Fahrbericht Lambretta G-Special 350

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DIE ECHTE

Die Lambretta G-Special 350 bringt endlich Leben in die eintönige Klassikbude. Dabei tritt die Neue nicht nur höchst eigenständig in der traditionell gefärbten Optik und Technik an, vielmehr macht ihr potenter Antrieb sie zum aktuell stärksten Retrovertreter.

Selbstbewusster Auftritt: Die neue Lambretta G-Special 350 verkörpert in edlem Mattweiß mit oranger Sitzbank eine gelungene Interpretation der historischen Vorlage.

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Test

Es ist ziemlich frostig, als wir die erste in Deutschland eingetroffene Lambretta G-Special 350 durchs Rolltor des Dürener Rollerspezialisten Zweirad Braun ins Freie schieben. Doch das Thermometer mit Temperaturen um den Gefrierpunkt kann uns nicht schrecken, denn wir sind gespannt wie ein Flitzebogen auf die neue Lambi und stellen uns die Frage, die auch die gesamte Klassikroller-Community umtreibt: Erwächst hier der übermächtigen Vespa GTS endlich ein ernst zu nehmender Gegner?

Ihre viel beachtete Premiere feierte die große G bereits vorletztes Jahr auf der Mailänder EICMA, doch erst jetzt kommt sie tatsächlich auf den europäischen Markt. Zu der Verzögerung dürfte nicht zuletzt die Insolvenz des ehemaligen Importeurs KSR beigetragen haben, jetzt kümmert sich das belgische Unternehmen Moteo um den Vertrieb im deutsch-

Hochmoderne Neoklassik-Ingredienzien: Der in Abblendund Fernlicht horizontal geteilte sechseckige Frontscheinwerfer leuchtet genau so in langlebiger LED-Technik wie die vorderen und hinteren Blinker und das vollflächige Rücklicht mit dem markanten Schriftzug. Dem prima integrierten Voll-TFT-Display lassen sich fernbedient verschiedene Anzeigen entlocken.

sprachigen Raum. Und verspricht eine Auslieferung der aktuellen Lambrettas rechtzeitig zum Frühjahr.

Auf den ersten Blick macht die G-Special 350 einen gelungenen Eindruck, zumindest verkörpert die Lambretta ihren eigenen, von der Historie determinierten Stil: Die GSpecial 350 kommt mit lang gestreckter Silhouette in einer deutlich kantigeren Formensprache als das andere italienische Kultmodell, mit flachem, langem Heck und vor allem dem Fix Fender, also der feststehenden vorderen Radabde-

ckung, die schon die historischen Lambretta-Modelle aus der Vielzahl damaliger Rollermodelle heraus hob. Als wäre das noch nicht deutlich genug, finden sich überall Hinweise an die legendäre Geschichte der Marke: Unter der Lampe sitzt ein Prägesignet, auf dem Handschuhfachdeckel eine Plakette und auf dem Mitteltunnel eine Gummimatte mit dem geprägten Lambretta-LöwenLogo. Die wenig ausladenden, eng anliegenden Verkleidungsteile geben der Wiedergängerin einen deutlich sportlichen Touch, die schlanke Taille vermittelt zusammen mit der geraden Sitzbankkontur trotz 790 Millimeter Polsterhöhe einen sehr sicheren Bodenkontakt im Stand –angesichts der schlüpfrigen Umstände eine willkommene vertrauensbildende Maßnahme.

Womit wir bei den ergonomischen Verhältnissen wären: Für die Stiefel steht rechts und links des leicht er-

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Der eigene Weg: Unter der Helmfachschale beschert moderne Vierventiltechnologie die höchste Motorleistung im Klassikrevier, über eine übliche Variomatik mit Riemenantrieb ans Hinterrad transferiert. Das Vorderrad führen gleich zwei Kurzschwingen mit einstellbarer Federvorspannung (gg. d. UZS).

höhten Mitteltunnels ausreichend Platz auf den Trittflächen zur Verfügung, der große Abstand zum Sitz schafft bequeme Kniewinkel. Dass die füßelnde Bewegungsfreiheit nach vorn durch den Vorbau begrenzt ist, stört auf der ersten exklusiven Testfahrt nur wenig. Der relativ weit vorn und hoch platzierte Lenker erlaubt mittelgroßen Fahrern eine aufrechte Oberkörperhaltung samt guter Kontrolle über die angenehm breite Lenkstange. Daneben stehend fällt indes das Rangieren schwer, was auch an den gerade mal acht Einfahrkilometern und den wenig geschmeidigen Wetterbedingungen liegen mag. Zum Aufbocken auf den Hauptständer findet sich der benötigte Anpack unterm Sitzbankheck, dann gelingt das vergleichsweise mühelos.

Gestartet wird die Lambretta wie bei Rollern seit Jahrzehnten gewohnt durch Drehen des Zündschlüssels mit anschließendem Druck aufs

große rote Anlasserknöpfchen am rechten Lenker, das als Wippe zugleich als Notausschalter fungiert. Unmittelbar brabbelt’s angenehm dumpf aus dem rechtsseitig verlegten langen Schalldämpfer, der mit seinem ungewöhnlichen viereckigen Querschnitt die Eigenständigkeit des Entwurfs untermauert. Etwas Besonderes ist auch der flüssigkeitsgekühlte Vierventiler, der mit einem Hubraum von 330 Kubik die lange Jahre wie festgenagelt erscheinende Obergrenze von 278 Kubik bei den Klassikrollern deutlich über-

trifft. Mit einem sehr kurzhubig ausgelegten Hub-Bohrungs-Verhältnis von 62,5 zu 82 Millimetern erzielt der Einspritzmotor eine Höchstleistung von 25,8 PS und ein maximales Drehmoment von 25,3 Newtonmeter, was bei wärmerer Umgebung und frostfreien Straßen in einer Vmax von 128 km/h münden soll – zum Vergleich: bei der Vespas GTS 300 ist bei 120 km/h Schluss.

Trotz der eisigen Bedingungen spricht der Motor spontan und ruckfrei auf Gasanforderungen an, von einer ausgeprägten Kaltlaufphase ist nichts zu spüren. Mit dem sanften Ansprechverhalten ist eine gleichmäßige, lochfreie, jedoch keineswegs quirlige Kraftentwicklung verknüpft. Die Lambretta legt wenig spektakulär, aber nachdrücklich an Tempo zu, dabei sorgen ein gesundes Maß an akustischen wie haptisch spürbaren Lebensäußerungen für die Emotionalität beim Fahren.

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Auf der Schnellstraße zeigt der digitale Tacho bald dreistellige Regionen an, doch nicht nur der auskühlende Fahrtwind, der den Fingern die Feinfühligkeit nimmt, auch die Witterungsverhältnisse lassen uns den Check des Höchstgeschwindigkeitsversprechens auf später bei geeigneteren Bedingungen vertagen. Das gilt analog für die Messung des Durchschnittsverbrauchs, den die Homologationsingenieure auf dem Prüfstand mit 3,7 Litern auf 100 Kilometer ermittelt haben – mit einer 9,5-l-Tankfüllung kommt der Lambretta-Fahrer also theoretisch 257 Kilometer weit.

Neben dem Aggregat zeigt auch das Fahrwerk besondere Eigenheiten, zuvorderst natürlich die augenfällige Vorderradaufhängung mit gleich zwei gezogenen Kurzschwingen – ebenfalls eine Reminiszenz an die zwischen-

zeitlich glorreiche Vergangenheit. Die sehr technisch anmutende Konstruktion bietet außerdem die Möglichkeit, die Vorspannung der Federbeine mit einem Hakenschlüssel an die Zuladung anzupassen.

Hinten sorgt ein auf der Auspuffseite verschraubter Dreiecksarm für einen besonders stabilen Counterpart zur Triebsatzschwinge auf der gegenüberliegenden Seite. Beide Radaufhängungen drücken dem Fahrverhalten ihren un-

Eckig abgemischt: Falten zieren die Verkleidung, auch die Lenkerarmaturen wiederholen das Blockschema. Wegen der Verjüngung nach unten ist der Blinkerschalter etwas klein geraten. Das Bug-Handschuhfach, vom Multifunktionsschloss geöffnet, beherbergt eine USB-Ladebuchse (i. UZS).

missverständlichen Stempel auf: Ungeachtet der sehr wendigen PirelliZwölfzöller vorn wie hinten ist das Fahren der G-Special von einer außerordentlichen Stabilität geprägt. Dabei biegt die Lambretta nicht wirklich unhandlich ums Eck, auch gibt es trotz des unfreundlichen Thermometers und der wenigen zurückgelegten Kilometer wenig auszusetzen am Ansprechverhalten der aufwändigen Federelemente. Doch 170 Kilo und ein langer Radstand fördern einen unbeirrbaren Geradeauslauf zusätzlich, was angesichts der hohen Endgeschwindigkeit ja auch durchaus wünschenswert ist.

Von dieser Unbeirrtheit sollte auch die Verzögerungsleistung profitieren. Allerdings gehen die beiden Schwimmsattelzangen im Vorderund Hinterrad ziemlich zaghaft zu

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Techno Classica:

Der viereckige Schalldämpfer rundet die technisch anmutende Seitenansicht der G-Special optisch ab.

Das Trittbrett bietet den Stiefeln ausreichend Platz, unter die Sitzbank passt immerhin ein ausgewachsener Jethelm samt Kleinigkeiten.

Werke, selbst auf dem kalten Asphalt braucht es schon eine kräftig zupackende Hand, um das ABS zum Eingriff zu bewegen – das mag sich nach längerer Einfahrzeit noch ändern. Ein kleines Highlight ist das vollflächige, prima in die Lenkerverkleidung eingebettete TFT-Display. Dieses zeigt am oberen Rand farbig unterlegt die Drehzahl an, im Zentrum steht die Geschwindigkeit, darunter befinden sich die vom rechten Lenker per Mode-Taste wechsel-

baren Anzeigen. Dem rollertypischen Alltagsgedanken huldigen die beiden Gepäckabteile im Bug und unterm Sitz, die je eine USB-Buchse des modernen C-Standards beherbergen.

Weil auch genaues Hinsehen weder unschöne Spaltmaße noch nachlässige Verschraubungen oder versteckte Lackmängel offenbaren, darf die erste Praxis-Premiere der neuen Lambretta G-Special 350 als vollauf gelungen gelten. Bleibt einzig die Frage: Wann wird’s endlich wieder Frühling? TK

TECHNISCHE DATEN

MOTOR

Bauart: Einzylinder, Viertakt

Gassteuerung: vier Ventile, ohc

Gemischaufbereitung: Einspritzung, ø k.A.

Hubraum: 330 cm3

Bohrung x Hub: 82,0 x 62,5 mm

Verdichtung: 10,1 : 1

Kühlung: Flüssigkeit

Leistung: 25,8 PS (19 kW) bei 7.500/min

Max. Drehmoment: 25,3 Nm bei 6.750/min

Batterie: 12V / 8 Ah

Lichtmaschine: 420 W

Kraftübertragung: stufenlos variables

CVT-Automatikgetriebe, Fliehkraft-Trockenkupplung, Riemen-Sekundärantrieb

FAHRWERK

Rahmenbauart: Stahl-Monocoque mit verschweißten Versteifungen

Federung vorn: gezogene Zweiarm-Kurzschwinge mit zwei Federbeinen, Federvorspannung einstellbar

Federung hinten: Triebsatzschwinge mit zwei Federbeinen, Federvorspannung einstellbar Federweg v/h: k.A.

Bremse vorn: eine Scheibe, ø 240 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, ABS

Bremse hinten: eine Scheibe, ø 240 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, ABS

Bereifung vorn/hinten: 120/70-12 / 130/70-12, Pirelli Angel Scoot

Felge v/h: 3.00 x 12 / 3.50 x 12

Räder: Mehrspeichen-Leichtmetallguss

ABMESSUNGEN

Länge/Höhe/Breite: 1.956 / 1.129 / 770 mm

Radstand: 1.400 mm

Sitzhöhe: 790 mm

Tankinhalt: 9,5 1

Leergewicht: 173 kg

Zuladung: 170 kg

Farben: Weiß-Orange, Rot,-Rot Schwarz-Orange

AUSSTATTUNG

Haupt- und Seitenständer, Warnblinkanlage, LED-Beleuchtung rundum, Multifunktionsschloss für Zündung, Lenkschloss und Handschuhfach mit USB-C-Buchse, zusätzliche Sitzbankschloss-Fernentriegelung, USB-C-Buchse unter der Sitzbank, fernumschaltbares TFT-Display, ausklappbare Soziusrasten, herausnehmbare Helmfachschale

MESSWERTE (Werksangaben)

Höchstgeschwindigkeit: 128 km/h

Verbrauch: 3,7 l/100 km

CO2-Wert: 86 g/km

Theoretische Reichweite: 257 km

Standgeräusch: 89 dB(A)

SERVICE

Wartungsintervalle: zum Zeitpunkt des Tests noch nicht bekannt

Garantie: zwei Jahre

LISTENPREIS 6.719 Euro zzgl. NK

MINUS PLUS + –

• souveränes Fahrwerk

• bullige Motorcharakteristik

• moderne Ausstattung

• gute Verarbeitungsqualität

• relativ hohes Gewicht

• knappes Sitzbankfach

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