16 | BOLD THE MAGAZINE
Schwerpunkt | Kreativität | european school of design
BOLD THE MAGAZINE | 17
Ideen entstehen im Kopf nicht im Computer Autorin: N. Saadi
Die European School of Design in
„Bislang ist die Kampagne nur imaginär,
muth und wird ernst. „Das unterscheidet
Frankfurt räumt Nachwuchspreise ab
aber wenn sie gut ankommt, werde ich
uns von anderen Schulen, die oft viel
und verblüfft die Kreativszene mit
sie wirklich umsetzen.“ Tatsächlich steht
zu schnell mit Ausarbeitungen loslegen
originellen Arbeiten. Auf dem Lehr-
der Student bereits in Kontakt mit dem
wollen.“ Die Studierenden der European
plan der Akademie steht die syste-
Kinderschutzbund und der Direktion
School of Design müssen ihre Einfälle
matische Entwicklung guter Ideen an
seiner alten Schule. Gerade gestaltet er
zunächst grob skizzieren. Pro Semester
oberster Stelle.
Schulungsmaterialien zum Thema, die
macht jeder bis zu fünfzig Ideenskizzen,
parallel zur Aktion in den Klassen verteilt
die dann im Unterricht besprochen und
Eine Schultoilette. Kotzgeräusche dringen
werden sollen. Auf dem Cover: ein junges
fast immer verworfen werden. Wilder-
aus der Kabine. An einer verschlos-
Mädchen, das mit dem Kopf über der
muths trockenes „gabs schon“ ist der
senen Klotür haftet ein Aufkleber mit
Toilettenschüssel hängt.
Todesstoß für eine Idee. Dann heißt es weiterscribblen, so lange, bis sie endlich
der Aufschrift: „Nur noch einmal Kotzen bis zum Tod!“ Die hereinkommenden
„In den Konzeptionskursen geht mindes-
kommt – die gute und vor allem auch
Schüler bleiben stehen, gucken irritiert
tens die Hälfte des Semesters für die
neue Idee. „Die erste Idee ist eben fast
und unterhalten sich lebhaft über Slogan
Ideenentwicklung drauf“, erklärt Detlef
nie die beste. Meist haben sie schon viele
und Brechgeräusche. So zumindest stellt
Wildermuth, der die European School of
andere vor dir gehabt“ sagt Wildermuth
sich David Apel seine Kampagne vor.
Design gemeinsam mit Ralph Thamm
mit Nachdruck. „Eine Idee ist letztend-
leitet. Beide sind seit über zwanzig Jahren
lich nichts anderes als die Lösung eines
Apel studiert im sechsten Semester an
in der Werbung tätig und gewannen
Problems. Dadurch, dass wir uns intensiv
der European School of Design, einer
höchste Auszeichnungen ihrer Branche.
mit dem Problem beschäftigen und tief
privaten Akademie, die ihre Studierenden
Wildermuth trägt eine schwarze Jeans
in die Materie eintauchen, sucht das
zu Kommunikationsdesignern ausbildet.
und ein leicht zerknittertes Streifenhemd.
Gehirn – auch in vermeintlichen Ruhe-
Dieses Halbjahr soll er das Thema Essstö-
Die blonden kurzen Haare stehen spike-
phasen – weiter nach Lösungen. Und
rungen im Fach „Konzeption/Ideenent-
artig ab. Seine blauen Augen lachen
wenn man schon glaubt, einem fällt
wicklung“ umsetzen. „Laut einer Studie
und strahlen vor Begeisterung. Offen-
nichts mehr ein, dann kommen sie
leidet jedes dritte Mädchen im Alter
sichtlich macht er ihm Spaß, der Job als
doch noch, die neuen Ideen.“ Um den
zwischen 10 und 17 Jahren an einer
lässiger Schulleiter mit strengen Anfor-
Studenten auf die Sprünge zu helfen,
Form von Essstörung. Diese Menschen
derungen. „Bei uns steht die gute Idee
unterrichtet die Schule Techniken, die
erreichst du am besten an den Schulen“,
an erster Stelle – die Umsetzung ist ihr
die Kreativität systematisch hervorkitzeln
erklärt der 24-Jährige seinen Ansatz.
deutlich untergeordnet“, sagt Wilder-
sollen. Durch Brainstormen, Assoziieren ..
18 | BOLD THE MAGAZINE
Schwerpunkt | Kreativität | european school of design
Schwerpunkt | Kreativität | european school of design
BOLD THE MAGAZINE | 19
oder Vergleichen kommen die grauen
Ein „Alptraumfernseher“ zeigte aktuelle
Zellen auf Trab. „Ideen entstehen im Kopf,
nervtötende Werbung in Endlosschleife,
nicht im Computer“. sagt Wildermuth. „In
die „Notdusche“ enthielt giftgrüne Seife
der Konzeptionsphase sind Computer
in einer Spritze. Bierernst geht es an
bei uns in den Seminaren gar nicht zuge-
dieser Schule nicht zu, man ahnt es
lassen.“
schon. Trotzdem ist Kreativität harte Arbeit. Fünfzig Stunden die Woche und
Die Methode zeigt Wirkung: Die Euro-
mehr sitzen die Studierenden an ihren
pean School of Design gehört zu den
Werken, animieren Filme, verfremden
kreativsten Designschulen der Repu-
Fotos, gestalten Schriften oder orga-
blik. Gradmesser sind dabei die regi-
nisieren
onalen
Nachwuchs-
gibt es Preise – oder die Aufmerksam-
preise, die die Hochschule im großen
keit der Medien. Letztere erreichte
Stil absahnt. Bis zur Präsentation nach
eine Kampagne, die die Studierenden
Paris schaffte es ein Kampagnenent-
2009 für die Hilfsorganisation Pro Asyl
wurf, für das neue BlackBerry Touch-
entwickelt hatten: „Pro Asyl wollte eigent-
phone. „Berührung, die bewegt“ erzählte
lich nur ein Plakat zum ‚Internationalen
anhand von Motiven aus Fingerabdrü-
Tag des Flüchtlings‘ von uns. Wir aber
cken eine animierte Liebesgeschichte.
sagten, ihr braucht eine Kampagne, die
Begleitet wurde sie von Apps, Printan-
die öffentliche Aufmerksamkeit erregt“,
zeigen und Augmented Reality-Anwen-
erinnert sich Wildermuth. Stellvertretend
dungen. Das Werk gewann den silbernen
für die vielen Flüchtlinge, die auf ihrem
GWA Junior Award und Bronze beim ADC.
Weg nach Europa im Mittelmeer oder
Lisa Wiedemann holte dieses Jahr sogar
auf dem Atlantischen Ozean ertrinken,
Gold beim ADC-Nachwuchswettbewerb.
fotografierten sich die Studierenden als
Die 23-Jährige entwickelte eine Bedie-
Wasserleichen. Dabei trugen sie Schilder
nungsanleitung zur Autowartung für
wie „Ertrunken vor Malta“ oder „Ertrunken
technisch Unbedarfte – vom Erklär-Falt-
vor Gibraltar“ auf dem Rücken. Die
plakat bis zur Ölwechsel-App. Schon
lebensgroßen Motive druckten sie auf
beim letzten Festival des Art Director
Styropor, schnitten sie aus und warfen
Club verursachte die European School of
die symbolischen Leichen in den Main.
Design preisgekrönten Wirbel: Die Frank-
„Viele Zeitungen und selbst das Fern-
furter beherbergten Studierende von
sehen haben über die Aktion berichtet“,
Kommunikationsschulen
anderen
erzählt Wildermuth. „Hier hat eine gute
Städten und verwandelten ihre Schule
Idee die Organisation groß in die Öffent-
kurzerhand in ein „KreativLazarett“, das
lichkeit gebracht.“
und
nationalen
aus
Shootings.
Zur
Belohnung
ADC-Bronze:
David präsentiert Ideen für seine „Kotz“-Aktion
mit
„KreativLazarett“
an Schulen zum Thema Essstörungen.
zeichnet wurde. Über den Feldbetten
Nicht weniger Beachtung fand das
des studentischen Notlagers hingen
Siegermotiv eines Plakatwettbewerbs,
Bilder mit Ikonen der Kreativbranche.
das eine Gruppe der European School .
dem
ADC-Bronze-Nagel
ausge-
20 | BOLD THE MAGAZINE
Mit Zivilcourage haben die Studenten der European School of Design den MKN-Nachwuchspreis gewonnen.
BOLD THE MAGAZINE | 21
22 | BOLD THE MAGAZINE
Schwerpunkt | Kreativität | european school of design
of Design entwickelt hatte: Typisch deut-
mit Medien“ machen, wollen viele. Aktuell
sche Gartenzwerge trafen auf ihre eigens
arbeiten mehr Menschen im Kultur- und
modellierten
Schwerpunkt | Kreativität | european school of design
BOLD THE MAGAZINE | 23
anderen
Kreativsektor als in der Autoindustrie. Die
Der eigene Illustrations-Stil aus Fingerabdrücken,
Kulturen. Gemeinsam formierten sie sich
Branche gehört zu den umsatzstärksten
für die BlackBerry-Kampagne: „Berührung, die bewegt“,
zu einer fröhlich tanzenden Multi-Kulti-
der deutschen Wirtschaft. Die Absol-
wurde mit Silber beim GWA Junior Award und Bronze
Runde. Das Plakat, das für die „Interkultu-
venten der European School of Design
beim ADC Junior belohnt.
relle Woche“ warb, hing in ganz Deutsch-
haben trotz hoher Konkurrenz gute
land aus. „Das Motiv war sogar Thema
Aussichten: „Top-Agenturen rufen bei uns
beim Wort zum Sonntag“, erinnert sich
an und sagen: So gute Mappen haben
Thamm, der zweite Schulleiter, lachend.
wir seit Jahren nicht mehr gesehen.
„Hey – was sind schon Auszeichnungen
Könnt ihr uns noch mehr von euren
in Cannes oder auf dem ADC. Wir waren
Studis schicken“, erzählt Wildermuth
beim Wort zum Sonntag!“
nicht ohne Stolz. Einige seiner Schütz-
Pendants
aus
linge haben beim Pflichtpraktikum vor Geld verlangt die Schule nicht für die
der Abschlussprüfung schon den festen
echten Kampagnen, die sie hauptsäch-
Arbeitsvertrag in der Tasche.
lich für Non-Profit-Organisationen entwickelt. Dafür üben die Studierenden den
Die Idee zur eigenen Designschule entwi-
gängigen Prozess, den sie später für ihren
ckelten Wildermuth und Thamm vor allem
kreativen Berufsalltag brauchen: Brain-
durch unbefriedigende Erfahrungen im
stormen, vor dem Kunden präsentieren,
Lehrbetrieb. Bis vor sechs Jahren unter-
Ideen verkaufen und unter Zeitdruck
richteten sie noch an anderen Akade-
umsetzen – oder auch Enttäuschungen
mien und merkten schnell, was dort zu
verkraften, wenn die Dinge nicht so
kurz kam: Die Entwicklung von kraft-
klappen. Grau ist alle Theorie, und so
vollen Ideen und der lebendige Bezug
achten Wildermuth und Thamm auf eine
zur Praxis. Studenten bedrängten die
enge Verzahnung von Schule und Praxis.
zwei Kreativrebellen, doch bitte ihre
Das gilt auch für die Lehrenden selbst:
eigene Akademie zu gründen. „Was für
„Alle unsere Dozenten stehen im Berufs-
eine Schnapsidee“, dachten die beiden.
leben, das ist Voraussetzung“, erklären die
„Die Pleite ist vorprogrammiert“ unkten
Beiden. „Um den Studierenden wirklich
andere. Im Sommer 2007 riefen sie dann
etwas beibringen zu können, müssen wir
beim staatlichen Schulamt an: „Guten Tag.
im Job stehen. Sonst bekommen wir die
Wir möchten eine Schule eröffnen.“
rasanten Entwicklungen in der Kommunikationsbranche nicht mehr mit.“ Regelmäßig laden die beiden Schulleiter Kreative ein. Marketingchefs, Art Direk-
Link zum Thema:
toren oder Regisseure plaudern aus dem Nähkästchen, um dem Nachwuchs ihr Berufsleben näher zu bringen. „Irgendwas
www.europeanschoolofdesign.eu