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Neue Wildkatzennachweise in Österreich
Nach einer längeren Durststrecke ohne Wildkatzennachweise ging es mit den Meldungen gegen Ende 2019 steil bergauf. Zwei davon entpuppten sich nach genetischer Überprüfung als Wildkatzen, zahlreiche weitere wurden anhand von Fotos als wahrscheinliche Wildkatzen eingestuft. Und es geht weiter: Heuer gibt es bereits zahlreiche vielversprechende Fotofallenbilder – auch dank eines Kooperationsprojektes des | naturschutzbund | mit den Österreichischen Bundesforsten in der Wachau.
Die Europäische Wildkatze (Felis silvestris) Nachweise und Hinweise in Österreich seit 2003
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A B C D E F G H I J K C1 Sichere Nachweise/Wildkatze Feistritz an der Gail (2006) N ationalpark Thayatal (2007/08/09/13) P redlitz-Turrach (2008) Glanegg (2008) Weppersdorf (2010) Windschnurn (2012) W eißenkirchen in der Wachau (2013) Se e/Paznauntal (2013) A rnoldstein (2015) S chwallenbach (2019) R osegg (2019)
GRAFIK: PETER GERNGROSS, MAI 2020 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
C2 Bestätigter Hinweis: Phänotypische Wildkatze: B ad Großpertholz (2003) Si flitzgraben, Goldeck Nordhang (2012) Eisbach Rein bei Graz (2012) Feldpannalm (2013) Weißenkirchen, Wachau (2014) N eusiedl/See (2014) N ationalpark Thayatal (2014) W inklern im Mölltal (2015) A igen im Mühlkreis (2015) W indhaag (2016) M itterarnsdorf, Wachau (2016/17) S chwallenbach, Wachau (2017/18/19/20) Aggsbach Markt, Wachau (2017/18/19/20) Oberhöflein (2018) E bniter Tal (2018/19) F eistritz an der Gail (2019) A rnoldstein (2019) H ermagor (2019) STAND MAI 2020
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H
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9 10 1 Meldungen gesamt: 546
Hinweise seit 1955 Gesamt C1 33 C2 88 C3 245 F 180
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Vor 2003 11 8 16 4
Nach 2003 22 80 229 176
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60 Wildkatzen Hinweise und Nachweise in Österreich seit 2003
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FOTO: SIGRID SCHICK Wachau: Auf einer Privatfläche bei Schwallenbach konnte die zweite Wildkatze 2019 nachgewiesen werden. Sie hatte sich am Lockstock gerieben und Haare hinterlassen.
Kärnten: Trotz tierärztlicher Versorgung überlebte das Tier nicht. Eine Gewebeuntersuchung brachte Klarheit: Es ist eine Wildkatze.
Andreas Kranz, Wildbiologe der Plattform Wildkatze und hauptberuflicher Fischotterexperte, stand gerade mit Wathose im steirischen Gamlitzbach um Fischotterlosungen zu sammeln, als ihn eines Frühmorgens Ende November 2019 folgender Anruf erreichte: „Sind Sie auch für Wildkatzen zuständig? Ich habe schon fünf andere Nummern versucht, aber niemanden erreicht. Ich habe eine Katze angefahren und zu einer Tierärztin gebracht. Dort ist sie dann nach der ersten Nacht verstorben“, meldete eine aufgeregte Frauenstimme. Es sei vielleicht eine Wildkatze, in Mittelkärnten bei Rosegg, und das sei ja etwas ganz Besonderes. Sie habe übers Wochenende das Internet durchstöbert und da sei ihr bewusst geworden, sie müsse aktiv werden. Für den Wildbiologen war klar, dass er rasch handeln musste, damit das tote Tier nicht in der Tierkörperverwertung landen würde und es zu spät für Gewebeproben wäre. Zum Glück hatte es die Tierärztin eingefroren und die Melderin Fotos (o.l.) gemacht, die sogleich an die Wildkatzenmeldestelle zur weiteren Einschätzung verschickt wurden.
Wachau: Beeindruckende Fotofallenbilder von phänotypischen Wildkatzen im Rahmen des Lockstockprojektes auf Bundesforsteflächen – die Haare von den Lockstöcken warten bereits auf die Untersuchung.
Zwei Tage später waren die Gewebeproben genommen und über die Meldestelle an ein Labor geschickt. Die Ergebnisse der genetischen Analyse ließen nicht lange auf sich warten: Es handelte es sich um eine Europäische Wildkatze, einen Kuder.
Dass auch Privatinitiativen zum Erfolg führen können, zeigen jüngste Beispiele aus der Wachau. Dort haben mehrere naturbegeisterte Privatpersonen auf eigenen Grundstücken eine Wildkamera aufgestellt, einmal auch in Verbindung mit einem Lockstock. Auf den Bildern sind vermeintliche Wildkatzen zu sehen. Dort, wo auch ein mit Baldrian besprühter Lockstock steht (Foto o. re.), hat sich eine Katze daran gerieben und damit Haare hinterlassen. Diese wurden an die Koordinations- und Melde
FOTO: DAVID JAROS
Auch dieses Foto stammt von einer Privatfläche in der Wachau und zeigt wahrscheinlich eine Wildkatze.
FOTO: KATJA STERFLINGER
stelle der Plattform Wildkatze weitergeleitet und in einem Labor untersucht – mit dem Ergebnis, dass die Haare von einer Europäischen Wildkatze stammen. Mittels Haar-, Kot- oder Gewebeproben kann genetisch bestätigt werden, ob es sich um eine Wildkatze handelt.
Lockstockprojekt auf Wachauer Bundesforsteflächen. Die genannten Privatgrundstücke liegen nahe jener Bundesforste-Flächen, auf denen seit letztem Herbst in Kooperation mit dem Naturschutzbund wieder mit Lockstöcken und Wildkameras nach Wildkatzen gesucht wird. Dabei konnte Projektleiter Peter Gerngross von der Plattform mit tatkräftiger Unterstützung durch Mitarbeiter der ÖBf nicht nur unzählige Katzenhaare absammeln, sondern auch viele beeindruckende Fotofallenbilder auswerten: „Die Spannung ist groß, ob womöglich mehr als eine Wildkatze mittels der folgenden genetischen Untersuchungen in der Wachau nachgewiesen werden kann. Diese Beobachtungen lassen die berechtigte Hoffnung zu, dass hier vielleicht sogar eine kleine WildkatzenPopulation existiert.“ Zwischen 2014 und 2019 konnten in der Wachau etliche wahrscheinliche Wildkatzen bestätigt werden (sog. C2-Hinweise). Ein Wildkatzenhotspot scheint die Wachau allemal zu sein.
C1 sicherer Nachweis = „Wildkatze“
genetische Analyse von Haaren bzw. anderen Körperzellen (Genotyp) morphologische Untersuchung von Kadavern (Morphotyp): Darmlänge, Kieferknochen
Identifikation von Kot mittels speziell geschulter Hunde
C2 bestätigter Hinweis = „wahrscheinlich Wildkatze“
rein äußerliche Untersuchung am lebenden oder toten Tier mit Dokumentation durch kundige Person
Sichtbeobachtungen mit Dokumentation des äußeren Erscheinungsbildes (Phänotyp) durch kundige Person
Beurteilung von Fotos oder Videos, auf denen mehrere typische Merkmale der Wildkatze zu erkennen sind, durch kundige Person morphologisch untersuchte Präparate
INFOBOX
Kooperationsprojekt: „Für unsere Wilden Katzen“
Unter dem Motto „Gemeinsam für Artenschutz und LebensraumVerbund“ arbeiten Naturschutzbund und Bundesforste seit mehreren Jahren erfolgreich zusammen. Aktuell stehen dabei Wildkatze und Luchs im Fokus. Mittels Lockstöcken und Fotofallen suchen Naturschutzbund-Experten und ÖBf-Förster in der Wachau nach Wildkatzen auf Bundesforsteflächen.
Anfang März 2020 erhielt die Wildkatzen-Meldestelle beeindruckende Fotos einer vermutlichen Wildkatze über Harald Zollner, den ÖBf-Revierleiter im Forstrevier Hermagor in Kärnten. Unser Wildkatzen-Plattform-Mitglied und Kollegin des Revierleiters, Martina Keilbach, interviewte diesen zu seinem Erlebnis.
Harald, du hattest nicht nur das große Glück, einer vermutlich echten Europäischen Wildkatze zu begegnen, sondern konntest sogar einige beeindruckende Fotos von dieser Begegnung machen. Wie kam es dazu? Ich war Ende Februar im Bundesforsterevier Hermagor unterwegs um die Winterschäden zu erheben. Mein Hund, eine ältere Golden Retriever Dame, hat mich begleitet. Sie hat die Katze, die unter einem Schneebruch versteckt war, zuerst gesehen und dann zunächst ein wenig beschleunigt. Nach etwa 200 m ist sie stehengeblieben und hat sich dem Hund, der von zuhause Katzen gewohnt ist und sie sicherlich nur begrüßen wollte, gestellt. Sie hat einen Katzenbuckel gemacht und durch leises Pfauchen ihren Unmut kundgetan. Bei der Gelegenheit konnte ich sie fotografieren. Schließlich versuchte die Katze, auf eine starke Lärche zu klettern. Aufgrund der rissigen Borke ist ihr das jedoch nicht gelungen. Um sie nicht noch länger unnötig zu beunruhigen, sind wir nach wenigen Augenblicken weitergegangen.
War das deine erste Begegnung mit einer Wildkatze? Vor vielen Jahren habe ich in der Garnitzenklamm, ebenfalls bei Hermagor, schon einmal eine ausgesprochen große Katze im Winter gesehen. Damals hatte ich leider keine Kamera dabei, daher kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es eine Wildkatze war. Die Fellzeichnung war zumindest einer Wildkatze entsprechend. In den vergangenen Jahren sind leider zwei Wildkatzen in unserem Arnoldsteiner Revierteil auf der
Südautobahn dem Verkehr zum Opfer gefallen, deren Überreste danach auch wissenschaftlich untersucht wurden. Ob die Häufigkeit oder das Bewusstsein zunimmt, kann ich nicht sagen, jedoch deuten die steigenden Nachweise auch auf eine Population hin.
Kannst du den Lebensraum für Wildkatzen im Gailtal beschreiben? Das Gailtal weist einen hohen Buchenanteil und reichen Wechsel an Lebensraumstrukturen auf. Wiesen und Felder sind eng mit den Wäldern verzahnt und der menschliche Siedlungs- bzw. Verbauungsdruck hält sich in Grenzen. Es wird naturnahe Forstwirtschaft ohne große Kahlschläge betrieben. Der Tourismus konzentriert sich auf wenige Orte wie das Nassfeld, bzw. die Weissensee-Region. Außerdem profitieren Wildtiere von der Nähe zum sogenannten „VatikanWald“ auf italienischer Seite, der im Eigentum des italienischen Staates steht. Das sind rund 40.000 ha weitestgehende Wildnis, die eines der letzten großen Rückzugsgebiete für Bär, Luchs und Wildkatze bilden. Dank diesem Korridor haben wir als letztes Gebiet in ganz Österreich unter anderem ganzjährig beständige Nachweise von männlichen Braunbären.
Wie stehst du als Forstwirt zu diesen Beutegreifern? Wir leben seit Jahrzehnten in unserer Region mit Wildkatze, Luchs und Bär. Daher getraue ich mich auch zu sagen, dass diese drei Arten keine negative Auswirkung auf die Forstwirtschaft und insbesondere auch die Jagd haben. Es ist mir aber bewusst, dass gerade die großen Beutegreifer wie der Bär ein hohes Konfliktpotenzial tragen. Sie gehören jedoch einfach zur heimischen Fauna und ich empfinde es als Bereicherung, wenn sie da sind.
Seltenes Glück hatte Revierleiter Harald Zollner, als er einer vermutlichen Wildkatze in seinem Forstrevier in Hermagor begegnete.
Kärnten ist neben der Wachau ein weiterer Wildkatzenhotspot. So wurde die Meldestelle im Oktober 2019 vom Land Kärnten informiert, es sei bei Feistritz im Rosental eine weibliche Wildkatze überfahren worden. Die Probenauswertung liegt der Meldestelle leider noch nicht vor. Unweit der Unfallstelle FOTO: ERICH KNAPPITSCH sichtete die Melderin zeitgleich eine zweite Katze, die der toten sehr ähnlich sah – von ihr gibt es leider nur unscharfe Bilder. Anfang Dezember 2019 wurden Fotos einer überfahrenen Katze bei Arnoldstein im Gailtal an die Meldestelle übermittelt. Zum Glück wurden Gewebeproben des Tieres entnommen und befinden sich derzeit noch zur Auswertung Eine Wildkamera bescherte dem Jagdaufseher im Labor. Alle diese Hinweise sind bis zum eines Genossenschaftsreviers in Vorarlberg im April 2019 endgültigen Probenergebnis als wahrein gutes Bild einer wahrscheinlichen Wildkatze. scheinliche Wildkatzen eingestuft. Auch die Beobachtung des ÖBf-Revierleiters Harald Zollner aus Hermagor – wie im Interview geschildert – unterstreicht das Wildkatzenpotenzial von Kärnten. Plattform Wildkatze INFOBOX 2009 ist das Gründungsjahr der KoordiRelativ neu auf der „Wildkatzenlandkarte“ Österreichs ist Vorarlberg. nations- und Meldestelle (Daten2018 schickte erstmals ein Jagdaufseher und Jagdnutzungsberechtigter aus seinem Genossenschaftsrevier im Ebniter Tal verdächtige Fotos aus einer Wildkamera, die von den Plattformexperten als wahrscheinliche Wildkatze eingestuft wurden. Nach längerer „Ruhepause“ und Aufstellen eines Lockstocks übermittelte er neuerlich einige Fotos – und wieder bestätigten die Experten eine wahrscheinliche sammlung und Auswertung) beim Naturschutzbund in Salzburg sowie der Plattform Wildkatze (beratendes Gremium); Mitglieder der Plattform sind der Naturschutzbund Österreich, die Österreichische Bundesforste AG, der Nationalpark Thayatal, das NaturWildkatze. Zusätzlich erhielt die Meldestelle dann Anfang dieses Jahhistorische Museum Wien, der Alpenres Fotofallenbilder aus einem benachbarten Revier. Auch hier sollen zoo Innsbruck-Tirol, die Jagd ÖsterLockstöcke aufgestellt werden – mit den Jagdpächtern hofft auch reich und die Wildkatzenexperten die Plattform Wildkatze, endlich Haare zu bekommen um bestätigen Dr. Leo Slotta-Bachmayr, Mag. Peter zu können, dass hier eine echte Wildkatze unterwegs war. Gerngross, DI Dr. Andreas Kranz,
Die Nach- und Hinweise der letzten 20 Jahre belegen, dass die WildDI Horst Leitner, DI Martin Forstner. katze nach ihrem Verschwinden Mitte der 1950er Jahre wieder nach Unterstützt wird die KoordinationsÖsterreich zurückgekehrt ist. Doch trotz aller Bemühungen der Plattstelle seitens vielfaltleben, der Kamform sie aufzuspüren, ist die Verbreitung der Wildkatze über Österpagne des BMK und des | naturschutzreich weiterhin nicht ausreichend geklärt und es bedürfte mehr solbund | Österreich, gefördert durch cher engagierten Forschungsprojekte wie das Kooperationsprojekt in Mittel von Bund (BMLRT) und EU. der Wachau. Um den Status der Wildkatze von „ausgestorben oder verschollen“ auf „vom Aussterben bedroht“ zu verbessern, braucht Text: Ingrid Hagenstein es Nachweise und nochmals Nachweise, vor allem von jungen WildLeiterin der Wildkatzenkoordinationskatzen, um beweisen zu können, dass es in Österreich wieder eine und Meldestelle/Plattform reproduzierende Population gibt. Für eine offiziell ausgestorbene Art | naturschutzbund | Österreich interessieren sich die Behörden leider nicht. M: +43/(0)664/402 90 96 wildkatze@naturschutzbund.at
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Sandstrukturen auf Island
Vom Fels zum Sand, vom Berg zum Meer
DIE ALPEN – SANDBERGE AM MEER
Geologische Strukturen
„Sonnige Berge, Felsen und Höhen…“ Es ist Frühjahr in den Alpen: die Schneeschmelze ist in vollem Gange, der schneereiche Winter hat der Sonne viel Arbeit hinterlassen. Da und dort sind einige Bereiche schon aper geworden und der brüchige, zerklüftete Fels kommt zum Vorschein. Die Kletterer und Bergsteiger verfluchen sie, trotzdem lässt sie sich nicht aufhalten, gehört einfach zur Natur dazu: Die Erosion. Schnee, Wasser, Wind, Frost, Sonne – alle nagen an der Oberfläche der Felsen und tragen verwittertes Material ab. Grundsätzlich unterscheidet man bei der Verwitterung zwischen der mechanischen Zerkleinerung und der chemischen Auflösung der Gesteine. Bei der chemischen Verwitterung wird das Gestein, wie z. B. Kalkgestein, durch die Kohlensäure, die sich im Niederschlagswasser aufgrund der Aufnahme von CO 2 aus der Luft bildet, gelöst. Die gelösten Bestandteile, die Ionen, „schwimmen“ mit dem Wasser talwärts bis in die Flüsse und schlussendlich bis ins Meer. Sie liefern also dem Meerwasser die gelösten Substanzen, machen es mineralstoffreich und salzig.
Bergab Felsige Bergspitzen werden durch Abbrechen von verwittertem Gestein zerkleinert. Es fällt, rutscht oder rollt die Hänge hinab wie etwa Steine gibt es wie Sand am Meer, aber: Wie kommt eigentlich der Sand ins Meer? Weite Sandstrände ziehen die Küsten an Adria, Schwarzem Meer oder Nordsee entlang: Baden, Sonne tanken, Sandspielen. Doch was hat das mit unseren Bergen zu tun? Beginnen wir von vorn...
VON VERENA LARCHER & MARTIN KENDLER
Sandstrukturen in Albanien: So unterschiedlich kann Sand sein.
bei Berg- und Felsstürzen, bis es im flacheren Gelände zu liegen kommt. Der Auslöser solcher Massenbewegungen ist häufig Frostsprengung: Wasser dringt in Klüfte ein, friert in kalten Nächten und sprengt durch die Ausdehnung teilweise beachtliche Felspartien ab. Der Großteil der zerlegten Felsen bleibt über lange Zeit an den Bergflanken liegen. Diese Schotterfelder sind stumme Zeugen der stets fortschreitenden Erosion. Doch ein nicht unbeachtlicher Teil wird auch mit den Gebirgsbächen ins Tal transportiert.
Starkregen und Hagel bei Sommergewittern oder lang anhaltende Niederschläge mobilisieren genauso Lockermaterial verschiedenster Größen und transportieren Geröll und Schlamm in Form von Muren oder Rutschungen talwärts.
Auch das Gletschereis befördert durch sein Fließen Sand, Kies, Steine und Blöcke zu Tal. Wo das Eis am Ende der Gletscherzunge abschmilzt, wird das mitgeführte Material abgesetzt und von den Schmelzwasserflüssen weiter verfrachtet.
Feinere Teilchen können vom Wind verweht werden. Über lange Zeiträume werden Berge also langsam, Schritt für Schritt, abgetragen.
Abnehmen leicht gemacht Auf all diesen Transportwegen gelangt Gestein von den Bergen ins Tal. Kaum ein Gesteinsbrocken hat seinen Abstieg unbeschadet überstanden. Waren es zunächst noch Gerölle mit Durchmessern im Dezimeter-Bereich, wirbelt sie der Gebirgsbach im steilen Gelände so stark herum, dass sie zu immer kleineren Steinen zerbrechen. Die
Korngröße nimmt also stetig ab. Ein Sandkorn hat beispielsweise laut Definition einen Durchmesser zwischen 0,063 mm und 2 mm.
Durch das Aneinanderstoßen oder Mitschleifen am Grund werden die scharfen Kanten abgerundet. Im Tal angekommen, vereinen die Gebirgsbäche der unterschiedlich exponierten Berghänge ihr Wasser samt Fracht und der so entstehende Fluss setzt den Transport fort. Grundsätzlich gilt, je stärker die Strömung, also je höher die Geschwindigkeit, desto größere Blöcke können mitgeführt werden. Jeder Fluss trägt am Grund und an seinen Ufern Gestein und Lockermaterial ab und transportiert es weiter, genauso wie die Bäche in den Bergen. Gleichzeitig schreiten während des Fließens sowohl die Zerlegung als auch die Abrundung der Gesteine fort. Es entstehen die typischen Bachsteine, wie man sie auf Schotterbänken entlang von Flussläufen häufig findet. Sie wurden also bereits vor der Mündung ins Meer durch die abnehmende Strömung wieder abgelagert. Kleine, bereits stark zermahlene Gesteinspartikel schweben in der Wassersäule, bilden die so genannte Schwebfracht und können also auch bei langsamerem Fließen mitschwimmen.
Beim Spaziergang entlang einer Flusspromenade ist sich wohl kaum jemand bewusst, welcher „Transit“ durch diese Wasserwege rollt, auch wenn weit und breit kein Frachtschiff oder Dampfer zu sehen ist. Pro Tag transportiert beispielsweise der Inn bei Innsbruck durchschnittlich 615 Tonnen Geröll, das entspricht rund 34 LKW-Ladungen. Bei der Schwebfracht liegen die Zahlen nochmals höher: 6.300 Tonnen Schwebfracht fließt mit dem Wasser täglich durch den Inn, dafür würZAHLEN UND FAKTEN Vor 2250 Jahren entwickelte der griechische Mathematiker Archimedes das exponentielle Rechensystem beim Versuch Sandkörner zu zählen. Mit dem Sand kamen also die großen Zahlen in die Welt.
Kiesablagerungen
7.500.000.000.000.000.000
7,5 Trillionen Sandkörner liegen nach Berechnung hawaiianischer Forscher weltweit an den Stränden, und trotzdem gibt es mindestens zehnmal so viele Sterne im Weltall als Sandkörner. 1 Milliarde Sandkörner entstehen nach Schätzungen der Geologen weltweit pro Sekunde. 1.381 Euro pro Jahr bringt nach Berechnungen der Ökonomen ein Quadratmeter Sand in einem spanischen Badeort ein. 3,7 Milliarden Dollar hat die amerikanische Regierung von 1970– 2013 in 469 Strandaufschüttungen investiert.
de man 350 volle Lastwagen benötigen. Natürlich schwankt die Menge an Sedimentfracht jahreszeitlich stark. Im Frühjahr mit der Schneeschmelze wird weitaus mehr transportiert als im Winter.
Berge ade Auf seinem Weg zur Mündung ins Meer wird der Fluss immer wieder von Zuflüssen aus Seitentälern gespeist und entwickelt sich zu einem Strom. Jeder Fluss hat seinen eigenen „Sedimentkoffer“ mit im Gepäck. Der Strom verlässt die Berge als seinen Ursprung und fließt weiter durch Hügellandschaften und Ebenen bis zu seinem Ziel.
Ein wesentlicher Grund weshalb Bäche und Flüsse sich ihren Weg nicht mehr frei bahnen dürfen, besteht im Hochwasserschutz. Mit der Ausdehnung des Siedlungsgebiets wurden die meisten Fließgewässer ver
Feiner Sandstrand am Meer
baut und in ein vorgegebenes Bachbett gezwängt. Dies hemmt allerdings die Erosion: Konnten die Flüsse früher an ihren Ufern und am Grund Material mitreißen, oder auch an langsam fließenden Abschnitten ablagern, wird das heute durch die Verbauungen unterbunden.
Auch die Bauindustrie entzieht den Fließgewässern ihr Frachtgut. Überall wird gebaut – Straßen, Hochhäuser, Brücken. Für die Herstellung von vielen Baustoffen wie z. B. Beton wird Sand und Kies benötigt. Auch in großen Fenstern steckt viel Sand, denn auch hier wird er zur Glasherstellung benötigt. Daher werden viele Flüsse immer wieder ausgebaggert – „sandfrei“ gemacht – was für die Umwelt natürlich ebenso wieder Auswirkungen hat. So fehlt die Sedimentfracht dann beispielsweise an den Stränden, wo sie oft einen schützenden Übergang zwischen dem Land und der zerstörenden Wirkung von Wasser und Wellen bildet.
Wellen bringen den Sand an die Küsten. Pack die Badehose ein… Endlich, nach einer langen Reise, mündet der Fluss ins Meer. Wasser und Sediment fließen ins Meeresbecken und es entsteht eine trübe, schlierige, hellbraune Wolke im Meer. Weltweit haben die Flüsse eine jährliche Transportkapazität von 25 Milliarden Tonnen an gelösten und festen Substanzen. Neben den Sandkörnern sind auch Kiese vorhanden. Ihr Transportweg hat nicht ausgereicht, um sie auf Sandkorngröße zu zermahlen. Jetzt verteilen die Wellen den Sand gleichmäßig an den Küsten. Auch bei dieser Bewegung reiben die einzelnen Körner nochmals stark aneinander und werden rundlich und glatt.
Ob wir nun auf weißen Sandstränden liegen, oder die Sandkörner leicht rötlich sind, entscheidet die Art des Gesteins, welches aus den Bergen herantransportiert wurde. An der Adria oder auch an der Nordsee findet man meist hellen, weißlich-gelben Sand. Er stammt von zerkleinerten Kalk- und Dolomitgestein sowie kristallinen Gesteinen. Ist der Strand dunkel oder gar schwarz, wurde Gestein vulkanischen Ursprungs zerlegt. Beispiele dafür findet man z.B. auf Teneriffa oder auf Island.
Nichts ist für die Ewigkeit: Das Vergehen der einen bewirkt also unmittelbar das Entstehen einer anderen Landschaft. Wer im nächsten Badeurlaub barfuß über den Sandstrand geht, läuft also im Grunde über zermahlene und weit transportierte Bergspitzen.
AUTOREN Verena Larcher und Martin Kendler sind Geologen und leben in Tirol. Neben erdwissenschaftlichen Artikeln realisieren sie geologische Lehrund Erlebniswege, Ausstellungen und naturpädagogische Führungen.
Kontakt:
larcherverena@gmail.com