Empowerment der Frauen in Nord Albanien

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EMPOWERMENT DER FRAUEN IN NORD ALBANIEN OPERATION DAYWORK 2014 / 15


EDITION NOTICE

Texte Alessandra Volani, OD Campaign manager Evelyn Zelger, OD Koordinatorin Shaana Näckler, OD Ausschusspräsidentin Sophie Polig, OD Ausschussmitglied David Presente, OD Freiwilliger Damiano Censi, OD Freiwilliger und Centro Pace di Cesena Anastasia Macini, OD Freiwillige und Centro Pace di Cesena Lia Maggioli, OD Freiwillige und Centro Pace di Cesena Die Mitarbeiterinnen des Vereines GEA in Bozen Martina Pieri, Verein RTM Cover Franziska Gabl Grafisches Konzept und Layout Florian Dariz, OD Freiwilliger Fotos Christian Mantinger, OD Freiwilliger Operation Daywork Druck Südtiroldruck Tscherms Herausgeber Operation Daywork – Dezember 2014 www. operationdaywork. org info@operationdaywork. org Danke! An die Bewohner von Shkodër und Pukë und die Mitglieder von Hapa të Lehte und RTM fürs Begleiten Ein spezieller Dank geht an die Mitarbeiterinnen des Vereins GEA für die fachspezifischen Artikel (violence, consequences, help) Die Artikel geben ausschliesslich die Meinung der Autoren wieder und basieren auf genannten Quellen. AUTONOME PROVINZ BOZEN SÜDTIROL

PROVINCIA AUTONOMA DI BOLZANO ALTO ADIGE

Mit freundlicher Unterstützung vom deutschen, ladinischen und italienischen Schulamt sowie vom Amt für Kabinettsangelegenheiten

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PREFACE

Liebe Leserinnen, Liebe Leser, OD – Operation Daywork ist ein gemeinnütziger Verein, bei dem die Entscheidungsmacht bei den Jugendlichen liegt. Er ermöglicht uns, uns kritisch und innovativ mit dem Thema der Entwicklungszusammenarbeit auseinanderzusetzen und somit einen Sinn für soziale, ökologische und ökonomische Verantwortung zu entwickeln. Unsere Grundidee ist: Suche dir für einen Tag einen Arbeitsplatz, dafür wirst du von der Schule befreit! Du unterstützt uns bei unserem Entwicklungszusammenarbeits- Projekt und hast zudem noch einen Einblick in die Berufswelt erhalten! Der Startschuss ins heurige Jahr war RiseUp vol. 2, eine Party die wir Jugendlichen aus dem Ausschuss organisiert haben. Unser Ziel heuer ist es, mehr mit Jugendzentren zusammenzuarbeiten, um nicht nur in den Schulen mit euch in Kontakt zu sein. Ein großes Anliegen ist uns auch dieses Jahr wieder euch, das heurige Projekt näher zu bringen. Das Projekt „WAVES – Women against violence in Shkodër region“ setzt sich für das Empowerment der Frauen im Projektland ein. „Ich habe dieses Projekt gewählt, weil man es gut mit Südtirol verbinden kann.“ Hanna Brugger „Ich habe dieses Projekt gewählt, weil Frauen durch dieses Projekt lernen können, sich zu wehren.“ Sandra Mirto „Mir hat dieses Projekt besonders zugesagt, weil es überall auf der Welt ein aktuelles Thema ist“ Matthäus Nössing Bis bald, eure Sophie

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INDEX

INDEX AlbaniA   Shqipëria   Impressions   History   Neighbours   Kanun    Pukë & Shkodër   Waves    Local Partner

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5 - 15   6 - 7   8 - 9   10 - 11  12  13   14 - 17  18  19


INDEX

Innenhof in Shkodër

Violence    Storytelling: Albania   Violence    Storytelling: A Man’s Story    Storytelling: South Tyrol   Migration    Storytelling: Italy   Consequences   Help

20 - 29  20   21 - 22  23  24  25   26 - 27  28  29

change   Change    Mass media    Sex - Gender   Nonviolence    Operation Daywork    Operation Daywork International    The Language of Art

30 - 38   30 - 31   32 - 33  34  35  36  37  38

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SHQIPËRIA

ALBANIEN ] Albanien (albanisch Shqipëria) ist ein südost-europäischer Staat und gehört somit zum Balkan. Albanien grenzt im Norden an Montenegro, im Nordosten an den Kosovo, im Osten an Makedonien und im Süden an Griechenland. Seit 1998 hat Albanien eine demokratische Verfassung nach westeuropäischem Muster. Auch der Minderheitenschutz ist in der Verfassung festgelegt. In Albanien hat jeder das Recht seine Sprache zu sprechen, seine Religion auszuüben und seinen kulturellen Gepflogenheiten nachzugehen.

Bevölkerung Ethnisch gesehen ist die albanische Bevölkerung ziemlich homogen. Die Albaner bilden mit 82,6 % die Mehrheit der Bevölkerung. Die größte Minderheit bilden die Griechen mit knapp 1 %. Neben den Albanern und Griechen gibt es zudem Mazedonier, Montenegriner, Aromunen, Roma und „Balkan-Ägypter“ im Land. Gegen und Tosken Die Albaner teilen sich in zwei große Gruppen: Gegen und Tosken. Diese zwei Gruppen unterscheiden sich nicht nur sprachlich sondern auch auf kultureller Ebene. Die Tosken leben in den südlichen Gegenden Albaniens. Ihre Kultur wurde sehr vom orientalisch-städtischen Leben des Osmanischen Reiches beeinflusst und ihre Mentalität wird als weltoffen und wendig beschrieben. Zudem wird die Sprache der Tosken als Standartsprache angesehen. In Nord-Albanien wurde von den Gegen bis ins 20. Jahrhundert eine streng archaische, also sehr traditionelle Stammeskultur ausgeübt. Eine Ausnahme bildete stets die nördliche Stadt Shkodër, welche lange Zeit venezianisch beherrscht war. Der Katholizismus und die Verbindung nach Italien prägten zunehmend die Mentalität der Bewohner. Roma und Balkan-Ägypter Die Volksgruppe der Roma lebt im ganzen Land verstreut, die meisten von ihnen leben in größter Armut am Rand der größeren Städte. Die Muttersprache dieser Minderheit ist Romani, diese Sprache wird ausschließlich von den Roma gesprochen. Wie vielerorts ist die Volksgruppe auch in Albanien kaum in die Gesellschaft integriert. Nicht zu verwechseln mit den Roma sind die Balkan-Ägypter. Dem Mythos zu Folge kam diese Minderheit zu Zeiten von Alexander dem Großen „vom Nil“ in die balkanischen Länder und sind nicht direkt mit den Roma verwandt. Der Großteil der „Egjiptian“ sprechen Albanisch, was allerdings nicht bedeutet, dass diese Minderheit in die Gesellschaft integriert ist. Auch sie leben meist in schlechten sozialen Verhältnissen in Vierteln außerhalb der Stadt. Religion Albanien gilt seit 1988 als „laizistischer Staat“, d. h. es gibt eine strenge Trennung zwischen Kirche und Staat. Etwas mehr als die Hälfte der albanischen Bevölkerung ist muslimisch, ca. 20 % sind Christen, der Rest bekennt sich zu anderen Glaubensgemeinschaften oder ist atheistisch. In der Regel sind Albaner keineswegs streng religiös, die Toleranz anderen Religionen gegenüber ist also sehr hoch. Hochzeiten zwischen Christen und Muslime stehen an der Tagesordnung und religiöse Feste werden des Öfteren gemeinsam gefeiert.

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BOSNIEN & HERZEGOVINA

KROATIEN

Im Detail Amtssprache: Albanisch Hauptstadt: Tirana Fläche: 28. 748km2 (verglichen mit Italien: 301. 338km2) Einwohnerzahl: etwas mehr als 3 Millionen (2013) (verglichen mit Italien: ca. 58 Millionen Einwohner) Unabhängigkeit: 28. November 1912 (vom Osmanischen Reich) Währung: Albanischer Lek

ITALIEN


SHQIPËRIA

SERBIEN

MONTENEGRO

KOSOVO

• SHKODëR • PUKë

• PESHKOPI MAZEDONIEN

b TIRANë

• KORCë • VLORë

• GJIROKASTëR

Gesellschaft Sieht man genauer hin erkennt man, dass das Gewohnheitsrecht, der Kanun, auch heute noch das Leben der Albaner prägt, vor allem im Bergland des Nordens. Für viele hat das gegebene Ehrenwort („Besa“) einen sehr hohen Stellenwert. Oft werden Geschäfte nur mündlich erledig, aber auch Abmachungen welche die Blutrache betreffen, z. B. das Verzeihen, werden mit einem Ehrenwort besiegelt. Der Moralbegriff der persönlichen Ehre geht auch auf den Kanun zurück. Wird die persönliche Ehre eines traditionellen Mannes oder einer archaischen Familie verletzt, kann dies nur schwer wieder verziehen werden. Geht man durch eine nord-albanische Stadt, bemerkt man, dass viele Frauen sehr attraktiv gekleidet sind, doch der Schein trügt. Gegen Abend trifft man kaum mehr Frauen an, vor allem nicht in einer Bar. Noch extremer fällt dies in den Dörfern auf. Die untergeordnete Stellung der Frau und die übergeordnete Stellung der Kirche und ihrer Vertreter sind auch Faktoren die aus diesem Gewohnheitsrecht hervorgehen und die Gesellschaft stark prägen. In den südlicheren Teilen des Landes hat sich die Lage in den letzten Jahren schon stark gebessert. Die Liebe zur Familie ist ein Merkmal eines jeden Albaners und einer jeden Albanerin. Alte Menschen werden sehr geliebt und respektiert und bleiben bis zum Tod bei einem der Kinder. Umgekehrt bleiben Töchter und Söhne bis zur Heirat im Elternhaus. Da gibt es auch keinen großen Unterschied zwischen Nord und Süd. Ein Zusammenleben von Mann und Frau ohne Hochzeit ist extrem selten. Zudem werden in den Dörfern die Ehen nicht selten arrangiert. Im modernen Albanien finden sich die Paare aus Liebe, jedoch ist das Einverständnis der Eltern auch dann noch sehr wichtig. Zu unterstreichen ist auch die Gastfreundlichkeit und Solidarität der Albaner. Gäste werden herzlichst in den privaten Räumen aufgenommen und in Krisenzeiten wird sich gegenseitig stets geholfen.   G

Exkurs Hochzeiten Die Hochzeit selbst wird sehr pompös gefeiert. 200 Gäste sind nichts Seltenes, auch in ärmlichen Familien. Meistens beginnen die Feiern bereits eine Woche vor dem Hochzeitsdatum. Jeden Abend wird, gewöhnlich im Haus der Familie des Bräutigams getanzt, gesungen und ausgiebig gefeiert. Die Nacht vor der Hochzeit ist der Braut gewidmet, dies gilt als Abschied aus ihrer Familie. Auf dem Weg vom Elternhaus bis hin zur Trauung ist es Tradition, dass die Braut lautstark weint um zu unterstreichen, wie schwer ihr der Auszug aus dem Elternhaus fällt. Im Sommer kann man solche Hochzeiten fast täglich beobachten.

GRIECHENLAND

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IMPRESSIONS

Ali – Albaner

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Pyramide zu Ehren von Hoxha, Tirana


IMPRESSIONS

Umgebung bei Pukë

Äypterin mit Kind

Drei Roma-Jungen

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HISTORY

GESCHICHTE ALBANIENS Frühzeit bis Neuzeit

1500 – 1910 Unter der Osmanischen Herrschaft

indogermanisches Volk, das Gebiet des heutigen Alba-

erlebten die Albaner mehrere Kriege und Aufstände.

niens. Die Illyrischen Stämme standen unter ständigem

Mitte des 19. Jahrhunderts formierten sich die ersten

Einfluss der Griechen.

Unabhängigkeitsbewegungen.

Um 450 – 350 v. Chr. entstanden die ersten

1910 Die Türken gerieten in ernsthafte Bedrängnis.

Städte, es entwickelte sich eine städtische Kultur und

Zwei Jahre später wurde die Unabhängigkeit ausge-

ein städtisches Leben. 230 v. Chr. kam es zu den ersten

rufen und 1913 von den europäischen Großmächten

römisch-illyrischen Kriegen.

anerkannt.

164 / 165 v. Chr. Der letzte Illyrische König Gentius

1914 Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Alba-

wird in der Burg der Rozafa bei Shkodër von den Rö-

nien jedoch wieder von Österreich-Ungarn belagert.

mern besiegt. Albanien wurde eine Römische Siedlung

1916 von Italien.

20. Jahrhundert

Ab ca. 1000 v. Chr. besiedelten die Illyrer, ein

und von nun an „Illyricum“ genannt. 1920 Die Souveränität wurde erneut vom Völkerbund 395 wurde das Römische Reich in West-Rom und Ost-

anerkannt und Italien musste die Truppen abziehen.

Rom geteilt. Albanien kam zum Oströmischen Reich.

Tirana wurde zur Hauptstadt.

395 – 1444 In diesen Jahrhunderten erlebte das

1925 Ahmed Bei Zogu rief, nach seiner Machtergrei-

Gebiet des heutigen Albaniens viele verschiedene Ein-

fung 1922, die Republik aus. 1928 ernannte er sich

flüsse: um 600 drangen slawische Stämme ins Land ein,

selbst zum König Zogu I, somit war Albanien eine Mon-

im 9. Jahrhundert die Bulgaren. Darauf erlebte das Land

archie. Unter der Herrschaft von Zogu I orientierte sich

im 11. Jahrhundert die Normannen, im 12. Jahrhundert

Albanien zu dem faschistischen Italien. Das Land wurde

wurde es Teil vom Königreich Sizilien. Im 13. Jahrhun-

für Italien zum Brückenkopf im Balkan. Die Italiener

dert wurde der Norden venezianisch, der Süden blieb

kontrollierten Großteils die Finanzen und das Militär.

byzantinisch. Um 1400 bildeten sich mehrere kleine Fürstentümer. 1939 – 1944 Die italienischen Truppen besetzten schließlich Albanien und erklärten das Land zum 1444 Dem heutigen Nationalhelden Fürst Gjergji

Protektorat, König Zogu I floh ins Ausland. Während

Castriota, genannt Skanderbeg, gelang es erstmals,

der italienischen Herrschaft wurden Teile von Kosovo

die Albaner zu vereinen. Die kleinen Fürstentümer

und Griechenland, in welchen Albaner lebten, an das

schlossen sich zusammen, um gegen die Bedrohung des

Reich angeschlossen. 1943 kapitulierte Italien und

Osmanischen Reichs anzukämpfen.

Deutschland übernahm kurzzeitig die Herrschaft. Nach dem Abzug der Deutschen 1944 übernahm die 1941 geründete kommunistische Partei die Macht.

1468 Nach dem Tod Skanderbegs wurde das Land, bis auf einige kleine Häfen, von den Osmanen erobert. 1944 Der Anführer der kommunistischen Partei Enver

Mittelmeerstaaten. Der Großteil der Albanischen

Hoxha ( gesprochen Hodscha ) gründete mit Hilfe vom

Bevölkerung blieb jedoch im Land und passte sich der

jugoslawischen Führer Tito eine Volksfrontregierung.

osmanischen Besatzung an. Zu dieser Zeit konvertierten

Er schaltete die Opposition aus und erklärte sich selbst

zwei Drittel der Albaner zum Islam. Dadurch hatten

zum Ministerpräsidenten und übernahm alle wichtigen

sie bedeutende Vorteile: geringere Steuern, mehr

Funktionen im Staat. Als Grenzen wurden jene von 1912

Zuspruch auf Besitz, keine Verfolgung.

übernommen, Albanien verlor somit die Gebiete im Kosovo und Griechenland.

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Unter dem Regime

In den Folgejahren emigrierten viele Albaner in andere


HISTORY

1991 – 1997 Bei den ersten freien Wahlen gewann die

brochen und der Stalin-Kult nimmt Einzug.

Demokratische Partei, Berisha kam an die Macht. Es kam zu radikalen Reformen und ein freies Wirtschafts-

… bis heute

1948 Alle Beziehungen zu Jugoslawien werden abge-

system wurde eingeführt. Dies führte anfangs, auf 1955 Beitritt bei UNO und Warschauer Pakt.

Grund der schlechten Wirtschaftslage, zu einem kompletten Zusammenbruch der lokalen Wirtschaft. Tausende Albaner flohen aus dem Land, vor allem nach

1957 Die erste Universität wird in Tirana eröffnet. Man

Italien und Griechenland. In den Folgejahren beruhigte

will dadurch völlige Unabhängigkeit gegenüber den

sich die Lage im Land. Die Bevölkerung wandte sich

umliegenden Staaten schaffen.

den täglichen Problemen zu, Arbeitsfindung war immer noch schwierig. Vor allem im Süden siedelten sich Investmentbanken an. In der Hoffnung, ihr kleines

1961 alle Beziehungen zur UdSSR werden, wegen der

Vermögen schnell zu vervielfachen begannen die

unterschiedlichen Auslegung des Stalin-Kults, beendet

Albaner Geld anzulegen. Zudem blühten Geschäfte mit

und Beziehungen zu China werden aufgenommen.

dubiosen Investoren. Die Weltbank warnte, doch wurde nicht ernst genommen.

1967 Hoxha erklärte Albanien zum „ersten atheistischen Staat.“ Jegliche Religionsausübung wurde

1997 Die zwei größten Investmentfirmen brachen

verboten. Religiose Stätten wurden zerstört oder für

Anfang des Jahres zusammen, weitere folgten

weltliche Zwecke verwendet, in Shkodër wurde die

bald. Die angelegten Gelder gingen verloren und

Kathedrale z. B. als Sporthalle genutzt. Es gibt Schät-

die Bevölkerung stand wieder vor dem Nichts. Die

zungen, wonach Hoxha 700. 000 Albaner aufgrund von

Regierung wurde beschuldigt an den Machenschaften

Religionsausübung inhaftieren oder hinrichten ließ.

der Investmentbanken beteiligt gewesen zu sein und musste zurücktreten. Albanien litt unter Anarchie und Chaos und wieder versuchten tausende Albaner den

1968 Albanien trat, aus Protest gegen den Einmarsch

bürgerkriegsähnlichen Zuständen zu entfliehen. Bei den

russischer Truppen in die Tschechoslowakei, aus dem

Neuwahlen im Juli ging die Sozialistische Partei unter

Warschauer Pakt aus.

Fatos Nano als Sieger hervor.

1976 Albanien erhält einen neuen Staatsnamen: Sozia-

1998 – 2013 Albanien ist mit Abstand das ärmste und

listische Volksrepublik Albanien.

am wenigsten entwickelte Land Europas. Neben den internen Problemen wurde der Staat auch von außen bedroht und rief NATO-Truppen zur Hilfe. Bei den Wahlen

1978 Es kommt zum Bruch mit China. Nun war Albanien

2001 gewannen erneut die Sozialisten, langsam erholte

völlig isoliert. Dies hatte gravierende Folgen, die

sich das Land. Unruhen waren jedoch immer präsent.

Wirtschaftslage war am Boden, die Bevölkerung lebte in

Auch der politische Wechsel zwischen Demokraten und

völliger Abschottung, das Denunziantentum blühte.

Sozialisten unterstützte die instabile Lage.

1985 Hoxha starb und unter seinem Nachfolger Ramiz

2009 schloss sich Albanien der NATO an und reichte

kam es zu einer langsamen Öffnung des Landes.

einen Beitrittsantrag in der EU ein.

in Albanien. 1000 Studenten gingen in Tirana auf die Straßen und demonstrierten gegen das Regime.

Umschwung …

1989 und 1990 Es kam zum politischen Umbruch

2013 Bei den letzten Parlamentswahlen 2013 gewannen die Sozialisten und Edi Rama wurde zum Regierungschef ernannt.

Daraufhin leitete Ramiz erste demokratische Reformen ein, privatisierte Teile der Landwirtschaft, hob das Religionsverbot auf und ließ die Bildung von Parteien zu.

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NEIGHBOURS

ITALIEN N ALBANIEN: HAFEN AN HAFEN ] Wir befinden uns in Shkodër, in der antiken Hauptstadt Albaniens. Sie befindet sich im Nord-Osten des Landes und ist auch bekannt als „die Wiege der albanischen Kultur“ oder auch als „Florenz des Balkans.“ Diese letztere Bezeichnung ist nur ein Beispiel von vielen für die Beziehung zwischen Italien und Albanien, ein Verhältnis welches seit Jahrhunderten besteht. Wir sind Nachbarn, uns trennt nur die Straße von Otranto, dieser Kanal ist nur 72 km breit und stellt den östlichsten Punkt der italienischen Halbinsel dar. Auf der Fähre, die zwischen Ancona und Durazzo verkehrt, hört man die Leute viele Geschichten erzählen. Es wird vom Krieg geredet und auch wie wichtig der Handel von Hafen zu Hafen für die Wirtschaft der beiden Länder ist. Es wird auch davon geredet, wie sich die beiden Länder gegenseitig in der Lebensweise und der Kleidung beeinflusst haben. Martina, eine Regisseurin aus Bari erklärt uns, dass auch viel über die Gründe, die einen dazu bringen in das eine oder andere Land auszuwandern, diskutiert wird. Martina wird in wenigen Tagen mit ihrem Kurzfilm, der auf einer solchen Fähre gedreht wurde am „International Human Rights Film Festival Albania“ in Tirana teilnehmen. Die Migration von Italienern und Albanern ist oft nur vorübergehend, wie z. B. wenn die jungen Städter die Neugier packt und sie das Nachbarland besser kennenlernen möchten. Manchmal wird aus diesem zeitweiligen Umzug dann aber doch ein dauerhafter, wie im Fall der Arbereshe. Sie werden als „Albaner in Italien“ bezeichnet und sie kommen aus Albanien und albanischen Gebieten Griechenlands. Sie siedelten sich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in Italien an, weil der albanische Nationalheld Skanderberg ermordet wurde. Eine steinerne Nachbildung von ihm, kann man heute noch auf dem Stadtplatz von Tirana, der Hauptstadt Albaniens, bewundern. Da die Gemeinschaft der Arbershe die Besetzung der Türken und Byzantiner nicht miterlebt hat, sind sie bis heute die Hüter der ur-

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sprünglichen albanische Sprache und der Wurzeln ihrer Tradition. „Wenn wir die wahre albanische Sprache lernen wollen“, so sagt Saimir, ein Kenner der Sprache und mit albanischer Herkunft, „ so müssen wir Zeit mit der Gemeinschaft der Arbeshe verbringen.“ Am Anfang der 90er-Jahre emigrierten sehr viele der Albaner, um einer schrecklichen Diktatur zu entkommen, die ihnen nicht erlaubte, ihr Land zu verlassen, sondern nur, sich die Welt außerhalb der Grenzen vorzustellen. Heute jedoch wandern die Menschen vor allem aus Gründen wie Studium, Arbeit und zur Wiedervereinigung der Familie aus. Und in der Tat sprechen uns die meisten unserer albanischen Ansprechpartner auf ihre Familienangehörigen, die jetzt in Pisa, Rom oder Mailand leben, an. Die meisten von ihnen waren auch schon mindestens einmal in Italien und denken auch darüber nach, noch einmal dorthin zurückkehren. Allerdings reisen auch die Italiener in der heutigen Zeit immer mehr nach Albanien. Es gibt junge Menschen die nach Arbeit suchen oder ihren Hochschulabschluss machen, vor allem im Gebiet der Medizin. Viele gehen dafür ins „Paese delle aquile“ oder an die Universität von Tirana um dort zu lernen und zu leben. Zu ihnen gehört auch Alex, ein 25 jähriger aus dem Veneto, den wir am Flughafen in Tirana getroffen haben, um mit ihm ein ehrliches Gespräch bei einem gemütlichen Kaffee zu führen. In den letzten Jahren wird es immer mehr zum Trend, dass pensionierte Italiener nach Albanien auswandern, um dort von ihren Ersparnissen zu leben. Sie passen sich gut an den Rhythmus des Balkans an, der der italienischen Gemütlichkeit ja doch sehr ähnelt. Wir sehen, dass das Kommen und Gehen von Hafen zu Hafen sehr dynamisch ist. Italiener und Albaner sind schon seit jeher in Beziehung miteinander, länger als wir es glauben. Das kommt uns vielleicht etwas komisch vor, aber es ist auch gleichzeitig schön, sich auf der einen oder anderen Seite des Meeres zu treffen.   G


KANUN

KANUN „Kein von Menschen bewohnter Ort hat bei mir einen Eindruck von solch majestätischer Isolation hinterlassen, es ist ein Ort wo die Jahrhunderte zu verschwinden scheinen, der Fluss ist vielleicht die Quelle der Welt, seine Ufer die Heimat von grundlegender, schneller und glühender Hingabe.“

lichkeit der Blutrache, das sich seit Jahrhunderten auf die Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ bezieht, sondern der Kanun sieht auch die Möglichkeit der Versöhnung ohne Blutvergießen vor: „Die Schande rächt man nicht durch Ausgleich, sondern durch Blutvergießen oder großzügige Vergebung“ Zitat aus dem Artikel 598. Das Verzeihen wird mit Hilfe eines „Mediators des Friedens“ („bajraktarë“ oder Freunde beiderseits) vollzogen, anschließend ] Edith Durham, englische Schriftstellerin, welche in den Anfängen des letzten Jahrhunderts Albanien besuchte, schrieb diese sind die beiden Familien durch einen unzerbrechlichen Bund Worte in ihr Notizbuch, während sie die Gipfel von Dugagin beverbunden. „Der Kanun der albanischen Berge unterscheidet trachtete. Auf diesem Boden ganz im Norden des Dorfes der Adler nicht zwischen verschiedenen Personen. Alle sind gleich (Wesen lebte im 15. Jahrhundert Lekë Dukagjini, der die Bräuche und für Wesen) vor Gott.“ Derartige Worte und die Position der Frau in ungeschriebenen Gesetze seines Volkes in einem Text namens „Ka- der Gemeinschaft regeln, passen nicht zusammen, sie beißen sich nun“ (vom griechischen „canon“, d. h. Ordnung oder Einschränregelrecht. Die Frau kommt laut dem Text als Besitz des Vaters zur kung) sammelte. Die Berge, die heute den Namen des antiken Welt und wird mit der Hochzeit symbolisch an ihren Ehemann Gesetzgebers tragen, waren immer schon eine natürliche Barriere „vermacht“, durch die Abgabe einer Patrone wird daran erinnert, gegen Eroberer: Weder Römer, noch Osmanen konnten das Volk dass der Ehemann im Falle von Ungehorsam oder einer Flucht das je unterwerfen, so war es durch seine Unfähigkeit, Veränderungen Recht hat, seine Frau zu töten. Die Frau hat kein Erbrecht, darf keine Waffen tragen, hat keine Stimme (sie darf weder wählen, noch von außen anzunehmen, wie ein Volk unter zentraler Macht. In ihre Meinung in Versammlungen äußern), sie darf das Haus nicht der Kälte des Winters und der Isolation mussten die Täler Kraft ohne Begleitung oder ausdrückliche Erlaubnis verlassen. Die Rolzum Überleben suchen, diese fanden sie in sich selbst, in ihrer gemeinsamen Identität, die sie als Albaner definierte, in Regeln und lenverteilung ist äußerst starr: die Ehefrau, Schwester oder Mutter Traditionen, welche jemanden seinen Weg zeigen können, nicht muss sich um Haus, Garten und Vieh genauso wie um die Kinder nur zum eigenen Nutzen, sondern auch um der Gemeinschaft kümmern, der Mann übernimmt jeglichen Kontakt zur Außenwelt nicht zu schaden. Durch diese Lebensbedürfnisse entstanden die und die öffentlichen Angeleinheiten. Für den Mann wird die Jagd, im Kanun gesammelten Normen. Wenn wir eine solch eigentümder Krieg und die Arbeit außer Haus vorgesehen. Im Gegenzug, liche Erfahrung einordnen müssten, könnten wir sie als die erste behaupten die Alten, erhielt die Frau Sicherheit und Schutz albanische Verfassung sehen. Man könnte sie auch als Gefährt der und die Kontrolle über die Vorgänge im Haus. Die Jahrhunderte Kultur und Tradition und gleichzeitig Instrument um Existenz und vergingen und das Osmanische Reich zersplitterte und überließ Integrität zu verewigen, definieren. Seine fundamentalen Regeln das Feld zunächst dem albanischen Reich und dann der Sozialistischen Volksrepublik Albaniens. Unter der langen Diktatur von wurden von Generation zu Generation überliefert, wenn Zweifel oder Uneinigkeiten zu seiner Interpretation aufkamen, wurden sie Enver Hoxha wurde jede Form von lokaler Selbstreglementierung, welche der absoluten Vorherrschaft aus Tirana entgegenwirken vom „bajraktarë“ (eine Art Rat der Ältesten des Tales) gelöst, war die Angelegenheit äußerst schwierig, wendete man sich an die „ku- könnte, stark unterdrückt. Nach dem Tod des Diktators wurde vend“ (eine Versammlung der Familienoberhäupter). klar, dass der Kanun diese Zeit nur schwer überlebt hat. Der In seinen 1263 Artikeln werden alle Aspekte des sozialen Lebens Kanun, der die extremsten Veränderungen der modernen Welt geregelt, von Geburt und Hochzeit über Besitz bis hin zur Religion, überlebte, wird heute zitiert, um die Mädchen zu unterdrücken, wenn jemand stiehlt, wenn jemand Grenzen verschiebt, wenn welche die Zukunft Albaniens und damit seine in schlechter Erinnerung gebliebenen Normen repräsentieren. Er wird zur Rechtferjemand die „Besa“ (Ehrenwort) hintergeht wenn jemand die Ehre tigung von Massenmorden ohne Ende, welche nicht einmal mehr verletzt, den Fis (Clan oder Stamm) hintergeht oder die Gastfreundschaft missbraucht. Das Kanun ist das Fundament, auf das vor Frauen und Kindern halt machen, missbraucht. Es scheint, als sich die Gemeinschaft stützt, die Strafen sind hart: Ausschluss aus ob man vergessen hat, was Lekë Dukagjini auch sagte: „Fehler sind dem sozialen Leben, öffentliche Demütigung und das Anzünden menschlich, Vergebung ist heilig.“  G des Hauses sind nur Beispiele. Die Hinrichtung des Schuldigen hingegen wird nur als letzter, extremer Ausweg verwendet, da die Elimination eines Mitgliedes keinen Nutzen für das Volk hat. Vielsagend ist die Reglementierung in Fällen von „gjakmarrja“ (wortwörtlich gjak=Griff , marrja=Blut, Blutrache): Wenn das Mitglied einer Familie ein Mitglied einer anderen tötet, hat die Familie des Opfers das Recht sich zu rächen, um die verlorene Ehre wieder zu erlangen. Kinder, Alte und Frauen dürfen jedoch nicht verletzt werden (genauso wenig wie sie Rache begehen dürfen), die Männer dürfen nur getötet werden wenn sie sich nicht ihrem Haus aufhalten und der verursachte Schaden muss der erlittenen Zeichnung eines Freiwilligen von Operazione Colomba, einer Vereinigung, die sich für die Wiederzusammenführung von verfeindeten Familien in Albanien einsetzt. Verletzung angemessen sein. Im Kanun gibt es nicht nur die Mög-

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PUKË

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PUKË

PUKË

] Der Bezirk Pukë befindet sich in der Region Shkodër im Norden Albaniens und setzt sich aus kleinen Dörfern zusammen, welche in 10 Gemeinden eingeteilt werden. In der Region leben 24. 300 Menschen, ca. 6000 davon in Pukë. Wenn durch dieses Gebiet nicht eine Durchfahrt geführt hätte, über die Menschen nach Kosovo reisen, wäre das Gebiet wohl komplett isoliert geblieben. Die Berge sind eine natürliche Grenze und trennen Pukë von anderen Regionen ab. Vor allem im Winter ist es sehr schwierig, andere Gebiete zu erreichen, da zu den schlechten Straßenbedingungen die schlechte Witterung dazu kommt. Die einzigen Kommunikationswege zwischen den Dörfern sind meist einfache Wege, die nur zu Fuß oder mit dem Pferd zu beschreiten sind. Dadurch wurde die Bevölkerung daran gehindert, ihre Heimat zu verlassen, und Lebensweisen sowie Traditionen konnten sich über Jahrhunderte festigen. Noch heute leben viele Familien von Viehzucht und Landwirtschaft. Trotz vieler Ressourcen gibt es hohe Armut und Arbeitslosigkeit, was viele junge Menschen dazu drängt, in die Städte auszuwandern. Diese Auswanderer, welche meist in den Außenbezirken leben, haben oft Probleme sich anzupassen. Sie werden von den Einheimischen "maloks", ungebildete Bergbewohner genannt. Auswirkungen der Auswanderung merkt man auch in Fushë Arrez, dem ehemaligen Zentrum für Holz- und Kupferarbeit und heute nur mehr eine Geisterstadt. Auswanderer sind meistens Männer, aber auch Frauen. Manchmal werde Frauen von Händlern belogen und entführt, um im Ausland zur Prostitution gezwungen zu werden. Der antike Code des Kanun ist heute noch sehr einflussreich, auch wenn er nicht in all seinen Bereichen berücksichtigt wird. Eheschließungen sind meist von den Eltern vereinbart.   G

Blick auf Pukë

Evelina ist 17 Jahre alt und besucht die 3. Klasse der Oberschule in Pukë ) Du sprichst sehr gut Italienisch, wo hast du das gelernt? Evelina: Durch das Fernsehen. Mit meinen Freundinnen rede ich oft auch auf Italienisch, wenn wir nicht wollen, dass unsere Eltern verstehen, über was wir reden. ) Hast du Brüder die mit dir leben? Evelina: Nein, wir sind drei Schwestern und unser Bruder ist in Italien um dort zu arbeiten. ) Interessieren sich deine Eltern für deine Meinung? Evelina: Ja und nein. Sie hören mir zu, aber geben mir nicht immer Recht. Manchmal würde ich gerne mit meinen Freundinnen ausgehen. Darüber haben wir oft diskutiert, meine Eltern finden auch, dass es nicht richtig ist, dass Mädchen daheim bleiben müssen. Aber sie sagen auch, dass es für mich nicht möglich ist auszugehen, da so die anderen Bewohner schlecht über uns denken würden, und dass es zu meinem Besten ist wenn ich daheim bleibe. ) Wer entscheidet bei euch zuhause, deine Mutter oder dein Vater? Evelina: Meine Eltern sind, anders als viele andere, modern eingestellt, da sie die meisten Entscheidungen gemeinsam treffen. ) Behandeln dich deine Mitschüler gleichberechtigt? Evelina: Sicher sind viele Junge offener als Erwachsene, aber nicht immer. Meine Klassenkameraden z. B. finden, dass es in Ordnung sei, dass ein Junge mehrere Freundinnen haben darf bevor er heiratet, Mädchen aber nicht. Das Interview stammt aus dem Buch:

Albania. Le donne di Puke. Un’ottica di genere.

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SHKODËR

S verlassenes Haus

Shkodër von oben

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SHKODËR

SHKODËR ] Der Duft von tausenden in Bars gemachten Espressos, die Räder die ihren eigenen Verkehrsordnungen folgend die Gegend rauf und runter rasen, die Roma-Kinder mit ihren nackten Füßen, die ihre typischen Instrumente spielen, das Mädchen mit ihren glitzernden Stöckelschuhen und manchmal im fluoreszierenden Minirock, die Alte mit zwei Zöpfen im traditionellen Gewand: Das ist Shkodër. Ein Foto der größten Stadt Nordalbaniens, ein Foto von Gegensätzen, Schönheit und Komplexität. Die Stadt liegt am namensgleichen See, den Albanien sich mit dem anliegenden Montenegro teilt. Zusammengekauert zwischen den Alpen im Norden und der Ebene Zadrima (die sich durch die Klein- und Hauptstadt Lezhe zieht) ist Shkodër der Hauptsitz der gleichnamigen Provinz, hat ca 100. 000 Einwohner und ist von den Flüssen Buna und Drini durchzogen. Die Entstehung der Stadt ist nicht ganz klar, manche Wissenschaftler datieren ihre Gründung während der Epoche der Römer, andere noch früher während der Epoche der Illyrer (ein griechisch-mediteranes, heute eher unbekanntes Volk) zwischen dem sechsten und fünften Jh. v. Chr. . Um die zweite Hypothese zu bestätigen, findet man am Eingang der Stadt das Schloss von Rozafa, eine Festung, die tatsächlich bis in die Epoche der Illyrer zurückreicht, von wo aus die gesamte Stadt regiert wird. Die Legende erzählt, dass drei Brüder dazu beauftragt waren, die Mauern der Festung zu konstruieren, doch über Nacht stürzte die Arbeit, die untertags vollbracht wurde, zusammen. Ein alter Weiser sagte, dass die Mauer ein Opfer bräuche um tragfähig zu werden, und zwar eine der Frauen der drei Brüder. Also beschlossen die Brüder am nächsten Tag jene Frau zu opfern, die ihnen das Mittagessen bringt. Es traf Rozafa, die jüngste Frau von ihnen und Mutter eines Kindes. Die Dame ließ sich lebendig einmauern, doch verlangte sie, dass eine Brust und ein Arm frei blieben, sodass sie ihren Sohn nähren und wiegen könne. Die Stadt Shkodër wird als die Wiege der albanischen Kultur angesehen:

literarische Persönlichkeiten lebten hier, z. B. Gjergj Fishta lebte zwischen 800 und 900 n. Chr. , er gehörte dem Franziskanerorden an und war einer der besten Poeten des Gebietes der Adler, oder der Fotograf Pietro Marubi, ein Italiener der nach Albanien zog und 1856 sein eigenes Atelier in Shkodër öffnete. Nicht aus Zufall ist Shkodër auch Sitz der Universität Luigj Gurakuqi und des Theaters Migjeni. In Nordalbanien ist die überwiegende Religion die Christlich-katholische, trotzdem ist die Stadt von bunten Moscheen, die nach dem Untergang des Kommunismus wiederoder neu aufgebaut wurden, übersät. Eine der bekanntesten ist die Moschee aus Blei. Sie wurde 1773 errichtet und zeichnet sich durch ihre Architektur im osmanischen Stil aus. In Albanien gibt es fast nur Moscheen des arabischen Stils, deshalb, und wegen ihrer mit Blei beschichteten Kupeln, die ihr ihren Namen verleihen hat, ist sie so besonders. Shkodër hat zudem eine christlich-katholische und eine christlich-orthodoxe Kathedrale. Die Eigentümlichkeit Albaniens, im Gegenzug zum Balkan, ist ein friedliches Zusammenleben und eine Normalität, die zwischen drei verschiedenen Religionen gelebt wird. Im Laufe der Jahre ist die Stadt Shkodër dank den Familien, die für mehr wirtschaftliche Möglichkeiten und Arbeitsplätze von den Bergen herabstiegen, an Bevölkerung gewachsen. Das historische Viertel von Mark’Lule z. B. wächst genau so stark, wie die angrenzenden Berge an Bevölkerung schrumpfen. Am Eingang der Stadt kann man zwei Viertel gut unterscheiden: Liria, welches von Ägyptern bewohnt ist, die vor Jahrhunderten von Jahren Shkodër besiedelten und heute mehr als Shkodërni (Bürger von Shkodër) definiert werden als die Shkodërni selbst; und an der anderen Seite des Sees das Viertel der Roma, die eine lange und zahlreiche Präsenz in Albanien und dem ganzen Balkan zeigen. Reich an Geschichte und Potenzial betreibt Shkodër einen ausgereiften Handel mit der Hauptstadt Tirana, und den Nachbarn Montenegro und Kosovo.   G

Minarett in Shkodër

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WOMEN ACTION AGAINST VIOLENCE W FOR EQUALITY IN SHKODËR REGION PROJEKT WAVES

WAVES

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Ziele Das Projekt will dem Phänomen der häuslichen Gewalt entgegentreten indem es dazu beiträgt, die Kette von Dienstleistungen des entsprechenden Gebiets für die Opfer von häuslicher Gewalt zu verbessern. Im spezifischen will es die Dienste für Prävention und Unterstützung für Frauen und Mädchen stärken, indem es mit den lokalen Obrigkeiten und bekannten öffentlichen Diensten zusammenarbeitet. Ca. 8. 000 Frauen, Mädchen und Kinder profitieren von diesem Projekt, sie leben in Puka, einem agrarischen Gebiet im Norden Albaniens in dem Armut und häusliche Gewalt zur Tagesordnung gehören. TÄTIGKEITEN Drei Bereiche sind vorgesehen, um einzugreifen: PRÄVENTION GEGEN HÄUSLICHE GEWALT durch die Ausbildung in Schulen und für Amtspersonen (Ärzte, Polizei, Gerichtspersonal, Gemeindebeamte), genauso wie durch die Bildung eines lokalen „Koordinationstisches“ zur häuslichen Gewalt. UNTERSTÜTZUNG FÜR GEWALTOPFER durch die Öffnung und Abwicklung eines , die Realisierung einer Sensibilisierungskampagne im Gebiet sowie die Bildung von Selbsthilfegruppen zur Unterstützung, die ausschließlich aus Frauen bestehen. WIEDEREINGLIEDERUNG DER OPFER die die Einrichtung einer Reihe autonomer Unterkünfte vorsieht und Arbeitsmöglichkeiten schaffen will. Zudem kommt ein start-up von Micro-Projekten zur sozialen Eingliederung der Opfer von häuslicher Gewalt und der Besuch der Partnereinrichtungen in Italien sowie der zugehörigen Körperschaften in Albanien zum Austausch von effektiven Praktiken. … Wie wird der Beitrag von OD, der am Aktionstag gesammelt wird, genutzt? Um die Tätigkeit des 1. Bereichs zu unterstützen (v. a. für die Sensibilisierung in den Schulen) und um den Arbeiterinnen des Frauenschalters unter die Arme zu greifen.


LOCAL PARTNER

HAPA Të LEHTE stärkung der Frau in sanften Schritten Seit ihren Anfängen versucht die Vereinigung Hapa të Lehte (zu Deutsch: sanfte Schritte) sich für die Frauen in Shkodër einzusetzen. Zu Beginn wurden Untersuchungen zu den wahren Bedürfnissen der Frauen dieser Stadt durchgeführt, zudem wurden Charakteristiken zu den verschiedenen Vierteln, die sich seit dem Sturz des kommunistischen Regimes stark verändert haben, aufgestellt. Die Recherchen ergaben, dass häusliche Gewalt, genauso wie fehlende Dienstleistungen, für Frauen und Familien sowie die gesundheitliche Versorgung ein großes Problem darstellen. Auch im Zentrum der Stadt ist häusliche Gewalt trotz des relativ hohen Lebensstandards der „Shkodër bene“ und dem Anschein einer größeren Emanzipation noch immer präsent. Doch wie soll man dem Tabu der häuslichen Gewalt entgegentreten? Wie soll man mit Frauen und Kindern die aus ihrer Misslage entkommen wollen in Beziehung treten, ohne dass sie anschließend verurteilt oder beschuldigt werden, um Hilfe gebeten zu haben? Indem das Zentrum ganz neutral „Frauenzentrum“ genannt wird und zunächst verschiedenste Dienste für Frauen anbietet, fällt es nicht negativ auf und ermöglicht den Frauen damit Kontakt zum Zentrum aufzunehmen, ohne sofort als Opfer erkannt zu werden. Alketa, die Direktorin, ist überzeugt davon, dass die ersten hilfsbedürftigen Frauen nur auf diesem Weg zum Zentrum gelangen konnten. Danach haben Mundwerbung und informelle Beziehungen den Rest erledigt. Eine andere wichtige Entscheidung der Mitarbeiter von „sanfte Schritte“ betrifft die Kontaktaufnahme zu den Frauen von abgelegeneren Vierteln: Die Öffnung von drei Mehrzweckzentren in den Vierteln Mark Lulaj, Liria und Rom, die von Frauen dieser Zonen der Stadt geleitet werden. Eine der Leiterinnen, welche das Zentrum in Mark Lulaj betreibt, beschreibt die Ergeb-

nisse der Tätigkeiten folgendermaßen: „In der Gruppe der Frauen, die an verschiedenen Treffen teilnehmen, hat sich Freundschaft gebildet. Wir sehen uns nicht nur für die Arbeit, sondern auch um einen Kaffee zu trinken oder die Familien zu besuchen wenn jemand heiratet, gebärt oder stirbt. Wir fühlen uns gut als Gruppe. Die Frauen kommen her und können erzählen was bei ihnen zu Hause nicht in Ordnung ist, sie können ihre Probleme des Lebens loswerden, weil jemand hier ist, der zuhört.“ Wenn eine Frau um Hilfe bittet, werden alle Mitarbeiter von Hapa të Lehte aktiv, die Frau wird psychologisch, sozial, medizinisch und rechtlich unterstützt. Immer erfolgreich zu sein ist nicht einfach, vor allem in den Fällen, in denen es notwendig ist, eine Unterkunft zum Schutz für Frau und Kinder zu finden. Das Haus ist ausschließlich im Besitz der Familie des Mannes, wenn die Frau sich trennen will, muss sie ausziehen. Im Norden Albaniens gibt es nur wenige Frauen die es sich leisten können alleine zu leben, dazu kommt der schlechte Ruf einer geschiedenen Frau, welcher ihr ein unabhängiges Leben noch weiter erschwert. Wenn es keine Unterstützung von Seiten der Ursprungsfamilie gibt, ist die Frau oft dazu gezwungen, sich damit zurechtzufinden im selben Haus des Mannes, jedoch in einem anderen Zimmer zu schlafen. In diesen Fällen ist es unmöglich, die Frau durch gesetzliche Maßnahmen vor Gewalt zu schützen. Die Langwierigkeit der Bürokratie und die Tatsache, dass Polizei und Gerichte nicht auf solche Fälle vorbereitet sind, erschweren den Prozess der Emanzipation der Frau zusätzlich. In den letzten Jahren kommt es immer häufiger vor, dass Institutionen bei bestimmten Fällen das Frauenzentrum kontaktieren. Arlinda, die Psychologin von Hapa të Lehte, äußert sich dazu folgendermaßen: „Das Frauenzentrum hatte starke Schwierigkeiten, ihre Glaubwürdigkeit bei Institutionen zu erhalten. Heute ernten wir die Früchte.“ Antragstellende Vereinigung RTM – Freiwillige der Erde ist eine nichtstaatliche Organisation mit Sitz in Reggio Emilia. Seit 1973 fördert sie Projekte zur internationalen Kooperation und Solidarität in verschiedenen Gebieten der Welt, um die Menschenrechte und soziales und wirtschaftliches Wachstum zu stärken. In Kosovo hat sie ein Projekt zur Stärkung der Frau und die Öffnung von Zentren gegen Gewalt verwaltet. Nun hat sie den Kampf von WAVES in Albanien in Angriff genommen.   G

Gasse vor dem Frauenzentrum

Frauen von Hapa të Lehte

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STORYTELLING: ALBANIA

„ICH HATTE MIR DIESEN   MANN AUSGESUCHT, JETZT MUSSTE ICH   AUCH MIT IHM LEBEN.“ Dies ist die wahre Geschichte einer Albanischen Frau. „Um der Gewalt und meiner Lebenssituation zu entfliehen wollte ich mein Leben beenden. Der Versuch ist gescheitert. Jedoch führte dies dazu, dass ich mein Leben überdachte und den Entschluss fasste, etwas zu ändern. Ich schnappte mir die Kinder und floh nach Tirana. Im Fernsehen habe ich gesehen, dass es in Tirana ein Frauenhaus gibt. Als ich in der Hauptstadt ankam, sagte mir ein Polizist, dass es auch in Shkodër Hilfe gibt, “Hapa të Lehte. „ Also nahm ich zusammen mit meinen Kindern den nächstbesten Furgon zurück nach Shkodër. Ich meldete mich bei “Hapa të Lehte“ und traf mich im Zentrum mit Ieta. Ich sah schrecklich aus.   Dreckig, voller Narben, blaue Flecken. Meinen Kindern ging es gut. Mir wurde eine Therapie angeboten, die ich dankend annahm. Eine Zeit lang war ich in Betreuung, dann kehrte ich zu meinem Mann zurück. Ich stellte jedoch zwei Bedingungen: Er lässt das Trinken, ich darf arbeiten. Beide Wünsche wurden mir erfüllt. Es folgte die schönste Zeit meines Lebens. Wir liebten und unterstützen uns. Leider hielt diese Zeit nicht lange an. Er begann wieder zu Trinken. Meine Bitten, wieder trocken zu werden beachtete er nicht. Er schlug wieder zu. Türrahmen, Stöcke, Stangen, Fäuste, alles.   Ein weiterer Schicksalsschlag traf mich: Auf dem Weg zur Arbeit wurde ich von einem Auto überfahren. Oberschenkelbruch, Verlust eines großen Teils meiner Leber, im Krankenhaus gefangen. Meine Eltern kamen mich besuchen und ich erzählte ihnen von meinem Mann. Sie akzeptieren meine erneuten Fluchtgedanken nicht. Ich hatte mir diesen Mann gesucht,

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also musste ich jetzt auch mit ihm Leben. Verzweiflung machte sich breit. Natürlich verunsicherte mich dieser Faktor noch mehr und ich wusste überhaupt nichtmehr was tun. Wieder zu Hause ging der Terror weiter. Ich hielt es nicht mehr aus. Mein Mann tötete mich innerlich. Flucht. Ohne Kinder. „Hapa të Lehte“ nahm mich wieder auf. Schutz, Scheidung, die Richterin sprach mir das Sorgerecht zu. Langsam aber sicher erholte ich mich wieder. Ich hatte eine eigene kleine Wohnung, ging meiner Arbeit nach und meine Kinder besuchten die Schule. Mir ging es gut.   Eines Nachmittags ging ich mit meiner Freundin und ihrem Cousin auf einen Kaffee. Mein Ex-Mann sah uns und wurde eifersüchtig. Er dachte, der Cousin sei mein neuer Freund. Auf dem Heimweg überfiel er mich und bedrohte mich mit einem Messer. Er schnitt mich hinterm Ohr. Ich musste ihm versprechen, dass ich alleinstehend bleibe und mich auch nicht für andere Männer interessiere. Tat ich auch nicht. Nach minutenlangem Betteln ließ er mich gehen.   Heute bereiten ich und meine Kinder uns auf die Auswanderung nach Italien vor, dort habe ich eine Tante, die mich unterstützt. Mein Ex-Mann muss mir nur noch seinen Pass schicken, er hat ihn verloren. Ohne seinen Pass und seine Zustimmung darf ich die Kinder nicht mit nach Italien nehmen. Ich hoffe und warte. Ich denke positiv, positives Denken verändert einen Menschen.


VIOLENCE

GEWALT AN FRAUEN… WAS IST DAS?

„Im Sinne dieser Erklärung bedeutet der Ausdruck ‚Gewalt gegen Frauen‘ jede gegen Frauen auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gerichtete Gewalthandlung, durch die Frauen körperlicher, sexueller oder psychologischer Schaden oder Leid zugefügt wird oder zugefügt werden kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung und der willkürlichen Freiheitsberaubung, gleichviel ob im öffentlichen oder im privaten Bereich.“ (Artikel 1 der „Erklärung über Beseitigung der Gewalt an Frauen“, UNO, 1993). ] Gewalt gegen Frauen ist ein Phänomen, das jede Frau, unabhängig von ihrem Alter, ihrer sozialen Schicht, ihrer Religion und ihrer kultureller Zugehörigkeit, betreffen kann. In Europa und in der ganzen Welt ist Gewalt in intimen Beziehungen der Hauptgrund für Invalidität und Tod von Frauen zwischen 16 und 44 Jahren. Laut einer Studie der WHO werden zwischen 40 % und 70 % der Opfer von Frauenmorden durch den eigenen Partner getötet. In Italien erleben oder haben 30 % der Frauen bereist eine Art von Gewalt erlebt. Auch in Südtirol ändern sich die Zahlen keineswegs. Im letzten Jahr haben 217 Frauen im Antigewaltzentrum „GEA“ in Bozen Hilfe gesucht, in der gesamten Provinz waren es 632. In der Provinz Bozen existieren neben dem Antigewaltzentrum und Frauenhaus „GEA“ in Bozen auch die Zentren und Frauenhäuser in Brixen und Meran und zwei Häuser des geschützten Wohnens in Bozen und Bruneck. Diese Strukturen befassen sich hauptsächlich mit häuslicher Gewalt, das heißt mit Gewalt, die innerhalb der eigenen vier Wände, von Personen mit denen man zusammenlebt und denen man vertraut, ausgeübt wird. Dies ist die meist verbreitete Art der Gewalt, die wiederum in verschiedene Arten unterteilt wird. Physische Gewalt Jegliche Form von Aggressivität und Misshandlung, wie Boxen, Schlagen, Schütteln, Schubsen, Verbrühen oder Verbrennen bis hin zum Mord(Versuch) der Frau; zudem das Zerstören des Besitzes, das heißt das Zerstören ihres Mobiliars, der Dokumente, Fotos, Kleider usw. und das Verletzen oder Töten ihres Haustieres. Psychische Gewalt Jegliche Art des Drohens, fehlenden Respekts, der Beleidigung, Demütigung, Beschimpfung, Abwer-

tung, Isolation in der Gesellschaft, des Zwangs der Belästigung, der Kontrolle und des Terrors. Somit alles, was die persönliche Identität der Frau angreift und ihre persönlichen Bedürfnisse einschränkt.

Sexualisierte Gewalt Alle sexuellen Handlungen, die einer Frau innerhalb oder außerhalb einer Beziehung aufgedrängt oder aufgezwungen werden. Sie ist ein Akt der Aggression und des Machtmissbrauchs, nicht das Resultat unkontrollierbarer sexueller Triebe. Einige Beispiele: Kommentare und Veräppelungen auf sexueller Basis, nicht gewollte Berührungen, Aufzwingen von pornografischem Material, Zwingen zum Sex mit anderen oder mehreren Personen, Zwang zur Prostitution, Vergewaltigung, Verursachen von Schwangerschaften ohne das Wissen der Frau, z. B. durch das absichtliche Durchstechen von Kondomen. Ökonomische Gewalt Jegliche indirekte und direkte Kontrolle über die finanziellen Mittel der Frau. Das Einkommen der Frau wird kontrolliert oder eingefordert, sie wird gezwungen arbeiten zu gehen oder es wird ihr verboten, finanzielle Unabhängigkeit wird verhindert, sie wird gezwungen, Dokumente wie z. B. Hypotheken zu unterschreiben, wird gezwungen Schulden auszugleichen oder der Frau werden Schulden hinterlassen, ohne das Wissen der Frau Einkäufe mit ihrem oder dem gemeinsamen Einkommen getätigt usw. Stalking Der Begriff „Stalking“ kommt aus der Jägersprache und bedeutet, sich an die Beute heranzupirschen. Ein Stalker sammelt alle Informationen über sein Opfer, um es jederzeit stellen zu können. Diese Art der Gewalt wird meistens von Angehörigen oder Ex-Partnern ausgeübt, die oft eine krankhafte Angst in sich tragen, die gestalkte Person zu verlieren. Beispiele für Stalking sind Auflauern vor der Wohnung oder dem Arbeitsplatz des Opfers, Zusenden von zahlreichen „Liebesbriefen“, E-Mails, SMS, und Anrufe, Sachbeschädigung und Verleumdung, Hinterlassen von Geschenken oder die Überwachung des Freundes- und Bekann-

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VIOLENCE / LAW

tenkreises. Wenn eine Frau unter häuslicher Gewalt leidet, leidet sie meist unter mehreren der oben genannten Formen der Gewalt, wir haben sie unterschieden, um sie besser erkennbar zu machen. Vor allem die physische, psychische und ökonomische Gewalt gehen oft ineinander über. Dynamiken der gewalt Die Gewalt eines Mannes innerhalb einer Beziehung tritt meist nicht von Anfang an auf und genauso wenig ganz plötzlich, meist äußert sich die Gewalt von Tag zu Tag mehr und gipfelt schließlich in der gewollten uneigeschränkten Macht und Kontrolle des Mannes gegenüber seiner Frau oder Lebensgefährtin. Diese Dynamiken sind eng mit den Geschlechterrollen innerhalb der Familie verbunden, die sich in der Sozialgeschichte entwickelten und heute noch einen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Dieser Einfluss hängt meist von der Gesetzgebung zum Schutz der Freuenrechte in den verschiedenen Ländern der Welt ab. Die Rolle des Familienoberhauptes zusammen mit der Idee der Männlichkeit, sind bis heute erhalten geblieben und wirken als Gegenstück zur Rolle der Frau als Haushalterin, Mutter, Pflegerin, aber auch als „Mittel der Kommerzialisierung.“ Diese Tatsachen haben zur Bildung einer patriarchalischen Familie beigetragen, die heute noch immer in der Phantasie vieler Menschen verankert ist. Es ist eben diese Darstellung der Beziehung zwischen den Geschlechtern, die Anwendung von Gewalt zulässt, sobald ein Mann sich in seiner Rolle oder seinem Status bedroht fühlt und nicht in der Lage ist, seine Emotionen in einem respektvollen und gleichberechtigten Gespräch münden zu lassen. Es ist sehr wichtig, sich bewusst zu sein, dass häusliche Gewalt nicht nur eine gewisse soziale Schicht in unserer Gesellschaft betrifft. Die häusliche Gewalt ist ein generelles Problem welche extrem verbreitet ist in jeder Kultur und Gesellschaftsschicht vorkommt. Die UNO unterstreicht Häusliche Gewalt folgendermaßen: „Es ist die Manifestation der historisch ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, die zu einer Dominanz der Männer, zur Diskriminierung von Frauen durch die Männer und zur Verhinderung ihrer uneingeschränkten Entwicklung geführt haben.“  G

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ITALIENISCHES RECHT: AN WELCHEM PUNKT STEHEN WIR? ] Um die Situation in Italien besser zu verstehen, sollte man sich vor Augen führen, dass: erst seit 1975 die Frau die Scheidung einreichen darf; erst seit 1981 das Gesetz, das vergewaltigte Frauen zur Ehe zwang, abgeschafft worden ist. Dieses sah vor, dass eine Frau ihren Vergewaltiger heiraten musste, um so die Schande, die durch den vorehelichen Geschlechtsverkehr über die Familie gebracht wurde, wiedergutzumachen. Mit der gleichen Abänderung wurde auch das Gesetz außer Kraft gesetzt, das für einen betrogenen Ehemann gemilderte Strafen vorsah, falls er seine Frau und/oder deren Geliebten umbrachte. erst 1996 ein Gesetz erlassen wurde, welche eine Vergewaltigung nicht mehr nur als ein Handeln gegen die Moral, sondern auch als Straftat gegen die geschädigte Person ansah. In letzter Zeit haben sich immer mehr Bewegungen entwickelt, die sich für die Rechte der Frau stark machen. Es sind auch einige internationale Vereinbarungen getroffen worden, die sich als Ziel gesetzt haben, den beigetretenen Staaten bei der Unterstützung zur Gleichberechtigung der Frauen zu helfen. 1979 wurde von den Vereinigten Nationen die Konvention zur Eliminierung aller Formen der Diskriminierung gegen Frauen gegründet. Italien unterschrieb diese Konvention1985. 2011 jedoch hat eine Beauftragte der UNO, Rachida Manjoo, ausdrücklich erklärt, dass Italien noch stark daran arbeiten muss, Frauen zu schützen, vor allem weil sich eine hohe Zahl an Femiziden (Gewalt an Personen weiblichen Geschlechts, mit dem Zweck der Unterdrückung und Auslöschung der Identität, bis hin zur Tötung. ) herausgestellt hat. In Italien wird jeden dritten Tag eine Frau umgebracht, meist von ihrem Partner oder Ex-Partner. 2013 wurden 134 Frauen umgebracht. Frauen habn immer noch nicht den gleichen Zugang zu Arbeitsplätzen oder Ämtern wie Männer. Es fehlt an Maßnahmen, und an Einrichtungen, die hilfesuchende Frauen angemessen unterstützen. 2010 wurde das Stalking-Gesetz verabschiedet, das vorsieht, gegen diese Straftat auch im Hinblick auf die psychologischen und physischen Auswirkungen und Folgen vorzugehen. 2013 entstanden Gesetze gegen Frauenmord. Diese symbolisieren einen Schritt in die richtige Richtung, aber sie sind nicht entscheidend, weder für die Vorbeugung von Gewalt, noch für einen notwendigen kulturellen Wandel. In diesem Sinne erwartet man von Italien, dass die Konventionen von Istanbul zur Eliminierung der Diskriminierung gegen Frauen, die vom europäischen Gremium ausgearbeitet und von der Italienischen Regierung im Mai 2013 unterzeichnet wurden, eingehalten werden. Sie sehen eine Reihe von Schutzmaßnahmen vor, so dass ökonomische und soziale Gleichheit zwischen Männern und Frauen herrscht.   G


STORYTELLING: A MAN’S STORY

„ICH VERSTAND NICHT,   WARUM SIE MICH IMMER PROVOZIERTE.“ Erfundene Geschichte, mit einem Kern Wahrheit. Ich kam nach Hause und sah das dreckige Geschirr im Waschbecken. Der Küchenboden war auch mit Babybrei vollgekleckert. Meine Freundin schlief schon. Ich öffnete den Kühlschrank nahm mir ein Bier und wollte mir ein Glas holen. Der Schrank war leer, alle Gläser schmutzig. In meiner Magengrube staute sich die Wut. Ich feuerte die Schranktür zu und fluchte. „Nicht mal Gläser spülen kann die.“ Einige Dinge in unserer Wohnung waren beschädigt, ich musste mich abreagieren. Wenn ich mich nicht abreagieren konnte, bekam es meine Freundin ab. Am nächsten Morgen saßen wir gemeinsam am Frühstückstisch. Ich war immer noch wütend über die Unordnung in unserer Wohnung. Als sie ihre Kaffeetasse in das Waschbecken stellte und das darunterliegende Geschirr klirrte, wusste ich: Wenn sie nicht sofort den Raum verlässt, explodiere ich. Meine Faust krachte auf den Küchentisch und ließ die Gläser darauf umfallen. Sie schaute mich an, Angst und Verachtung in ihren Augen sagten: „Du bist krank.“ Sie drehte sich um, und begann mit dem Abwasch. Ich schrie sie an, mein Stuhl fiel um. Sie schrie zurück. Unser Sohn begann zu weinen doch das interessierte uns nicht, wir waren zu sehr mit Streiten beschäftigt.   Ich packte sie an den Haaren und zerrte sie in das Gästezimmer, ein kräftiger Schubs und sie lag am anderen Ende des Raumes. Ich sah sie kurz an und ging. Ich fuhr zur Arbeit. Als ich am Abend nach Hause kam war sie noch wach. Ich bemerkte eine kleine Wunde auf der Stirn. Ich entschuldigte mich. Sie sah mich an, sagte jedoch nichts und ging ins Bett. Ich verstand nicht, wieso sie mich immer provozierte. Sie wusste doch, was mich aufregte. Wir stritten uns wieder. Ich spürte den Druck in mir, konnte mich nicht mehr beherrschen. Vielleicht

wollte ich es auch nicht. Ich schmiss die Fernbedienung nach ihr. Sie hatte Angst, ich sah es. Sie griff nach allem ,was sie in die Hand bekam und warf es mir entgegen. „Du bist krank! Krank!“, schrie sie. Immer wieder warf sie mir vor krank zu sein. Ich schlug gegen den Türrahmen des Gästezimmers. Das Gästezimmer, unser privater Tatort. Vielleicht, weil unser Sohn diesen Raum nie betrat. Meine Hand schmerzte. Sie schrie mich weiter an. Ich ging auf sie zu und befahl ihr still zu sein. Sie tat es nicht. Sie schrie immer weiter. Ich sagte ihr doch sie soll still sein. Ich schlug zu. Sie lag am Boden, mit dem Gesicht nach unten. Langsam richtete sie sich auf und sah mich an. Sie blutete. „Du bist krank“, sie weinte. Unser Sohn schrie. Ich spürte eine Gleichgültigkeit in mir und verließ die Wohnung.   Es war Sonntag, ich ging nicht zur Arbeit. Als ich nach Hause kam, war die Polizei da. Meine Freundin saß mit immer noch blutender Wunde und unserem Sohn im Arm auf der Couch. Ein Mitarbeiter vom Roten Kreuz saß neben ihr. In diesem Moment begriff ich was ich getan hatte, ich hatte Angst vor mir selbst. Sie verhafteteten mich und ich kam ins Krankenhaus, wo eine Depression festgestellt und der Aufenthalt in der Psychiatrie verordnet wurde. Heute leben wir getrennt. Ich darf meinen Sohn einmal im Monat sehen. Meiner Ex-Freundin darf ich mich nicht mehr nähern. Ich fühlte mich ihr gegenüber machtlos. Deshalb tat ich es. Bitte melde dich! Caritas Männerberatung: Gumerplatz 6 oder Lauben 9, 39100 Bozen Tel. : +39 0471 324 649 (Guido Osthoff) E-Mail: mb@caritas. bz. it

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STORYTELLING: SOUTH TYROL

„ICH FÜHLTE MICH NIE  VERGEWALTIGT, ICH WAR JA SEINE FRAU.“ Eine Südtirolerin erzählt. „Meine Mutter und ich, wir haben uns nie gut verstanden. Meine Mutter war aggressiv, sie hat mich geschlagen. Meine ganze Kindheit war ein einziges Heulen und Zittern vor meiner Mutter. Von meinem Vater hatte ich keine Hilfe zu erwarten. Meinen ersten Mann habe ich mit 20 geheiratet. Es war nicht die große Liebe, doch ich wollte weg von zuhause und von meiner Mutter.   Mein Mann litt an Schizophrenie, doch er wurde als geheilt aus der Nervenheilanstalt entlassen. Vielleicht geht ja alles gut aus, sagte ich mir. Aber drei Jahre später brach die Krankheit wieder aus. Bald darauf ist er tödlich verunglückt. Offiziell war es ein Arbeitsunfall, daran habe ich aber nie geglaubt. Ich habe meinen zweiten Mann kennengelernt. Es war die große Liebe. Doch es dauerte nicht lange, bis ich merkte: mein Mann hat zwei Gesichter. Nach außen ist er ein Engel und zuhause eine Bestie. Mein Mann war sexbesessen, so schlimm, wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Er wollte ständig und überall Sex. In der Küche, im Stall, sogar im Freien. Ich konnte nichts dabei empfinden, ich war nie mit meinem Herzen bei der Sache. Es war ein rein mechanischer Vorgang, ohne Zärtlichkeit. Sex, Schläge und Demütigungen, das war meine Ehe. Trotzdem fühlte ich mich nie vergewaltigt, ich war ja seine Frau. Ich hatte fünf Kinder, zwei aus erster Ehe und drei aus der zweiten. Ich hatte nicht den Mut, ihn zu verlassen. Besonders schlimm war es, wenn er betrunken war. Dann drohte er mir, mich zu erschlagen. Ich habe mich dann vor ihm versteckt. Wenn er mich fand, tobte er wie ein Ungeheuer. Einmal habe ich ihn mit einer anderen Frau erwischt, er lief mir hinterher und versicherte mir, dass es ihm leid tue aber es änderte sich nichts, er wurde nur noch schlimmer. Zu den anderen war er freunlich und nett und die eigene Familie behan-

delte er grob und grausam. Ein Mann ohne Unrechtsbewusstsein. Mein Mann wurde als Kind vom Pfarrer, bei dem er zum Religionsunterricht ging, missbraucht. Als er das seinen Eltern erzählen wollte, wurde er von seinem Vater grün und blau geschlagen. Sein Vater war bei der Wehrmacht und die Mutter allein zuhause. Er musste zu seiner Mutter ins Bett kommen, aber nicht nur, um ihr das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein. Ich bin mir sicher, dass damals mehr passiert ist. Ich musste weg. Zuletzt fürchtete ich ernsthaft um mein Leben. Mir ging es auch gesundheitlich immer schlechter.   Einmal sagte er: „Nur dass du es weißt, wenn du es nicht mehr packst, ich helfe dir nicht, denn für so etwas wie dich habe ich keine Zeit.“ Das war kein Leben mehr. Ich wandte mich in meiner Verzweiflung an den Bürgermeister, an die Hausärztin und an die Caritas, aber niemand half. Ich kam wegen eines Nervenzusammenbruches in das Krankenhaus. Tage darauf kam er und sagte grinsend: „Ich wusste schon immer, dass du einen Psychiater brauchst und nicht ich.“ Kein aufmunterndes Wort, kein Mitgefühl, er war kalt wie ein Eisblock.   Er schlug unsere Kinder bis sie am ganzen Körper blaue Flecken hatten. Inzwischen bin ich fünfundsechzig und seit vier Jahren von ihm getrennt, doch das Schlimmste musste ich erst jetzt erfahren. Mein Mann hat nicht nur mich, sondern auch meine Töchter sexuell missbraucht. Nie habe ich davon etwas geahnt, nie haben sie mich um Hilfe gebeten. Wohl aus Angst. Jetzt muss ich mit diesem Vorwurf leben. Ich lebe jetzt allein in einer kleinen Wohnung, aber noch nie in meinem Leben ist es mir so gut gegen wie jetzt. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern, sie besuchen mich und ich kann immer zu ihnen kommen. So kann ich meinen Lebensabend in Anstand und Würde verbringen.“

Aus "Ich habe Ihn ja so sehr geliebt: Liebe, Gewalt und Träume. Bekenntnisse von Südtiroler Frauen", Franz Plörer.

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MIGRATION

MIGRANT! EINE SICHTWEISE ] Wir trafen uns am 8. Oktober in unserem Operation Daywork Büro in Bozen, um über Rassismus und Vorurteile in Südtirol und gegenüber nach Südtirol eingewanderten Menschen zu diskutieren. Dabei durften wir Sonja Cimandon, die drei Jahre als Friedensarbeiterin im Kosovo gearbeitet hat, seit 2009 in der OEW in Brixen tätig und bei der Straßenzeitung Zebra in der Redaktion engagiert ist, interviewen. Zu aller Erst möchten wir den Begriff, Rassismus klären. Rassismus bedeutet, dass reale oder imaginäre biologische Eigenschaften des Menschen mit Bedeutung(en) versehen werden. Zudem geht die „Rasse“-Idee davon aus, dass es unterschiedliche „menschliche Rassen“ gebe. Es kann zwar von unterschiedlichen phänotypischen Merkmalen, d. h. unterschieden von Merkmalen innerhalb der menschlichen Gruppe, gesprochen werden, jedoch können diese Merkmale nicht in „Rassen“ zusammengefasst werden. Rassismus äußert sich durch offensichtliche oder versteckte Diskriminierung im alltäglichen Leben. Diskriminierungen sind Handlungen und Redeweisen gegen politischen Einstellungen, Nationalitäten, Identitäten, Hautfarbe, Religion bzw. religiösen Ansichten, Weltanschauungen, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung, äußeren Erscheinungsbildern, gesellschaftlichen Status und vielen mehr. Sonja Cimandon weiß, dass seit circa den 1990er Jahren in Südtirol von Einwanderung gesprochen werden kann. „Mitte 2005 bis 2006 wurden über 6 % der Bevölkerung als Einwanderer wahrgenommen", so Sonja, diese konnten als Immigrantinnen und Immigranten erfasst werden. Südtirol ist also, wie viele andere Regionen und Länder ein Einwanderungsland geworden, indem Immigration dazu gehört. Doch Sonja fügt hinzu: “In der Zwischenzeit sprechen wir von der zweiten Generation Einwanderer. „ Unter “zweite Generation Immigranten und Immigrantinnen“ versteht man allgemein, Kinder deren Eltern aus einem anderen Land zugezogen sind, jedoch diese beispielsweise in Südtirol bzw. Italien geboren sind. Dennoch stoßen Personen der zweiten Generation (oft auch als Personen mit Migrationshintergrund bezeichnet) immer wieder auf die Sorgen und Ängste der lokalen Bevölkerung vor dem Unbekannten der Immigrantinnen und Immigranten. Diese äußern sich durch Vorurteile, Stereotypisierung, d. h. Zuordnung von Eigenschaften und Merkmalen, aber auch Diskriminierung. „Es sind Bilder die starr und nicht hinterfragt werden. Es ist der Kasten mit den vielen Schubladen“, wie es Sonja ausdrückt. Werden uns Vorurteile bewusst, stellen diese keine Problem mehr dar, denn erst durch das Hinterfragen von starren Bildern wird Diskriminierung reduziert. „Diskriminierung ist das Urteilen bevor man sich kennenlernt“, so Sonja und weiß, dass Vorurteile, Stereotype und Diskriminierung nicht nur auf Immigrantinnen und Immigranten angewandt werden, sonder auch auf Homosexuelle und Schützen, aber auch viele andere. Von Immigrantinnen und Immigranten in Südtirol wird immer wieder erwartet, dass sie sich anpassen. Dass dies jedoch nicht ganz so einfach erfolgt ist auch darauf zurückzuführen, dass in Südtirol drei Sprachen gesprochen werden: Italienisch, Deutsch und Ladinisch. Wie wir aus der Geschichte wissen, hat sich das

Zusammenleben zwischen den Sprachgruppen nicht immer als einfach herausgestellt. Auch da mussten Berührungsängste, die das Zusammenarbeiten und Zusammenleben erschweren, überwunden werden. In Südtirol leben mittlerweile Menschen aus 137 verschiednen Ländern, doch nicht alle werden in die Kategorie Immigranten gesteckt. Deutsche werden oft als „Touristen“ bezeichnet, Marokkaner als „die lästigen Händler“, und den schwarzafrikanern werden andere negarive Eigenschaften zugeschrieben und die hier in Südtirol lebenden Albaner die „schwere Gewalttätigkeit“ nachgesagt, so Sonja. Da wir unsere Umwelt durch Vorurteile und Kategorien ordnen um uns besser zurecht zu finden, kommt es vor, dass wir unlogische Schlüsse ziehen. Es wird von einer Person auf alle anderen geschlossen oder Schwarz-Sein wird mit ArmSein gleichgesetzt. Sonja fügt hinzu, dass Personen mit albanischen Wurzeln, obwohl hellhäutig im Vergleich zu Schwarzafrikanern, dennoch als „Schwarz“ eingegliedert werden. Dieser Mechanismus lässt wiederum auf einen tiefer sitzenden Rassismus in unserer Gesellschaft schließen, indem Menschen aufgrund der Hautfarbe in einer Skala positioniert und Schwarze Personen demzufolge niedriger eingestuft werden. Medien bedienen sich an Vorurteilen und erreichen dadurch eine breite Masse an Menschen. Es erscheint ein unscharfes und unwahres Bild von Zusammenhängen, wie beispielsweise Gewalt mit albanischer Herkunft. Weiter meint Sonja, dass dabei außer acht gelassen wird, dass Drogen- und Alkoholkonsum Auslöser von Gewalt sein kann. Auch die ständige Konfrontation mit Vorurteilen und negativen Zuschreibungen kann Aggression, als auch das Gefühl von Machtlosigkeit auslösen und bewirken. Auf unser Nachfragen, warum Sorgen und Ängste gegenüber Immigrantinnen und Immigranten bestehen, meint Sonja: „Es sind die Erfahrungen, aber auch Vorurteile und die Medien, die unser Unterbewusstsein so sehr prägen“ Wir sind uns also den Vorurteilen und der Diskriminierung nicht bewusst. Und zudem sind „diese Vorurteile Ausdruck von Bildungsmangel“, so Sonja. Am Ende wollten wir noch wissen, welche Möglichkeiten es gibt um diese Probleme in unserer Gesellschaft in Südtirol zu verbessern: „Gute Frage! Der persönliche Kontakt mit den Menschen, Toleranz und das Erlernen der Fremdsprache ist das beste Mittel zum Abbau dieser Befangenheit. Akzeptanz, Höflichkeit und Integrationswillen dürfen wir von Immigrantinnen und Immigranten ebenso erwarten wie sie dieses von uns.   G

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STORYTELLING: ITALY

„IST SO EIN LEBEN  WIRKLICH EIN WÜRDEVOLLES?“ Die Geschichte ist erfunden und basiert auf Interviews und realen Geschichten. In Italien leben viele Frauen mit dem täglichen Kampf um die Anerkennung ihrer Rechte, sie kämpfen für die Veränderungen, gegen Diskriminierung und Gewalt: in Beziehungen, bei der Erziehung, in der Arbeitswelt usw. Unter ihnen gibt es viele Frauen mit fremder Herkunft, die zudem noch andere Probleme bewältigen müssen. Die Verbindlichkeit einer Aufenthaltsgenehmigung oder anderer Dokumente die gültig sein müssen, um sich legal auf italienischem Boden zu bewegen, erschwert es den immigrierten Frauen, ihre Rechte zu genießen. Damit ist die Vormundschaft von Seiten der italienischen Institutionen gemeint: in der Sozialhilfe um eine Unterkunft für wenig Geld oder Familiengeld zu bekommen, im Gesundheitswesen um eine Behandlung zu bekommen und auch im Sicherheitswesen, wenn es um Anzeigen oder Rechtsfragen geht. „Die Ausländerinnen sind rechtskräftig als Bürgerinnen 2. Klasse eingestuft, nicht nur angesichts der Männer, sondern auch im Vergleich zu den italienischen Frauen.“ Viele Frauen nehmen immer häufiger jegliche Arbeitsbedingungen an. Oft wird bei der Zuweisung der Arbeitsstellen kein Wert auf Studientitel oder Arbeitserfahrungen gelegt.   Diese Frauen sind gezwungen, Jobs wie Putzfrau, Haushälterin oder Altenpflegerin zu verrichten. Schwarzarbeit, ohne bindenden Vertrag und Befristung oder haben Abkommen unterschrieben, dass sie selbst die Sozialabgaben leisten müssen. Des Weiteren gibt es Fälle von Frauen, die nach Italien gebracht und anschließend gezwungen werden sich zu prostituieren oder zu Sklavinnen eines illegalen Marktes von Ungerechtigkeit und Gewalt zu werden. Dann gibt es die

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subjektive Dimension: jeder hat seine Vergangenheit, seine persönliche Geschichte. Die oft unerwartete Veränderung oder die Flucht wegen eines Krieges, die Entscheidung auszuwandern um zu überleben, oder um sein Leben und das seiner Kinder zu verbessern. Der Weg nach Italien wird immer riskanter und führt für zu viele Menschen im Tod. Das Fehlen der Familie, der Zuneigung, der eigenen Gemeinschaft. Wenn zu alldem auch noch die Gewalt hinzukommt, wie schwer wird das Gewicht, das auf den Schultern dieser Frauen lastet? Liest man einen Auszug aus der Geschichte von Sheila1 , die nach Italien immigrierte, kann man das Unbehagen dieser verletzten Frauen etwas besser verstehen:   „Endlich die Antwort der Institutionen: Die Dokumente für die Zusammenführung sind bereit! Es ist Zeit, die Koffer zu packen, sich von Allen zu verabschieden… Mit einem Hauch von Traurigkeit und einer Prise Aufregung, für das was mich erwartet. Schluss mit der Ausgangssperre, Schluss mit der Angst, Schluss mit der Unsicherheit über morgen. Jetzt sind wir da, alle drei, zusammen, nach zweieinhalb Jahren des Wartens, der Einsamkeit und des Kummers, indem ich und mein Mann das Aufwachsen meines Sohnes nicht teilen durften. Die Ankunft in der Italienischen Realität war wie ein Aufschlag: ich habe mir nicht viel Misstrauen erwartet. Ich klopfe an die Tür meiner Nachbarin um mich vorzustellen und ich höre sie sagen „Hier gibt es nichts zu sehen, ich will nichts.“ Die erste Zeit war auch voller Freude: meinen Mann kam nach Hause, es gab ein gmeinsames Abendessen, wir waren wie eine echte Familie. Ich sehe sofort ein, dass ich Italienisch ler-


STORYTELLING: ITALY

nen muss, wenn ich mich integrieren will. Aber Jusuf findet das absurd, weil er eigentlich immer mit mir ist und übersetzen kann und es unnötig ist mich zu behelligen. So ist es mir nicht erlaubt, alleine einzukaufen, und noch weniger, Leute zu treffen, die nicht unserer Herkunft sind. Den Kleinen behalte ich jetzt noch zu Hause, bis er in die Schule kommt. Die Tage vergehen langsam und ich bin wieder nur dabei mit meinem Kind zu spielen. Keine Freundschaften, keine Entdeckungen der neuen Welt. Eingeschlossen.   Ausgerechnet dann, wenn ich beginne zu verstehen, dass ich nicht so weitermachen kann, bemerke ich, dass ich schwanger bin. Die Freude vermischt sich mit Angst: Ich habe niemanden, der mir mit meinem ersten Sohn helfen kann, außer manchmal meinen Mann. Gezwungen daheimzubleiben, werde ich mich nie in die Arbeitswelt integrieren. Das Gespenst der Aufenthaltsgenehmigung kehrt zurück: Wenn ich keine Arbeit habe, werden die Dokumente nicht erneuert. Während der Schwangerschaft wird mir meine Abhängigkeit von meinem Mann noch mehr klar: Nur er kann mich zu den gynäkologischen Visiten begleiten. Es ist nicht einfach für mich, mich zu entspannen und einem Mann Vertrauen zu schenken. Ich weiß, dass ich zur Visite gehen muss, aber hier ist alles so anders! Der Arzt verwendet Methoden, die ich nicht kenne und dazu kann ich ihn nicht mal verstehen! Ich schwänze die nächsten Visiten, Jusuf findet es besser so, auch wenn es für mich besser gewesen wäre, ein wenig Unbehagen auszuhalten um mir und meinem Kind Sicherheit zu gewähren. Es vergehen drei Jahre und letztendlich kommt der Moment, in dem ich auf mein Anliegen beharre: Ich will arbeiten. Es ist wirklich notwendig, für mich selbst und um den dürftigen Gehalt von Jusuf aufzubessern. Er lässt mich arbeiten

gehen, „nur bis ich eine rentablere Arbeit gefunden habe.“ Ich finde eine Stelle als Putzfrau im Büro eines Anwaltes, zwei Mal wöchentlich. Ich arbeite schwarz, doch ich darf Maryam, die Kleine, mitnehmen. Während ich arbeite, spielt sie, indem sie versucht mir zu helfen. Eines Tages fragt mich der Anwalt, der alles in allen sehr höflich und ruhig wirkt, ob er bleiben kann während ich sein Büro putze. Ich spüre ein komisches Gefühl, ein wenig Angst, doch ich nicke und tue so als ob nichts wäre. Er fängt an, mich anzumachen und alles was darauf folgt. Vor den hilflosen Augen meiner Tochter. Ich habe versucht so zu tun als ob nichts wäre, für zu lange Zeit, solange mein Körper und meine Seele es ertragen konnten: Ich will und kann meine Arbeit nicht verlieren. Ich komme nach Hause und habe nicht den Mut meinem Mann die Wahrheit zu sagen. Er liegt breit auf dem Divan, er schläft mit einer leeren Flasche an seiner Seite. Viele Fragen schießen mir in den Kopf … Was soll ich tun? An wen soll ich mich wenden? Soll ich mit jemandem vom Konsulat reden? Ich kann nicht alleine hingehen, niemand kann mich verstehen. Woher nehme ich die Kraft, zur Polizei zu gehen? Wie mach ich das ohne gültige Dokumente? Und wer sagt es dann meinem Mann? Doch lieber alles aushalten und weitergehen … ist das möglich? Ist das wirklich das würdevolle Leben, das Menschen anstreben?   Ist Sheila wirklich nur ein ohnmächtiges Opfer? Auch und v. a. den immigrierten Frauen nicht nur das Überleben zu ermöglichen, sondern sie dazu befähigen, ihre Rechte enzufordern und aus ihrer Situation von Gewalt auszusteigen nimmt die Größe mit sich, für alle Frauen unabhängig von ihrer Herkunft zu kämpfen. Aus „io non mordo ve lo giuro. Storie di donne immigrate in Italia“, P. F. Gallo. 1

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CONSEQUENCES

GEWALT. DIE FOLGEN ] Bevor man von Folgen der Gewalt gegen Frauen spricht, muss zu Beginn festgehalten werden, dass jede Form von Gewalt gegen fundamentale Menschenrechte verstößt. Diese besagen, dass jeder das Recht hat, vor allen Formen der Gewalt geschützt zu sein. Das wurde so von verschiedenen internationalen Konventionen festgelegt. Gewalt in der Familie zu erfahren oder erfahren zu haben, aber auch einer solchen Situation beizuwohnen, kann schlimme physische sowie psychische Auswirkungen auf den Menschen haben. Laut Weltgesundheitsorganisation „Stellt die Gewalt gegen Frauen ein großes Gesundheitsproblem dar. Man schätzt, dass die Gewalt weltweit einer der Hauptgründe für Tod oder Behinderung an Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter ist. Was durch Gewalt angerichtet wird, ist ebenso schlimm wie Krebs oder andere schwer heilbare Krankheiten. Schwerwiegender als die Auswirkungen von Verkehrsunfällen und Malaria.“ (World Health Organisation. Violence against women. Women´s health and development programme. Geneva: WHO 1997) Die Folgen der Gewalt an Frauen auf ihr psychisches und physisches Wohlbefinden können direkt oder indirekt sein. Die direkten Folgen können unter anderem Schürfwunden, blaue Flecke, Brüche, ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten sein. Die indirekten Folgen der Gewalt werden hingegen durch extreme Stresssituationen ausgelöst, sie können dazu führen, dass das Immunsystem nicht mehr richtig funktioniert oder zu Verhaltensstörungen führen. Dazu gehören Essstörungen, Vernachlässigung des Körpers und der Gesundheit. Es kann auch zur Abhängigkeit von Medikamenten oder Betäubungsmitteln kommen, ebenso wie zu Selbstmordversuchen. Frauen, die Gewalt erfahren haben, leiden oftmals an gynäkologischen Schäden und Magen-Darm Problemen, sowie chronischen Schmerzen, chronische Ermüdung und Kopfschmerzen. Die Gewalt kann auch verschiedene direkte Folgen auf das psychische Wohlbefinden einer Person haben, dazu zählen verschiedene emotionale Reaktionen wie akute Angst oder Bindungsängste, und in den schlimmsten Fällen kann sie auch zu posttraumatischen Syndromen führen. Wer über längeren Zeitraum Gewalt erfährt, bei dem kann es mit der Zeit auch zu generalisierter Angst kommen, dabei unterliegt man dauerhafter Anspannung, was dann zu

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Depressionen führen kann. Wenn man Gewalt von einer Person erfährt, die man liebt oder für die man große Zuneigung hegt, schwächt das das Selbstbewusstsein sehr, es kommt zu Frustration und die Person fühlt sich nicht mehr fähig zu handeln. Gewalt führt auch zu zwischenmenschlichen Störungen, es kommt dazu, dass man seinem Umfeld nicht mehr vertrauen kann. Diese Person leidet dann auch an Scham- und Schuldgefühlen, sie wird ganz konfus. Die schlimmste Folge der Gewalt gegen Frauen ist der Frauenmord. 2013 sind in Italien 134 Frauen von ihrem Partner oder einem männlichen Familienmitglied umgebracht worden. Kinder, die zuhause Gewalt miterlebt haben, leiden oftmals an psychischen und gesundheitlichen Problemen. Sie leiden auch an Verhaltensauffälligkeiten, haben Schwierigkeiten in der Schule und dabei Probleme, eine gesunde, intime Beziehung einzugehen. Gewalt in der Kindheit bringt also ein hohes Risiko mit sich, dass es zu psychophysischen Entwicklungsstörungen kommen kann. Zusätzlich ist die Gefahr hoch, dass das Kind im Erwachsenenalter in seinen intimen Beziehungen ebenso Gewalt anwendet, wie es sie vorgelebt bekommen hat. Man kann also feststellen, dass das gewaltsame Verhalten von Generation an Generation weitergegeben wird. Wenn man sich die sozialen, ökonomischen und sanitären Kosten ansieht, die entstehen, um Frauen, die Gewalt erfahren, zu unterstützen, sieht man, dass es die ökonomische Entwicklung gleichermaßen hemmt, wie es den Frauen den Weg in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt verbaut. Das Leiden und die Schmerzen der Frauen bringen also Krankheiten und Störungen mit sich, dazu kommen auch noch die direkten Kosten wie Sozialberatung der Opfer, Wenn man dies alles zusammenrechnet, kann man sagen, dass Gewalt gegen Frauen definitiv einen schlechten Einfluss auf die Entwicklung eines Staates hat. Vielleicht es ist auch noch wichtig zu unterstreichen, dass nicht alle Frauen, die Gewalt erfahren haben, auch unter Auswirkungen auf ihr physischen Wohlbefinden leiden. Die Folgen hängen wohl sehr von der Intensität und der Art der Gewalt ab. Des Weiteren ist es auch von größter Bedeutung, ob und welche Art von Unterstützung und Hilfe den Frauen zukommt.   G


HELP

WAS TUN?

Monate beherbergt werden können. Die Arbeit der verschiedenen ] In Südtirol gibt es mehrere Antigewaltzentren. Das Zentrum der Organisation „Donne contro la violenza – Für Frauen, Organisationen bietet so die Möglichkeit, die Frauen in jedem gegen Gewalt Onlus“ entstand 1993 und bietet persönliche und Moment, in dem sie Hilfe brauchen, zu unterstützen.   G telefonische Beratung und Zuflucht im Frauenhaus in Meran der Bezirksgemeinschaft Burggrafenamt. Im Jahr 1999 wurde die Verein Gea „Associazione Gea - Verein für die Solidarität unter den Frauen Für die Solidarität unter den Frauen gegen Gewalt gegen Gewalt“ gegründet. Seit dem Jahr 2000 gibt es die „Kontaktstelle gegen Gewalt und Frauenhaus“ in Bozen, die vom Betrieb Antigewaltzentrum – Frauenhaus Bozen für Sozialdienste Bozen eingerichtet wurde. Zuletzt entstand das Neubruchweg 21, Bozen Antigewaltzentrum der Bezirksgemeinschaft Eisacktal in Brixen, Telefon: 0471 513 399 das ebenfalls einen Frauenhausdienst anbietet. Der kostenlose Grüne Nr. 24 Std. : 800 276 433 Dienst der Frauenhäuser bietet den Frauen, die Opfer von Gewalt Verein für Frauen, gegen gewalt wurden, psychologische Beratung um einen Ausweg aus ihrer Antigewaltzentrum – Frauenhaus Meran Situation zu finden und das Erlebte zu verarbeiten. Freiheitsstr. 184/A, Merano Frauen, die Schutz und Sicherheit brauchen, haben Anspruch Telefon: 0473 222 335 auf die geschützten Frauenhäuser und können mit ihren Kindern Grüne Nr. 24 Std. : 800 014 008 in geheimen Unterkünften Unterschlupf finden. So bieten die Antigewaltzentrum – Frauenhaus Brixen Frauenhäuser für die Frau nicht nur Schutz vor physiologischer Bahnhofstr. 27, Brixen und psychologischer Gewalt, sondern auch die Möglichkeit Telefon: 0472 820 587 Entscheidungen wieder selbst in die Hand zu nehmen: Welchen Grüne Nr. 24 Std. : 800 601 330 Weg will die betroffene Frau gehen, um sich selber und auch ihren Kindern wieder ein sicheres und friedliches Leben ohne ständige Haus der geschützten Wohnungen Bedrohung garantieren zu können. Frauen, die in den geschützten Telefon Bozen: 0471 970 350 / Grüne Nr. : 800 892 828 Wohnungen unterkommen oder sich an die Frauenhäuser wenden, Telefon Bruneck: 0471 970 350 / Grüne Nr. : 800 310 303 können ebenfalls eine kostenlose Rechtsberatung in Anspruch nehmen, um eventuelle Informationen zu einer Scheidung ein zu holen oder um Anzeige zu erstatten. Die drei Antigewaltzentren haben grüne Nummern unter denen vierundzwanzig Stunden am Tag, das ganze Jahr über, Beratung und Beistand bei Notfällen geboten wird. In dem Moment, in dem eine Frau häusliche Gewalt erlebt, erkennt sie oft nicht eindeutig, in welcher Lebenssituation man sich wirklich befindet. Sie fühlt sich allein, denkt, dass ihr nicht geglaubt wird, oder sie hat Angst an die Öffentlichkeit zu treten, zu viel Angst davor, was passieren könnte wenn sie Anzeige erstattet. Auch wenn man eine Frau kennt, die häusliche Gewalt erfahren muss, kocht man vor Wut. Man würde gerne etwas tun aber es ist nicht immer klar, was man der Betroffenen raten soll. Diese Gründe stellen schlussendlich die Notwendigkeit der Existenz von Antigewaltzentren dar. Das professionelle Personal hat die nötige Erfahrung auf diesem Feld und kennt die Rechte der Frauen. So können von Fachkräften geleitete, personalisierte Kurse angeboten werden, welche an die Situation und an die Absichten der Frauen in Rücksicht auf ihre Empfindlichkeit, angepasst sind. In Italien gibt es viele Zentren in vielen verschiedenen Häusern. Leider sind es noch immer zu wenige um den Bedarf und die Nachfragen auf nationaler Ebene zu decken. Glücklicherweise ist die Situation in Südtirol dank einem Gesetz der Provinz gegen die Gewalt etwas besser. Dieses Gesetz legt eine Reihe von Lebensnotwendigen Maßnahmen für die Unterstützung der Frauen fest. Neben den oben angeführten Zentren gibt es in Südtirol zwei Häuser mit geschützten Wohnungen, eines in Bozen und eines in Bruneck. Alle Strukturen zusammen bieten insgesamt 41 Plätze, Plätze an denen die Frauen zusammen mit ihren Kindern für sechs

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CHANGE

DIE KRAFT DER VERÄNDERUNG

Arabische Welt Die arabische Frauen setzen sich zur Wehr, indem sie auf der Facebook-Seite „The uprising of women in the Arab world“ ihre Erlebnisse, Erfahrungen und Meinun-

Pakistan

gen posten. Dadurch kämpfen sie für mehr Frauen-

Malala Yousafzai ist eine Kinderrechtsaktivistin

rechte in ihrer Heimat. Mittlerweile haben ca. 124. 000

aus Pakistan, die seit ihrem 11. Lebensjahr in einem

Personen die Seite „geliked.“

BBC-Blog über die Gewalttaten der pakistanischen Taliban schreibt. Zusammen mit ihren Vater setzt sie sich gegen das Verbot für Mädchen die Schule zu besuchen, Musik zu hören, zu Tanzen und unverschleiert öffentliche Räume zu betreten, ein. 2014 erhält sie den Friedensnobelpreis.

Holland Dollen Minas: „Dollen Minas“ ist eine Studentinnen-Protestbewegung, die für die Gerechtigkeit in der China

Gesellschaft und für die Gleichstellung der Frau kämpft.

Chinesische Blogger machen auf die Situation der Frau-

In der Vergangenheit taten sie dies durch relativ drasti-

en durch Posts auf ihren privaten Blogs aufmerksam.

sche Aktionen. Sie entführten zum Beispiel Männer und

Dadurch wollen sie die Aufmerksamkeit aller erlangen

setzten sie irgendwo im Grünen wieder aus oder stürm-

und die Gesellschaft zu einem Umdenken bewegen.

ten die Redaktion der Frauenzeitschrift „Margriet.“

Sätze einer Bloggerin: Ohne Frage ist China ein Land, in welchem die Gleichheit der Geschlechter gefördert wird, egal ob in politischen oder juristischen Dokumenten. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in unserem Land tief verankert. Komisch ist dabei allerdings, dass diese Gleichberechtigung oft nur in Slogans oder Dokumenten zu finden ist. Sobald man sie in der Gesellschaft sucht, ist sie verschwunden. Weibliche Beamte gibt es in China nur wenig. Frauen in hohen Beamtenpositionen sind noch seltener. Egal ob in politischen oder in wirtschaftlichen Kreisen, überall ist es das Gleiche. (…) USA Anlässlich der Alljährlichen Miss Amerika Wahl zogen am 7. September 1968 rund 400 Feministinnen nach Atlantic City und kürten im Rahmen ihrer Protestaktion Türkei

„Frauen sind kein Fleisch“ ein lebendiges Schaf zur

Seyran Ates, eine deutsche Autorin und Rechtsanwältin

Schönheitskönigin. Sie warfen „Instrumente weibli-

mit türkisch-kurdischer Herkunft, kämpft mit Veröf-

cher Folter“, wie Stöckelschuhe, Korsetts, Make-up,

fentlichungen und Vorträgen gegen Formen der weibli-

Putzutensilien, usw. in einen sogenannten „Freiheitsab-

chen Unterdrückung, wie das Kopftuch, die Zwangshei-

falleimer.“ Dies gilt als Ausgangspunkt für viele weiter

rat oder den Ehrenmord in der islamischen Welt.

Protestaktionen in den folgenden Jahren.

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CHANGE

Frankreich Coco Chanel: Die Modedesignerin erreichte mit ihrer grundlegenden Veränderung der Frauenmode, Mitte des 20 Jahrhunderts, eine Revolution in den Denkund Handelsweisen der Frauen. Dies gelang ihr durch

Lateinamerika

Kurzhaarschnitte, den knielangen Rock, der Hose und

Die Stellung der Frau in Lateinamerika war jahrzehn-

bequemer Damenkleidung ohne Korsett.

telang untergeordnet. Daher verkündeten chilenische

Simone de Beauvoir: Die Autorin beschreibt in ihrem

Feministinnen im September 1997: „Ohne Frauen keine

Werk „Das andere Geschlecht“ die Situation der Frau in

Demokratie.“ Dadurch wollen den Einfluss und die

den 1920er Jahren. Das sozialgeschichtliche philosophi-

Teilnahmemöglichkeiten der Frau in hohen politischen

sche Werk der französischen Philosophin und Schrift-

Positionen stärken. Dies gelingt ihnen mit Erfolg

stellerin gilt als eine der Grundlagen des Feminismus.

Italien Südtirol

In den 1960er Jahren erlebte die weibliche Gesellschaft

„Männer Gegen Gewalt“ versteht sich als Kommunika-

in Italien einen drastischen Umschwung. Durch den

tionsplattform, die einen öffentlichen Raum schafft für

Werbeslogan „Zittert, zittert, die Hexen sind zurück!“

reflektierte Rollenbilder und sich klar für ein gewaltfrei-

fanden viele Frauen den Mut, sich gegen die männliche

es Leben einsetzt. Im Sinne von Vielfalt, Gewaltfreiheit,

Sicht der Frau als Mutter, Symbol der Liebe oder süßes

Bewusstsein und Verantwortung.

und liebes Wesen, anzukämpfen. Frauen können auch rebellisch sein und genau dadurch eignen sie sich ihre Rechte und Persönlichkeiten an.

Albanien Vera Lesko: Nahm 1997 als Pionierin den Kampf gegen den Handel von Frauen in Albanien auf. Sie engagiert sich vor allem im Hafen von Vlorë, den Schlepper als Japan

Umschlaghafen für den Handel von Frauen und Ju-

Die feministische Bewegung in Japan feiert ihren ersten

gendlichen aus dem gesamten Balkan nach Italien und

Erfolg Anfang der 1920er Jahre, mit der politischen

in die restliche EU nutzen. Sie gründete das Zentrum

Beteiligung von Frauen. 1947 kommt es schließlich zum

Vatra, welches betroffenen Frauen psychologische Un-

aktiven und passiven Wahlrecht.

terstützung bietet. 2003 gewann sie den Anti-Slavery International Award.

Liberia Ellen Johnson Sirleaf (Präsidentin von Liberia), Leymah

Ägypten

Roberta Gbowee (Bürgerrechtlerin und Politikerin in

Durch den Sturz der Diktatur (2011) kommt es zu einem

Liberia) und Tawakkol Karman (Journalistin, Politikerin,

direkten Aufschwung der ägyptischen Frauenbewe-

Menschenrechtsaktivistin aus Jemen), erhielten für

gung. Seither setzen sich immer mehr ägyptische

ihren gewaltfreien Kampf für die Sicherheit von Frauen

Frauen und Männer für die Gleichberechtigung beider

und Frauenrechte den Friedensnobelpreis.

Geschlechter ein.

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MASS MEDIA

FRAUEN MEDIEN

&

] Die Medien, zusammen mit den „neuen Medien“ wie soziale Netzwerke, sind seid einiger Zeit ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Sie tragen dazu bei, uns eine Welt zu schaffen, indem sie uns täglich Werte, Modelle und Lebensstile vermitteln. Durch diesen Filter haben wir die Möglichkeit, unsere Umwelt kennenzulernen, ohne überhaupt von der Couch aufzustehen. Aber sind wir uns sicher, dass der Fernseher uns die Realität richtig wiederspiegelt? Können wir den Bildern, welche uns jeden Tag gezeigt werden, aktiv (zu)sehen, das heißt, verstehen wir, wie diese Bilder auf uns wirken? Denken wir zum Beispiel an die Nachrichten, können wir uns fragen: Was sind die Methoden und die Logik hinter dem „newsmaking“, mit besonderer Sicht auf die Gewalt gegen Frauen? Studien zeigten, dass es eine „Lücke“ zwischen dem gibt, was in den Nachrichten gezeigt wird und der tatsächlichen Realität. Ein Beispiel: 99 % der Frauenmorde in Italien werden von Personen verübt, die das Opfer kannte, vor allem vom derzeitigen Partner oder Ex-Freund. Die Medien verändern dieses Bild aber gezielt. Sie berichten lieber vom „brutalen unbekannten Mörder“, insbesondere falls der Täter ein Ausländer war. Auch das Alter und Kuriositäten erregten die Aufmerksamkeit der Journalisten: Junge, schöne Frauen, Massenmorde oder die Flucht des Täters mit dem Taxi liefern Titel-Stories. Aber auch die Stimmung und das Ambiente sind ausschlaggebend. Bei Berichten über Missbrauch werden oft Bilder von Frauen mit attraktiver Kleidung, in dunklen und isolierten Ecken beigefügt. Dies vermittelt den Anschein, die Frau sei selbst schuld. Eine weitere Methode ist die gezielte Wahl der verwendeten Begriffe. Im Falle eines Mordes, bei denen der Täter dem Partner oder Ex-Partner ist, wird oft von einer Tat aus Leidenschaft oder einer Eifersuchtstragödie gesprochen. Beide Begriffe lindern die Brutalität der Tat, suchen fast nach einer Entschuldigung. Auch die Beschreibung der Affekttat ist ein Beispiel für das gezielte Verwenden von Begriffen. Statistiken zeigen, dass bei eben diesen Taten im Affekt die Täter meist bereits Vorstrafen im Bereich der Gewalt hatten. Die Formulierung des Zusammenstoßes der Kulturen wird oft dafür verwendet, um über Verbrechen zu sprechen, bei denen eine einheimische Frau von einem ausländischen „Barbaren“ angegrif-

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fen wurde. Warum wir dies getan? Man spricht von diesen Taten aus Leidenschaft, von Eifersuchtstragödien oder von Affekttaten, um den Fakt der häuslichen Gewalt zu verstecken. Alle drei Begriffe deuten auf Spontanität hin und nicht auf wiederholte Gewalt, die auch vor dem Mord in den eigenen vier Wänden an der Tagesordnung stand. Der Staat, aber auch die Gesellschaft wollen dieses ungemütliche Thema so wenig wie möglich im Bild haben. Beim Aufbauschen von Taten, bei denen Ausländer die Täter waren, versucht man eine Erklärung für dieses ungemütliche Thema im Fremden, Ausländischem, Kranken, eben im Anderen zu finden. Die obengenannten Bilder und Begriffe, wie jung, schön, kurios, Eifersucht, ausländisch usw. sind alle relativ. Die Bedeutung gibt ihnen die Gesellschaft. Dank mal darüber nach! In Italien hat sich das sogenannte „Law of opposite“ durchgesetzt, d. h. außergewöhnliche Geschichten werden den Gewöhnlichen vorgezogen. Dadurch kann man erkennen, dass die Medien, die uns Bericht erstatten, das Hauptziel haben, das Interesse eines großen Publikums zu erwecken. Jedoch kann man sich auch die Frage stellen: Ist häusliche Gewalt so häufig, dass es zu einer gewöhnlichen Nachricht wurde und somit überschattet wird? Man liest und hört relativ wenig davon, obwohl dieser Horror leider viel zu viele Frauen betrifft. Ein anderer Aspekt ist die Darstellung der Frau in der Werbung und in den TV-Programmen. Die Untersuchung Women and Media in Europe vom CENIS hat Italien bereits 2006 als ein Land des Widerstandes definiert. Immer noch zeigt dieses Land ein stereotypisches Bild der Frau. Doch was heißt das? Beobachtet man die Anzeigen im Fernsehen ist es leicht einen Überfluss an Frauenbildern zu erkennen, bei welchen ihre Körper gezielt in Szene gesetzt sind. Das Hauptaugenmerk soll auf die Brust und auf das Gesäß fallen. Das Schönheitsideal wird von fast schon künstlich erscheinenden Frauen und sexualisierten Mädchen geprägt. Die


MASS MEDIA

Videotipps zum Thema! ^^ Il corpo delle donne von L. Zanardo ^^ Se questa è una donna von L. Attanasio ^^ Il corpo femminile nei messaggi pubblicitari di E. Giomi

Frau wird als Sexobjekt dargestellt und genau so in der Werbung verwendet. Das Ziel dabei ist es, das Verlangen nach dem weiblichen Körper auf das Produkt zu übertragen, auch wenn oft kein Zusammenhang zwischen den beiden besteht. Ein Beispiel dafür ist das Auto, in den Köpfen der meisten Menschen besteht eine automatische Beziehung zwischen einer Frau im Bikini und einem Auto. Sogar vor Andeutungen auf sexuelle Gewalt schreckt die Werbung nicht zurück, um einen Artikel in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu bringen. Seht euch mal Werbungen von D&G genauer an. Fernsehsender und Medienagenturen sind im ständigen Konkurrenzkampf um die Einschaltquoten und dabei haben sie es erreicht, ein bestimmtes Bild in den Köpfen der Menschen zu erzeugen: es dominiert ein Bild der Frau, das sie als passives Opfer der Chronik, als „velina“, Mutter, Haushaltshilfe oder Ehefrau zeigt. In den italienischen Medien arbeiten relativ wenige Frauen, noch weniger in höheren Positionen. Auch wenn im Land, vor allem durch die Feminismus-Bewegung in den 70er Jahren, bedeutende Schritte zur Gleichberechtigung und Emanzipation erfolgt sind, hat dies immer mehr zur Ausgrenzung der Frauen beigetragen. Die generelle Sexualisierung der Frau hat auf die Gesellschaft einen gewaltigen Einfluss: Die Bevölkerung kreiert ihr Bild der Sexualität nach diesem Modell. Dies führt zu einer ungleichen Verteilung der Rollen der Geschlechter und zu einem verzerrten Idealbild von Mann und Frau. Ein Beispiel: das Tramupaar Barbie und Ken. Zum Abschluss muss man allerdings auch anführen, dass die Situation sich bessert. Immer mehr Menschen denken kritisch über dieses Thema nach und wollen die vorherrschenden Bilder verändern. Mit Erfolg. Nur durch weitere Aufklärung und Sensibilisierung kann dieses Modell in den kommenden Jahren gänzlich aus den Medien verschwinden.   G

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SEX-GENDER

GESCHLECHT & GENDER Sexus Das angeborene, biologische Geschlecht. Gender Das soziale, kulturelle, gesellschaftliche Geschlecht.

Das heißt, ein Mensch weist zwar klare biologische Merkmale auf, die ihm seinem Geschlecht zuordnen, sein „Gender“ wird allerdings von den historischen Hintergründen geschaffen. Man darf ] Ein Mädchen wird geboren, bald wird es mit Puppen und Kuscheltieren spielen, die Farbe Rosa lieben, gut in der Schule sein grammatikalisch korrekt also nicht fragen „What gender?“ sondern nur „What sex is this person?“Auch die Vorstellung der „normalen“ und im Erwachsenenalter wahrscheinlich Lehrerin, Kindergärtnerin oder Krankenschwester werden. Der neugeborene Junge zweigeschlechtlichen Beziehung wurde, aufgrund dieser Theorien, bekommt natürlich blaue Strampelanzüge, zum ersten Geburtstag in Frage gestellt. Ist die sexuelle Orientierung eines Menschen von einen Spielzeug-Bagger und einen Holzhammer, das Fußballspieder Gesellschaft geschaffen, ist demzufolge die Vorstellung der len kommt auch bald und in seine berufliche Laufbahn führt ihn Heterosexualität unserer Gesellschaftsordnung zu verdanken. In in einen Handwerksbetrieb oder in die Mathematik. Der starke den 90er Jahren sorgte diese Aussage für Furore. Homosexuelle Mann, die emotionale Frau. Mutter und Vater. Adam und Eva. kämpften für ihre Rechte, Homophobe waren schockiert. An diesem Beispiel erkennt man die Bedeutung von Gender. Es Begriffe wie „Mann“, „Frau“, „Bub“, „Mädchen“ wurden in eine zeigt auf, welche Rollen und Erwartungen an die Geschlechter Zukunft vielfältiger Bedeutungen entlassen. Man stellte sich gestellt werden, doch müssen die klaren Unterschiede zwischen Fragen wie: Gehört der /die Mann-zu-Frau-Transsexuelle in den den Geschlechtern, die die Natur voraussetzt, noch weiter durch Frauentanzkurs oder gar auf die Frauentoilette? Und wenn nicht, gesellschaftliche Ideale und Vorstellungen verkompliziert werden? ist das nicht offene biologische Diskriminierung? Das Verwirrspiel Nicht einmal die Natur unterscheidet immer genau: Das bioloder Geschlechter, „Gender-bending“, war geboren. Das lustvolle gische Geschlecht eines Menschen ist nicht immer eindeutig zu Durcheinander wollte die Grenzen zwischen den Geschlechtern bestimmen. Es gibt sogenannte Intersexuelle, bei diesen Menschen verwischen und neue Freiheiten schaffen. Der patriarchalische ist das Geschlecht nicht eindeutig. Zudem gibt es Transsexuelle. Sie Mann verschwand immer mehr von der Bildfläche und übergab sind von Kindheit an in ihrem Körper nicht zu Hause, weil sie sich das Zepter der Metrosexualität. Frauen wählten Handwerksberufe, Geschlechtsumwandlungen wurden häufiger und Homosedem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. 1952 untersuchte ein amerikanisches Wissenschaftler-Trio mehrere Fälle von Intersexu- xualität fand ihren Einzug in die Gesellschaft. Heute spielen die ellen Babys. Sie kamen zum Ergebnis, dass die Kinder in die Rolle Begriffe „Sexus“ und „Gender“ keine große Rolle mehr. Die Unterscheidung der beiden ist uns bekannt und alltäglich. Man weiß hineinwachsen, welche die Chirurgen ihnen buchstäblich nach mittlerweile jedoch auch, dass der Unterschied zwischen biologider Geburt an den Leib geschneidert haben. Daraus ziehen sie schem und sozialem Geschlecht doch nicht so eindeutig ist. Neben die elementare Schlussfolgerung: Intersexuelle Neugeborene sind neutrale Wesen. Erst die Erziehung verleiht ihnen eine Identität als den Genen, Chromosomen und Hormonen gibt es auch im Gehirn Junge oder Mädchen. Die Wissenschaftler schlossen anschließend Merkmale, die bei Menschen zu geschlechtsspezifische Verhaltensvom Besonderen auf das Allgemeine: Sexualverhalten und sexuelle weißen führen können. Die Hirnforschung hat mittlerweile Beweise, wonach auch das Sexualverhalten eines Menschen teilweise auf Orientierung als Mann und Frau haben keine angeborene Basis. neurologische Hintergründe zurückzuführen ist.   G Es gibt also eine klare Trennung zwischen „Sexus“ und „Gender.“ Gender

ist …

Gender ist

Nicht …

ein Spektrum

ein ausdruck von gefühlen

Männlich oder weiblich

durch körperteile definiert

persönliche identität

selbstwahrnehmung

genetisch vorbestimmt

Sexuelle orientierung

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NONVIOLENCE

DER WOLF UND DIE GIRAFFE ] Jedem von uns ist es schon einmal passiert, dass wir in einer Alltagssituation einen Konflikt erlebt haben: ein Streit zwischen Freunden, eine Diskussion zu Hause in der Familie. Gerade in diesen schwierigen Momenten müssen wir die Wahl treffen, wie wir uns angemessen in dieser Situation verhalten, um etwas zu verändern, das uns nicht gefällt. Aber was bedeutet wirklich Konflikt? Wie können wir eine Situation ändern, in der wir uns nicht wohl fühlen? Konflikte entstehen, wenn einzelne Personen oder Gruppen verschiedene Ansichten haben, und sich nicht aneinander anpassen können. Oft basieren sie auf Bedürfnissen, Werten, auf der Identität und den Interessen jedes einzelnen. Doch oft erkennt man in einem Konflikt anfangs nur die Spitze des Eisberges, also das Verhalten der beiden Seiten und die Positionen, die sie vertreten. Im Gegensatz dazu sind die gemeinsamen Gefühle, Bedürfnisse und Werte oft noch unter der Wasseroberfläche, im nicht sichtbaren Teil des Eisberges, versteckt. Die oft als logisch angesehene Antwort auf die Frage, wie man an einen Konflikt herangehen kann und am besten auch noch gewinnt, ist die Gewalt. Die einzige andere Möglichkeit scheint oft jene zu sein dem Konflikt einfach aus dem Weg zu gehen und ihn passiv irgendwie zu ertragen. Es gibt jedoch noch einen dritten Weg, wie man an einen Konflikt herangehen kann: die friedlichen Konfliktlösung. Die Kraft der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Wert des Lebens obsolisiert die Gewalt. Der Sinn dahinter ist jener, im Konflikt zu agieren und über die beiden Positionen hinaus die aktive Position gegen die Ungerechtigkeit einzunehmen. Dies alles mit der Absicht, sowohl den Unterdrücker als auch den Unterdrückten zum Gewinner zu machen und zu befreien. Aber muss ich so stark wie Gandhi sein, muss ich so viel Mut haben wie Rosa Parks, muss ich das Charisma eines Martin Luther King, oder den Glauben der Mutter Teresa von Kalkutta haben um den gewaltfreien Weg zu wählen? Im Grunde genommen haben auch diese Menschen in alltäglichen Situationen angefangen. Sie haben sich dazu verpflichtet, so zu handeln, damit sich ihr Leben und das ihrer Gemeinschaft verbessert. Starten wir mit einem der wichtigsten Punkte auf allen Ebenen des Konfliktes: die Kommunikation. In der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) wird der „Andere“ und der gesamte Teil des Eisbergs der unter der Wasseroberfläche liegt, beachtet und berücksichtigt. Man versucht, die Situation aus der Sichtweise des Anderen zu betrachten, ohne seine Meinung teilen zu müssen. So entsteht das, was Daniel Goleman Emotionale Intelligenz nennt. Marshall B. Rosenberg spricht von „Giraffensprache“, die die gewaltsame Dynamik des „Wolfes“ überwindet. Unsere unbefriedigten Gefühle und Bedürfnisse erkennen; sie klar und deutlich ausdrücken ohne Urteile über die des anderen zu fällen. Die Gewaltfreiheit zu wählen, beginnend bei der Kommunikation, bedeutet also: Die Fassade zwischen den Gesprächspartnern fällt, die eigene Verwundbarkeit wird sichtbar. Aber genau das erzeugt Empathie, das einfühlen in den Anderen. So schafft man es eine andere Beziehung zum Anderen zu erzeugen und gemeinsam einen neuen Lösungsweg im Konflikt zu finden. Es ist ein Sieg für alle, man muss nicht nachgeben, aber man drängt dem anderen auch nicht seine Sichtweise auf. Es ist auch nicht so, dass man einen Kompromiss schließt, wo beide ein bisschen verlieren. Man entwi-

Teste dich! Schlage diese Aktivität einer Person vor, die dir wichtig ist, mit der du deine Zeit verbringst. Stellt euch gegenseitig die folgenden Fragen und schreibt die Antworten auf einen Zettel. Lest sie danach zusammen durch. Bedenkt, dass die Antworten von Herzen kommen sollen. ^^ Kannst du mir eine Sache nennen, die dein Leben alles andere als besser machen würde wenn ich sie tu? ^^ Wie fühlst du dich, wenn ich mich so verhalte? ^^ Welche deiner Bedürfnisse sind so nicht befriedigt? ^^ Was kann ich tun, um deine größten Wünsche zu erfüllen? DIE 7 REGELN DER KUNST DES ZUHÖRENS 1. Man soll sich nicht stressen, um zu einem Schluss zu kommen. Das ist der kürzeste Teil der Suche. 2. Das, was du siehst, hängt von deiner Sichtweise ab. Wenn du die Dinge anders sehen willst musst du deine Sichtweise ändern. 3. Wenn du verstehen willst, was ein anderer sagt, musst du annehmen, dass er Recht hat und ihn fragen, ob er dir dabei helfen könnte, die Dinge aus seiner Sichtweise zu sehen. 4. Die Emotionen sind die wichtigsten Instrumente des Erkenntnisprozesses, wenn du lernst, ihre Sprache zu verstehen. 5. Ein guter Zuhörer ist der Entdecker möglicher neuer Welten. Die wichtigsten Signale für ihn sind jene, die ihn irritieren, stören, einschränken, weil sie mit den eigenen Klarheiten nicht übereinstimmen. 6. Ein guter Zuhörer empfängt gerne die Paradoxien der Gedanken und der Kommunikation. 7. Er bewältigt Unstimmigkeiten als Gelegenheiten, um sich im kreativen Umgang mit Konflikten zu üben. Um Experte in der Kunst des Zuhörens zu werden, musst du Humor als Methodik anwenden. Wenn du gelernt hast zuzuhören, kommt der Humor von selbst. - Buchtipp: M. Sclavi , Arte di ascoltare e mondi possibili

ckelt Gemeinsam eine Alternative, an die vorher keiner der beiden Parteien gedacht hat. „Wenn ich auch nur denke, dass der andere etwas falsch gemacht und mich verletzt hat, wird meine Energie und Kraft vom Verstehen abgelenkt und geht in die Richtung: Er hat mir weh getan und verdient Strafe.“  G - Mehr erfährst du in den Büchern von Marshall B. Rosenberg.

Themenheft 2014 / 2015  35


OPERATION DAYWORK

DEIN

BEITRAG FÜR OD!

WAS KANN ICH ALS SCHÜLER/IN MACHEN? Unter www. operationdaywork. org findest du sämtliche Informationen zu Operation Daywork (OD), alle Materialien zu Sensibilisierungskampagne, Hinweise, wie du am OD-Aktionstag mitmachen kannst und und und. Mach mit bei der OD-Sensibilisierungskampagne von Februar bis März, erzähle deinen Lehrern von Operation Daywork und zeige ihnen die Bildungsmaterialien, die auf unserer Homepage zum Download bereitstehen. Wir organisieren an deiner Schule Workshops und einen Gästebesuch aus dem heurigen Projektland Albanien. Informiere deine Klasse und motiviere sie, teilzunehmen. Zudem kannst du im Mai 2015 an unserer OD-Vollversammlung teilnehmen, dort werden wir wieder Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) einladen, die ihre EZA-Projekte vorstellen. Du kannst uns dabei behilflich sein, ein neues EZA-Projekt auszuwählen, indem du deine Stimme abgibst. GRÜNDE DEINE OD-SCHULGRUPPE Jeder kann in seiner Schule eine OD-Schulgruppe bilden, die dem OD-Ausschuss und der OD-Koordinatorin helfen soll, Operation Daywork in deiner Oberschule zu tragen. Welche Konkreten Aufgaben übernimmt die Schulgruppe? Du kannst OD in deiner Oberschule populär machen, die Lehrpersonen, Schülerinnen, und Schüler für den Aktionstag am 24. April 2015 begeisten. MACH MIT Beim OD- AKTIONSTAG AM 24. APRIL 2015 Auch heuer findet wieder der OD-Aktionstag statt, an dem Schüler und Schülerinnen freiwillig für einen Tag die Schulbank gegen einen Arbeitsplatz tauschen. Der Spendenvorschlag von 41 € fließt in das heurige EZA-Projekt „WAVES – Women Against Violence in Shkodër Region.“ Suche dir dazu am besten eine Arbeit! Wo? Frag am besten jeden den du kennst, oder suche im Telefonbuch nach möglichen Arbeitsgebern und rufe an. Deiner Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Solltest du keine Arbeit finden, helfen wir dir gerne dabei. Auf unserer OD Homepage findest du in unsrer Online Job-Börse verschiedene Arbeitsplätze, die noch zur Verfügung stehen! Trage dich einfach dort ein! WICHTIG!!! Alle die am Aktionstag teilnehmen, müssen sich in unserer Job-Börse eintragen! Tust du das nicht, kannst du leider nicht teilnehmen. Ein Dokument, das alle Informationen über unsere Initiative und die „Arbeitsvereinbarung“ enthält und mit dem du dich bei einem Arbeitgeber bewerben kannst, findest du im Netz. WIE KANN ICH MICH NACH DER MATURA BEI OPERATION DAYWORK EINBRINGEN? Freiwillige gesucht für den Projektzyklus 2015/16: Im Mai 2015, wird bei der nächsten OD-Vollversammlung, ein EZA-Projekt ausgewählt, das wir im kommenden Jahr unterstützen werden. Falls du daran interessiert bist mitzuweiken, die Oberschule aber schon abgeschlossen hast, kannst du dich bei uns als Freiwilliger bewerben. Bewirb dich einfach unter info@operationdaywork. org!

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WAS ERWARTET DICH bei der Freiwilligen Mitarbeit? Im Sommer 2015 wird eine dreiwöchige Projektreise ins Projektland stattfinden, die Koordinatorin, die Campaign-Managerin und zwei Freiwillige werden sich die Situation und das EZA-Projekt vor Ort genauer anschauen. Ihre Erfahrungen und Eindrücke der Projektreise werden sie in Bildungsmaterialien umwandeln, die dann für die Sensibilisierungskampagne in den Südtiroler Oberschulen gebraucht werden. Als Freiwilliger/als Freiwillige kannst du aktiv an der Sensibilisierungskampagne in den Südtiroler Oberschulen teilnehmen und sie koordinieren. Du bist aber nicht verpflichtet an der Projektreise und an der Sensibilisierungskampagne teilzunehmen, du kannst dich in den verschiedenen Bereichen einbringen, die dir liegen, z. B. Pressearbeit, Arbeit in Jugendzentren, Grafik-Arbeiten, Eventorganisation, usw, Egal welches Talent du hast, schlage uns deine Idee vor und du kannst diese als Freiwilliger/als Freiwillige bei OD umsetzen.

Wichtige Rechtliche Aspekte ^^ Mit der Tätigkeit von Schülern und Schülerinnen am Aktionstag entsteht kein Arbeitsverhältnis, da die Tätigkeit eine unterrichtsbegleitende Maßnahme darstellt. ^^ Jugendliche, welche am Aktionstag das 15. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, dürfen nur bei Privaten tätig werden. Falls du niemanden findest, frag in deinem Jugenzentrum nach, ob sie sich am Aktionstag beteiligen und ob du dort mithelfen kannst. ^^ Die Schüler und Schülerinnen sind über die Schülerunfallversicherung des Landes auf der Hin- und Rückfahrt und während des Aktionstages unfallversichert. ^^ Bei „Assicurazioni Spa“ wird zusätzlich eine Haftpflichtversicherung mit einer Haftungsbegrenzung abgeschlossen. ^^ Weitere Informationen zum Aktionstag findest du auf der Homepage www. operationdaywork. org. Du kannst dich auch gerne per E-Mail an unsere Koordinatorin Evelyn wenden: evelyn@operationdaywork. org


OPERATION DAYWORK-INTERNATIONAL

] SAME steht für Solidarity Action Day Movement in Europe. SAME steht jedoch auch für „Mit meinen Ideen Sachen verändern.“ SAME steht für „Wir machen uns die Hände schmutzig.“ SAME steht für „WIR.“ SAME steht für Veränderung, Jugend-Aktivismus, Freundschaft und Power. SAME ist ein Netzwerk von verschiedenen europäischen Organisationen, die jedes Jahr einen Aktionstag veranstalten an dem Schüler die Schulbank gegen einen Arbeitsplatz tauschen und damit verschiedene Projekte und Organisationen in der ganzen Welt unterstützen. Alle Organisationen, die Teil von SAME sind, bestehen hauptsächlich aus Jugendlichen und beschäftigen sich mit Themen der Entwicklungszusammenarbeit, mit Menschenrechten und Nachhaltigkeit. Das Network vereint Jugendliche aus ganz Europa und regt weltweit Jugendliche an, zusammen für eine nachhaltige und faire Welt zu arbeiten. SAME spornt Jugendliche an, sich auszutauschen und voneinander zu lernen mit dem Ziel, ihren Sinn für soziale, ökologische und ökonomische Verantwortung zu stärken und ein aktiver Bürger zu werden. Die Jugendlichen von Operation Daywork sind ein aktiver Teil dieses Netzwerkes. Wir arbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen mit und sind auch im europäischen Koordinations- Ausschuss von SAME vertreten. Wir tauschen uns regelmäßig mit den Mitgliedern aus den andern Ländern aus und arbeiten zusammen an der Verbesserung unserer Arbeit. Unterm Jahr treffen sich die Mitglieder der verschiedenen Arbeitsgruppen und der europäische Koordinations- Ausschuss in einer europäischen Stadt, um an den jeweiligen Projekten zu arbeiten. Im Sommer findet das einwöchige Sommer-Camp statt, wo sich alle SAME-Mitglieder treffen und intensiv zusammenarbeiten.   G Du findest die Arbeit von SAME super und möchtest dich selbst daran beteiligen? Dann melde dich bei uns und trete unserer „OD International“-Gruppe bei!

Themenheft 2014 / 2015  37


A

GEZIM HADJARI

DALLA RACCOLTA POETICA OMBRA DI CANE

Partiamo di notte, dimenticando che siamo ciechi, per raggiungere un territorio nudo del quale ha bisogno la nostra voce. Andiamo al mare per parlare e lanciare sassi controvento.

Mit leiser Stimme, weinend Ismail Kadare, 1970

Mit leiser Stimme, weinend, sagtest du, Ich hätt wie eine Hure dich behandelt. Was kümmerten mich damals deine Tränen, Ich liebte dich und wusste nichts davon.

Bis plötzlich eines Morgens beim Erwachen Die Welt mir ohne dich ganz leer erschien Und ich begriff, was ich verloren hatte. Doch was gewonnen, das begriff ich auch.

Smaragden funkelte mein Kummer Und wolkenschwer umgraute mich das Glück. Es fiel mir schwer, mich zu entscheiden, Weil eins doch schöner als das andre war.

Denn diese Kollektion von Schmuck war so beschaffen, Dass sie zugleich mit Licht und Dunkel warb, Die Gier nach Leben hundertfach vermehrte, Und hundertfach den Tod beschwor.

Irrenhaus mit offenen Türen Mimoza Ahmeti

Ihr geht weg, entfernt euch, verlasst uns und denkt: "Für immer!" Aus dem, was euer ist, unser, aus unserm irrenhaus. Unsere anstalt, so rührend, so edel, zerschlissen die schädel.

O meine teuren verrückten, ich hab euch so lieb, obwohl ich nie mit euch rede. obwohl ihr nie mit mir redet, und ich euch nicht ertrage, und ihr mich auch nicht ertragt. Das ist das ritual: wie schauen uns nicht in die augen, es soll ja kein hass sein, das ist dann ein grund, sich bis zum wahnsinn zu lieben, exaltiert zu lächeln, während über unsere wangen die tränen laufen, die tränen.

Meine leidensgenossen, die ihr in die fremde euch absetzt, aus unserm einheitsirrenhaus, den blick fest gerichtet auf eine einzige idee, ja, eine einzige idee, noch nie gesehen, noch nirgends entdeckt, ich weiß nicht, ob man sie je findet.

Zerstreut euch, haut ab, verschwindet in länder und staaten, ganz gleich ... Oh, was für ein geschrei gellt durch unser irrenhaus, wenn die sonne im westen vergeht, wenn die sehnsucht es packt nach den kindern im Westen ...

Welch ein kummer! Putzbröcklige mauern ... Mauern, die dauernd den horizont begrenzen, den himmel darüber endlos machen.

Ruhe ...

Mauern und tore offen, hinauszugehen, wegzugehen ... Warum leb ich und sterb nicht, da ich verrückt bin und weiß es genau?

Nach mitternacht, wenn die seufzer enden, spricht jemand sich selber an: Na ja, dem albaner, egal, wo er ist, genügt der eigene wahn ...

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NEL MIO PAESE SVENTOLANO OVUNQUE BANDIERE DI UNA TRISTE MALINCONIA E NESSUNO PUÒ DIRE CHE QUI UN POPOLO VIVE CHE QUALCOSA DI NUOVO STA COSTRUENDO SULLA SOGLIA DI OGNI CASA DOVE UN SEGNO DI VITA APPARE SVENTOLA UNA BANDIERA DI TRISTE MALINCONIA vevo compiuto dieci anni in quella lontana primavera, quando ci portarono in fila allo stadio della città. Dovevamo assistere all’impiccagione di un giovane. Così ci dissero quella mattina, nella scuola di campagna. Il condannato era un poeta
che scriveva versi. «É per il bene delle vittorie!» - ci dicevano le maestre (…) Mi si è congelato il sangue quando il boia tirò la corda, spegnendo per sempre lo sguardo dolce del poeta (…) La sera tornammo nel villaggio senza voltarci indietro. I nostri volti divennero gelidi, oscuri come il fango. Non ho chiuso occhio quella notte, accecato dal crimine. Un profondo abisso si era aperto sul mio corpo sgomento. Come un’eco mi segue negli anni la voce del poeta, mentre recita i suoi versi con il cappio stretto al collo.

Luisa Gnecchi (Hg.) 2008: „da-zwischen“ Ausländerinnen in Südtirol und im Trentino; S.79

Frau. Nationalität: Albanisch Notiere. Akademikerin, Englisch fließend, Italienisch ausreichend. Eingewandert vor zwei Jahren, verheiratet seit vier Jahren. Notiere. Derzeitige Arbeit: Reinigungsdienst. Vorherige: Lehrerin in Albanien. Miete 40 m2 700 Euro monatlich. Ehegatte Reinigungsdienst natürlich. Einkommen zu zweit 1200 Aufenthaltsgenehmigung Verfällt. Verlängerung bleibt abzuwarten. Abreise verschoben. Schwanger im zweiten Monat. Schöne Erwartung?

WAR TEN

THE LANGUAGE OF ART

Migjeni, sulla città di Shkodër Piove sempre in questo Paese. Forse perché sono straniero.


Mit leiser Stimme, weinend

Mit leiser Stimme, weinend, sagtest du, Ich hätt wie eine Hure dich behandelt. Was kümmerten mich damals deine Tränen, Ich liebte dich und wusste nichts davon.

Bis plötzlich eines Morgens beim Erwachen Die Welt mir ohne dich ganz leer erschien Und ich begriff, was ich verloren hatte. Doch was gewonnen, das begriff ich auch.

Smaragden funkelte mein Kummer Und wolkenschwer umgraute mich das Glück. Es fiel mir schwer, mich zu entscheiden, Weil eins doch schöner als das andre war.

Denn diese Kollektion von Schmuck war so beschaffen, Dass sie zugleich mit Licht und Dunkel warb, Die Gier nach Leben hundertfach vermehrte, Und hundertfach den Tod beschwor.

Ismail Kadare, 1970

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A

rriva in una mattina di settembre, in un’arsa stagione dove le piogge tardano a venire. È vestita tutta di rosso. Come il sangue. (…) La suocera le mette due pagnotte sotto le braccia, poi la spinge dentro casa. Le pagnotte simbolo della prosperità. (…) Il marito non la guarda nemmeno. Avrà tempo di guardarla per tutta la vita. “Questo uccello spennacchiato è la sorte di mio figlio” dice la suocera “Eh il secondo sole non scalda mai come il primo” risponde una vecchia. E' il secondo matrimonio di Omer. Il primo sole è stato spento tanti anni fa. La sposa morta era la sorella di Saba. Morta di parto.[...] Oggi Saba arriva con il suo vestito da sposa. Piange sotto il velo. Nessuno la vede. Ha solo quindici anni, i fianchi stretti, gli zigomi alti e il viso pallido. Ha quell'aria assente che di solito hanno le donne sottili. (…) Quando Omer entra nella stanza nuziale Saba lo sta aspettando in piedi, coperta dal velo rosso che lui deve togliere, come vuole la tradizione. Ma Omer ubriaco com'è, non si rende conto della presenza. E' abituato a dormire da solo, con la sua bottiglia e i suoi incubi. (…) ROSSO COME UNA SPOSA ANILDA IBRAHIMI, 2008

e delle sue finalità. mente e rifletterà sul valore della guerra a movimenti artistici impegnati politicaMilano. Qui nel dopoguerra prende parte Italia: prima a Bari, poi a Roma, infine a Durazzo con alcuni compagni, sbarca in famiglia di religione islamica. Salpato da albanese nato ad Ishmi nel 1918 da una Shaban Likmetaj Kodra, pittore d'origine Queste illustrazioni sono opera di Ibrahim VORWORT


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