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MEINHARD VON GERKAN wird 1935 im lettischen Riga geboren, verlebt seine Kindheit in Posen und wird als Vollwaise nach 1945 (Vater fällt im Krieg, Mutter stirbt auf der Flucht) bei Pflegeeltern in Hamburg aufgenommen. Nach dem Architekturstudium an der TU Braunschweig gründet er 1965 zusammen mit Volkwin Marg die Architektensozietät gmp – von Gerkan, Marg und Partner. Das erste große Prestigeprojekt war der Flughafen Berlin-Tegel. Es folgen zahlreiche Leuchtturmprojekte der Mobilität: Flughäfen, u. a. in Moskau und Hamburg, sowie der neue Berliner Hauptbahnhof. In China baut er zurzeit neben der Millionenmetropole Lingang noch Opernhäuser, Shoppingmalls und Kirchen sowie das neue Nationalmuseum in Peking. Meinhard von Gerkan (73) ist zum zweiten Mal verheiratet und hat aus beiden Ehen sechs Kinder.
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MEINHARD VON GERKAN wird 1935 im lettischen Riga geboren, verlebt seine Kindheit in Posen und wird als Vollwaise nach 1945 (Vater fällt im Krieg, Mutter stirbt auf der Flucht) bei Pflegeeltern in Hamburg aufgenommen. Nach dem Architekturstudium an der TU Braunschweig gründet er 1965 zusammen mit Volkwin Marg die Architektensozietät gmp – von Gerkan, Mang und Partner. Das erste große Prestigeprojekt war der Flughafen Berlin-Tegel. Es folgen zahlreiche Leuchtturmprojekte der Mobilität: Flughäfen u. a. in Moskau und Hamburg sowie der neue Berliner Hauptbahnhof. In China baut er zurzeit neben der Millionenmetropole Lingang noch Opernhäuser, Shoppingmalls und Kirchen sowie das neue Nationalmuseum in Peking. Meinhard von Gerkan (73) ist zum zweiten Mal verheiratet und hat aus beiden Ehen sechs Kinder.
Meinhard von Gerkan vor der S kizze von Lingang New City: „Die tragende Identität der Stadt ist Wasser.“
Der Hamburger Stararchitekt Meinhard von Gerkan erfindet vor den Toren Shanghais eine Millionenstadt vom Reißbrett. Sein Erfolgskonzept: mutige Ideen
SIMCITY 2020 Von Wolfgang Timpe und Gerald Dunkel (Fotos)
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»In einer künstlichen Stadt ist die Mitte der wertvollste Bauplatz. Da haben wir einen riesigen See erschaffen.«
Architektensozietät gmp, von Gerkan, Mang und Partner: „Ausnahmesituationen erfordern eigene neue Ideen.“
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o etwas gab es noch nie. Alle Bedingungen sind jungfräulich. Das Land ist flach wie ein Brett, eingedeicht, dem Meer abgewonnen; keine Vegetation, nur jede Menge Wasser. Lingang ist eine autarke Neuschöpfung. Die tragende Identität der Stadt ist Wasser.“ Der Architekt Meinhard von Gerkan und sein Hamburger Büro gmp (von Gerkan, Mang und Partner) bauen zurzeit vor den Toren Shanghais eine Hafenstadt für 800.000 Menschen – aus dem Nichts. Für von Gerkan die Stunde null. Der Stararchitekt, der für Deutschland jüngst den Berliner Hauptbahnhof erfunden hat und für China in Peking gerade das neue Nationalmuseum baut, erschafft Shanghais neue Hafenstadt Lingang New City aus einer Hand. Es ist ein Dreiklang: von der ersten urbanen Vorbildidee der mythischen Stadt Alexandria über die zweite Konzeptsäule einer europäischen wasserorientierten Großstadt wie Hamburg mit ganz eigenständigen, lebendigen Quartieren bis hin zum ausgeklügelten Verkehrsund Mobilitätskonzept. Fühlt sich von Gerkan wie ein moderner Ludwig II., als absolutistischer Bauherr? „Definitiv nein“, sagt der 73-Jährige mit klarem hanseatischen Understatement und lacht erfrischend, „aber ich freue mich über die Kumulation der Aufgaben zum Karriereende.“ Tja, was für eine Untertreibung. Was für eine Einzigartigkeit, eine Hafengroßstadt vom Reißbrett zu erfinden, wie das virtuelle Computerspiel SimCity – nur im realen Leben. Meinhard von Gerkan ist dank Auftrag von Shanghais Stadtoberen ein Baumeister am Chinesischen Meer. Und wie gewinnt man anno 2003 den Wettbewerb gegen 45 andere überall in der Welt erfolgreiche Architekten und Planungsbüros? „Wir haben von Anfang an das Gegenteil von dem gemacht, was die Chinesen bis dahin gut fanden“, erinnert sich der Großgewachsene mit langen Silberlocken schmunzelnd. In China war bis dahin häufig ein westlicher, amerikanischer Baustil mit vordergründig chinesischen, dekorativen Elementen kombiniert worden. „Wir haben keine Hochhäuser mit verspiegelten Glasfassaden und einer Cocktailkirsche obendrauf geplant“, so von Gerkan mit Blick auf Pagodendächer oder andere chinoise Applikationen. „Wir haben diese Frisörarchitektur entrümpelt und, wie es unser Stil bei gmp ist, auf seine Sinnfälligkeit und Funktionalität reduziert, haben eine fast minimalistische Architektur für Lingang geplant.“ Urbanes Wohnen in Quartieren mit Häusern aus natürlichen Materialien wie zum Beispiel Backstein. Das kam an. Es wird keinen Durchgangsverkehr geben. Die zweite zentrale Idee des Von-Gerkan-Konzepts war für chinesische Investoren und Stadtplaner sehr erklärungsbedürftig. Denn da, wo sich üblicherweise die renditeträchtigsten Filetstücke befinden, im baulich verdichteten Zentrum, plante der Revoluzzer einfach den riesigen Lake Dishui – mit einem beeindruckenden Durchmesser von 2,5 Kilometern und einer acht Kilometer langen Uferpromenade. „In einer künstlichen Stadt ist die Mitte der wertvollste Bauplatz. Da haben wir einen See erschaffen“, befindet er knapp. Und die von Verwaltungsregeln und Einspruchsklagen gebeutelte europäische Architektenseele stellte
GO MyWay fest, „dass die Chinesen offen für Neues sind, dass sie zuhören können und sehr sehr schnell im Umsetzen sind“, so von Gerkan. Ihn hat „enorm überrascht“, mit „welcher Dynamik und Radikalität Chinesen ihre Ziele verfolgen können“. Klar, er hatte auch das Glück, „dass man nur in Ausnahmesituationen auf Bauherren triftt, die mitgehen mit den eigenen neuen Ideen“. Hat er denn zu keiner Zeit auch mal Angst vor solch einer Herkules-Aufgabe empfunden? „Keine Angst, aber Zweifel, dass bestimmte Vorgaben und Annahmen in der Umsetzung scheitern oder von manchen mutwillig behindert werden. Das kam mal vor, aber bislang ist die Bilanz überragend positiv.“ Und clever ist er auch, hat der Cityschöpfer doch den Investoren eine Sahne-1A-Lage mit der acht Kilometer langen Uferpromenade zum Vermarkten beschert. Ohne Mammon geht nix. „eine stadt ist ein prozess, kein zustand.“ Zum Markenzeichen der Baukunst von Gerkans gehört auch, dass das Büro gmp nicht nur aus ästhetischen Motiven reduziert baut, sondern immer auch auf die Nachhaltigkeit der Konstruktionen, die Verwendung natürlicher Materialien und die Berücksichtigung ökologischer Aspekte achtet. Dies gilt besonders für das Verkehrskonzept von Lingang. Für von Gerkan bestand die Herausforderung darin, mit den drei großen Ringstraßen den fließendenVerkehr aus den Wohngebieten
Meinhard von Gerkan vor seinem Haus an der Hamburger Elbchaussee: „Ich bin von der Dynamik und Radikalität überrascht.“
herauszuhalten. Diese liegen zentral im inneren Ring um den Lake Dishui herum und schließen zur Uferpromenade hin ohne Durchgangsverkehr ab. „Denken Sie an Paris oder London. Die größte Umweltsünde ist stehender Verkehr, der Dauerstau. Das Klima wird am wenigsten belastet, wenn der Verkehr fließt.“ Grüne Mobilität. Und mit dem 500 Meter tiefen Grüngürtel rund um die Wohngebiete mit einzelnen Stadtteilblocks von bis zu 13.000 Einwohnern (!) setzt Lingang neben dem zentralen See existenziell auf Freizeit und Erholung. Die Stadt der Zukunft muss atmen können. Doch wie vertragen sich Umwelt und Mobilität für einen Stadterbauer überhaupt? „Wir müssen das ja noch wachsende Bedürfnis nach Mobilität, die Lust auf Fortbewegung und die Freude, dass sich Menschen rund um den Erdball begegnen wollen mit dem Schutz der Ressourcen auf unserer Erde in
von Gerkan ARCHITEKTUR Christus-Pavillon Volkenroda Reduziert und klar: Meinhard von Gerkan entwirft den Christus-Pavillon der EKD für die EXPO 2000 in Hannover. Nach der Weltausstellung wird der Pavillon im Kloster Volkenroda wieder aufgebaut.
chinesisches nationalmuseum Peking germanischer lloyd hamburg Christus-Pavillon Volkenroda Berliner HauptBahnhof Flughafen Moskau Commerzbank-Arena Frankfurt am Main Hamburger Flughafen Innendesign des Zuges Metropolitan olympia-stadion berlin 94 go sixt porträt
Hauptbahnhof Berlin Sachlich und funktional: Mit dem Berliner Hauptbahnhof kommt Meinhard von Gerkan als Architekt in die Schlagzeilen. Als der Bauherr, die Deutsche Bahn AG, seinen Entwurf aus Kostengründen verstümmelt, klagt der selbstbewusste Erfinder gegen das Unternehmen.
GO MyWay eine vernünftige Balance bringen.“ Und wie hält’s der Bahnhofsarchitekt selbst mit dem Automobil? „Beim Thema Sportwagen gehöre ich auch zu den Übeltätern“, lächelt von Gerkan vielsagend. Der Architekt der Mobilität baut in Lingang jedenfalls keine autogerechte, sondern eine menschenorientierte Stadt. Wer weiß, was 2020, wenn Lingang New City fertig sein und Meinhard von Gerkan 85 Jahre jung sein wird, für neue Ideen geboren sind, die heute noch niemand kennt. Für den Stadterfinder kein Problem. „Ein Haus ist irgendwann fertig, eine Stadt nie. Sie ist ein Prozess, kein Zustand.“
lingang New city
Die Liste der bei gmp in Bau befindlichen Projekte 2008 zieren 49 Aufträge von der Shoppingmall Anting in China bis zum Verwaltungsgebäude des Germanischen Lloyd in Hamburg. Und die Liste der in Planung befindlichen Projekte 2008 reicht von dem Bau des Siemens Hauptsitzes in Shanghai bis zum vietnamesischen Nationalparlament in Hanoi. Gehört der 73-jährige Workaholic zu den unternehmerischen Persönlichkeiten, die einfach nicht loslassen können. „Absolut ja. Für mich ist es ein Alptraum, nicht mehr arbeiten zu dürfen oder zu können. In einem Großunternehmen wäre ich schon vor 13 Jahren ausgemustert worden.“ Nur das nicht. Eine seltsame Vorstellung: Es gäbe keinen Hauptbahnhof Berlin, keinen Christus-Pavillon in Volkenroda, keine neue Millionenmetropole Lingang New City in China. Und die Familie toleriert den Full-time-Arbeiter? „Inzwischen ja, weil sie bei Freunden sehen, was es anrichtet, wenn die Männer plötzlich Zuhause sind“, amüsiert er sich königlich. Der Architekt Meinhard von Gerkan zeichnet und entwirft noch. Und das ist gut so.
foto: PR
„es ist ein alptraum, nicht mehr zu arbeiten.“
Vor den Toren Shanghais baut Meinhard von Gerkan eine neue Stadt vom Reissbrett für bis zu 800.000 Menschen: Lingang New City. Für den Hamburger Architekten ist es eine „radikale Neuschöpfung“: keine Erhebung, keine Vegetation, nur eingedeichtes Land mit Wasser. Das Zentrum der Stadt bildet ein großer See mit 2,5 Kilometern Durchmesser und einer acht Kilometer langen Uferpromenade. Die Futurecity ist ringförmig mit vielen Wasserläufen und einem 500 Meter tiefen Grüngürtel um den See herum gebaut. Der fließende Verkehr wird durch drei große Ringstraßen gesteuert. Im Wohn- und Freizeitbereich zum See hin wird es keinen Durchgangsverkehr geben. Allein bis 2010 sind Investitionen von 15 Milliarden Dollar geplant. 2020 soll Lingang New City fertig sein.
»Wir haben keine SpiegelglasHochhäuser mit Cocktailkirsche drauf geplant, sondern fast schon minimalistische Architektur«
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