Handbuch zur sozialistischen Gestaltung

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„Der Sozialismus bietet die Gewähr, dass die Menschen sich ihr Leben in Zweckmäßigkeit und Schönheit einrichten können“. Martin Kelm Eine „Non-Profit-Gesellschaft“ ver­ langte Sparsamkeit in allen Lebens­ bereichen. Generell war das Ziel, dass Produkte und Erzeugnisse jeglicher Art so konzipiert wurden, dass sie dem Verbraucher noch lange erhalten geblieben und ein fester Bestandteil des Alltags und des Haushaltes geworden sind. Der Bezug vom Verbraucher zum Produkt erhielt somit eine neue Dimension. Der bewusste Umgang und die Wertschätzung des eigenen Besitzes wurde gefördert. Bis heute findet man im heimischen Wohnzimmer Andenken und Erinnerungen an die Zeit von damals. Es gab keinen Überfluss in der DDR. Die Planwirtschaft reglementierte alle Sach- und Gebrauchsgüter. Daher musste vor allem bei der Erstellung von Druckerzeugnissen die mangelhafte Qualität der zur Ver­ fügung gestellten Materialien und bestehenden Techniken berück­ sichtigt und dementsprechend mit bewusster Sorgfalt vorgegangen werden. Neuanschaffungen waren zu teuer und mit hohem Zeitaufwand verbunden. Besonders der Werbeund Gestaltungsbereich litt unter der Planwirtschaft. Die Werbung in der Deutschen Demokratischen Republik galt als „Stiefkind“. Sie wurde geduldet, aber nicht ge­ fördert. Es galt sich mit den spär­ lichen Gegebenheiten zu arrangieren und trotzdem die erteilten Pro­ duktionsaufträge mit höchster Zufriedenheit und qualitativem Anspruch umzusetzen.

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Stiefkind Werbung Die Werbung in der Deutschen Demokratischen Republik fördert die Repräsentation des Staates. Sie ist geprägt von ihren politisch-ideologischen und kulturell-erzieherischen Leitsätzen und steht in engem Kontakt zum Volk. Sie formt und gestaltet das sozialistische Stadtbild. Werbung untersteht der Planwirtschaft und dient nicht vornehmlich der

Steigerung von Kaufkraft. Denn wo zugeteilt und nicht verkauft wird, braucht es auch keine Werbung im eigentlichen Sinne. Es gilt, sich von dem ka­ pitalistischen System des Westens abzugrenzen. Werbung ist Teil des Kapitalismus, der bekämpft werden muss. Finanzielle Förderung kommt der Intensivierung von Sozial- und Außenpolitik zugute.

* Wandzeitung = Pinnwand

Sprachbasar



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„Wozu brauchen wir die Kunst im politischen Plakat, das ohnehin schon schwierig genug zu machen ist? Weil es außerhalb der Kunst keine großen Wirkungsmöglich­ keiten gibt, die das politische Plakat im Sozialismus beabsichtigen kann.“ A. Bertram (Gebrauchsgrafiker) 2

politische Reklame Im Gegensatz zu anderen Werbereichen erhält die politische Werbung, auch Sichtagitation genannt, die größte Aufmerksamkeit und die höchsten finanziellen Zuschüsse. Das politische Plakat ist eine eingeplante Größe in der Vermittlung der Ideologie an das Volk und wird daher regelmäßig in das öffentliche Stadtbild integriert. Marxismus-Leninis-

mus, Treue zur Partei, die Liebe zum Vaterland, bedeutende Jahrestage und historische Ereignisse sind stetig präsente Themen und nach dem Prinzip der Anschaulichkeit durch einfache visuelle Mittel darzustellen. Es gilt das Staatsbewusstsein zu festigen. Die politische Idee des sozialen Rea­lismus muss durch das Medium transportiert

werden. Alle Aufträge unterstehen der Partei und werden angeleitet, kontrolliert und durch eine Genehmigungsnummer markiert. Leitende Funktio­ näre haben in der gestalterischen Lösung Mit­ spracherecht, um sicher zu stellen, dass das sozialistische Gedankengut ordnungsgemäß vermittelt wird und den Staat angemessen repräsentieren kann.



„Die Werbung ist nicht für den Kunden, sondern für den Staat.“ 3

B. Hanke (Gebrauchsgrafiker)

gesellschaftliche Reklame

3 Das Plakat muss von der sozialistischen Idee förmlich durchdrungen sein. Es übernimmt eine pä­ dagogische Aufgabe und soll so somit das soziale Engagement fördern. Arbeits- und Verkehrssicherheit sowie Gesundheitserziehung, kulturelles Leben, zweckmäßige Bekleidung, sinnvolle Freizeitgestaltung, sportliche Betätigung und Körperhygiene sollen dabei grundlegende The­matiken sein. Auch auf die sparsame Handhabung von Rohstoffen, Mate­ rialien und Ressourcen soll in dem gesellschaft­lichen Plakat hingewiesen werden. Nicht das einzelne Markenprodukt, sondern gemeinschaftliche Produktgruppen oder Handelsketten sollen beworben werden als Informationsplakate in Form einer allgemeinen Kundenorientierung und um das ökonomische Leistungs­spektrum des Landes zu präsentieren. Dabei muss das Interesse und das Bedürfnis vom Werktätigen ausgehen und die Qualität der Kombinate unterstrichen werden. * Sichtelement = Plakat Sprachbasar




Werbung sollte weder glamourös, exotisch noch schrill wie in der Bun­ desrepublik sein. Im Gegenteil. Sie sollte eine reduzierte, natürliche, schlichte und bescheidene Anmutung haben. Die Aussage musste knapp und treffend formuliert und im je­ weiligen Medium bildnerisch umgesetzt werden. Es galt eine klare Sprache zu sprechen und das Bestehende zu bestätigen. Das Bildmotiv sollte die Wirklichkeit nicht verfälschen und dem sozialen Realismus nicht widersprechen. Deshalb durften die Bildmotive nicht zur reinen reduzierten, formalistischen Ausdrucksweise neigen, sonst entzog es sich der gesellschaftlichen Kon­ trolle, da reiner Formalismus im Sozialismus für den individualis­ tischen Gedanken steht, den es zu unterbinden galt. Formalismus musste demnach von der Ideologie gestützt werden können. Aber nur über das sinnliche Begreifen formaler Elemente, erlebte man das „Schöne“. Schön war, was eine reine, klare und nicht inhaltsbezogene Form hat. Die Form war kostbar, weil man ihnen nicht mit Leichtigkeit und Flüchtigkeit begegnen konnte. Diese Hürde musste gekonnt überwunden werden, da das jeweilige Werbemittel immer mit der sozialistischen Idee des Realismus gekoppelt sein musste. Aber die propagierte Fiktion entsprach nicht immer der erfahrenen Realität. Die Plakatkünstler sollten den Widerspruch zwischen Abbild und Wirk­ lichkeit lösen. Dies gelang aber selten, da die Obrigkeit eher in die Zukunft versprach und den positiven Weg des Sozialismus lobte, als sich mit aktuellen Tagesgeschehnissen auseinanderzusetzen. Anders als für das Konsumplakat (auch Eindruckplakat) standen für das politische und gesellschaftliche Plakat die besten Ressourcen für die Herstellung, wie Hochglanzpapier und Vierfarbdruck zur Verfügung. Schätzungsweise die Hälfte aller Plakate in der DDR waren politische Plakate.



inscriptio subscriptio subscriptio

67-P/BA-8-HZSG-130916-1


Hochformat Hochformat

Information inscriptio = Überschrift subscriptio = Unterschrift

handgeschriebene Typografie — präzise Beschreibung der darzustellenden Thematik

Fläche 67% einer Seite müssen bedruckt werden, sonst gilt es als Papierverschwendung

Papier Papier ist holzhaltig, ungebleicht und ungestrichen und daher vergilbt

Technik picture = Bildgegenstand — Schablone | Collage | Montage | Zeichen | Symbolik | Formenspiele — Blitzer durch Verschiebung im Druck

Farbe Farbe ist zurückhaltend und stark verdünnt — Papier wird sichtbar — Transparenzeffekt

Information + Fläche + Papier + Technik + Farbe Gestaltung = Nummer Genehmigungsnummer


Gebrauchsanweisung SchwarzweiĂ&#x;Negativfilm ORWO NP22, 1985



Samstag Mai 4 2013

Sonntag Mai 5 2013

Sonntag Juli 21 2013

Salomon 13 sonnig (Goerlitz)

Kroel 6 heiter (Goerlitz)

Bach 8 bewoelkt (Dresden) Experiment mit Schwarzweiร -Negativfilm ORWO NP22, Ablaufdatum 1992 mit unterschiedlichen Blendenรถffnungen und Belichtungszeiten laut Anleitung


Für eine natürliche, und wirklichkeitsgetreue Abbildung steht das Medium Fotografie. Aber der Einsatz von Fotografie war teuer und mit hohem Zeitaufwand verbunden. Die Entwicklung von Farbfilmen dauerte bis zu zwölf Monate. Gute Motivideen mussten deshalb so geplant werden, dass sie mittels pro­ visorischer Hilfsmittel umgesetzt werden konnten. Da auch keine Räumlichkeiten zur Verfügung standen, wurde das hei­ mische Wohnzimmer meist zum Fotostudio umfunktioniert. Auch entsprechende Lichttechnik fehlte, sodass mindestens eine halbe Sekunde Be­ lichtungszeit ein­ kalkuliert werden musste. Dies wirkte sich auch auf die Natürlichkeit in der Foto­ grafie aus. Egal ob bei der Gestaltung mit Farbflächen oder Lichtbildern gearbeitet wurde, es musste immer das Druckergebnis mit einkal­ kuliert werden, denn Technik, Farbe und Papier standen entweder kaum oder in min­ derwertiger Qualität zur Verfügung.



Montag Mai 6 2013 Michelangelo 1 bewoelkt (Dresden) ½ sek 11

* ArbeiterschlieĂ&#x;fach = Plattenbauwohnung Sprachbasar



„Der individualisierende Effekt des Markenzeichens.“ Neue Werbung, 1986 (Fachzeitschrift)

Kennzeichen

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Bild- und Warenzeichen sind fester Bestandteil in der sozialistischen Wirtschaft und Gesellschaft. So sollen sie nicht nur als Leit- und Orientierungssystem in Warenhäusern und Verkaufshallen gelten, sondern auch als Vertreter und Kennzeichen für Betriebe, Dienstleistungen und Waren und deren Qualität stehen. Durch den Zusammenschluss gleichartiger Betriebe zu Kombinaten besteht ein besonderer Anspruch bei der Erstellung von Warenzeichen. Jedes Unternehmen bedarf eines eigenen Zeichens. Diese dürfen aber nicht konkurrieren, sondern müssen miteinander harmonieren. Sinn und Zweck müssen in der Darstellung berücksichtigt werden. Das Bildzeichen soll vor allem zeitlos sein, sich keinem Trend unterwerfen, da eine Neuge­staltung Kosten verursacht. Es muss prägnant und visuell wiedererkennbar sein, um eine sofortige Assoziation zum Betrieb oder zur Ware aufbauen zu können. Somit kann ein direkter und sofortiger Einfluss auf das Verhalten des Einzelnen genommen werden.

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Der Bezug von Bildzeichen zu der eigentlichen Sache war sehr stark ausgeprägt, fast sogar buchstäblich. So stand das „Buch“ für den Verlag oder der „Schornstein“ für die Industrie. Aufgabe des Zeichens war es, sich durch die visuelle Eindeutigkeit im Bewusstsein des Bürgers festzusetzen. Den Bildzeichen der DDR ist ein verblüffend geringer Grad an Abstraktion eigen. Deshalb hatten sie einen hohen Wiedererkennungswert, funktionierten auch ohne Anfügung einer Wortmarke und bestachen durch ihre individuelle formale Geschlossenheit. Wahrscheinlich sollten sie auch deshalb ohne Wortmarke auskommen, da konkurrenzbezogene Werbeargumente, wie „modern“ oder „bestes“ unter staatlicher Führung verpönt waren. Bild- und Warenzeichen traten vor allem auf der Produktverpackung vermehrt auf. Eines für das volkseigene Kombinat, die dazugehörigen Produkte und deren auszeichnenden Qualitäten. Zum Teil entstand eine regelrechte Flut an Bildzeichen auf einer Produktverpackung.




„Die Verpackung soll nicht zum Verkauf unnützer Dinge verführen.“ Schönes Einheits Design Verpackungen thematisieren das Produkt und treten damit in eine Kommunikation zu den Verbrauchern. Hauptaufgabe der sozialistischen Reklame ist es, dem Verbraucher die Ware präzise, sachlich und wahrheitsgemäß zu benennen und zu beschreiben, sowie zu informieren, anzuleiten und über den Wert dessen zu unterrichten. Es soll keine direkte und persönliche Assoziation zum Einzelprodukt entstehen. Zudem soll ein direkter Bezug zum Hersteller aufgebaut werden. Bei der Gestaltung müssen die Warenzeichen der Kombinate und die vorgeschriebenen textlichen Bestandteile, wie Aufschrift, Bezeichnung, Warennummer, Ver­ wendungszweck, Vorteile, verwendete Rohstoffe, Preis und Hersteller geschickt untergebracht werden. Die Menge der angebotenen Waren legt die Planwirtschaft nach bestimmten Kennziffern und Kriterien fest. * auch Behelfsetikett = Etikett mit reduzierter grafischer Gestaltung, wenn es einen Engpass in der Etiketten­produktion gab Sprachbasar

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Handbuch der Werbung, 1968

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Unperfekt, glanzlos und improvisiert, aber dennoch menschlich, da fehlerhaft, übten die Verpackungen einen ästhetischen Reiz aus. Schale und Inhalt entwickelten eine neue Spannung und Identität, denn der Wert lag in den Dingen und deren Zweckmäßigkeit. Ein fast ausschließlich konstantes Warenangebot forderte eine konstante, einheitliche, schlichte und zeitlose Gestaltung durch klare Flächen- und Farbkompositionen, Kontraste und einfache Typografie. Durch optimale Flächenausnutzung konnte die mangelnde Papierqualität kaschiert werden. Sparsamkeit bedeutete nicht Minderwertigkeit, sondern minimaler Materialeinsatz mit maximaler Funktionsmöglichkeit. Verpackungen wurden so gefertigt, dass sie mehrfach oder anderweitig genutzt und optimal recycelt werden konnten und stärkten so das ökono­ mische Bewusstsein, keine Ressourcen zu verschwenden.




Stapelfenster

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Das Schaufenster ist das wichtigste Werbemittel im Einzelhandel. Die angebotene Ware präsentiert sich als selbstbewusster Vertreter ihrer Gattung der Öffentlichkeit. Das Produkt steht im Vordergrund und verbindet sachbezogene Information mit sozialistischer Lebensweise und -führung, um mehr Arbeitskraft und Freude im Leben zu gewinnen. Es dient als Visitenkarte des Einzelhandels und des produktproduzierenden Betriebes und ist somit Spiegelbild der Deutschen Demokratischen Republik.

„Im Mittelpunkt aller Verkaufs- und Werbemaßnahmen müssen die Ware oder Dienst­ leistung und die warenbezogenen Informationen, wie Erläuterung der Gebrauchs­ eigenschaften und Konsumptionsnutzens stehen.“ Verkaufs- und Werbelehre

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Das Schaufenster im sozialistischen Stadtbild wirkte wie aus einem Guss und war durchdrungen mit der sozialistischen Ideologie und po­ litischer Agitation, welche mittels selbstgebastelter Schilder dargestellt und unterstützt wurden. Schilder und Waren erhielten den gleichen Stellenwert. Durch das Hinzufügen von Klischeeobjekten aus den vier Jahreszeiten, selbstgefertigten Schaufensterfiguren, Papiervögeln oder Eierverpackungen wurden die ange­ priesenen Produkte aufgewertet und entsprechend in Szene gesetzt. Eine Befriedigung gleicher Bedürf­ nisse mit gleichen Mitteln. Das Schaufenster wirkte wie eine Nachstellung einer modernen Stadt­ architektur und erinnerte stark an den tristen und grauen Plattenbau. Die Warenserie wurde aufgereiht und symmetrisch gestapelt. Somit entstand der Eindruck einer ornamentalen, monumentalen Collage mit gleichen Waren. Wenn es an einem Produkt mangelte, wurde es an dieser Stelle durch ein weniger begehrtes oder überschüssiges Produkt (Laden­ hüter), wie Wurstwaren oder alkoho­ lische Getränke aufgefüllt.






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Typoart Schriften werden nur dann in Auftrag gegeben, Genau wie alle anderen Werbemaßnahmen und -mittel unterstehen auch Schriftgießereien staatlicher wenn sie für Unternehmen, Verlage und Werbemittel benötigt werden. Kontrolle. Im volkseigenen Betrieb werden die Schriften entworfen, gegossen und als wertvolles Kulturgut betrachtet. Die Gestaltung von Schriften ist eine gesellschaftliche Aufgabe und Verpflichtung, da sie den Zeitgeist wiederspiegelt.

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Auch bei der Erstellung von Schriften und dem Gießen von Lettern galt Sparsamkeit und Effektivität. Kriegszerstörungen und die aus der nach­ folgenden Teilung Deutschlands re­ sultierenden Schwierigkeiten wirkten sich besonders drastisch auf die Her­ stellung von Satzschriften aus. Blei­ lettern konnte man lange Zeit nur gegen Rückgabe von Altmetall anfer­ tigen. Der Kauf von Lizenzen und das eigene Produzieren von Schriften war teuer, da noch reichlich Repa­ rationsforderungen von Druckereiausrüstungen seitens der Sowjetunion ausstanden. Die Anforderungen an eine Schrift für Werbemittel und Literatur galten im Westen wie im Osten gleichermaßen, so dass westliche Schriften unter Um­ ständen imitiert werden mussten, was aber wenig Zuspruch unter den Typo­ graphen fand. Die meist unter der gleichen oder (leicht) abgewandelten Schriftbezeichnung entwickelten Typen bestachen zum Teil durch ihren sehr eigenstän­ digen Charakter (Publica und Super-Grotesk von Karl-Heinz Lange oder die Maxima von Gert Wunderlich) oder waren einfach nur „peinliche“ Nachahmungen (Timeless von Werner Schulze), welche sich aber auch im Nachhinein nicht unbedingt behaupten konnten. Viele Schriften wurden so gefertigt, dass sie als eigenständiger Vertreter ihres Werbemittels oder Printproduktes standen, wie die Minima von Karl-Heinz Lange, welche als platz­ sparende Typografie in sechs Punkt für Telefonbücher entwickelt wurde oder die Videtur für das DDR-Fernsehen von Axel Bertram. Alle entwickelten Schriften unterstanden der VEB Typoart, welche die Publikationskosten koordinierte und für die Verteilung der Schriften verantwortlich war, die die Unternehmen benötigten. Nach der Wieder­ vereinigung wurde die VEB Typoart von Karl Holzer, einem Werbefachmann, aufgekauft. Verfiel aber 1995 durch Desinteresse und mangelndes Engagement seinerseits. Viele der Schriften verschwanden und blieben lange Zeit unter Verschluss, wurden aber der Öffentlichkeit im Zuge von Nostalgie und Interesse am Erhalt wieder zugänglich gemacht.


TYPOART TYPOART

Times New Roman, 1931

Timeless, 1982

Stanley Morison

Werner Schulze

Optima, 1952

Publica, 1983

Hermann Zapf

Karl-Heinz Lange

Futura, 1927

Super-Grotesk, 1987

Paul Renner

Karl-Heinz Lange

Helvetica, 1957

Maxima, 1971

Max Miedinger

Gert Wunderlich

Minima, 1984 Karl-Heinz Lange



„Die Stadt muss als Handelsmetropole von Weltgeltung selbstverständlich ein modernes Gesicht haben, auch bei Nacht [...].“

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Leipziger Volkszeitung, 1955

Es ist nicht alles West was glänzt Leuchtreklame steht für die Repräsentation des Staates, dessen Propaganda und Wirtschaftszweige und das Spektrum kultureller Einrichtungen. Keine reiche Warenwelt soll propagiert, sondern die volkseigene Industriestärke des Landes angepriesen und gelobt werden. Sie soll das sozialistische Stadtbild aufwerten und die Metropolen des Landes hervorheben.

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Das Land wollte bunt sein, jedoch ohne den leuchtenden, kapitalis­ tischen Westen zu kopieren. Es wollte der Welt zeigen, was es zu bieten hatte. Anders als in der Bundesrepublik galten die leuchtenden Schrift­ züge in der Deutschen Demokratischen Republik im Zusammenklang mit Straßenlicht als wohl durchdachte Dekoration, farbenfrohe Gestaltung und Aufwertung der Stadt. Die Herstellung der Leuchtreklame, ob durch indirekte Beleuchtung von Lettern oder leuchtende Konturen, setzte ein hohes Maß an Handwerk, Zeit und Kosten voraus. Deshalb musste vorher genau bedacht werden, ob die von der Obrigkeit in Auftrag gegebenen Großprojekte überhaupt umgesetzt werden konnten. Und auch die Pflege und Instandhaltung dieser Lichtan­ lagen war schwierig und teuer, sodass es durchaus vorkam, dass einzelne Lettern oder Objekte komplett aus­ fielen, was sinnentstellende Wörter oder Sätze zur Folge hatte.




VEB Schwer­maschinenbauKombinat Ernst Thälmann SKET Mauersberger Limbach-Oberfrohna und Molton MALIMO 9

Sprachbasar Poetische Klang- und Lautdichtungen bereichern den Wortschatz der Reklame. Das Interesse liegt in der Knappheit der Aussage. Somit bekommt der Konsument durch den Begriff präzise die Informationen mitgeteilt, welche von Belang sind. Durch die staatlich verordnete Informationspolitik des planwirtschaftlich Produzierten und dessen unmittelbaren Verkauf und Präsentation, wird eine schnelle Reaktion beim Generieren von Produktnamen verlangt.

* Muttiheft = ein Heft für Mitteilungen ** Jedermann auf jedem Tisch, mehrmals in der Woche Fisch *** Hühnerfleiß zum Sommerpreis/ Ei = rund und gesund

Spezialentwicklung SPEE VEB Chemiefaserkombinat Wilhelm Pieck DeDeR+on

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Der Wortschatz in der sozialistischen Werbung war eine lyrische Jonglage mit der deutschen Sprache. Geprägt durch Witz und Ironie und das unverkennbare Verdeutlichen des eigentlichen Sinn und Zweck. Die Wortgebilde stehen für Phantasie, Humor und Einfallsreichtum. Ein Lesen zwischen den Zeilen. Das, was durch Mangel in der Printproduktion geprägt war, konnte durch hörbare und verbale Sprachschöpfungen (Interjektionen) ausgeglichen werden. Dabei erwies sich die „Abkürzungsstrategie“ als geschickt und im Fazit auch als sehr wirkungsvoll. Monströse Namensgebilde, gespickt mit Politkern und/oder historischen Jahrestagen, für Be­ triebe und Firmen galt es zu vereinfachen. Wörter aus dem deutschen Sprachraum wurden zu neuen Formen verbunden und erhielten somit eine neue Bedeutung. Die Frau hatte eine große Bedeutung in der Werbung. Sie wurde in werb­ liche Aufgaben einbezogen um ihre Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu fördern. Daher galt es die Frau in den Werbewortschatz zu integrieren und zum Kauf spezifischer Produkte für den Haushalt zu ani­ mieren. Kurze Claims, Headlines und Slogans bereicherten zusätzlich die Reklamewelt. Um Überproduktionen gut vermarkten zu können, sollten diese durch kurze und gekonnte Aufforderungen und Binnenreime beworben werden. Um an technische Errungenschaften und industrielle Leistungen des Staates zu erinnern, sollten diese eng mit den Produkten verknüpft werden. Positive Einstellungen und persönliche Asso­ ziationen sollten erzeugt und in das Leben integriert werden. So wurde der Trabant zum ständigen und treuen Begleiter, Dederon zum Faden vollendeter Verlässlichkeit und Bellinda zur Partnerin in der Mode.


2008 betrugen die durchschnittlichen Konsumausgaben eines westdeutschen Haushaltes 32.439 Euro.

2008 betrugen die durchschnittlichen Konsumausgaben eines ostdeutschen Haushaltes 24.654 Euro.


Centrum Delikat Exquisit Konsum Vitamin­basar Filinchen Gutena Kathi Cama Marina Sahna Sonja Bero Costa Im Nu Immergut Mocca fix Mona Muckefuck Rondo Röstfein Suppina Bambina Komet Nudossi Pfeffi Zetti Broiler Griletta

Cabinet Casino Club Duett F6 Inka Jubilar Juwel 72 Karo Kenton Nora Puck Real Salem San Semper Sprachlos


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* Kosmos = Weltall ** Trabant = Himmelskรถrper, der einen Planeten auf einer festen Bahn umkreist


Welche Rolle übernimmt Werbung in einer antikapitalistischen Gesellschaft? Was passiert, wenn sie nicht absatzfördernd ist? Ist sie dann noch notwendig? Aufgabe der Werbung in der Deutschen Demokratischen Republik war es nicht den Bedarf zu wecken und Überfluss gewinnbringend zu verkaufen, sondern ein einheitliches konstantes Bild des Landes darzustellen. Die sozialistische Werbung steht als Corporate Identity und ist zugleich Abbild der Deutschen Demokratischen Republik nach außen. In ihr sind (unbefriedigte) Bedürfnisse, (unerreichte) Ziele, (unerfüllte) Wünsche und (fehlende) Trends abzulesen. Aus heutiger Sicht wirken die dama­ ligen Vorgaben des Staates über­ trieben und fast sogar lächerlich. Aber wie so oft macht die Not erfin­ derisch, denn trotz aller Einschränkungen und staatlicher Kontrollen gelang es den Gestaltern ein eigenes charakteristisches Gesicht ihrer Zeit herzustellen. Kein Aufwand wurde gescheut und Grauzonen im sozialistischem System geschickt ausgenutzt. Das einheitlich wirkende Grau des Sozialismus bekam Farbe. Da der Staat weder von Profit geprägt war, noch Konkurrenz zwischen Be­ trieben und den Einzelnen wollte und duldete, entstand auch kein Druck zwischen Unternehmen und Freischaffenden. Die Bevölkerung wurde darauf geschult, den Individualismus abzulegen und ein Kollektiv zu bilden.

Mitarbeiter wurden gleich fair behandelt und entlohnt. Die Gemeinschaft wurde gestärkt. So hatte man das Gefühl, dass alle Arbeiten mit besonderer Liebe, Sorgfalt und Geist gestaltet wurden. So gelang es eine eigene charakteristische Handwerkskunst aufzubauen ohne auf modernste Technik angewiesen zu sein. Mit dem Fall der Mauer wurde der Osten buchstäblich von den Herrlichkeiten des großen Bruders überrannt. Man war geblendet und eingenommen von dem schönen, bunten, glänzenden Westen. Die gestalterischen Leistungen von damals gerieten in Vergessenheit. Heute bestechen sie durch Anmut und Natürlichkeit, sind nicht verspielt aber spielerisch und trotzdem elegant mit eigener Handschrift versehen. Das gestalterische Bild der DDR ist in seiner Naivität und Einfachheit unerreicht und unverkennbar. ABBILDEN – HERVORHEBEN – BEWAHREN – KRITISIEREN


„Wenn der Strom heute weg wäre, könnte ich weiter arbeiten.“ B. Hanke


NB-ID/BA-8-HZSG-130826-1


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