uns erschaun wir der Sonnenglut Gewaber. Adlerrücken sahn wir, braun, Die im gruseltiefen Schacht Zwischen Grat und Wassern schwammen –Schwanden dann, wie Flaum, i Nacht. Treibeis brach am Strand zusammen; Zwar das Tosen ging verloren; bloß im Gischt manch Geistlein sprang Als im Tanz – PEER das sang, GYNT: das schwang Sich im Kreis vor Sicht und Ohren!

Hei da ASE

(schwindlig).

Oh, Gott steh mir bei!

PEER GYNT

schreit er wild ,

BOCK VON DRUNTEN, BOCK VON DROBEN, WIE DIE GENEINANDER STOBEN, DASS ES UM UNS SCHÄUMT’ UND KLATSCHTE! JE, DA LAG MAN NUN UND PLATSCHTE. Doch er, dein Ren?

ASE

DER RACKER, STEHT MIT EINS AUF PEER ALLEN VIEREN, GYNT . STÖSST ACHTERN AUS Oh, der wirdNACH spazierengehn –

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-

TNYG REEP

!L L A NK N I E ,A D mhi ztis ,llaF uz mak githcir re ’he ,egnirps hcI .kcoB niem tzrüts redeiN ßal ,neknil ma ,nhi rehcsuaL ma fierg ,rekcaw nohcs fuanetnih – e g n i l K e i d t t a l B s n i ß o t S m u z k c ü z , n ek n i l b e d i e n h c S s r e s s e M s e d tßöts ,nereiV nella fua snie tim thets ,rekcaR red ,dliw re tierhcs ad !ieH h c i m t b u a r h c s , n er e i l r e v h c i m e d i e h c S d n u h c l o D t ß ä l d n u s u a n r e t h c a h c a n hcim tläh ,neneihcS eid na rim gnätseG s’tmmets ,tsef nedneL eid mu n o v t a r G - n i d n e G m e d f u a t g n er p s d n u s o l r e t n n er t i m a d ; t g n ä w z e g n i e o s l a .nennih

ESA

!suseJ TNYG REEP

eblah eniE :gnab rid thcam reD ?tarG-nidneG ned han slamej ud tshaS dnu netieL ,renreF ,nefforhcS rebÜ .red tsi frahcs esneS enie eiw ,gnal elieM , n e t u l F er t s ü d n e t i e S n e d i e b u z a d u d t s h e i s r e h r e t n u r a d l l ör e G banih skcarts se theg nedaF trednuhlamfnüf nned rheM– ednüS eiw zrawhcs r e d r ü f n e t l l e n h c S h c i r t S s e t a r G f u a s u a r b e G s h cr u D – . e d n ü l h c S n i riw nuahcsre snu rebüneg tsuJ !rebarT nehclos hci ttir hcon eiN .hci dnu re nefeitlesurg mi eiD ,nuarb ,riw nhas nekcürreldA .rebaweG tulgnennoS red nednawhcS– nemmawhcs nressaW dnu tarG nehcsiwZ thcahcS sad rawZ ;nemmasuz dnartS ma hcarb siebierT .thcaN i ,mualF eiw ,nnad – znaT mi slA gnarps nieltsieG hcnam thcsiG mi ßolb ;nerolrev gnig nesoT ! n er h O d n u t h c i S r o v s i er K m i h c i S g n a w h c s s a d , g n a s s a d

ESA . ) g i l d n i w hc s (

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!ieb rim hets ttoG ,hO TNYG REEP

E I D E I W ,N E B O R D N O V K C O B ,N ETN U R D N O V K C O B S E S S A D ,N E B OTS R E D N A N I E N E G N U N N A M G A L A D ,E J !ETH C S TA LK D N U ’TM U Ä H C S S N U M U .ETH C S TA L P D N U ESA

?neR nied ,re hcoD

.TNYG REEP – n h e g n er e i z a p s d r i w r e d , h O


Jesus! ASE:

PEER GYNT:

Hei da

schreit er wild ,

DER RACKER, STEHT MIT EINS AUF ALLEN VIEREN, STÖSST NACH ACHTERN AUS

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221


Imitationen von dir Befinden sich in mir Imitationen von dir Verbünden sich mit mir Berühren und begleiten mich Sagen: »Es gibt kein wahres Ich« Verspüren und bereuen nichts Spucken den Leugnern ins Gesicht Dein gut ist mein gut Dein schön ist mein schön Dein wahr ist mein wahr

Du bist so viel gereist Im Zickzack durch die Zeit Nirgendwo, wo du bleibst Manchmal nur durch Träume treibst Fast durch die ganze Welt Bist du zu mir bestellt Fast durch die ganze Welt Bist du zu mir bestellt Dein gut ist mein gut Dein schön ist mein schön Dein wahr ist mein wahr Dein schlecht ist mein schlecht Dein schlimm ist mein schlimm Dein schlimm ist mein ganz schlimm AUS DEM ALBUM: KAPITULATION

Imitationen von dir Wiederholen sich in mir Imitationen von dir Klopfen an die Tür Und leise reden sie mir ein: »Du musst nicht du selber sein« Und leise reden sie mir ein: »Wir werden dich von dir befreien« Dein schlecht ist mein schlecht Dein schlimm ist mein schlimm Dein schlimm ist mein ganz schlimm

Imitat


N/ en

DIRK VO LOWTZOW

tio


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true , to begin with in this phantasmagoric place lit by some interior lantern indees , the rest of the world seems drap and inert by contrast even the light seems unable to make up its mind everything gleams with a special brightness already memories have faded white shadows are folding and closing and unfolding

I HAVE ACCEPTED THE TRANSFORMATION as if the exterior world is losing its existence what surprises me the most is the extent to which everywhere the process of crystallization is advancing

PROGRESS HAS BECOME POINTLESS true , to begin with in this phantasmagoric place lit by some interior lantern indees , the rest of the world seems drap and inert by contrast even the light seems unable to make up its mind everything gleams with a special brightness already memories have faded white shadows are folding and closing and unfolding

I HAVE ACCEPTED THE TRANSFORMATION as if the exterior world is losing its existence what surprises me the most is the extent to which everywhere the process of crystallization is advancing

b


b

ALLARD / J.G. the translator /


CHALLENGE 228


E YO U R S E L F 229


ES IST DIES ALLES GLEICH. UND IMMER. IMMER JETZT UND IMMER DA.

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Wir sprechen Texte, die nicht von uns sind, ohne ein Bewusstsein dessen, dass das Gros unserer Umwelt formatiert ist.


4

th

Chapter

231


DER MANGEL UNSERE GLÄNZENDSTE EIGENSCHAFT. WIR WERDEN RAUBEN, STEHLEN, PLÜNDERN, NIEDERMETZELN. WIR WERDEN NICHTS ERKLÄREN, NICHTS BEGRÜNDEN.

WIR HABEN NICHTS ANDERES VERLOREN ALS UNSER INTERESSE.

UND DAS, DAS WERDEN WIR MIT SCHWEIGEN RÄCHEN.

AUS DEM ALBUM: THE ANGST AND THE MONEY, 2009

WO DIE BEDINGUNGSLOSE GLEICHHEIT REGIERT MUSS, WAS UNS TRENNT, OHNE INHALT

WIR SIND REINE DIFFERENZ. DIE SUBSTANZLOSIGKEIT IST UNSERE SUBSTANZ.

JA PANIK MANIFEST: ALLES HIN HIN HIN ES IST NICHT EINFACH ÜBER DINGE ZU SPRECHEN, DIE SICH EINERSEITS GANZ VON SELBER AUS EINEM HERAUS SCHÄLEN, ABER ANDERERSEITS EINEN STETEN, AGGRESSIVEN GEIST VERLANGEN, DER WACH SELEKTIERT, UM SICH NICHT EINLULLEN ZU LASSEN VON DEN ALLZU GROSSEN GEFÜHLEN HIRNLOSER GEBORGENHEIT REPRODUZIEREND. GEFÜHLE, MIT DENEN SICH NUR DIE ALLERDÜMMSTEN WOHLIG EINSONNEN UND INS OFF SETZEN.

ABER MEHR ALS EINE MODE REPRÄSENTIERT SEIN ZERRÜTTET DESIGNTES INNENLEBEN DANN DOCH WIEDER NICHT. ALLES BEWEIST DAS.

DER DURCHSCHNITTLICH KAUKASISCHE JAMMERLAPPEN POCHT ZWAR AUF DIE VORZÜGE SEINES HERZENS, UND DIE EINMALIGKEIT SEINES LEIDENS,

PAUS


ES IST DIES ALLES GLEICH UND IMMER. IMMER JETZT UND IMMER DA.

BLEIBEN.

SENLOS.

ES IST DIE ANGST, DER NEUE WIND IN ALTEN SEGELN. ALS VORSTUFE ZUR PANIK IST DIE ANGST SICHER UNABDINGBAR. DOCH DAMIT AUCH IHRE GRÖSSTE FEINDIN.

DENN, WAS GIBT ES EINLADENERES, WAS SCHLIMMERES ALS IN VORSTUFEN ZU VERHARREN? NICHTS! DIE WIRKLICHKEIT ZEIGT DIES NUR ALLZU DEUTLICH. SO FEIERN WIR DIE ANGST ALS MÖGLICHKEIT ZUR PANIK UND BEKÄMPFEN SIE IN IHRER FORM ALS RADIKALEN NIVELLIERER JEDWEDER HANDLUNGEN UND IDEEN. ES IST LETZTERES DER ZUSTAND DES ABSOLUTEN STILLSTANDES, DEN SICH HEUTE SCHON FAST NIEMAND MEHR ZEIT ZU NENNEN TRAUT.


RADICAL CHIC

diedrich diedrichsen

RADICAL CHIC

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R

evolutionäre Bewegungen wollten sich stets abgrenzen von der so genannten Mode – und schufen dadurch immer wieder neue Moden. Die Geschichte einer Hassliebe. Bevor die Individualisierungen der Nachkriegszeit ihre politischen Wirkungen entfalteten und die Repräsentation politischer Positionen in einer visuell weniger kodierten Öffentlichkeit unterminierten und auffächerten, muss es so eine Art Urnormalität der politischen Kleiderordnung gegeben haben. Man demonstrierte je nach Richtung und Partei im Sonntagsstaat, in Parteiuniform oder gar in Tracht. Öffentliche Politik war zwar auch damals schon eine Performance, aber sie reichte kaum zurück ins Alltagsleben. Und nach dem Krieg gab es auch noch das Bedürfnis, optisch den unmarkierten, nur inhaltlich bestimmten Citoyen darzustellen, eine Art Idealsubstrat demokratischer Subjektivität – nicht von kulturellen Partikularinteressen getrübt, nicht von spezifischen Erfahrungen geleitet, sondern ganz sach-

DIEDRICH DIEDRICHSEN


SELF DISPLAY

lich und partizipationsbereit bildete die skeptische Generation ihre Reihen. Obwohl sich bereits abzeichnete, dass dieser abstrakte Citoyen eine Fiktion bleiben würde, war in den fünfziger Jahren nicht vorstellbar, dass Mode und Politik je verbunden würden wie später. Trotz all ihrer äußeren Auffälligkeiten und Gemeinsamkeiten war es den ersten politisierten Jugendlichen der Nachkriegszeit noch fremd, diese Auffälligkeiten zu thematisieren. Politisierung richtete sich ja gegen genau jene Warenwelt, als deren »warenhafteste«, nämlich gebrauchswertfernste Produkte die der Mode galten. Doch gerade das erklärte Ziel, nicht modisch auszusehen, setzte eine der folgenreichsten modischen Entwicklungen in die Welt: die Antimode. Da der Welt der Ware und den durch sie vermittelten Konformitäten der Nachkriegszeit nicht zu entkommen war, entwickelte man einen – bei Licht besehen: recht feinsinnigen – Geschmack, der sich um nichts anderes kümmerte als um das Errichten stabiler Differenz der eigenen Antimode zu den Dresscodes der Etablierten – die ja intern ebenfalls über feine Unterschiede strukturiert waren. Antimode kennt zwei Argumente: Zum einen sei Kleidung den Menschen äußerlich, sekundär, zudem käuflich, also nicht nur unwesentlich, sondern auch amoralisch. Dieser protestantisch-asketischen Moral, die bei politisierten Nachkriegsjugendlichen – Ostermarschierern, Wiederbewaffnungsgegnern – sicher ausgeprägter war als heute, stand die Position gegenüber, die man als Nonkonformismus beschreiben könnte: Falsch sei es, sich dem herrschenden Prinzip des Geschmacks zu unterwerfen, weil man dadurch seine Persönlichkeit zugunsten von Normen und Fremdbestimmung aufgebe. In dieser Argumentation ist aber schon eine geheime Übereinstimmung mit modischen Prinzipien angelegt. Denn wenn die Mode in ihrer gegenwärtigen Form ein Agent des Konformismus und der Unterwerfung wäre, könnte ja eine andere Mode Abhilfe bringen. Dann wäre nicht das Prinzip der Mode falsch, sondern nur jeweils eine bestimmte Mode. In den fünfziger Jahren findet sich eine erste Synthese der asketischen und der nonkonformistischen Antimode in den sprichwörtlichen Rollis der »Existenzialisten«. Das Anti dieser Antimode richtete sich gegen das Prinzip des Modischseins und eroberte damit gleichzeitig die Teile der Bevölkerung für Fragen ihrer äußeren Erscheinung, denen diese vorher völlig egal und unmarkiert erschienen war: Männer, Intellektuelle, Jugendliche. Schon die nächste Antimode war inhaltlich konturierter: Parkas und Jeans. Aus dem vagen und diffusen Nonkonformismus war eine politische und kulturelle Position geworden, die zwar das Prinzip

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der Mode nominell immer noch bekämpfte, doch zugleich der Mode eine bis dahin undenkbare Ressource erschlossen hatte: kulturelle und weltanschauliche Abgrenzungsmanöver. Dabei galt für alle drei Fetische des Nonkonformismus (Rollkragenpullover, Jeans, Parkas), dass sie nur über doppelte Negation funktionierten: Weil ich in äußeren Dingen nämlich mit allen anderen Nonkonformisten konform bin, negiere ich die falsche Nonkonformität der eigentlich konformistischen neuen Mittelschichtler und Angestellten, die sich nur durch gekaufte Äußerlichkeiten unterscheiden. Für diese Angestellten und Wirtschaftswundergewinner galt: Wer gepflegt oder modern, chic oder urban aussehen wollte, strebte zwar in gewissem Sinne auch eine Konformität an, die Norm einer Klasse und eines Lebensstils, jedoch ohne weltanschauliche Bestimmung. Alle Differenzen galten allenfalls der eigenen finanziellen Potenz, dem neu erworbenen Status – aber sie sollten dies möglichst indirekt anspielen oder vermitteln, nicht direkt aussprechen, nicht unumwunden bedeuten. Dieses Verhältnis der Zeichen zu ihrer möglichen Lektüre gilt für alle klassischen bürgerlichen Moden. Direkte Übersetzbarkeit war vulgär. Wenn Unterschiede überhaupt erahnbar waren, dann durch den ganzen Look, nicht durch einzelne Kleidungsstücke und ihre kodifzierte Bedeutung. Das trug nun die Antimode bei, die beständig in der – berechtigten – Angst lebte, ein Bestandteil der Mode zu werden. Unter den nahezu identischen Jeans, T-Shirts und Parkas gab es unausgesprochene Mikrodifferenzen, die für die Unterscheidung echt/ kooptiert bürgten. Levi’s war okay, Wrangler war »kommerziell«, angepasst.

DAS URT EINDE

In dieser Phase der frühen Siebziger, als die uniforme Antimode sich ein solch zähes Distinktionsgefecht mit den Kräften der gesellschaftlichen Anpassung lieferte, keimten die ersten Triebe der Markenkultur und ihrer Semiotik. Einzelne Kleidungsstücke und ihre Mikrodifferenzen bürgten für einen genau bestimmten weltanschaulichen Unterschied. Antimode war die Formel, die den 68ern ein kulturell anpolitisiertes Hinterland erschließen half – Leute, die diffusen Glücksversprechen individueller wie quasireligiöser Art hinterherliefen und den Intellektuellen zahlenmäDIEDRICH DIEDRICHSEN


SELF DISPLAY

ßig weit überlegen waren. Sie lieferten den Intellektuellen einen kulturellen Resonanzraum, der auch deren politischem Programm zusätzliches Gewicht verlieh. Über das unausgesprochene Prinzip der Antimode, dass Kleidungsstücke für Inhalte standen, konnte so eine ganze Generationskultur, weit über den Reflexionsstand ihrer Mitglieder hinaus, als statementhaft und bekenntnisartig gelesen – und gelebt – werden. Immer neue Abweichungen, insbesondere die nordafrikanisch und asiatisch inspirierte HippieMode, sowie die Glam- und Nostalgie-Looks der frühen Siebziger wurden so als inhaltlich festgelegte Gebärden gelesen – und unausgesprochen aufgewertet.

TEIL IST EUTIG

Umgekehrt wurde dieses neue Verhältnis der Körper zu den schweren Zeichen, mit denen sie behängt waren, aber auch gelebt, und zwar lustvoll gelebt. Die »Inhalte«, die über die Antimode zur Mode gefunden hatten, konnte man sich aneignen, ohne sie ganz zu verstehen. Überhaupt sind – man kann es sich vom heutigen Standpunkt aus nicht mehr vorstellen – all die extrem gesuchten und schrillen, outrierten Outfits und Designideen der siebziger Jahre noch eher »unschuldig« entwickelt worden. Man sprach noch davon, dass man etwas schön oder hässlich, angemessen oder unangemessen fände – dass Outfits eine Bedeutung haben, war nicht unbekannt, blieb aber in der Latenz. Und gerade weil zwar die Wichtigkeit der Selbstdarstellung durch Mode – jenseits der Kreise und Rollenbilder, die schon traditionell mit Mode verbunden waren – wuchs, aber ein Bewusstsein von der Kodiertheit der Elemente, mit denen man spielte, nicht vorlag, konnte durch Kleidung, zumal in Hippie- und Posthippiekreisen, all das als zuweilen ganz sympathischer Kitsch halb bewusst und verträumt gelebt werden, was politisch zu verwirklichen versäumt wurde. Erst Punk brachte radikale Aufklärung über die Zeichenverhältnisse. Punk riss die Bedeutung der Modezeichen aus der wohl behüteten Latenz des Kulturellen, Schöngeistigen, des Putzes und der Immanenz der Konventionen. Bei Punk war jedes Detail ein verbindlich kodiertes Zeichen, Körper waren Texte. Dieses Prinzip erhält sich seitdem am Leben, indem es ironische und paradoxe, parodistische und sehr spezielle, interne Zeichenkombinationen generiert. Zur Kernzeit von Punk ging es um Eindeutigkeit. Im Gegensatz zur Antimode hatte man nun einen offensiven Zugang zur Mode, nur dass man diese, wie es die Antimode vorgemacht hatte, zu einem Territorium ernster oder zumindest verbindlicher Aussagen gemacht hatte – denn sie war ja oft sehr komisch. Die berühmtesten Zeichen von Punk –

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RADICAL CHIC

Sicherheitsnadel, Pflaster, Risse, verschmierte Schrift, zitierte Schablonentypografie – waren so wörtlich wie die mit Punk eröffneten style wars. Die nun äußerlich immer feiner unterschiedenen und zahlreicher gewordenen Jugendkulturen kämpften Kulturkämpfe. Punk spaltete sich in Autonome und unpolitische Aussteiger. Dass man seit dieser Zeit rechte und linke Skins an der Farbe ihrer Schnürsenkel unterscheiden konnte, ist mittlerweile ein kulturwissenschaftliches Bonmot.

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JEDER MITMA

Als kurz darauf die Anzahl der Szenemoden ein weiteres Mal explodierte, sah das auf den ersten Blick nur aus wie die Rekonstruktion einer klassisch ambivalenten, atmosphärischen Mode – voller Versatzstücke aus auratischen Modevergangenheiten. Doch die Schmucksteine und Metallelemente der Gothic- Kultur, die ausgesägten Hairstyles und das androgyne Makeup des New Wave, die verschlungenen Tücher und Gender-Spiele der New Romantics bildeten eine Synthese: Tatsächlich gab es hier wieder einen Look, eine Einheit der Differenzen wie bei klassischer Mode, keine krude Direktreferenz von Modezeichen auf Weltanschauung. Auf der anderen Seite betrieben dies Leute, die, vom Punk kommend, diese Strategie genauso benutzten, um, teilweise auch politisch verstanden, deutlich und unmissverständlich zu werden. Die Klartextpolitik des Punk traf auf die Abgrenzungstricks klassischen Dandytums. Auch wenn es wieder so aussah wie Mode, die um ihrer selbst willen kreativ sein will, gab es doch klare Markierungen. Die besondere Beliebtheit von klar erkennbaren Zeichen (das Kreuz von Madonna, der Davidstern von Boy George, umgedrehte Kreuze und Pentagramme bei Gothic und Metal, diverse Hammer-und-Sichel-Versionen) deutet schon eine synthetische Arbeitsteilung zwischen Mode und Antimode an. Das trieb letzten Endes auch den eindeutigen Zeichen ihren Ernst aus: Nach und nach wurden sie zum ironischen Verweis auf die Möglichkeit einer zeichenhaften Lektüre aller Mode, aber ohne den bitteren Ernst der style wars der frühen Achtziger. Die aus den postmodernen Jugendmoden entwichene Politik der Mode fand erst in der von der HipHop-Kultur initiierten Markenbesessenheit wieder zu der Direktheit zurück, die den Zeichenordnungen der Antimode eigen war. Auch das Verhältnis von Kon-

DIEDRICH DIEDRICHSEN


SELF DISPLAY

formität und Abweichung wurde neu geordnet. Die Logokultur der Marken hatte nun innerhalb des allgemeinen Gestaltreichtums von Kleidung einen Ort festgelegt, an dem die Bedeutung sitzen sollte – alles andere durfte unter diesen Bedingungen reine Gestalt sein. Die politische Jugend hat sich in all den Popjahrzehnten weit weniger verändert. Doch im Laufe der Neunziger, als sich im Zeichen einer Logomarkenkultur die Identitäten und Szenen einerseits noch einmal vervielfachen, die Grammatik aus festgelegten Logo-bezogenen Dresscodes mit je wechselnden, mal psychedelisch-verträumten, dann wieder körperbetont-aggressiven Elementen einigermaßen stabil geworden war, haben auch die politisierten Jugendlichen das Logo entdeckt. Im Zuge von Ad-Busting, dem aggressiven Angriff auf die Vergiftung der semiotischen Umwelt mit Werbebotschaften, wurde es in den Neunzigern modern, gehijackte Logos zu tragen: Man übernahm Design und Typografie und änderte den Sinn, gegen die Marke. Die eigentliche Produktion des Kleidungsstück ist unwichtig geworden und wird in Billiglohnländern erledigt, das immaterielle Kapital der Zeichen hingegen ist der eigentliche ökonomische Faktor, und sein Nimbus wird von Designern und Künstlern verwaltet. Die Techniken der Antimode – präzise Bedeutung gegen einen konformistischen Look – ist damit endlich im Laufe der Neunziger den jugendlichen Subkulturen entzogen und von der Modeindustrie aufgegriffen worden. Sie weiß, dass es darauf ankommt, mehr als irgendetwas anderes, glaubhaft externe Bedeutungen an Marken zu heften. Selbst wer dies durchschaut, lässt sich inzwischen gern von diesem Spiel verführen. Politische Bedeutungen und ihre Struktur – Aufrufe, Empörungen, Brüche und Risse – werden eingearbeitet. Zum einen hat dies bei pragmatischen so genannten Globalisierungsgegnern zu noch weiteren anästhetischen Gleichgültigkeitsmoden geführt oder zur Umarmung der kognitiven Dissonanz (»Was hat mein Aussehen denn mit meiner Position zu tun?« oder »Ich genieße es, wie ein Spießer auszusehen: Das ist als Einziges nicht käuflich«). Ein junges fashion victim, das zugleich mit dem schwarzen Block sympathisiert, gibt zu Protokoll, wie lächerlich es die Position von Attac findet: »Es mag schon sein, dass eine andere Welt möglich ist, aber ich will keine andere Welt. Ich will diese hier. Aber ich will sie zerstören.«

R KANN ACHEN

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RADICAL CHIC erschienen bei DTV München, 2002

CHALLENGE YOURSELF


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UE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED TH F FATBURNER FRISBEE FECHTEN FUSSBALL FÜR FRAUEN INDOOR FIT FÜR DEN BALL - TANZ-CRASHKURS FUSSBALL FÜR FRAUEN - OUTDOOR FIT FÜR DIE PISTE FUSSBALL UNILIGA HALLE FITNESS LATINO FUSSBALL - INDOOR FITNESS-BOXEN FUSSBALL - OUTDOOR

C-E CAPOEIRA DYNAMIC YOGA CAPOEIRA ANGOLA EISHOCKEY DANCE AEROBIC EISLAUFEN DANCE LATINO MIX EVERY BODY DANCE NOW! DANCEATION ELTERN-KIND-TURNEN DISCO-FOX / SALSA ESKIMOTIEREN DRACHENBOOT EXTRATOUREN (REISEN) DRACHENFLIEGEN

B BADMINTON BETRIEBSSPORTGRUPPE "HH HOCHSCHULEN" BALLETT BEZUSCHUSSUNGSFÄHIGE KURSE BASKETBALL BIKRAM YOGA BASKETBALL WETTKAMPFTEAM BODY WORKOUT BAUCH- UND RÜCKENTRAINING BOGENSCHIESSEN BAUCH-BEINE-RÜCKEN-PO BOX FIT BAUCHMUSKELTRAINING BOXEN BEACHVOLLEYBALL - INDOOR BOXEN UND SAUNA BEACHVOLLEYBALL - INDOOR FÜR SPORTSCARD-INHABER BRUSTKREBS TRAININGSGRUPPE

A ACEM-MEDITATION APNOE (FREITAUCHEN) AEROBIC AQUA FITNESS AFTER WORK FITNESS AQUA-GYMNASTI AFRIKANISCH TROMMELN AQUA JOGGIN AIKIDO ARGENTINISCHERTANGO AKROBATIK AUSGLEICHENDES KÖRPERTRAINING ALPINE SKITOUREN


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a

nalyse

HU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN M S SALSA Á LA CUBANA SHAOLIN WINGCHUN CHUAN LADY SALSA SKI- UND SNOWBOARDREI-

O-R ORIANTALISCHER TANZ REITEN PILATES RUDERN RADFAHREN RÜCKEN-PRÄVENTIONSTRAINING RACQUETBALL RÜCKENFITNESS REISEN (EXTRATOUREN) RÜCKEN FIT

L-N LADY SALSA MASSAGE LANGHANTEL-TRAINING MITTERNACHTSVOLLEYBALLTURNIER LAUFEN - BETRIEBSSPORTGRUPPE MEDITATION LAUFTREFF MITARBEITERSPORT LEICHTATHLETIK MODERN JAZZ LUNCHMOVE

K KAJAK KLETTERKURSE KARATE SHOKOTAN KRAFTVOLL UND ENTSPANNT KARATE WADO RYU KRAULTECHNIK FÜR TRIATHLETEN KARDIO- UND GEFÄSSTRAINING KUNDALI NI YOGA KICKERN KUNG FU KINDERSPORTANGEBOTE

I-J IAIDO JONGLIEREN INDOOR-CYCLING JU JUTSU INDOOR-CYCLING FÜR EINSTEIGER JUDO

G-H GESELLSCHAFTSTANZ HATHA YOGA HALLENFUSSBALL HOCHSCHULMEISTERSCHAFTEN HALLENFUSSBALL FÜR FRAUEN HIP HOP HALLENFUSSBALL - TURNIERRUNDE HOCKEY OUTDOOR HALLENHOCKEY HOT IRON HANDBALL HUBC

FITNESSSTUDIOS FUTSAL FREITAUCHEN - APNOE


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MO TUE WED THU FR TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN B BADMINTON BETRIEBSSPORTGRUPPE "HH HOCHSCHULEN" BALLETT BEZUSCHUSSUNGSFÄHIGE KURSE BASKETBALL BIKRAM YOGA BASKETBALL WETTKAMPFTEAM BODY WORKOUT BAUCH- UND RÜCKENTRAINING BOGENSCHIESSEN BAUCH-BEINE-RÜCKEN-PO BOX FIT BAUCHMUSKELTRAINING BOXEN BEACHVOLLEYBALL - INDOOR BOXEN

A ACEM-MEDITATION APNOE (FREITAUCHEN) AEROBIC AQUA FITNESS AFTER WORK FITNESS AQUA-GYMNASTI AFRIKANISCH TROMMELN AQUA JOGGIN AIKIDO ARGENTINISCHERTANGO AKROBATIK AUSGLEICHENDES KÖRPERTRAINING ALPINE SKITOUREN

X-Z YACHTSEGELN YOGA - HATHA YOGA YOGA - BIKRAM YOGA YOGA - KUNDALINI YOGA YOGA - AUFBAU YOGA UND MEDITATIO YOGA - DYNAMIC YOGA SEGELTHEORIE - SPORTBOOT BINNEN STEP-WORKOUT SEGELTHEORIE - SKS UND SBF-SEE STR SSENRADSPORT SEGELTHEORIE - SSS STRETCH AND RELA SEGELTÖRNS - MITTELMEER STUDENTS NIGHT IM SNOW DOME BISPINGEN

W WASSERBALL WORK OUT WETTKAMPFSPORT

T-V TAE KWON DO TRIATHLON TAIJIQUAN TURNEN TAUCHEN MIT GERÄT TURNIERE TENNIS ULTIMATE FRISBEE TISCHFUSSBALL VING TSUN KUNG FU TISCHTENNIS VOLLEYBALL


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RI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TU K KAJAK KLETTERKURSE KARATE SHOKOTAN KRAFTVOLL UND ENTSPANNT KARATE WADO RYU KRAULTECHNIK FÜR TRIATHLETEN KARDIO- UND GEFÄSSTRAINING KUNDALI

I-J IAIDO JONGLIEREN INDOOR-CYCLING JU JUTSU INDOOR-CYCLING FÜR EINSTEIGER JUDO

G-H GESELLSCHAFTSTANZ HATHA YOGA HALLENFUSSBALL HOCHSCHULMEISTERSCHAFTEN HALLENFUSSBALL FÜR FRAUEN HIP HOP HALLENFUSSBALL - TURNIERRUNDE HOCKEY OUTDOOR HALLENHOCKEY HOT IRON HANDBALL HUBC

F FATBURNER FRISBEE FECHTEN FUSSBALL FÜR FRAUEN INDOOR FIT FÜR DEN BALL - TANZ-CRASHKURS FUSSBALL FÜR FRAUEN - OUTDOOR FIT FÜR DIE PISTE FUSSBALL UNILIGA HALLE FITNESS LATINO FUSSBALL - INDOOR FITNESS-BOXEN FUSSBALL - OUTDOOR FITNESSSTUDIOS FUTSAL FREITAUCHEN - APNOE

C-E CAPOEIRA DYNAMIC YOGA CAPOEIRA ANGOLA EISHOCKEY DANCE AEROBIC EISLAUFEN DANCE LATINO MIX EVERY BODY DANCE NOW! DANCEATION ELTERN-KIND-TURNEN DISCO-FOX / SALSA ESKIMOTIEREN DRACHENBOOT EXTRATOUREN (REISEN) DRACHENFLIEGEN

UND SAUNA BEACHVOLLEYBALL - INDOOR FÜR SPORTSCARD-INHABER BRUSTKREBS TRAININGSGRUPPE


SELBSTWAHL

richard david precht

KOLLEKTIVE SELBSTWAHL

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B

UND

erlin. Regierungsviertel. Im August 2009. Auf der Wiese vor dem Reichstag spielen Migrantenkinder Fußball, Journalisten lümmeln sich auf Liegestühlen im Sand, am Spreebogen dösende Rucksacktouristen im Schatten des Kanzleramtes, neugierige Passanten inspizieren den Garten des Schlosses Bellevue. Eine Allegorie der Ruhe und des Friedens; das Idealbild einer blühenden Zeit, in die Gegenwart gefallen aus der italienischen Frührenaissance. Ein Fresko, heiter und beschwingt, wie jenes von Ambrogio Lorenzetti im Palazzo Pubblico in Siena: Das sind die Folgen einer guten Herrschaft. Ein Jahr nach dem Ausbruch der Finanzkrise gehört Deutschland immer noch zu den reichsten Ländern der Welt und trotz des Krieges in Afghanistan noch immer zu den friedlichsten. Die Banken verdienen wieder Geld. Die

RICHARD DAVID PRECHT


SELF DISPLAY

Armutsquote ist gestiegen, gewiss, aber alles ist relativ. Mit dem Geld eines deutschen Hartz-IV-Empfängers fühlte sich ein Bauer in Bangladesch noch immer als Krösus. Deutsche Markenprodukte sind weltweit gefragt, die Kriminalitätsrate ist niedrig, der Korruptionsindex sieht uns bei den Harmlosen. Alles, so scheint es, ist gut im Staate Deutschland. In zwei Wochen ist Wahl. Nach einer Umfrage des sterns meinen gerade 36 Prozent der deutschen Bevölkerung, unsere Demokratie funktioniere »im Großen und Ganzen gut«. Ein Drittel meint gar: »Wir leben gar nicht wirklich in einer Demokratie, in der das Volk zu bestimmen hat.« Kritischer waren diese Werte in der Geschichte unseres Landes vermutlich nie. Und das angesichts einer politischen Klasse, die sich – mehr als jede Generation zuvor – Tag für Tag vor den Kameras unendlich viel Mühe gibt, von den Wählern nicht nur respektiert, sondern auch gemocht zu werden.So sehr gemocht, dass man sich am liebsten auf nichts mehr festlegt. Kein »Freiheit statt Sozialismus« mehr von den Christdemokraten, die die gerade größte Subventionswelle seit Willy Brandt hinter sich haben. Und kein Spott gegenüber einer SPD, der den So-

ein Astrologie-Zentrum oder eine Rentenversicherung? Plakate ohne Inhalt; ein Land ohne Eigenschaften. Daran ändert auch das schlechte Schauspiel nichts, das nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und im Saarland in den Fernsehstudios der Nation liebevoll inszeniert wird. Kein Kommunist übernimmt im Herbst 2009 die Macht in Deutschland, und kein Neoliberalist schafft den Sozialstaat ab. Was den Parteien in letzter Hektik vor der Wahl zu ihren politischen Kontrahenten einfällt, ist keine Komödie und keine Tragödie, sondern aggressiver Klamauk. Eine lumpige Farce, bei der der Wähler ohnehin längst weiß: Unsere Parteien sind schon lange weit weniger Marke als etwa Gucci oder Nutella. Was draufsteht, ist gar nicht drin. Keine große Steuersenkung bei den Liberalen, keine vier Millionen neue Arbeitsplätze bei der SPD, kein ökologischer Umbau der Industriegesellschaft bei den Grünen und natürlich auch keine grundlegende Umverteilung bei der Linkspartei. Kein Ort nirgends für eine parteipolitisch gebundene Weltanschauung. Warum also sollte man Angela Merkel vorwerfen, dass sie auf ihren Wahlplakaten zwar »die Kraft«, aber keine politische Linie hat? Die Wähler, und nicht nur ihre, haben ja auch keine. Und dass sie sich auch nach den jüngsten Landtagswahlen dagegen verwahrt, Theater zu spielen – wer will ihr diesen Anstand noch verwehren? Der Souverän, das Volk, sucht ohnehin nicht nach Weltanschauungen, sondern maximal nach einer verlässlichen RatingAgentur für die Sicherheit von Lebensperspektiven. Parteien spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle, so sehr sie sich für diese Rolle auch anbieten und anbiedern. Doch wen der Staat dazu ermuntert, ihm seine Alterssicherung nicht

SIE? Plakate ohne Inhalt und ein Land ohne Eigenschaften zialismus wirklich niemand zutraut. Sozialdemokraten sind nur noch »gut für Deutschland«. Den Grünen geht es wie allen »ums Ganze«, und die Stärke der FDP ist »die Mitte«, weil die Mitte des Ganzen eben gut für Deutschland ist. »Zeit für Zukunft« fällt der FDP auch noch ein. Bewirbt sie einen Freizeitpark,

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SELBSTWAHL

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mehr zuzutrauen, wer seine Leiden keiner »gesetzlichen« Krankenkasse mehr überlässt und wer seine Kinder, wenn er kann, auf Privatschulen und Elite-Unis schickt, der traut dem Staat auch sonst auch nicht mehr über den Weg. Nur die sozial Schwachen vertrauen auf den Staat – weil sie müssen. Die Privatisierung von Lebenssicherheiten wird noch immer unterschätzt. Ihr Resultat ist der maulende Wähler, politikverdrossen und unzufrieden, angestachelt von der bösen Illusion, den Staat kaum noch ernsthaft zu brauchen. Bei Umfragen gibt er zu Protokoll, dass er nicht mehr an die Demokratie glaubt, an den Parteien lässt er kein gutes Haar, und den Politikern wirft er vor, was er sich selbst als Position erarbeitet hat: dass sie nur noch an sich denken. Statt staatsbürgerlicher Ethik verpflichtet zu sein, begreift er sich mehr und mehr als moralische Briefkastenfirma mit einem festen Wohnsitz im eigentlichen Irgendwo. Die mangelnde Solidarität ist die Folge unseres Wirtschaftens, die Folge einer guten Herrschaft. Dies auszusprechen scheint ebenso zwingend wie tabu. Wenn jeder anders als die anderen sein will, gibt es kein Wir mehr.

Zeit ist die negative Identität, die inszenierte Nichtzugehörigkeit als Individualitätsnachweis. Wir sind keine Staatsbürger mehr, sondern Investmentbanker unserer selbst. Wer sich selbst treu sein will, verpflichtet sich lieber zu nichts mehr. Wenn es schiefgeht, zieht er sein Kapital an der Aufmerksamkeit, Arbeitskraft und des Vertrauens ab. Die paradoxe Gleichung unserer radikalisierten Individualität ist unverkennbar. Wenn Individualität bedeutet, sich selbst treu zu bleiben, und Identität, seinen Werten treu zu bleiben, so gilt: je mehr Individualität, umso weniger Identität.Von hier aus auch erscheint das verantwortungslose Handeln von Bankern in der Finanzkrise nicht als Auswuchs oder Krebsgeschwür der Gesellschaft. Vielmehr ist sie ihr Symptom. Wie viele Menschen in Deutschland, und in den USA oder anderswo hätten genauso gierig und kurzsichtig gehandelt wie die maßlosen Ritter vom Gold? Nur dass sie nicht über deren Mittel verfügen. Wer bei der Steuererklärung dem Staat jeden Cent abtrotzt, den besten Handytarif abzockt, zum Tanken über die Grenze fährt und überall sonst nach Schnäppchen giert – der spürt (vielleicht) eine Restscham, den Großmeistern der Maßlosigkeit ihre Mentalität vorzuwerfen. Ideologiekritisch gewendet: Dem kurzen Aufschrei über die Abfindungsmilliarden der Banker wohnt noch die stille Bewunderung inne, die die Folgenlosigkeit sicherstellt. Aus diesem Grund, so scheint es, ist die Empörung über die Finanzwelt alles in allem so unfassbar verhalten, so privat und so wenig organisiert. Wie sollte den Bankern unrecht sein, was so vielen anderen recht ist? Und genau deshalb, die Vermutung liegt nahe, profitiert Die Linke in der Wählergunst auch fast nicht von den Maxima Amoralia des Börsencrashs. Das Verhältnis von Sozialnormen

MUCH

»Wir« – das sind immer die anderen. Markt- und Markenwirtschaft erzeugen kein solches Zusammengehörigkeitsgefühl, vielmehr moralische Zeitarbeiter ohne eine Milieubindung. Identität wählen zu können bedeutet, keine mehr zu haben und keine zu erlangen. Die Konsumindustrie lebt davon, dass ihre Produkte pausenlos veralten. Nach kurzer Zeit ist alles alt und ersetzungsbedürftig. Kein Wunder, dass eine Bedarfsweckungsgesellschaft sich hinter keiner Parole mehr versammelt. Der Geiz, der gestern geil war, ist morgen doof.Das Label unserer RICHARD DAVID PRECHT


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zu Marktnormen ist aus dem Ruder gelaufen. Nicht nur in Deutschland, sondern nahezu überall in den Staaten des Westens. Von den Asozialgemeinschaften vieler Schwellenländer gar nicht zu reden. Auch dies die Folgen guter Herrschaft. Man kann dieses Fresko nicht

die mangelnde Solidarität als Folge einer guten Herrschaft

sich hinter keiner Parole mehr versammelt. Der Geiz, der gestern geil war, ist morgen doof.Das Label unserer Zeit ist die negative Identität, die inszenierte Nichtzugehörigkeit als Individualitätsnachweis. Wir sind keine Staatsbürger mehr, sondern Investmentbanker unserer selbst. Wer sich selbst treu sein will, verpflichtet sich lieber zu nichts mehr. Wenn es schiefgeht, zieht er sein Kapital an der Aufmerksamkeit, Arbeitskraft und des Vertrauens ab. Die paradoxe Gleichung unserer radikalisierten Individualität ist unverkennbar. Wenn nun Individualität bedeutet, sich selbst treu zu bleiben, und Identität, seinen Werten treu zu bleiben, so gilt: je mehr Individualität, umso weniger Identität.Von hier aus auch erscheint das verantwortungslose Handeln von Bankern in der Finanzkrise nicht als Auswuchs oder Krebsgeschwür der Gesellschaft. Vielmehr ist sie ihr Symptom. Wie viele Menschen in Deutschland, in den USA oder anderswo hätten genauso gierig und kurzsichtig gehandelt wie die maßlosen Ritter vom Gold? Nur dass sie nicht über deren Mittel verfügen. Wer bei der Steuererklärung dem Staat jeden Cent abtrotzt, den besten Handytarif abzockt, zum Tanken über die Grenze fährt und überall sonst nach Schnäppchen giert – der spürt (vielleicht) eine Restscham, den Großmeistern der Maßlosigkeit ihre Mentalität vorzuwerfen. Der psychische Ausverkauf der Seelenreservate an die Unerbittlichkeit des Marktes ist weiter fortgeschritten, als wir wahrhaben wollen. Nicht nur die Unterwäsche, auch jene unseres Bewusstseins ist mit Markennamen bestickt. Die Psychen nicht nur unserer Kinder sind ein Parcours von Jingles und Werbespots. Das Habenwollen ist wichtiger als das Seinwollen und wird auch von allen Parteien akzeptiert. Wo sie früher Sprachrohre sein wollten für

MORE grell genug zeichnen und unterbietet doch die eigentliche Realität. Bei Umfragen gibt er zu Protokoll, dass er nicht mehr an die Demokratie glaubt, an den Parteien lässt er kein gutes Haar, und den Politikern wirft er vor, was er sich selbst als Position erarbeitet hat: dass sie nur noch an sich denken. Statt staatsbürgerlicher Ethik verpflichtet zu sein, begreift er sich mehr und mehr als moralische Briefkastenfirma mit einem festen Wohnsitz im Irgendwo. Die mangelnde Solidarität ist die Folge unseres Wirtschaftens, die Folge einer guten Herrschaft. Dies auszusprechen scheint ebenso zwingend wie tabu. Wenn jeder anders als die anderen sein will, gibt es kein Wir mehr. »Wir« – das sind immer die anderen. Marktund Markenwirtschaft erzeugen kein Zusammengehörigkeitsgefühl, vielmehr moralische Zeitarbeiter ohne eine Milieubindung. Identität wählen zu können bedeutet, keine mehr zu haben und keine mehr zu erlangen.

Entsprechend lebt die Konsumindustrie lebt davon, dass ihre Produkte pausenlose veralten. Nach kurzer Zeit ist alles alt und ersetzungsbedürftig. Kein Wunder, dass eine Bedarfsweckungsgesellschaft

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eine bestimmte Klientel, gibt es heute nur noch »Volksparteien«, also Discounter. Ein Sortiment für alle unter einem Dach. Kein Wunder, dass jeder Klientelvorteil der Parteien als Vorteil für jeden verkauft wird. Das Wort »verkauft« fällt nicht ohne Grund. Aus Bürgern sind User geworden und aus Wählern Kunden. Der Anteil des Staates daran ist unübersehbar. Er findet sich sichtbar in den Fehlattributionen der SchröderZeit. Die Bundesanstalt für Arbeit tat jahrzehntelang ihren Dienst, bis sie eine »Agentur für Arbeit« werden musste, um unseren kapitalistischen Seelen besser Rechnung zu tragen. Selbst die Arbeitslosen als Nichtteilnehmer des Arbeitsmarktes sollten sich in dem Gefühl sonnen dürfen, im marktwirtschaftlichen Spiel mitzumischen, wenn auch auf Kosten eines Schwindels: Eine Agentur kostet Geld, sie verlangt Provision. Der Bund dagegen tut dies bekanntlich nicht. Er ist keine Agentur, und er unterhält auch keine. Clownesker noch die Erfindung der »Ich-AG«. Was nach Markt

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bensbereich in der Sprache des Marktes zu beschreiben, ist ungebrochen. Evolutionsbiologen erklären das Tierreich nach den Regeln des Risikokapitals. Weibchen »investieren« in Männchen, getrieben vom Streben nach dem genetischen Maximum. Auch wenn solche Sprache mehr über die Gedankenwelt von Biologen verrät als über das tatsächliche Verhalten der Tiere – der Glaube an Ertragsoptimierung, Profitgier und Rücksichtslosigkeit gilt längst als das arttypische Verhalten des Menschen als solchem schlechthin. Dass der Mensch seinem Wesen nach ein Kapitalist sei, ist der Glaube unserer Zeit. Niemand hört, wie Adam Smith, der Gründungsvater der Nationalökonomie, heftig gegen den Sarg klopft. Für ihn war der Mensch gut, auf Anerkennung angewiesen und von Wohlwollen erfüllt. Das Gewinnstreben war nicht die Natur des Menschen, sondern nur ein praktisches Gefühl zweiter Ordnung. Heute dagegen höhlt der Glaube an die kapitalistische Verfassung unserer Seele die Gesellschaft aus. Jenseits der Freund-Feind-Linie von links und rechts vergiftet er die Heimatbiotope der Konservativen ebenso, wie er die abstrakten Solidaritäten der Linken bloßstellt. Sind solche amoralisierten Bürger regierbar? Gibt es eine Politik für Menschen, die die Abwrackprämie volkswirtschaftlich für falsch halten, sie aber trotzdem kassieren? Für Wähler, die von der Politik eine Ehrlichkeit fordern, die sie im Zweifelsfall selbst nicht haben? Für Kunden, die tagtäglich hören, dass sie ihren Vorteil nutzen sollen und nach Vorzugsprämien gieren? Wer fragt einmal umgekehrt, wie viel Spaß es unseren Politikern eigentlich macht, die Gunst von Premiumkunden zu gewinnen, denen man nicht auch noch versprechen kann, Wer tagtäglich indoktriniert wird,

WEIL ICH WERT keine Staatsbürger sondern vielmehr Investmentbanker unserer Selbst

und Börse klang, sollte gut klingen. Was kümmerte es die Sachwalter des Scheins, dass der auf sich selbst gestellte Handlanger mit einer Aktiengesellschaft etwa so viel zu tun hatte wie eine Vorstadtspielothek mit dem Paradies. Die Privatisierung von Lebenssicherheiten wird noch immer unterschätzt. Ihr Resultat ist der maulende Wähler, politikverdrossen und unzufrieden, angestachelt von der bösen Illusion, den Staat kaum noch ernsthaft zu brauchen. Die Tendenz, jeden Le-

RICHARD DAVID PRECHT


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sich Vorteile gegenüber anderen zu verschaffen, genießt eine staatsbürgerliche Erziehung von zweifelhaftem Zuschnitt. Ein Milliardenaufwand an Werbegeldern bombardiert die wackeligen Behausungen unserer Werte: die Moral der Kindheit, ein kleiner, meist winziger Rest Religion und ein bisschen Demokratieverständnis aus der Schulzeit. Ein ungleicher Kampf. Niemand fragt heute mehr, ob sein Premiumtarif gegenüber anderen fair ist.

H ES MIR T BIN Das sogenannte Individualprinzip als elementarer Kern der Marktwirtschaft muss mit einem durchdachten Sozialund Humanitätsprinzip in Balance gehalten werden, predigte einst Ludwig Erhards Lehrmeister Wilhelm Röpke. Der Focus setzte dies schon zur vorletzten Bundestagswahl außer Kraft: Wen würde Ihr Geld wählen? lautete der Titel. Wählen allein nach monetären Interessen – auffälliger lässt sich die Aufkündigung der Solidarität nicht plakatieren. Die Folgen einer guten Herrschaft ist ein Verlust der Tugend. Doch so leicht er sich diagnostizieren lässt – unser ganzes Wirtschaftssystem beruht darauf, Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, von Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Beschränkte sich ein jeder auf das, was er tatsächlich braucht, so bräche dagegen alles zusammen. Dieses Paradox ist das Stigma unserer Zeit. Der erstickende Lack über den bewegten Farben. Der Fluch der guten Herrschaft.

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Wie wir alle nur uns selbst wählen erschienen in der ZEIT vom 20.08.2008 CHALLENGE YOURSELF


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MIMESIS

herbert marcuse

VERGO DEN M

DER EINDIMENSIONALE MENSCH

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I

n dem Maße, wie Freiheit von Mangel, die konkrete Substanz aller Freiheit, die reale Möglichkeit wird, verlieren die Freiheiten, die einer niedereren Stufe der Produktivität angehören, ihren früheren Inhalt. Unabhängigkeit des Denkens, Autonomie, das Recht auf politische Opposition werden gegenwärtig ihrer grundlegenden kritischen Funktion beraubt in einer Gesellschaft, die immer mehr imstande scheint, die Bedürfnisse der Individuen vermittels der Weise zu befriedigen, in der sie organisiert ist. Eine solche Gesellschaft kann mit Recht verlangen, daß ihre Prinzipien und Institutionen hingenommen werden, und kann die Opposition auf die Diskussion und Förderung alternativer politischer Praktiken innerhalb des Status quo einschränken. In dieser Hinsicht scheint es wenig auszumachen, ob die zunehmende Befrie-

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digung der Bedürfnisse durch ein autoritäres oder ein nichtautoritäres System erreicht wird. Unter den Bedingungen eines steigenden Lebensstandards erscheint die Nichtübereinstimmung mit dem System als solchem als gesellschaftlich, sinnlos und das um so mehr, wenn sie fühlbare wirtschaftliche und politische Nachteile im Gefolge hat und den glatten Ablauf des Ganzen bedroht. Wenigstens soweit es um die Lebensbedürfnisse geht, scheint keinerlei Grund vorhanden, weshalb die Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen im wettbewerblichen Aufeinanderprallen individueller Freiheiten vonstatten gehen sollte. Von Anbeginn war die Freiheit des Unternehmens keineswegs ein Segen. Als die Freiheit zu arbeiten oder zu verhungern bedeutete sie für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Plackerei, Unsicherheit und Angst. Wäre das Individuum nicht mehr gezwungen sich auf dem Markt als freies ökonomisches Subjekt zu bewähren, so wäre das Verschwinden dieser Art von Freiheit eine der größten Errungenschaften der Zivilisation. Die technologischen Prozesse der Mechanisierung und Standardisierung könnten individuelle Energie für ein noch unbekanntes Reich der Freiheit jenseits der Notwendigkeit freigeben. Die innere Struktur des menschlichen Daseins würde geändert; das Individuum würde von den fremden Bedürfnissen und Möglichkeiten befreit, die die Arbeitswelt ihm auferlegt. Das Individuum wäre frei, Autonomie über ein Leben auszuüben, das sein eigenes wäre. Könnte der Produktionsapparat im Hinblick auf die Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse organisiert und dirigiert werden, so könnte er durchaus zentralisiert sein; eine derartige Kontrolle würde individuelle Autonomie nicht verhindern, sondern ermöglichen. Das ist ein Ziel im Rahmen dessen, wozu

die fortgeschrittene industrielle Zivilisation imstande ist, der Zweck technologischer Rationalität. Tatsächlich jedoch macht sich die entgegengesetzte Tendenz geltend: der Apparat erlegt der Arbeitszeit und der Freizeit, der materiellen und der geistigen Kultur die ökonomischen wie politischen Erfordernisse seiner Verteidigung und Expansion auf. Infolge der Art, wie sie ihre technische Basis organisiert habt, tendiert die gegenwärtige Industriegesellschaft zum Totalitären. Denn »totalitär« ist nicht nur eine terroristische politische Gleichschaltung der Gesellschaft, sondern auch eine nichtterroristische ökonomischtechnische Gleichschaltung, die sich in der Manipulation von Bedürfnissen durch althergebrachte Interessen geltend macht. Sie beugt so dem Aufkommen einer wirksamen Opposition gegen das Ganze vor. Nicht nur eine besondere Regierungsform oder Parteiherrschaft bewirkt Totalitarismus, sondern auch ein besonderes Produktions- und Verteilungssystem, das sich mit einem »Pluralismus« von Parteien, Zeitungen, »ausgleichenden Mächten« etc. durchaus verträgt. Politische Macht setzt sich heute durch vermittels ihrer Gewalt über den maschinellen Prozeß und die technische Organisation des Apparats. Die Regierung fortgeschrittener und fortschreiten-

OLDET MOMENT

Totalitarismus und der politische Pluralismus

der Industriegesellschaften kann sich nur dann behaupten und sichern, wenn es ihr gelingt, die der industriellen Zivilisation verfügbare technische, wissenschaftliche und mechanische Produktivität zu mobilisieren, zu organisieren und auszubeuten. Und diese Produktivität mobilisiert CHALLENGE YOURSELF

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MIMESIS

die Gesellschaft als Ganzes über allen partikulären oder Gruppeninteressen und jenseits von ihnen. Das rohe Faktum, daß die physische (nur physische?) Gewalt der Maschine die des Individuums und jeder besonderen Gruppe von Individuen übertrifft, macht die Maschine in jeder Gesellschaft; deren grundlegende Orga-

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viduen von der Politik bedeuten, über die sie keine wirksame Kontrolle ausüben. Entsprechend würde geistige Freiheit die Wiederherstellung des individuellen Denkens bedeuten, das jetzt durch Massenkommunikation und -Schulung aufgesogen wird, die Abschaffung der »öffentlichen Meinung« mitsamt ihren Herstellern. Der unrealistische Klang dieser Behauptungen deutet nicht auf ihFreiheit bedeutet ren utopischen Charakter hin, sondern auf die Gewalt der Kräfte, die ihrer Verwirkdie Negation lichung im Wege stehen. Die wirksamste alles Vorhandenen und zäheste Form des Kampfes gegen die Befreiung besteht darin, den Menschen nisation die des maschinellen Prozesses materielle und geistige Bedürfnisse einist, zum wirksamsten politischen Instru- zuimpfen welche die veralteten Formen ment. Aber die politische Tendenz läßt des Kampfes ums Dasein verewigen. sich umkehren; im wesentlichen ist die Macht der Maschine nur die aufgespeiWAHRE & FALSCHE BEDÜRFNISSE cherte und projektierte Macht des Menschen. In dem Maße, wie die Arbeits- Die Intensität, die Befriedigung und welt als eine Maschine verstanden und selbst der Charakter menschlicher Beentsprechend mechanisiert wird, wird sie dürfnisse, die über das biologische Nizur potentiellen Basis einer neuen Frei- veau hinausgehen, sind stets im voraus heit für den Menschen.Die gegenwärti- festgelegt gewesen. Ob die Möglichkeit, ge industrielle Zivilisation beweist, daß etwas zu tun oder zu lassen, zu geniesie die Stufe erreicht hat, auf der »die ßen oder zu zerstören, zu besitzen oder freie Gesellschaft« in den traditionel- zurückzuweisen als ein Bedürfnis erfaßt len Begriffen ökonomischer, politischer wird oder nicht, hängt davon ab, ob sie und geistiger Freiheiten nicht mehr an- für die herrschenden gesamten gesellgemessen bestimmt werden kann. Ent- schaftlichen Institutionen und Interessen sprechend den neuen Fähigkeiten der als wünschenswert und notwendig angeGesellschaft bedarf es neuer Weisen der sehen werden kann oder nicht. In diesem Verwirklichung. Sinne sind menschliche Bedürfnisse his Solche neuen Weisen lassen torische Bedürnisse, und in dem Maße, sich nur in negativen Begriffen andeuten, wie die Gesellschaft die repressive Entweil sie auf die Negation der herrschen- wicklung des Individuums erfordert, den hinausliefen. So würde ökonomi- unterliegen dessen Bedürfnisse selbst sche Freiheit Freiheit von der Wirt- und ihr Verlangen, befriedigt zu werden, schaft bedeuten – von Kontrolle durch kritischen Maßstäben, die sich über sie Ökonomische Kräfte und Verhältnisse; hinwegsetzen.Wir können zwischen den Freiheit vom täglichen Kampf ums wahren und den falschen Bedürfnissen Dasein, davon, sich seinen Lebensun- unterscheiden. »Falsch« sind diejeniterhalt verdienen zu müssen. Politische gen, die dem Individuum durch partiFreiheit würde die Befreiung der Indi- kuläre gesellschaftliche Mächte, die an

GENIE SIE

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seiner Unterdrückung interessiert sind, auferlegt werden. Diejenigen Bedürfnisse, die harte Arbeit, Aggressivität, Elend und Ungerechtigkeit verewigen. Ihre Befriedigung mag für das Individuum höchst erfreulich sein, aber dieses Glück ist kein Zustand, der aufrecht erhalten und geschützt werden muß, wenn es dazu dient, die Entwicklung derjenigen Fähigkeit (seine eigene und die anderer) zu hemmen, die Krankheit des Ganzen zu erkennen und die Chancen zu ergreifen, diese Krankheit zu heilen. Das Ergebnis ist dann Euphorie im Unglück. Die meisten der herrschenden Bedürfnisse, sich im Einklang mit der Reklame zu entspannen, zu vergnügen, zu benehmen und zu konsumieren, zu hassen und zu lieben, was andere hassen und lieben, gehören in diese Kategorie falscher Bedürfnisse. Solche Bedürfnisse haben einen gesellschaftlichen Inhalt und eine gesellschaftliche Funktion, die durch äußere Mächte determiniert sind, über die das Individuum keine Kontrolle hat; die Entwicklung und Befriedigung dieser Bedürfnisse sind heteronom. Ganz gleich, wie sehr solche Bedürfnisse zu denen des Individuums selbst geworden sind und durch seine Existenzbedingungen reproduziert und befestigt werden; ganz gleich, wie sehr es sich mit ihnen identifiziert und sich in ihrer Befriedigung wiederfindet, sie bleiben, was sie seit Anbeginn waren – Produkte eine Gesellschaft, deren herrschendes Interesse Unterdrückung erheischt. Das Vorherrschen repressiver Bedürfnisse ist eine vollendete Tatsache, die in Unwissenheit und Niedergeschlagenheit hingenommen wird, aber eine Tatsache, die im Interesse des glücklichen Individuums sowie aller derjenigen beseitigt werden muß, deren Elend der Preis seiner Befriedigung ist. Die einzigen Bedürfnisse, die einen uneinge-

schränkten Anspruch auf Befriedigung haben, sind die vitalen Nahrung, Kleidung und Wohnung auf dem erreichbaren Kulturniveau. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse ist die Vorbedingung für die Verwirklichung aller Bedürfnisse, der unsublimierten wie der sublimierten. Für jedes Bewußtsein und Gewissen, für jede Erfahrung, die das herrschende gesellschaftliche Interesse nicht als das oberste Gesetz des Denkens und Verhaltens hinnimmt, ist das eingeschliffene Universum von Bedürfnissen und Befriedigungen eine in Frage zu stellende Tatsache im Hinblick auf Wahrheit und Falschheit. Welches Tribunal kann für sich die Autorität der Entscheidung beanspruchen? In letzter Instanz muß die Frage, was wahre und was falsche Bedürfnisse sind, von den Individuen selbst beantwortet werden, das heißt sofern und wenn sie frei sind, ihre eigene Antwort zu geben. Solange sie davon abgehalten werden, autonom zu sein, solange sie (bis in ihre Triebe hinein) geschult und manipuliert werden, kann ihre Antwort auf diese Frage nicht als ihre eigene verstanden werden. Deshalb kann sich auch kein Tribunal legitimerweise das Recht anmaßen, darüber zu befinden, welche Bedürfnisse entwickelt und befriedigt werden sollten.

ESSEN E ES

Jedes derartige Tribunal ist zu verwerfen, obgleich dadurch die Frage nicht aus der Welt geschafft wird: wie können die Menschen, die das Objekt wirksamer und produktiver Herrschaft gewesen sind, von sich aus die Bedingungen der Freiheit entsprechend herbeiführen? Je rationaler und produktiver, technischer und totaler die repressive Verwaltung der Gesellschaft wird, desto unvorstellbarer sind die Mittel und Wege, vermöge derer die verwalteten Individuen ihre CHALLENGE YOURSELF

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MIMESIS

Knechtschaft brechen und ihre Befrei-

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ung selbst in die Hand nehmen könnten. Freilich ist es ein paradoxer und Anstoß erregender Gedanke, einer ganzen Gesellschaft Vernunft auferlegen zu wollen obgleich sich die Rechtschaffenheit einer Gesellschaft bestreiten ließe, die diesen Gedanken lächerlich macht, während sie ihre eigene Bevölkerung in Objekte totaler Verwaltung überführt. Alle Befreiung hängt vom Bewußtsein der Knechtschaft ab, und das Entstehen dieses Bewußtseins wird stets durch das Vorherrschen von Bedürfnissen und Befriedigungen behindert, die in hohem Maße die des Individuums geworden sind. Der Prozeß ersetzt immer ein System der Präformierung durch ein anderes; das optimale Ziel ist die Ersetzung der falschen Bedürfnisse durch wahre, der Verzicht auf repressive Befriedigung. Es ist der kennzeichnende Zug der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, dass sie diejenigen Bedürfnisse wirksam drunten hält, die nach Befreiung verlangen – eine Befreiung auch von dem, was erträglich, lohnend und bequem ist – während sie die zerstörerische Macht und unterdrückende Funktion der Gesellschaft »im Überfluß« unterstützt und freispricht. Hierbei erzwingen die sozialen Kontrollen das überwältigende Bedürfnis nach Produktion und Konsumtion von unnützen Dingen; das Bedürfnis nach abstumpfender Arbeit, wo sie nicht mehr wirklich notwendig ist; das Bedürfnis nach Arten der Entspannung, die diese Abstumpfung mildern und verlängern; das Bedürfnis, solche trügerischen Freiheiten wie freien Wettbewerb bei verordneten Preisen zu erhalten, eine freie Presse, die sich selbst zensiert, freie Auswahl zwischen gleichwertigen Marken und nichtigem Zubehör bei grundsätzlichem Konsumzwang.

FREIHEIT ALS INSTRUMENT DER HERRSCHAFT Unter der Herrschaft eines repressiven Ganzen läßt Freiheit sich in ein mächtiges Herrschaftsinstrument verwandeln. Der Spielraum, in dem das Individuum seine Auswahl treffen kann, ist für die Bestimmung des Grades menschlicher Freiheit nicht entscheidend, sondern was gewählt werden kann und was vom Individuum gewählt wird. Das Kriterium für freie Auswahl kann niemals ein absolutes sein, aber es ist auch nicht völlig, relativ. Die freie Wahl der Herren schafft die Herren oder die Sklaven nicht ab. Freie Auswahl unter einer breiten Mannigfaltigkeit von Gütern und Dienstleistungen bedeutet keine Freiheit, wenn diese Güter und Dienstleistungen die soziale Kontrolle über ein Leben von Mühe und Angst aufrechterhalten heißt die Entfremdung. Und die spontane Reproduktion aufgenötigter Bedürfnisse durch das Individuum stellt keine Autonomie her; sie bezeugt nur die Wirksamkeit der Kontrolle.Wenn wir auf der Tiefe und Wirksamkeit dieser Kontrolle bestehen, setzen wir uns dem Einwand aus, daß wir die prägende Macht der »Massenmedien« sehr überschätzen und daß die Menschen ganz von selbst die Bedürfnisse verspüren und befriedigen würden, die ihnen jetzt aufgenötigt werden. Der Einwand greift fehl.

ES IST ZE

HERBERT MARCUSE

Die Präformierung beginnt nicht mit der Massenproduktion von Rundfunk und Fernsehen und mit der Zentralisierung ihrer Kontrolle. Die Menschen treten in dieses Stadium als langjährig präparierte Empfänger ein; der entscheidende Unterschied besteht in der Einebnung des Gegensatzes (oder Konflikts) zwischen dem Gegebenen und dem


SELF DISPLAY

Möglichen, zwischen den befriedigten und den nicht befriedigten Bedürfnissen. Hier zeigt die sogenannte Ausgleichung der Klassenunterschiede ihre ideologische Funktion. Wenn der Arbeiter und sein Chef sich am selben Fernsehprogramm vergnügen und dieselben Erholungsorte besuchen, wenn die Stenotypistin ebenso attraktiv hergerichtet ist wie die Tochter ihres Arbeitgebers, wenn der Neger einen Cadillac besitzt, wenn sie alle dieselbe Zeitung lesen, dann deutet diese Angleichung nicht auf das Verschwinden der Klassen hin, sondern auf das Ausmaß, in dem die unterworfene Bevölkerung an den Bedürfnissen und Befriedigungen teil hat, die der Erhaltung des Bestehenden dienen.Allerdings ist in den am höchsten entwickelten Bereichen der gegenwärtigen Gesellschaft diese Umsetzung gesellschaftlicher in individuelle Bedürfnisse derart wirksam, daß der Unterschied zwischen ihnen rein theoretisch erscheint. Kann man wirklich zwischen den Massenmedien als Instrumenten der Information und Unterhaltung und als Agenturen der Ma-

ellen Zivilisation gegenüber: dem rationalen Charakter ihrer Irrationalität. Ihre Produktivität und ihr Vermögen, Bequemlichkeiten zu erhöhen und zu verbreiten, Verschwendung in Bedürfnis zu verwandeln und Zerstörung in Aufbau, das Ausmaß, in dem diese Zivilisation die Objektwelt in eine Verlängerung von Geist und Körper des Menschen überführt, macht selbst den Begriff der Entfremdung fragwürdig. Die Menschen erkennen sich in ihren Waren wieder; sie finden ihre Seele in ihrem Auto, ihrem Hi-Fi-Empfänger, ihrem Küchengerät. Der Mechanismus selbst, der das Individuum an seine Gesellschaft fesselt, hat sich geändert, und die soziale Kontrolle ist in den neuen Bedürfnissen verankert, die sie hervorgebracht hat. Zwar ist die technische Struktur und Wirksamkeit des produktiven und destruktiven Apparats die ganze Neuzeit hindurch ein Hauptmittel gewesen, die Bevölkerung der etablierten gesellschaftlichen Arbeitsteilung zu unterwerfen. Ferner war solche Integration stets von handgreiflicheren Formen des Zwangs begleitet: Verlust des Lebensunterhalts, gerichtliche Sanktionen, Polialle Befreiung hängt zei, bewaffnete Streitkräfte. Das ist noch vom Bewusstsein der Fall. Aber in der gegenwärtigen Periode erscheinen die technologischen der Knechtschaft ab Kontrollen als die Verkörperung der Vernunft selbst zugunsten aller sozialen nipulation und Schulung unterscheiden? Gruppen und Interessen – in solchem Zwischen dem Auto als etwas Lästigem Maße, daß aller Widerspruch irrational und als bequemer Einrichtung? Zwischen scheint und aller Widerstand unmöglich. dem Graus und der Behaglichkeit funktionaler Architektur? Zwischen der Arbeit INTROJEKTION & MIMESIS für nationale Verteidigung und der Arbeit für den Gewinn des Konzerns? Zwischen Es ist daher kein Wunder, daß die sozider privaten Lust und der kommerziellen alen Kontrollen in den fortgeschrittensund politischen Nützlichkeit einer Er- ten Bereichen dieser Zivilisation derart höhung der Geburtenziffer? Wiederum introjiziert worden sind, daß selbst instehen wir einem der beunruhigendsten dividueller Protest in seinen Wurzeln Aspekte der fortgeschrittenen industri- beeinträchtigt wird. Die geistige und ge-

DEINE EIT

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MIMESIS

fühlsmäßige Weigerung »mitzumachen« erscheint als neurotisch und ohnmächtig. Das ist der sozialpsychologische Aspekt des politischen Ereignisses, von dem die gegenwärtige Periode gekennzeichnet ist: das Dahinschwinden der historischen Kräfte, die auf der vorhergehenden Stufe der Industriegesellschaft die Möglichkeit neuer Daseinsformen zu vertreten und zu verteidigen schienen.Aber vielleicht beschreibt der Terminus »Introjektion« nicht mehr die Weise, in der das Individuum von sich aus die von seiner Gesellschaft ausgeübten äußeren Kontrollen reproduziert und verewigt. Introjektion unterstellt eine Reihe relativ spontaner Prozesse, vermittels derer ein Selbst (Ich) das »Äußere« ins »Innere« umsetzt. Damit schließt Introjektion das Bestehen einer »inneren Dimension« ein, die von äußeren Erfordernissen verschieden,und ihnen gegenüber sogar antagonistisch ist – ein individuelles Bewußtsein und ein individuelles Unbewußtes, unabhängig von der öffentlichen Meinung und dem öffentlichen Verhalten. Die Idee der »in-

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nen verknöchert. Das Ergebnis ist nicht Anpassung, sondern Mimesis: eine unmittelbare Identifikation des Individuums mit seiner Gesellschaft und dadurch mit der Gesellschaft als ganzes. Diese unmittelbare, automatische Identifikation (die für primitive Formen der Vergesellschaftung charakteristisch gewesen sein mag) erscheint aufs neue in der hochindustriellen Zivilisation; ihre neue »Unmittelbarkeit« ist jedoch das Produkt einer ausgetüftelten, wissenschaftlichen Betriebsführung und Organisation. In diesem Prozeß wird die »innere« Dimension des Geistes beschnitten, in der eine Opposition gegen den Status quo Wurzeln schlagen kann. Der Verlust dieser Dimension, in der die Macht negativen Denkens – die kritische Macht der Vernunft – ihre Stätte hat, ist das ideologische Gegenstück zu dem sehr materiellen Prozeß, in dem die fortgeschrittene Industriegesellschaft die Opposition zum Schweigen und mit sich in Einklang bringt. Die Gewalt des Fortschritts verwandelt Vernunft in Unterwerfung unter die Lebenstatsachen und unter das dynamische Vermögen, mehr und größere Tatsachen derselben Lebensweise herzustellen. Die Leistungsfähigkeit des Systems macht die Individuen untauglich für die Erkenntnis, daß es keine Tatsachen enthält, die nicht die repressive Macht des Ganzen übermitteln. Wenn die Individuen sich in den Dingen wiederfinden, die ihr Leben gestalten, dann geschieht das nicht, indem sie den Dingen das Gesetz geben, sondern indem sie es hinnehmen – nicht das Gesetz der Physik, sondern das ihrer Gesellschaft.Ich habe soeben darauf verwiesen, daß der Begriff der Entfremdung fraglich zu werden scheint, wenn sich die Individuen mit dem Dasein identifizieren, das ihnen auferlegt wird

DENK A

der Verlust einer kritischen Macht der Vernunft und des eigenen Denkens

neren Freiheit« hat hier ihre Realität:

sie bezeichnet den privaten Raum, worin der Mensch »er selbst« werden und bleiben kann. Heute wird dieser private Raum durch die technologische Wirklichkeit angegriffen und beschnitten. Massenproduktion und –distribution beanspruchen das ganze Individuum,und Industriepsychologie ist längst nicht mehr auf die Fabrik beschränkt. Die mannigfachen Introjektionsprozesse scheinen zu fast mechanischen ReaktioHERBERT MARCUSE


SELF DISPLAY

und an ihm ihre eigene Entwicklung und Befriedigung haben. Diese Identifikation ist kein Schein, sondern Wirklichkeit. Die Wirklichkeit bildet jedoch eine fortgeschrittenere Stufe der Entfremdung aus. Diese ist gänzlich objektiv geworden; das Subjekt, das entfremdet ist, wird seinem entfremdeten Dasein einverleibt. Es gibt nur eine Dimension, und sie ist überall und tritt in allen Formen auf. Die Errungenschaften des Fortschritts spotten ebenso ideologischer Anklage wie Rechtfertigung; vor ihrem Tribunal: wird das »falsche Bewußtsein« ihrer Rationalität zum wahren Bewusstsein. Dieses Aufgehen der Ideologie in der Wirklichkeit bedeutet jedoch nicht das »Ende der Ideologie«. Im Gegenteil, in einem bestimmten Sinne ist die fortgeschrittene industrielle Kultur ideologischer als ihre Vorgängerin, insofern nämlich, als heute die Ideologie im Produktionsprozeß selbst steckt. In provokativer Form offenbart dieser Satz die politischen Aspekte der herrschenden technologischen Rationalität. Der Produktionsapparat und die Güter und Dienstleistungen, die er hervorbringt, »verkaufen« das soziale System als Ganzes oder setzen es durch. Die Mittel des Massentransports und der Massenkommunikation, die Gebrauchsgüter Wohnung, Nahrung, Kleidung, die unwiderstehliche Leistung der Unterhaltungs- und Nachrichtenindustrie gehen mit verordneten Einstellungen und Gewohnheiten, mit geistigen und gefühlsmäßigen Reaktionen einher, die die Konsumenten mehr oder weniger angenehm an die Produzenten binden und vermittels dieser ans Ganze. Die Erzeugnisse durchdringen und manipulieren die Menschen; sie befördern ein falsches Bewußtsein, das gegen seine Falschheit immun ist. Und indem diese vorteilhaften Erzeugnisse mehr Indivi-

duen in mehr gesellschaftlichen Klassen zugänglich werden, hört die mit ihnen einhergehende Indoktrination auf, Reklame zu sein sie wird ein Lebensstil, und zwar ein guter – viel besser als früher und als ein guter Lebensstil widersetzt er sich einer qualitativen Änderung.

So entsteht ein Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens,

worin Ideen, Bestrebungen und Ziele, die ihrem Inhalt nach das bestehende Universum von Sprache und Handeln transzendieren, entweder abgewehrt oder zu Begriffen dieses Universums herabgesetzt werden. Sie werden neu bestimmt von der Rationalität des gegebenen Systems und seiner quantitativen Ausweitung. Hier aber konfrontiert die fortgeschrittene Industriegesellschaft die Kritik mit einer Lage, die sie ihrer ganzen Basis zu berauben scheint. Ausgeweitet zu einem ganzen System von Herrschaft und Gleichschaltung, bringt der technische Fortschritt Lebensformen (und solche der Macht) hervor, welche die Kräfte, die das System bekämpfen, zu besänftigen und allen Protest im Namen der historischen Aussichten auf Freiheit von schwerer Arbeit und Herrschaft zu besiegen oder zu widerlegen scheinen. Die gegenwärtige Gesellschaft scheint imstande, einen sozialen Wandel zu unterbinden – eine qualitätive Veränderung, die wesentlich andere Institutionen durchsetzen würde, eine neue Richtung des Produktionsprozesses, neue Weisen menschlichen Daseins. Die Unterbindung sozialen Wandels ist vielleicht die hervorstechendste Leistung der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Diese mannigfachen prozesse der intrjektion scheinen zu fast mechanischen Reaktionen verknöchert. Das Ergebnis ist nicht Anpassung, sondern Mimesis:

AN DICH

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MIMESIS

eine unmittelbare Identifikation des Individuums mit seiner Gesellschaft und dadurch mit der Gesellschaft als ganzes. Diese unmittelbare, automatische Identifikation (die für primitive Formen der Vergesellschaftung charakteristisch gewesen sein mag) erscheint aufs neue in der hochindustriellen Zivilisation; ihre neue »Unmittelbarkeit« ist jedoch das Produkt einer ausgetüftelten, wissenschaftlichen Betriebsführung und Organisation. In diesem Prozeß wird die »innere« Dimension des Geistes beschnitten, in der eine Opposition gegen den Status quo Wurzeln schlagen kann. Der Verlust dieser Dimension, in der die Macht negativen Denkens – die kritische Macht der Vernunft – ihre Stätte hat, ist das ideologische Gegenstück zu dem sehr materiellen Prozeß, in dem eben die se fortgeschrittene Industriegesellschaft die Opposition zum Schweigen und mit sich in Einklang bringt. Die Gewalt des Fortschritts verwandelt Vernunft in Unterwerfung unter die Lebenstatsachen und unter das dynamische Vermögen, mehr und größere Tatsachen derselben Lebensweise herzustellen.

Befriedigung haben. Diese Identifikation ist kein Schein, sondern Wirklichkeit. Die Wirklichkeit bildet jedoch eine fortgeschrittenere Stufe der Entfremdung aus. Diese ist gänzlich objektiv geworden; das Subjekt, das entfremdet ist, wird seinem entfremdeten Dasein einverleibt. Es gibt

die Gesellschaft selbst scheint einen sozialen Wandel zu unterbinden

WHAT

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Die Leistungsfähigkeit des Systems macht die Individuen untauglich für die Erkenntnis, daß es keine Tatsachen enthält, die nicht die repressive Macht des Ganzen übermitteln. Wenn die Individuen sich in den Dingen wiederfinden, die ihr Leben gestalten, dann geschieht das nicht, indem sie den Dingen das Gesetz geben, sondern indem sie es hinnehmen – nicht das Gesetz der Physik, sondern das ihrer Gesellschaft. Ich habe soeben darauf verwiesen, daß der Begriff der Entfremdung fraglich zu werden scheint, wenn sich die Individuen mit dem Dasein identifizieren, das ihnen auferlegt wird und an ihm ihre eigene Entwicklung und HERBERT MARCUSE

nur eine Dimension, und sie ist überall und tritt in allen Formen auf. Die Errungenschaften des Fortschritts spotten ebenso ideologischer Anklage wie Rechtfertigung; vor ihrem Tribunal: wird das »falsche Bewusstsein« ihrer Rationalität zum wahren Bewusstsein. Dieses Aufgehen der Ideologie in der Wirklichkeit bedeutet jedoch nicht das »Ende der Ideologie«. Im Gegenteil, in einem bestimmten Sinne ist die fortgeschrittene industrielle Kultur ideologischer als ihre Vorgängerin, insofern nämlich, als heute die Ideologie im Produktionsprozeß selbst steckt. In provokativer Form offenbart dieser Satz die politischen Aspekte der herrschenden technologischen Rationalität. Der Produktionsapparat und die Güter und Dienstleistungen, die er hervorbringt, »verkaufen« das soziale System als Ganzes oder setzen es durch. Die Mittel des Massentransports und der Massenkommunikation, die Gebrauchsgüter Wohnung, Nahrung, Kleidung, die unwiderstehliche Leistung der Unterhaltungs- und Nachrichtenindustrie gehen mit verordneten Einstellungen und Gewohnheiten, mit geistigen und gefühlsmäßigen Reaktionen einher, die die Konsumenten mehr oder weniger


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angenehm an die Produzenten binden und vermittels dieser ans Ganze. Die Erzeugnisse durchdringen und manipulieren die Menschen; sie befördern ein falsches Bewußtsein, das gegen seine Falschheit immun ist. Hier aber konfrontiert die Industriegesellschaft die Kritik mit einer Lage, die sie ihrer ganzen Basis zu berauben scheint. Ausgeweitet zu einem ganzen System von Herrschaft und Gleichschaltung, bringt der technische Fortschritt Lebensformen (und solche der Macht) hervor, welche die Kräfte, die das System bekämpfen, zu besänftigen und allen Protest im Namen der historischen Aussichten auf Freiheit von schwerer Arbeit und Herrschaft zu besiegen oder zu widerlegen scheinen. Die gegenwärtige Gesellschaft scheint imstande, einen sozialen Wandel zu unterbinden – eine qualitätive Veränderung, die wesentlich andere Institutionen durchsetzen würde, eine neue Richtung des ebendiesen Produktionsprozesses, neue Weisen menschlichen Daseins. Die Unterbindung sozialen Wandels ist vielleicht die hervorstechendste Leistung der fortgeschrittenen Industriegesellschaft.

ELSE?

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DER EINDIMENSIONALE MENSCH

Eine soziologische Analyse im Brennpunkt der Zeit erschienen bei Luchterhand Berlin, 1964 CHALLENGE YOURSELF


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MO TUE WED THU FR RI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN BUNDESTAG LIVE H EUTE DREHSCHEIBE DEUTSCHLAND GEHEIMAKTE SOPHIENSCHATZ GLOBAL ARTE JOURNAL

18:00 A BENDPROGRAMM

17:00 TAGESSCHAU 17:15 BRISANT 17:00 HEUTE - WETTER 17:15 HALLO DEUTSCHLAND 17:45 LEUTE HEUTE 17:30 TRAUMLAND KANADA 17:40 X:ENIUS

16:00 TAGESSCHAU 16:10 VERRÜCKT NACH MEER 16:00 HEUTE - IN EUROPA 16:15 ALISA - FOLGE DEINEM HERZEN 16:00 DIE SCHROTTJÄGER 16:45 TIERISCHE KUMPEL 16:55 DER KIMONO

15:00 TAGESSCHAU 15:10 STURM DER LIEBE 15:00 H EUTE - SPORT 15:15 TIERISCHE KUMPEL 15:15 GEHEIMAKTE SOPHIENSCHATZ 15:55 THE KID

14:00 TAGESSCHAU 14:10 ROTE ROSEN 14:00 H EUTE - IN DEUTSCHLAND 14:15 DIE KÜCHENSCHLACHT 14:30 SEINFELD 14:50 SEINFELD 14:00 WILDES INDONESIEN 14:45 GOLDRAUSCH

13:00 ZDF-MITTAGSMAGAZIN 13:00 ZDF-MITTAGSMAGAZIN 13:05 BIANCA - WEGE ZUM GLÜCK 13:45 ALISA - FOLGE DEINEM HERZE 13:00 MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE 13:50 ALLES GUTE!

12:00 12:00 12:15 12:20 12:20 12:45


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RI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN N NE WER IST WER?

00:15 N ACHTMAGAZIN

23:00 TAGESTHEMEN 23:28 DAS WETTER IM ERSTEN 23:30 GABRIEL BACH - DER ANKLÄGE UND DER EICHMANN-PROZESS 23:20 MARKUS LANZ 23:15 COMEDY LAB 23:30 MIAMI VICE

23:00 NACHTPROGRAMM

22:12 WETTER 22:15 ABENTEUER WISSEN 22:45 A USLANDSJOURNAL 22:30 30 ROCK 22:50 30 ROCK

21:45 HART ABER FAIR 21:45 HEUTE-JOURNAL 21:00 EINSATZ IN HAMBURG

20:00 TAGESSCHAU 20:15 ZIVILCOURAGE 20:15 KEN FOLLETTS EISFIEBER 20:15 ARMAGEDDON - DER EISCHLAG 20:15 SHOAH

19:20 DAS QUIZ MIT JÖRG PILAWA 19:45 WISSEN VOR 8 19:50 DAS WETTER IM ERSTEN 19:52 GESICHTER OLYMPIAS 19:55 BÖRSE IM ERSTEN 19:00 HEUTE 19:20 WETTER 19:25 KÜSTENWACHE GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFT 19:00 BIS ZUR LETZTEN SEKUNDE 19:30 PLAN B 19:00 ARTE JOURNAL 19:30 DAS JAHR DER WILDNIS

18:00 VERBOTENE LIEBE 18:25 MARIENHOF 18:50 DAS DUELL IM ERSTEN 18:00 SOKO WISMARBRENNERS FRAU 18:50 LOTTO ZIEHUNG AM MITTWOCH 18:15 TRAUMLAND KANADA 18:10 MIT SCHIRM, CHARME UNDMELO


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TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED T THU FRI SAT SUN GABRIEL BACH - DER ANKLGE UND DER EICHMANN-PROZESS 'ÄRMEL HOCH, AMERIKA' HEUTE A BENTEUER WISSEN M ARKUS LANZ A BENTEUER ASIEN NÄCHSTER HALT: ISTANBUL P ROGRAMMANKÜNDIGUNGEN UND TRAILER

02:10 02:55 02:10 02:15 02:45 02:38 02:15 02:40

TAGESSCHAU H ART ABER FAIR @RT OF ANIMATION L EUTE HEUTE E INSATZ IN HAMBURG K ARAMBOLAGE BUNDESTAG LIVE HEUTE DREHSCHEIBE DEUTSCHLAND GEHEIMAKTE SOPHIENSCHATZ GLOBAL ARTE JOURNAL

14:00 TAGESSCHAU

13:00 ZDF-MITTAGSMAGAZIN 13:00 ZDF-MITTAGSMAGAZIN 13:05 B IANCA - WEGE ZUM GLÜCK 13:45 ALISA - FOLGE DEINEM HERZE 13:00 MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE FILMSTAR EMMA PEEL 13:50 ALLES GUTE!

04:10 04:15 04:30 04:45 04:05 04:40 12:00 12:00 12:15 12:20 12:20 12:45

03:50 HEUTE 03:55 A USLANDSJOURNAL 03:20 ABENTEUER ASIEN 03:00 DER BETTLER VOM KÖLNEDO

K ÜSTENWACHE INDUSWELTEN INDUSWELTEN GLOBAL K URZSCHLUSS - DAS MAGAZIN K URZSCHLUSS - DAS MAGAZIN

01:25 01:05 01:50 01:00 01:20 01:20

00:25 H EUTE NACHT 00:40 AUF VERLORENEM POSTEN? 00:15 FINAL 24


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THU FRI SAT SUN

MO TUE WED THU FRI SAT SUN MO TUE WED THU FRI

20:00 TAGESSCHAU 20:15 Z IVILCOURAGE 20:15 KEN FOLLETTS EISFIEBER

19:20 DAS QUIZ MIT JÖRG PILAWA 19:45 WISSEN VOR 8 19:50 DAS WETTER IM ERSTEN 19:52 GESICHTER OLYMPIAS 19:55 BÖRSE IM ERSTEN 19:00 HEUTE 19:20 WETTER 19:25 KÜSTENWACHEGEFÄHRLICHE LIEBSCHAFT 19:00 BIS ZUR LETZTEN SEKUNDE 19:30 P LAN B 19:00 ARTE JOURNAL 19:30 DAS JAHR DER WILDNIS

18:10 MIT SCHIRM, CHARME UND MELONEWER IST WER?

17:00 TAGESSCHAU 17:15 B RISANT 17:00 HEUTE - WETTER 17:15 HALLO DEUTSCHLAND 17:45 LEUTE HEUTE 17:30 TRAUMLAND KANADA 17:40 X:ENIUS

16:00 TAGESSCHAU 16:10 VERRÜCKT NACH MEER 16:00 H EUTE - IN EUROPA 16:15 ALISA - FOLGE DEINEM HERZE 16:00 DIE SCHROTTJÄGER 16:45 TIERISCHE KUMPEL 16:55 DER KIMONO

15:00 TAGESSCHAU 15:10 STURM DER LIEBE 15:00 HEUTE - SPORT 15:15 TIERISCHE KUMPEL 15:15 G EHEIMAKTE SOPHIENSCHATZ 15:55 THE KID

14:10 ROTE ROSEN 14:00 HEUTE - IN DEUTSCHLAND 14:15 DIE KÜCHENSCHLACHT 14:30 SEINFELD 14:50 SEINFELD 14:00 WILDES INDONESIEN 14:45 GOLDRAUSCH


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16:00 TAGESSCHAU 16:10 VERRÜCKT NACH MEER 16:00 HEUTE - IN EUROPA 16:15 ALISA - FOLGE DEINEM HERZEN 16:00 DIE SCHROTTJÄGER 16:45 TIERISCHE KUMPEL 16:55 DER KIMONO

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13:00 ZDF-MITTAGSMAGAZIN 13:00 ZDF-MITTAGSMAGAZIN 13:05 BIANCA - WEGE ZUM GLÜCK 13:45 ALISA - FOLGE DEINEM HERZE 13:00 MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE 13:50 ALLES GUTE!

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19:20 DAS QUIZ MIT JÖRG PILAWA 19:45 WISSEN VOR 8 19:50 DAS WETTER IM ERSTEN 19:52 GESICHTER OLYMPIAS 19:55 BÖRSE IM ERSTEN 19:00 HEUTE 19:20 WETTER 19:25 KÜSTENWACHE GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFT 19:00 BIS ZUR LETZTEN SEKUNDE 19:30 PLAN B 19:00 ARTE JOURNAL 19:30 DAS JAHR DER WILDNIS

18:00 VERBOTENE LIEBE 18:25 MARIENHOF 18:50 DAS DUELL IM ERSTEN 18:00 SOKO WISMARBRENNERS FRAU 18:50 LOTTO ZIEHUNG AM MITTWOCH 18:15 TRAUMLAND KANADA 18:10 MIT SCHIRM, CHARME UNDMELO


BLINDHEIT

marc siemons

DIE NEGATION

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st es wirklich Negation, auf die es kulturell und politisch heute ankommt? Wenn man unter Negation nicht einfach Kritik an konkreten Positionen und Akteuren verstehen will, sondern eine Geste umfassender Verneinung: Dann handelt es sich da um eine Kategorie, die offenkundig in der kulturellen Binnenwelt geboren und nur aus dieser heraus zu verstehen ist – ein Versuch, die unmittelbar bedrängende, Ansprüche stellende, einengende Umgebung zu überschreiten. Wenn dies so ist, dann steht nicht Negation heute an, sondern Negation der Negation, genauer gesagt: eine Überschreitung jener allgegenwärtigen Affirmation, die sich mit Formeln der Negation tarnt und von der Außenwelt abschottet. Denn welcher Art ist das Elend derzeitiger Affirmation, gegen das sich eine Negation hierzulande definieren könnte? Das Einverstandensein, das die gegenwärtige Kultur von der Werbung bis zum Theater durchdringt, ist vom Einverstandensein früherer Zeiten sehr verschieden. Sein Medium ist nicht dumpfe, blindwütige Ideologie, sondern ein Augenzwinkern, das zweierlei signa-

MARC SIEMONS


SELF DISPLAY

lisiert: Erstens, dass man die Verhältnisse in ihrer Fetisch- und Entfremdungsstruktur sehr wohl durchschaut, und zweitens, dass man dennoch mitspielt. Die Affirmation heute ist nicht naiv, sondern fatalistisch eigenartigerweise gleichzeitig auch noch fröhlich, also: fröhlich-fatalistisch. Worauf beruht der Fatalismus und worauf die Fröhlichkeit? Jene kulturtragenden Schichten, denen Begriffe wie Negation etwas bedeuten und die in den vielen Foren, Projekten und Inszenierungen einer Stadt wie Berlin den Diskurs bestimmen, scheinen trotz der Verschlimmerung der allgemeinen ökonomischen und sozialen Lage, aufs Ganze gesehen, nicht unzufrieden zu sein mit ihrem Los. Die vorläufigen Endergebnisse der diversen Individualisierungsschübe, die der Westen durchlaufen hat, freuen sich ihres emanzipierten, vom ökonomischen Sektor noch halbwegs abgesicherten Daseins. So weit, so gut. Es handelt sich da um den Überrest einer Fundamentalkritik am kapitalistischen System und an der aus ihm hervorgegangenen Kultur, den die kulturtragenden Schichten als Erbe von ihren Vätern übernommen haben, und wie selbstverständlich prägt dieser Überrest die Muster, mit denen sie selber nun die Welt wahrnehmen und sie entsprechend darstellen. Die Art und Weise, wie Künste und politisches Engagement heute oft im fliegenden Wechsel ihre Zeichen tauschen, hängt mit diesem Erbe engzusammen. Denn der dialektische Blick auf die Welt, dem ja auch der Begriff der Negation entspringt, war nach Hegel und Marx durch eine enge Verflochtenheit von Geist und äußerer Realität geprägt: So konnte ein Gedanke oft schon als Realität gelten und jede Realität leicht als Gedanke durchgehen. Das war für Intellektuelle respektive Künstler ebenso attraktiv wie für machtpolitisch Interessierte. Dem politischen Akteur bot der Marxismus von Anfang an die Möglichkeit, sich auch als Künstler zu fühlen, der sein materialistisches Programm in eine idealistische Form gießt, die Welt mithin auf den Gedanken stellt, als eine Art Kunstprojekt neu entwirft. Und ebenso durfte der Künstler sich politisch verstehen, insofern es dieses Modell erlaubte, Bewusstsein, Werk und Staat fließend ineinander übergehen zu lassen.

Dieses Schillern zwischen Realität und Einbildung hat bedeutende Konsequenzen für die heutige Situation. Denn durch diese Ambivalenz konnte das Wahrnehmungsmodell der geerbten Kulturkritik überleben, obwohl zwei seiner entscheidenden Voraussetzungen entfielen: Zum einen ist an die Stelle der geschichtsphilosophischen Gewissheit, was die jetzt gegebenen Verhältnisse ablösen kann, gründliche Ratlosigkeit getreten zum anderen ist die politi-

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BLINDHEIT

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sche Selbstsicherheit, selber auf der anderen, der Macht abgekehrten Seite zu stehen, abgelöst worden durch eine abgründige Einsicht in die eigene sozioökonomische Verstrickung (es gibt kein Außen), Und doch blieb das Bewusstsein übrig: ein Pflicht-Code des Dazugehörens unter Leuten, die Adorno, Deleuze und deren Freunde vielleicht nicht gelesen haben, aber in der Atmosphäre ihrer Gedanken aufgewachsen sind. Man kokettiert mit der eigenen Anpassung, aus der es angeblich kein Entrinnen gibt, und demonstriert damit doch nur, dass man den Komment kennt. Der aufgeklärte Fatalismus, der da zur Schau gestellt wird, entspringt offensichtlich keiner vitalen Erfahrung, sondern bloß den Abstraktionen der Kulturkritik, die man als Bildungsgut mitschleppt – ein Konvolut von Zitaten, die immer neu kombiniert werden können und dabei allen Beteiligten ein Gefühl von Überlegenheit verschaffen. Zeige dein Bewusstsein und dann tu, was du willst: So ließe sich vielleicht die einschlägige Moral umschreiben. Es ist diese allgegenwärtige Praxis des Einverstandenseins mit adornitischem Antlitz, die einem den Atem nimmt. Die Affirmation, mit der wir es heute zu tun haben, ist, mit anderen Worten, von Zeichen der Negation durchsetzt. Alle denkbaren Einsprüche sind schon vorweggenommen und integriert und neutralisiert; an ihre Stelle tritt die Pose. Ihre Instrumente scheinen sich der Avantgarde zu verdanken, doch mittlerweile sind es die gleichen wie, die der Marketingabteilungen: Ironie, Verfremdung, Dekonstruktion. Der Fatalismus, der sich da äußert, hat in Wahrheit wenig mit politischen oder ökonomischen Zwängen zu tun. Er besteht im Unwillen, beim Jonglieren mit den allseits anerkannten Formeln der Kritik auch nur einen Gedanken zu Ende zu denken. Unter solchen Bedingungen wird das Erkennen blind, haben Kunst und Politik Mühe, auch nur einen Splitter der Realität zu fassen.

IMMER SIE

Das Einzige, was da zu helfen scheint, ist in der Tat: Negation – Negation der Negation, wenn man so will. Und zwar in eben dem Sinn, den Diedrich Diederichsen als Definition heutiger Negation angegeben hat: gezielte Kommunikationsverweigerung, ein Widerspruch, der keine Antwort mehr erwartet. Dieses universale Nein bricht radikal die endlosen Distinktionen

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im Bewusstsein auf, die den einzelnen und die Kultur als ganze doch nur umso auswegloser in die Verhältnisse einbindet, die sie zu kritisieren vorgeben. Die Frage freilich ist, wie es weitergeht. Mit einer radikalen Negation ohne Return Adress wäre gewiss ein Akt der Selbstachtung gesetzt. Doch wie lange könnte dieser sich erhalten, ohne seinerseits neutralisiert und aufgehoben zu werden? Hätte Negation keine andere Bedeutung als den Kommunikationsabbruch, so drohte sie nichts weiter als eine blinde Geste zu sein, unfähig, etwas anderes auszudrücken als ihre eigene Blindheit, durchaus verwandt mit der durch kritische Gesten bemäntelten Affirmation, von der sie sich absetzt. Diedrich Diederichsen hat gesagt, dass die Künste sich in einer paradoxen Wendung von der radikalen Negation, die bisher ihre Domäne war, abgewandt haben, während politische Milieus, die bislang eher konkret-realistisch agierten, neuerdings zur radikal negationistischen Geste Zuflucht nehmen. Vielleicht haben die Künste eben als erste erkannt, dass ihnen der pure Befreiungsschlag des universalen Nein nur für einen Moment nutzt, dass sie dann aber mit eben diesem Akt um so auswegloser in die Mechanik des Markts der Meinungen und Zeichen zurückfallen: Auch das Nein kann rasch zu einer Marke werden und ist dann schon wieder eingespeist in den Affirmationszusammenhang, aus dem es sich lösen wollte. In gewisser Weise hätten sich die Künste aus dem Bannkreis der Affirmation mit ihrem Nein gar nicht fortbewegt, wenn sie es versäumten, eine andere Welt zu erkennen und darzustellen, an die diese Affirmation nicht heranreicht. So aber holt die Blindheit der Negation die Künste, die sich mit ihrer Hilfe von der Blindheit der Affirmation befreien wollten, wieder entsprechend ein. Politisch engagierte Kreise können dagegen glauben, Blindheit sei für sie so lange kein Problem, als sie ihren eigentlichen Kern in der Kunst aufgehoben meinen. Aber auch das ist natürlich ein Missverständnis, weil da die Kunst wieder nur als Pose und Stil begriffen wird, nicht anders, als das Marketing dies tut.Die Frage, die sich einer langfristigen Negation der herrschenden Kultur der Negation heute stellt, ist also paradoxerweise: Wo bleibt das Positive? Etwas wird sichtbar, steht auf einer Brandmauer an der Lietzenburger Straße und benennt damit das Ziel: Wie kann überhaupt noch etwas sichtbar werden inmitten einer universalen Neutralisierungsmaschinerie, die mit ihren negationistischen Formeln jeglichen Wirklichkeitswiderstand gleich?

R FUER DA

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KAPITALISMUS UND DEPRESSION Alexanderverlag Berlin, 2002

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DER NEUE GEGNER IST DAS VERSCHWINDEN DES GEGNERS.

KÜNFTIGE ARCHÄOLOGEN WERDEN AUS DEN ZEICHEN, DIE SIE AN EINER KREUZBERGER HAUSWAND, OHLAUER STRASSE, VORFINDEN, EINE MENGE ÜBER UNSERE ZEIT ERFAHREN. SIE WERDEN AN DEN GRAFFITI DIE VERSCHIEDENEN SCHICHTEN ABLESEN, DIE DAS ALLGEMEINE BEWUSSTSEIN IN DEN VERGANGENEN JAHRZEHNTEN DURCHLAUFEN HAT.

MARK SIEMONS: VERZWEIFLUNG

AUS: KAPITALISMUS UND DEPRESSION BD. 1

WERDEN SIE ALS ERSTE SCHICHT ENTZIFFERN UND DARAUS ABLEITEN, DASS ES DAMALS NOCH DIE RÜCKENDECKUNG EINES SYSTEMS MIT EINER KOMPLETTEN EIGENEN SPRACHE GEGEBEN HABEN MUSS. AN DER ZWEITEN SCHICHT

RELATIV


VITAET! «

WIRKLICHE RÄTSEL WIRD IHNEN ERST DIE DRITTE SCHICHT AUFGEBEN,

DAS IST DIE SCHICHT UNSERER GEGENWART. DIE VERZWEIFLUNG HAT KEINEN ADRESSATEN MEHR.

IN DER ES HEISST:

»SCHEISS -

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A CTU A L I Z E 278


YO U R S E L F 279


MAN GLAUBT AM GI

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Chapter


T AM GIPFEL ZU SEIN. IPFEL WOVON?

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Der Versuch der Manifestation des Augenblicks. Der Rausch der Dinge kreist um sich selbst, sich selbst stetig erneuernd und sich selbst speisend.


da bist du,

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ist neu,


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Die Jagd Barbara Kruger

ist alles.

ist nichts, du willst es,

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du kaufst es, du vergisst es.


das 284

das

bist d ist ne ist al


Die Jagd Barbara Kruger

du, eu, das lles. du willst es, du kaufst es, du vergisst es.

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das ist nichts,


BLAUSÄURE

Fjodor Dostojewski

Das Beste im Leben ist die Blausäure Fürst Walkowskis Rat an einen jungen Dichter

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as ist denn kein Unsinn? »Kein Unsinn ist die Persönlichkeit, bin ich selbst. Alles ist für mich da, die ganze Welt ist für mich erschaffen.

Wissen Sie, mein Freund, ich glaube noch daran, da es sich auf der Welt gut leben läßt. Und das ist der allerbeste Glaube, denn ohne ihn kann man nicht einmal schlecht leben und müßte sich vergiften. Wie man sagt, hat irgend so ein Dummkopf das auch getan. Er hatte das Philosophieren so weit getrieben, daß er alles, aber auch alles negierte, selbst die Berechtigung aller normalen und natürlichen menschlichen Verpflichtungen, und so kam es dahin, daß ihm nichts mehr blieb; das a Resultat war gleich Null, und da verkündete er, das Beste im Leben sei die Blausäure. Das sei ein zweiter Hamlet, werden Sie sagen, daraus spreche unendliche Verzweiflung, kurz und gut etwas so Grandioses, wie es uns nicht einmal im Traum einfalle. Aber Sie sind ein Poet, ich hingegen nur ein einfacher Mensch, und darum behaupte ich, daß man die Sache unter einem ganz einfachen, praktischen Gesichtswinkel betrachten muß. Ich zum Beispiel habe mich schon längst FJODOR DOSTOJEWSKI

Zum Teufel mit der Philosophie! Buvons, mon cher!


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von allen Fesseln und sogar von allen Verpflichtungen befreit. Ich halte mich nur dann für verpflichtet, wenn mir das irgendwelchen Nutzen bringt. Sie können die Dinge natürlich nicht so ansehen; Ihre Füße sind gefesselt, und Ihr Geschmack ist krank. Sie sehnen sich nach einem Ideal, nach Tugenden. Ich bin ja gerne bereit, mein Freund, alles, was Sie wollen, zuzugeben; aber was soll ich denn Machen, wenn, ich ganz genau weiß, daß allen menschlichen Tugenden der größte Egoismus zugrunde liegt! Und je tugendhafter eine Sache ist, desto

größer ist der Egoismus. Liebe dich selbst! das ist die einzige Maxime, die ich gelten lasse. Das Leben ist ein Geschäft; werft euer Geld nicht zum Fenster heraus, aber bezahlt von mir aus für eine Gefälligkeit, und ihr erfüllt damit sämtliche Verpflichtungen eurem Nächsten gegenüber – das ist meine Moral, wenn Sie unbedingt wert darauf legen, wiewohl ich Ihnen gestehen muß, daß es meiner Meinung nach besser ist, seinem Nächsten nichts zu bezahlen, sondern ihn dahin zu bringen, daß er einem die Gefälligkeit umsonst erweist. Ideale habe ich nicht und will ich auch nicht haben; ich habe niemals Sehnsucht danach verspürt. Auch ohne Ideale läßt es sich ja so amüsant, so prächtig auf der Welt leben – und en somme bin ich froh, daß ich ohne Blausäure auskomme. Wäre ich nämlich tugendhafter so würde ich vielleicht nicht ohne sie auskommen, wie jener Dummkopf von Philosoph – ganz gewiß ein Deutscher. Nein! Im Leben gibt es noch so viel Schönes! Ich liebe Ansehen, Rang, ein gutes Hotel und hohen Einsatz beim Kartenspiel. (Ich spiele schrecklich gern Karten.) In allererster Linie jedoch die Frauen; und zwar jeglicher Art. Ich bin ja gerne bereit, mein Freund, alles, was Sie wollen, zuzugeben: Ich liebe sogar das heimliche, anrüchige Laster, ein bißchen ausgefallener und origineller, zur Abwechslung sogar mal mit etwas Schmutz. Hahaha! Wenn ich so Ihr Gesicht sehe – mit welcher Verachtung Sie mich jetzt anschauen!« »Da haben Sie recht«, erwiderte ich. »Nun, nehmen wir an, Sie hätten ebenfalls recht, so ist doch in jedem Falle ein bißchen Schmutz besser als Blausäure. Nicht wahr?« ACTUALIZE YOURSELF

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BLAUSÄURE

Wir hatten doch schon angefangen, von hübschen Mädchen zu reden...

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FJODOR DOSTOJEWSKI


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»Nein, da ist doch die Blausäure besser.« »Ich habe absichtlich gefragt: ‚Nicht wahr!‘, um mich an Ihrer Antwort zu weiden; ich kannte sie schon im voraus. Nein, mein Freund, wenn Sie ein wahrer Menschenfreund sind, wünschen Sie allen klugen Menschen den gleichen Geschmack, den ich habe, sogar mit ein bißchen Schmutz; sonst hat ja ein kluger Mensch bald nichts mehr auf der Welt zu suchen, und übrig bleiben nur noch die Dummköpfe. Wäre das ein Glück für sie! Gibt es

doch jetzt schon das Sprichwort: Die Dummen haben immer Glück. Und wissen Sie, es gibt nichts Angenehmeres, als mit Dummköpfen zusammenzuleben und ihnen immer beizupflichten – das ist recht vorteilhaft! Wundern Sie sich nicht, daß ich auf gewisse Vorurteile noch großen Wert lege, an bestimmten Konventionen festhalte und nach Ansehen und Einfluß trachte; ich sehe ja, daß ich in einer hohlen Gesellschaft lebe, aber einstweilen ist es in ihr noch wohlig warm, und so rede ich ihr nach dem Munde, tu so, als träte ich für sie ein, doch bei Gelegenheit bin ich der erste, der sie im Stich läßt. Ich kenne ja all eure neuen Ideen, obschon ich nie unter ihnen oder überhaupt unter etwas zu leiden hatte. Gewissensbisse habe ich mir niemals wegen etwas gemacht.

Ich bin mit allem einverstanden, wenn es mir nur gutgeht; die Zahl derer, die wie ich sind, ist Legion, und uns geht es wirklich gut. Mag alles auf der Welt zugrunde gehen, wir gehen niemals unter. Uns gibt es, seit die Welt besteht. Mag die ganze Welt versinken, wir kommen immer wieder an die Oberfläche. Apropos, schauen Sie doch nur einmal, wie vital Leute unseres Schlages sind. Wir sind doch beispielhaft, phänomenal zählebig. Ist Ihnen das noch nie aufgefallen? Die Natur selbst begünstigt uns also, hähähä! Ich will unbedingt neunzig Jahre alt werden. Der Tod ist mir ein Greuel, und ich habe Angst vor ihm. Weiß der Teufel, auf welche Weise man einmal sterben muß. Doch wozu davon sprechen! Dazu hat mich nur der Philosoph, der sich vergiftet hat, provoziert. Zum Teufel mit der Philosophie! Buvons, mon cher!

Wir hatten doch schon angefangen, von hübschen Mädchen zu reden...

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DAS SCHWINDELERREGENDE

Volksbühne Berlin Alexanderverlag Berlin, 2001

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FIRE OF DESIRE

Belk/ Ger/ Askegaard The Fire of Desire Some kind of consumer study. Taken from the Journal of Consumer Research.

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A

popular Spice Girls song a few years ago asked the listener to »Tell me what you want, what you really really want.«

We asked consumers in the U.S., Turkey, and Denmark to do just that. We were less interested in exactly what people wanted than in what it is like to passionately yearn for a particular consumer good and what it is like to get or not get the object of our desires. We were also interested in where these desires come from. Obviously marketing plays a role in stimulating our desires, but we also wanted to know how much of a role we ourselves play as consumers. We interviewed consumers in depth, had them describe desire in various fanciful ways, and talked to them about how desire differed from concepts like wants and needs. We asked people to tell stories, draw pictures, make collages from magazine clippings, and use metaphors like »If desire was a color, it would be…« in order to learn more about what it is like to fervently wish for something. In studying passionate consumer desires we focused on extraordinary longing for particular consumer goods, rather than the much more common conditions of merely being mildly attracted to something, having an idle wish, or unemotionally picking out a brand of an object that we may need, but don’t necessarily care about. In this sense we were not studying the vast majority of consumer purchases or potential future purchases. We were only concerned with that subset of our

consumption that involves fervent, hot, extreme longing. Most consumers belie-

ve that getting what we long for leads to happiness, satisfaction, and feelings of pleasure.

Both Oscar Wilde and George Bernard Shaw warned that getting what we wish for may be disappointing. We also find that obtaining what we desire is much less pleasurable than the excited state of desire itself. We conclude that this is

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because we have a desire for desire itself. We regard desire as a state of hopeful anxiety. To passionately desire something may also give us hope through imagining fulfilling this longing.

But when we realize our fondest desires, we often feel let down because we no longer experience the desire and hope that had occupied our imaginations. This helps account for why we find that consumers actively seek new things to desire. We cultivate the experience ACTUALIZE YOURSELF

Obtaining what we desire is less pleasurable than the state of desire itself


FIRE OF DESIRE

of new desires in order to once again feel the excited state of passionate desire. We also find

that while consumer desires are attached to specific consumer goods and services, the underlying benefit sought is not just the thing itself, but the respect, love, or admiration of other people.

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Two of the exercises we had people do were to imagine themselves swimming in a sea of desirable things and to tell a story about people pursuing an object of their desires. In both cases the descriptions were filled with other people. Whether these people were loved family members or just attractive others, the possession of the desired object was seen to bring interpersonal pleasures rather than simply personal pleasures. What are the implications of these findings for us as consumers? It is tempting to say that we may be better rewarded by nourishing consumer desires than by actually achieving them. But passionate longing is not likely to be sustained for very long when we regard the object as being unattainable. Another difficult to implement suggestion is that if longing for things is really longing for responses from other people who are important to us, we might cut out the consumption object and instead directly cultivate our relation with these people. That is, rather than long for having things, we might try more direct ways to cultivate better relations with others. We might stress doing and being rather than having. Consumer desire

is a passion born between consumption fantasies and social situational contexts. Consumer imaginations of and cravings for consumer goods not yet possessed can mesmerize and seem to promise magical meaning in life. The basic question underlying this inquiry is what the bases are for passionate consumption aspirations. We are interested in the role played by consumers, marketers, and culture in this process. How is it that consumers do not feel satisfated? If the consumer is not a victim of advertising and marketing but, rather, is an active agent, BELK/ GER/ ASKEGAARD

The desired object was seen to bring interpersonal pleasures


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how is it that consumers cannot have enough? And, most significantly, how do all these factors come together to account for a seemingly endless procession of consumer desires?

believe desire to be of a similar nature.

Desire, then, directly addresses the interplay of society and individual, of bodily passions and mental reflection. With the risk of oversimplifying a set of complex notions. Desire, then, only comes alive in a social context. Castoriadis (1975) refers to the imaginary as the fundamental ability to see in things something that they are not. But he also underlines that the imaginary cannot exist without the symbolic, that is, the social template for the imagination. We

hope for a good harvest with a sacrifice to the gods in order to secure such an outcome, or the hope for a wonderful quality of life made possible by realizing a dream of a second home by the sea. We take desire to be such passionate imagining. But such motivations and the schemes of action are always social, That is, they are shaped by, and expressed in, a given social context.

People are always able to produce imaginations of a good (or better) life, imaginations that motivate them to actions that attempt to flesh out that imagination. These may be oriented toward the

The phenomenon of consumer desire

O

ur findings are divided into two parts. We begin by describing the character of desire as felt by our informants and then turn to the process of consumer desire.

Embodied Passion

thirst, and dreamlike fantasies (Belk et al. 1996). When we desire, we visualize an exciting world of wonder, as accounts such as these reveal:

Desire is experienced by our informants as an intense and usually highly positive emotional state best characterized as passion. Collages from the projective Desire is a thundering feeling. Desire exercises depicting desire emphasize exotic and luxurious travel destinations, sexy and desirable people, couples dancing or embracing ardently, passionate activities such as bullfighting, and luscious and delicious foods and beverages. As is also characteristic of the metaphors elicited for desire, the collages emphasized lust, hunger,

is not something you daydream calmly about, it is something that makes you very alert—you can feel it all over your body (DK-M, 24). When I was 14–15, I saw two pairs of earrings while shopping for a gift for my sister. Both were replicas of old Greek coins. . . . I was excited. I had ACTUALIZE YOURSELF

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UST CAN’T GET

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always been fascinated by ancient Greece— from trips to ancient sites with my dad. I used to admire his knowledge and the white marble and the amazing sculptures. Now I was looking at the shop window with the same admiration. The earrings promised me antiquity. If I bought them, I’d be holding something from that world. I can’t remember for how long I stared at the shop window. . . . I had money, but buying the earrings meant not having money to buy the gift for my sister. I left the store. I walked for a while without seeing anything. I wanted those earrings, I had to have them, I had to hold them, and watch them again and again when I wanted.

Phrases such as »you can feel it all over your body,« »burning to buy,« and »I wanted this car so bad I could taste it« express bodily feelings. We can see in such accounts the interplay

of imagination and bodily feelings in fueling the fires of desire. Fires of desire is an image that

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emerged from projective metaphoric portraits of desire as a taste, smell, color, shape, texture, and sound. Common responses included red, passionate, and hot, as well as smooth, soft, silky, round, and fragrant. The same associations for the opposite of desire included bland, black, gray, angular, square, coarse, loud, sour, and rotten. Contrasting desire with want, informants told us that desire was far more intense, profound, and powerfully motivating and that it is unintentional, unplanned, illogical, and may be accompanied by mistakes and irrationality. Because desire has to do with fantasies,

it takes on a mystical, childlike, or enrapturing quality that is felt to be antithetical to reasoned calculation (Belk et al. 1997). Informants used phrases such as »I cannot live without,« »will die for,« »am obsessed with,« »dream about,« »cannot sleep thinking about,« and »am crazy about« the objects of their desires. Even though desire is an overwhelmingly positive emotion, it can also be unpleasant, as when it takes on an addictive character. Related to the BELK/ GER/ ASKEGAARD

Desire has to do with fantasies, it takes on a mystical, childlike quality


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them. Fantastic and heroic figures such as Batman, Peter Pan, Cinderella, and Robin Hood appear in collages along with references to mythological phenomena such as mysterious golden masks and Stonehenge. The anticipated transformation can be to the past, the future, or another place, all of which offer escape from present conditions.

addiction metaphor used by the informants were words such as »seized,« »captured,« »enslaved,« »stupefied,« and »bewildered.« Addiction involves a strong appetite, devotion, obsession, and dependence (Belk et al. 1996). Such appetitive craving points to another role of the senses, coupled with imagination, in constituting desire.

Desire for Otherness The passion of embodied emotion is intense because the desired object or experience promises a transformation, an altered state. For informants from all three cultures, a fundamental appeal of desires lies in the promise of escape or alterity. Themes of magic and mystery are replete in the projective results, pointing to the transformative power of desire and the desired object. Hence, desired objects are sometimes worshipped and the consumer is bewitched by

Every summer since I started walking, I have been vacationing in a summer house. Four years ago, this opportunity stopped, and I could no longer experience beach and sea (other summer houses are no good!). To compensate for this loss of beach life, I needed a substitute. I started to look around for a big aquarium with lots of water and many different kinds of fish. It would provide a hint of the real thing. Furthermore, I would arrange a corner with some plastic plants and a little sand to set the aquarium up in. Nobody understood my desire. »Crazy,« they said. My girlfriend also said »no.« I never acquired the aquarium, but I haven’t given up the idea. (DK-M, 46)

This is the type of longing identified by Stewart (1984) as nostalgia. As Holbrook (1993) found, nostalgia is often focused on life during adolescent years. In the context of consumer desire, this nostalgia focuses on a particular object of longing that encapsulates a remembered past that offers a dramatic contrast to the present. For other informants, the stimuli for nourishing desires for other times were movies and books. In each case the desire is to escape

to something far better, to a life diametrically opposed to the one currently being lived, to a condition of sacredness that transcends the profane present.

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FIRE OF DESIRE

The otherness of this experience is elaborated in such a way that it becomes the antidote to a dull, odious, or boring quotidian existence. Both otherness of the past and otherness of the future are resonant with McCracken’s (1988) concept of displaced meaning, in which values too fragile to stand up to our current life situations are vested in past or future images condensed into a sought-after consumer good or experience. In addition to the otherness of past or future time, the otherness of a place is also associated with certain objects of desire. These desires involve traveling to exotic places, living in other countries, enjoying the exciting nightlife of glamorous world cities, or just having a flat instead of living with parents.

Desire for Sociality Relationships. A characteristic of desire experiences that came through most clearly in several projective exercises is that desire is overwhelmingly

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underwritten by interpersonal responses from other people. For example, one exercise asked people to imagine themselves swimming in a sea of things that would bring them the greatest pleasure. The things most often envisioned were people, including family, friends, loved ones, and (for some men) nude women. The feelings that these others were seen to provide included being soothed, supported, excited, sexually aroused, and loved. In addition, anticipated feelings of joy, comfort, relaxation, harmony, warmth, tranquility, and nostalgia were reported. Fairy tales from projective exer-

cises also suggested that the object of desire often facilitates the creation and maintenance of social relationships with family and friends. In the collages, many pictures involved being and doing things with others, such as having beer, wine, and food with friends or family; doing BELK/ GER/ ASKEGAARD

Feelings of beeing soothed and supported, sexually aroused and loved


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sports; or traveling with people. These pictures were explained as depicting fun, sociability, and coziness, and as sharing exciting, enjoyable, and exotic experiences with others. It seems that

an underlying motivation behind even our most object-focused desires is having social relationships with other people and obtaining desired responses from other people. Many stories entail the desired object as a means of building friendships, relationships, and sociability, such as the following: When I was a kid, my parents and relatives took me to a nightclub. They all were drinking lemonade (the cheapest drink at the time) while watching the show. I wanted a glass too. . . . But it was [not] a lemonade that was my desire. My desire was having a lemonade with my family, while watching the show, just like everyone else. (TR-M, 60) Thus, desire, which is felt so internally, is ultimately social. The object of desire is hoped to facilitate social relations, joining with idealized others, and directing one’s social destiny. A similar goal is seen in the marker goods defining group membership, discussed by Douglas and Isherwood (1979), and in consumption objectifying sociability and relationships of love, discussed by Miller (1998).

Mimesis. Desire initiated by observing others’ consumption accords with Girard’s (1977) notion of mimetic desire. Peo-

ple emulate others either in order to be like them or to undo or reverse their envy of these others.

Over time, my desire to own a mountain bike greatly increased as my friends went on biking trips to Moab. Upon [their] returning from a threeday trip, I was invited to see slides and pictures they took on their trek through Slick Rock. . . . I found myself wanting to experience the same thrills and beauty I saw and heard about from my friends and my family. (US-F, 30) Not so long ago I desired a jacket, not just any jacket but a specific leather jacket. I needed it for special occasions, and it had to be a leather jacket. I think that was the case because everybody else wore those, and they looked really good. That is why I also had to have one. (DK-F, 22)

As can be seen here, these objects of desire are sought in order to be and feel like one of the others, not for the object per se, the leather jacket, bike, or rubber boots. So we find that the desire for things is most often social, whether in the sense of inclusion, sociability, or mimesis. However, the social can also be displeasing and painfully restrictive, whether these restrictions involve imposed norms and societal constraints or the internalized constraints of selfcontrol, as the next section reveals.

Danger and Immorality The rebellious, unbounded, dangerous aspect of desire was more evident in the projectives than in the interviews and journals. This is itself indicative of the deep tensions involved. Even luscious foods and chocolate in the collages were seen by female informants to be shaded with danger and immoraACTUALIZE YOURSELF

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JUST CAN’T


GET

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lity as they are antithetical to social norms of self-control. Desire is countered by concern with

The deep longing

the physically dangerous, as in the case of unhealthy practices or addictive habits, or the socially

for courting

dangerous, as shown in fears others will see us as indulgent, weak, immoral, or bad if we pursue these desires. However, the social can also be displeasing and painfully restrictive, whether these restrictions involve imposed norms. The danger in the uncontrollability of desire is evident most clearly in a number of Danish informants’ use of wildlife imagery and dangerous animals.

danger, for

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This points to desire as a transporter of disorder to the normal cultural order, but which, if socialized and brought under control, loses its intensity and allure. In Jungian terms, the danger is the uncontrolled animus, regardless of whether it is reported by men or women in our study. One collage featured a lion, another both a lion and a shark. These animals, along BELK/ GER/ ASKEGAARD

the exciting and dangerous


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with other demonic references, such as the mask depicted refer to the wild and demonic-simultaneously threatening and fascinating aspects of desire. Desire here is seen as an element of the human animality, a precultural force. Control of desire is felt to be impossible because desire is seen as inherently wild and beyond control. Desire,

then, is about the impossible search for control over the uncontrollable. As explained by one informant, talking about his collage:

The texts symbolize the conflict between the animality of desire and human rationality. The phrase »obey your come« plays on the impossibility of following desire in the human world. Do as you please although I know you can’t. (DKM, 25)

In this collage, there is also a reference to scorpions, interpreted as »predators you cannot trust.« The maker of another collage said that desire ultimately is the urge to »tame the untameable,« as illustrated by the animal trainer trying to make the woman jump through the ring of fire. This points to desire as a transporter of disorder to the normal cultural order, but which, if socialized and brought under control, loses its intensity and allure. In Jungian terms, the

danger is the uncontrolled animus, regardless of whether it is reported by men or women in our study. We can see, in elements of transgression. Transgres-

sing boundaries is itself found to be freeing and desirable, as with images James Dean (»the rebel«) and a woman in a black coat (»extraordinary and rebellious«) in Turkish collages. An image of Rembrandt’s Anatomy Lesson was explained as »desires and passions driving people to do forbidden things, rebelling against all authority, risking their lives.« The deep longing for courting danger is also underlined by some of the desire antonyms given, including tedium, blandness, and sameness. Such tedium was labeled »frogging« by one informant: I live a proper life during the week, like normal people. I want a crazy life on the weekend. It is like, during the week, you live among the frogs. They think you are a frog too. But come weekend, you are a prince. Going to discos, techno, we have fun till morning. Different clothes, different lifestyle. You have to abide by society’s norms and rules not to be excluded. The crazy nightlife breaks that monotony. To have a more dynamic life, I have to make more money. This means working more, more frogging. It was costly to have such a nightlife, [and] I started to work more to break that barrier. (TR-M, 24)

Like others who spend their weekends at raves, this man pursues his desire for the exciting and dangerous »crazy nightlife« to feel free, alive, and active. This may be seen as achieving a different sort of balance through oppo-

sing extremes rather than through a bland middle ground. ACTUALIZE YOURSELF

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FIRE OF DESIRE

Distance and Inaccessibility Desire is also enhanced by the difficulty or improbability of obtaining the desired object, unless the object comes to be regarded as impossible to obtain or beyond any realistic hope. As expressed by one Dane: ÂťHow can I desire what I can just go and buyÂŤ (DK-M-27).

Contrasting with the struggle for self-control, the struggle here is to obtain the object. Here a victory consists in acquiring rather than forgoing the desired object. For several Danish informants, this was seen as the defining characteristic of desire. The following is an example:

How can I desire what I can just go and buy?

318 Desire, if you talk about desire for things or something else, it is often things that you cannot easily get. That is probably why it comes into being, that particular game, the unattainable and the longing. (DK-F, 25)

BELK/ GER/ ASKEGAARD


SELF DISPLAY

The Cycle of Desire

A

lthough desire is experienced as an emotion focused on a certain object, it is also seen as a process during which emotions change, especially with the realization of desires.

The initial course of the cycle of desire instance, by media. The process of enis seen as involving self-seductive ima- hancing emotions through imaginative gination and active cultivation of desire. elaboration often includes rehearsing Desire is cultivated and kept alive until the object is acquired or until it becomes clear that it is beyond hope, that it will never be acquired.

Self-Seduction The phenomenon of desire originates from and is perpetuated in the imagination, even if it seems that the thing desired has some magical ability to arouse these feelings in and of itself. Engulfed in our desires, we dwell on the objects we crave and, in so doing, elaborate and intensify our feelings. If the object of longing were sexual, this would be autoeroticism. We find a similar auto-

eroticism involving self-stimulation of desire for consumer goods. Belk (2001) also finds such self-seduction in the use of special interest magazines, with one informant directly comparing his eager search for new objects to desire within his special interest area (outdoor gear) to pornography. Many of our informants’ references to particular mediated imagery, such as Singles, likewise show how the fantasies cultivated are not autonomous creations but, instead, are socially inspired, for

what it will be like to obtain the object of desire. In the following account of desire for a fishing trip on the Madison River, the elaboration fueling the state of anticipation draws on media presentations and stories by mentors, as well as preparatory acquisitions. I was 10 or 11 years old and was going on a vacation to Montana to fish in the Madison River with my father and family. I remember the feelings that I had when my father told me that the fish were large and plentiful, and if a fisherman knew how to fish, one could surely catch a trophy. I began to envision myself catching a large fish and proving my »masculinity.« The young age made me believe that I had to prove myself in the »wilderness« if I were to truly become a man. There is no doubt that the Davy Crockett television episodes were a major contributor to this preadolescent fantasy. I began to purchase Outdoor Life magazines and spend all of my free time looking at the fishing stories. On Saturdays my father and I would take a trip to the sporting goods section of a local hardware store and purchase ACTUALIZE YOURSELF

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OUGH ENOUG OUGH 320


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fishing equipment. The experience was great! I also began to buy or collect clothing that was fitting of a »true fisherman.« A cousin loaned me his leather cowhide jacket, with long fringed leather arms and cuffs. My fishing pole was stored neatly behind my highly prized tackle box and fishing net. I was more than ready to go. When we arrived at the camping spot, I was delirious with excitement. We camped not far from the river, and I helped set up the camping tents. That evening would be my first encounter with the »Great Montana River,« I told myself. . . . All the stories that I had heard and all the stories that I had read suggested that fish would »jump into your arms« if you had the right equipment. (USM, 28)

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fishing experience). This is not merely the consumer complicity in seduction by marketers that Deighton and Grayson (1995) describe. The consumer’s

The adult now telling this tale of childhood desire recognizes that becoming an accomplished fisherman was a rite of passage that he had considerably enhanced with images from specialty magazines, TV, and western mythology. But far from being a passive victim of desire, he was an active participant who nourished and inflamed his own role in self-seduction is considerably more active than this. The social object seduces us (Baudrillard), but we want to be seduced, and we play an active role in the seduction. However much it may seem to beckon, some consumers, like the would-be fisherman, implicitly or explicitly recognize that they have generated some of the allure of the object. passion. Building expectations and exci-

Longing

tement by rehearsing what it will be like to obtain the object of desire rests on fanta- When desire is realized, it is quelled, if sizing about the sensory as well as the social (e.g., becoming a man through a BELK/ GER/ ASKEGAARD

only until another focal object of longing is found.


SELF DISPLAY

What I wanted the most for the last three years was an apartment. My desperation grew and grew. A daily life with a peace of mind until the next exigency appears. Then, when [I] finally found the perfect apartment, things couldn’t go fast enough. I could finally sleep a whole night through without speculating about this, but now I used a lot of time speculating on how to decorate it. It had to be perfect. And it became almost perfect. I calmed down inside myself and things started to get back into the usual routines, daily life reappeared. A daily life with a peace of mind until the next exigency appears. (DK-F, 25)

In each case, the cycle of desire is seen to follow an inevitable course: desire-acquisition-reformulation of desire, ad infinitum. Once

the desired object is possessed, it loses its ability to remain an object of desire. If there is joy in

The object seduces us, but we want to be seduced

realizing a desire, it is short-lived and transforms itself into routine, boredom, or even negative feelings about the oncebeloved object. Disillusioned consumers seldom seem to learn, and once achieved, desire is commonly refocused on some new desideratum. This is similar to Campbell’s (1987) »spirit of modern consumerism« that dooms us to a perpetual, but ultimately fruitless, quest for consumption euphoria. For some experiences, however, desire can be recycled. In the »frogging« story above, the desirable nightlife is longed for every weekday and repeated every weekend. Similarly, in going skiing, dining at a favorite restaurant, or making love to the beloved again and again, the renewable experience remains an object of renewable desire. The same applies to cigarettes and other addictive objects. This finding provides a twist on the cycle of desire and differentiates it from Campbell’s (1987) notion. Here the desire remains because of its satisfaction and the wish to repeat this satisfaction, rather than because of any disappointment with the object of desire. If the object of longing were sexual, this would be autoeroticism.Thus, the realization ACTUALIZE YOURSELF

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FIRE OF DESIRE

of desire can lead to either a boredominitiated cycle of desire focused on a new object or a fulfillment-initiated attempt to recycle desire in order to repeat these pleasures.

Processes Sustaining Whether the realization of desires leads to a cycling or recycling of desire, the reinitiation of desire appears to involve a basic desire to desire. Still, there remains a conundrum. If we harbor a desire for desire, it might seem that indefinite postponement of desire fulfillment could allow us to remain in this pleasurable condition. You see, the question is whether you actually get this feeling or whether it has all been a dream, and when it is realized, it is not as fantastic as you thought it would be. Perhaps those dreams should never be realized and should never come true. (DK-F, 26)

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For many years I wanted to have a tape recorder, but that was a dream. Last year, on my birthday, my mom gave me one as a surprise. But it was so strange. I had wished for it constantly, and now it was in my hands. But, it no longer meant anything. I mean, desiring it was much better. (TR-F, 25)

Here we see the importance of distance and lack of control (having = controlling) for sustaining desire. For it shows how we are still enchanted and desire to be enchanted, despite the jading that occurs in a culture of abundance, and it provides glimpses of the restless energy with which most of us pursue the development of our consumption possibilities. Our finding that, in conBELK/ GER/ ASKEGAARD

sumer societies, consumer desires.We do find that consumers experience a desire for desire and regard its absence as tantamount to death. But although the largely positive state of desire can be prolonged for a time by delaying its realization, we also see that, if delayed indefinitely, the accompanying state of hope is likely to fade.

Fear of Being without Desire. The desire to desire is sustained by fears of being without desire, as suggested by projective responses envisioning the absence of desire. One projective task involved sketching what two sculptures entitled »Desire« and »Not Desire« might be like. Whereas »Desire« was characterized as round, smooth, and harmonious, »Not Desire« was confused, angular, and harsh appearing. Drawings of »Not Desire« included depictions such as a graveyard; boarding a ship and leaving loved ones behind; people crawling to polluted factories; a dark, dirty alley with poor, dirty people and trash bins; and a man doing push-ups with a gun pointed at his head. Similarly, antonyms elicited for desire included both negative terms (e.g., hatred, loathing, fear, disgust) and terms depicting emptiness (e.g., death, dullness, apathy, indifference, laziness, hopelessness). Another informant found a similar blandness in his portrait of life without the extremes of desire: That would be a robot who gets up in the morning, shaves, and goes to work, who smiles, and who plays badminton every Tuesday afternoon at four. And


SELF DISPLAY

who goes home, watches television, and talks to his/her friends about things that have not happened while they are trying to make it sound funny even though it is not. It is a kind of solitude that you are not even aware of. That must be the worst of all. (DKM, 23)

Informants also described someone’s feelings before, during, and after getting something they strongly desired. The descriptions of states

after obtaining the object of desire were to a large extent nonpositive. To desire is to envision a transformed and ideal self. Accordingly, to the modern subject, who is often described as rest-

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To be without desire is seen as being a state of hopelessness

less, to be without desire is seen as being a state of hopelessness tantamount to death. This included negative feelings from disappointment with the object or its maintenance (let down, burdened, worried, unappreciative, jealous, remorseful, anxious, scared, fearful of loss) as well as feelings of emptiness due to the disappearance of the hopeful state that preceded ACTUALIZE YOURSELF


FIRE OF DESIRE

acquisition (bored, frustrated, discour aged, unsure, without goals, confused, lazy, empty, without interest, indifferent). In the case of intangibles, these feelings were more positive (craving and longing for the next incident, affection, appreciation, adoration, admiration) due to the hopeful anticipation of the next encounter. Clearly, the positive, if dangerous, emotion of desire is felt as more positive in its anticipation than in its realization or its aftermath, contrary to utilitarian and need-based views. What the images of the absence of

desire suggest most is that to be without desire is to be without hope. To desire and to have some likelihood of achieving this desire is to hope for an ideal object. To desire is to envision a transformed and ideal self. Accordingly, to the modern subject, who is often described as restless, to be without desire is seen as being a state of hopelessness tantamount to death.

That is, underwriting the desire for desire is the hope for hope.Without the hope of obtaining the focal object, desires dissolve into mere wishes or impossible fantasies. They remain alluring but are hard to sustain as fervently as desires that are coupled with a hope of achieving and containing them. With hope, a central construct in both antiquity (e.g., Pandora’s Box) and Christian tradition, we also edge closer to a motivational understanding of desire. Because hope relates to the chance for success in realizing a desire (Stotland), there may be an opportunity to increase hopefulness

by making desire realization a goal and working toward achieving this goal. Such work could entail, as our informants

Hope. 332

Desire coupled with the chance for realizing a desire creates a state of hope that is itself pleasurable. When there appears to be little or no chance of realizing a desire, the resulting state of hopelessness is one that is negative: the person is forlorn, depressed, desolate, despairing, let down, discouraged, disappointed, resigned, hurt, or bitter, depending in part on whether the reason the desire is frustrated or denied is internal or external and whether it is seen to be the result of chance, someone else’s intentional or unintentional actions, or some failing on the part of the person who harbors the desire. It appears to be the positive nature of hope that leads to a desire for desire. BELK/ GER/ ASKEGAARD

discussed, earning money, saving money, devoting time, sacrificing by forgoing other things, persuading others who are blocking the realization of a


SELF DISPLAY

Hope: a central contruct in both antiquity and Christian tradition but also in our motivation

desire, preparing ourselves for attaining the object, being patient, and being worthy and deserving, depending on the cultural context, the subject, and the object. That is, we work to achieve desires by exploring ways to make the distant object more accessible. Hope and desire remain two distinct, but related, states. Desire is the emotional attraction to some object, but hope is the felt possibility or likelihood of achieving a desire. The cycle of desire is thus accelerated by the desire to desire, the hope for hope, and the fear of being without desire. Realization of

desire results in reinitiation of the cycle of consumer desire, focused on some new object. This cycle of desire is depicted on page XXX. The cycle depicted is further animated by the tensions of seduction and morality, to which we now turn.

Discussions and conclusions Consumer desire is overwhelmingly felt to be a powerful emotion, overshadowing other motivational constructs usually referenced in consumer research, such as wants. It is also primarily positive, although our informants generally recognize the delicate balance between pursuing one’s desires and transgressing internalized limitations on what is appropriate social behavior. Desire, like fire, is a wonderful servant but a horrifying master. Likewise, our informants are generally aware that the satisfaction of desire is far from guaranteed and the journey is often better than the arrival. This is the micro desire of the figure on page XXX. We now turn to a more macro, societal, view of desire. Underlying the manifest focus on specific objects is the desire for social relations and particular reactions from valued others and for becoming an entirely different person. Thus, either explicitly or implicitly, ACTUALIZE YOURSELF

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FIRE OF DESIRE

our informants suggest that the objects that transfix them are hoped to be conduits to, rather than surrogates for,

love, respect, recognition, status, security, escape, or attractiveness. These are the social relations we desire, consciously or subconsciously, beneath the objects that we find so compelling. The value of the objects that we focus our longing upon inheres less in the object or in a Lacanian search for childhood love than in the culture. The hope for hope that an altered state of being may result keeps the cycle of desire moving.

Our informants see themselves pursuing projects that will make their lives worth living. They passionately seek joy, happiness, bliss, and something infinitely better than they now have. Their desires are profoundly sensual and corporeal experiences akin to physiological cravings. For their desires are embodied mental and physical in the same old way.

Desires are nurtured by self-embellished fantasies of a wholly different self, and

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they may be stimulated by external sources, including advertising, retail displays, films, television programs, stories told by other people, and the consumption behavior of real or imaginary others. But we find that the person who feels strong desire has almost always actively stimulated this desire by attending, seeking out, entertaining, and embellishing such images. The desires that occupy us are vivid and riveting fantasies that we participate in nurturing, growing, and pursuing, through self-seduction. In seeking out and clinging to our consumer desires, the inherently impractical and passionate longing for an altered state of being, fused with conflicting emotions and dangers, is fundamentally different from the more logical and mechanistic view envisioned by homeostatic models of need satisfaction as deficit reduction, as well as different from a false versus true needs dichotomy or a necessity-luxury dichotomy. Nor is it simply variety seeking in pursuit of some optimal level of stimulation and arousal. Desires are at once more profound and more fanciful than this. BELK/ GER/ ASKEGAARD

Whether the object of desire is a pair of shoes, a dream house, or a trip to Paris, we seem quite capable of investing considerable meaning and emotion in our images of these objects. The perpetually renewed state of desire is exciting, dangerous, tempting, promising, delicious, and compelling. Our fear of being without desire reveals our attachment to the state more than to the outcome of desire. To desire is to live, to hope, to be alive. With imagery co-shaped by capitalistic markets and consumerist ideologies, much of our consumer behavior appears better characterized as the pursuit not only of

desired objects, but of desire itself.

Seduction Seduction, including self-seduction, is a key part of the motivating force of desire. As noted by Baudrillard (1979, pp. 134–135), The seducer, does he


SELF DISPLAY

not end up by getting lost himself in his own strategy like in a labyrinth of passions? Does he not invent it to get lost?« This image of getting lost in a labyrinth of passions parallels our discussion of control. Even though desire may include a yearning for control (of the objects of desire), we also, like Baudrillard’s seducer, want to lose control to our desires. Nevertheless, we are not apt to recognize that we are our own seducers. Instead, as evident in informant accounts, through the mediated imagery of advertising, media, and other cultural intermediaries co-shaping our sensations and imaginations, we externalize the power of desire as residing in the object itself, employing Falk’s (1994) strategy for justifying our desires by framing the object’s attractiveness as irresistible. This is more akin to the interpersonal model of romantic love discussed by Ahuvia (1992) and Belk and Coon (1993), except that, rather than a human lover, the romantic other is the consumer good. So, too, as Sontag (1979, p. 44) observes, is the desire to desire a reflection of romanticism. Not only do we lose control but we also abandon ourselves to the romanticized object of our longing. If we find love at first sight, the inanimate object we imagine to call out to us for affection, purchase, and possession may result in impulse purchasing (Rook). But our desire for desire and hope for hope may result in a different consumer state where we relish the unfulfilled, but achievable, longing.

Culture and the Socialization of Desire

infinitely better

Our data imply that, on one hand, the vitality and pleasure of desire rest on breaking the order, monotony, routines, limits, and rules, but on the other hand, self-control, moral conduct, sociality, and mimesis are themselves desirable. With global capitalism and its ideology

than they have

of consumerism, the human potential of desire (for otherness, danger and morality, and socia-

The escape to something

ACTUALIZE YOURSELF

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FIRE OF DESIRE

bility, hope to hope, desire to desire) is Our imaginations do the rest. However, likely to be channeled onto objects of to be able to pursue a desire, and soconsumption. The connections to wi- metimes even to feel it and conceive der techniques of domination such as market capitalism and its institutions and discourses of modernity, capitalism, individuality, and independence, propagated by capitalism’s tools such as marketing, advertising, and media are not difficult to see in the discourses of the informants. On the other hand, desire to desire and paradoxes between seduction and morality not only keep

of it as a desire, we must feel that we have the right and justification to do so, implying a modern subjectivity.

the consumer alive, but, in turn, also keep consumer cultures and consumerist ideologies alive. The consumer is no mere pawn, either in the web of seduction or in the web of social relations. Through the desire to desire, we allow and prepare our self to be seduced. We need only make ourselves accessible and open to becoming enchanted by the abundant promises of the marketplace.

of abundance, and it provides glimpses of the restless energy with which most of us pursue the development of our consumption possibilities. Our finding that, in consumer societies, consumer desires.We do find that consumers experience a desire for desire and regard its absence as tantamount to death. To desire is to feel vitally alive and hold back the void of death. Our desire for Otherness may be seen as a quest for

However, the experience of passionately desiring such objects is critically informative for the study of consumption. For it shows how we are still enchanted and desire to be enchanted, despite the jading that occurs in a culture

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BELK/ GER/ ASKEGAARD


SELF DISPLAY

transcendent sacredness.Desire is not the ex-

perience but the longing, the search for magic; although magical experience generates a transformation, desire is an aspiration for transformation. Once such desire is fixed on an object, everything else fades in importance, and the ardor and object of our desire transfixes us. We have hope and purpose in life. We are vital, alive, and invigorated.We have auto-aroused ourselves to a state of near rapture. If, as seems plausible in a consumer society, consumers now attach their major sources of hope to acquiring desired consumption objects, we might ask about the status of alternative sources of hope that do not involve consumer desire and their links to consumption. What is the relationship between work achievements and our consumption achievements, beyond the income that ties the two? Does religion as a source of hope and meaning present itself as an alternative or an extension of consumer society? How does desire negotiate the relation between having and being? And if an internal

To desire is to

focus on character as a source of identity is a thing of the past, can we now look only externally for meaning and hope?

feel vitally alive 343

and to hold back the void of death

THE FIRE OF DESIRE

A multisited inquiry into Consumer Passion The Journal of Consumer Research, Volume 30, No 3 ACTUALIZE YOURSELF


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Figure: The Cycle of Desire

L

ikewise our informants are generally aware that the satisfaction of desire is far from guaranteed and the journey is often better than the arrival. This is the micro desire of this figure.

seduction Seduction, including self-seduction, is a key part of the motivating force of desire. As noted by Baudrillard (1979, pp. 134–135), »The seducer, does he not end up by getting

lost himself in his own strategy like in a labyrinth of passions? Does he not invent it to get lost?« This image of getting lost

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in a labyrinth of passions parallels our discussion of control. Even though desire may include a yearning for control (of the objects of desire), we also, like Baudrillard’s seducer, want to lose control to our desires. Nevertheless, we are not apt to recognize that we are our own seducers. Instead, as evident in informant accounts, through the mediated imagery of advertising, media, and other cultural intermediaries co-shaping our sensations and imaginations, we externalize the power of desire as residing in the object itself, employing Falk’s (1994) strategy for justifying our desires by framing the object’s attractiveness as irresistible. This is more akin to the interpersonal model of romantic love discussed by Ahuvia (1992) and Belk and Coon (1993), except that, rather than a human lover, the romantic other is the consumer good. So, too, as Sontag (1979, p. 44) observes, is the desire to desire a reflection of romanticism. Not only do we lose control but we also abandon ourselves to the romanticized object of our longing. If we find love at first sight, the inanimate object we imagine to call out to us for affection, purchase, and possession may result in impulse purchasing (Rook).

cultural

socializat of desire

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 I don’t want realism.

die Blanche aus

Endstation Sehnsucht Tenesse Williams

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Endstation Sehnsucht Tenesse Williams

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I tell what ought to be truth. I do misrepresent things. I don’t tell truths. «

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BLAUSÄURE

Johann Wolfgang v. Goethe

Die Leiden des jungen Werther

D 356

Am 22. Mai ass das Leben des Menschen nur ein Traum sei, ist manchem schon so vorgekommen und auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum. Wenn ich die Einschränkung

ansehe, in welcher die tätigen und forschenden Kräfte des Menschen eingesperrt sind; wenn ich sehe, wie alle Wirksamkeit dahinaus läuft, sich die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschaffen, die wieder keinen Zweck haben, als unsere arme Existenz. zu verlängern, und dann, dass alle Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschen nur eine träumende Resignation ist, da man sich die Wände, zwischen denen man gefangen sitzt, mit bunten Gestalten und lichten Aussichten bemalt - Das alles, Wilhelm, macht mich stumm. Ich kehre in mich selbst zurück, und finde eine Welt! Wieder mehr in Ahnung und dunkler Begier, als in Darstellung und lebendiger Kraft. Und da schwimmt alles vor meinen Sinnen und ich lächle dann so träumend weiter in die Welt. Dass die Kinder nicht wissen, warum sie wollen, darin sind alle hochgelahrten Schul- und Hofmeister einig; dass aber auch Erwachsene gleich Kindern auf diesem Erdboden herumtaumeln, und wie jene nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen,

FJODOR DOSTOJEWSKI

Am 22. Mai


SELF DISPLAY

ebenso wenig nach wahren Zwecken handeln, ebenso durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiser regiert werden: das will niemand gern glauben, und mich dünkt, man kann es mit Händen greifen. Ich gestehe dir gern, denn ich weiß, was du mir hierauf sagen möchtest, dass diejenigen die Glücklichsten sind, die gleich den Kindern in den Tag hinein leben, ihre Puppen herumschleppen, aus- und anziehen, und mit großem Respekt um die Schublade umherschleichen, wo Mama das Zuckerbrot hineingeschlossen hat, und wenn sie das gewünschte endlich erhaschen’es mit vollen Backen verzehren und rufen: Mehr! - Das sind glückliche Geschöpfe. Auch denen ist’s wohl, die ihren Lumpenbeschäftigungen oder wohl gar ihren Leidenschaften prächtige Titel geben, und sie dem Menschengeschlechte als Riesenoperationen zu dessen Heil und Wohlfahrt anschreiben. - Wohl dem, der so sein kann! Wer aber in seiner Demut erkennt, wo das alles hinausläuft, wer da sieht, wie artig jeder Bürger, dem es wohl ist, sein Gärtchen zum Paradiese zuzustutzen weiß, und wie unverdrossen dann doch auch der Unglückliche unter der Bürde seinen Weg fortkeucht, und alle gleich interessiert sind, das Licht dieser Sonne noch eine Minute länger zu sehn- ja der ist still, und bildet auch seine Welt aus sich selbst, und ist auch glücklich, weil er ein Mensch ist. Und dann, so eingeschränkt er ist, hält er doch

immer im Herzen das süße Gefühl der Freiheit, und dass er diesen Kerker verlassen kann, wann er will. 357

Am 21. Junius

Am 21. Junius Ich lebe so glückliche Tage, wie sie Gott seinen Heiligen ausspart; und mit mir mag werden was will, so darf ich nicht sagen, dass ich die Freuden, die reinsten Freuden des Lebens nicht genossen habe. Lieber Wilhelm, ich habe allerlei nachgedacht, über die Begier im Menschen, sich auszubreiten, neue Entdeckungen zu machen, herumzuschweifen; und dann wieder über den innern Trieb, sich der Einschränkung willig zu ergeben, in dem Gleise der Gewohnheit so hinzufahren, und sich weder um Rechts noch um Links zu bekümmern. Es ist wunderbar: wie ich hierherkam

ACTUALIZE YOURSELF


BLAUSÄURE

und vom Hügel in das schöne Tal schaute, wie es mich rings umher anzog. – Dort das Wäldchen! – Ach könntest du dich in seine Schatten mischen! – Dort die Spitze des Berges! – Ach könntest du von da die weite Gegend überschauen! – Die ineinander geketteten Hügel und vertraulichen Täler! – 0 könnte ich mich in ihnen verlieren! – Ich eilte hin, und kehrte zurück, und hatte nicht gefunden, was ich hoffte. 0 es ist mit der Ferne wie mit der Zukunft! Ein

großes dämmerndes Ganze ruht vor unserer Seele, unsere Empfindung verschwimmt darin wie unser Auge, und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen. – Und ach! wenn wir hinzueilen, wenn das Dort nun Hier wird, ist alles vor wie nach, und wir stehen in unserer Armut, in unserer Eingeschränktheit, und unsere Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale.

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So sehnt sich der unruhigste Vagabund zuletzt wieder nach seinem Vaterlande, und findet in seiner Hütte, an der Brust seiner Gattin, in dem Kreise seiner Kinder, in den Geschäften zu ihrer Erhaltung die Wonne, die er in der weiten Welt vergebens suchte. Es ist wunderbar: wie ich hierherkam und vom Hügel in das schöne Tal schaute, wie es mich rings umher anzog. – Dort das Wäldchen! – Ach könntest du dich in seine Schatten mischen! – Dort die Spitze des Berges! – Ach könntest du von da die weite Gegend überschauen! – Die ineinander geketteten Hügel und vertraulichen Täler! – 0 könnte ich mich in ihnen verlieren! – Ich eilte hin, und kehrte zurück, und hatte nicht gefunden, was ich hoffte. 0 es ist mit der Ferne wie mit der Zukunft! Ein großes dämmerndes Ganze ruht vor unserer Seele, unsere Empfindung verschwimmt darin wie unser Auge, und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne eines einzigen, großen, herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen. – Und ach! wenn wir hinzueilen, wenn das Dort nun Hier wird, ist alles vor wie nach, und wir stehen in unserer Armut, in unserer Eingeschränktheit, und unsere Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale. So sehnt sich der unruhigste Vagabund zuletzt wieder nach seinem Vaterlande, und findet in seiner Hütte, an der Brust seiner Gattin, in dem Kreise seiner Kinder, in den Geschäften zu ihrer Erhaltung die Wonne, die er in der weiten Welt vergebens suchte. Dass das Leben des Menschen nur ein Traum sei, ist manchem

schon so vorgekommen und auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum. Wenn ich die Einschränkung ansehe, in welcher die tätigen und forschenden Kräfte des Menschen eingesperrt sind; wenn ich sehe, wie alle Wirksamkeit dahinaus läuft, sich die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschaffen, die wieder keinen Zweck haben,

FJODOR DOSTOJEWSKI


SELF DISPLAY

als unsere arme Existenz. zu verlängern, und dann, dass alle Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschen nur eine träumende Resignation ist, da man sich die Wände, zwischen denen man gefangen sitzt, mit bunten Gestalten und lichten Aussichten bemalt - Das alles, Wilhelm, macht mich stumm. Ich kehre in mich selbst zurück, und finde eine Welt! Wieder mehr in Ahnung und dunkler Begier, als in Darstellung und lebendiger Kraft. Und da schwimmt alles vor meinen Sinnen und ich lächle dann so träumend weiter in die Welt.

Am 19. Juli

Am 19. Juli Dass die Kinder nicht wissen, warum sie wollen, darin sind alle hochgelahrten Schul- und Hofmeister einig; dass aber auch Erwachsene gleich Kindern auf diesem Erdboden herumtaumeln, und wie jene nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, ebenso wenig nach wahren Zwecken handeln, ebenso durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiser regiert werden: das will niemand gern glauben, und mich dünkt, man kann es mit Händen greifen. Ich gestehe dir gern, denn ich weiß, was du mir hierauf sagen möchtest, dass diejenigen die Glücklichsten sind, die gleich den Kindern in den Tag hinein leben, ihre Puppen herumschleppen, aus- und anziehen, und mit großem Respekt um die Schublade umherschleichen, wo Mama das Zuckerbrot hineingeschlossen hat, und wenn sie das gewünschte endlich erhaschen’es mit vollen Backen verzehren und rufen: Mehr! - Das sind glückliche Geschöpfe. Auch denen ist’s wohl, die ihren Lumpenbeschäftigungen oder wohl gar ihren Leidenschaften prächtige Titel geben, und sie dem Menschengeschlechte als Riesenoperationen zu dessen Heil und Wohlfahrt anschreiben. – Wohl dem, der so sein kann!

DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER

erschienen bei Reclam Ditzingen, 2001

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DIE VERWAHRLOSUNG.

Jeder ist für seine Wahrheiten selbst verantwortlich. Übergeordnete Wahrheiten und allgemeine Glaubensüberzeugungen erodieren in unserer Gesellschaft immer schneller und schneller und schneller, allenfalls das Geld behauptet noch die Dignität der alten Metaphysik. Es stellt sich die Frage, wieviel Lüge und Selbsttäuschung nötig sind, um das Desaster zu Ertragen, dessen Koordinaten Verwahrlosung und Lebensgier, Paranoia und Depression den Rahmen bilden. Es gibt keine Sicherheit und keine Erfüllung, haltbar ist nur die Sehnsucht und die Liebe, sofern sie unglücklich bleibt. »Glück ist, daran zu glauben, dass man Glück hat«. Die-

sem Prozeß der Verwahrlosung steht das Leben gegenüber. Die Wahrheiten schwinden, aber das Leben bleibt. Unser individuelles, zerbrechliches, für jede Bestimmung offene und einmalige Leben ist der Kern, um den sich alles dreht. Die Konsequenz der Verwahrlosung ist Lebensgier. Man stürzt sich ins Leben und will seinen Teil vom Kuchen. Den aber bekommt man nicht. Oder er ist zu klein. Was steckt dahinter? Die unerfüllte Sehnsucht nach einem erfüllten Leben ruft Paranoia hervor. Dunkle Machenschaften, Lüge und Manipulation, verhindern das richtige Leben. Irgendjemand, ein Mensch, eine Organisation, ein System hat es auf mich abgesehen


carl hegemann

und pfuscht in meinem Leben herum. Bei genauerem Hinsehen allerdings stellen wir fest: wir selbst sind schuld an dieser Misere. Denn in der »Neuen Ökonomie« und in den Zeiten der Verwahrlosung ist jeder für seine Wahrheit selbst verantwortlich, jeder sein eigener Unternehmer, frei und selbstbestimmt, von keiner höheren Wahrheit oder Lüge beschränkt. Wir sind es, die versagen, die nicht in der Lage sind, diese neue Freiheit zu nutzen. Andere schaffen es, und wenn es nur einer von Tausenden ist. Hier endet das Buch. Es versammelt höchst unterschiedliche Ansätze, die Situation, in der wir leben, zu erklären, in ihren

Ursprüngen, ihren Konsequenzen und ihrern Perspektiven. Ansätze, die die pathologischen Konsequenzen mit einbeziehen, die sich aus den gesellschaftlich bedingten neu-ökonomischen Zwängen ergeben. AUS: CARL HEGEMANN | ENDSTATION. SEHNSUCHT. KAPITALISMUS UND DEPRESSION BD. 1


ANHANG

INDEX

I N ORDE R OF AP P EARANCE

Bibliography Prologue

DEDICATE YOURSELF FJODOR DOSTOJEWSKI

Chapter 1

370

G ESAM M E LTE W E RKE (B ROSCH I E RT) Piper Verlag Berlin, 2008

FREE YOURSELF ERICH FROMM

HAB E N ODE R SE I N

die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft

Deutscher Taschenbuch Verlag Berlin, 2005

Chapter 2

EXPRESS YOURSELF JUDITH MAIR SILKE BECKER

FAKE FOR REAL

über die private und politische Taktik des So-Tun-Als-Ob

Campus Verlag Frankfurt/ New York, 2005

GUY MADDIN

MY W I N N I P EG

taken from the Motion Picture MyStorm, USA, 2007 RUDOLPH SOMMER

CONSU M E R’S M I N D

Psychologie des Verbrauchers

Dt Fachverlag Frankfurt am Main, 2007


SELF DISPLAY

HANS MAGNUS ENZENSBERGER

DE R AUG E NSCH E I N

aus: Zukunftsmusik

Suhrkamp Verlag Berlin, 1999

RICHARD SENNETT

V E RFALL U N D E N DE

des öffentlichen Lebens: Die Tyrannei der Intimität

Fischer Verlag Frankfurt am Main, 1990

Chapter 3

RECOGNIZE YOURSELF THEODOR W. ADORNO

E I NG RI FFE

neun kritische Modelle

Suhrkamp Verlag Berlin, 2003

MARCEL PROUST

AU F DE R SUCH E NACH DE R V E RLORE N E N Z E IT Suhrkamp Verlag Berlin, 2003

CHRISTIAN SCHEIER

W I E W E RB U NG W I RKT

Erkenntnisse im Neuromarketing

Rudolpf Haufe Verlag München, 2006

CHRISTIAN KRACHT

FASE RLAN D

Deutscher Tachenbuch Verlag München, 2002

371


ANHANG

INDEX

I N ORDE R OF AP P EARANCE

Bibliography

MARTIN LINDSTRÖM

B UY - OLOGY

How everything we believe about why we buy is wrong

Business Book London, 2008

DIRK VON LOWTZOW

I M ITATION E N

372

aus: Kapitulation

Vertigo Be (Universal) Berlin, 2007

TENESSE WILLIAMS

E N DSTATION SE H NSUCHT

neun kritische Modelle

Reclam Verlag München, 2006

HENRIK IBSEN

P E E R GYNT

Reclam Verlag Stuttgart, 1953

Chapter 4

CHALLENGE YOURSELF JA/ PANIK

ALLES H I N H I N H I N

aus: The Angst and the Money

Staatsakt (rough trade) Wien, 2009

DIEDRICH DIEDRICHSEN

RADICAL CH I C

Deutscher Tachenbuch Verlag München, 2002


SELF DISPLAY

RICHARD DAVID PRECHT

SE LBSTWAH L

Wie wir alle nur uns selbst w채hlen

erschienen in DER ZEIT vom 20.08.208

HERBERT MARCUSE

DE R E I N DI M E NSIONALE M E NSCH

eine soziologische Analyse im Brennpunkt

Luchterhand Berlin, 1964

MARC SIEMONS

DI E N EGATION

Alexanderverlag Berlin, 2002

MARC SIEMONS

V E RZ W E I FLU NG

Alexanderverlag Berlin, 2000

Chapter 5

aus: Kapitalismus und Depression Bd. 2

aus: Kapitalismus und Depression Bd. 1

ACTUALIZE YOURSELF JOHANN W. V. GOETHE

DI E LE I DE N DES J U NG E N W E RTH E R

Reclam Verlag Ditzingen, 2001

373


ANHANG

INDEX

I N ORDE R OF AP P EARANCE

Bibliography

FJODOR DOSTOJEWSKI

DAS B ESTE I M LE B E N IST DI E B LAUSÄU RE

aus: Das Schwindelerregende Volksbühne Berlin

Alexanderverlag Berlin, 2001

RUSSEL W. BELK GÜLIZ GER S. ASKEGAARD

TH E FI RE OF DESI RE

A multisited inquiry into Consumer Passion

Source: The Journal of Consumer Research, Volume 30, No. 3 (December 2003), pp. 326 - 351

Published by: The University of Chicago Press

CARL HEGEMANN

DI E V E R WAH RLOSU NG

aus: Endstation. Sehnsucht Kapitlismus und Depression Bd.1

Alexanderverlag Berlin, 2000

374

Epilogue

Picture Credits

P RADA, W RANG LE R, B ECKS, ARMAN I, H & M, YV ES SAI NT LAU RE NT, DIOR, CHAN E L, JOH N PAU L GAU LTI E R

Screenshots TV

COMMERCIALS


SELF DISPLAY

ADVERTISING

JOH N GALLIANO, GYV E NCHY, TOM FORD, DIOR, LE E, G UCCI

Screenshots Internet

www.dior.com www.gyvenchy.com www.johngalliano.com www.lee.com www.tomford.com www.gucci.com

BOOKS

TH EATE RI M P RESSION E N

aus: Peter Zadek - His Way. His Way

Henschel Verlag, Berlin, 2006

und: Robert Rauschenberg

Hatje Cantzl Verlag, Berlin, 2000

FILMS

TH E SADDEST M USIC I N TH E W ORLD

Guy Maddin

MyStorm, USA 2003

MY W I N N I P EG

Guy Maddin

MyStorm, USA 2007

NATU RAL BORN KI LLE RS

Oliver Stone

Warner, USA 1994

375


Impressum Self Display KONZEPT

MON IQU E V OIGT

DRUCK

DU NZ & W OLFF

20357 Hamburg

BINDUNG

KARE N B EG E MAN N

20357 Hamburg

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GESETZT IN

»Times lt Std«

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