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Moritz Anton Bachelor-Thesis WS 2012/13 Einundsiebzig % Die Hirarchie der Selbstmontage Betreuung: Prof. Lutz F端gener, Stefan Stark Hochschule Pforzheim
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„Der unermeßlich reichen, stets sich erneuernden Natur gegenüber wird der Mensch, soweit er auch in der wissenschaftlichen Erkenntnis fortgeschritten sein mag, immer das sich wundernde Kind bleiben und muß sich stets auf neue Überraschungen gefaßt machen.“1
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Diese Überraschung entsteht durch die verblüffenden und teilweise nur schwer zu ergündenden Fähigkeiten der Natur. Die folgende Arbeit befasst sich damit diese Fähigkeiten anhand des bionischen Grundgedankens, für den Menschen, im speziellen Bereich der Automobilindustrie, nutzbar zu machen. Ein Fahrzeug Konzept soll entwickelt werden, welches die Vorteile der Natur gegenüber der Technik auf direktem Wege nutzt.
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Die Geschichte
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Die Definition
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Das Vorkommen und die Beschaffenheit
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Euplectella Aspergillum
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Die Hirarchie der Selbstmontage
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Der nat체rliche Ingenieur
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Der Gedanke
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Frei von Paradigmen
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Das wachsende Chassis
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Das Leistungsspektrum
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Leichtbau der Natur
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Wiederverwertung
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Zeit muss kostbar sein
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Der Antrieb
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Lenken ohne Lenkeinschlag
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Das Chassis
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Funktionen der Karosserie
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Die BegrĂźndung
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Herangehensweise
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Die Umsetzung
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„Die Qualität der Technik wird eigentlich nie in Frage gestellt.2“ Probleme in unserer Umwelt und regelmäßiges Versagen technischer Prinzipien zeigen, dass die Technik nicht der optimale Lösungsweg sein kann. Aber kann man das von einer so jungen Methode erwarten, deren Grenzen und Horizonte durch den menschliche Verstand definiert sind? Die Natur hingegen, sieht sich nicht mit solchen Problemen und Konsequenzen ihrer Lösungswege konfrontiert. Hat sie auf der einen Seite schon mehrere Millionen Jahre Vorsprung im Austüfteln der besten Lösungen, so integrieren sich diese immer in das natürliche System, ohne das dessen Gleichgewicht ins Schwanken gerät. Logisches Denken und Schlussfolgern, wie bei dem technischen Lösungsweg der Menschen üblich, entziehen sich dem natürlichen Weg vollständig. Durch Probieren und Scheitern entstehen in der Natur, wie von selbst, höchst effiziente und so komplexe Funktionen, Formen und Wesen dass die Wissenschaft bis heute daran scheitert, die meisten von ihnen zu verstehen. Bei diesem Prozess der natürlichen Selektion behaupten sich nicht nur die stärksten als Sieger. „Survival of the fittest“ bedeutet ebenso, das überleben des Billigsten.3 Sparsamste Lösungen, geringer Energie-, und Materialaufwand und passive Methoden stellen das Rezept für erfolgreiches Überleben dar. In der Natur vorkommende Strukturen und Materialien folgen diesem Prinzip. Während technische Materialien und Verbundstoffe meist durch den Einsatz großer Hitze, chemischer Reaktionen und knapp werdender Rohstoffe, ihre Widerstandskraft erlangen, entstehen in der Natur die Festigkeit vieler künstlicher Materialien übertreffende Strukturen scheinbar von ganz alleine. Bei ihrem Entstehungsprozess bedienen sie
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sich der Rohstoffe die in ihrer Umgebung am häufigsten vorkommen und mit dem geringsten Aufwand an Energie zu erreichen sind.4 71% unseres Planeten sind mit Wasser bedeckt. Das Element Wasser übernimmt somit die Rolle eines allgegenwärtigen und im Überfluss vorhandenen Rohstoffes. Während es als zerstörerische Kraft an den meisten, von Menschenhand geschaffenen Materialien Korrosion, Fäulnis und Verwitterung verursacht, hat sich die Natur die Fähigkeiten des Wasser in seinen Konstrukten zum Nutzen gemacht. Wasser als Baustein. Jedes in der Natur vorkommende Gebilde enthält Wasser an der Stelle, an der Erdöl für die Materialeigenschaften und Verbindungen unserer Kunststoffe steht.5 Was, wenn der Mensch Wasser als Baustein nutzen könnte? Könnten enorme Mengen an Rohstoffen gespart werden und die Nachhaltigkeit unserer bisher bekannten Baustoffe um ein Vielfaches erhöht werden? Was, wenn man Strukturen aus der Natur nicht nur imitieren, sondern in ihrer ursprünglichen Form und Funktion übernehmen könnte? Könnten bisher mit hohem Energieaufwand gefertigte, tragende Strukturen einfach wachsen? Und wäre dieser Prozess effektiv genug, um für die Industrie von Nutzen zu sein?
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Der Wunsch zu fliegen wie die Vögel, zu schwimmen wie Fische oder so gekonnt zu bauen wie Insekten. Verlangen, beinahe so alt wie die Menschheit selbst. Antrieb und Streben zu Lösungsansätzen, die die Natur schon weit vor der Existenz der Menscheit, über Jahrmillionen perfektioniert hat.6 Vorbilder der Natur inspirieren Wissenschaftler, Forscher und Tüftler seit jeher zu ihren Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten. Vor langer Zeit schon entstehen so unter anderem, von natürlichen Prinzipien abgeleitete Deckenkonstruktionen, die der statischen Logig von Spinnennetzen oder Muscheln gleich kommen. Schon weit bevor das Kunstwort "Bionik", aus der ersten Silbe des Wortes Biologie und der letzten Silbe des Wortes Technik zusammengefügt, zum ersten Mal ausgesprochen wird, beginnen Menschen Forschung zu treiben und schaffen Erfindungen, die man heute eben zu diesem Bereich, der damals noch unbekannten Wissenschaft, zählen würde.
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Ikarus und Daedalus, die mit ihren aus Wachs und Federn gefertigten Vogelschwingen auf der Flucht vor dem Tyrannen Minos scheitern, als sie der Sonne zu nahe kommen und das Wachs an ihrer Konstruktion zu schmelzen beginnt. Legenden wie diese lehren uns heute, dass das schnelle und
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oberflächliche Kopieren der Natur nicht ausreicht, um annähernd die gleichen Erfolge zu erzielen. Um Fünfzehnhundert überliefert uns die Geschichte weitaus tiefgründigere Forschungen und Lösungsansätze auf diesem Gebiet, die zu jener Zeit jedoch nie den Weg vom Zeichenbrett zur greifbaren Umsetzung finden sollen. Leonardo da Vinci schrieb zur genannten Zeit und auf Grund seiner Studien des Vogelfluges das Werk "Sul volvo degli uccelli" und erdachte zahlreiche Fluggeräte, wie Hubschrauber, Fallschirme und Tragflächenkonstruktionen. Alle von der Natur inspiriert und durch lange Beobachtungen und Studien von Vögeln, Insekten und Pflanzen begründet. Erst mehr als hundert Jahre später beweist ein osmanischer Gelehrter mit dem Namen Hezarfen Ahmed Celebi durch einen drei Kilometer langen Flug vom Galataturm in Istanbul über den Bosporus nach Üsküdar, dass es möglich ist, die Funktionen der Natur durch Nachahmung, erfolgreich auf die Technik zu übertragen. Immer schon sind es die Kriege, die als Antrieb für technische Innovationen und Entwicklungen gelten. Erprobt in der Schlacht und mit höchsten Budges finanziert, immer mit dem Ziel dem feindlichen Gegenüber durch kreativste Ideen im Vorteil zu sein, finden die meisten Erfindungen früher oder später den Weg in die Wohnzimmer der Welt. Kaum verwunderlich ist es, dass schon in den frühen Kriegen der Menschheit, die Natur als die unerschöpfliche Quelle von perfekten Lösungen entdeckt wurde. Matthew Baker, ein Mathematiker aus Cambridge und Schiffsbauer unter Königin Elisabeth I., entwickelt um Sechzehnhundert Schiffsrümpfe, die den Köpfen von Dorschen und den Schwänzen
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von Makrelen nachempfunden sind. Eine erheblich verbesserte Manövrierfähigkeit und ein reduzierter Wasserwiderstand zeugen von der ausgeprägten Anpassungsfähigkeit von Lebewesen an ihren Lebensraum, allein schon durch ihre äusserliche Form.
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Im neunzehnten Jahrhundert häufen sich die, noch heute bekannten Erfindungen aus dem Bereich der Bionik, auch wenn dieser Begriff erst weitaus später als solcher geprägt werden soll. So entspringt der Fallschirm, als erstes autostabiles Fluggerät der Feder eines englischen Landedelmannes, der als Sir George Cayley bekannt ist. 1829 stößt Cayley beim Studieren des Wiesenbocksbartes, einer löwenzahnähnlichen Pflanze auf das, nach wie vor beim Fallschirm umgesetzte Prinzip des tiefen Schwerpunktes und der unebenen tragenden Flächen im oberen Bereich. Auch wenn sich seine ersten Skizzen und Prototypen sehr von den heutigen Fallschirmen unterscheiden, entspringt das Prinzip nach wie vor seiner Beobachtung der Natur und deren Imitation. Fallschirme sind nicht die einzigen Produkte, die durch das direkte Imitieren von Pflanzen, den Weg zum wirtschaftlichen Nutzen gefunden haben. Ein weiteres Produkt stellt ein, sowohl von Menschen, als auch von Tieren, kaum zu überwindendes Hindernis dar. Sein Inspirationspate nennt sich Milchorangenbaum, Osagedorn oder Maclura pomifera und ist ein Busch aus der Familie der Maulbeergewächse mit unangenehm langen Dornen, die von störrigen Ästen in alle Himmelsrichtungen abstehen. Früher wurden systematisch Hecken dieser Pflanze angelegt, um Tierherden, die kaum dazu zu bewegen sind durch das unangenehme Gestrüpp zu laufen, an Ort und Stelle zu halten. Der Farmer Michael Kelly kommt auf die Idee, die dornigen Äste technisch zu reproduzieren und geht somit als Erfinder des "stacheligen Drahtes" in die Geschichte ein, bis seine Variante sechs
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Jahre später, ca. 1874 von einer billiger zu produzierenden abgelöst wurde.7 Die vorher beschriebenen Ansätze zur Verwirklichung des Traumes vom Fliegen erfahren ebenfalls im neunzehnten Jahrhundert ihren großen Durchbruch. Verantwortlich hierfür ist Karl Willhelm Otto Lilienthal. Der deutsche Ingenieur studiert den Flug der Störche und verfasst unter anderen ein Buch mit dem Titel "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst". All seine Flugapparate, 21 sind es insgesamt, die er in seinem Leben baut, erinnern stark an die Flügel von Vögeln, Insekten oder Fledermäusen. Manche mit starren und andere mit beweglichen, den Flügeln von Tieren nachempfundenen Schwingen. Otto Lilienthal ist der erste Mensch, der mit der Hilfe dieser, an der Natur orientierten Fluggeräten mehrfach hintereinander erfolgreiche Gleitflüge absolviert. Nachdem er, bei einem missglückten Flugversuch sein Leben lässt, wird er als erster fliegender Mensch in die Geschichtsbücher aufgenommen. 8 Weit weniger riskant und rund zwanzig Jahre später wird der ungarischösterreichische Botaniker und Mikrobiologe Raoul Heinrich Francé damit beauftragt, Ackerboden mit kleinen Lebewesen gleichmäßig und großflächig zu bestreuen und somit zu impfen. Inspiriert von der Mohnkapsel, deren Aufgabe darin besteht, die Samenkörner der Pflanze gleichmäßig und weit zu verstreuen, meldet er seinen "neuen Streuer" erfolgreich zum ersten bionischen Patent in Deutschland an und ebnet so den Weg für den Forschungszweig der Bionik. Nur wenige Jahre später wird ein weiteres Produkt der Bionik, welches auch heute noch unseren Alltag erleichtert, erfolgreich zum Patent angemeldet. Als der Schweizer Ingenieur Georges de
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Mestral nach den häufigen Spaziergängen mit seinem Hund immer wieder die Früchte der großen Klette Arctium Lappa, sowohl an dem Fell seines Haustieres, als auch an seiner Hose, gut haftend antrifft, beschließt er dieses Phänomen genauer zu untersuchen. Bei Beobachtungen der Pflanzensamen unter dem Mikroskop stößt Mestral auf winzige, elastische Haken, die sich an den Enden feiner Härchen befinden. Die Haken verbinden sich leicht mit dem Fell von Tieren oder gewebten Textilien und werden so, zum Vorteil der Pflanze, über Distanzen verteilt, die sie sonst kaum überwinden könnten. Mistral sieht damals einen anderen Vorteil in dieser Mechanik und entwickelt ein Material, dass auf der einen Seite aus einer Struktur mit eben solchen feinen Haken besteht und auf der anderen Seite kleinste Ösen aufweist, mit denen sich die Haken immer wieder ver binden und lösen lassen. Erst mehr als zehn Jahre nach seiner Entdeckung und Erfindung meldet er seine Idee zum Patent an, gründet seine Firma Velcro Industries und produziert 1959 den ersten Klettverschluss.10
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In vergangenen Jahren haben weitere, kaum zählbare Erfindungen, denen die Prinzipien der Natur zu Grunde liegen, das Licht der Welt erblickt. Trotz des schon ewig schlummernden Wunsches der Menschen, Probleme lösen zu können, wie es die Natur vermag, gilt die Bionik als eine „junge“ Wissenschaft. Auch wenn schon zu Leonardos Zeiten auf die Art und Weise geforscht wurde, wie man es heute unter dem Begriff der Bionik versteht, so wird eben dieser Begriff erst viele hundert Jahre später als solcher geprägt und durch sich stetig ändernde Definitionen beschrieben. 11
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Durch den amerikanischen Luftwaffen Major J. E. Steel kommt es auf dem Bionik Symposium zu der ersten Definition, in der er die Bionik als solche beschreibt: 12 "Die Bionik entwickelt Systeme, deren Funktion natürlichen Systemen nachgebildet ist, die natürlichen Systemen in charakteristischen Eigenschaften gleichen oder analog sind." Die Bionik wird so erstmals um 1960 als „ richtige“ Wissenschaft anerkannt und ins Leben gerufen. 13 Nach mehreren ähnlichen, offiziellen Beschreibungen der neuen Wissenschaft, die im Grunde nur leicht abgewandelt, immer konkreter und kürzer werden, gilt heute und seit 1993 die Definition des Vereins deutscher Ingenieure.14
„Bionik: eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der technischen Umsetzung und Anwendung von Konstruktions-, Verfahrens- und Entwicklungsprinzipien biologischer Systeme befasst."15
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Das Vorkommen und die Beschaffenheit
Hexactinellida, die Sechsstrahligen. Glasschw채mme stellen mit ihren 500 Arten 7% aller bekannten, im Meer, vom Litoral bis in die Tiefsee vorkommenden Schwamm-Arten dar. Der Glasschwamm ist eine besondere Klasse aus dem Stamm der Meeresschw채mme, die uns als weiche, saugstarke Strukturen weitaus besser bekannt sind. Bisher ist er in 17 Familien und 118 Gattungen untergliedert. Glasschw채mme bestehen, im Gegensatz zu ihren weichen Verwandten, aus einem Skelett sechstrahliger Nadeln, die aus wasserhaltigem und
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amorphem Siliziumdoxid bestehen. 20 völlig unterschiedlich aufgebaute Nadeln, mit völlig unterschiedlichen Funktionen, können allein in einer Art dieser Schwämme auftreten. Teilweise dienen Abwandlungen der Nadeln, die lange dünne Fäden zu Bündeln bilden, als Anker und Fixierung am Meeresboden. Andere Glasschwämme binden sich direkt mit ihrer "Basis" am Untergrund an oder bilden bis zu 3 Meter lange einzelne Nadeln, mit denen sie sich in diesen bohren um sich zu fixieren. Zum größten Teil ihrer Art, gelten Glasschwämme als Tiefseebewohner und treten am konzentriertesten in Wassertiefen von 100 bis 500 Metern rund um den antarktischen Kontinent auf. Trotz ihrer dort eher geringeren Artenvielfalt, stellen sie mit 90% die absolute Mehrheit der am Boden lebenden Meeresbewohner dar. An der Ostküste vor Japan, in der Sagami
Abb. von l. nach r. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7
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Bucht, welche direkt zu Füßen der Weltmetropole Tokio liegt, wurden um 1930 70 verschiedene Glasschwamm-Arten gezählt. Größere Glasschwamm-Arten bieten, ähnlich wie Korallen, sowohl kleineren Fischen, als auch anderen wirbellosen Lebewesen Unterschlupf in ihren unzähligen Höhlungen. Sterben die Schwämme ab, bilden die am Boden liegenbleibenden Nadeln mit der Zeit enorme, bis zu 2 Meter große, riffartige Matten, die an Glaswolle erinnern. Durch die daraus von statten gehende strukturelle Veränderung des antarktischen Meeresbodens ist der ökologische Faktor dieser Lebewesen für dieses Gebiet von großer Bedeutung. Funde von fossilen Glasschwamm Überresten in bis zu 545 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten des oberen Präkambriums belegen, dass die Schwämme zu den ältesten vielzelligen Tieren unserer Erde gehören. Vor etwa 200 Millionen Jahren erlangten sie in den flachen Wasserregionen der Tethys ihre seither größte Verbreitung. Riesige Riffe aus Glasschwämmen zogen sich zu dieser Zeitspanne über 7000 Kilometer von der Region, die heute als Kaukasus bekannt ist, über Rumänien, Süddeutschland, die Iberische Halbinsel, bis an die Küstenabschnitte des heutigen Neufundlands. Die uns immer noch erhaltenen Kalkfelsen der fränkischen Alb bestehen zu einem großen Anteil aus fossilen Überresten dieser Riffstrukturen. Das größte, heute noch lebende Glasschwamm-Riff nimmt eine Fläche von etwa 1.000 Quadratkilometern ein und liegt vor der kanadischen Küste. Entstehung und Wachstumsprozess der Schwämme sind heute bis ins Detail erforscht. Abgeschiedene Schichten konzentrisch angeordnet um einen mittig laufenden Kanal, der mit einem organischen Axialfilament, dem
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Kernfaden, der das Erbmaterial trägt gefüllt ist, bilden die Nadeln. Dieser Kernfaden besteht aus einem silikat-abscheidenden Enzym mit dem Namen Silicatein. Silicase, ein anderes Enzym, bewältigt die Aufgabe, das amorphe Silizium in Lösung zu halten. Kollagen und andere Strukturproteine bilden, parallel zu der amorphen Silikat-Glasmasse, die endgültigen Nadeln aus. Reines Glas, bestehend nur aus Silikat, wäre porös und würde sehr schnell brechen. Elastizität bringt erst das Protein. Dieses natürliche und gleichzeitig hoch technische Verbundmaterial ermöglicht der Struktur des Glasschwammes ihre so beeindruckenden Fähigkeiten. Biegt man einzelne Glasnadeln zu einem Kreis, so schnellen sie beim Loslassen umgehend und ohne Schaden genommen zu haben, wieder in ihren alten Zustand zurück. Bei Exemplaren der Riff-Baumeister, die bis zu 11.000 Jahre leben, nehmen die vereinzelten Nadeln Größen bis zu drei Metern Länge und über einem Zentimeter Dicke an.16
E u plectella A spergill u m
Eine besondere Gattung unter den Glasschwämmen weckt seit kurzer Zeit die Aufmerksamkeit von Architekten, Ingenieuren und Wissenschaftlern aus vielen Bereichen. Der Gießkannenschwamm, im lateinischen Euplectella Aspergillum, der in Tiefen bis 5.000 Metern auf dem Meeresgrund seine Heimat, oft auch in der Nähe von Hydrothermalen Quellen, gefunden hat. Trotz der dort herrschenden Druck- und Strömungsverhältnissen, hält seine leichte, fragile und transparent erscheinende Struktur stand, ohne zu zerbrechen. Diese enorme Leistung geht auf den besonderen Aufbau dieses Glasschwammes zurück.17
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D ie H ierarchie der S elbstmontage
Strukturen und Materialien aus der Natur sind stets hierarchisch organisiert. Beginnend von der Molekülebene aufwärts bauen sie sich selbst zusammen. Anderes würden die Entwicklungswege in Natur und Biologie kaum zulassen. Die Hierarchie stellt somit den einzigen Weg dar, über den natürliche Organismen in der Lage sind, große Strukturen auszubilden. So betrifft dieses Prinzip auch den im Weiteren beschriebenen Schwamm.18 Wissenschaftler des Bell Labs in Murray Hill, New Jersey, USA und des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam untersuchen und erforschen den hochkomplexen Aufbau von Euplectella und lüften das statische Geheimnis des Schwammes des Schwammes bis in dessen Nanobereich hinein. In sieben Ebenen wird der strukturelle Skelettaufbau des Schwammes gegliedert. Als Grundstruktur gelten Fäden, kaum dicker als das Haar eines Menschen, eine biologische Glasfaser. Eine Art organischer Matrix hält, beinahe wie ein Kleber, Schichten oder Lamellen aus Glas zusammen, die sich nur wenige Mikrometer dick konzentrisch anordnen um die beschriebenen Glasfasern zu bilden. Das Glas als solches ist das Produkt der Aneinanderkettung winziger Silikat-Nanopartikel. Die ersten drei Schichten des hierarchischen Aufbaus stellen somit Nanopartikel,Lamellen und Fasern dar. Im Jahr 2003 entdeckte ein Team von Forschern und Wissenschaftlern die ungewöhnlich gute Lichtleit-Fähigkeit dieser Fasern und trug mit ihrem Ergebnis zu einer Optimierung der Produktion von herkömmlichen Glasfaserkabel
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Abb. 8 1. Ebene, hierarchischer aufbau des Glasschwammes
Abb. 9 2. Ebene, hierarchischer aufbau des Glasschwammes
Abb. 10 1. Ebene, hierarchischer aufbau des Glasschwammes
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bei, die uns täglich zur Kommunikation dienen. Als vierte Ebene gelten lediglich die zu unterschiedlich dicken Bündeln gefassten, soeben beschriebenen Fasern. Die zusätzlich durch Glaszement zu festen Verstrebungen verbundenen Faserbündel bilden horizontal, vertikal und diagonal ein locker gewobenes Netz. Sie stellen die fünfte Strukturebene dar. Risse werden so an ihrer unkontrollierbaren Ausbreitung gehindert und schnell gestoppt, um im Anschluss von neuem Material aufgefüllt zu werden. Die sechste Ebene bilden spiralförmige Rippen, die die konzentrische Netzstruktur verstärken und Rissbildungen bei den in 5.000 Metern Tiefe herrschenden, enormen Druckverhältnissen verhindern. Unter der zylindrisch geschwungenen Form, die das Erscheinungsbild des Schwammes ausmacht und die sich nach unten verjüngt, um sich dort mit dem Boden des Ozeans zu verankern, versteht man die letzte und siebte Ebene. Das Konglomerat dieser sieben hierarchisch angeordneten Ebenen bildet einen kaum zerstörbaren Käfig, der den enormen Kräften des SchwammLebensraumes ohne Weiteres zu widerstehen vermag. Gleichzeitig ist er von einer Leichtigkeit, die bei keinem bisher künstlich entwickelten Material im Verhältnis zur Stabilität zu finden ist.19
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Nur durch das Kombinieren und gleichzeitige Einsetzen verschiedenster mechanischer Konstruktionsprinzipien bringt der Schwamm solch erstaunliche, statische Leistungen zu Stande. Jede Entwicklung der Menschheitsgeschichte, die als Ziel
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die Statik hat, scheitert in Gegenüberstellung mit der Struktur des Glasschwammes, an Raffinesse und Kunstfertigkeit. Auch die Rohstoffe, welche der Glasschwamm für seine Konstruktion zu Hilfe nehmen kann sind in solch enormen Wassertiefen dürftig. Um so erstaunlicher, welch außergewöhnliche Materialien, die Natur mit geringsten Mitteln, im Gegensatz zum Menschen zu produzieren vermag. Wie es Euplectella Aspergillum allerdings vermag, als so primitive Lebensform weder zu viel, noch zu wenig Material für seine so unglaublich komplexen Konstruktionen zu verwenden, bleibt ungeklärt. 20 Kann man die Fähigkeiten des Euplectella Aspergillum für den Fahrzeugbau nutzen und welche Vorteile gegenüber herkömmlichen Produktionsmethoden entstehen daraus?
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Warum frieren Eisbären nicht, warum sind manche Pflanzen sauberer als andere, warum können Geckos an glatten Wänden laufen, warum setzen sich an der Haut von Haien keine Algen und Kleinstlebewesen ab, warum sind uns Termiten, in ihrer Organisation und ihren Baukünsten so überlegen? Die Liste der Fragen, die in das Reich der Natur gestellt werden können, ist unendlich. Die Antworten um so erstaunlicher, aufschluss-, und lehrreicher. Verwendung zu finden, für das, was man aus der Natur lernt, die Lösungsvorschläge, die einem sozusagen vor der eigenen Haustür zu Füßen liegen, sinnvoll ein- und umzusetzen ist die Hürde, an der viele Ansätze scheitern. Meist bleibt keine andere Wahl und so wird bis heute in der Bionik praktiziert, Mechanismen und Strukturen aus der Natur, in das Paradigma, den Rahmen der klassischen Technik zu zwängen. Das, was die Fähigkeiten der Natur von den erlernten und durch das Bewusstsein der Menschen beschränkten Fähigkeiten unterscheidet und abhebt, also den eigentlichen Vorteil darstellt, wird in ein System übersetzt, was diesen Vorteil erheblich reduziert. Meist werden so, zwar nicht zu verachtende Verbesserungen, der bisher ausschließlich technisch gelösten Probleme erzielt. Diese bewegen sich dennoch nur weit unterhalb der Leistungen, die die Natur zu Stande bringt. Es ist nicht möglich und soll nicht die Absicht sein, die Technik grundlegend in Frage zu stellen.21 Die Technik als Zwischenschritt und Übersetzer von natürlichen Prinzipien in unser logisches System zu übergehen, sollte aber möglich sein.
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Konstruktionen aus der Natur, nicht mehr nur zu analysieren, zu übersetzen und nachzuahmen, sondern die Natur zum Konstrukteur werden lassen, Natürliche Strukturen, nicht mehr durch künstliche Imitate, die mit hohem Energieaufwand aus schädlichen Kunststoffen produziert werden zu ersetzen, sondern die Produktion vollständig der Natur zu überlassen. Bringt doch diese hochfeste Materialien hervor, die in der Industrie bisher ihres Gleichen suchen. Kommen doch die „Interessen“ der Natur, denen der Technik und der Industrie gleich. Mit wenig Kosten und geringem Energieaufwand, in kürzester Zeit und mit den am leichtesten zu erreichenden Rohstoffen ein Maximum an Profit zu erzeugen. „Die Übertragung eines Konzepts oder Mechanismus von lebenden auf unbelebte Systeme ist keineswegs trivial. Derzeit gibt es drei Transferebenen: direktes Kopieren, die Verknüpfung von Ideen mittels Wortkette und das Verständnis von Funktionen mithilfe von Standardmethoden für Problemlösungen.“ 22 Warum aber kopieren und verstehen versuchen, warum nachbilden und in ein anderes, zweifelhaftes System übersetzen? Der Ansatz, natürliche Prinzipien und deren perfekte Lösungswege auf direktem Weg zu nutzen und zu übernehmen, wird in unserer technischen Welt geradezu ignoriert. Das Bewusstsein, die Fähigkeiten und die Qualität der Technik seien nicht zu hinterfragen und der Natur weit überlegen, hat sich viel zu tief in unserem Denken festgesetzt. Völker, die noch heute ihr Leben in engerer Beziehung zur Natur führen, als die Bevölkerung der westlichen Welt, wissen die Vorteile der Natur für ihre technischen Probleme zu nutzen.
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vEin Beispiel sind die lebenden Brücken von Cherrapunji in Meghalaya, Nordwest Indien. Meghalaya ist einer der regenreichsten Orte der Welt. Sturzflutartigen Regenfällen, den ständig über die Ufer tretenden reißenden Flüsse und dem ununterbrochen feuchten Klima, würden weder Beton-, noch Stahlkonstruktionen auf Dauer trotzen können. Die dort lebenden Menschen haben sich die Eigenschaften einer bestimmten Feigenart zu nutzen gemacht. Aus den langen und zähen Wurzeln des Baumes flechten sie über Jahre hinweg raffinierte Konstruktionen über Schluchten und Flussbetten. Anfangs noch fragil und kaum zu passieren, wachsen die Wurzeln des Feigenbaumes weiter zu massiven, gigantischen Brücken, die in Statik und Beständigkeit jede technisch erschaffene Brücke weit übertreffen. Während Brücken aus Beton oder Stahl mit den Jahren durch Witterung korrodieren, spröde und instabil werden, verstärkt sich die Konstruktion der lebenden Brücken kontinuierlich. 500 Jahre bestehen die ältesten dieser natürlichen Bauwerke schon. Mit der Zeit werden sie mit Steinen gepflastert, die von den Wurzeln fest verankert werden. 50 Menschen auf einmal könnten ohne Probleme eine solche alte Brücke betreten.23 Warum sollte sich der Grundgedanke, der Natur den Aufgabenbereich von Konstruktion und Produktion im ganzen zu überlassen, nicht auch auf den Bau von Fahrzeugen übertragen lassen?
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Auf Grund des rasanten Fortschritts auf dem Gebiet biologischer Wissen-
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schaften ist es heute schon möglich, Zellstrukturen, Muskelgewebe oder vollständig lebensfähige Organismen, fern ihres natürlichen Entstehungs ortes, in künstlichen Umgebungen zu erschaffen und wachsen zu lassen. So sollte es in nicht allzu ferner Zukunft ebenso möglich sein, den natürlichen Lebensraum, des im vorigen Kapitel beschriebenen Euplectella Aspergillum Schwammes, zu imitieren. Im Wasser gelöste Mineralien, Nahrung, Temperatur, Druck- und Lichtverhältnisse werden so angepasst, dass sich die Struktur des Schwammes unter gleichbleibend perfekten Bedingungen, sogar besser entwickeln kann, als in ihrer natürlichen Umgebung. Diese Voraussetzungen zu erfüllen, würden weit weniger Energie in Anspruch nehmen, als herkömmliche Produktionsmethoden in der Industrie. Druck kann mechanisch so erzeugt werden, dass er über die Wachstumsphase des Schwammes konstant erhalten bleibt, ohne weiter Energie zu benötigen. Mineralien zählen zu den schnell nachwachsenden Rohstoffen. Um Lichtverhältnisse, wie in 5.000 Metern Meerestiefe zu gewährleisten, ist eher ein Abdunkeln als Aufhellen des künstlich erschaffenen Lebensraumes von Nöten. Verändert man diese Bedingungen, kann man den Prozess der Kristallisation des Schwammes starten und gezielt wieder stoppen. Die Form, des in der Regel zylindrisch wachsenden Schwammes, muss jedoch stark beeinflusst werden, um den generellen Ansprüchen an ein Fahrzeugchassis formal gerecht zu werden. Aber auch hier hat die Natur einen leicht nachzubildenden Weg gefunden, um Moleküle in vorgegebenen Formen neu zu ordnen. Die natürlichen Matrizen. Schon vor der Metamorphose der Raupe zum Schmetterling, zeichnen sich an der Außenseite des frisch gesponnenen
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Kokons bestimmte Konturen ab. FlĂźgel, Kopf und KĂśrperform, selbst die
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Abb. 11 Vision des Glasschwamm Chassis.
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Abb. 12 Vision des Chassis. Heckansicht.
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Extremitäten sind schon zu erkennen und wie bei einer natürlichen „Guss form“ vorgegeben. Die sich nun verändernden Moleküle der Raupe „wissen“ so genau, wo sie sich anzuordnen und welche Form sie anzunehmen haben. Die meisten Raupenarten, haben durch äußere Gegebenheiten nur wenig Zeit für ihre Verwandlung zum Schmetterling. Dieser Vorgang dient auch dazu, das Risiko von Fressfeinden entddeckt zu werden, zu minimieren. Durch die schon vor der Verwandlung definierte Form ihres späteren Aussehens, wirkt der Kokon als eine Art Prozessbeschleuniger des Wachstums. Dieses Prinzip wirkt der Aussage, die Natur wäre zu langsam um für die Industrie von Nutzen zu sein, in jeder Hinsicht entgegen.24 Diesem Vorbild nachempfundene Matrizen eignen sich in Zukunft dazu Strukturgebilde des Glasschwammes in beliebigen Formen und Größen wachsen zu lassen. Mechanische Elemente, wie sich um sich selbst drehende Achsen, die in der Natur nicht zu finden sind, werden vor dem Start des Wachstumsprozesses in der Matrize fixiert. Während des Wachstumsprozesses verbindet sich der Schwamm fest mit diesen Komponente,. ähnlich wie er es am Meeresboden tut, um stärksten Strömungen stand zu halten. Durch stetige Simulation von Kräften, die später während der Fahrt auf das natürliche Chassis einwirken, entstehen in der, am Anfang des Wachstumsprozesses vorerst fragilen Struktur, Brüche und Risse. Ähnlich wie man es von Bäumen kennt,verstärkt der Schwamm an den verletzen Stellen seine Struktur und baut Material auf, um größere Kräfte zu absorbieren, damit kein Schaden mehr verursacht werden kann. An Stellen, an denen weniger Kräfte einwirken, wird reduziert Material aufgebaut. Anhand der,
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in seinem Genmaterial, gespeicherten Informationen, setzt der Schwamm nur so viel Material ein, wie maximal benötigt wird. Zudem registriert der Glasschwamm, in welchen Regionen seines Aufbaus mehr Elastizität von Nöten ist und welche Regionen steifer ausgebaut sein müssen. Eine Eigenschaft, die ihn unter Wasser ebenfalls vor Schäden durch zu starke Strömung schützt und von keinem künstlichen Material zu bewältigen ist.
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Während künstlich hergestellte Materialien meist nur jeweils ein Leistungsspektrum abdecken können, entweder Starrheit oder Elastizität, decken natürliche Materialien oft das ganze Spektrum ab und können innerhalb eines Materials verschiedenste Eigenschaften vorweisen. Die Antwort für diese erstaunlichen Fähigkeiten natürlicher Verbundstoffe liegt in der kleinsten Hierarchieebene ihres hochkomplexen Aufbaus. Die Ursache für Materialermüdungen, wie das Brechen von Bauteilen, liegt meist in winzigen Defekten besonders bei sprödem Material. Die Partikel in den meisten natürlichen Materialien sind jedoch noch kleiner, als beispielsweise, der zum Brechen eines Knochens führende Defekt. Nach diesem Prinzip können Knochen und alle anderen natürlichen Materialien mit spröden, wie zum Beispiel den an sich brüchigen Hydroxylapatitplättchen verstärkt werden, ohne selbst spröde zu werden. Ob ein natürlicher Werkstoff also bruchfest ist, wird auf einer anderen hirarchischen Ebene bestimmt, als dessen Biegefähigkeit. Da Metalle jedoch , sowohl auf Nano-, als auf Zentimeterebene identisch strukturiert sind, können sie zwar steifer oder elastischer gemacht werden, diese Eigenschaften aber nicht vereinen.25
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Chassis von Fahrzeugen jeglicher Art haben jedoch die Aufgabe, die verschiedensten Fähigkeiten zusammen zu führen. Während die tragenden Elemente verwindungssteif, stabil und fest sein müssen, um für eine solide Basis des Fahrzeuges zu sorgen, so müssen andere Elemente beweglich, federnd, dämpfend und elastisch sein. Unzählige Teile, aus denen ein gewöhnliches Chassis besteht, leisten diese Ansprüche. Jede spezifische Aufgabe wird einem bestimmten Material und einer bestimmten Konstruktion zugetragen. Unumgänglich, unter dem heutigen Stand der Technik, dass ein gewöhnliches Chassis zu einem hochkomplexen Gebilde wird. Verschiedenste Materialien benötigen verschiedenste Herstellungsmethoden, jedes Einzelteil wird separat gefertigt, auf anderen Wegen geliefert und dem immer schwerer werdenden Gebilde beigefügt. Ist das Chassis aus einem natürlichen Verbundstoff aufgebaut oder gewachsen, kann es allen Ansprüchen gerecht werden, ohne dass verschiedene Materialien kombiniert werden müssen.
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In der Architektur, im Flugzeugbau, im Bau von Maschinen, Fahrzeugen, Schiffen und Gegenständen, die uns anderweitig im Alltag begleiten, verfolgt man stetig das Ziel Gewicht zu reduzieren und Statik und Stabilität zu erhöhen. So ist es auch in der Natur von großer Wichtigkeit, mit so wenig Material wie möglich, so leicht und dennoch hoch stabil zu bauen. Die Erkenntnis, dass Stabilität nicht von der Masse des eingesetzten Materials, sondern von raffinierter Konstruktion her rührt und viel an statischem
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Knowhow und Wissen über die Verteilung von Zug und Druckkräften verlangt, mussten sich die Menschen erst mühevoll erarbeiten. Im Gegensatz zu den Leichtbaufähigkeiten der Natur, die seit mehreren Millionen Jahren stetig entwickelt und fast automatisch verbessert wurden, scheint dieses Wissen noch jung und naiv zu sein. Deutlicher noch wird es, vergleicht man die komplexen, filigranen und genialen Konstrukte der Natur, mit den dagegen plump und einfallslos wirkenden Konstruktionen unserer Technik.
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Keramik, wie sie beispielsweise in Form von Zähnen verschiedener Seeigel- Arten in der Natur zu finden ist, zählt zu den härtesten Strukturen der Natur. Synthetisch erschaffene Keramik ist ihr um ein 100-faches an Stabilität unterlegen. Dennoch bauen sich diese hochfesten Strukturen der Natur wieder vollständig ab, sobald sie nicht mehr benötigt werden und gliedern sich wieder in den natürlichen Kreislauf ein. Bei ihrem Wachstumsprozess bedienen sie sich der natürlichen Rohstoffe, die in ihrem Umkreis am einfachsten zu erreichen sind und setzen sich wie von selbst zusammen. Kunststoffe benötigen für diesen Entstehungsprozess meist enorme Mengen an Energie, um eine verwendbar feste Konsistenz und Widerstandsfähigkeit zu erlangen. Eben diese Energie, meistens in Form von Hitze, wird später auch zum Abbau und zur Zersetzung dieser Strukturen benötigt. Als Abfallprodukt entstehen giftige Gase und andere Schadstoffe, die auf den Einsatz großer Mengen von Erdöl zurückgehen.26
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Natürliche Verbindungen sind von vorne herein auf ihre Abbaufähigkeit ausgelegt. Sie entstehen bei normalen Umgebungstemperaturen. Ihre Verbindungen sind gerade stark genug um die Moleküle so zusammen zu halten, dass sie den gewöhnlichen Temperaturen und Belastungen ihrer Umwelt trotzen können. Somit beginnt schon bei 45° ein Zerfall der Proteine in den meisten Organismen. Einige wenige Organismen, die wie auch der Glasschwamm, in der Nähe von hydrothermalen Quellen leben, halten Temperaturen von mehreren 100° stand, ehe sie zerfallen. So entstehen in der Natur unter anderem Stoffe, die mit einem Zehntel der Menge an Erdöl auskommen, wie es unsere Kunststoffe tun. Dennoch widerstehen sie bis zu tausend Jahre, selbst in feuchten modrigen Umgebungen, dem Zerfall.27
„Womöglich haben wir es einfach mit der falschen Chemie versucht: Statt
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Plastik auf Ölbasis mit Kristallen aus wässrigen Lösungen zu kombinieren, sollten wir wasserbasierte Kunststoffe verwenden und das Wasser in den Zusammenbau einbeziehen.“ 28
Abb. von l. nach r. 13, 14, 15, 16, 17, 18
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Neben dem Erdöl, ist die Zeit einer, der in unserem Alltag am knappsten werdenden Rohstoffe. Durch den immer schneller werdenden Alltag und die Beschleunigung aller Prozesse verkümmert nicht nur nach und nach die Geduld der Menschen, die Zeit nimmt an materiellem Wert immer weiter zu. Dinge, die in kürzester Zeit verfügbar sind, werden selbstverständlich, während Dinge, auf die man warten muss, in jeder Hinsicht wertvoller werden. Zeit zu haben wird zum Luxus, Zeit genießen zu können nahezu ein Statussymbol. Was bis vor kurzem noch durch „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ verkörpert wurde, ist heute schon ersetzt. Seine Gesundheit zu bewahren, Zeit für seine soziale Umgebung zu haben, ohne sich für die immer weiter beschleunigende Umwelt herzugeben und sich durch sie verbrauchen zu lassen. Werte, die nach und nach für mehr Eindruck sorgen, als noch das neue Auto des Nachbarn vor einigen Jahren. Obwohl die Natur ebenso Wege findet, um Prozesse zu beschleunigen, die gewissen Notwendigkeiten unterliegen, entzieht sie sich seither dem Trend der menschlichen Beschleunigung. Wachstumsprozesse in der Natur benötigen trotz menschlicher Manipulation ihre bestimmte Zeit. Im Gegensatz zu den immer weiter optimierten und schneller werdenden künstlichen Produktionsprozessen, stößt eine künstliche Verkürzung von natürlichem Wachstum an ihre Grenzen. Werden diese Grenzen durch Manipulation überschritten, leidet die Qualität der natürlichen Produkte weitaus mehr, als die künstlicher Produkte, deren Produktion beschleunigt wird. Während
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Maschinen grenzenlos in kürzester Zeit weiterentwickelt werden können, benötigt die Natur ebenfalls eine lange Zeit, um ihre Produktionsprozesse zu optimieren. Auch wenn der Glasschwamm durch die perfekte, künstliche Nachahmung seines natürlichen Lebensraumes schneller wachsen wird, als in eben diesem, benötigt dieser Prozess mehr Zeit, als die konventionelle Produktion eines heutigen Fahrzeugchassis. Aufzuwiegen ist dieser vermeintliche Nachteil, durch die schon beschriebenen günstigen Rohstoffe, den niedrigen Energieverbrauch, die Umweltfreundlichkeit des Materials und das Einsparen der gewöhnlich benötigten, unterschiedlichen Komponenten eines herkömmlichen Chassis. Durch eine optimale Synchronisation dieser natürlichen Produktion können, nach kurzem Vorlauf, ebenfalls wie heute, Chassis der Glasschwamm-Struktur im Minutentakt vom Band laufen. Lässt man den zukünftigen Kunden an dem Wachstumsprozess der später tragenden Konstruktion seines zukünftigen Fahrzeugs teilhaben, wird ein völlig neues Wertgefühl auf das Fahrzeug übertragen. Nicht mehr der reine finanzielle Wert, sondern der erläuterte Wert der Zeit findet sich in dem fertigen Produkt wieder.
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Als Erkenntnis dieser Arbeit, geht nicht nur die Überlegenheit der Natur gegenüber der Technik hervor. Während die Menschen über die Jahre versucht haben, Lösungen für ihre Probleme, auf künstlichen Wegen zu lösen, haben sie sich immer weiter von der Natur entfernt. Selbst die dadurch einhergehende Zerstörung eben dieser, führt nur allmählich zu dem Bewusstsein, sich auf dem falschen Pfad zu befinden. Immer mehr, werden Prinzipien der Natur genutzt um technische Lösungen zu optimieren oder zu ersetzen. Das es möglich sein kann, sie zu nutzen, ohne sie in das technische Schema zu übersetzen, umzuwandeln und so, gezwungenermaßen zu verfälschen, ist durch das Beispiel des wachsenden Chassis durchaus denkbar. Könnten auf weiteren technischen Gebieten, Lösungswege gefunden werden, die dem gleichen Gedanken folgen, so könnte der Mensch allmählich wieder ein Teil des natürlichen Systems werden. Würden weiterhin immer mehr künstliche Prozesse, durch natürliche ersetzt, könnte sich nach und nach wieder ein Gleichgewicht herstellen, zwischen den Menschen und der Natur.
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Das diese Rückbesinnung zur Natur keinen Rückschritt bedeutet, zeigt diese Arbeit am Beispiel der beschrieben Fähigkeiten natürlicher Strukturen, die den Fähigkeiten von Kunststoffen bei Weitem überlegen sind. Die damit einhergehende Notwendigkeit neuer Produktionsverfahren,würde für die Technik einen neuen Entwicklungsimpuls bedeuten. Aber nicht nur im Bereich, der natürlichen Strukturen und Materialien ist uns die Natur weit voraus. In vielen anderen Bereichen, hält sie Lösungen parat, die nur dann entdeckt werden können, wenn der Mensch lernt seinen Blick wieder auf sie zu richten.
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Auch wenn nicht als visionärer Nachfolger des Porsche Typ 981 Boxster konzipiert, orientieren sich Maße und Package im Bereich von dessen Vorgaben. Somit beläuft sich die Fahrzeugbreite auf 189,00mm, die Länge auf 394,00mm. Durch eine sehr niedrige Sitzposition der zwei Insassen, liegt die Fahrzeughöhe nur bei 98,00mm. Der längere Radstand von 270,00mm eliminiert die, auch aus technischen Gründen nicht benötigten, markentypischen Überhänge sowohl bei der Front, als auch am Heck. Durch das visionäre Rahmen-, und Chassiskonzept und eine Karosserie in Leichtbauweise, beträgt das Leergewicht des Fahrzeuges, ungefähr 600 kg. Die Akkumulatoren für den im Folgenden beschriebenen Antrieb, lagern entlang des Mittelkanals und direkt hinter den Insassen, wo sie den Platz des klassischen Mittelmotors einnehmen und für eine gute Gewichtsverteilung mit niedrigem Schwerpunkt sorgen. Der Antrieb befindet sich direkt an den vier Rädern.
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Der Antrieb des Konzepts „Einundsiebzig%“ besteht aus vier leistungsstarken und platzsparenden Radnabenmotoren. Schon 2007 wurden solche Motoren mit einer Leistung von je 120 kw (136 PS) vorgestellt. Bei einem Gewicht von rund 25 kg leistet einer dieser Motoren einen Anfahrdrehmoment von 750 Nm. Vier dieser Motoren erzeugen eine Gesamtleistung von
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480 kW (653 PS). Durch eine, auf 2000 U/min beschränkte Drehzahl ist eine Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h zu erreichen. Lithium-Titanat-Akkumulatoren der Firma Altairnano, eine Weiterentwicklung des gewöhnlichen Lithium-Ionen-Akkus, leisten bei einem Gewicht von 190 kg schon heute 35 kWh. Bei einem Fahrzeuggewicht von 1400 kg sind so Reichweiten bis zu 400 Kilometern gemessen worden. Nach 10 Minuten Ladezeit an einer 480-Volt-Dreiphasen-Steckdose sind die modernen Energiespeicher vollständig geladen.29 Durch die auf diesem Gebiet rapide voranschreitende Forschung werden in naher Zukunft noch effizientere Ergebnisse, was Verbrauch und Fahrleistungen betrifft, in den Bereich des möglichen treten. Da bei dem geringen Gewicht des hier erarbeiteten Fahrzeugkonzepts, weitaus weniger starke Motoren, mit einer maximalen Leistung von 350 PS angedacht sind, ergeben sich schon heute weitaus bessere Daten bei Reichweite und Gewicht.
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Natürlichen Strukturen, wie der des Glasschwammes, sämtliche Funktionen eines voll funktionsfähigen Fahrzeugchassis zu überschreiben und abzuverlangen, ist aus verschiedensten Gründen unmöglich. Wie in dem Kapitel "Konzept" beschrieben, sind Wellen, die sich mit einem Radius von 360° um sich selbst drehen können, nirgends in der Natur zu finden. Während die benötigte Stabilität, die Steifigkeit gegen Verwindungskräfte und
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der Federkomfort durchaus durch allein dieses Material gewährleistet sind, kann auf einige technische Elemente nicht verzichtet werden. Eine stabile Verbindung zwischen eben diesen technischen Elementen und der natürlichen Materie muss zuverlässig und von langer Dauer sein. Verbindungen dieser Art entstehen auf der einen Seite durch Zufall und ohne Zutun menschlicher Absichten. Beobachten lassen sie sich unter anderem bei Moosen, Flechten und Rankenpflanzen, die sich fest mit künstlichen Untergründen verwurzeln. Rostendes Blech, Betonflächen, Asphalt und Textilien können großflächig von diesen Pflanzen so überwuchert werden, dass sie nur schwer wieder zu lösen sind. Meist ist die Verbindung so kräftig, dass der Untergrund dabei sogar Schaden nimmt. Schiffsrümpfe und Kaimauern werden von Algen und Kleinstlebewesen besetzt, so dass sie regelmäßig durch aufwändige Reinigungsmethoden erst wieder davon befreit werden können. Auf der anderen Seite wird die Verbindung von Natur und Technik absichtlich genutzt und gefördert. Technischen Materialien werden von ihrer Oberflächenbeschaffenheit so konstruiert, dass sie optimale Gegebenheiten für eine Verbindung mit natürlichen Strukturen ermöglichen. Ein Beispiel hierfür wird in der Medizin seit langem praktiziert. Künstliche Gelenke, Gewinde, die in den menschlichen Kiefer eingesetzt werden, um Zahnimplantate zu fixieren, verwachsen nach anfänglicher Fixierung beinahe untrennbar und hoch stabil mit den Knochen. Schon nach kürzester Zeit sind Verbindungen dieser Weise voll belastbar und teilweise von höherer Stabilität als das vorangegangene Konstrukt. Prothesen für Beine und Arme, stellen ebenfalls eine hochstabile Schnittstelle zwischen Natur und Technik dar, die nach Bedarf sogar jeder Zeit wieder trennbar ist.
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Eine, den Belastungen, die selbst bei schneller Fahrt über unebenen Untergrund auf ein tragendes Fahrzeugelement wirken, standhaltende Verbindung ist also auch zwischen dem Glasschwamm-Konstrukt und beispielsweise einer technischen Achse oder Radaufnahme vorstellbar. Die komplette Verschalung der Räder ermöglichen bei der Konzeption dieses Fahrzeugs nur einen maximalen Lenkeinschlag von 7°. Lenkeinschläge höheren Grades werden durch eine Radtechnik ersetzt, die bisher nur bei Gabelstaplern oder Industriemaschinen, erstmals schon in den 50er Jahren in Serie produziert und eingesetzt wurden.
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Auf den Laufflächen so genannter Mecanum-Räder befinden sich diagonal zur Rotationsrichtung angebrachte Rollen. So entstehen bei der Rotation dieser Räder zwei unterschiedliche Kraftkomponenten. Während der Rahmen des Fahrzeugs und die Achskonstruktion gegeneinander wirkende Kräfte absorbieren, addieren sich die übrigen Kräfte zu der sich ergebenden Fahrtrichtung. Die quer liegenden Rollen überschneiden sich so, dass eine weiche Abrollbewegung des Hauptrades möglich ist. Durch eine abgestimmte Koordination der vier Haupträder sind Manöver möglich, die mit herkömmlichen Lenkmechanismen nicht vorstellbar sind. Sowohl die Simulation ganz normalen Lenkverhaltens, wie das Gleiten über alle vier Räder, quer oder diagonal zu Fahrtrichtung ist möglich. Die Räder
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werden dazu, bezüglich ihrer Drehrichtung und ihrer Drehgeschwindigkeit, unterschiedlich zueinander bewegt. Und bleiben selbst dabei ungelenkt. Aufwändiges Rangieren über der Vorderachse, bei der Parkplatzsuche, ist hinfällig. Das Risiko vom Ausbrechen des Fahrzeuges bei schnellen Ausweichmanövern wird erheblich minimiert, da die entstehenden Kräfte nicht mehr quer auf die Lauffläche der Reifen einwirken, sondern durch unterschiedliches Ansteuern der einzelnen Räder über die kleinen Hilfsrollen abgefangen werden.30 Bei schnelleren Überlandfahrten bewegt sich eine, im Stadtverkehr versenkte schmale Lauffläche nach außen. Dieser Vorgang geschieht alleine durch die Fliehkraft oder wird mechanisch unterstützt. Durch die damit einhergehende Reduzierung des Reibungswiderstandes, wird Energie gespart und eine höhere Reichweite erlangt. Gelenkt wird in diesem Modus konventionell. Bei hohen Geschwindigkeiten reicht schon ein geringer Lenkwinkel um die Fahrtrichtung stark zu beeinflussen. Kommt es zu einer Gefahrensituation, in der ein plötzliches und heftiges Ausweichen vor einem Hindernis nötig ist, was meist mit starkem Reduzieren der Geschwindigkeit einher geht, fährt die Leichtlauffläche wieder zurück.
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Abb. 19 Mecanum-Rad.
Abb. 20 Prinzip des Leichtlaufmechanissmus. In der Stadt.
Abb. 21 Prinzip des Leichtlaufmechanissmus. Bei schneller Fahrt.
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Nachdem die Beschaffenheit des Chassis und grundlegende Funktionen und Fähigkeiten schon in dem Kapitel „Das Konzept“ geschildert wurden, hier noch tiefer gehende technische Erläuterungen. Indem der Komfort durch dämpfend fungierende Partien, die Stabilität durch steifer ausgebildete Partien der Glasschwamm-Struktur gewährleistet ist, ergeben sich noch andere technische Herausforderungen, die durch die selbige bewältigt werden können. Das natürlich gewachsene Chassis zieht sich von der Front bis zum Heck des Fahrzeuges und durchstösst dabei die Fahrerkabine. Im gesamten Fahrzeuginnenraum bildet die Schwamm-Struktur, durch die natürlichen Matrizen vorgegebene Aufnahmen, oder hat sich schon während des Wachstumsprozesses fest mit verschiedenen Elementen verbunden. Sitze, Armaturenbrett und Akkus werden so fixiert.
F u nktionen der K arosserie
Neben dem, der Natur entsprungenen Leichtbau des Chassis, ist die Karosserie aus herkömmlichen Faserverbundstoffen hergestellt. Sie integriert sich so in das Leichtbau Konzept des gesamten Fahrzeuges. Nach wie vor erzeugen sowohl Akkumulatoren, als auch die Antriebe und
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Motoren, elektrisch betriebener Fahrzeuge große Hitze. Da die Räder dieses Fahrzeuges komplett verschalt sind, um den Luftwiederstand an den Flanken zu verringern, erfahren die Motoren, zumindest an dieser Stelle, keinerlei kühlenden Fahrtwind. Große Öffnungen in der Front der Karosserie nehmen jedoch genügend Luft auf, um diese zur Kühlung durch das Fahrzeug, an den Antriebselementen und den Energiespeichern vorbei zu führen, und durch die im Heck befindlichen Öffnungen wieder frei zu geben. Zusätzlich werden durch diese Öffnungen Strukturelemente des Glaschwamm-Chassis freigelegt, welche im Fahrzeuginneren, sowohl direkt mit den Motoren und den Akkus verbunden sind, als auch deren Arretierung bilden. Obwohl Glasfaser nicht als besonders guter Wärmeleiter gilt, vergrößert der spezielle Aufbau der Schwamm-Struktur die Oberfläche der erhitzten Elemente um ein Vielfaches und gewährleistet so ebenfalls eine bessere Kühlung. Unter den zwei Hutzen, die sich im Hinteren Teil des Fahrzeugs befinden und die gleichzeitig als Überrollschutz für die Insassen dienen, befindet sich eine markante Fuge. Diese dient ebenfalls der besseren Abfuhr der, durch die darunter befindlichen Akkumulatoren, erwärmten Luft und der besseren Kühlung. Des Weiteren ermöglicht die Trennung vom Rest der Karosserie an dieser Stelle die Beweglichkeit des Hutzenelementes. Türen in den Flanken des Fahrzeuges sind für das Betreten und Verlassen des Fahrzeugs nicht nötig. Das Übersteigen der Seitenwand wird erleichtert, indem sich das Fahrzeug, trotz seiner schon geringen Höhe ,senkt und die Abdeckung mit den Hutzen und den Sitzen nach hinten geschoben werden kann. Der Einstiegsraum vergrößert sich so um
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ein Vielfaches, ebenso um einen angenehmen Ausstieg zu gewährleisten. Da die Karosserie ausschließlich offen und ohne Verdeck oder adaptives Dachelement konzipiert ist, lässt sich die beschriebene Abdeckung behelfsweise auch nach vorne bewegen, um die Insassen bei stehendem Fahrzeug vor überraschenden Schauern zu schützen. Während der Fahrt wird der Regen durch den Luftstrom im richtigen Winkel über die Frontscheibe und die Insassen hinweg geleitet.
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Warum für etwas Spezielles bezahlen, wenn es nicht als speziell erkannt wird? Automobile sind Zeichen der Kommunikation, verschiedene Klassen und Fahrzeugtypen transportieren unterschiedliche Botschaften. Das natürliche Bedürfnis der Individualität erfordert für jeden Menschen ein individuelles Zeichen. So wie man mittels seiner direkten äußeren Erscheinung zu kommunizieren vermag, Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder sogar Abneigung zu anderen vermittelt, so kommuniziert man auch durch das gewählte Objekt seiner Fortbewegung. Markenbedingt und auf Grund der außergewöhnlichen und neuartigen Technologie wird sich das konzipierte Fahrzeug später im gehobenen Preissegment auf dem Fahrzeugmarkt eingliedern. Auffällige Fahrzeuge werden häufig als Repräsentanten neuer Technik gewählt. Als Zweisitzer, meist sportlichen Charakters, ziehen sie die Aufmerksamkeit einer breiteren Gruppe an, als Fahrzeuge, die aus dem Alltag bekannt sind. Die Bereitschaft, die geforderten Mittel für ein solches Fahrzeug zu leisten, entsteht zu einem erheblichen Teil und im Speziellen dadurch, dass das Fahrzeug später der Umwelt diese Handlung vermittelt. Als Besitzer hochwertiger oder neuartiger Technologien, möchte man auch als solcher erkannt werden. Technologie, die von den konventionellen und bekannten Konzepten abweicht, führt ohnehin die Notwendigkeit mit sich, anders verpackt und
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gestaltet zu werden. Neue Technologien beanspruchen neue gestalterische Lösungen. Elektronisch angetriebene Fahrzeuge oder Hybridfahrzeugenmüssen schon von ihrem Aussehen her vermitteln, welche Technik in ihnen steckt. Bestimmte Farben werden in der Automobilwelt somit künstlich mit Bedeutungen geladen und sollen auf der einen Seite als Signifikant für neue, bestimmte Werte stehen. Auf der anderen Seite wird nach Formen gesucht, die sich aus der Masse abheben und besonders einprägsam und unverkennbar als Symbol für Umweltfreundlichkeit und alternative Antriebe stehen.
H erangehensweise
Für die Kommunikation des Glasschwamm-Chassis und die damit einhergehende technische Neuerung an einem Fahrzeug wird auch bei diesem Konzept eine bestimmte Lösung benötigt. Man soll dem Fahrzeug seine besonderen Eigenschaften und den besonderen Aufbau schon beim ersten Betrachten ansehen, ohne sich tiefer mit seiner Konzeption auseinander setzen zu müssen. Sowohl eine besondere Karosserieform, als auch das direkte Einsetzen der Schwamm-Struktur, als ästhetisches und sichtbares Element sollen selbstständig kommunizieren. Geländegängigen Rennfahrzeugen sieht man oftmals durch die freigestellten langen Federn und sichtbaren Teile des Chassis schon im Stand an, zu welchen Höchstleistungen diese Maschinen in der Lage sind. Ähnliche Mittel der Kommunikation lässt das Glaschwamm-Chassis zu. So sollen
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Teile der Struktur in mehreren Bereichen des Fahrzeugs, an denen sie besondere Aufgaben erfüllen, direkt sichtbar werden. Im Design sollen sich Themen des Konzepts lesen lassen. Bestimmte Formen werden die Bedeutungen und die Gedanken transportieren und darstellen, die das Fahrzeug inhaltlich ausmachen. Der Bezug zu Porsche soll bis zu einem gewissen Grad durch Proportionen und die Interpretation markentypischer Elemente geschaffen werden. Das die Markenabhängikeit erst an dieser Stelle formuliert soll im Weiteren beschrieben werden. Ein Fahrzeug soll entstehen, dem man seine Wurzeln zwar ansieht, das auf Grund der neuen Technik aber für sich selbst stehen wird, ohne die historische Linie des Unternehmens in der typischen Weise, im Beispiel des Porsche 911 fortzusetzen. Vielmehr ist geplant, einen Zeitgeist zu transportieren und in der Zukunft wiederzugeben, der in den sechziger Jahren die Marke charakterisierte. Fahrzeuge radikalster Bauweise, ohne Kompromisse, entstehen zu der Zeit unter der Leitung von Ferdinand Piëch. Nur das Gewinnen und die Leistung der Fahrzeuge im Rennsport zählen, Kompromisse werden keine eingegangen. Skurrile Fahrzeuge gehen auf diese Epoche zurück, die sich nicht auf die Weiterführung vermeintlicher Designlinien berufen, sondern technische Neuerungen mit sich bringen. Obwohl nach wie vor typische Elemente der Karosserie an die Markenherkunft erinnern, steht die Technik und Funktionalität im Vordergrund. So soll das Konzept „Einundsiebzig %“ nicht die Markenidentität und Zugehörigkeit, sondern ebenfalls das neuartige technische Konzept des wachsenden Chassis als Schwerpunkt präsentieren und zum eigentlichen Thema des Designs machen.
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Umgang mit Phasen vorne und am Heck des Fahrzeugs, der abschließende Radius der Fronthaube und stark überwölbte Flächen über den verschalten Rädern, zitieren zwar die typische Formensprache des Sportwagenherstellers, zählen aber zu den eher zurückhaltenden Designdetails. Die vom Ausdruck freundlich gestaltete Front findet nur in diesem Bezug Verbindung zu den bisherigen Familiengesichtern vergangener Porsche Modelle. Die Proportionen eines Mittelmotor-Sportwagens lassen noch eine entfernte Verwandtschaft zu bestimmten Modellen erahnen. Aus diesem Grund sind auch die Firmenlogos nicht in den typischen Farben, sondern nur Ton in Ton zur Karosserie angebracht. Am stärksten wird die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die ikonischen Flanken des Fahrzeugs gelenkt. Sie fassen den stärker automotiv gestalteten Mittelteil ein. Über die komplett verschalten Räder läuft eine durchgehende Phase, ohne jede Überspannung in Y Richtung an der gesamten Flanke entlang. Durch sie findet eine Materialtrennung zwischen der Karosserie und den anders farbigen Inlays statt. Auf der einen Seite prägt dieses Element mit am stärksten den Charakter des Fahrzeuges und kommuniziert den, im Kapitel über die Wiederverwertung, beschriebenen Kreislauf der Natürlichen Strukturen. Ovale Vertiefungen in den Inlays deuten die sonst nicht sichtbaren Räder an, um die Verbindung zum Automobil zu wahren. Gebrochen werden die sonst sehr statischen Fahrzeugflanken von einer Schulterlinie, die sich vom hintersten Ende des Fahrzeugs, vom Boden aus, rund um das verschalte Hinterrad zieht und auf der Motorhaube
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ausläuft. Nicht nur durch das Brechen der Flanke gewinnt das Fahrzeug durch dieses Element an optischem Vortrieb, die Linie ist komplett überspannt und fällt leicht nach vorne ab. Der Peak liegt auf der Höhe der Position von Fahrer und Beifahrer und markiert so die Stelle, von der aus das Fahrzeug bewegt wird. Die vordere kotflügelartige, überwölbte Fläche über dem Rad wird von einer Kante überlaufen, die ebenfalls auf der Flanke, bei den Insassen ausläuft, um ebenfalls die Statik des Seitenteils zu brechen und die Position der Insassen zu markieren und noch mehr zu betonen. In der anderen Richtung nach vorne, endet sie vor dem Rad auf dem Boden des Fahrzeugs und wirkt so wie eine Kufe auf jeder Seite. Aus technischen Gründen sind, wie beschrieben, keine Überhänge von Nöten, hinter denen für gewöhnlich Kühler oder vorstehende Elemente des Motors liegen. So zieht der Grundriss des Fahrzeuges vorne und hinten, zwischen den Rädern in x Richtung ein und lässt das Fahrzeug so leichter wirken. Wie oben beschrieben, wird die Glasschwamm-Struktur des wachsenden Chassis als direkter Indikator für eine neuartige Technologie an verschiedenen Partien des Fahrzeugs sichtbar. So wächst sie in Front und Heck, aus Luft Ein-, und Auslässen heraus, um die Kühlung der Luft zu fördern. Im Interieur wird sie überall dort sichtbar, wo sie bestimmte Aufgaben übernimmt. Seien es Ablagemöglichkeiten, Griffe, die das Ein-, und Aussteigen vereinfachen oder Arretierungen für Sitze und Dashboard. Wie in Sportwagen vergangener Epochen, die Statik im Fahrzeuginneren durch unverkleidete Rohrverstrebungen und Überrollkäfige geleistet wurde, so übernimmt diese Funktion ebenfalls sichtbar, der Glasschwamm. Die markante Fuge, die sich im oberen Bereich, halb um das Heck zieht und das Verschieben der Hutze ermöglicht, lässt Blicke ins Fahrzeuginnere und somit direkt auf
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die Struktur zu, die sich bis in das Heck unter der Karosserie erstreckt. Ansonsten ist das Interieur schlicht gestaltet, keine unnötigen Verkleidungen sollen das Gewicht erhöhen. Nur zwei Sitzschalen und ein Armaturenbrett mit fahrerorientierter Aussparung für die nötigsten Instrumente sind vorhanden. Die Hutze an sich weist mittig eine längliche, in Fahrtrichtung liegende Vertiefung auf, die die Fläche in Zwei teilt. Die Betonung liegt somit verstärkt auf einem Fahrzeug für nur zwei Insassen. Als Element, wie es oft bei sportlichen Fahrzeugen, auch aus aerodynamischen Gründen eingesetzt wird, kommt die Hutze formal dem sportlichen Grundgedanken des Konzepts zu gute. Auch die niedrige rahmenlose Frontscheibe, als Element, das seinen Ursprung im Rennsport hat und als Windabweiser fungiert, unterstreicht den Sportwagen-Charakter des Fahrzeugs.
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Bionik herausgegeben.Auflage 1. 2009 Saarbrücken. Seiten 9, 10, 11
9 11 1 2 1 3 1 4 1 5 Zdenek Cerman/ Wilhelm Barthlott/ Jürgen Nieder: Erfindungen der Natur. Bionik – Was wir von Pflanzen und Tieren lernen können. rororo Verlag. Auflage 3. 2011 Reinbek bei Hmaburg. Seiten 8, 9, 10, 11, 16, 17,
4 21 Kurt G. Blüchel: Bionik. Wie wir die geheimen Baupläne der Natur nutzen können. Goldmann Verlag. Auflage 2. München 2006 . Seite 206, 207,208, 174
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29 Frank Vรถlkel: Elektro-Auto mit Radnabenmotoren: Lightning GT mit 653 PS. h t t p : / / w w w. t o m s h a r d w a r e . d e / L i g h t n i n g - G T- L i t h i u m - I o n e n Akku,news-241436.html Verรถffentlicht 2008
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11 , 1 2 , 2 0 , 2 1 Aus eigener Quelle
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Besonderer Dank gillt meinen Betreuern Lutz Fügener und Stefan Stark, sowohl für die unentbehrliche Unterstüzung meiner Thesisarbeit, als auch die vorangegangenen, lehrreichen Semester. Vielen Dank an Jochen Heintz für die Hilfe und dasWeitergeben seiner wertvollen Erfahrung im Modellbau. Danke auch für die Unterstützung bei der Realisation der früheren Modelle, die mich bis hierher gebracht haben. .
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Bei Martin Bauer und Bernd Hötte bedanke ich mich besonders für die selbstlose, professionelle und beeindruckende Hilfe am Claymodell Danke meinen Eltern, die mir den Traum dieses Studiums möglich gemacht, und mich in all der Zeit unterstützt haben. Danke auch an meine Schwester, die immer für mich da ist. Vielen Dank an Sara, für das Verständnis, die Kraft und die Begeisterung,. Danke, dass du immer hinter mir stehst. Bei meinen Kommilitonen und all meinen Freunden möchte ich mich bedanken. Ihr habt die Zeit hier lebenswert, unersetzbar und unvergesslich werden lassen. Danke für eure Unterstützung in jeglicher Hinsicht.
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Ich versichere hiermit, diese Bachelorarbeit selbstst채ndig und unter Zuhilfenahme der angegebenen Qullen verfasst habe.
Pforzheim den 15.01.2013