Egon Schiele an Homage

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SCHIELE

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eine Homage.

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„Sehr talentiert, aber pervers“, lautete vor 100 Jahren das Urteil vieler Kunstkritiker über den österreichischen Expressionisten Egon Schiele, einer der populärsten Künstler der Moderne. Sein Werk wird wie bei kaum einem anderen Künstler mit seiner Biografie in Verbindung gebracht. Dabei gerät häufig aus dem Blickfeld, wie sehr seine Bilder mit kulturellen Diskursen seiner Zeit in Zusammenhang stehen. Zu spektakulär erscheinen die turbulente Beziehung zu seinem Modell Wally, der Aufenthalt im Gefängnis sowie sein früher Tod. So wurden Schieles bekanntesten Arbeiten – provokative Aktdarstellungen und pathologisch wirkende Selbststilisierungen – vielfach herangezogen, um diesen engen Fokus auf das Biografische zu bestätigen und das öffentliche Interesse an seinem Privatleben zu bedienen.


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INHALT


Vorwort

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Ausstellungskonzept 16 - 17

Leben 18 - 19

Frauen 20 - 22 Selbstportraits 34 - 39 Landschaftsportraits 50 - 57

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Gedichte 58 - 63



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er junge Aufsteiger Schiele mit 17 Jahren suchte er Gustav Klimt persönlich auf, mit 19 verbuchte er seinen ersten Ausstellungserfolg und wurde schon zu seinen kurzen Lebzeiten zum Mythos. Grippe dahingerafft wurde, weitgehend aus. Seine Bilder werden vielmehr als starke eigene Positionen im Kontext der Debatten seiner Zeit präsentiert. Schon der Titel der Münchner Schau weist ins Zentrum der damaligen Diskussion: Es ist die Krise des Individuums, die der österreichische Kritiker Hermann Bahr auf den Punkt brachte: „Das Ich ist unrettbar“. Gut 170 Selbstdarstellungen hat Egon Schiele zwischen 1905 und 1918 11

Dafür sorgte sein Gönner, der Kunstkritiker und Sammler Arthur Roessler, der in seinen Texten begann, das Werk Schieles vor allem als unmittelbaren Ausdruck der Biografie und des überaus ernsten, prophetischen Charakters des Künstlers zu begreifen. Die gegenwärtige Ausstellung im Kunstbau, zu der ein großartiger Katalog erscheint, wirft einen neuen Blick auf Schieles Kunst und blendet die Biografie des Malers, der mit 28 Jahren von der Spanischen


VORWORT


geschaffen: inszenierte Fotos und jede Menge Zeichnungen und Gemälde, die den Maler in unterschiedlichen Rollen und Posen zeigen: Mal mit strenger krauser Denkerstirn, mal nackt mit Grimasse, mal als geknickter Prediger, mal onanierend, mal gedoppelt als „Selbstseher“ oder als bloßer Kopf mit großen Händen. Schiele erforscht und demonstriert darin die Wandlungsfähigkeit des Ich, genauer, er zeigt es als eines, das wesentlich vieles ist, das durch und durch unbeständig und stets im Fluss ist.

in teilweise extremen Posen sind weder Zeugnisse eines besessenen Narzissten, noch spontane Enthüllungen der psychischen Befindlichkeit des Malers, sondern Schieles Beitrag zur Problematik der Selbstwahrnehmung des Ich, die bereits Friedrich Nietzsche, Ernst Mach und Rainer Maria Rilke umgetrieben hat. Letzterer hat in seinen Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge das Rollenspiel geschildert, in dem sich das Ich inszeniert und als ein Vielfältiges entdeckt, das in seinen Wandlungen seine Stärke erkannt.

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„Ich bin alles zugleich, aber niemals werd‘ ich alles zu gleicher Zeit tun“, schreibt der Maler in einem seiner mit „Selbstbild“ überschriebenen Gedichte. Seine vielen Selbstdarstellungen


>> Ich bin alles zugleich, aber niemals werd‘ ich alles zu gleicher Zeit tun << , schreibt der Maler in einem seiner mit „Selbstbild“ überschriebenen Gedichte.

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Seine drastischen Aktdarstellungen etwa - so mancher Akt wurde von seinem Besitzer, da, wo es „unanständig“ wurde, weggeknickt oder gar abgeschitten - werden als Anverwandlung von berühmten erotischen japanischen Holzschnitten präsentiert. Schiele und sein Lehrer Klimt haben eine beachtliche Sammlung dieser „Shunga“ oder „Fruhlingsbilder“ genannten japanischen Erotika besessen.

Diese Bilder – so stellt Helena Perena im Ausstellungs-Katalog klar, „zeigen keine Objekte der Begierde, sondern den problematischen Umgang mit der Sexualität. Dafür bot die Drastik der japanischen Darstellungen ein geeignetes Vorbild.“

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Inspiriert von den Freiheiten der ostasiatischen Kultur suchte Schiele mit seinen Aktdarstellungen die Konfrontation mit der verlogenen und verklemmten Sexualmoral seiner Zeit.


AUSSTELLUNGSKONZEPT

Diese Ausstellung bietet eine Revision des immer noch weit verbreiteten Künstlermythos Schiele und eröffnet einen neuen Zugang zu seinem Werk: Der Schwerpunkt soll von der Biografie auf die Kunst in ihrem zeitgenössischen Kontext gelenkt werden. Dank einer umfassenden Auswahl von Aquarellen und Zeichnungen aus dem Bestand der Wiener Albertina – der weltweit bedeutendsten Sammlung von Schieles Werken auf Papier – können alle grundsätzlichen Themen seiner Kunst aufgezeigt werden. Die Auseinandersetzung mit der Krise des Individuums um 1900, die der Literatur- und Kulturtheoretiker Hermann Bahr unter dem Motto „Das unrettbare Ich“ zusammenfasste, nimmt dabei eine herausragende Stellung ein.

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Das Ausstellungskonzept geht dementsprechend über eine rein motivische Gruppierung hinaus und fokussiert zentrale Aspekte von Schieles Ideenwelt. Thematisiert werden Fragen der Identität und des Naturverständnisses sowie seine Reflexionen über Wahrnehmungsprozesse, bei denen der bislang noch nicht untersuchte Einfluss japanischer Farbholzschnitte eine Rolle spielt. Durch die Gegenüberstellung von Bildern und Auszügen aus Schieles poetischen Schriften wird seine Beschäftigung mit diesen Themenkomplexen in unterschiedlichen Medien aufgezeigt, wodurch sich bisher wenig beachtete Perspektiven auf seine Bilder eröffnen.


Von daher bietet die Ausstellung eine Revision des immer noch weit verbreiteten Künstlermythos Schiele und eröffnet einen neuen Zugang zu seinem Werk: Der Schwerpunkt soll von der Biografie auf die Kunst in ihrem zeitgenössischen Kontext gelenkt werden. Dank einer umfassenden Auswahl von Aquarellen und Zeichnungen aus dem Bestand der Wiener Albertina – der weltweit bedeutendsten Sammlung von Schieles Werken auf Papier – können alle grundsätzlichen Themen seiner Kunst aufgezeigt werden. Die Auseinandersetzung mit der Krise des Individuums um 1900, die der Literatur- und Kulturtheoretiker Hermann Bahr unter dem Motto „Das unrettbare Ich“ zusammenfasste.

Die Schiele-Ausstellung im Lenbachhaus ist zudem historisch begründet. Im Frühjahr 1912 veranstaltete der Münchner Galerist Hans Goltz gleichzeitig zwei Ausstellungen: Eine war dem „Blauen Reiter“ gewidmet (2. Ausstellung „SchwarzWeiß“), die andere Schiele – seine erste Einzelpräsentation im Ausland überhaupt. Fast hundert Jahre später ist der Österreicher wieder zu Gast in München, nun im Lenbachhaus und damit wieder ganz in der Nähe des „Blauen Reiter“.

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So müssen etwa Schieles Selbstporträts als Versuche gewertet werden, das eigene Ich als variable Größe zu begreifen; ein Aspekt, der den Künstler auch in manchen Gedichten beschäftigt hat und der mit damaligen Vorstellungen von wandelbarer Identität übereinstimmt. Keine selbstgenügsame Wendung zur eigenen Psyche, sondern eine Sensibilität gegenüber verschiedenen äußeren Anregungen wird damit in Schieles Werk deutlich.



LEBEN


Schiele als Kleinkind im Alter von 2 Jahren

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- Kindheit >>Familie omnissim quati beaquosa1890 - 1905 nis eos assum qui ditiunt fugiti Egon Schiele wird am 12. Juni idus as sin nonsecaborum apici1890 in Tulln (i.d. Nähe Wiens) geboren. Die Schieles wohnen um quam, occatium res simagnaim Tullner Bahnhofsgebäude, Egon wächst dort mit seinen tem conse la Gerinctati dolorat taqui Schwestern Melanie und trude auf, die älteste Schwester Elvira stirbt adios bereits 1893 << im Alcone ter von zehn Jahren. Der Vater, gebürtiger Wiener, ist Stationsvorsteher der k.k. Staatsbahnen, der Großvater gehörte zu den Bahnbaupionieren und erbaute die böhmische Westbahn Prag - Eger. Die Mutter (geb. Soukup), 1861 in Krumau geboren, stammt aus einer südböhmischen Bauernund Handwerkerfamilie. Von frühester Kindheit an zeichnet und malt der Junge mit Begeisterung.

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Die Schiele Familie im Portrai


Studium Wiener Akademie 1906 - 1910 1906 besteht Schiele die Aufnahmsprüfung an der Akademie der bildenden Künste in Wien; er besucht die allgemeine Malklasse von Professor Christian Griepenkerl, einem konservativen akademischen Maler der Jahrhundertwende. Es kommt zu Konflikten zwischen dem reaktionären Lehrer und dem rebellischen Schüler, die sich derart zuspitzen, dass Schiele im April 1909 zusammen mit einigen gleichgesinnten Kollegen die Akademie verlässt und die „Neukunstgruppe“ gründet. Der Kunstkritiker der Wiener Arbeiterzeitung Arthur Roessler wird auf Schiele aufmerksam; er ist in den folgenden Jahren sein wichtigster Förderer. 1907, während seines Studiums, lernt Schiele Gustav Klimt, den gefeierten Meister der Wiener Secession, kennen. Der siebzehnjährige Schiele sieht in dem

45-jährigen Klimt seinen geistigen Vater. Anfangs noch unter dem Einfluss von Klimt, löst sich Schiele schon Ende 1909 und entwickelt seine ganz eigene künstlerische Handschrift. Schiele beteiligt sich 1909 zum ersten Mal an einer öffentlichen Ausstellung, im Stift Klosterneuburg. Im gleichen Jahr stellt er auf der Wiener „Internationalen Kunstschau“ aus. Es kommt u.a. zu Kontakten mit Sammlern, Verlegern sowie den Architekten Otto Wagner und Joseph Hoffmann; letzterer leitet die Wiener Werkstätte (1903 gegründete Gemeinschaft zur Förderung von Kunst und Handwerk), für die Schiele in den Jahren 1909/10 zeitweise tätig ist. Die wichtigste Auftragsarbeit für die Wiener Werkstätte ist das Bildnis „Poldi Lodzinsky“, ursprünglich als Glasfenster für das Palais Stocklet in Brüs-

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sel geplant, aber als solches nie ausgeführt. Es folgen zahlreiche Ausstellungen in österreichischen und deutschen Galerien. Die Kritiker reagieren unterschiedlich. Von daher kümmerten sich manche erkennen das Geniale, die Mehrzahl aber kritisiert seine Arbeiten, einer bezeichnet sie als „Auswüchse eines kranken Hirns“. Nach den Ereignissen in Neulengbach unternimmt Schiele Reisen nach Kärnten und Triest. Er kehrt nach Wien zurück und wohnt dort vorübergehend bei seiner Mutter. Im November findet er eine geeignete Atelierwohnung in der Hietzinger Hauptstraße 101, in der er bis zu seinem Tod arbeiten wird.


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1890 12. Juni: Egon Schiele wird als Sohn eines Bahnbeamten in Tulln/Donau (ÖsterreichUngarn) geboren. 1906 Oktober: Nach einer Ablehnung durch die Wiener Kunstgewerbeschule, einer der Zentren des Wiener Jugendstils, beginnt er, an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. 1907 Beginn der Freundschaft mit Gustav Klimt. Schieles frühe Werke sind stark vom Impressionismus und dem „Wiener Secessionismus“ geprägt.

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1909 Schiele zeigt vier seiner ArAusweiskarte für die Bahn - um 1885 beitenDieauf der internationalen Kustausstellung in Wien.


Portrait des jungen Schieles - um 1890.

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Portrait des jungen Schieles - um 1890.


Gruppenbild mit Studienkollegen, 2 v links - 1902

Schiele betrachtet sich selbst kritisch im Spiegelbild - Wien, 1908

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1912 Er zeigt seine Werke auf zahlreichen Ausstellungen, u.a. auf der des „Blauen Reiters“ in München und in der „Wiener Secession“. April: Schiele wird wegen des Verdachts auf Verführung einer Minderjährigen verhaftet. Obwohl die Schuld nicht bewiesen werden kann, bleibt er 24 Tage inhaftiert. Im „Selbstporträt als Gefangener“ dokumentiert er diese Erfahrungen. 1915 Nach der Trennung von seiner bisherigen Lebensgefährtin heiratet er Edith Harms. Er wird zum Militär einberufen, kann seinen Dienst aber in Wiener Dienststellen und später im Heeresgeschichtlichen Museum ableisten.


Bei einem Spaziergang in Wien mit Edith - 1915

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Edith und Egon auf der Couch - Krumau, 1914

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>> Wenn Schiele am Zeichnen gehindert wurde, war er kreuzungl端cklich <<




FRAUEN



>> In Österreich gab es zu Schieles Zeiten keine Galerien, die die Interessen der Künstler vertreten hätten. Die Künstler waren auf die Unterstützung von Mäzenen angewiesen. Und besonders Schiele, der exzessiv zeichnete, brauchte ständig Geld, um seine Modelle zu bezahlen <<

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Entstellung, will er feurige Leidenschaften, Verzweiflung aber auch psychische Deformationen verdeutlichen. In seiner Jugend und in den ersten Jahren als Künstler nahm Schiele vor allem seine Schwester Gerti als Modell, um an ihr den in der Pubertät reifenden Körper einer Frau zu entdecken. Es ist bemerkenswert, dass seine jüngere Schwester keine Scham hatte, sich nackt vom Bruder darstellen zu lassen. Angesichts des strengen Moralkodex dieser Zeit, erscheint dieses Verhalten geradezu aufgeklärt und modern, es erklärt sich aber eher aus den spezifischen Familienverhältnissen der Schieles. Egon Schiele wurde 1890 in einem Bahnhof geboren, der Vater steht dem Bahnhof in Tulln vor. 39

In der Kunst des ausgehenden 19. Jahrunderts, inbesondere in der akademischen Salonmalerei, war kein Motiv so präsent, wie der unbekleidete Frauenkörper. Neu an Schieles Zugang zu diesem Motiv ist die Tendenz der Verhäßlichung des Körpers. Er thematisierte weniger die “femme fatale”, also die erotisch anziehende Frau, sondern eher den quälenden Geschlechtstrieb und die Vergänglichkeit des Leibes. Egon Schiele geht stets bis an die Grenzen der Darstellbarkeit, um Liebe, Leiden und Leidenschaften Ausdruck zu verleihen. Expressiv übersteigert, mit dynamischem Feder- oder Pinselstrich, geht es immer wieder um Eros, Selbstinszenierung und Tod. Mit dem Mittel der physischen




Egon Schiele hatte ein sehr inniges Verhältnis zu seiner jüngeren Schwester Gertrude, auch Gerti genannt, sein bevorzugtes Modell um 1909/10, da sie ihm auch für Aktmodelle zu Verfügung stand. Während der Kinderjahre dominierte er sie: “Zu allen und jeden zog er mich zu, und er hatte eine zähe, tyrannische Art, meine Dienste in Anspruch zu nehmen. (….) Mit der Uhr in der Hand kam er zeitig morgens zu meinem Bett und weckte mich, ich solle ihm Modell stehen und zwar auf Kommando.” m Gegensatz zu Klimt porträtierte Schiele vorwiegend Männer. Bei den Porträts wichtiger Sammler-Ehefrauen handelte es sich oft um Auftragsarbeiten.

Eigentlich gab es in Schieles Leben nur drei Frauen, die er immer wieder - gewissermaßen aus eigenem Antrieb - porträtierte: seine jüngere Schwester Gertrude, genannt Gerti, seine langjährige Geliebte Wally Neuzil und seine spätere Ehefrau Edith Harms. Schiele hatte noch zwei ältere Schwestern, aber zu keiner von ihnen ein so inniges Verhältnis wie zu Gerti. Über sie wachte er so eifersüchtig, dass er eine Weile sogar versuchte, eine Annäherung zwischen Gerti und seinem Freund und Künstlerkollegen Anton Peschka zu verhindern. Schließlich heirateten die beiden doch, denn Gerti war schwanger, und sie bekamen einen Sohn, Anton Peschka junior, den Schiele ebenfalls immer wieder abbildete.

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>> Zu allem und jedem zog er mich dazu, und er hatte eine zähe, tyrannische Art meine Dienste in Anspruch zu nehmen <<

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Zu diesem Zeitpunkt hatte sich in Schieles Werk bereits eine eigene Bildsprache durchgesetzt. Seine Zeichnungen und Gemälde, die um 1908 entstanden, zeigen hingegen noch sehr deutlich, wie stilprägend Klimt den jugendlichen Schiele beeinflusste. Der 18-Jährige nahm sich ein Beispiel an den dekorativen Bildhintergründen und schaute sich die betonten Konturen von Klimts Figuren ab. Doch Schieles intensive Beschäftigung mit dem menschlichen Körper führte ihn bald über den gefälligen Jugendstil hinaus.


>> Wally galt als leichtes M채dchen, Schiele hatte nie vor, sie zu heiraten << 46


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Portrait der jungen Wally in Krumau - 1903

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Wally Neuzil, die Klimt oft Modell gesessen hatte, tauchte 1911 immer häufiger in Schieles Bildern auf. Manche Biografen vermuten, es läge an ihrer Ähnlichkeit zu Gerti, dass sie zu seinem neuen Lieblingsmodell avancierte. Jedenfalls wurde sie sein Modell, seine Geliebte und Lebensgefährtin, die mit ihm einige Lebenskrisen durchstand, bis er Edith Harms heiratete. Wally galt als „leichtes Mädchen“, Schiele hatte nie vor, sie zu heiraten. Dafür suchte er sich eine standesgemäße Partie. Wally schlug er nichtsdestotrotz vor, einmal im Jahr mit ihr in Urlaub zu verreisen, doch das lehnte sie enttäuscht und empört ab. Im Ersten Weltkrieg arbeitete sie als Krankenschwester und starb 1917 an Scharlach.


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In Neulengbach, wo er mit seiner Geliebten Wally Neuzil wohnte, weil Wien zu grau und zu teuer war, suchte er sich seine Aktmodelle auch unter den minderjährigen Mädchen des Dorfes. Als eine 14-Jährige von zu Hause ausbüxte und bei Schiele übernachtete, zeigte ihn der Vater des Mädchens wegen Kindesentführung und Missbrauchs Minderjähriger an. Schiele kam für 24 Tage in Untersuchungshaft. Die Anklage konnte unter den Umständen nicht aufrecht erhalten werden, doch verurteilte man den 21-jährigen Maler zu drei Tagen Gefängnis wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“. Nach der Untersuchungshaft war die Strafe bereits verbüßt - es waren die traumatischsten drei Wochen seines Lebens.


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SELBSTPORTRAITS


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n der Kunst des ausgehenden 19. Jahrunderts, insbesondere in der akademischen Salonmalerei, war kein Motiv so präsent, wie der unbekleidete Frauenkörper. Neu an Schieles Zugang zu diesem Motiv ist die Tendenz der Verhäßlichung des Körpers. Er thematisierte weniger sein eigenes ich, als vielmehr den Ursprung seines Geistes, sondern eher den quälen den Geschlechtstrieb und die Vergänglichkeit des Leibes.


Gnadenlose Selbsterforschung Egon Schiele geht stets bis an die Grenzen der Darstellbarkeit, um Liebe, Leiden und Leidenschaften Ausdruck zu verleihen. Expressiv übersteigert, mit dynamischem Feder- oder Pinselstrich, geht es immer wieder um Eros, Selbstinszenierung und Tod. Mit dem Mittel der physischen Entstellung, will er feurige Leidenschaften, Verzweiflung aber auch psychische Deformationen verdeutlichen. Dieses ständige Bedürfnis, sich der eigenen Person zu versichern, sie dabei aber auf ihre seelischen Abgründe hin auszuloten und diese sichtbar zu machen, findet sich bei Oskar Kokoschka und Egon Schiele sehr ausgeprägt. Schieles

Selbstbildnisse zeugen von einem beinahe selbstquälerischen Drang, komplexeste Gefühlszustände und Begierden sichtbar zu machen. Schieles Freund und Förderer Arthur Roessler fand, dass er „das Innere des Menschen nach außen zu stülpen“ vermochte. Dazu gehörten verrenkte, aus der Proportion geratene Gliedmaßen genauso wie grimassierende Gesichter und geprügelt aussehendes Fleisch. Der nur 20-jährige Egon Schiele zeigt sich hier schon als ein beeindruckend vollständig entwickelter Künstler, der in diesem Selbstakt eine äußerst beklemmende, gleichzeitig aber wohldurchdachte und ausgewo-

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Der gelb-grüne Körper verrenkt sich unnatürlich und wirkt dadurch in sich selbst eingesperrt. Tatsächlich scheint es für die Figur keine Möglichkeit zu geben, mit ihrer Umwelt in Kontakt treten zu können, da es im Bild gar keine gibt: mutig setzt der junge Schiele sich selbst auf die leere, weiße Leinwand. Eine derartig radikale Reduktion des Hintergrundes gab es in der Kunstgeschichte zuvor kaum. Die Figur ist ganz auf sich allein gestellt, hat keine Möglichkeit zu kommunizieren, selbst wenn sie

wollte, könnte sie nie in der Gesellschaft Fuß fassen, da sie nicht einmal Füße hat. In ihr drinnen lodert aber die ganze Leidenschaft einer Existenz. Wie Lava glüht es aus den Körperöffnungen Augen, Brust und Nabel hervor, es kommen einem die Worte Franz Kafkas in den Sinn: „Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. 59

gene Komposition schuf, die in ihrem dramatischen Ausdruck später kaum mehr überboten wurde.


>> Auch das erotische Kunstwerk hat Heiligkeit. <<

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Skizzenbuch von 1911

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Schiele war geradezu davon besessen, alles, was ihm gehörte, zu signieren, seien es Lineale, Bücher, etc. oder Gemaltes und Zeichnungen, sodaß sich oftmals auf einem Bild mehrfach Name und Datum finden. Nebehay meint, Schiele sei von einer unbezähmbaren Neugierde nach dem weiblichen Körper besessen, und zwar mit einer deutlichen Vorliebe für Mädchen in den Entwicklungsjahren. Sein Wesen erscheint zwiespältig. Aus den Selbstbildnissen wie dem übrigen Werk spricht, so Nebehay, eine innere, brennende Unruhe.


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LANDSCHAFTEN


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>> Es muss nicht immer nur nackte Haut in den Sinn kommen, wenn von Egon Schiele die Rede ist. Die Landschaften von Schiele sind nicht geringer zu sch채tzen und nicht weniger h채ufig. <<



guten Ausstellungsbegleiter wie eine Liebeserklärung an Schiele vor. Seine ausführlichen Bildbeschreibungen werden am Ende des Bandes durch einen biographischen sowie bibliographischen Teil komplettiert. Es wird viel Überwindung kosten den Katalog ins Regal oder Schrank zu räumen.

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Egon Schiele begann 1906 sein Studium an der Akademie der bildenden Künste bereits 1918 starb er an der Spanischen Grippe. Diese wenigen aber umso schöpferische Jahre des österreichischen Expressionisten waren auch der Landschaftsmalerei gewidmet. Seine Bilder zeichnen zugleich seine Lebensstationen nach wie ein persönliches Album. Den in erstklassiger Qualität abgebildeten Werken wurden - wenn möglich - Fotos des heutigen Zustandes und aus dem Blickwinkel Schieles zum Vergleich zur Seite gestellt. Sind die Bilder schon ohne die Fotos von enormer Aussagekraft, gewinnen sie doch noch an Intensität durch diesen direkten Vergleich. Rudolf Leopold legt mit dem Katalog zugleich einen


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GEDICHTE



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BIBLIOGRAFIE


Die Traum-Beschaute, 1911 Selbstportrat mit an die Brust gelegten Händen, 1910 Selbstportrait mit rotem Mantel, 1914 junges Mädchen, 1909 Selbstbildnis, 1910 totes Mädchen, Erstellungsdatum unbekannt Sitzendes Mädchen mit Pferdeschwanz, 1910 Bildnis einer Frau (Gerti) mit schwarzem Hut, 1909 Gertrude Schiele, Erstellungsdatum unbekannt Das Modell Wally Neuzil, 1912 Wally in roter Bluse mit erhobenen Knien, 1913 Portrait Wally, 1914 Liegender Weiblicher Akt mit gespreizten Beinen, 1914 Zwei sich umarmende Frauen, 1911 Sich entkleidendes Mädchen, 1911 Stehende Frau in Rot, 1910 Zwei Mädchen Akte, 1911 Zwei Mädchen auf einer Fransendecke, 1911 Mädchenakt halbliegend, 1914 Halbliegender Männer Akt, 1910 Selbstportrait, 1910 Selbstportrait, 1910 Eine Grimasse, 1910 Selbstbildnis, 1910 mit weißem Gewand, 1911 Arme, 1911 Dreifache Selbstbildnisdarstellung, 1911 Selbstbildnis mit emblößten Nabel, 1911 Selbstbildnis als Halbakt in schwarzer Jacke, 1911 Selbstbildnis in gelber Weste, 1914 S. 69 Selbstbildnis mit lavendelfarbenem Hemd in schwarzem Anzug, 1914 Selbstbildnis, 1918 Selbstbildnis, 1918 Pflaumenbaum, 1910 Altes Haus in Krumau, 1914 Vier Bäume, 1917 Neulengbach Gefängniszelle, 1911 Der Cello-Spieler 1910

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S. 9 S. 10 S. 17 S. 19 S. 20 S. 36 S. 41 S. 44 S. 45 S. 46 S. 47 S. 49 S. 50 S. 51 S. 52 S. 53 S. 54 S. 55 S. 61 S. 62 S. 63 S. 64 S. 65 S. 66 S. 67 S. 68 S. 69 S. 70 S. 71 S. 72 S. 76 S. 78 S. 79 S. 84




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