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moritz mai 2006

nr. 56

das greifswalder studentenmagazin

Prosit Uni? Die Alma Mater und ihr Jubil채um Hochschulrektoren in Greifswald Nordischer Klang



editorial

Komm lieber Mai ... Endlich! Die Sehnsucht nach dem Frühling ist erfüllt. Vorbei sind die trüben Tage des Stubenhockens und die dicke Jacke kann für geraume Zeit wieder im Schrank verschwinden. Die linden Temperaturen ließen rasch zu Sonnenbrille und Picknickdecke greifen. Doch nicht allein in der Natur macht der Mai alles neu. Ein neuer moritz liegt in euren Händen! Was „EINFACH ANFANGEN“ mit dem Uni-Jubiläum und Weißrussland mit der Greifswalder Jahrestagung der Hochschulrektoren zu tun hat oder der Tapir wieder fabrizierte, erfahrt ihr auf den folgenden Seiten. Rätselfreunde haben wieder viel Spaß am Spiel. Doch schauen wir erst einmal, was da so am Ende dabei herauskommt. Es lohnt sich. Blättert doch bitte selbst! Habt viel Freude beim eifrigen Studieren. Und wenn euch die Muße küsst oder Anregungen unter den Fingernägeln brennen, so greift einfach zu Stift und Papier, ähm, schickt mir doch fix eine E-Mail. Denn Post erhalte ich gern.

Häufig ist die Diskussion geführt worden. Selten hat sie zu etwas geführt. Der Name „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ ist den einen ein Dorn im Auge, den anderen eine Ehre. Als großer Staatsmann, der die Freiheit von der Leibeigenschaft bedeutend vorangebracht habe, sei er ein ehrenvoller Namensgeber für unsere Universität. Da es jedoch auch eine andere Seite vom Herrn Arndt gibt, die selbst über das hinausgeht, was in national gesinnten Kreisen jener Zeit üblich war, wollen wir das Thema ein weiteres Mal aufgreifen. Dazu gibt es jetzt in jeder Ausgabe des moritz den „Arndt des Monats“, in dem das jeweils angeführte Zitat Arndts einen kurzen, aber erschreckenden Einblick in die Gedankenwelt dieses Mannes geben soll. Eines Mannes, der gegen alles „Undeutsche“, „Welsche“, „Jüdische“ und Intellektuelle hetzte. kos

„Ich will den Haß gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer. Darin werden Deutschlands Grenzen auch ohne künstliche Wehren sicher sein, denn das Volk wird immer einen Vereinigungspunkt haben, sobald die unruhigen und räuberischen Nachbarn darüber laufen wollen. Dieser Haß glühe als Religion des deutschen Volkes, als ein heiliger Wahn in allen Herzen und erhalte uns immer in unserer Treue und Redlichkeit und Tapferkeit...“

editorial

Arndt des Monats

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leserbriefe / asta leserbriefe Zu: „Au-to-no-me An-ti-fa!“ (moritz 55) Liebe moritze, Erst einmal Gratulation zu Eurer neu gewählten Chefredaktion. Ebenso zu dem Mut sich in den letzten Ausgaben mit dem Thema Burschenschaften und Rechtsextremismus zu befassen. Mit dem Mut habt Ihr es jedoch bei eurem Beitrag „Au-tono-me An-ti-fa! “ etwas übertrieben. Durch die Vermischung von Textsorten namentlich der des Berichtes und der des Kommentars wurde ein journalistischer Grundsatz mit Füßen getreten. Diese Qualität entspricht eher der einer großen deutschen Zeitung mit vier Buchstaben, jedoch keinesfalls der eines kritisch reflektierenden Studierendenmagazins. Ich distanziere mich auch von den Burschenschaften. Jedoch sorgen die Wortwahl („Glatzen“, „unherrisch“, „verächtlich“) und plumpe Sätze eben nicht dafür, dass ein differenzierter Umgang mit dem Thema möglich ist. Der Autor des Artikels und jetzige stellvertretende Chefredakteur monierte selbst, dass „relativ wenig Studenten bei der Demonstration dabei [waren], was wieder einmal zeigte, wie unkritisch mit dem Thema Burschenschaften unter Studenten umgegangen wird“. Hat er es mit diesem Artikel geschafft einen kritischeren Umgang mit Burschenschaften zu erzeugen? Burschis aus der Deckung geholt hat er in jedem Fall nicht. Thomas Schattschneider

leserbriefe / asta

Zu: „Suspekt“ und „Wir wollen das Beste für alle“ (moritz 55)

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Liebe moritz-Redaktion, Obwohl die Wiederholung entgegen aller Erwartung ein noch besseres Abschneiden der Studierenden aus der Medizinischen und der Mat.-Nat.-Fakultät zur Folge hatte, sind einige Dinge zu diesem Thema unsauber recherchiert worden und Antworten von Interviewten so nicht stehen zu lassen. Im Artikel steht, ich wäre Mitglied desWahlprüfungsausschusses. Das ist falsch und auch nicht möglich, da ich selbst Kandidat gewesen bin. In meiner Funktion im AStA für Gremien war es für mich obligatorisch, mich über den Verlauf der Wahlprüfung zu informieren. Vorgeschobene Anlässe für eine Anfechtung sind natürlich fraglich, zulässige Gründe dagegen nicht. „Es finden unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen statt“, so heißt es in der Wahlordnung. Und dass die Identitätskontrolle „noch nie“ so ernst genommen wurde, ist wohl kein Anlass schlampig damit umzugehen. Zum Interview mit drei Kandidaten aus der Medizin: Jeder, der ernsthaft Fakten zur Anfechtung hätte erfahren wollen, hätte im AStA oder über das Rektorat Informationen bekommen können. Meines Wissens hat jedoch keiner gefragt und insofern sind öffentlich geäußerten Mutmaßungen unglaubwürdig. Alexander Gerberding Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten.

AStA

Allgemeiner Studierendenausschuss Ihr findet den AStA im Audimax in der Rubenowstraße 1. Telefon: 03834/861750 oder 561751 • Fax: 03834/861752 E-Mail: asta@uni-greifswald.de Internet: www.asta-greifswald.de Vorsitzender Alexander Gerberding, vorsitz@asta-greifswald.de Co-Referentin für Partnerkontakte, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Anja Goritzka, presse@asta-greifswald.de Co-Referent für Internet und Technik: Michael Krause, internet@asta-greifswald.de Referent für Hochschulpolitik Simon Sieweke, hopo@asta-greifswald.de Referent für Fachschaften und Gremien Thomas Schattschneider, fachschaften@asta-greifswald.de Referent für Finanzen Martin Hackober, finanzen@asta-greifswald.de Co-Referent für Buchung und Beschaffung Eric Kibler, buchung@asta-greifswald.de Co-Referent für Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit Christian Bäz, asta@uni-greifswald.de Referent für Soziales, Wohnen und Gleichstellung Alexander Schulz-Klingauf, soziales@asta-greifswald.de Co-Referent für BAföG und Studienfinanzierung Mirko Wahlen, bafoeg@asta-greifswald.de Referentin für Studium und Lehre Kristina Kühn, studium@asta-greifswald.de Co-Referentin für Studierendenaustausch und Internationalisierung Monika Peiz, austausch@asta-greifswald.de Co-Referent für Evaluation und Hochschulentwicklung André Kaminski, evaluation@asta-greifswald.de Referentin für Kultur und Erstsemesterwoche Franziska Lenk, erstsemester@asta-greifswald.de Co-Referentin für das Universitätsjubiläum Stefanie Hennig, jubilaeum@asta-greifswald.de autonomer Referent für Schwule und Lesben (Queer) Patrick Leithold, slreferat@asta-greifswald.de autonome/r Referent/in für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten behinderte@asta-greifswald.de autonomer Referent für Ausländerfragen Robert Wollenberg, auslaenderreferat@asta-greifswald.de

StuPa

Studierendenparlament der EMAU Präsidentin: Kathrin Berger Stellvertreter: Philipp Kohlbecher, Christopher Trippe E-Mail: stupa@uni-greifswald.de Internet: stupa.uni-greifswald.de


inhalt 13

moritz kommentiert für Euch zwei das Seiten der Medaille Uni-Jubiläum. Entweder ist es an der Zeit, endlich Öffentlichkeit herzustellen oder die Uni sollte sich so lieber gar nicht erst präsentieren.

Kein Geld mehr?

ho c h sc hu l p o li t i k

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Die Hochschulrektoren waren zu Gast in Greifswald und diskutierten bei schönstem Wetter die desolate Lage an Deutschlands Hochschulen. moritz zieht Bilanz und traf die neue Präsidentin Margret Wintermantel zum Interview.

Wogen geglättet

ho c h sc hu l p o li t i k

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Nach zwei turbulenten Jahren kehrt an der Philosophischen Fakultät mit dem neuen Dekanat wieder Ruhe ein. moritz resümiert die Vergangenheit und blickt gemeinsam mit der neuen Fakultätsleitung im Interview in die Zukunft.

Die Abrechnung

u ni ve r su m

24/25

Günter Schabowski war in Greifswald zu Gast. Das Ex-Politbüromitglied sprach über die Hintergründe des 9. November, polterte gegen den Sozialismus und sprach mit moritz über seine „existentielle Krise“ und die Vorzüge der Demokratie.

Der Norden rockt

fe u ille t o n

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Ein Jubiläum für sich: 15 Jahre „Nordischer Klang“.

t i t e l t he m a Vergangene Unijubiläen Wie wird das Jubiläum finanziert? Existenzgründerinnen Das Fest der Jahrhunderte Umfrage: Freut ihr Euch aufs Jubiläum? Kommissionitis Kommentare: Für und Wider

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ho c h sc hu l p o li t i k 14 Schönes Wetter, düstere Aussichten 14 HRK zu Weißrussland 15/16 Interview: Margret Wintermantel, Präsidentin der HRK 16 Die Bertelsmann-Verschwörung 17 Interview: neue Leitung der PhilFak 18 Zwei turbulente Jahre 18 Kommentar: Endlich wieder Ruhe! 19 1. Mai-Demo in Rostock 20 AStA-Wahlen

u ni ve r su m Reisebericht St. Petersburg Teil II „U-Rope – utopia or reality?“ Interview: Kai Ehlers, politischer Journalist Der 9. November 1989 Interview: Günter Schabowski Ein Ausflug ins Arboretum

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f e u ill e t o n 27 Interview: 15 Jahre Nordischer Klang Konzerte beim Nordischen Klang 28/29 30 KRACH-Konzert in der Mensa CDs: Per Gessle Project, Deblo 31 Bachwoche 32 „sehsüchte“ in Potsdam 33 Kino: Dark Horse 34 Filmclub Casablanca 35 Kino: Mission Impossible III, FC Venus 36 Theater: Elling, Streit in Chiozza 37 Bücher aus dem Feuer Bücher: Koeppen, Weltmeister, Douzette, 38 Sarah Kuttner, Papst J. Paul II.

s pie l u nd s p a ß

Gerettet

fe u ille t o n

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Zur Lesung „Bücher aus dem Feuer“ reiste der 78-jährige Büchersammler Georg Salzmann nach Greifswald. Die Gedenkveranstaltung im Greifswalder Rathaus entriss einst verbrannte Bücher aus dem Vergessen.

m.trifft: Frank Geldschläger, Plattenladenbesitzer kreuzmoritzel Bartholomä: Der Glaube an Vögel Arvids Kolumne

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Editorial / Der Arndt des Monats AStA, Leserbriefe Impressum

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inhalt

Pro und Contra

t i t e l t he m a

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kurznachrichten Student ist Stellvertrender Vorsitzender des Senats Auf seiner Sitzung am 3. Mai wählte der akademische Senat erst den Betriebswirtschaftsprofessor Manfred-Jürgen Matschke zum neuen Vorsitzenden und anschließend den Studenten Thomas Schattschneider zum stellvertretenden Senatsvorsitzenden. Ein absolutes Novum an der Uni, dass erst durch die LHG-Änderung 2002 möglich wurde. Matschke hat langjährige Senatserfahrung und argumentiert immer wieder mit seinen Kaufkraftanalysen gegen die Unisparer an. Schattschneider gehört zu den studentischen Berufspolitikern, war und ist im Senat, im StuPa und AStA, bei letzterem die vergangenen eineinhalb Jahre als Vorsitzender. uli

Schwedische Königin kommt zum Festakt Ihre Majestät Königin Sylvia von Schweden wird neben Bundespräsident Horst Köhler am Festakt im Dom am 17. Oktober teilnehmen. Inoffiziell lag die Zusage schon länger vor, am 10. Mai wurde sie jetzt offiziell bestätigt. Die Königin wird gemeinsam mit dem Bundespräsident und den Gastgebern, Rek-

tor Rainer Westermann und Oberbürgermeister Arthur König, um 10 Uhr an dem Festakt im Dom teilnehmen und anschließend die frisch renovierte Aula wiedereröffnen. Die Universität Greifswald hat sich unter der 167 Jahre währenden, schwedischer Herrschaft ab 1648 zu einer Institution mit vielen Verbindungen in den Ostseeraum entwickelt. uli

In fünf Jahren Studiengebühren auch in M-V? „Ich bin überzeugt, dass wir in fünf Jahren auch in Mecklenburg-Vorpommern Studiengebühren haben werden“, erklärte Wedig von Heyden, Generalsekretär des Wissenschaftsrats, am Rande eines Vortrags im Konzilsaal am 8. Mai. „Kein Land wird die Wanderungsbewegungen verkraften können, die einsetzen werden“, so von Heyden weiter. Der Generalsekretär war auf Einladung des Mediziner-Dekans Heyo Kroemer und seines Prodekans Reiner Biffar spontan nach Greifswald gekommen, um über Auswirkungen der Föderalismusreform zu sprechen. Die bezogen sich dann aber mehr auf die Medizinische Fakultät und deren Bauvorhaben als auf die gesamte Universität. Von Heyden merkte an, dass dem

Klage gegen Rückmeldegebühr läuft

kurznachrichten

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,

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seit dem Sommersemester 2005 erhebt die Universität eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 10 Euro, durch die die Kosten der Rückmeldung auf die Studierenden abgewälzt werden. Der AStA hält diese Gebühr für rechtswidrig, da sie gegen das Studiengebührenverbot im Landeshochschulgesetz verstößt. Aus diesem Grund klagen wir seit einem Jahr vor dem Oberverwaltungsgericht. Wann das Gericht entscheiden wird, steht nicht fest. Wichtig: Auch wenn die Gebühr rechtswidrig ist, solltet ihr unbedingt den Semesterbeitrag in voller Höhe überweisen. Ansonsten ist eine Zwangsexmatrikulation möglich. Trotzdem gibt es eine Chance, dass ihr die 10 Euro, die ihr im Januar 2006 bezahlt habt und nunmehr im Juli 2006 bezahlen werdet, wiederbekommt. Dafür müsst ihr einen Widerspruch gegen die Verwaltungsgebühr einlegen. Nur wenn ihr das tut, bekommt ihr die 10 Euro wieder, wenn wir die Klage gewinnen. Entsprechende Vorlagen für Widersprüche liegen im AStA-Büro und in der Mensa aus bzw. sind im Internet (www.asta-greifswald.de) abrufbar. Ihr müsst dann einfach nur euren Namen, Anschrift und Matrikelnummer auf dem Formular eintragen und den Widerspruch im Studentensekretariat (Rubenowstraße 4, alte Universitätsbibliothek), in der Mensa oder im AStA-Büro (Rubenowstraße 1) abgeben. Die 10 Euro erhaltet ihr dann nach Abschluss der Klage, wenn wir das Verfahren gewinnen. Falls ihr noch Fragen zur Verwaltungsgebühr habt, könnt ihr euch jederzeit an den AStA wenden. Simon Sieweke hochschulpolitischer Referent

Wissenschaftsrat bald kein finanzielles Druckmittel gegenüber dem Bund mehr zur Verfügung stünde, wenn der Bund sich im Zuge der Föderalismusreform aus der Hochschulbauförderung zurückziehe. Bisher habe die Politik immer noch auf die Empfehlungen des Wissenschaftrats gehört, jetzt drohe das Gremium gar in eine Abseitsposition zu geraten. Den Wissenschaftrat gibt es seit 1957, ihm gehören sowohl Vertreter der Hochschulen als auch der Politik an. Er berät Bund und Länder in Fragen der Wissenschaftspolitik und gab unter anderem nach der Wende Empfehlungen für die Neustrukturierung der Universitäten der ehemaligen DDR ab. uli

NMUN: Es geht weiter

Am 27. April fand die symbolische Übergabe der Flagge der Vereinten Nationen an das neue Orga-Team statt. Auch für 2007 werden wieder interessierte Studierende gesucht, die die erfolgreiche Tradition der Greifswalder Delegation in New York für das National Model United Nations (NMUN) fortführen dürfen. Es wird bereits in der Projektwoche eine Einführung in die Thematik mit abschließender Simulation des Sicherheitsrates stattfinden. Jeder Interessierte ist herzlich eingeladen. Weitere Infos unter: nmun2007@googlemail.com oder unter: www.mynnga.de/ ~matthias/forum/phpBB2/index.php Achtet auf die Aushänge!

StuPa wählt neue Chefredakteure der Medien Seit dem 9. Mai haben die Redaktionen von moritz Print und MoritzTV neue Chefredakteure. Für Print wurden Uwe Roßner als neuer Chefredakteur und Stephan Kosa als sein Stellvertreter gewählt. Die neuen Chefredakteurinnen von MoritzTV sind Jeannette Rische, die schon in der vergangenen Legislatur in der Chefredaktion tätig war, und Justina Jaskowiak. Für die Geschäftsführung der moritz-Medien und die Web-Redaktion gab es bis zur Sitzung am 9. Mai noch keine Bewerbungen. uli


jubiläen

Alle Jubeljahre wieder Ein Jahrhundert später sand- setzte, ertönten Fanfaren und hinter den ten fast alle deutschsprachi- Ehrengästen, dem akademischen Senat gen Universitäten ihre Abge- unter der Führung der Dekane, folgten ordneten nach Greifswald. die Beamten der Universität. Bedenkt man die Ausdeh- Das letzte Jubiläum 1956 war geprägt nung des damaligen deut- vom Sozialismus. Das Programm sah schen Reiches, ist das schon Vorträge, Exkursionen und Ausstelluneine bemerkenswerte Anzahl gen in allen Fakultäten, sowie den tragewesen. Am 17. Okto- ditionellen Fackelumzug, vor. Da keine ber wurde das Rubenow- ausreichend großen Räumlichkeiten für denkmal eingeweiht und die den Festakt zur Verfügung standen und Rubenow-Stiftung errich- die Kirche als unpassender Ort emptet, aus der alle fünf Jahre funden wurde, fand der offizielle Festakt ein Betrag von 500 Talern im Zelt vom Zirkus „Busch“, statt. Den für akademische Preisarbei- Eingang zierte eine griechische Tempelten gezahlt werden sollte. fassade. Als die Welt in diesen Tagen auf Umstrittene Legende: Fackelumzug der Greifswalder Auch die feierliche Grund- Greifswald blickte, soll es sogar Bananen steinlegung des Universitäts- gegeben haben. Foto: (c) MoritzTV Studenten im Jahr 1956. krankenhauses fand in die- Zum 550. Jubiläum in diesem Jahr wird Als die Ernst-Moritz-Arndt-Universität sen Tagen statt. Beendet wurde das 400. sogar die schwedische Königin erwartet. am 18. Oktober 1456 von Heinrich Jubiläum durch einen Festball, zu dem Zwar soll es keinen Festumzug geben, Rubenow eröffnet wurde, gehörte sie immerhin noch 700 Gäste erschienen. aber an Traditionen soll dennoch festzu den ersten Universitäten im Ostsee- 1906 fand die 450-Jahr Feier bereits im gehalten werden. Hoffen wir, dass sich raum. August statt. Auf dem Rubenowplatz Greifswald auch diesmal auf internatioIn diesem Jahr wird sie 550 Jahre alt. versammelten sich am 3. August studen- nalen Boden profilieren kann. kats Jahrhunderte sind vergangen in denen tische Verbindungen mit ihren Fahnen viel passiert ist, in denen die Universität und als sich der Festzug in Bewegung gesellschaftlich-politischen UmwandANZEIGE lungen und Kriegen ausgesetzt war, sie als Arbeitgeber für viele Tausend Menschen diente und Studenten zu Doktoren, Magistraten und Professoren ausbildete. Angesichts dieser Tatfür Helf sachen ist es interessant, wie die Uni s F er an ihren Jubiläen gefeiert wurde. Me es und l 1656 wurden anlässlich des 200-jähde ta t Eu rigen Bestehens lediglich zwei Festm Hel c h vorträge gehalten. Noch waren die un 17 fer ter Nachwirkungen des Dreißigjährigen . inn : ju Krieges zu spüren, der erst acht Jahre bila Jun eu i g en zuvor beendet wurde. m@ es Den 300. Gründungstag der Univeras t a-g uch sität beging man dagegen mit einer rei fünftägigen Feier mit viel Pomp und fsw t! ald Tam-Tam. .de 1756 stand Greifswald unter der Herrschaft Schwedens. Zwar nahmen weder der Herzog Adolf Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz, noch der schwedische Generalgouverneur und ebenso wenig der Kanzler der Universität an den Feierlichkeiten persönlich teil, dafür wurde Greifswald bevölkert von Gästen aus der näheren Umgebung. Der Festumzug zur Sankt Nikolai Kirche, angeführt vom Rektor, und der anschließende Gottesdienst wurden seit dem richtungweisend für die kommenden Jubiläen.

titelthema

Kleiner geschichtlicher Abriss über die Jubiläumsjahre

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fundraising

So günstig wie möglich Fundraising soll das UniJubiläum finanzieren Sabine Große-Aust hat alle Hände voll zu tun. Das Uni-Jubiläum ist in vollem Gange und als Leiterin des Fundraisingund Alumnibüros ist sie zusammen mit weiteren Uni-Angestellten für die Finanzierung der Jubiläumsfeierlichkeiten verantwortlich. Zahlreiche Konzerte, Ausstellungen, Tagungen und Vortragsreihen erfüllen das Fest zum 550-jährigen Bestehen der Greifswalder Alma Mater mit Leben. Um die 400.000 Euro lässt sich die Uni das Jubiläumsjahr kosten, erklärt Lothar Schönebeck aus der UniVerwaltung. Diese ansehnliche Summe rief in den vergangenen Semestern – als diverse Fächer und Studiengänge weggekürzt werden sollten – einige Kritiker auf den Plan.

titelthema

Finanziert

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Mit seiner im Juni 2005 getroffenen Entscheidung für die Rahmenplanung des Uni-Jubiläums stellte der Senat die Festlichkeiten auch auf eine solide finanzielle Grundlage. Das unter anderem von Große-Aust erarbeitete Papier enthielt neben den konkreten Kostenstellen für die einzelnen Veranstaltungen auch grobe Schätzungen für organisatorische Belange wie beispielsweise die Müllabfuhr und technisches Equipment. „Mir hat der Senat 150.000 Euro zur Verfügung gestellt, die inzwischen durch viele zugesagte Spenden abgedeckt sind“, so Große-Aust. Der Senat forderte von ihr explizit, das Geld durch Fundraising wieder herein zu bekommen. „Mir blieb trotzdem immer ein gewisser Spielraum“, erklärt sie, „falls es mir nicht gelingen sollte genügend finanzielle Mittel zu erschließen, wird der entsprechende Fehlbetrag aus dem Körperschaftshaushalt entnommen“. Zum Körperschaftsvermögen gehören auch die legendären 3.100 Hektar Wald und 5.500 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. Zudem befinden sich Gebäude auf insgesamt hundert Hektar sowie zwölf Guts- und Herrenhäuser im Besitz der Uni. „Da kann man schon von einer 550-jährigen Tradition der Mittelbeschaffung sprechen“, meint die Fundraiserin schmunzelnd.

Selbst Heinrich Rubenow wußte es schon: Die Uni braucht Geld.

Foto: ur

Aus fremden Töpfen

Das Stiftungspuzzle

Fundraising versteht sich als strategisch geplante Gewinnung von Geld- und Sachwerten. Ein Prinzip, das in Greifswald in den vergangenen Jahren mehrmals angewendet wurde. „Unser erfolgreichstes Projekt ist definitiv die Sanierung des Rubenow-Denkmals“, erklärt Sabine Große-Aust. Ihr Büro habe einen immensen Marketingaufwand betrieben, um das Interesse möglicher Stifter zu wecken. Mit Internetseiten, Informationsbroschüren und kreativem Engagement ist schließlich ein Erfolg gelungen. Bisherige Spenden decken fast die Hälfte der 220.000 Euro umfassenden Gesamtkosten ab. Ein Teil des Geldes dient gar der Forschung zum Erhalt des historischen Zinngussdenkmals. Unter den Stiftern finden sich neben Professoren auch viele Alumni, Unternehmen sowie Greifswalder Bürger wieder. „Wir können sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf sein“, meint Sabine Große-Aust. „So etwas ist beispielhaft für viele mögliche Projekte, die sich viel schneller mit privaten Mitteln als mit Landesmitteln finanzieren lassen“. Mit ihren Fundraising-Bemühungen gesellt sich die Abteilung deutschlandweit in die Spitzengruppe von Universitäten mit ähnlichen Einrichtungen. Auch über die Zukunft ist man im Fundraising-Büro optimistisch. Vor kurzem erst hat ein Privatmann eine Spende über eine Million Euro für Baumaßnahmen in Aussicht gestellt. Für die neue Bestuhlung der Aula, die rund 80.000 Euro kosten wird, laufen bereits die strategischen Vorarbeiten.

Die Mittelbeschaffung für das Uni-Jubiläum folgt ähnlichen Prinzipien. Doch statt die Gründungsfeier als Ganzes für mögliche Stifter zu bewerben, greift das Organisationskomitee die einzelnen Veranstaltungen heraus und bietet mögliche Patenschaften an. So übernimmt die Sparkasse beispielsweise die Kosten für die Anfang Juli stattfindende Kinder-Uni. Die fünfstelligen Auslagen für die Vortragsreihe des Historikers Karl-Heinz Spieß über „550 Jahre Universität Greifswald“ samt zweibändiger Festschrift übernimmt komplett die otto group. Die Kosten für die feierliche Einweihung des Rubenow-Denkmals in Höhe von 3.000 Euro deckte Medigreif ab. Aber auch viele lokale Mittelständler unterstützen die Feierlichkeiten. Selbst aus den Reihen der Studenten erhielten die Fundraiser finanzielle Unterstützung. So stellte die Fachschaft Biowissenschaften Geld für die Kinder-Uni, den Tag der Wissenschaften sowie das RubenowDenkmal bereit. Eine erste vorsichtige Zwischenbilanz weist über 100.000 Euro aus, die das Fundraising-Büro als Geld- beziehungsweise Sachmittel zugesagt bekommen hat. Dabei gibt Sabine Große-Aust zu bedenken, dass die Planungen nach oben offen sind. „Das Jubiläum kann durchaus mehr als die veranschlagten 400.000 Euro kosten. Das Organisationskomitee versucht allerdings, die Festlichkeiten so günstig wie möglich zu halten“. Der Senat gab jedenfalls vor, dass eine Überschreitung der fünfstelligen Summe nur drin sei, wenn das zusätzliche Geld durch Fundraising wieder herein käme.


gründerinnen

Nicht einzeln, sondern zu dritt: Gudrun Mernitz (r.) und ihre Kolleginnen wollen sich nächstes Jahr selbstständig machen. Foto: uli

Gründen ist Teamarbeit

Noch in den roten Zahlen

Drei Diplombiologinnen wollen sich selbstständig machen

Der im November 2005 per Senatsbeschluss gegründete Uni-Laden, dessen Räume sich zurzeit in der Uni-Pressestelle in der Baderstraße befinden, leistet keinen finanziellen Beitrag zum Uni-Jubiläum. Ganz im Gegenteil: Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Service GmbH (EMAUS), die den Uni-Laden betreibt, steckt noch in den roten Zahlen. „Das ist für ein solch junges Unternehmen jedoch normal“, erklärt die BWL-Studentin Guna Voß. Sie ist die einzige Angestellte der EMAUS und fungiert sozusagen als Allrounder für Werbung, Design und sonstige Verwaltungsaufgaben. „Durch unsere ‚Wi55en l0ckt’Kollektion werben wir für das Uni-Jubiläum und das Uni-Logo“, gibt sie zu verstehen. Auch Silbermedaillen mit dem Portrait des derzeit allgegenwärtigen Heinrich Rubenow werden feilgeboten. Deren Absatz kommt aber, im Gegensatz zum sonstigen Umsatz, nur langsam voran. „Ich kann nur schwer abschätzen, wann wir schwarze Zahlen schreiben werden“, erklärt Guna Voß. „Aber wir stehen nicht schlecht da“. Zwar gebe es noch Probleme mit der Bekanntheit, aber auch das bessere sich zunehmend. Die EMAUS GmbH ist längerfristig angelegt. Durch weitere Verkaufspartner in Greifswald und mittels neuer Produkte möchte man so schnell wie möglich in die Gewinnzone gelangen. Dieser Gewinn könnte schließlich durch die Uni als alleinige Gesellschafterin beliebig verwendet werden. sv, uli

Wenn man das jüngst aufgehängte, pompöse Plakat auf dem Dach der Greifswalder Post betrachtet, kann man den Eindruck gewinnen, dass der Gründergeist in Greifswald nicht gerade beheimatet ist – schließlich sollen es in 550 Jahren nur neun Gründer und eine Gründerin gewesen sein. Allerdings vier davon in den letzten 18 Jahren. Auf dem 252 Quadratmeter großen Plakat ist links – zeitlich ganz am Anfang – Universitätsgründer Heinrich Rubenow abgebildet, der die Uni bekanntlich 1456 aus der Taufe hob. Ab 1829 ging es dann im Zeitalter der Industriealisierung Schlag auf Schlag: Ernst Alban, Medizinstudent aus Greifswald, gründete 1829 die erste Maschinenbauanstalt Mecklenburgs. Unirektor und Medizinprofessor Friedrich Berndt eröffnete das erste Krankenhaus in Greifswald. Berühmtheit in und über Deutschland hinaus erreichte Professor Friedrich Loeffler, der die Viren entdeckte, damit die Virologie begründete und im Oktober 1910 auf der Insel Riems eine Forschungsanstalt für Maul- und Klauenseuche eröffnete. Professor Berthold Beitz und seine Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung eröffneten im Dezember 2002 das Krupp-Kolleg. Dr. Jörn Bernhardt und seine Kollegen entwickelten eine Software zur Vereinfachung der quanititativen Proteinanalyse – und machten sich damit in ihrem Bioinformatikunternehmen selbstständig. Ganz rechts dann Dr. Gudrun Mernitz, die sich zusammen mit ihren Kolleginnen erst im Frühjahr 2007 mit dem „Ressourcenzentrum Marine Organismen“ selbstständig machen will. „Wir konnten leider nicht zu dritt auf das Foto“, schmunzelt die 38-jährige Diplombiologin, „aber natürlich ist unser Unternehmen eine Teamleistung.“ Gudrun Mer-

Gestalte den Uni-Kalender 2007 mit! Schicke Fotos mit Uni-Bezug bis zum 6.6.06 an guna.voss@uni-greifswald.de. Mehr Infos unter www.wissen-lockt.de.

nitz und ihre Kolleginnen Susanne Hessel und Beate Cuypers arbeiten an mikroskopisch kleinen Pilzen und Algen, für die sich eine Reihe Firmen interessieren könnten: Mikropilze und Mikroalgen werden nicht nur in der Medizin benötigt, sondern auch in der Nahrungsmittelindustrie und Landwirtschaft oder gar der Kosmetik. Die drei angehenden Jungunternehmerinnen werden für ein Jahr über das „EXIST-SEED“-Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. „EXIST-SEED“ ist ein Teilprogramm des „EXIST“-Programms, das in mehreren Regionen Deutschlands Gründernetzwerke fördert. Vom Land M-V aus werden solche Netzwerke neuerdings in der „einfach anfangen“-Kampagne gebündelt. „Wir hatten als Wissenschaftler keine Ahnung von Geschäftsplanung, Marktund Wettbewerbsanalysen“, erzählt Gudrun Mernitz, „inzwischen nehmen wir an Seminaren Teil und lernen betriebswirtschaftliche Grundlagen.“ Die bietet unter anderem der Forschungsverbund M-V an. Auch einen eigenen Mentor haben die drei Diplombiologinnen, Professor Ulrike Lindequist aus der Pharmazeutischen Biologie und Biotechnologie – mit der sie ohnehin schon vorher zusammengearbeitet haben. „Die Verknüpfung zur Uni wird auch bleiben“, erläutert Mernitz, „allein schon wegen der teuren Analysegeräte.“ Was die drei in Greifswald auch hält, ist das Meerwasser: „Wir brauchen das salzige Meerwasser, weil wir sonst unsere Organismen nicht vorfinden.“ Wenn alles so klappt wie geplant, wird das „Ressourcenzentrum Marine Organismen“ dann Anfang nächsten Jahres von den dreien gegründet. uli

titelthema

Eine abschließende Bilanz ist ohnehin erst gegen Ende des Jahres möglich, wenn die meisten Jubiläumsveranstaltungen abgeschlossen sind. Doch die Unterstützung von vielen Seiten laufe gut, so Sabine Große-Aust. Bisher fehlten nur für bestimmte Ausstellungen und Veranstaltungen noch Paten. Beispielsweise für „Das steinerne Antlitz der Alma Mater“, einer modellhaften Abbildung des Unigeländes, sucht man händeringend nach weiteren Sponsoren. Doch Große-Aust zeigt sich sehr zuversichtlich, die Kosten für das Uni-Jubiläum komplett durch Spenden und Sponsoren abdecken zu können. „Und selbst wenn am Ende ein geringer Fehlbetrag bleibt – das Jubiläum bedeutet für die Universität einen immensen Image-Gewinn“.

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jahrhundertfest weiteren kreativen Ideen. Gegen 17 Uhr beginnt dann der Sternlauf mit dem ersten Ziel Rathaus. Dort wird Oberbürgermeister Arthur König, kostümiert als erster Rektor der Uni, Heinrich Rubenow, und Justizminister Erwin Sellering im Gewand des Pommerschen Herzogs mit dem Jugenblasorchester Greifswald abgeholt. Und dann schnell weiter Richtung neuer Festspielplatz am Hafen gelaufen, denn das Ganze muss genau zwischen zwei Fußballspielen über die Bühne gehen. Dort warten dann die Kinder – also die Zukunft, So nicht, aber anders: Beim Jahrhundertfest gibt es auch wieder den traditionellen Festumzug. die kommenden Studenten Foto: Festumzug 1956, Archiv – und die Band KRACH auf Zuhörer. Außerdem gibt‘s noch Freibier, Feuerwerk und eine Lasershow. Für Nachtschwärmer legt der Mensaclub anschließend noch Musik Studierendenschaft präsentiert gemeinsam mit der Stadt Historisches aus den vergangenen Jahrzehnten auf.

titelthema

Das Fest der Jahrhunderte Eigentlich könnte der 17. Oktober diesen Jahres in Greifswald ganz anders aussehen: Statt dass sich die erlauchte Festgesellschaft nur im Dom zum Gottesdienst versammelt und anschließend nach kurzem Fußweg die Aula eröffnet, könnten Unirektor Rainer Westermann und seine Gäste – allen voran Königin Sylvia von Schweden und Bundespräsident Horst Köhler – noch einen größeren Umweg durch die Stadt machen. So geschehen beim letzten runden Jubiläum 1956. Damals fand der Festakt als erstes statt und danach ging es „zeitgemäß“ nicht in den Dom, sondern in den „Zirkus Busch“, der gerade in Greifswald gastierte und dessen Festzelt kurzerhand umfunktioniert wurde. Den Weg dahin liefen die Uni-Angehörigen und ihre Gäste in Kostümen quer durch die Stadt – ganz im Sinne des traditionellen Festumzugs, der als erstes von der 300-Jahr-Feier der Uni im Jahr 1756 überliefert ist. Das Rektorat um Rainer Westermann stand einem solchen Umzug von Anfang an kritisch gegenüber; man munkelt gar, Rektor Westermann habe eine persönliche Abneigung gegen Talare. Offiziell heißt es, ein Festumzug sei politisch verbrämt und vorbelastet, man wolle schließlich nicht an konservative Traditionen anknüpfen und sich stattdessen als moderne Universität präsentieren.

Uni will nicht, Studis aber schon

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Was die Uni-Oberen nicht wollen, können die Studenten schon lange, haben sich Stefanie Hennig und Nicole Basler

gedacht und prompt mit der Stadt einen neuen Kooperationspartner gefunden. Stefanie begleitet seit rund einem Jahr als AStA-Co-Referentin für AlumniArbeit und Uni-Jubiläum die Planungen und stellte Ende Januar ihr Konzept eines „Jahrhundertfests“ vor, in dem auch ein Festumzug integriert ist. Nicole steht ihr seit gut einem Monat als offizielle 15-Stunden-Mitarbeiterin des AStA zur Seite. „Das Jahrhundertfest – Eine Reise durch gemeinsame Zeiten“, so der offizielle Titel, findet am 17. Juni statt. Ausgerechnet, mögen die einen in Erinnerung an den 17. Juni 1953 und den langjährigen „Tag der deutschen Einheit“ in der Bundesrepublik denken, die anderen, weil er mitten in die Fußballweltmeisterschaft fällt. Aber die gewitzten Organisatoren Stefanie und Nicole – letztere mit zweimaliger Erstsemesterwochen-Erfahrung – haben auch dafür eine Lösung gefunden. Aber der Reihe nach: Los geht das Jahrhundertfest um 13 Uhr an ganz verschiedenen Standorten, an denen jeweils eine Epoche der Universität vorgestellt wird. So präsentiert die Fachschaft Theologie zusammen mit dem Studentenclub „Kiste“ auf dem Domvorplatz das 15. Jahrhundert, die Fachschaften Germanistik/Kommunika tionswissenschaft, Romanistik, Jura und Musikwissenschaft das 18. Jahrhundert im Innenhof des Instituts für Deutsche Philologie und die Naturwissenschaftler das 19. und 20. Jahrhundert am Jahn-campus. Und alles so „echt“ wie möglich – mit Kostümen, zeitgemäßen Speisen und

Die Nacht der Nächte Höhepunkt der diesjährigen Hoffestsaison dürfte außerdem das Fest der Fachschaftsräte Germanistik, Jura und Romanistik werden, das am gleichen Abend stattfindet. Ließen es sich im vergangenen Jahr noch 450 Gäste auf dem Gelände der Deutschen Philologie gut gehen, so werden in diesem Jahr mindestens 600 Gäste erwartet. Dabei gibt es Altbekanntes sowie Neuerungen. Das Hoffest wird diesmal auch als Themenfest verstanden. Mit Bediensteten, die sich im Stile des 18. Jahrhunderts kleiden, wird der Nachmittag zu einem Schauspiel des Barocken gemacht. Es werden Schauspiel von der Bühne, klassische Musik, Speis und Trank geboten. Den Übergang zum Abend werden Jongleure machen. Sobald es dann dämmert, wird die Party eingeläutet. Die Feuerschale der Kirchengemeinde wird wie jedes Jahr ein geselliges Miteinander um ein großes Feuer ermöglichen. Sowieso wird es viel Feuer und wenig künstliches Licht geben. Auf zwei Floors wird verschiedenste Musik gespielt, eine Band wird auch auftreten. Selbstverwirklicher stellen sich auf den Baumstumpf namens „Speaker’s Corner“ und lassen lautstark vernehmen, was sie so umtreibt. Auch im Verlauf des späteren Abends kann die Nacht auf dem Areal zum Tage gemacht werden und bei Grillfleisch, Bier und der berühmten Juristenbowle kann es sich jeder so lange gut gehen lassen, bis die Sonne wieder aufgeht. uli, kos


umfrage

In Feierlaune oder doch „alles egal“? Die Uni feiert sich und ihre 550 Lenze - und (fast) keiner kriegt es mit. Oder etwa doch? Und wenn: fühlen sich die Greifswalder Studenten durch die vor kurzem eröffneten Festivitäten überhaupt angesprochen? moritz wollte es genauer wissen und hat einige von euch befragt. Das Ergebnis ist durchwachsen. Aber lest selbst. rh, ur

Janna

(Skandinavistik/ DaF)

Niklas (BWL)

Ich finde es toll, dass man das Jubiläum feiert und werde auch die eine oder andere Veranstaltung besuchen. Schön ist auch der hohe Besuch, der nun nach Greifswald kommt.

Steffi

Ich habe zwar irgendwo zu Hause ein Programm der Jubiläumsfeiern zu liegen, aber ich schaue da nicht rein. In diesem Jahr gibt es in Greifswald Veranstaltungen, die mich mehr interessieren und andere Studis sicher auch. Zum Beispiel das Gristuf und der Nordische Klang. Von denen bekommt man auch mehr mit.

(BWL)

Sebastian

(LA Deutsch und Geschichte) An sich finde ich den Gedanken, so eine Sache zu feiern, okay. Aber im Grunde interessiere ich mich nicht wirklich dafür. Für die Studierenden ist das Angebot eher langweilig und wirkt sehr auf den höheren Besuch aus Politik und Gesellschaft abgestimmt. Außerdem nervt mich der Kommerz an der ganzen Sache: T-Shirts und Pullis zu überhöhten Preisen finde ich daneben.

Ich werde versuchen, an einer der Feiern teilzunehmen. Natürlich gibt es das Problem der erneut drohenden Kürzungen, aber man sollte sich nicht davon abhalten lassen, ein rundes Jubiläum zu begehen.

Tobias

(LA Englisch und Geschichte) Die Uni hat große Sorgen und sollte sich auch im 550. Jahr ihres Bestehens damit auseinandersetzen. Ich sehe da eine merkwürdige Diskrepanz zwischen den Feierlichkeiten einerseits und den Zukunftsproblemen andererseits. Aber was soll man machen?

Georg

(Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte)

Arne

Marie

(Skandinavistik/ DaF) Die Informationspolitik für das Jubiläum ist wirklich schlecht.Von den Feiern bekomme ich fast nichts mit. Leute wie ich, die durchaus an der einen oder anderen Sache teilnehmen würden, werden durch sowas noch zusätzlich abgeschreckt.

titelthema

Ich habe zwar die Info-Broschüre, aber was da so zu finden ist, interesiert mich nicht. Ich denke mal, dass die meisten Studenten ähnliches denken, so nach dem Motto: „Das ist nichts für mich.“. Die Vermarktung des Jubiläums finde ich genauso ideenlos. Wer will denn schon ein zu teures T-Shirt, wo draufsteht „Wissen lockt?“. Das müsste doch wenigstens heißen „Wissen rockt“ oder so? Alles in allem: langweilig!

(PoWi) Das Jubiläum ist mir egal!

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kommissionitis

Spießig versus frech Ein universitäres Gremium diskutiert die Jubiläumsplakate

titelthema

Es ist Mitte Mai, noch sechs Wochen bis zur großen Festwoche. Man trifft sich und diskutiert. Vorne am Tisch sitzt der Offizielle, der den Segen vom Rektor hat und sich „Jubiläumsbeauftragter“ nennt. Eigentlich sollte er nur das Buch schreiben, aber dann hat er sich doch noch überreden lassen. Links und rechts neben ihm sitzen die hauptamtlichen Angestellen: die Frau, die den ganzen Tag Geld einzuwerben versucht und der Mann, der dafür sorgt, dass im Dom die Bänke in die richtige Richtung umgedreht werden, wenn die schwedische Königin kommt. Gleich daneben der Prorektor, verborgen hinter einer dunklen Sonnenbrille. Dann sitzt da noch der Herr aus der Verwaltung, der immer mal nach dem Geld fragt, neben ihm sitzt der Archivar, der gleich alle Akten für sein Archiv haben will. Der Dirigent ist auch da, ebenso der Sportbeauftragte. Last but not least die Studentin, die erklärt, dass man zum „Wissen.rockt“-Konzert statt Warsteiner nun Lübzer als Sponsor habe. Ja, und der moritz ist heute auch da. Und man trifft sich und diskutiert.

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Eigentlich geheim und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Hier werden mediale Strategien designt und wieder verworfen, werden Mitarbeiter angeheuert und rausgeschmissen, hier wird Geld verteilt und große Politik gemacht. Aber der Jubiläumsbeauftragte meinte zu moritz: „Wir haben keine Geheimnisse und sind gespannt, was die Studenten zum Jubiläum beitragen.“ Heute auf der Tagesordnung: die Plakate. Deswegen ist auch noch jemand da, die Kunststudentin, die ihre Freunde als Werbeträger für die „Wi55en-L0ckt“-T-Shirts engagierte. Ausgerechnet die Journalisten waren es, die dem Rektor sagten, dass man vom Jubiläum in Greifswald gar nichts mitbekomme und er schnell ein paar Plakate aufhängen lassen solle. Das Geld ist knapp, merkt der Herr aus der Verwaltung an. Ja, meint die Hauptamtliche, dann müssen wir eben gleich mehrere Botschaften auf ein Plakat bringen. Prompt zieht sie es aus der Tasche, links der Bürgermeister hinter dem Schreibtisch, rechts der Rektor hinter dem Schreibtisch,

darunter das Logo und eine Liste mit den Veranstaltungen. „Das ist mir zu spießig“, moniert der Jubiläumsbeauftragte und der Archivar ergänzt, man müsse mit den Botschaften doch etwas sparsamer sein. Der Prorektor meldet sich zu Wort: Wo denn dieser Entwurf mit den drei Damen und dem Mann mit Buch am Strand sei. Tja, räumt die Hauptamtliche ein, da sei so einiges schief gegangen, und kramt kurz in ihren Zetteln. Außerdem habe es dem Rektor nicht gefallen. Plötzlich klingelt das Handy des Prorektors. „Wir kommen mit den Plakaten jetzt nicht mehr weiter“, meldet sich der Sportbeauftragte zu Wort. Der Jubiläumsbeauftragte und der Archivar nicken sich zu:Vertagen auf übermorgen. Können auch alle? Dann also übermorgen. moritz ist wieder dabei und das Plakat mit den drei leicht bekleideten Damen und dem muskulösen Mann mit Buch am Strand ist auch wieder da. „Das ist frech“, meint der Archivar zustimmend und fragt moritz um seine Meinung. Ja, sagt der, das gefällt bestimmt auch Studenten. „Das nehmen wir“, sagt der Jubiläumsbeauftragte, „und noch ein Zweites mit den Dreien und dem Einen im Hörsaal mit dazu.“ Es ist Mitte Mai, noch sechs Wochen bis zur großen Festwoche. uli


kommentare

Uni-Jubiläum: Pro und Contra Innerhalb der moritz-Redaktion sorgte das Uni-Jubiläum für Kontroversen; sind wir dafür oder dagegen, lautete die Frage. Als Zwischenbilanz haben wir uns entschieden, beiden Seiten einen Kommentar zu widmen.

Zugegeben, der 550. Geburtstag der Alma Mater Gryphiswaldensis fällt in eine politisch bewegte Zeit. Das liebe Geld wird knapp, das Land muss sparen und unsere Uni sich etwas einfallen lassen – keiner mag das Thema mehr hören. Und wir als amputierte Uni sollen uns in dieser Situation feiern? Ja! Nach endlosen Streitereien über Einsparungen bietet das Jubiläum den Instituten und Fakultäten eine erstklassige Gelegenheit, über ihre derzeitige Position, aber auch über künftige Ziele nachzudenken und einen Weg zu skizzieren, wie diese erreicht werden sollen. Wir erhalten hier eine einmalige Chance, uns als Ganzes in all unserer Vielfalt zu präsentieren – was könnte mehr versöhnen und Einheit stiften als eine gemeinsame selbstbewusste Darstellung? Wenn die einzelnen Institute sich als bunte Facetten präsentieren, können sie ihren Wert und Nutzen für das Ganze stolz zur Schau tragen. Das überzeugt natürlich nur, sofern alle sich gegenseitig als wichtig erachten. Aber gerade eine solche Vor- und Darstellung ermöglicht es, einander besser kennen und schätzen zu lernen und so die beschriebene gegenseitige Anerkennung zu erreichen. Das Jubiläum konfrontiert uns mit einer beträchtlichen Aufgabe. Aber wenn wir sie meistern,

Wissenschaftlich feiern? Der Rektor sollte sich schämen.Da feiert die Universität schon mal ihr Fünfhundertfünfzigstes und was macht Magnifizenz? Sich hinstellen und von „wissenschaftlich feiern“ faseln. Dabei hätte es so viele Gründe gegeben, nicht nur dezent ein Sektkörkchen vor den Wissenschaftlerkollegen ploppen zu lassen, sondern eine richtige Party für alle zu schmeißen. Da wird ein Motto kreiert, „Wi55en l0ckt – 550 Jahre Tradition und Zukunft an der Ostsee“. „Wissen lockt“ ist gut und eingängig, freilich lockt Wissen ja auch die traditionell größte Gruppe an der Uni, uns Studierende, seit 550 Jahren nach Greifswald. Aber Tradition? Nein, stöhnt der Rektor, Umzüge gibt‘s nicht mehr, Talare nur mit Murren. Alles zu traditionell, zu verbrämt. Chance verpasst, stattdessen engagiert jetzt die Studierendenschaft Oberbürgermeister Arthur König im HeinrichRubenow-Dress für ihren eigenen Festumzug. Nicht für den offiziellen Festakt am 17. Oktober, sondern für das Jahrhundertfest am 17. Juni. Wie verhält es sich mit der Zukunft? Wo die Uni hin will, wird in irgendwelchen Kleinstgremien im „Weißen Haus“ in der Domstraße 11 entschieden, munter werden nach undurchsichtigen Plänen ganze Fakultäten entkernt. Wer so mit seiner Uni umgeht, braucht mit Geld gar nicht mehr anzufangen. Da will man schon wissen, welche Professuren gerade für das 400.000 Euro teure Jubiläum herhalten müssen.

können wir uns als Universität in der Öffentlichkeit mit Selbstbewusstsein für uns werben. Greifswald erhielte nebenbei die Gelegenheit, seine Uni kennen- und ihren Wert schätzen zu lernen. Sofern es das nicht ohnehin schon tut, denn die Stadt und ihre größte Bildungseinrichtung verfügen bereits über zahlreiche kulturelle Projekte, die sie miteinander verbinden. Jetzt, zu ihrem 550. Geburtstag, kann die Uni daran erinnern, indem sie ihre Geschichte von 1456 bis heute erzählt, die wohl eine klare Erfolgsgeschichte sein dürfte. Und was gibt es nicht alles zu erzählen; das Programm zum Jubiläum bietet vieles an: Vorträge zur Geschichte, Porträts berühmter Greifswalder, verschiedenste Tagungen, eine Kinder-Uni und natürlich jede Menge Kulturelles. Das 550-jährige ermöglicht es der Uni, ihre Verwurzelung in der Region und ihre Bedeutung in vielerlei Hinsicht ein weiteres Mal zum Ausdruck zu bringen – vollkommen von selbst und ohne den Anschein zu erwecken, eine Kürzungsdebatte erfordere dies. Wenn die Landespolitik das als ein Statement zur essentiellen Wichtigkeit der Universität Greifswald in ihrem ganzen derzeitigen Umfang versteht, ist dies nur in unserem Sinne. Ja, wir feiern uns – gerade in der jetzigen Situation und mit Recht. Auf die nächsten 550, liebe Uni! Katja Staack Wie in der großen Politik greift stattdessen Kommissionitis um sich. Abgeschoben in eine Jubiläumskommission soll seit Jahr und Tag alles professionell und so billig wie möglich erledigt werden.Wenn man den Beteiligten nur trauen könnte und nicht ständig auch noch alles unter Kontrolle haben müsste! Sicher, es ist viel los im Jubiläumsjahr, viele Vorträge zur Uni-Historie, den universitären Sammlungen und Forschungsschwerpunkten laufen. Dennoch wirkt alles irgendwie zusammenhanglos hingestreut; die eine, alles verbindende Idee fehlt. Dem Geldmangel fallen nicht nur traditionelle gesellschaftliche Ereignisse wie der Uni-Ball zum Opfer, sondern offenbar auch Kreativität und Fantasie. Dann die studentische Selbstverwaltung. Geld ist zwar da, aber es wurde mal wieder viel diskutiert und konzeptionalisiert. Bis vor drei, zwei Monaten machte keiner was. Keiner weiß, was das alles überhaupt soll – einzig die Jubiläumsreferentin rennt – oh Wunder! – seit Jahr und Tag herum, macht Werbung und organisiert. Der große AStA hat keine Lust, das StuPa hat mehrheitlich taube Ohren und auch die FSK läßt sich nicht so recht erwärmen. Auch wenn es die Uni-Politiker nicht wahrhaben wollen: Durch ihren selbsternannten modernen Anspruch haben sie ein Jubiläum kreiert, dass konservativer und spießiger nicht sein könnte. Kein Wunder also, dass uns Studis und vielen anderen die Lust am Feiern längst vergangen ist. Denn das ist eine Tradition, die man wirklich abschütteln müsste. Ulrich Kötter

titelthema

Jetzt erst recht!

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Alle kamen und lauschten andächtig: Landesvater Harald Ringstorff, Rostocks Rektor Hans-Jürgen Wendel, Uni-Rektor Rainer Westermann und Oberbürgermeister Arthur König, Uni-Kanzler Thomas Behrens. Fotos: uli

Bewölkt bis bedeckt Die HRK diskutierte bei bestem Wetter die düstere Situation an Deutschlands Hochschulen

hochschulpolitik

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begann am 4. Mai gleich mit einer Pressekonferenz – eigentlich eher ungewöhnlich, erwartet man doch, dass am Ende noch mal Bilanz gezogen wird. Die neue Präsidentin, Professorin Margret Wintermantel von der Universität des Saarlandes, freute sich vor den anwesenden Journalisten zunächst über das schöne Wetter und zeigte sich dankbar, mit ihrer Konferenz einen weiteren Auftakt des Uni-Jubiläums zu bilden. Gastgeber und Unirektor Rainer Westermann wies anschließend darauf hin, dass man Probleme besprechen müsse und sich Greifswald als Beispiel für einige gut eigne – was die zunehmende Wettbewerbssituation der Hochschulen angehe oder auch den angekündigten Rückzug des Bundes aus der Hochschulbaufinanzierung. Wintermantel wies darauf hin, dass man einen Wettbewerb der Universitäten ohne Wettbewerbsnachteile modellieren müsse. „Es darf nicht nur ein paar Spitzenunis geben und der Rest fällt hinten herunter“,forderte die Präsidentin,

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„es ist für die HRK weiterhin nicht akzeptabel, dass die Hochschulen, die sich ohnehin schon im Wettbewerb und auf Profilsuche befinden, jetzt noch stärker von den Ländern beeinflusst werden sollen.“ Auf die neuerdings beschnittene Hochschulautonomie in MecklenburgVorpommern angesprochen, murmelte die Präsidentin in einem Halbsatz, dass sie sich zurückhalten müsse, um nichts Böses zu sagen. „Wir treten für Verhandlungen auf Augenhöhe ein“, forderte sie, „die Experten für Ziele und Vorgaben sitzen schließlich in den Universitäten.“ Es komme auf den richtigen Umgang zwischen Politik und Hochschulen an; richtig sei, dass verhandelt werde. Was den Hochschulen droht, wenn der Bund sich aus der Hochschulbauförderung zurückzieht, wollte Wintermantel nicht beantworten. „Das ist doch eine Frage der Vernunft, dass das nicht passiert“, appellierte die Präsidentin an die Politik. Die Generalsekretärin der HRK, Christiane Ebel-Gabriel, warf ein, dass die Föderalismusreform noch lange nicht bei der Entflechtung der

Für Europa HRK positioniert sich zu Weißrussland Auf der Jahresversammlung in Greifswald erklärte die H ochschulrektorenkonferenz (HRK) auch ihre Haltung zur Politik Weißrusslands gegenüber seinen Hochschulen. Sie verurteilte die dortige Beschneidung von Freiheit und Lehre und wendete sich entschieden gegen die Inhaftierung und Exmatrikulation jener Studierenden, die sich aktiv an den friedlichen, demokratischen Oppositionsbewegungen gegen die weißrussische Staatsführung während des Wahlkampfes 2006 beteiligten. Als Stimme der deutschen Universitäten ist es eine Aufgabe der HRK, auf Missstände im internationalen Kontext hinzuweisen. Seit Beginn der 1990-er Jahre begleitet sie aktiv den Transformationsprozess an den Hochschulen in Ostmittelund Osteuropa. Weißrussland gehört als einziges Land dem

Finanzen angekommen sei. „Wir stehen erst ganz am Anfang der Diskussion“, erläuterte sie, „es gibt noch nicht mal Konkretes über eine neue gemeinsame Lehrerbildung in Deutschland.“ Studiengebühren lehnt die HRK übrigens nicht grundsätzlich ab. „Wenn wir weiterhin so unterfinanziert bleiben und es uns nicht gelingt, langfristige finanzielle Zusagen der Länder zu bekommen, dann sind wir für Studiengebühren“, so Wintermantel. Allerdings auch nur, wenn diese dann eine spürbare Verbesserung der Lehre mit sich brächten. Die wiederum suchen Simon Sieweke, AStA-Referent für Hochschulpolitik, und seine Kollegen in Greifswald schon lange vergeblich. Deswegen verteilten sie an sämtliche Gäste der HRK vor der Eröffnungsveranstaltung im Dom „Anträge auf Bildungsasyl in Schweden“. Jeder Rektor kann mit dem Antragsformular für seine Hochschule einen Antrag auf Bildungsasyl in Schwedischen Botschaft Berlin stellen. stellen. Dort ist aber bisher noch keiner eingegangen, wie moritz auf Nachfrage erfuhr. uli

entstehenden Europäischen Hochschulraum nicht an. Das europapolitische Thema der Greifswalder Jahresversammlung gab der HRK Anlass zu ihrer Stellungnahme. Zuletzt hatte das Gremium bei der Exmatrikulation der weißrussischen Studentin Tatsiana Khoma im Herbst 2005 mit einer nichtöffentlichen Äußerung reagiert. Die gegenwärtige Entwicklung inWeißrussland setzt nachAnsicht der HRK nicht auf Integration, sondern Isolation. Seit der Wiederwahl des Präsidenten Alexander Lukaschenko im März diesen Jahres verschärften sich wieder die Repressionen an den weißrussischen Hochschulen. Mit ihrer Erklärung solidarisiert sich die HRK mit den Studierenden und Hochschulangehörigen, die sich friedlich für Meinungsfreiheit, für die Freiheit von Forschung und Lehre und ein offenes, europäisches Weißrussland engagieren. Gleichzeitig unterstreicht die HRK ihre uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft mit allen weißrussischen Partnern, die an internationaler Zusammenarbeit in Wissenschaft und Gesellschaft interessiert sind. ur


hrk

HRK-Präsidentin Margret Wintermantel.

Foto: uli

Die neue Präsidentin der HRK über Hochschulen im Spagat zwischen den Ländern und Europa, die Föderalismusreform und eine gemeinsamen Linie der Hochschulen gegenüber der Politik Auf der Abschlussveranstaltung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in Greifswald hatte sie gerade noch die Zeit für ein Interview: Frau Prof. Margret Wintermantel, jüngst gewählte Präsidentin der HRK, stand dem moritz Rede und Antwort zu den großen Themen der Konferenz. moritz: Frau Prof. Wintermantel, worüber wurde auf der HRK hauptsächlich diskutiert? Prof. Margret Wintermantel: Das Thema der diesjährigen Konferenz waren die Hochschulen zwischen den Ländern und Europa. Es ging hierbei um unsere Aufstellung in diesem politischen Kräftefeld. Die Hochschulen stehen immer stärker im Wettbewerb und sollen jeweils individuelle, erfolgreiche Strategien dafür entwickeln. Gleichzeitig erhalten sie von den Ländern in aller Regel noch nicht die dafür notwendige Handlungsfreiheit. Mit der Föderalismusreform kann jetzt das Problem dazukommen, dass finanzielle Ausgleichsmaßnahmen und vernünftige Koordination durch den Bund verloren

gehen. Das wird Hochschulen in Ländern, die weniger in Bildung investieren wollen oder können, noch stärker benachteiligen als jetzt schon. Und international wird niemand mehr verstehen, was das deutsche Bildungswesen eigentlich ist, weil es in vielerlei Hinsicht zersplittert sein wird. Die Jahrestagung hat sich damit befasst, welche gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen gegeben sein müssen, damit sich die Hochschulen nach wie vor positiv entwickeln können. Waren die Gespräche eher von Einigkeit oder von Meinungsverschiedenheiten zu diesen Themen geprägt? Es besteht Einigkeit über die Notwendigkeit, sich dem Wettbewerb zu stellen und darüber, dass es richtig ist, dass wir eine differenzierte Hochschullandschaft haben werden. Der Prozess dieser Differenzierung der Hochschullandschaft muss sehr behutsam und sehr konstruktiv vonstatten gehen. Die Hochschulen müssen klare Profile entwickeln, sich auf Felder konzentrieren, in denen sie stark sind oder werden wollen. Sie müssen

Wie wollen Sie den Sinn dieser Forderungen den Politikern vermitteln und für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Sie diese dann auch durchsetzen können? Wir appellieren an die Vernunft. [lacht] Die Sonntagsreden handeln ja oft davon, dass unsere Rohstoffe nicht unter der Erde liegen, sondern in den Köpfen unserer jungen Leute. Wir hoffen, dass auf diese Worte auch Taten folgen. Der Appell an die Vernunft war schon ernst gemeint. Ich denke, dass eine hohe Bereitschaft besteht, auf unsere Forderungen einzugehen, weil unsere Argumente einfach zwingend sind.

hochschulpolitik

„Wir appellieren an die Vernunft“

in der Konsequenz sicherlich auch manchmal ganze Fächer aufgeben. Dieser Prozess ist zunächst nicht schädlich, sondern wird das Gesamtsystem eher stärken. Die Landesregierungen müssen aber sicherstellen, dass nicht durch knappe Finanzmittel das Fächerspektrum einer Hochschule so weit eingeschränkt werden muss, dass deren Innovationspotential verloren geht. Denn Interdisziplinarität in Forschung und Ausbildung, der Dialog zwischen den Fächern ist doch, was Hochschule ausmacht. Ein aktuelles Beispiel: Wenn man ein komplexes Phänomen wie etwa das der Selbstmordattentate erklären will, braucht man einen interdisziplinären Ansatz, der Religionswissenschaften, historische und psychologische Perspektiven miteinander verbindet.

Wintermantel: „Wir müssen uns dem WettFoto: kos bewerb stellen.“

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Man kann aber den Eindruck gewinnen, gerade dieses interdisziplinäre Lernen läge nicht im Interesse der Politik. Geht der der Trend nicht vielmehr dahin, dass die Universitäten zu reinen Berufsausbildungsstätten verkommen? Die Politiker sind ja nicht unsere Gegner. Man muss berücksichtigen, dass sie unter dem Druck verschiedener Interessengruppen stehen. Wir als Hochschulrektoren meinen aber, dass wir uns lange genug haben gefallen lassen, dass man die Hochschulen nicht so ausstattet, wie es unserer Ansicht nach notwendig wäre. Hier in MecklenburgVorpommern ist man ja zum Beispiel stark an Existenzgründungen interessiert. Existenzgründer fallen nicht vom Baum, sondern müssen vernünftig ausgebildet werden und sorgfältig an ihre künftigen Aufgaben herangeführt werden. Dafür müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden und dazu gehören gut ausgestattete Hochschulen.Von daher appellieren wir wirklich

an die Politik, unsere Ratschläge auch anzunehmen. Wie haben Sie die Vorbereitungen zu den Festlichkeiten zum 550. Jubiläum der Universität Greifswald wahrgenommen und wie viel Anziehungskraft üben sie Ihrer Meinung nach aus? Die Präsentation der Stadt und der Universität war wunderbar. Ich denke, dass viele, die hierher kommen, überrascht sind, wie schön es hier ist. Die Teilnehmer sind sehr professionell und überaus freundlich betreut worden. Sie haben gesehen, welche hervorragenden Tagungsmöglichkeiten es hier gibt und zumindest einige der Begleitpersonen konnten bei schönstem Wetter auf einem Foto: uli Segeltörn auch die Boddenlandschaft genießen. Viele werden aufgrund ihrer Begeisterung sicherlich feststellen, dass sich wiederholte Besuche in Greifswald lohnen. Interview: Stephan Kosa

Im Kampf gegen den großen Unbekannten?

hochschulpolitik

„Nordnetz“- /„Ostnetz“-Treffen diskutiert über Bertelsmann und die Bildungsprivatisierung

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Die Diagnose, dass es mit der Demokratie bergab geht, ist nicht neu. Auch der Theorien ihrer schleichenden Privatisierung gibt es viele, der renommierte Kommunikationswissenschaftler Frank Böckelmann macht gar hinter der Privatisierung Interessen des Bertelsmann-Konzerns aus. Seine These, dass der Konzern über die angeblich gemeinnützige Bertelsmann-Stiftung als fünftgrößter Medienmulti der Welt gezielt Einfluss auf Politik und Gesellschaft in Deutschland nimmt, mag man für eine Verschwörungstheorie halten, muss man aber nicht. Schon während der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) am 4. und 5. Mai trafen sich die Teilnehmer der „Nordnetz“respektive „Ostnetz“-Konferenz. „Nordnetz“ und „Ostnetz“ bestehen eigentlich nur aus je einer Homepage mit vielen Informationen rund um studentische Proteste und dem obligatorischen E-Mail-Verteiler. Die Greifswalder Zusammenkunft hatten die beiden AStA-Referenten Alexander Gerberding und Patrick Leithold organisiert. Die rund 20-köpfige Gruppe mit Teilnehmern unter anderem aus Hamburg, Bremen, Lüneburg und Leipzig diskutierte die HRK und ihre Themen nochmals aus studentischer Perspektive. Dabei wurde die HRK als Institution

kritisch hinterfragt, weil nicht genau klar sei, wessen Interessen sie mit wessen Geld vertritt. Nach eigener Auskunft ist die Konferenz eine Stiftung, die sich teils über die Länder, teils über das Bundesministerium für Bildung und Forschung, teils durch

Mitgliedsbeiträge finanziere. Eine Stiftung sei undemokratisch, merkten die Konferenzteilnehmer an, hingewiesen wurde ferner auf die freiwillige Mitgliedschaft der Hochschulen: Diese könnten auch jederzeit austreten. Unter anderem war die HRK am BolognaProzess beteiligt und sie wirkt auch am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) mit, das sich zwar auf seiner Homepage als unparteiisch darstellt, jedoch zu 75 Prozent von der Bertelsmann-Stiftung finanziert wird. Zu dem Prozess lassen sich

interessante Parallelen zu dem größten Studentenstreik Mexikos vor sechs Jahren ziehen: Dort hatte das Centro Nacional para la Evaluación (CENEVAL), eine private Organisation potentiellen Studenten den Zugang zur größten Universität des Landes zunehmend erschwert, der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) mit ihren rund 200.000 Studenten. Und zwar durch Aufnahmeprüfungen und die offenbar schleichende Einführung von Studiengebühren über den ersten Schritt von Verwaltungsgebühren. Und alles im Einvernehmen mit der Uni-Leitung und dem Staat. Der Rektor agierte mit seinem Universitätsrat schon lange jenseits seiner Foto: uli Studenten und Mitarbeiter. Die ließen sich das Diktat nicht gefallen und eröffneten einen 10monatigen Streik, den bisher längsten an einer lateinamerikanischen Uni. Studiengebühren gab es daraufhin zwar keine, aber der Rektor war weiterhin nicht zu einem runden Tisch mit den Studenten und Mitarbeitern bereit. Zuletzt diskutierten die „Nordnetz“und „Ostnetz“-Mitglieder noch, inwiefern Proteste und inhaltliche Arbeit zum G8-Gipfel in Heiligendamm im nächsten Jahr mit dem ausschließlich hochschulpolitischen Mandat der Studieuli rendenvertreter vereinbar sei.


dekanat

„Wir reden sehr freundlich miteinander“ Die neue Fakultätsleitung der PhilFak über die schwierige Wahl, ihre Vorhaben und die Zusammenarbeit mit den studentischen Vertretern

Was glauben Sie, warum Sie gewählt worden sind? Gelten Sie als unbeteiligt und unbelastet, weil Sie im letzten Jahr nicht da waren? Ich war ein Jahr im Ausland und stand auf keiner der beiden Listen, das war schon ein gewisser Vorteil. Ein weiterer war, dass ich vor meinem Auslandsjahr über einen längeren Zeitraum in der Fakultätsleitung als Studiendekan und als Prodekan mitgearbeitet hatte, den Laden also relativ gut kenne. Vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, dass ich keine persönlichen Feindschaften in der Fakultät pflege. Sie sollen mit einem kleinen Deal zu ihrer Kandidatur bewegt worden sein, der die Musikwissenschaft von weiteren Kürzungsvorhaben ausnimmt. Dem ist definitiv nicht so. Die Bedingungen, die ich gestellt hatte, lagen auf einer ganz anderen Ebene: Ich wollte die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen. Das hat zum Einen damit zu tun, dass ich selber eine künstlerische Professur habe mit einer relativ hohen Lehrverpflichtung. Es hat zum Anderen damit zu tun, dass ich unterschiedliche Perspektiven, die in unserer Fakultät vertreten sind, in die Verantwortung einbinden und sichtbar für alle auf mehrere Schultern verteilen wollte. Ich glaube, das ist mit unserem Team ganz gut geglückt. Sie werden also keine Institutspolitik machen als Dekan? Schneider: Nein, definitiv nicht.

Herr Prof. Friedrich, Sie sind mit 22 von 22 Stimmen als Prodekan gewählt worden.Wie interpretieren Sie dieses Ergebnis? Prof. Udo Friedrich: Das ist natürlich ein Vertrauensbeweis der Fakultät. Ich vermute, es hängt zusammen mit meiner Tätigkeit als Studiendekan, die ich in den letzten zwei Jahren absolviert habe. Ich denke, dass die Fakultät weiß, dass ich nicht zu denjenigen gehöre, die polarisieren. Stellen Sie keinen Zusammenhang her mit Ihrem Platz auf der Pro Geisteswissenschaften-Liste? Das wäre ja eher ein Anzeichen für Polarisierung. Für mich ist das Wahlergebnis eher Ausdruck meiner Solidarität mit Fächern, die bedroht sind oder schon geschlossen sind. Da ich selber Mediävist bin, war das für mich ein Mindestmaß an Solidarität, dass ich ihnen schuldig war. Auch wenn Sie ihre Klausurtagung am nächsten Wochenende noch vor sich haben, gibt es zwischen Ihnen schon einen Konsens, wo es mit der Fakultät inhaltlich hingehen soll? Prof. Matthias Schneider: Wir haben uns schon vor der Wahl darauf geeinigt, dass wir als Fakultätsleitung die Lehrerbildung nicht verloren geben, sondern versuchen wollen, das aufrecht zu erhalten, was hier noch sinnvoll und möglich ist.

Neuer Dekan Schneider: „Ich pflege keine Feindschaften an der Fakultät.“ Prof. Udo Friedrich: Die Akkreditierung der Master-Studiengänge muss bis Juni durch die Gremien gehen. Wir haben einige Mängel vorliegen und müssen daher einige Studiengänge umarbeiten. Dann hängt es stark von der personellen Ausstattung ab, die uns in den nächsten Monaten zugestanden wird, welche Master wir überhaupt weiterführen und welche nicht. Wir können vermutlich nicht jeden Master weiterführen. Können Sie schon konkret sagen, welche Studiengänge das betreffen wird? Friedrich: Nein, da möchte ich lieber keine schlafenden Hunde wecken. Wie intensiv wollen Sie die studentischen Vertreter in Ihre Gedankengänge mit einbeziehen? Wie nachvollziehbar werden Sie Ihre Politik gestalten? Prof. Walter Werbeck: So umfassend wie möglich. Denn es nützt ja nichts, wenn wir im stillen Kämmerlein verhandeln und die Studierenden vor vollendete Tatsachen stellen. Interview: Ulrich Kötter, Bettina Bohle

hochschulpolitik

moritz: Herr Prof. Schneider, wie wollen Sie als neuer Dekan aus den desolaten Komm unikationsstrukturen, die Sie vorgefunden haben, wieder eine einheitliche Fakultät herstellen? Prof. Matthias Schneider: Die Kommunikationsstrukturen sind überhaupt nicht desolat. Wir reden miteinander, wir reden sogar sehr freundlich miteinander. Nachdem der erste Versuch, einen Dekan zu wählen, fehlgeschlagen ist, haben alle Beteiligten festgestellt, dass sie etwas dazu beitragen müssen, dass wir vorankommen.

Prodekane North, Friedrich, Studiendekan Werbeck: „Wir geben die Lehrerbildung nicht verloren.“ Foto: bb

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philfak

Nach dem Sturm

hochschulpolitik

Die Philosophische Fakultät findet nach einer turbulenten Dekanswahl wieder zur Ruhe

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„Wir haben nicht geahnt, was auf uns zukommen würde“, resümiert André Kaminski, schon länger Mitglied im Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät, die Wahl von Professor Manfred Bornewasser zum Dekan vor rund zwei Jahren. Als dieser gewählt wurde, hatte die Fakultät gerade die letzte Kürzungsrunde hinter sich und die nächsten vor sich. Bornewasser trat an, verkündete, er werde mit dem Rasenmäherprinzip des Kürzens Schluß machen und im Zweifel ganze Institute schließen, und wurde gewählt. Was dann allerdings folgen sollte, konnte die Fakultät am Ende selber nicht mehr glauben. „Es war das erste Mal, dass ein Dekan ganz offen Institutspolitik betrieben hat“, wettert Professor Gregor Vogt-Spira vom Institut für Altertumswissenschaften. Und nicht nur das. Bornewasser polarisierte, zum Beispiel bei der Lehrerbildung. Schon Anfang 2005 wurde während der großen Kürzungsrunde klar, dass die Philosophische Fakultät Fächer kürzen muss. Sie sprach sich aber im Mai letzten Jahres sehr deutlich gegen ein Ende der Lehrerbildung aus. Dafür sprachen und sprechen viele gute Argumente: Der Lehramtsstudiengang ist mit dem Ende des Magisters der einzige, der überhaupt noch wissenschaftlichen Nachwuchs hervorbringt, nicht zuletzt M-V benötigt in den nächsten Jahren viele neue Lehrer. Im September wurde die Lehrerbildung vom Land in Frage gestellt, der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät berief eine Sondersitzung ein, um sich auf Konfrontationskurs einzuschwören, einzig Dekan Bornewasser hielt sich nicht

Rolle ungeklärt: Alt-Dekan Bornewasser. Foto: Archiv

daran. „Ich wurde für mein Programm gewählt und halte mich daran“, äußer- PhilFak-Professoren Vogt-Spira, Klein: „Wir sehen uns als Retter Fotos: uli, Archiv te er sich dazu im der Fakultät.“ November gegenüber dem moritz. Laut Geschäftsordnung Studiendekan tätig gewesen war und führt der Dekan aber vor allem Beschlüsse gerade ein Jahr im Ausland war, also als unbelastet galt. Schneider erklärder Fakultät aus. Gegen Ende der Bornewasser-Ära wur- te sich aber nur bereit, wenn er mit den die Widerstände und Polaritäten zwei Prodekanen beide „Fraktionen“ innerhalb der größten und studenten- der Fakultät unter einen Hut bekomstärksten Fakultät der Uni so groß, dass me. Dafür wurde extra eine kurze sich zwei Lager herausbildeten, die in Fakultätsratsordnung geschrieben, weil zwei Listen zu den Fakultätsratswahlen es regulär nur einen Prodekan gibt. Als im Januar mündeten. „Eigentlich woll- Prodekane wurden dann Professor Udo ten wir eine Liste für die ganze Fakultät Friedrich von der „ProGeisteswissenhaben, dann haben aber einige Kollegen schaften“-Liste – mit 22 von 22 mögeine eigene Liste aufgemacht“, wundert lichen Stimmen! – und der Historiker sich der Sprachwissenschaftler Jürgen Michael North, der zumindest für den Schiewe, der auf der „ProPhil“-Liste Senat auf der „ProPhil“-Liste stand, stand, unter anderem zusammen mit innerhalb der Fakultät damit aber nichts Bornewasser. Die Mitglieder der ande- zu tun haben will. Eine neue Zeit der uli ren Liste „ProGeisteswissenschaften“, Einigkeit scheint gekommen. unter anderem der Literaturprofessor Jürgen Klein und der Historiker Gregor Vogt-Spira, sehen sich nicht als Spalter, sondern als Retter der Fakultät. kommentar „Die Bornewasser-Fraktion hat kein Programm“, meint Klein. „Eigentlich Höchste Zeit für neue Einigkeit! war sich die Fakultät immer einig. Bornewasser hatte aber eine große Endlich. Endlich ist Schluß mit dem Suggestionskraft, die jedoch völlig fingiert öffentlichen und verdeckten Getöse und war und jetzt bröckelt“, analysiert Vogt- Gepolter rund um und in der Fakultät, Spira. Er trat mit elf anderen Kollegen die ihr in den letzten zwei Jahren viel für eine Philosophische Fakultät ein, Schaden zugefügt hat. Den studentidie „nicht bloß auf die Verwertbarkeit schen Vertretern im Fakultätsrat muss des Wissens setzt, sondern die freie man zugute halten, dass sie sich fundiert Persönlichkeit, Urteilskraft und Ent- vorbereiteten und solide Politik im Sinne scheidungsstärke der Studierenden för- aller betrieben. Ansonsten wurde viel dert“. geschachert und intrigiert. Wenn schon Aus dieser Lage heraus brauchte die Politikwissenschaftsprofessoren auf Fakultät gleich mehrere Anläufe und Fakultätsratssitzungen gegen die studenSondierungsgespräche, um einen neuen tischen Vertreter pöbeln, während sie ihr Dekan zu wählen. Im ersten Versuch tra- eigenes Schäfchen durch irgendwelche ten der „Pro-Geisteswissenschaften“- Absprachen im Trockenen haben, dann Kandidat Vogt-Spira und der „ProPhil“- ist alles zu spät. Mit dem neuen Dekan Kandidat Jürgen Schiewe gegeneinander und seiner Troika ist ein Neuanfang für an und fielen dreimal durch. Immer mit gute Kommunikation und eine neue genau elf gegen elf Stimmen. gemeinsame Linie innerhalb der Fakultät Der Fakultätsrat war genervt und es gemacht. Denn wichtige Themen stekam die Stunde der Studenten und wis- hen an: Die Master-Studiengänge müssenschaftlichen Mitarbeiter, die zehn von sen schleunigst akkreditiert werden und 22 Mitgliedern des Rates stellen. Sie von der Lehrerbildung muss gerettet setzten sich zusammen, sondierten wei- werden, was zu retten ist. Die größte tere mögliche Kandidaten und kamen Fakultät der Uni muss wieder zu einer schließlich auf den Musikwissenschaftler starken Stimme im Senat finden. Matthias Schneider, der schon mal als Ulrich Kötter


demo

Paradebeispiele Der 1. Mai dieses Jahres war ein Tag für Paradebeispiele. Symptomatisch durch und durch, und das in jeder Hinsicht. Die NPD wollte in Rostock einen bundesweiten Aufmarsch, eine Parade, abhalten. Eine Parade für den diesjährigen Wahlkampf in MecklenburgVorpommern, einen Marsch des Nationalismus. Rostocks Bürger wollten friedlich dagegen demonstrieren. Die AntiFa wollte auch gegen die NPD demonstrieren, nur nicht immer friedlich. Die Polizei wollte, nein, sollte alles schön voneinander getrennt halten. Zumindest das hat geklappt. Aber wie? Und was war sonst? Schon die Bahnverbindung von Greifswald nach Rostock war beispielhaft in ihrem Fahrgastaufkommen. In Greifswald stiegen mickrige zehn Gegendemonstranten ein, dazu mehr als 20 Polizisten im Kampfanzug. Sicher ist sicher. Ab Stralsund mehrte sich der Anteil an Gegendemonstranten und in Rostock angekommen wurde mancher Gegendemonstrant von einem großen Block Autonomer überrascht, die sich dort am S-Bahnhof sammelten. Die Polizei zeigte schon hier ausufernde Präsenz. In Rostock waren an dem Tag insgesamt 4.000 Polizisten im Einsatz, zwei Helikopter drehten den ganzen Tag ihre Runden, Wasserwerfer und Räumfahrzeuge sperrten jede größere Straße der Innenstadt. Nach einer kurzen Wartepause in der Sonne wurde vom Lautsprecherwagen die Ansage gemacht, die Demonstration der AntiFa könne nicht stattfinden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) solidarisierte sich daraufhin mit den antifaschistischen Gegendemonstranten und bot ihnen an, sich doch dem Zug des DGB anzuschließen. Da war es ungefähr elf Uhr morgens. Nach dem lautstarken Skandieren antifaschistischer Parolen gingen einige zu Maßnahmen über, die die Ausschüttung von Adrenalin weitaus mehr begünstigen sollten. In klassischer Manier versuchten Teile des schwarzen Blocks immer wieder, aus der festgelegten Demonstrationsroute auszubrechen, um auf die Strecke des NPD-Zuges zu gelangen. So hatten die Polizisten, denen die vergleichsweise frühe Tageszeit nichts auszumachen schien, guten Anlass, endlich mal ihre Visiere herunter zu klap-

pen, Schlagstock und Pfefferspray in die Hand zu nehmen und beispielhaft zünftig in das jugendliche Gesocks hinein zu prügeln. Eine Stunde später. Die Ausbruchsversuche waren eingedämmt, viele Leute nach der Einkesselung durch Polizisten festgenommen. Menschen mit Platzwunden liefen umher, zertrümmerte Flaschen lagen auf den Straßen. Wasserwerfer, Räumfahrzeuge, schwarz gerüstete Schlägertrupps der Polizei, alle Gegendemonstranten wurden von ihnen dazu gezwungen, auf dem Rostocker Marktplatz zu bleiben. Foto: kos Dort fand, in irgendwie Auf Konfrontationskurs. surrealem Kontrast zum restlichen Geschehen, die Rostocker Hauptbahnhof. Großkundgebung des DGB statt. Eine Die Erkenntnis, dass alles, was bis riesige Bühne begrenzte den Markt dato passiert war, praktisch sinnzur einen Seite, überall Futterbuden, los gewesen war, muss die meisten Bierzeltbänke, Familien mit Kindern. Gegendemonstranten völlig demoraliDarunter nunmehr auch Punker, AntiFas, siert haben. Wer der NPD zeigen wollRastamänner. Die Polizei hielt jede te, wie unerwünscht sie hier war, hatte noch so kleine Seitenstraße verschlos- dazu allerdings wenig Gelegenheit. Durch sen, was in planlosem Umherirren der die weiträumige Absperrung konnten Gegendemonstranten auf dem Volksfest Gegendemonstranten höchstens wie resultierte. Doch trotz des giganti- Schaulustige auf einen Flaggen wedelnschen Polizeiaufgebots entwischten eini- den Zug blicken. Wer jedoch aufgeben ge kleinere Gruppen auf Umwegen in und nach Hause fahren wollte, durfSeitenstraßen. te dies nicht. Die komplette Rostocker Dort waren die wenigen Entflohenen Innenstadt war abgesperrt. Niemand kam sodann ständig auf der Suche nach heraus, niemand hinein, und niemand kam einigen Nazis, die man hätte verklop- zum Bahnhof. So waren die anwesenden pen können, oder nach Zugängen zur Gegendemonstranten zu depressivem Demonstrationsroute der NPD. Ersteres Herumlungern gezwungen, während von traf man nicht an, letzteres erreich- den ungefähr 25.000 Rostocker Bürgern, te man nicht. Alle Ränder des Weges, die gegen die NPD demonstrieren wollden die NPDler einschlagen sollten, ten, nur 5.000 Frühaufsteher dazu auch waren über breite Flächen von jegli- wirklich die Gelegenheit bekamen. Die chen Zugangsmöglichkeiten abgeschnit- meisten Gegendemonstranten, ob friedten. Im Zustand erschöpfter Resignation lich oder nicht, waren bis 18:00 Uhr im zündeten einige AntiFas sinnlos ein paar Polizeikessel gefangen. Sie konnten nicht Müllcontainer an, die Polizei fuhr daran viel mehr tun, als sich etwas zu essen vorbei und sah nichts. zu kaufen und darüber nachzudenken, Die völlige Sinnlosigkeit des Verlaufes wieso Polizisten mit solchem Vergnügen der Gegendemonstration realisierten auf Linke eindreschen und sogar halbe alle aber erst in dem Moment, als klar Kinder festnehmen. kos wurde, dass ungefähr um 13:30 Uhr die NPD-Demonstration noch gar nicht Erlebnisberichte von Verhafteten finden sich losgegangen war. Die NPD hielt noch zum Beispiel in den Ergänzungen unter: eine entspannte Pressekonferenz am de.indymedia.org//2006/05/145344.shtml

hochschulpolitik

Rostock glich am 1. Mai einer Stadt im Kriegszustand

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stupa

StuPa wählte neuen AStA

hochschulpolitik

Nachdem das StuPa noch auf der konstituierenden Sitzung entschied, den AStA nur unwesentlich von 23 auf 18 mögliche Referenten zu schrumpfen, wurden in den Sitzungen am 25. April und 9. Mai alle Referate bis auf das autonome Referat für Behinderte besetzt. Die Anzahl der Referenten war auf der konstituierenden Sitzung eher unstrittig, obgleich schnell klar war, dass es fünf Referate in der bestehenden Form nicht wieder geben würde: die CoReferate für Rechtsfragen, für Kultur, für Außenkontakte und Partnerbeziehungen, sowie für politische Bildung und Nachwuchs sowie den Autonomen Referenten für Gleichstellung. Für Kontroversen hatte schon auf dem StuPa-Wochenende die komplexe Weisungs- und Hierarchiestruktur des AStA gesorgt; das StuPa sprach sich auf der konstituierenden Sitzung dann deutlich für den Beibehalt des Autonomiestatus bei den Referaten für Ausländerfragen, Behinderte sowie Schwule und Lesben aus – übrigens analog zu den universitären Gremien. Anträge auf Streichung der Co-Referate für Evaluation und Hochschulentwicklung sowie Presse und Öffentlichkeit fan-

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den keine Mehrheit. Das delikate Thema „Aufwandsentschädigung“, das sich im letzten Jahr über mehrere Sitzungen hinzog und für viel Aufregung sorgte, ging vergleichsweise verhalten über die Bühne. Bei den Besetzungen der Referate gab es wenig Überraschungen. Neuer AStAVorsitzender ist Alexander Gerberding, der seit rund 2 Jahren Erfahrungen in allen möglichen universitären Gremien sammelte, unter anderem auch im AStA und im StuPa, aber auch im Senat und im Fakultätsrat der PhilFak. Als Referenten für Hochschulpolitik hatten sich Dirk Stockfisch und Simon Sieweke beworben, wobei ersterer etwas unsicher wirkte, letzterer souverän sein gewohntes Programm abspulte. Das StuPa entschied sich nicht für einen neuen hochschulpolitischen Akzent und wählte den langjährigen Hochschulpolitiker Simon Sieweke zum HoPo, der in seiner Vorstellung wenig neuen Ideen gegenüber seiner bisherigen Politik präsentierte. Neuer Referent für Soziales, Wohnen und Gleichstellung ist Alexander SchulzKlingauf, der in der letzten Legislatur als Referent für Behinderte tätig war. Ferner

ist der ehemalige Vorsitzende Thomas Schattschneider ist weiterhin im AStA tals Referent für Fachschaften und Gremien tätig Referent für Finanzen ist weiterhin Martin Hackober, ihm zur Seite steht als Buchungs- und Beschaffungsreferent Eric Kibler, der übrigens als einziger der gewählten Referenten sein StuPa-Mandat niederlegte. Die übrigen Referenten – unter anderem Simon Sieweke, Thomas Schattschneider und Christian Bäz – sahen kein Problem darin, dass sich sie sich als AStA-Referent und StuPist künftig selbst kontrollieren. Insgesamt kommen neben Eric Kibler zehn weitere der neuen AStA-Referenten aus den Reihen des Studierendenparlaments, von denen bisher keiner sein StuPa-Mandat niedergelegt hat. Inwieweit der AStA in dieser Konstellation noch kritisch vom StuPa beobachtet werden kann, wird sich zeigen. Andererseits ist die StuPaNachrückerliste auch bald erschöpft. Bemerkenswert ist noch, dass das StuPa Stefanie Hennig, der Co-Referentin für Uni-Jubiläum, künftig mehrere mögliche Mitarbeiterstellen beiseite stellt – mit Arbeitsvertrag und monatlichem Gehalt von 125 Euro. Besetzt ist vorerst eine, aber das sei schon eine große Arbeitserleichterung, so Stefanie. uli


Die Kasaner Kathedrale.

Foto: ik

Das kulturelle Leben Die St. Petersburg-Reportage im moritz – Teil 2 In St. Petersburg ist es Frühling geworden. Die dicke Jacke, Handschuhe und Schal liegen in der Ecke, T- Shirt und Rock müssen her, denn immerhin betragen die Temperaturen 20 bis 25 Grad Celsius. Kaum zu glauben, die bitterkalten Monate sind vorbei und endlich zeigen die sonst so traurigen, grauen Bäume grüne Knospen. Ich war schon fest davon überzeugt, dass die Farbe grün in St. Petersburg überhaupt nicht existiert. Aber St. Petersburg blüht und wird von Tag zu Tag jünger. Jetzt spielt das Leben mehr auf der Strasse als im Wohnheim. Außerdem beginnen die letzten Wochen meines Auslandssemesters, die klug geplant werden müssen. Besuche in Museen, Theatern, in der Oper, in Konzerten und Ausflüge in die Umgebung der Stadt benötigen Organisationstalent, denn was St. Petersburg uns bietet, ist unvorstellbar. Gemeinsam geht es jeden Samstag, der offiziell von uns zum Kulturtag erklärt worden ist, mit drei österreicherischen Mädels auf Erkundungstour, um tief in das kulturelle Leben der Stadt einzutauchen. Nachteil dieser Gesellschaft ist natürlich, dass Deutsch gesprochen wird, aber ab und zu tut das ganz gut. Mit der Marschrutka, einer Art Kleinbus, die pro Fahrt rund 40 Cent kostet, gelangt man zu allen Plätzen der Stadt. Außerdem bietet dieses Verkehrsmittel

immer gute Gelegenheiten zum Erlernen der schwierigen russischen Sprache und Studieren der russischen Mentalität, die sehr eigen ist. Das heißt, einerseits treffe ich oft auf sehr grimmige, unfreundliche Menschen, die mir die Fahrzeugtür vor der Nase zu schlagen. Andererseits begegne ich herzlichen, liebenswürdigen, insbesondere jungen Leuten, die mir dann doch noch die Tür aufhalten und meine Tasche tragen möchten. Ja, in Russland sind die Männer zum Teil noch richtige Gentlemen. Um die kulturellen Eigenheiten der Stadt kennen zu lernen, führte unser Weg zunächst in Museen, von denen es einige hunderte in der Stadt gibt. Die Eremitage mit ihren unermesslichen Kunstschätzen gehörte zu einem unserer ersten kulturellen Anlaufpunkte in St. Petersburg. Aufgrund der Nähe zur Universität und kostenlosem Eintritt für Studenten lohnen sich auch kurze Besichtigungen in Vorlesungspausen, denn die 65.000 ausgestellten Werke von insgesamt 2,7 Millionen, kann man sich logischerweise nicht an einem Tag anschauen. Als Kunstbanause beträgt meine Besichtigungsausdauer in einem Museum sowieso maximal zwei Stunden. Aber wenn man schon in St. Petersburg ist, gehört ein Besuch in der Eremitage zum allgemeinen Pflichtprogramm. Paläste und Kirchen, ehemalige Quartiere großer Dichter wie die von Puschkin,

Anna Achmatowa und Dostojewski, sowie die Hauptschlagader und hektische Einkaufsstrasse Petersburgs, der Newskij Prospekt, sind weitere beliebte Plätze, an denen man es sich gut gehen lassen kann. Ausflüge in die Vororte St. Petersburgs sind hingegen noch lohnenswerter. Vor allem weil die Luft um ein Vielfaches besser ist als in dem lärmenden, versmogten, stickigen St. Petersburg. Ohne Augentropfen kann ich momentan nicht aus dem Haus gehen. Also, tief durchatmen. Luxuriöse Sommerresidenzen von Peter dem Großen wie der Peterhof oder der prunkvolle Katharinenpalast in Zarskoje Selo (Zarendorf) mit der berühmten Rekonstruktion des Bernsteinzimmers, beeindrucken genauso wie die kleinen russischen Dörfer, die nichts mit dem jungen dynamischen St. Petersburg gemeinsam haben außer der große Armut. Vor allem älterer Russen müssen teilweise mit einer Rente von 30 Euro im Monat leben. Es gibt nur arm oder reich, Gewinner oder Verlierer in Russland. Nach unserem kulturellen Highlight der Woche schmeckt der Kaffee in kleinen Bars besonders gut, aber immer noch nicht zu vergleichen mit einer großen Tasse Greifswalder Milchkaffee. Mit Zigaretten in der Hand, die umgerechnet 50 Cent pro Schachtel kosten und damit ehemalige Gelegenheitsraucher zu Starkrauchern machen, genießt man die Sonne und beobachtet das russische Leben auf der Straße. Für die abendlichen Veranstaltungen sind in naher Zukunft vor allem Konzertund Opernbesuche geplant. Die Karten für das Ballett Schwanensee und die Oper Pik Dame von Tschaikowski im berühmten Mariinskij-Theater sowie für Konzerte der Rolling Stones, Tracy Chapmans, des Buena Vista Social Clubs und Jamiroquai sind bereits für rund 130 Euro gekauft. Mit dieser Summe wäre in Deutschland wohl nur das StonesKonzert möglich. Und trotzdem ist dieser Betrag für die meisten hier lebenden Menschen unerschwinglich. Liegt das Durchschnittseinkommen der russischen Bevölkerung gerade bei 7.700 Rubel, umgerechnet 220 Euro. Ende Mai beginnen in St. Petersburg die Weißen Nächte, da rückt das Studium noch weiter in den Hintergrund. Aber wo lernt man nicht besser die russische Sprache als inmitten von Menschenansammlungen, direkt auf der Strasse? Ich bin gespannt, ob ich in den nächsten zwei Monaten noch schlafen werde.Aber eines steht fest: die Welt trifft sich in St. Petersburg und ich bin mittendrin. ik

universum

auslandssemester

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u-rope

Das alles und noch viel mehr in diesem Jahr: Eindrücke vom „Students Festival“ 2005.

Fotos: Franziska Liepe/GrIStuF

Europa im Blick

universum

GrIStuF feiert mit vielen Gästen gleich das nächste große Festival

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Es geht wieder los. Veranstaltete der Verein „Greifswald International Students Festival“ (GrIStuF) letztes Jahr ein großes „Students Festival“ mit Gästen aus aller Welt, so gibt es dieses Jahr eine nicht minder kleine Version, „U-Rope – utopia or reality?“ mit Gästen aus ganz Europa. Vom 27. Mai – also Samstag dieser Woche – bis zum 4. Juni geht das Programm, los geht‘s mit einer Willkommensparty in der Mensa am Samstag. Am Sonntag findet vormittags ein Kleinkunstfest am Museumshafen statt, nachmittags um vier startet dann der traditionelle Festumzug am Museumshafen/Salinenstraße – wie immer offen zum Mitlaufen für alle Sympathisanten. Um 19 Uhr wird dann im Theater Vorpommern das Festival im Kreise geladener Gäste eröffnet. Das Festival fällt übrigens mehr zufällig in das Jahr des Uni-Jubiläums. Die Veranstalter wollen wieder in einen abwechselnden Zweijahresrhythmus mit dem zweiten großen Studentenfestival Deutschlands, dem ISWI in Ilmenau. Ab Dienstag beginnen dann die Workshops, die sich dem Festivaltitel gemäß mit Europa beschäftigen. Teilnehmen werden nicht nur die rund 160 erwarteten Gäste, sondern es können auch erstmals alle interessierten Greifswalder ganz regulär mitmachen. Die vier großen Themen, unter denen die insgesamt 14 Workshops stehen, sind „Verbinden von Ideen und Identitäten“, „Informieren und Massenmedien“,

„Lernen“ sowie „Darstellen“. Die Workshops werden von Groupleadern betreut, jeweils ein Referent wird einen Vortrag zu einem Europa-Thema halten. So wird beispielsweise der renommierte Europa-Journalist Hans-Martin Tillack, dessen Büroräume in Brüssel vor rund zwei Jahren von der belgischen Polizei durchsucht wurden, einen Vortrag zum Thema „Pressefreiheit in Europa“ halten. Der Journalist, der für den „Stern“ schreibt, stand im Verdacht, sich Informationen aus einem Ministerium gekauft zu haben. Tillack prozessierte, wurde in erster Instanz freigesprochen, stand dann aber bis vor kurzem weiter vor Gericht, immer mal wieder dem Verdacht ausgesetzt, sich unredlich verhalten zu haben. In seinem Vortrag wird er beleuchten, wie man ihn als kritischen Journalisten aus Brüssel verbannen wollte. Nebenher gibt es noch zwei Podiumsdiskussionen in der AugustBebel-Schule, einmal am Dienstag in Englisch zum Thema „NGOs facing the European transformation process“ und zum anderen am Freitag in Deutsch zum Thema „M-V: Vom Wirtschaftswunder ‚Europäische Union‘ vergessen?“. Am Dienstag findet auf dem Marktplatz um 18 Uhr das „Treffen der Europäer“ statt, am Mittwoch Abend wird beim Running Dinner wieder durch die Stadt gelaufen und gespeist. Freitag Abend findet ab 18 Uhr die „Kulturmeile“ statt, mit insgesamt 14 Stationen überall

in der Stadt, unter anderem Lesungen und Hörspielpräsentationen. Samstag findet dann von elf bis 15 Uhr die Abschlußpräsentation in der Mensa statt, ab 18 Uhr wird dann in Eldena zu den „Sounds of Europe“ gerockt. Wie schon im letzten Jahr wird radio 98eins während des Festivals wieder 24 Stunden live senden, viermal wird eine Festival-Zeitung erscheinen, mit den neuesten Infos in gedruckter Form. Bleibt zu hoffen, dass die Gäste Greifswald alle unproblematisch erreichen können, denn trotz Briefen mit Rektorunterschrift und Stempel gehen immer mal wieder Einladungen auf dem Postweg verloren. Und natürlich – das Wetter muss gut werden! uli

Info-Point im IkuWo Der zentrale Info-Point ist dieses Jahr im Internationalen Kultur- und Wohnprojekt e.V. (IkuWo) in der Goethestraße 1. Dort befindet sich während der Festivalwoche auch das Fundbüro. Das Organisationsteam steht dort allen TeilnehmerInnen, Hosts und BesucherInnen für Fragen und eine Erfrischung 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Generell lohnt es sich, immer mal vorbei zu schauen, da sich kurzfristig noch zusätzliche Events oder freie Plätze ergeben. Telefonisch erreicht ihr den Info-Point unter: 03834/513931


u-rope

„Mit dem Märchen der Wachstumsgesellschaft aufräumen“ Der freie Publizist und GrIStuF-Referent Kai Ehlers im moritz-Interview schlecht. Alle diese Länder haben eine große Zukunft, in der man sich tummeln kann.

moritz: Für welche wissenschaftlichen Disziplinen ist der Ostseeraum interessant? Woran sollte eine Universität arbeiten, die sich selber einen Ostseeraum-Schwerpunkt gegeben hat? Kai Ehlers: Mein Vorschlag hieße: Erforschung des Ostseeraumes – geschichtlich und aktuell.Waräger, Hanse, Ostsee-Pipeline. Der Ostseeraum im Schnittpunkt geopolitischer Interessen: USA, EU, Russland. Genau so interessant wäre es natürlich, wenn die Ostsee-Uni sich mit der Fischerei befassen oder ihren Antipoden wählen würde. Was könnte das sein? China? Afrika? Auch das Problem des Wasserverteilung auf der Erde wäre sicherlich interessant, vielleicht aber auch der Vulkanismus? Kurz gesagt: Wo immer sich eine Universität befindet, sollte sie meiner Einschätzung über das Lokalkolorit hinauskommen. Was sollte politik- und sozialwissenschaftlich erforscht werden? Nun, da wäre meine persönliche Option: Zukunftsforschung. Gezielte Suche nach gesellschaftlichen Alternativen in einem demographisch schrumpfenden Deutschland, das totz Schrumpfung ständig von Wachstum redet. Welche (beruflichen) Chancen bietet die Beschäftigung mit dem Ost-West-Verhältnis für Studenten? Diese Frage kann ich überhaupt nicht beantworten. Oder doch: Ausgedehnte Reisen in den euroasiatischen Raum, natürlich – vorausgesetzt, man hat fleissig Russisch oder auch Chinesisch gelernt. Auch Mongolisch wäre nicht

Welche Impulse sollten aus einer wissenschaftlichen Institution zum Thema „Arbeitslosigkeit“ und „Mensch und Arbeit“

GUStAV– Schreibwettbewerb Der Greifswalder Universitäts- Studentische AutorenVerband sucht Nachwuchstalente! Teilnahmeberechtigt sind alle Studenten der Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Eingereicht werden können bislang unveröffentlichte Lyrik- oder Prosatexte zum Thema „Jugend“ in einem Umfang von bis zu 10.000 Zeichen. Sendet eure Beiträge als rtf.-Anhang an: Kinka.Hamacher@web.de Im Textteil der Mail müssen Name, Alter, Kontaktadresse, sowie Studienfächer angegeben sein.

universum

Kai Ehlers ist freiberuflicher Buchautor, Presse- und Rundfunkpublizist. Im Schwung der 68-er Bewegung ging er in den Journalismus und beschäftigt sich heute hauptsächlich mit den Wandlungen im nachsowjetischen Raum – den er durch viele Reisen selbst erforschte. GrIStuf lud den vielgereisten Gesellschaftsanalytiker nach Greifswald ein, um im Rahmen des Workshops „NGOs – Gemeinschaft und Organisation“ zu sprechen.

Braucht es in der Ex-DDR eine besondere Form der politischen Wissenschaft, die auf Probleme der Nachwendezeit eingeht? Wenn ja, was für eine? Nein, die Ex-DDR braucht keine besondere Form der Wissenschaft, wenn damit gemeint ist, daß sie eine andere Wissenschaft bräuchte als etwa die ehemalige BRD. Sie braucht Wissenschaft. Aber sie muss sich und kann sich natürlich mit ihrer eigenen Geschichte befassen, sich dem Studium der DDR-Geschichte und der jetzigen Transformation der DDR. Sicher wäre es dabei auch sinnvoll, auf die wissenschaftlichen Bestände der DDR zurückzugreifen, statt sie im Archiv verschwinden zu lassen. Die Aufarbeitung des realen Sozialismus kann von einer Uni wie Greifswald sicher besser geleistet werden als von anderen Orten aus. Wichtig wäre auch, die Sozio-Strukturen genau zu untersuchen, die aus der Kapitalisierung der DDR-Gemeinschaftsstrukturen hervorgegangen sind.

kommen – wenn man im Hinterkopf hat, dass der Kreis mit der deutschlandweit höchsten Arbeitslosigkeit, Uecker-Randow, gleich um die Ecke Greifswalds liegt? Dies ist eine Frage, die sich an die wissenschaftliche Fantasie und die Fähigkeit zu utopischem Denken wendet. Erstens würde ich von einer solchen Institution erwarten, daß sie mit der Märchen von der „Wachstumsgesellschaft“ aufräumt und nachweist, was Karl Marx schon vor mehr als hundert Jahren wusste, daß nämlich Arbeitslosigkeit – im Sinne von „keine Arbeit für Lohn“ beziehungsweise noch klarer „kein Lohn für Arbeit“ – kein vorübergehender Betriebsunfall des Kapitalismus ist, sondern dessen Regel. Die Vollbeschäftigung ist dagegen die vorübergehende Ausnahme, weil das Kapital die „Reservearmee“ nicht beschäftigter Menschen braucht, um den Lohn der Beschäftigten zu drücken und höchstmögliche Profite zu erzielen – genau die Situation haben wir jetzt. Die Universität könnte sich darum bemühen, die wissenschaftliche Grundlage dafür zu liefern, wie die Lohnarbeitsgesellschaft a) entstanden ist b) wie sie überwunden werden kann und Förderprogramme für Untersuchungen entwickeln, die sich darum bemühen, solche Fragen zu klären. Interview: Ulrich Kötter

Einsendeschluss ist der 30. Mai 2006. Der Gewinner erhält die Möglichkeit, an einer GUStAV-Lesung im Koeppenhaus teilzunehmen. 23


person

„Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort, unverzüglich.“ – Günter Schabowski erklärt am Abend des 9. November 1989 die Mauer für geöffnet.

Geistiger Pleitier und Polterer

universum

Ein Ex-Politbüromitglied rechnet mit der DDR ab

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Günter Schabowski kommt nach Greifswald. Schabowski, das war doch der, der auf dieser Pressekonferenz am 9. November 1989 versehentlich die Mauer für geöffnet erklärte. Und deswegen reist der fast schon zum Mythos gewordene, gebeugte Mann mit der kleinen Brille und der Berliner Schnauze durch Deutschland, um den Leuten zu erzählen, wie es eigentlich wirklich war an jenem Tag und davor und danach. Günter Schabowski wurde am 4. Januar 1929 in Anklam geboren, kam aber schon mit drei Jahren nach Berlin. In den 50-er Jahren volontiert er bei der Zeitung „Die freie Gewerkschaft“, 1952 wird er Mitglied der SED. Seine journalistische Karriere geht voran, Schabowski wird stellvertretender Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“. 1968 kommt er zum SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ und ist zwischen 1978 und 1985 Chefredakteur der Zeitung. Ab 1981 ist Schabowski Abgeordneter der Volkskammer, gleichzeitig wird er Mitglied des Zentralkomitees. Ab 1984 ist er Mitglied des politisch einflussreichsten Gremiums der DDR, des Politbüros. Schabowski gilt gar neben Egon Krenz als einer der möglichen Nachfolger Erich Honeckers. Und Schabowski war das erste Politbüromitglied, das eine Pressekonferenz nach einer Zentralkomiteesitzung gab, an jenem 9. November 1989. Günter Schabowski ist das einzige Politbüromitglied, das nicht nur die reale Wende miterlebte, sondern sie auch geistig nachvollzog. „Ich habe einen existentialistischen Absturz erlebt“, meint

der heute 77-jährige, der sich von Marx und dem Kommunismus verabschiedet hat. Schabowski wurde 1990 aus der damaligen PDS ausgeschlossen und arbeitete sieben Jahre lang bei einer Lokalzeitung in Hessen. 1999 wird er wegen Mitschuld an den Mauertoten zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, ein Jahr später wird er begnadigt. Auf Einladung des Rostocker Geschichtsprofessors Werner Müller kam er am 27. April nach Greifswald, um im KruppKolleg über „Facetten des Zerfalls einer Leihmacht“ zu sprechen. Der gebeugte Mann mit der kleinen Brille geht vor dem gut gefüllten Saal – einige Zuhörer stehen – ans Pult und spricht. Laut und deutlich, um seinen Worten Wahrheit zu geben, und immer wieder mal berlinernd. Das mit der Pressekonferenz sei ja alles ganz anders gewesen, berichtet er und erläutert das Geschehen im Politbüro, das gerade den Sturz Honeckers hinter sich hatte. „Der Erich“ habe ja immer noch geglaubt, das die DDR zu retten sei. Aber schon die Feier zum 40. Jahrestag sei ein „Besuch am Siechenbett“ gewesen, poltert Schabowski und geizt auch sonst nicht mit provokantem Vokabular. Gorbatschow habe Honecker mit seinem legendären Zitat „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“ noch zum Umdenken bewegen wollen. Übrigens sei das gar nicht auf Honecker und seine Sturheit bezogen, erinnert sich Schabowski, sondern der Generalsekretär der KPdSU habe vielmehr seine eigenen Probleme schildern wollen. Honeckers Absetzung war für die Mit-

glieder des Politbüros nicht leicht, hatten sie doch untereinander ein recht persönliches Verhältnis. Für den Fall, dass der greise Vorsitzende sich gesträubt hätte, lag im Safe von Stasi-Chef Mielke gar ein roter Koffer, der die Nazi-Verbindungen Honeckers aufgedeckt hätte, berichtet Schabowski. Überhaupt hätte die Stasi als „Vertreterin der reinen Lehre des Kommunismus“ und langer Arm Moskaus Honeckers Stuhl zum Kippen gebracht – wenn ihr das Politbüro nicht zuvorgekommen wäre. „Die Sache mit der Pressekonferenz war weder Zufall noch Irrtum, sondern schlicht ein Fehler“, berichtigt Schabowski, „auch wenn sich die wildesten Gerüchte darum spannen.“ Das Politbüro war schon seit dem 2. Mai beunruhigt gewesen, als Honecker – stehend – verkündete, dass Ungarn die Grenze geöffnet hatte. Der klapprige SED-Chef wollte aber von einer neuen Reiseregelung, die die angespannte Lage in der DDR beruhigt hätte, nichts wissen und musste folglich entmachtet werden. Dann ging alles sehr schnell, das „Neue Deutschland“ druckte am 6. November den Entwurf eines neuen Reisegesetzes, das freilich immer noch ein Ausreisevisum vorschrieb. Darin sahen die DDR-Bürger ein neues Willkürinstrument des Staates und protestierten weiter. Eigentlich sollte die Grenzöffnung Weihnachten als Festschmankerl passieren, doch die Realität holte das Politbüro ein. „Wir waren so weltfremd, dass wir gar nicht wußten, dass es im Westen keine Ausreisevisa gibt“, erinnert sich Schabowski. Als die „kalte Dusche der Ablehnung“ über das Politbüro hernieder gegangen war, musste schnell gehandelt werden und am 9. November wurde ein Eilpapier von Egon Krenz, das die ständige freie Ausreise ab dem nächsten Tag ermöglichen sollte, diskutiert. Damit ging Schabowski, der sich das als einziger aus dem Politbüro überhaupt traute, in die Pressekonferenz. Dass die Grenzen erst ab morgens vier Uhr geöffnet werden sollten, stand auf einem anderen Zettel. Es sei schon merkwürdig, meint Schabowski heute, die DDR habe 1961 die Mauer gebaut, um das Land zu stabilisieren, 1989 habe sie sie wieder abgerissen, um das Land zu stabilisieren. Er selber bekam von den Folgen seiner Pressekonferenz erst etwas mit, als er schon wieder zuhause in Wandlitz war, und fuhr flugs zurück zum Grenzübergang Bornholmer Straße. Dort kam ihm ein Stasi-Mann in zivil entgegen, der pflichtgemäß vermeldete: „Der Grenzverkehr ist ungehindert möglich. Keine besonderen Vorkommnisse, Genosse Schabowski.“ uli


gespräch

„Wir hatten versagt und sind untergegangen“ Günter Schabowski über sein Ende der DDR, gefährliche Ideologien und die Vorzüge der Demokratie

Fotos: sj, kats

moritz: Wie oft halten Sie Vorträge wie heute Abend? Günter Schabowski: Das mache ich mal hier und mal dort, auch in Schulen. Ich inszeniere es nicht. Man lädt mich ein, Ich bin eine Figur aus der Führung der DDR, also eine Figur der Zeitgeschichte, jemand der sich mit seiner eigenen Verstrickung in ein gescheitertes System auseinandergesetzt hat. Man will von mir wissen, was sich damals abgespielt hat und warum, die Szenerie, die Figuren, die Psychologie. Die szenische Erzählweise dieser historischen Ereignisse im heutigen Vortrag ist neu. Hätten Sie Lust, das in einem Buch niederzuschreiben? Ich habe bereits darüber geschrieben. In meinem Buch „Der Absturz“ habe ich meinen Weg in die Politik thematisiert, bis zum Ende der SED-Macht. Egon Krenz hatte seine erste Publikation über die Endzeit der DDR „Wenn Mauern fallen“genannt. Schon damit wird suggeriert, als wäre das Trachten der SED darauf hinausgelaufen, die Mauer zu öffnen. Ich habe den Titel „Absturz“ gewählt, um deutlich zu machen, dass wir versagt hatten und deswegen untergegangen sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ein weiteres Buch heute noch einen Verlag reizen könnte. Ich halte aber weiter Vorträge. Ich glaube, Ideologie ist nicht der Endpunkt. Ideologie ist Psychologie. Politik ist Psychologie. Watzlawick hat den Begriff des „Utopiesyndroms“ geprägt und definiert – ich habe darüber erst nach 1989 gelesen. Bei der Lektüre fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wie gehen Sie mit persönlichen Anfeindungen um, die Ihnen vereinzelt auch heute Abend entgegenschwappten? Diese Leute, die sich gegen die Realität verriegeln, die sie einst abserviert hat, sind im Grunde zu bedauern. Die Ver-

Woran liegt es, dass fast alle anderen ehemaligen Mitglieder des Politbüros diesen Prozess der Selbstfindung noch nicht gemacht haben? Ironisch gesagt, muss ich dem lieben Gott dankbar sein, dass ich eine bestimmte Veranlagung habe, mich nach einem solchen Absturz nicht in mich selber zurückzuziehen, von Verrat und Verschwörung zu faseln, sondern anzufangen, Fragen zu stellen. Ich muss dankbar sein dafür, dass ich in der Lage war und das Verlangen spürte, dahinter zu gelangen, was uns abstürzen ließ. Warum ist das, woran man jahrelang geglaubt hat, verkehrt? Warum war es falsch? Das geht bis zum Nachlesen von Marx. Dazu braucht man auch Diskussionspartner. Auch, daß ich die Chance erhielt, mich in einem Buch mit mir selbst und der verpfuschten Weltverbesserung auseinandersetzen, hat mir geholfen. Ein solches Buch unterwirft den Autor dem Zwang, ehrlich mit sich selber ins Gericht zu gehen. Welche Lehren sollte die politische Wissenschaft, sollten Studenten gerade in Ostdeutschland ziehen? Ich kann mir nicht anmaßen, dafür irgendwelche Maximen aufzustellen. Meinen Söhnen hnen hab ich geraten, Erkenntnisse oder Sympathien, die sie gewonen haben, stets kritisch zu hinterfragen. Das gilt vor allem für soziale Patentrezepte. Das Zeitalter der Ideologien ist ja nicht vorbei. Ja, menschliches Handeln ist wohl nie ideologiefrei. Demokratie ist für mich die entscheidende Garantie für den Widerstreit von Auffassungen, von Welt- und Wertvorstellungen, das unverzichtbare Mittel zu realistischer gesellschaftlicher Einsichtsfähigkeit. Nur sie kann verhindern, dass wieder jemand einzelnes oder eine gesellschaftli-

che Gruppe ein Welterklärungsmonopol beansprucht oder durchsetzt, das jeden Andersdenkenden zum Ketzer macht, den man verbrennen darf. Für mich spielt das eine enorme Rolle. Es ist so etwas wie die Quintessenz meines politischen Lebens. Als Kommunist hatte ich die sogenannte bürgerliche Demokratie als Augenwischerei für das Volk verachtet. Unsere Diktatur des Proletariats war dagegen die höchste Form der Demokratie, weil es die Herrschaft einer Mehrheit über die Minderheit der Ausbeuter ist. In Wahrheit war es die Diktatur einer Handvoll Leute, einer Gruppe von selbsternannten Illuminaten, eines 25-köpfigen Politbüros über ein ganzes Volk. Welche Ideologien halten sie heute für gefährlich? Jede Art von Ideologie, die beansprucht Totalmaßstab der Gesellschaft zu sein, ist gefährlich – gleich, ob sie rechts oder links im politischen Spektrum vagabundiert. Gesellschaft entwickelt sich in einem immerwährenden Prozess. Was heute erfolgreich war, kann morgen schon veraltet, überholt sein und zum Hemmnis werden. Unser Wissen ist Vermutungswissen. Interview: Alexander Loew (Ostsee-Zeitung), Sebastian Jabbusch, Katarina Sass, Ulrich Kötter

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weigerung einer kritischen Introspektion nach dem politischen Gau, den Kommunisten 1989 erlebten, ist symptomatisch für einen diesseitigen Sektenstatus.

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flora

Das Arboretum: Eine grüne Oase Was haben König Boris, Angelika und Henry gemeinsam? Einfache Antwort: Nach ihnen wurden Bäume benannt. Eine weitere Gemeinsamkeit: Die König-Boris-Tanne, der Angelikabaum und Henrys Ahorn sind allesamt Bäume, die im Arboretum der Universität Greifswald stehen. Das Arboretum ist eine Gehölzsammlung und Teil des Botanischen Gartens in Greifswald. Zwischen den Universitätsgebäuden der Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße und dem Volksstadion am Karl-LiebknechtRing erstreckt sich die parkähnliche Anlage, die zum Erholen, Spazieren und Sonnenbaden einlädt. 1934 erfolgte die Grundsteinlegung für das heutige Arboretum, damals noch am Stadtrand gelegen und „Neuer Garten“ genannt. Der Aufbau fand 1939 mit Ausbruch des 2. Weltkrieges zunächst ein abruptes Ende. In den 50er Jahren konnten die Pflanzungen wieder aufgenommen und

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erweitert werden. Heute umfasst die Anlage eine Fläche von rund 7 Hektar, auf der ca. 1500 Arten und Varietäten von Gehölzen wachsen. Nach pflanzengeographischen Gesichtspunkten konzipiert und geordnet, stehen die Bäume und Sträucher länder- bzw. regionenspezifisch in bestimmten Parkbereichen. Durch Schilder markiert lassen sich Bäume, die beispielsweise in Sibirien, Japan oder Nordamerika beheimatet sind, unterscheiden. Viele dieser Bäume sind seit der Gründungszeit zu stattlicher Größe herangewachsen und geben der Anlage das Ambiente einer großzügig gestalteten Parkanlage. Staudenrabatten an exponierten Stellen, ein 1972 geschaffener Heidegarten, ein Pavillon mit Schautafeln zur Tierund Pflanzenwelt sowie ein idyllisch gelegener Seerosenteich runden das Gesamtbild ab. Von April bis Oktober geöffnet lädt das Arboretum dazu ein,

Fotos: grip

die Schönheiten der Natur zu genießen, die Seele baumeln und die Alltagssorgen vergessen zu lassen. Darüber hinaus ist das Greifswalder Arboretum, in internationale Kooperationen mit etwa 400 anderen Gärten und Institutionen eingebunden, vor allem auch eine der wissenschaftlichen Lehre und Forschung verpflichtete Einrichtung. Den Bedürfnissen der allgemeinen Öffentlichkeit kommt die Botanikschule entgegen, die sich vornehmlich der Schulklassen aus Greifswald und Umgebung annimmt. Regelmäßige Führungen und Ausstellungen – zur Blüte der „Königin der Nacht“ wird das Kakteenhaus abends geöffnet – gehören zum erweiterten Angebot dieser eindrucksvollen Greifswalder Gehölzsammlung. Kurz und gut gilt also, dass das Arboretum, die grüne Oase Greifswalds, immer einen Besuch wert ist. grip


festival

Das Klang-Ensemble 15 Jahre Nordischer Klang – 550 Jahre Universität Greifswald. Ein Standortgespräch mit Professor Walter Baumgartner haben den einzig richtigen Gott. Das ist ja kurios genug. Zudem bestehen Islam und Christentum an sich ja aus hundert verschiedenen und eigentlich sogar unvereinbaren religiösen Strömungen. Um das zu bewältigen, muss man einen speziellen Einsatz leisten. Wir treten für eine intellektuelle und nicht für eine Spaßgesellschaft ein. Diese verlangt nun einmal eine gewisse Anstrengung.

Wo steht das Festival heute? Vor 15 Jahren wurde es von Lektoren erfunden. Durch den finanziellen und arbeitsmäßigen Aufwand gründeten wir einen Verein. Gleichzeitig haben wir immer mehr die Studenten in die Arbeit mit einbezogen. Etwa 10 Studierende unseres Instituts können heute Praktikumsscheine für Pressearbeit, Arbeit im Organisationsbüro oder in der Programmheftredaktion erwerben. Der Nordische Klang ist allerdings nicht der Professor Walter Baumgartner (r.) und sein Team. Hauptaufgabenbereich des Instituts. Das ist natürlich so. Wir wehren uns Norwegen feiert in diesem Jahr dagegen auch ein bisschen. Ob wir ein literarisches Jubiläum. dabei Erfolg haben, weiß ich nicht. Wir 2006 jährt sich zum 100. Mal Henrik haben als Forschungsinstitut ein gutes Johan Ibsens Todestag. Im vergangenen Renomee. Jahr brachte das Theater Vorpommerns bereits ein Stück auf die Bühne. Jetzt Vor dem Karrikaturenstreit stand bereits markieren wir den Tag, der in Norwegen die Entscheidung für ein Informationsforum sehr hoch hängt, mit einer Tagung und über Kirchen, Religionen und Gesellschaft Lesung im Koeppenhaus. 2005 stand im Norden. Wie kam es bitte dazu? ja ganz im Zeichen Hans-Christian Vor vier Jahren haben wir ein Andersens. Symposion über Multiethnizität oder Einwandererkultur in den Nordischen Wo steht Ibsen heute? Ländern abgehalten. Das jetzige ist Ja, er ist ein Klassiker und ein sehr inteeigentlich die Fortsetzung davon. Das grater Autor. Ihm wurde immer vorgeThema ist ein bisschen brisanter gewor- worfen, er sei zu deutlich. Wie kommt den. Es ist doch interessant, wie wir es dann, dass sich die Gelehrten in heute gesellschaftlich damit umgehen, seinem Fall seit hundertfünfzig Jahren wenn mehrere Gruppen behaupten, sie dermaßen streiten? Wie kommt es

bitte, dass es kaum miteinander vereinbare Interpretationen und IbsenAuffassungen gibt? Vor etwa dreißig Jahren sahen die Neomarxisten in Ibsen einen Sozialkritiker. Mit einer gewissen Anstrengung ist das möglich. Heute will man ihn natürlich als einen verstehen, der die Postmoderne vorweg genommen hat. Man kann ihn dekonstruktivistisch, psychoanalytisch oder rein ästhetizistisch lesen. So einfach und überdeutlich kann er dann doch nicht sein. Welche Rolle spielt der Nordische Klang für die Nordischen Botschaften in Berlin? Seit langem ist ihre Wertschätzung groß. Die wissen ja auch, dass wir ein sehr gutes Aushängeschild oder Schaufenster für die Kulturen der Nordischen Länder sind. Sie haben uns ja auch immer finanziell sehr unterstützt. Indem sie auch Redner und Diplomaten zu unserer Eröffnung schicken, würdigen sie unsere Bemühungen. Wie steht es um die Zukunft des Instituts? Die Nordistik gibt es ja in Greifswald seit 1918. Das Jubiläum muss demnächst auch gefeiert werden. In Rostock oder Lübeck gibt es keine Skandinavistik. Hier haben wir das und das ist in Schwerin politisch gewollt. Die Nordistik ist deswegen ja auch nie in Gefahr gewesen, weggekürzt zu werden. Es kann sein, dass wir auch ein bisschen Federn lassen müssen. Dann könnte man sagen, wir erfüllen den traditionellen Auftrag Lehre und Forschung. Darüber brauchen wir nichts zu machen. Dass wir seit 15 Jahren Kulturvermittlung betrieben haben, hat sicherlich die Position des Instituts innerhalb und außerhalb für das Image dieser Universität gestärkt. Foto: so

Interview: Uwe Roßner

feuilleton

moritz: Wie feiert der Nordische Klang im Jubiläenjahr? Prof. Walter Baumgartner: Der Nordische Klang ist in seiner Konzeption so gut, dass wir im Jubiläumsjahr gar nichts hier verändert haben. Wir machen wie üblich Wissenschaft, Musik, Theater, Kunst, Tanz, Kinderprogramm und Film. Wir haben alles dabei und decken damit die ganzen nordischen Länder ab, inklusive dem Ostseeanrainer Russland.

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nordischer klang

Gute Musik in gemütlicher Sauna-Atmosphäre Die Polar-Night in der Mensa Der unumstrittene Höhepunkt für viele dürfte die Polarnight am 12. Mai in den Räumen des Mensa-Clubs gewesen sein. Es traten an: Giri, Mon Roe und Sugarplum Fairy. Somit stand der Abend unter schwedischer Flagge und die drei klassischen Elemente Gitarre, Bass und Schlagzeug genügten, um den prall gefüllten Konzertraum zum Tanzen, Schwitzen und Trinken zu bewegen. Der Opener Giri, ein gebürtiger Sri Lanker aus der Nähe von Stockholm, und seine zwei Bandkollegen, von denen einer die größte Gürtelschnalle der Welt sein Eigen nennen darf, waren ein guter Anfang für das, was danach noch kommen sollte. Denn wirkte das Publikum noch etwas zurückhaltend bei Giris Klängen, gab es schon bei Mon Roe kurze Zeit später kein Halten mehr. Mit unglaublicher Dynamik und Geschwindigkeit starteten die fünf

Foto: so

Bunt

Ibsen für Eilige

Glänzend

Respekt. Simone Moreno verwandelte die Dompassage in einen Samba-Tempel. Die Zugaben sollten nicht enden. Auf ihr herzliches „Come to me“ zögerte das Publikum erst, doch Tanzfreudige ließen sich nicht abhalten, zusammen mit der feurigen Sambasängerin und ihren „Blondschöpfchen“ ausgelassen zu feiern. Bei hinreißendem Samba, Reggae, Afro und Soul kochte der Saal. Kein Wunder, denn Simone Moreno riss mit. ur

„Trotz des dynamischen Titels ist mein Buch nicht für Rennfahrer geschrieben, sondern für Leser, die sich für das Leben und Werk des berühmten Norwegers interessieren.“ Mit diesen Worten beschreibtAldo Keel sein „Ibsen für Eilige“. Anlässlich des Greifswalder Ibsen Special im Rahmen des Nordischen Klangs ist der renommierte Züricher Skandinavist, Übersetzer und NZZ-Kolumnist im Koeppenhaus zu Gast gewesen, um sein vor kurzem erschienenes Buch vorzustellen. Unterstützt von seiner Frau wusste er Amüsantes, Spannendes und Kurioses über den Begründer des modernen Dramas zu berichten. Ibsen als ein Mann, der lange im Ausland weilt und dessen Blick dennoch immer nach Norwegen gerichtet bleibt. Ibsen, der von Zeitgenossen als „stumm, wie ein Stockfisch“ beschrieben wird. Ibsen, der einen Spiegel in seinem Zylinder versteckt, um seine Frisur jederzeit überprüfen zu können. Und letztlich auch Ibsen, dessen Stücke, inzwischen in über hundert Sprachen übersetzt, öfter gespielt werden als Shakespeare-Werke. Aldo Keel entwirft damit ein vielschichtiges und interessantes Bild des Norwegers, das die Besucher seiner Lesung zu schätzen und mit viel Applaus zu honorieren wussten. grip

Freunde der klassischen Musik kamen in diesem Jahr beim Nordischen Klang ganz besonders auf ihre Kosten. Die Kotka Violin Kids, das Duo Karolina Saloheimo/ Elina Fahlström, die isländische Sängerin Hanna Dóra Sturdóttir und Greifswalder Kammerchor Tonlust zeugten von einer breiten Vertretung klassischer Musik innerhalb des Festivalprogramms. Hier wurden 15 Jahre Nordischer Klang würdig gefeiert. Ein besonderes Augenmerk erhielt in diesem Jahr dabei der Ostseeanrainer Russland.Mit Recht.Denn der Geburtstag von Dimitri Schostakowitsch jährt sich 2006 zum 100. Male. Ein guter Anlass der Ehrerbietung. Das Tachalow Quartetts erwies sich bei seinem Auftritt im Pommerschen Landesmuseum als eine dafür würdige Kammermusikgruppe. Hinreißend gestalteten sie Antonin Dvoráks Klavierquintett in Es-Dur op. 87 und Gabriel Faurés op.15 in der gleichen Besetzung. In der Mitte beider stand Dimitri Schostakowitschs zweites Klaviertrio op. 67, indem er seinem Freund Iwan Iwanowitsch Sollertinskij (1902-1944) ein musikalisches Andenken setzte. Den in Noten gefassten Schmerz und Trauer brachten die Musiker behutsam zum Klingen. ur

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Brachte Tanzfieber in die Mensa: MonRoe.

Schweden ihre Show und rissen alle mit sich. In neckischen Uniformen, die doch ein wenig an ihre Musikerkollegen The Hives erinnerten, fegten die Jungs übers Bühnenparkett, allen voran Sänger Saint, der sich durch Hornbrille und Bierbäuchlein irgendwie von seinen Bandgefährten abhob. Der Headliner der Veranstaltung war ganz klar: Sugarplum Fairy. Ganz wie es das Klischee vorsieht, versammelte sich vor der Bühne die holde Weiblichkeit und sang alle Texte mit. Man mag den Fünfen eine schlechte Attitüde und Überheblichkeit nachsagen, aber sie schafften es in jedem Fall, die Sache rund zu machen, ließen sich sogar zu einer Zugabe überreden und entließen die anwesenden Freunde des gepflegten Rocks in die laue Greifswalder Nacht zum Tief-Durchatmen und Auslüften. so

Foto: ur


nordischer klang

Spirituelle Klänge und Onomatopoesie aus Norwegen: Transjoik.

It´s Joiktime! Rockten: Giri.

Foto:s so

Das Spätkonzert der norwegischen Band Transjoik in der Kappelle des Soziokulturellen Zentrums St. Spiritus bewies es: Joik ist ganz einfach. 1. Denken. 2. Einatmen. 3. Joiken. Selbst das Wort Greifswald eignet sich wunderbar dafür. Der lautmalerische Gesang ist ein ganz besonderer und wichtiger Bestandteil der samischen Kultur. Zur anfänglich meditativen Silbenmusik paarte das norwegische Quartett packende Rhythmen auf zwei Schlagzeugen, die

von Keyboard und E-Gitarre umspielt wurden. Leider verwusch sie die fesselnde Kraft des ekstatischen Summen und der beschwörenden Schreie durch die modernen Instrumente. Der Applaus der Konzerthörer gab dem nicht Recht. Dennoch: Transjoik sollten nicht unter dem Label des Joik kulturelle Beliebigkeit vermarkten. Denn es wäre sehr schade, wenn beim Singen der selbst von ihnen geforderte Geist stürbe. ur ANZEIGE

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Das Nordische Institut.

Samba aus Brasilien: Simone Moreno.

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konzert

Tach Krach, wer ist eigentlich Udo? Record-Release-Party des neuen Albums von „Krach“

Die Neugier war groß und alle kamen sie, um auf der Record-Release-Party den Klängen des neuen, mittlerweile dritten Albums von „Krach“ zu lauschen. Mit großem Aufwand wurde geladen und der kleine Saal der Mensa verwandelte sich am 5. Mai in ein feucht-fröhliches Gelage. Während der Sauerstoff zu Neige ging, stieg die Stimmung der fast 700 Feiernden schon bei der Vorband BigBanders aus Kiel ins Unermessliche. Mit etwas Verspätung ging dann um 23 Uhr der Vorhang auf für Krach und ihre neue Platte „Zu heiß für Udo“. Es wurde gesprungen und geschubst was das Zeug hielt und der Boden unter den Füßen begann zu wackeln. Die Band hatte im Vorfeld einige Schmankerl

versprochen, und so gab es neben ansehnlichen BackgroundSängerInnen eine leicht bekleidete Dame, die ihre Hüllen zu „Zu heiß...“ fallen ließ. Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut und der ein oder andere Knaller gezündet. Ja, „heiß“ war das Motto des Abends und durchzog das gesamte Event. Das Album wurde während eines zweiwöchigen Aufenthalts im Februar auf Mallorca produziert. Die Songs entstanden in den letzten zwei Jahren. „Krach“ ist mehr als zufrieden mit ihrem Werk und der Entscheidung, dies fern der Heimat aufgenommen zu haben,

Fotos: Jeannette Rische

ganz ohne digitale Technik. Der Opener „Licht“, sowie „Staub des Glücks“ wurden als Singles ausgekoppelt. Bei „Zu heiß für Udo“ handelt es sich um ein abwechslungsreiches Album. Die Songs sind größtenteils auf Deutsch, einige auf Englisch, wobei mal jemand hätte Korrektur lesen sollen. Aber gut, die Musik an sich steht im Vordergrund und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die sieben Köpfe der Band ihre Sache beherrschen. Die schöne Floskel Ska-Jazz-Punk-Mix trifft dann wohl auch zu. Leider wirken einige Stellen zerrupft und wenig tanzbar. Man ist gerade so schön drin und dann kommt der Bruch. Aber es ist vielleicht genau das, die Abwechslung, die Spannung und die Experimentierfreude in den Songs, die mal schnell, mal langsamer aufwarten, was „Krach“ so speziell macht und ihre große Greifswalder Fangemeinde derartig zum Ausrasten bringt. Und, sind wir nicht alle ein bisschen Udo? so

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Denyo, Paris, CosmicCasino, Chikinki

und der Sieger des Greifswalder konTAKT-Wettbewerbs

WANN am 1. Juli WO

Festspielplatz am Gorzberg, Beginn: 17 Uhr

Tickets gibt‘s beim AStA oder in allen bekannten Vorverkaufsstellen.

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Mehr über „Krach“ und ihre Tourdaten findet ihr unter www.krach-musik.de


cds/bachwoche

Festivals noch und nöcher

Sammel-Lab (Universal) Die Musik von Delbo ist ein bisschen so wie unerwarteter Besuch. Auf der Durchreise klopft er bei dir auf einen Kaffee und ein paar nette, kluge Worte an. Dabei zeigt er sich immer irgendwie rastlos, in sich gekehrt, hinterm Fenster die Hände an der Tasse wärmend und die Asymmetrien im Hinterhof benennend. Denken und Reden überschlagen sich und in deinen Augen senkt sich ein bisschen die Ferne. In den acht Liedern ihres neuen, mittlerweile dritten Albums „Havarien“ behalten die drei Delbos ihr vertracktes Songwriting bei und setzen

Per Gessle Project: Son of a Plumber (Capital Records/ Elevator Entertainment)

auf Bass, Gitarre und Schlagzeug. Hin und wieder leuchten ein paar Pianofetzen auf. Postrock-Klangskelette erklingen ganz entgegen des deutschsprachigen IndieEinerleis und kreieren transparente Disharmonien. Dabei brechen auf einmal die Melodien auf und wenden sich in unvorhergesehene Bahnen. Bezeichnenderweise beginnt das Opus Trium mit dem Titel „Slalom“. Irgendwie sind delbo auch Handwerker. Sie errichten eine „Figur“ (Lied Nr. 7), modellieren an ihr herum, brechen mit dem Plan, lassen sie stehen, entwerfen sie neu, betrachten die Ränder und erkunden den Kern. Dabei wirken sie nie beliebig. So wie sich die eingestanzte Titelliste auf der der Rückseite der Hülle erst richtig zu erkennen gibt, wenn man mit dem Bleistift darüber schraffiert, so sind auch die delbotypisch postbarocken Texte: verwegen, verworren und ganz mit der Musik verwoben. Mit jedem Hören wecken die Songs frische Assoziationen und enthüllen neue Muster. Das DelboDing wächst und wächst, um sich gleichzeitig im Gehörgang und allem was da dran hängt (Kopf, Herz, Bauch) festzusetzen. Nach 40 Minuten heißt es dann aber „Départ“. Ein bisschen schade. Genauso wie der Abschied eines unerwartet-schönen Besuchs. Martin Hiller

Wenige werden vielleicht die Band erkennen, deren Aufnahme Per Gessle auf dem Cover von „Son of a Plumber“ gedankenversunken in einem gutbestückten Plattenladen in den Händen hält. Gyllene Tider ziert die Hülle, seine erste schwedische Band. Nach der plötzlichen Erkrankung seiner Duopartnerin Marie Fredriksson und der Auszeichnung beider um ihre Bemühungen für ihre Heimat im Ausland durch ihren König, ging es mit dem nun 47-jährigen Sänger und Songwriter steil aufwärts. Schweden stand bei der Jubiläumstour von Gyllene Tider Kopf, die Musikindustrie freute sich über rosige Absatzzahlen und spätestens beim kurz darauf folgenden Soloalbum „Mazarin“ fragten einige Kritiker, ob so einer eigentlich noch solche Erfolge braucht. Doch der Popworkaholic tüftelte weiter, ging ins Studio, nahm auf und kehrt auf einmal mit „Son of a Plumber“ in die internationalen Charts zurück. Auf einmal scheint es, als ob sein erster englischsprachiger Versuch „The World According to Gessle“ ganz vergessen ist. 1997 floppte er und ward danach nie wieder gehört. Nur „Stupid“ taucht 2003 plötzlich zwischen Roxettes „The Pop Hits“ auf. Man mag Gessle den Erfolg dennoch irgendwie gönnen. Denn seit jeher hat der Mr. Feelgood ein unabstreitbar sicheres Händchen für eingängige Liebeslieder. Auch „Son of a Plumber“. Die insgesamt ruhige und sehr persönliche Platte setzt sich über einzelne knackige Einspielungen hinweg zu einem Gedankenstrom voller schmusiger Querverweise zusammen. Tja, alter Schwede! ur

Keine Frage: Mecklenburg-Vorpommern ist ein Musikland. Weit ab großer Konzertsäle spielt das klassische Repertoire innerhalb der Musikfestivals die erste Geige. Besonderer Nachhall findet hier die delikate Wahl von ungewöhnlichen Konzertorten verbunden mit reizender Natur. Zu feiern gibt es viel in diesem Jahr. Die Jubilare Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann und Dimitri Schostakowitsch bitten um Aufmerksamkeit. Die Greifswalder Bachwoche feiert vom 9. bis 15. Juni ihr stolzes Alter von 60 Jahren. Als ältestes und kirchliches Musikfestival des Bundeslandes verweist sie auf das facettenreiche Miteinander zwischen Johann Sebastian Bach, der Greifswalder Universität und dem Universalem an sich. Mit über 104 Konzerten laden die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern vom 17. Juni bis zum 16. September an 51 Spielorten ein. Das deutschlandweit drittgrößte Klassikfestival feiert ausgelassen Wolfgang Amadeus Mozart. Ausgesuchte Stargäste wie beispielsweise Mstislav Rostropovich, Kent Nagano, Daniel Hope und Hélène Grimaud fehlen nicht. Der Leipziger Thomanerchor beehrt mit Werken von Johann Sebastian

Bach, Felix Mendelsohn-Bartholdy und Johannes Brahms Greifswald. Die ersten Herbstwochen stehen auf Usedom hingegen ganz im Zeichen Schwedens. Zwar widmet sich das Festival seit Jahren der Musik des Ostseeraums, doch hält es mit dem von Joseph Haydn geschätzten Joseph Martin Kraus (1756 –1792) einen schwedischen Jubilar in Erinnerung. Ein Liederabend mit der Sopranistin Nina Stemme, der Auftritt des Pianisten Peter Jablonskis oder das Esbjörn Svensson Trio sind einige der diesjährigen Konzerthöhepunkte. Wie man sieht, harmonieren Mecklenburg-Vorpommern und die Musik bestens. ur

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Deblo: Havarien

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Grafik: www.sehsuechte.de

Zwischen Thalia und Russenhalle

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35. Internationales Studentenfilmfestival „Sehnsüchte“ in Potsdam

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„Nicht einmal zur Premiere wurde ich eingeladen. Die Karte für ‚Walk the Line’ musste ich mir selber kaufen“, sagte mir Tobias Kluckert bei einem Glas Sekt im Foyer des Thalia-Kinos in Potsdam-Babelsberg. Doch wer ist Tobias Kluckert? Mit seiner Statur und seinem Habitus hat er eigentlich das Zeug für einen richtigen Schauspieler. Dennoch ist sein größtes Kapital seine Stimme. Als Synchronsprecher, oder besser Synchronschauspieler, wie er sich offiziell bezeichnet, hat er es zu seiner Profession gemacht, den Hollywoodstars, wie beispielsweise Joaquin Phoenix als Johnny Cash, die deutschen Worte so in den Mund zu legen, dass man sie ihnen als nahezu authentisch abnimmt. „Wenn meine Mutter im Kino vergisst, dass ich es bin, der da spricht, dann habe ich meinen Job gut gemacht.“, so der 33-jährige Tobias. Doch eben weil die reale Person hinter der Stimme verloren geht, haben die Großen im Geschäft ein Interesse daran, sie möglichst anonym zu lassen. Dementsprechend taucht sein Name auch nicht im Abspann auf. Wenn man aufmuckt, wartet oft schon der nächste: Dass George Clooney möglicherweise anders spricht, weil er einen Vollbart hat, merkt man erst, wenn man bereits für den Film bezahlt hat. Auch wenn die Dimensionen bei den „Sehsüchten“ etwas bescheidener als bei der Berlinale waren, lag genau darin ein Vorteil, da hier ein persönlicher Kontakt zwischen Aktiven und Rezipienten möglich war – wobei die Grenzen mitunter stark verschwammen. So konnte man einem Drehbuchautor

in der Volksmusik verwurzelten Eltern in „Ja zenilsja na bajane – Ich bin mit dem Akkordeon verheiratet“ auf die Musik der „Fabelhaften Welt der Amélie“ zurückgreift. Im Kurzfilmblock „Passion“ stach zum einen „Das Maß aller Dinge“ von Sven Bohse hervor, in dem ein angehender Meisterkoch die perfekte Suppe kreieren will, während in seiner Nobelküche die Welt zusammenbricht und er einen Gourmet-Kritiker mit der Leber eines versehendlich überfahrenen Hundes zufrieden stellen muss. Zum anderen versetzte einen der norwegische Film „Oskar“ von Guro Ekorholmen in die visuell eindringliche Welt eines Zauberberg-artigen Sanatoriums im Jahre 1947, in dem ein junger Pianist durch die Vitalität eines kleinen Jungen neuen Lebensmut erhält. Eine wesentlich gegenwärtigere Thematik führte einem „Kohle, Dosen und schwarze Löcher“ von Jakub Bejnarowicz und Agnieszka Gomulka vor Augen. Dokumentarisch wird hier von ehemaligen polnischen Bergarbeitern berichtet, die in ihren Gärten metertiefe Schächte graben, um illegal an Kohle zu gelangen, welche ihnen den Lebensunterhalt sichern könnte. Dieser Film wurde mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Insgesamt war es mir zeitlich nur möglich, einen Teil des Programms wahrzunehmen. So verzichtete ich auch auf die Party in der sogenannten „Russenhalle“. Abschließend sei noch erwähnt, dass ich hier auch wieder einen alten Bekannten traf, der dem Studentenfilmfest schon nahe stand, als es noch außerhalb des „befreundeten Auslands“ ein Insidertipp war: der ehemalige Greifswalder Kultregisseur Thomas Frick, der sich für das Präsent der Greifswalder Studentenschaft, ein „Wir-sind-die-Uni“-T-Shirt, herzlich bedankte und ankündigte, es auch zu tragen, wenn er im Juli im Zuge der Ausstellung zur Geschichte der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) in der Mensa einige seiner Werke präsentieren wird. aha

vorschlagen, seine witzige Geschichte um eine gefälschte archäologische Fundstätte anstatt in Niedersachsen in Sachsen-Anhalt spielen zu lassen, da er so auf den Nebra-Zug aufspringen könne und das Projekt so vielleicht einen Financier bekäme. Überhaupt war die Frage der materiellen Machbarkeit eines der Hauptprobleme, die hier diskutiert wurden. Ein möglichst großes Stück vom Kuchen der Produzenten und Filmförderungen zu ergattern, war das Ziel. Diejenigen, die schon einige Schritte weiter waren und einen Film vorführten, mussten nun sehen, wo sie diesen unterbringen konnten. Wer die Aussicht bekam, irgendwann mal bei „arte“ in später Stunde zu stranden, konnte durchaus zufrieden sein, obwohl vieles von dem, was hier gezeigt wurde, auch das Zeug für das reguläre Kino hatte. Dabei muss man jedoch anmerken, dass es sich zum großen Teil um Kurzfilme handelte, die in mehren Blöcken präsentiert wurden. Einen Schwerpunkt bildete in diesem Jahr Russland. Dabei wurde sowohl auf die klischeemäßige Schwermut gesetzt, wie zum Beispiel in „Progulka - Spaziergang“ von Julija Kolesnik, was einem wie ein Sequel des bekannten „Katjuscha“-Liedes vorkam, als auch auf äußerst humorvolle Großstadtmärchen wie „Dvier – Die Tür“ von Vladimir Kott. Es gibt einem jedoch in puncto Globalisierung zu denken, dass dem Dokumentarfilmer Dimitry Uvarov bei der Untermalung des Portraits seiner Greifswalder Kultregisseur: Thomas Frick.

Foto:privat


kino

Daniels Liebesbekundung.

Fotos: NEUE VISIONEN

Außenseiter – SpitzenReiter Dark Horse ist ein dänischer Film über das Außenseitertum, der Kritik an der Gesellschaft übt. Die Story ist simpel. In Kopenhagen, in einer zivilisierten Welt voller Regeln, Normen und bürokratischen Institutionen lebt der abgewrackte und mittellose Verlierer Daniel mit seinem molligen MöchtegernSchiedsrichter-Freund Roger, genannt Opa. Beide verlieben sich in die gleiche Frau, aber nur einen erhört sie. Es ist Daniel, der eine Zuneigung zu ihr entwickelt,

die seine massiven Geldprobleme in den Hintergrund rücken lassen. Francesca verliert ihren Job in einer Bäckerei, weil sie psychedelische Pilze nahm. Roger arbeitet in einem Schlaflabor und kompensiert seine Energie nun auf die kommende Fußball SchiedsrichterPrüfung. Als Daniel beim Sprayen erwischt wird, begegnet er zum ersten Mal dem Richter. Dieser übt seine Arbeit nur aus, weil er muss. Die Motivation ist gänzlich verschwunden und er scheint

etwas Fundamentales in seinem Leben zu vermissen. Als verantwortungsvoller Richter steigt er eines Tages aus der Gesellschaft aus. Ihn bekümmern keine Termine und kein beruflicher Druck, er steckt in einer existenziellen Lebenskrise. Man merkt schnell, alle drei Hauptfiguren irgendwie nicht in diese Welt passen. Völlig unbekümmert und passiv leben sie ihr Leben, wahre Konflikte gibt es für sie nicht. Das macht sich auch in den wortkargen und oberflächlichen Dialogen bemerkbar. Aber es soll auch gar nicht um die Frage gehen, wie Konflikte gelöst werden können. Im Vordergrund stehen die individuellen Entwicklungen der Hauptfiguren, die unterschiedlicher nicht sein können. Als Francesca von Daniel schwanger wird, merkt er, dass er zum ersten Mal in seinem Leben Verantwortung tragen muss. Das überfordert ihn zunächst. Er unternimmt eine Reise durch eine steppenähnliche Landschaft, bevor er mit dem Flugzeug zurückfliegt. Mit Dark Horse ist dem isländischen Regisseur Dagur Kári eine fabelhafte Komödie in schwarz-weiß gelungen, die viele Überraschungen bereithält für jeden, der mal weg kommen will vom typischen Mainstream. kats

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Achtet auf die Überblendzeichen! Der Filmclub Casablanca zeigt Filme im alten Stil Rick Blain, Victor László und Ilsa Lundt verbindet eine ménage à trois. Deren tragische Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf in einer nordafrikanischen Hafenstadt während des Zweiten Weltkriegs. Der Name des Ortes ist Casablanca. Der gleichnamige US-amerikanische Kinofilm des Regisseurs Michael Curtiz zählt dank des großartigen schauspielerischen Zusammenspiels von Humphrey Bogart und Ingrid Bergman, dem genreübergreifenden Drehbuch mit zitierfähigen Dialogen und der populären musikalischen Untermalung zu den Klassikern der Filmgeschichte. Dreifach oscarprämiert, auf jeder Kritikerliste der Besten Filme aller Zeiten vorhanden, ist das Werk auch namensgebend für eine kulturelle Institution in Greifswald: den Filmclub Casablanca e.V. Dem filmbegeisterten Greifswalder stehen ja bekanntlich nicht allzuviele Abspielstätten zur Verfügung. Ein sich an den Bedürfnissen des Marktes orientierendes Unternehmen mit sechs Kinosälen dürfte jedem bekannt sein. Dessen Filmangebot versucht den Spagat zwischen Publikumserfolgen und hohen Zuschauerzahlen auf der einen, Kritikerlieblingen und anspruchsvolleren Titeln auf der anderen Seite zu bewerkstelligen. Doch ohne den Filmclub Casablanca wäre die Filmlandschaft in der Universitätsstadt um vieles ärmer. Genauer gesagt fehlten dann die kleinen, unabhängigen, internationalen Kinofilme auf einer Greifswalder Leinwand. World famous directors wie beispielsweise Darren Aronofsky („π“), Emir Kusturica („Das Leben ist ein Wunder“) oder Wayne Wang („Smoke“), und weitere noch unbekanntere Kreative würden

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verborgenbleiben – höchstens digitale und vielseitige Scheiben könnten die Bedürfnisse der Filminteressierten befriedigen. Ein Verlust des Gemeinschaftserlebnisses wäre die Folgen. Dieser wird vom Filmclub zweimal im Monat bekämpft. Abwechselnd führen die Mitstreiter im Theater Vorpommern und im Pommernschen Landesmuseum 24 Bilder pro Sekunde vor. Wichtigstes Kriterium für die Filmauswahl ist der qualitative Anspruch des zu zeigenden Streifens. Das heißt aber nicht, dass nur dialoglastige französische Autorenfilme der 1960er Jahre oder depressive Charakterstudien aus heimischen Gefilden aufgeführt werden. Unterhaltend sollen die Stunden in der Obhut der Filmvor-führer schon sein. Zwei 35mm-Projektoren, beide stammen aus dem Jahr 1946, ein Umschalt-gerät und eine Leinwand werden benötigt und schon kann es losgehen. Fast zumindest, haben doch die Filmaktivisten einige Vorarbeiten zu erledigen. Zuerst die Titelauswahl, das Organisieren der entsprechenden Kopie vom Filmverleiher, vorbereitend die auf Filmrollen gelieferte Werke kontrollieren und abspielfertig machen, das Publikum erwarten, hereinlassen und die Filmvorführung beginnen. Alle zwölf bis fünfzehn Minuten dann auf das Überblendzeichen warten, den zweiten Projektor rechtzeitig starten, damit keine Unterbrechung entsteht wenn der Filmstreifen im ersteren zu Ende ist. Dieses wiederholt sich während der gesamten Filmvorführung mehrfach. Dem Publikum bleibt das natürlich nicht verborgen. Der neu anlaufende zweite Projektor lärmt, die Schärfe des Filmes und die Abspielgeschwindigkeit muss teilweise korigiert werden. Doch macht dieses den Charme einer analogen Filmvorführung aus. Alte Filmrollen müssen entnommen werden, neue in den Projektor eingelegt. Zwar nur in Monoton, doch sehr oft werden Filme in einer deutsch untertitelten Originalfassung gezeigt. Als gemeinnütziger Verein arbeitet der Filmclub nicht gewinnorientiert. Seit 1990 ist der Verein kulturbereichernd aktiv. Die rund 70 regelmäßigen Zuschauer unterstützen mit ihren drei Euro Eintritt den Ablauf des Greifswalder Programmkinos. Die kürzliche Erhöhung des Eintrittspreises um einen halben Euro ist dem Land Mecklenburg-Vorpommern zu verdanken. Drei viertel eines Euros sind vom Verein nämlich an das Land abzuführen. Ungern haben die Filmclubler diese Erhöhung an die treuen Zuschauer weitergegeben. Die Lust an zukünftigen Filmvorführengen ist ungebrochen. Zwar streikt die Abspieltechnik aufgrund ihres betagten Alters manchmal, doch in Casablanca arbeiten erfahrene Handwerker. Sollte jemand alte Abspielechnik auf seinem Dachboden entdecken, der Filmclub ist daran interessiert. Auch sind die Mitglieder des Vereins filmischen Wünschen der Zuschauer sehr aufgeschlossen. Also habt Mut eure Zelluloid-Interessen zu artikulieren. bb Das Programm des Filmclubs im Internet: www. kulturserver-mvp.de/home/filmclub-hgw/


kino hend aus verschiedenen Experten zusammenkommen zu lassen um mit allerlei technischen Schnickschnack die Bösewichter der Welt dingfest zu machen, ist in dem von J.J. Abrahams als Regisseur begleiteten Werk misslungen. Eine spannende Story, warum auch: Wichtig ist nur Mr. Cruise – und der Kompensation des kleinen Penis durch größere Waffen. Film macht keinen Foto: Paramount Pictures Hehl daraus, dass der mittlerweile 43 Jahre Akteur sein Privatleben auf der Leinwand auslebt und mit der ganTom Cruise alias Ethan Hunt ist zurück. zen Welt teilen muss. Oder zumindest Der nunmehr dritte Kinostreich über mit den zahlungsbereiten Zuschauern. die Impossible Mission Force, kurz IMF, Der beste Mann der IMF dient dieser lässt das sommerliche Unterhaltungs- nur noch als Ausbilder. Schuld daran filmangebot aus dem Land der unbe- ist natürlich eine Frau, Krankenschwesgrenzten Möglichkeiten beginnen. Was in ter von Beruf und die zukünftige Mrs. den 1960-er Jahren des letzten Jahrhun- Hunt. Nur um die Rettungsaktion für derts auf der kleinen Mattscheibe wun- eine frisch ausgebildete Agentin zu leiderbar funktionierte, ein Team beste- ten, veranlasst Ethan Hunt noch ein-

Mission: Insignificant

mal in den Ring zu steigen: Die Mission führt ihn und sein Team nach Berlin, Erfolg ist ihnen nicht vergönnt. Die Los(t)er wollen dies nicht ungeschehen lassen und machen im unbeschreiblich unnahbaren Luther Strickell den Schuldigen, den Staatsfeind Nummer 1 aus. Das Team plant dessen Entführung aus der Stadt des Heiligen Geistes, gibt sich auch Mühe in der Durchführung, doch im Gefängnis kann er nicht abgeliefert werden. Warum auch, der Film wäre zu Ende und der Zuschauer würde mittelmäßige Actionsequenzen und eine unbeschreiblich langweilige Reise ins Reich der Mitte verpassen. Dorthin muss sich nämlich Ethan Hunt begeben, um seine Herzallerliebste zu retten. Denn Strickell ist sehr sauer auf ihn. Viele Drehbuchideen existierten, mehrere Regisseure (was hätte ein David Fincher bewirken können?) und Darsteller (Scarlett, danke für Deine Nichtmitarbeit!) haben sich an diesem Filmprojekt versucht. Doch ein Egomane wie Tom Cruise gibt anderen keine Freiheit. Seinem Diktat ist der bisher schlechteste Teil der Reihe anzukreiden. Im Herbst wird Mr. Hunt dann hoffentlich elegant abserviert werden. Glücklicherweise schickt der britische Geheimdienst seinen besten Mann wieder in die Arena. bb

Elf Freunde sollt ihr sein.Jedenfalls auf dem Fußballplatz. Dort gelten eigene Regeln: Bundestrainer Sepp H. charakterisierte mit seinen Lebensweisheiten den Mannschaftssport, vergaß aber den nachweisbaren Einfluß des Privatlebens auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Den Eintracht Imma 95-Spielern kann es nämlich nicht gut gehen. Zwar sind fast alle Spieler liiert, glücklich können sie aber nicht sein. Erstens muß der Kampf gegen den Abstieg in die sportliche Bedeutungslosigkeit gewonnen werden. Der Bomber des Teams kann dabei verletzungsbedingt nicht helfen. Zweitens tolerieren, ja haben sich die lebensabschnittsbegleitenden Personen mit der Fußballpassion ihrer Partner resignierend abgefunden. Dass diese Opferbereitschaft nicht bis zum jüngsten Tag aufrechtzuerhalten ist, dient als Ausgangskonflikt des Kinofilms „FC Venus“. Die Regisseurin Ute Wieland veranstaltet den Kampf der Geschlechter auf und um den Fußballplatz. Das Zukunft des Paares Paul Bruhn und Anna Rothe (Christian Ulmen und Nora

„Klapp gefälligst den Klodeckel runter!“ Anlass für ein Fussballspiel. Tschirner) wird auf die Probe gestellt: Unter falschem Vorwand zieht die Frau mit ihrem Mann in dessen Heimatstadt, er spielt Fußball ohne ihr Wissen, die weibliche Intelligenz deckt das Geheimnis auf und aus einer Schnapsidee wird ein alles entscheidendes Fußballspiel angesetzt. Die Eintracht-Männer gegen ihre unter dem Namen FC Venus spielenden Partner(innen). Lohn der sportlichen Mühe ist der Verzicht auf alle fußballerischen

Foto: Wüste Film

Aktivitäten seitens der Männer bei einem Sieg der Frauen, umgekehrt müssen diese die männliche Leidenschaft zum Fußball unterstützen. Trotz 22 zu besetzender Positionen wird die Geschichte von den beiden Hauptfiguren getragen. Humorvoll und klischeebehaftet kommt diese daher. Handwerklich über das Niveau eines deutschen Kinofilms hinausgehend, macht es einfach Spaß, ein Remake eines finnischen Blockbusters zu sehen. bb

feuilleton

Frauen am Ball

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theater

feuilleton

Berührend Plötzlich ist die Welt der Fall. Auch für Elling. Mit dem Tod seiner Mutter steht der 36jährige plötzlich vor scheinbar unlösbaren Problemen. Denn Telefonieren und Einkaufen sind für den späteren Sauerkrautpoeten kein Kampf gegen Windmühlen, sondern angsteinflößende und überwindungsreiche Hürden. Und weder eine psychiatrische Klinik, noch der ewighungrige Freund Kjell Bjarne oder eine Sozialarbeiterin mögen daran rütteln. Krise bleibt Krise. Basta. Anders als bei der Aufführung der Olsenbande im Großen Haus wagt das Theater Vorpommern mit Inszenierung des Romans “Blutsbrüder” von Ingvar Ambjörnsen auf Probenbühne ein geschicktes Experiment. Mit Jan Bödes Inszenierung auf dem Theater auf der Probenbühne (TaP) rückt das intelligente Müttersöhnchen näher. Kleine Dinge werden auf einmal groß. Einzelne Bewegungen und direkte Blicke der Schauspieler zerren an dem großen Gemälde der schönen Normalität des Publikums. Der Zuschauer sitzt plötzlich mitten drin, ist gezwungenermaßen dabei und kann nicht fliehen. Einzelne Tische sind in den Bühnenraum integriert. Und dann stehen sie wieder auf den Brettern, die die Welt bedeuten: Elling (Andreas Dobberkau), Kjell Bjarne (Jan Bernhardt), Reidun (Martha Dittrich) und “Frank” (Anke Neubauer). Da wird zwar in einer norwegischen Zeitung gelesen, Oslo korrekt als “Usch-loh” ausgesprochen und Kjell-Bjarne ist halt Kjell-Bjarne - doch nein, es geht nicht um Norwegen. Nein, Norwegen bleibt durch die wenigen Bezugspunkte marginal. Scheitern, Krise und das Leben unter veränderten Vorzeichen kriechen langsam zu Bewusstsein. Und siehe: es menschelt. Ganz deutlich, ganz konkret.Ja,die Geburt dauert,strengt an und bleibt vorerst auf der Bühne nicht ergebnisoffen. Die kopiegetreu nachgebildeten Schenkelklopfer der Olsenbande laufen da vergleichsweise ganz nach Schablone. Doch bei Elling? Es menschelt – in uns. ur

CineExtra im CineStar Greifswald jeden Mittwoch um 17.15 Uhr und 20.15 Uhr für nur 4,50 Euro

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Streit ohne Ende Foto:Theater Vorpommern

„Ein Gelächter und Gejauchze von Anfang bis zu Ende.“ Mit diesen Worten schwärmte einst Goethe über eine Aufführung der Komödie „Streit in Chiozza“ von Carlo Goldoni. Ob sich Goethe über die Premiere des italienischen Volksstückes auf der Bühne des Theater Vorpommern ähnlich euphorisch geäußert hätte, bleibt indes zu bezweifeln. Das Bemühen, eine rasante und temperamentvolle Aufführung entstehen zu lassen, ist dem Regisseur Karst Woudstra nicht abzusprechen, doch ist der Wunsch leider nur Vater des Gedanken geblieben. Wenig überzeugend ist die Umsetzung der Handlung, die sich um den eskalierenden Streit überforderter Frauen und eifersüchtiger Männer dreht. Im italienischen Chiozza warten fünf Frauen seit zehn Monaten auf die Rückkehr ihrer Ehemänner, Verlobten und Freunde vom Fischfang. Während des langen Wartens ist ein Besuch des Fährmanns Toffolo eine willkommene Abwechslung. Doch Toffolo amüsiert sie nicht nur. Ein Wort ergibt das andere und ein handfester Streit bricht aus. Und dabei bleibt es nicht. Als die Männer zurückkehren, werden Gerüchte verbreitet, die sämtliche Heiratspläne verwirren und Freundschaften bedrohen. Geringfügige Konflikte verursachen den größten Streit, den die italienische Kleinstadt jemals erlebt hat. Amüsant kann dies für den Zuschauer sein oder aber auch anstrengend und ermüdend. Die humorvollen Szenen, die äußerst

selten sind, wirken überwiegend sehr bemüht und platt. Auftritte, in denen sich die Handelnden in hektischer Bewegung anschreien, kommen hingegen viel zu oft vor. Natürlich muss es in einem Stück, das „Streit in Chiozza“ heißt, Streitszenen geben, doch sind diese nicht unnötig lang auszudehnen. Das richtige Maß, die Handelnden nicht nur als streitende Furien, sondern auch als liebenswerte Charaktere darzustellen, ist nicht gefunden worden. Lobenswert zu erwähnen sind die Bühnengestaltung, die Kostümierung sowie die schauspielerische Leistung der Akteure. Letztlich aber vermag die Aufführung, die nur höflichen Applaus des Premierenpublikums erhielt, nicht zu überzeugen und vor allem nicht die „gar große Freude“, die Goethe zu seinen Lebzeiten nach der Aufführung dieser Komödie verspürte, zu entfachen. grip

24.5. Casanova - 31.5. Walk the Line 7. 6. Der rote Kakadu - 14.6. Elementarteilchen 21.6. Requiem - 28.6. Capote


kulturerhalt

„Verbrannte Bücher dem Vergessen entreißen“ Der Münchner Sammler Georg Salzmann sucht seit vielen Jahren eine geeignete Heimstätte für sein Lebenswerk – die „Bibliothek der verbrannten Bücher“. In Greifswald scheint diese Suche ein Ende gefunden zu haben. Geplant ist, die Hansestadt zum Ort werden zu lassen, der die SalzmannSammlung dauerhaft aufbewahrt und die Bücherverbrennungen nicht vergessen lässt. Unter der Parole „Wider dem deutschen Geist!“ wurden im Mai 1933 in über 50 Städten, auch in Greifswald, zahlreiche Bücher deutscher Autoren den Flammen übergeben. Bis heute ist ein großer Teil jener vernichteten Werke aus Bücherschränken, Bibliotheken, Lehrplänen und oft auch aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden. Gegen dieses Vergessen stellt sich der gebürtige Thüringer Georg Salzmann, der an der Gedenkveranstaltung Georg „Bücher aus dem Feuer“ im Greifswalder Rathaus teilnahm. Der 78-jährige Finanzkaufmann im Ruhestand hat über Jahrzehnte hinweg eine mehr als 10.000 Bücher umfassende Bibliothek der einst verbotenen Literatur zusammengetragen. Stolz beschreibt Salzmann seine Sammlung, die kostbare, teilweise aufwändig illustrierte oder signierte Exemplare von beispielsweise Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Stefan Zweig enthält, als „einmalig auf der Welt“. Salzmann betont weiter, dass seine gesammelten Bücher von „Autoren sind, die die deutsche Nationalliteratur nach wie vor repräsentieren“. Um die einst als „undeutsch“ geltenden Werke zusammenzutragen, hat er viel Zeit auf Flohmärkten, in Auktionshäusern und Antiquariaten verbracht. Salzmann erinnert sich schmunzelnd, dass er „jede Mark für seine Leidenschaft ausgegeben und jede freie Minute mit Literatur verbracht hat“. Seine inzwischen verstorbene Ehefrau ist ihm dabei immer eine große Stütze gewesen. „Nicht selbstverständlich, dass meine damalige Frau das alles mitgemacht hat“, so sagt er heute. Seine Sammelleidenschaft ist eine Herzensangelegenheit, die in seiner Lebensgeschichte begründet liegt. Sein Vater und Großvater waren überzeugte Nationalsozialisten. Nach Kriegsende erschoss sich der Vater. Der

Salzmann (Mitte) und Dieter Ehmke. Foto: grip 16-jährige Georg Salzmann flüchtete sich ins Lesen. „Ich bin in einem braunen Umfeld groß geworden und musste mich nach Kriegsende neu zurechtfinden“, erzählt Salzmann. Der Literatur räumt er in diesem Zusammenhang einen großen Stellenwert ein. „Bücher haben mir in vielen Situationen meines Lebens geholfen, mir Genuss und Freude verschafft“, erklärt Salzmann. Umso wichtiger ist für ihn, dass sein Lebenswerk erhalten bleibt. Er sorgt sich um die Zukunft seines Archivs. „Im Falle meines Todes würden meine Töchter die Sammlung auflösen“, befürchtet Salzmann. Um dies zu verhindern, sucht er seit über 5 Jahren nach einem Interessenten, der ihm die Bücher für 800.000 Euro abkauft und in einer Präsenzbibliothek aufbewahrt. Die Suche gestaltet sich als sehr schwierig. Berlin, München, Nürnberg und viele andere Städte zeigten sich als nicht interessiert. Mit Greifswald hofft Salzmann nun die Lösung gefunden zu haben. Unterstützt wird er dabei vom „Verein Patenschaften für verbrannte Bücher e.V.“. Der Berliner Internist und ehemalige Student der Universität Greifswald Dr. Klaus-Dieter Ehmke ist ein Mitglied des Vereins, der sich dem Erwerb der Salzmann-Sammlung zum Ziel gesetzt hat. „Ich bin mir sicher, dass wir durch Buch-Patenschaften und Veranstaltungen

genügend Geld sammeln werden, um Herrn Salzmann seine Sammlung abkaufen zu können“, sagt Ehmke. Der engagierte Arzt, der den Kontakt zwischen Greifswald und Salzmann hergestellt hat, erklärt weiter, dass „die Salzmann-Sammlung eine international herausragende, einzigartige Bedeutung hat und für Greifswald ein echter Gewinn wäre“. Die gute Resonanz auf seine Idee, die Bibliothek nach Greifswald zu holen, bestärkt ihn in seinem Vorhaben. „Im kommenden Herbst wollen wir den Kauf der Büchersammlung abgewickelt haben und danach folgt die Gründung einer Stiftung und eines wissenschaftlichen Beirates, der dann für die konkrete Umsetzung und Koordination des Projektes zuständig sein wird“, erklärt Ehmke weiter. Geplant ist der Bau einer Präsenzbibliothek, die die Salzmannsammlung der Öffentlichkeit zugänglich macht. Darüber hinaus soll das Haus zum Ort einer Permanentausstellung zur Bücherverbrennung, drei bis vier wechselnder Ausstellungen pro Jahr mit Studenten und Schülern sowie von Benefizveranstaltungen verschiedener Künstler werden. Als künftiger Standort ist ein Gelände in der Fleischervorstadt vorgesehen, auf dem sich heute ein leer stehendes Umspannwerk befindet. Das bereits vom Greifswalder Architekturbüro Marsiske entworfene „Salzmannhaus“ könnte eine Ergänzung zu dem in der Nähe gelegenen Falladahaus und dem Geburtshaus von Wolfgang Koeppen werden. Bisher sind das alles Pläne, deren Verwirklichung nach Georg Salzmann „noch in den Sternen stehen“. Dr. KlausDieter Ehmke gibt sich aber zuversichtlich, denn er weiß viele Unterstützer, darunter auch Stadtvertreter, hinter sich. Hinzu kommt seine Überzeugung, die er mit Georg Salzmann teilt und die sein gesamtes Vorhaben, die Durchführung der Gedenkveranstaltung „Bücher aus dem Feuer“ im Greifswalder Rathaus und letztlich den Bau einer Präsenzbibliothek begründet: „Bücher dem Vergessen zu entreißen, ist eine permanente Aufgabe.“ grip

feuilleton

Die Stadt Greifswald will Retter der Salzmann-Sammlung werden

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bücher Monika Kemen: Papst Johannes Paul II. (Der Audio Verlag)

Sarah Kuttner: Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens (Fischer Verlag)

Hintergründig und aus der Sicht von Zeitzeugen stellt Papstbeobachterin Monika Kemen den am 2. April 2005 verstorbenen Johannes Paul II. vor. Überraschend traf die Wahl auf den bis dahin unbekannten polnischen Kardinals Karol Józef Wojtyla für den Heiligen Stuhl. Für den Katholizismus im sozialistischen Polen und das politische Gefüge in den Ostblockländern insgesamt deutete das eingeläutete 264. Pontifikat eine Zeitenwende an. Rasch profilierte sich Johannes Paul II. als reisefreudiger Heiliger Vater, der den offenen Umgang mit den Medien nicht scheute. Als Mahner nach dem 11. September 2001, Brückenbauer zwischen den Religionen, Verfechter der Menschenrechte und Kämpfer für ein geistig und politisch vereintes Europa, erreichte der einst kirchliche Außenseiter öffentliche Erfolge und Beachtung. Doch trotz seiner bis zuletzt andauernden hartnäckigen Kritik an Sozialismus und Kapitalismus lastet der Verweis auf den innerkirchlichen Reformstau. Monika Kemen zeichnet Johannes Paul II. als einen Papst der Visionen, als einen Pontifex maximus, der sich nach Aussage von Hans-Dietrich Gentscher auch nicht im geringen Maße um die deutsche Wiedervereinigung eingesetzt hat. Das gut einstündige Feature bringt, dank Exklusiv-Interviews mit beispielsweise Michael Gorbatschow, Wolfgang Huber, Hans Küng und Hansjakob Stehle und Originalmitschnitten aus den Schallarchiven der ARD und Radio-Vatikan, den Friedenspapst hörbar näher. ur

Für die Einen ist sie eine egozentrische Quasselstrippe, für die Anderen eine junge Dame, die der Generation des Medienzeitalters mit „ehrlicher Berliner Schnauze“ aus der Seele spricht. Sarah Kuttner versteht sich mit ihrer MTVShow als „Stimme der unter 30-jährigen“. Die Lesung ihres Buches geriet in der Berliner Kultur-Brauerei zur inszenierten Show. Der handliche Titel ihres Buches ist einer ihrer Kolumnen entnommen, die seit 2004 in der „SZ“ gedruckt werden. Diese sind mit jenen aus dem „Musikexpress“ kombiniert worden. Letztere strukturieren sich eher als in sich verwobene Gedankenströme, erstere folgen dem FrageAntwort-Schema. Mit der Reaktion auf aktuelle, politisch-gesellschaftliche Ereignisse wird so ein Rückblick auf die mehr oder weniger bewegenden Akzente der letzten eineinhalb Jahre geworfen. So spekulierte die 27-jährige Berlinerin bereits vor Ratzingers Wahl, dass ein „deutscher Kandidat siegreich aus dem Papst-Casting hervorgehen könnte“ und freute sie sich nach Schröders Wahlniederlage über „das Ende der Amtszeit von Elmar Brandt“. Insgesamt bildet die Rechtfertigung ihrer Werte den wesentlichen Bestandteil der Sammlung. Gerne outet sie sich dabei als Pauschaltouristin und plädiert dafür, in der Schule Leistungskurse wie Alltagsspoesie oder Tischfußball einzuführen. Sarah Kuttner versucht, die auf sie projizierte Rolle der Trendsetterin mit Menschlichkeit zu füllen. Auch wenn die „doofe laute Tante“ gegen den informationsüberfluteten Zeitgeist anschreit. Ohne Luft zu holen. aha

“Ich bitte um ein Wort” – Der Briefwechsel Wolfgang Koeppen Siegfried Unseld feuilleton

(Suhrkamp)

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Das Phantasieross lahmte zu lange. Die Öffentlichkeit wartete umsonst. 1976 sorgte das Buch Jugend noch für Schlagzeilen. Ungeachtet dessen blieb der große Roman ein wunderschönes Luftschloss. Bis 1996. Zu sehr gefiel sich Wolfgang Koeppen in seiner Rolle als lebende Romanfigur. Eine Legende hätte er vielleicht werden können. Doch seine Versprechen blieben leer. Leider. Der nun erschienene Briefwechsel zwischen Wolfgang Koeppen und Siegfried Unseld zeigt, wie geduldig sich der Verleger um seinen schreibblockierten Autor kümmerte. Bis in die persönlichen Verhältnisse sah Unseld Koeppens Tragödie. Wer allerdings wen durchschaute, bleibt offen. Das von Wolfgang Schopf und Alfred Estermann herausgegebene Buch bietet im Jubiläumsjahr des in Greifswald geborenen Autors einen Einblick um das Ringen um Literatur. ur

Jörg Schefelke, Klaus Haese: Louis Douzette – Ein Malerleben zwischen Berlin und Vorpommern (Verlag Atelier im Bauernhaus) Was ist ein Maler ohne Ruf und seine Bilder? Anfang des 20. Jahrhunderts gründete sich die Bekanntheit Louis Douzettes (1834 – 1924) in Deutschland größtenteils auf seine hinreißenden Mondscheine. Der Namen des Barther Ehrenbügers geriet im Laufe der Zeit in Vergessenheit. 1982 zeigte zwar die Pommernstiftung Kiel eine Werkschau des pommerschen Malers, doch erst nach 1990 setzte allmählich die Erforschung von seinem Leben und Werk ein. Heutzutage kursieren die ersten Fälschungen auf dem Kunstmarkt. Besucher des Pommerschen Landesund des Barther Vineta-Museums können seinen Namen finden. Klaus Haese und Jörg Schefelke bringen Douzettes farbenreiches Malerleben in Berlin und Vorpommern auf 128 Seiten eindrucksvoll nahe. Bisher unveröffentliche Werke enthält der umfangreiche Bildteil. Die publizierten Gemälde strotzen dabei vor Leuchtkraft und die Zeichnungen zeigen neben den sorgfältigen aufgetragen Bleistiftlinien sogar die Körnung des Papiers. Ein wichtiger Beitrag für eine DouzetteRenaissance. ur

Guido Schröter: Endlich Weltmeister! (Knaur) Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten und der Sieg sicher. Ganz sicher. Oder doch nicht? Mit einer gehörigen Portion Humor zeigt Guido Schröter in Taschenbuchform seine Prognosen der Fußballweltmeisterschaft. Und da bleibt auch kein Auge trocken. Da wird hart trainiert, fleißig vor dem Flimmerkästen mitgefiebert und ganz artig der Atem angehalten. Doch alles hat auch seine Vorgeschichte. Wie sehr ein einmal gegebenes Fußballversprechen bindet, wie das Gruppenspiel Deutschland gegen Polen laufen wird und welcher nackten Tatsache die brasilianischen Spieler beim Finale in Berlin ins Auge sehen müssen, wirft in Hamburg lebende Zeichner spielerisch aufs Papier. Am Ende heißt es: Endlich Weltmeisteeeer! Spannend bleibt es dennoch zum Schluss. Ohne Zweifel: ein witziges Lesevergnügen für alle Sportsfreunde. ur


m. trifft

Frank Geldschläger, Inhaber des Plattenladens „Vinyl Kultur“ Der gebürtige Sachse bezeichnet sich selbst als leidenschaftlichen Plattensammler. Bereits mit zwei Jahren kam er aus Bad Schandau nach Mecklenburg Vorpommern. Unter dem Spitznamen „Speedy“ sang der gelernte Rundfunk- und Fernsehtechniker 15 Jahre lang in der Band „Serum“. Für die Uni Greifswald betreute er den Multimediaraum in der neuen Bibliothek. Nachdem vor kurzem sein Vertrag auslief, beschloss er kurzerhand die Verwirklichung seines Traumes. Er eröffnete einen Schallplattenladen in der Fleischerstraße 2.

Alter: gefühlte 30, real: 53. Berufsbezeichnung: Ich bin Einzelhändler und bringe ein wichtiges Kulturgut unter die Leute. Denn so eine richtig tolle Platte kann man zu Wein oder mit einer guten Frau genießen. Lieblingsessen: Ich mag gegrillten Lachs ganz gern. Ich bin übrigens großer Fan von Tim Mältzer und koche seine Rezepte öfter mal nach. Außerdem treffe ich mich mit Freunden zu kleineren „Kochhappenings“. Da meine Frau nicht kocht, übernehme ich das für gewöhnlich. Lieblingsbuch: „Alexis Sorbas“ von Nikos Kazantzakis. Morgenmuffel oder Frühaufsteher? Ach, ich bin kein Morgenmuffel! Wenn der Wecker klingelt, springe ich freudig aus dem Bett und mache Frühstück. Welchen Menschen aus unserer Zeit oder unserer Geschichte bewundern Sie? Den Erfinder der Schallplatte (1888): Emil Berliner. Was würden Sie in Greifswald studieren? Skandinavistik. Denn ich interessiere mich für die Kultur und die Sprache der skandinavischen Länder.

Welche Musikrichtungen reißen Sie vom Hocker? Ich bin eigentlich offen für alle Richtungen. Ob nun Klassik, Pop, Rock, Hip Hop, sinfonische oder Ambiente-Musik ist da eigentlich egal. Dadurch, dass ich selbst mal Musik gemacht habe, erkenne ich wirklich gute Sachen. Nur mit nichtssagender und schnelllebiger Banalmusik ohne Aussagewert kann ich nichts anfangen. Wie muss sich eine exzellente Platte anhören? Das kann ich ehrlich nicht in Worte fassen. Ich lerne musiktechnisch immer wieder dazu. Da erlebe ich fast täglich immer Foto: Sebastian Vogt wieder Überraschungen. Aber handgemachter Sound mit natürlichen Instrumenten ist natürlich Worauf sollte man heutzutage schon mal fein: Da ist Leben drin! Wer mehr Wert legen? Musik bewusst hört, der merkt auch, Wir sollten mehr aufeinander zugehen was gute Musik ausmacht. Das Problem und das Menschliche an uns entdecken. ist aber, dass die meisten sich bloß Man schaut doch allzu oft aufs Geld und berieseln lassen. Die Menschen hören vergisst darüber die Mitmenschen. nicht mehr richtig hin. Übrigens höre ich öfter mal bei eurem Studentenradio Welchen Traumberuf hatten Sie als Kind? 98,1 rein. Die spielen ordentliche Musik Da ich meine Kindheit mit den Beatles und bemühen sich wirklich. und den Rolling Stones verbracht habe, wollte ich unbedingt Rockstar werden. Ihre fünf Platten für die einsame Insel? Ein bisschen hat’s ja geklappt. „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd / „Klavierkonzert Nr. 1“ von Ludwig van Haben Sie in Greifswald Beethoven / „Jack Johnson - On and on“ einen Lieblingsplatz? von Jack Johnson / „Electric Ladyland“ Ich finde den alten Hafen toll. Die schö- von Jimi Hendrix / „Harvest“ von Neil nen alten Segler machen was her und Young. schaffen eine grandiose Atmosphäre. Außerdem war ich als Kind sehr oft am Die Platten deutscher Bands sind... Hafen. ...richtig klasse! Die „Tomte“-Vinylplatte zum Beispiel geht jede Woche über den Ihr Lebensmotto? Ladentisch. Aber spontan fallen mir noch Ich nehme alles nicht so ernst und die „Fanta4“ und „Wir sind Helden“ ein. verbissen. Diese Leichtigkeit im alltäg- Alles wirklich gute Bands... lichen Leben hat mir schon in vielen Situationen weiterhelfen können. Was unterscheidet eine Vinyl-Platte von einer CD? Wie lässt sich Ihre Tätigkeit in drei Sätzen Die Vinylplatten klingen einfach besser. beschreiben? Das ist noch analoge Technik. Unsere Ich recherchiere Platten im Auftrag von Ohren hören ja auch nicht digital. Kunden. Daneben kommuniziere ich viel Der warme Klang hört sich einfach und habe einfach Spaß. Der Laden war authentischer an. Außerdem hat so eine schon immer mein Traum. Vinylplatte auch ein bisschen was mit „Anfassqualität“ zu tun. Da hat man Wo würden Sie gern leben? etwas in der Hand, das man aufklappen In Schweden oder in Australien. Ich glau- kann, was groß und farbig ist. Da stimmt be, wenn ich in der BRD aufgewachsen einfach alles! wäre, dann hätte mich nichts mehr in Deutschland gehalten. Gespräch: Sebastian Vogt

spielundspaß

m. trifft

Musik ist... ...mein Leben. Ein Teil meines Lebensinhaltes und meiner Zukunft, hoffe ich!

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kreuzmoritzel

Verdammt evil! Weil wir uns immer über Post von Euch freuen und uns das letzte Sudoku-Rätsel eine Flut an E-Mails mit Lösungen beschert hat, gibt es an dieser Stelle wieder das berühmte Zahlenrätsel aus Japan zum Austoben. Diesmal aber in der Fassung „evil“, damit sich die Gewinner auch richtig freuen können. Wie immer eine E-mail mit den Lösungszahlen aus dem graumelierten Feld an moritz@uni-greifswald.de schreiben, Namen und Studiengang nicht vergessen und ab die Post! Die Gewinner dürfen sich über jeweils 3 Freikarten für‘s Wissen.rockt-Festival am 1. Juli freuen! Viel Spaß beim Knobeln!

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UND SO GEHT‘S: In jeder Zeile, jeder Spalte und jedem fett umrandeten Kästchen dürfen nur einmal die Zahlen 1 bis 9 stehen.

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moritz – Studentische Medien Greifswald

spielundspaß

Redaktion & Geschäftsführung Wollweberstraße 4, 17489 Greifswald Tel: 03834/861759, Fax: 03834/861756 E-Mail: moritz@uni-greifswald.de

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Zeichnungen: Franziska Salopiata, Juliane Hesse, Stephan Matzke

Hochschulpolitik: n.n. Feuilleton: n.n. Universum: n.n.

Druck: Druckhaus Panzig, 17489 Greifswald

Redakteure: Arvid Hansmann (aha), Bettina Bohle (beb), Björn Buß (bb), Cornelia Leinhos (cole), Delia Holm (dee), Grit Preibisch (grip), Ina Kubbe (ik), Jessika Wagner (jes), Joel Kaczmarek (jmk), Jörg Weber (jw), Judith Küther (juk), Kai Doering (ring), Katarina Sass (kats), Katja Staack (tja), Michael Boortz (michi), Robert Tremmel (bert), Sarah Rieser (sari), Sarah Spiegel (sars), Sebastian Jabbusch (sj), Sebastian Vogt (sv), Sophia Penther (so), Stephan Kosa (kos), Susanne Wächter (susa), Ulrich Kötter (uli), Uta-Caecilia Nabert (ilia), Uwe Roßner (ur), Verena Lilge (lil)

moritz erscheint während des Semesters monatlich in einer Auflage von derzeit 3.000 Exemplaren. Redaktionsschluß der nächsten Ausgabe ist der 6. Juni. Die nächste Ausgabe erscheint am 19. Juni. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die in Artikeln und Werbeanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Alle Angaben sind ohne Gewähr.

IMPRESSUM Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Greifswald (vertreten durch das Studierendenparlament, Rubenowstraße 1, 17487 Greifswald) Gestaltung: Katarina Sass, Ulrich Köttter, Susanne Wächter

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Titelbild: Sophia Penther (Bild: die beiden AStA-Jubiläumsorganisatoren Stefanie Hennig und Nicole Basler)

freie Mitarbeit: Martin Hillert (98eins), Alexander Loew



arvids kolumne – im stile der frau k.

Der Bananencode oder: Wenn die Fundamente der Menschheit ins Wanken geraten / Von Arvid Hansmann

Bla bla. George W. Bush kommt demnächst nach Stralsund. Ein „Ereignis von historischem Ausmaß“? Für Stralsund sicher. Wer hätte gedacht, dass sie auf ihre alten Tage noch mal Festungsstadt wird. Wer weiß, wie viele Touristen in diesen Tagen schon durch die Gassen schleichen und vermeintliche Risikobereiche markieren. Ich wollte mich an dem Tag als „imbedded journalist“ bei einem Kommilitonen am Alten Markt einquartieren, aber vielleicht wird mir da mein etwas impulsiver Habitus zum Verhängnis, wenn ich plötzlich einen roten Punkt auf der Stirn habe. Auf jeden Fall wäre es ein witziger Gedankengang, sich vorzustellen, wie der Herr George W. vor dem Tribseer Tor steht, wie einst der Schwedenkönig Karl XII. im Jahre 1714, und ihm ein Sicherheitsbeamter die bekannten Türsteherworte des Kaya Yanar entgegnet: „Du kummst hier nich‘ rein!“

spielundspaß

Bist du auch vom Hype um den „Da Vinci Code“ ergriffen?

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Dummerweise war der Redaktionsschluss eine Woche vor dem Start dieses groß angekündigten Blockbusters. Ich hatte dem Buch bisher wenig Beachtung geschenkt, da mich bereits das Cover abgeschreckt hat. Ich hatte dahinter immer einen „billigen Schundroman“ vermutet. Nun habe ich vor ein paar Wochen einen Probeauszug in die Hände bekommen und muss sagen, dass sich mein Bild in wesentlichen Punkten nicht ernsthaft gewandelt hat. Zwar ist die Sache gut erzählt, aber die Charakterisierung des Mysteriösen und Geheimnisvollen ist doch sehr hanebüchen. Besonders die Figur des Protagonisten, der als

„Professor für Symbolologie“ zu einem Experten für ein vermeintliches „Arkanwissen“ stilisiert wird, gibt einem zu denken. Sicher hat es im Laufe der Geschichte immer wieder Leute gegeben, die bestimmte Informationen vor anderen verborgen halten wollten, aber die Enthüllung dieser Informationen macht doch nur dann Sinn, wenn sie in einem Umfeld passiert, dass dafür auch empfänglich ist. Wenn nicht einmal das mehr durchdacht und verstanden wird, gegen das sich diese Enthüllung richtet, sondern erst als ein mehr oder weniger tiefgründiger und starrerer Gedankenapparat konstruiert werden muss, bleibt das Ganze nichts weiter als das, was es auch im Werk des Dan Brown ist: eine Fiktion. Das Problem ist nur, dass diese Einfachheit der Dinge schnell dazu führt, sie zum Glauben werden zu lassen, oder zu dessen dogmatischer Form – dem Wissen. Bis zur Französischen Revolution hatte es ausgereicht, dass der Merowinger Chlodwig im späten fünften Jahrhundert durch ein himmlisches Salböl seine Königsweihe erhielt, um die Monarchie göttlich zu legitimieren. Wenn nun (wie ich mir habe sagen lassen) die Herrscherdynastie auf ein hypothetisches Kind von Jesus und Maria von Magdala zurückgeführt werden muss, zeigt dies, wie archaisch unser Verständnis von Himmlischem und Irdischem geworden ist. Soziologen haben herausgefunden, dass die Jugend „auf Distanz zur realen Natur“ geht. Immer weniger Schüler können sich die Herkunft von Tiefkühlspinat oder Rosinen erklären. Wie ist dein Verhältnis zu „Mutter Natur“?

zu Mutter Natur sprechen möchte, könnte man einem Rüdiger Nehberg einen Ödipuskomplex unterstellen (ja, der alte Sigmund soll auch hier nicht ungenannt bleiben), wenn er im brasilianischen Urwald vor der Zivilisation flieht. Die natürliche Regung eines Menschen der – sagen wir durch den wahrscheinlichen Fall des Überlebens eines Flugzeugabsturzes – in eine derartige Lage kommt, ist es doch, den nächsten befahrene Flusslauf oder eine Straße zu suchen, auf der einen ein Holzfäller zur nächsten McDonaldsFiliale mitnimmt, da ein „Big Mac“ auch im Portugiesischen nicht anders heißen wird. Was wird besser? Das Problem der heutigen Zeit ist, dass es zunehmend Symbole und Zeichen gibt, die mehr und mehr ihren Bezug zu einer bestimmten Sache verlieren. Wenn sich der amerikanische Präsident eines Tages zum weltlichen „Vicarius Christi“ erheben will, wird man es ihm vielleicht aufgrund des Evangeliums eines Bestseller-Autors glauben. Gleichzeitig wird man vergessen, dass beispielsweise eine Banane ihre Form ursprünglich durch das Streben zur Sonne erhält, während man ihr Aroma schon im Grundstudium der Biochemie herstellen kann. Bald wird das Bild dieser Frucht nichts weiter als ein akademischer Diskurs einzelner FreudExegeten sein, wie einst die postnatale Jungfräulichkeit der Gottesmutter. Das sind Prozesse, die faktisch am Laufen sind – es ist die Aufgabe jedes einzelnen sich für mündig genug zu erklären, die Geschehnisse zu hinterfragen und selbst zu entscheiden, welche Position er einnimmt.

Jetzt kommt’s ganz dick: Der Mensch ist ein Teil der Natur. Uh! – Doch seinen Lebensraum in ihr zu finden, heißt, sie zu nutzen. Wenn wir Systeme gefunden haben, Millionenstädte zu versorgen, kann man es den Menschen sicher nicht zum Vorwurf machen, nicht jedes Detail der Nahrungsbeschaffung zu kennen – manchmal ist es sicher auch gut so. Wenn man von einem „Verhältnis“ Blubb, blubb.




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