INHALT
INSIGHT Zwei Sätze... von der Chefredakteurin NEW FAMILY Seite 3 Patchwork, Single-Eltern, Regenbogen, LAT & Co Familie ist Alles PERSÖNLICH Seite 13 Schauspielerin Nina Kronjäger über verliebte Single-Mütter Kreatives Chaos
WE ARE FAMILY Seite 23 Liebestrend: Paare mit getrennten Wohnungen Verbunden, aber frei Seite 28 Die Liebe seines Lebens ist ein Mann mit Anhang Plötzlich Familie Seite 33 Erst Single-Mom, dann Familien-Clan Zusammen ist man weniger allein GELD Seite 40 Erfolgs-Autorin Undine Zimmer über ihre Jugend mit Hartz IV „Reich sein ist wie eine andere Religion“ Seite 49 Die Düsseldorfer Tabelle steht in der Kritik – ist sie längst überholt? Kostenpunkt Kind GESELLSCHAFT Seite 56 Es gibt sie, die neuen Männer. Man erkennt sie an ihren Themen Väter unter sich
Seite 61 Die Kirche lehnt wiederverheiratete oder lesbische Mütter ab Sind nicht alle Frauen vor Gott gleich? Seite 68 Die neue Rolle von Großeltern in Trennung oder Patchworktrubel Oma gibt Halt Seite 77 Wenn Schwiegereltern und Freunde Partei ergreifen Mama allein Zuhaus REISE Seite 83 Vater und Sohn auf großer Abenteuer-Tour Im Afrika-Fieber MEDiZIN Seite 95 Ausgereift? Die Medizin-Sensation „Social Freezing“ Kinderwunsch, auf Eis gelegt Seite 101 Glück per Eizellenspende: Endlich Papa, Mama, Baby! Mit den Genen einer Fremden KINDER! Seite 107 Jäckie dreht einen Film über ihr Leben als doppeltes Scheidungskind Blick zurück nach vorn Seite 112 Unterwegs am Papa-Wochenende Herz auf der Strecke Seite 121 Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer über Trennungs-Kids So macht man Kinder stark! Seite 130 Impressum i
INSIGHT
Chefredakteurin Barbara Czermak
ZWEI SÄTZE...
Single-Eltern haben eigene Themen. Genau wie Patchworkfamilien. Doch ihre Schwerpunkte werden viel zu selten aufgegriffen. Das klassische Modell, die Ehe mit Kind, gilt nach wie vor als Richtmaß und Vorbild für das Familienleben in Deutschland, auch in den Medien. Das wollen wir mit New Family endlich ändern. Wir – dazu gehören eine Redaktion aus engagierten Journalistinnen und Journalisten und ein junger ebook-Verlag. Uns geht es um eine große Gruppe der Bevölkerung: Alleinerziehende und ihre Kinder machen bereits 20 Prozent aller Familien bei uns aus. Rund 14 Prozent deutscher Familien bestehen schon aus bunt 1
Foto:Daniela Juwan, Indian Eyes
„Sind wir denn nicht alle alleinerziehend?“ Dieser leicht dahin gesagte Satz macht mich jedes Mal nachdenklich – seit ich viele Jahre lang alleinerziehend war. Denn er wird ja von Müttern benutzt, die in festen Beziehungen leben. Und die genervt sind, weil sich der Partner zu selten um den gemeinsamen Nachwuchs kümmert. Natürlich ist die Frage scherzhaft gemeint, tatsächlich aber zeugt sie von Ahnungslosigkeit um die wahren Probleme von Single-Eltern. Sicher stresst der Dauereinsatz, zermürbend ist jedoch die eigene Ohnmacht, wenn das Kind nach dem Papa- Wochenende vor Abschiedsschmerz in Tränen aufgelöst ist. Zehrend sind die Selbstvorwürfe, wenn man nicht verhindern kann, dass kleine Kinder vor den Richter zitiert werden, um im Umgangsstreit von Vater und Mutter auszusagen.
und kreativ zusammengewürfelten Patchwork-Konstellationen. Und an die 20.000 Kinder wachsen hier in Regenbogen-Familien auf. Tendenz steigend, überall. Die traditionelle Familie ist längst nicht mehr das einzige lebenswerte Modell mit Kindern. Familie ist heute so viel lebendiger. Auch das weiß ich aus eigener Erfahrung. Nach einer Phase in der Kleinfamilie – Vater, Mutter, Baby – und der anschließenden Zeit als Single-Mom, folgte für mich eine Patchwork-Periode. Heute wiederum lebe ich in einer glücklichen Ehe mit zwei getrennten Wohnorten und kürzlich wurde ich Stiefgroßmutter. Ich habe Freundinnen und Freunde, die als gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern leben und solche, die sich erst in reifem Alter den Kinderwunsch erfüllt haben – mit Hilfe der Reproduktionsmedizin im In- oder Ausland. Zu all diesen Themen, und vielen weiteren, lesen Sie Beiträge in diesem Heft. In unserer ersten Ausgabe haben wir besonderen Wert darauf gelegt, persönliche Geschichten und Ansichten von Müttern, Vätern und natürlich auch von Kindern zu sammeln, um die bunte Bandbreite neuer Familien-Konstellationen aufzuzeigen und Einblicke ins Gefühlsleben aller Beteiligten zu geben. Fast alle von uns, die wir neue Wege gehen, haben zuvor erfahren, dass Träume platzen. Vorbei. Und vielleicht ist unser Familienleben heute ja liebevoller und spannender als alles, was wir uns vorstellen konnten? Dazu soll New Family jedenfalls beitragen. Indem wir die Themen „neuer Familien“ aufgreifen, Hilfestellungen, Tipps, schöne und schräge Beispiele geben und Lust auf Familie machen – in welcher Konstellation auch immer. Wir gehen online als E-Magazin, zu Anfang noch mit einfachem Layout, weil gerade Eltern viel Zeit zu Hause verbringen und einen
direkten Zugang brauchen: Um zu lesen, aber auch um Feedback zu geben. Denn wir wünschen uns Kommunikation mit unseren Leserinnen und Lesern. Wir freuen uns, wenn Sie uns Ihre Erfahrungen, Anekdoten, Anregungen, Ärgernisse oder Anliegen schicken. Dafür haben wir extra eine Adresse eingerichtet: info@newfamily.eu Männer, das fiel uns auf, berichten eher zögerlich aus ihrem Familienleben. So hatten wir bereits ein Interview mit einem bekannten Politiker geführt, das ihn als nachdenklichen und herzlichen Vater zeigte. Als alleinerziehenden Dad, er er erst war, dann aber auch als Papa in einer Patchworkfamilie. Doch da knickte er plötzlich ein. „Ich fürchte, das ist zu persönlich.“ Auch so ein Satz, der mich zum Nachdenken bringt. Denn gegenseitiges Verstehen ist doch nur auf persönlicher Ebene möglich; gerade in Sachen Familie und allem, wofür sie steht: Tiefe Gefühle, Zusammenhalt und Verantwortung. Bitte Väter, prominent oder nicht, rührt Euch ebenfalls.
Barbara Czermak 2
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PATCHWORK, SINGLE-ELTERN,REGENBOGEN, LAT & CO
FAMILIE IST ALLES
New Family
Der „Becker-Clan“ ist Prototyp einer Patchwork-Familie: Liebe, Drama, Zwist, Enttäuschung, Leidenschaft, Happy Endings und Sprösslinge verschiedener Altersgruppen... Hier Boris Becker mit seiner zweiten Frau Lilly und den Söhnen aus der ersten Ehe, Noah (l.) und Elias.
„Familie“ ist ein dehnbarer Begriff geworden. Ein-Eltern-Familien gehören dazu, genau wie Patchwork- oder Regenbogenfamilien, wie Familien mit späten Eltern oder solchen, die in getrennten Wohnungen leben - und sich lieben. Meist sind es noch Prominente, wie Boris Becker und sein Clan (rechts), die in der Öffentlichkeit für neue Lebensformen stehen. Dabei hat jede einzelne Familie, die neue Wege geht, eigene Extravaganzen, eigene Probleme – und stets ganz viel eigenes Potential für das große Glück. Fakten zum bunten Familienleben in Deutschland.
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Foto: actionpress
VON JULITTA AMMERSCHLÄGER
New Family Aufgeschlossenheit und Weitblick gelten seit jeher als karrierefördernde Tugenden; heute muss diese Offenheit die Akzeptanz neuer Familienformen umfassen. Der geniale Programmierer und US-Amerikaner Brendan Eich besitzt diese Toleranz nicht – und deshalb kam seine bislang steile Karriere nun abrupt zum Stillstand. Gerade erst war der 53-jährige zum Chef des US-Internet-Giganten Mozilla gekürt worden, schon musste er seinen Platz wieder räumen. Zu heftig waren die Proteste gegen ihn gewesen: Eich hatte nämlich eine Kampagne gegen Homo-Ehen unterstützt. Diese Haltung nimmt die Öffentlichkeit heute nicht mehr hin. Denn längst wird ein moderner Partnerschafts- und Familienbegriff gewünscht – und gelebt. Selbst in der erzkonservativen katholischen Kirche ist die Botschaft angekommen. Papst Franziskus, ein Freund des Telefonats, rief kürzlich aus heiterem Himmel die 38-jährige Römerin Anna Rosa Marino an. Er versicherte der frisch geschiedenen Mutter, er bewundere ihren Mut zur Trennung und freue sich, dass sie nun endlich den Mann heiraten könne, den sie liebe. Deutlichere Zeichen kann es kaum geben: Unsere Gesellschaft ist im Umbruch, auch und gerade das Familienleben betreffend. Die Statistik belegt den Trend. So ist die klassische Familie – die Ehe mit Kind – zwar immer noch die häufigste Familienform und macht gut über 50 Prozent der 8,1 Millionen deutschen Familien mit Kindern aus. Dennoch ist sie ein Auslaufmodell. Allein in den letzten zehn Jahren ist ihre Zahl um über zehn Prozent gesunken. Dagegen wächst die Anzahl von Single-Eltern, Patchwork-und Regenbogenfamilien stetig. Der Traum von der großen Liebe Wieso? Zwar träumen fast alle Bundesbürger von der großen und ewigen Liebe (mehr als 90 Prozent aller Deutschen sehen ihr höchstes Lebensziel in einer erfüllten Partnerschaft), tatsächlich aber zerbricht in Deutschland jede zweite Ehe; rund 150 000 minderjährige Kinder sind jedes Jahr davon betroffen. Nicht aufgeführt sind hier die Zahlen von frisch getrennten Beziehungen ohne Trauschein. Immerhin werden inzwischen 34 Prozent aller Kinder in Partnerschaften geboren, in denen die Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Einer der Gründe für den Trennungsboom: Finanzielle Argumente ziehen in Zeiten der Emanzipation kaum noch, wenn ein Elternpaar nicht mehr glücklich ist. So werden heute deutlich mehr als die Hälfte der Scheidungen von Frauen eingereicht. 5
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New Family
Hauptsache, sie stecken alle unter einer Decke: Jede sechste Familie ist schon eine neu zusammengesetzte Patchworkfamilie.
Die bunte Vielfalt des Familienlebens In der Folge bilden nun bei uns etwa zwei Millionen Alleinerziehende gemeinsam mit ihren Kindern schon eine Bevölkerungsgruppe von mehr als fünf Millionen Menschen. Jede fünfte Familie, so neueste Daten, lebt als Ein-Eltern-Familie. Und der Trend geht klar zur Zweit-Familie: Fast jede sechste Familie in Deutschland ist inzwischen eine bunt zusammengesetzte Patchworkoder Stieffamilie; das ergibt, laut dem Bundes-
amt für Statistik, gut 12 Millionen Haushalte. Mindestens 18 000 Kinder wachsen außerdem in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung auf, ein Tabu ist diese Familienform nicht mehr. Und das ist nur die offizielle Zahl der Kinder bei Eltern mit „eingetragener Lebensgemeinschaft“. Tendenz steigend, so oder so, denn das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare soll bald erleichtert werden. Eine weitere Variante der Vielfalt des Familienlebens heute: Rund 30 6
New Family Prozent der offiziell allein lebenden Singles sind tatsächlich glücklich in einer so genannten LAT-Beziehung. Die Abkürzung steht für „living apart together“; die Liebenden wohnen nicht zusammen, sondern führen zwei Haushalte – oft auch mit Kindern. Und selbst bei ganz klassisch verheirateten Paaren ändert sich das Bild: Immer häufiger bekommen sie in fortgeschrittenem Alter ein Kind; dank der – bei uns zum Teil verbotenen – Methoden der Reproduktionsmedizin im In- oder Ausland. Statistische Daten zeigen: Die Geburtenzahl bei Frauen ab 40 steigt seit Jahren an. Heute führen eben viele Wege ins Familienglück. Nur selten äußern sich Mütter frei darüber, dass sie erst nach einer Eizellenspende in England, Belgien, Tschechien oder Polen schwanger nach Hause zurückkehrten. Unter anderem deshalb, weil der in Deutschland eng gesteckte rechtliche Rahmen für die Reproduktionsmedizin diese Methode verbietet. Die Folge der Verschwiegenheit: Betroffene Familien kämpfen auf sich allein gestellt mit völlig neuen Situationen und Anforderungen. Um nur eine zu nennen: Immerhin ist die Mutter mit dem Baby, das sie geboren hat, genetisch nicht verwandt... Kann das die Beziehung stören? Prominente zeigen uns Gefühle Einen unbefangenen Umgang mit der Thematik neuer Familienstrukturen leisten sich – vorläufig – meist nur Prominente. Sie stehen schließlich sowieso unter Beobachtung. Da verkündete etwa der britische Sänger Elton John lieber selbst freudestrahlend die Geburt seines ersten Sohnes per Leihmutter. Und die 48-jährige US-Schauspielerin Sarah Jessica Parker konnte auch nicht verbergen, dass sie ihre inzwischen vier Jahre alten Zwillinge nicht ausgetragen hat, sondern eine Leihmutter dafür engagierte. Fakt ist: Probleme, Freuden und Gefühle millionenfach gelebter Familienkonstellationen lassen sich im Moment noch am deutlichsten an Persönlichkeiten darstellen, die Publicity nicht scheuen. Erschütternd zum Beispiel die tiefe Trauer, die das Geschwisterpaar Meret und Ben Becker, aufgewachsen in einer Patchworkfamilie, nach dem Tod ihres Stiefvaters Otto Sander im letzten Herbst zeigte. „Ottos Tod ist das Schlimmste in meinem Leben bisher“, bekannte dessen 45-jährige Ziehtochter Meret.
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Single-Eltern müssen alleine neue Wege finden. Ob der Weg richtig war, erfahren sie erst von ihren Kindern – wenn diese erwachsen sind.
Berührend auch, wie junge Leute die Fürsorge in einem Elternhaus zu schätzen wissen, das nur aus einer Person besteht. „Alleinerziehende Mütter sind die coolsten Menschen dieser Erde“, erklärt etwa Samu Haber, Frontmann der finnischen Band „Sunrise Avenue“. Der 38jährige TV-Liebling hat an seine Kindheit bei einer Single-Mom nur gute Erinnerungen. „Wir waren arm, aber trotzdem konnten meine Geschwister und ich unsere Träume verwirklichen. Respekt, Mama!“ Ähnlich empfindet US-Schauspieler Jared Leto, der soeben für seine Darstellung eines Transsexuellen mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Die weltweit übertragene Dankesrede widmete er seiner Mutter. „Sie hat die Schule abgebro-
chen und war eine allein erziehende Mutter, doch es ist ihr irgendwie gelungen, das Leben für sich und ihre Kinder besser zu gestalten. Ich liebe Dich!“ Seltener melden sich Kinder von SingleDads zu Wort. Natürlich gibt es auch weniger von ihnen; nur etwa 10 Prozent der Alleinerziehenden sind Männer. Doch oft ist bei Kindern, wie Psychologen feststellten, die Scham darüber groß, ausgerechnet von der Mutter verlassen worden zu sein. Das macht sie zu Außenseitern, auch unter den anderen Kindern von Alleinerziehenden und sie sprechen nicht gerne darüber. Anders Ex-FDP-Parteichef Philipp Rösler. Die Ansprache zu seinem vierzigsten
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New Family Geburtstag geriet zur Lobeshymne an seinen einst alleinerziehenden Vater Uwe. Als Findelkind aus Vietnam war Philipp Rösler im Alter von neun Monaten zu seinen Adoptiveltern nach Deutschland gekommen. Das Ehepaar Rösler, er Bundeswehrpilot, sie Krankenschwester, ließ sich scheiden, als Philipp vier Jahre alt war. Der Junge blieb bei seinem Vater. Eine bis heute eher ungewöhnliche Lösung. Egal. „Familie bedeutet, dass man Verantwortung füreinander übernimmt“, hat Philipp Rösler gelernt. In welcher Konstellation auch immer. Familie ist allen wichtig Nicht nur für Philipp Rösler ist die Familie ein zentrales Thema. Für 90 Prozent der Deutschen hat Nestwärme oberste Priorität. Das gilt ebenfalls für junge Menschen: 72 Prozent der 12- bis 25-jährigen sind der Meinung, dass man zum Glück unbedingt eine Familie braucht. Im Zweifel auch erst im zweiten Anlauf. Das ist aber gar nicht so leicht. Denn wer einmal gescheitert ist, fürchtet leicht, ein zweites Mal das Glück zu verlieren. Damit tragen neu zusammengewürfelte Patchworkfamilien sogar eine noch größere Hypothek an Erwartungen als Erstfamilien. Das bedeutet Druck für alle Beteiligten. Tatsächlich legen wissenschaftliche Studien nahe, dass das Leben in Stieffamilien nicht immer rund läuft. So stellte die Münchner Psychologieprofessorin Sabine Walper , Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut, fest, dass das Klima in Patchworkfamilien oft weniger positiv ist als in Familien mit allein erziehenden Müttern. Der Zusammenhalt ist manchmal brüchig, es gibt Krach, Jugendliche beschweren sich über die Unberechenbarkeit der Eltern. Dabei stehen die oft schlicht unter Stress: Es gilt viele unterschiedliche Charaktere und verschiedene Vorstellungen unter einen Hut zu bringen und Stolperfallen zu vermeiden. Stolpersteine sind Familienfeiern... Nie wird das deutlicher als bei Familienfesten, an Feier- oder Geburtstagen. Das ganze Jahr über. Nach Ostern ist so auch wieder nur vor Weihnachten... Was gemeinsame Feiern so schwierig macht, ist die uralte Vorstellung von der harmonischen Familie. „Das ist ein unbewusstes Leit– und Wunschbild in unserer Gesellschaft, das noch stark in den Familienalltag wirkt“, erklärt die Kölner Psychologin und Stieffamilien-Expertin 9
New Family Katharina Grünewald. „Es herrscht auch in Patchworkfamilien ganz klar die Vorstellung: Papa, Mama und Kinder verstehen sich gut und sind für immer eine geschlossene Einheit. Dabei bin ich überzeugt: So eine Familie gibt es nicht. Neid, Eifersucht, Streit gehören dazu.“ Zwist ist also nicht schlimm. Und kann mit Knowhow minimiert werden. „In einer Stieffamilie sollte man sich im Vorfeld über die verschiedenen Bilder austauschen, die man darüber im Kopf hat, wie das Familienfest aussehen soll“, so Expertin Katharina Grünewald. „Es stecken oft ganz unbewusste Selbstverständlichkeiten dahinter; man meint, man muss etwas nicht mehr sagen, weil es klar ist. Sobald aber verschiedene Familienkulturen aufeinander treffen, sind diese für andere eben nicht selbstverständlich, also nicht ohne Worte verstehbar.“ Es stellten sich schon Fragen wie: Was gehört in die Osternester der Kinder? Findet die Bescherung vor oder nach dem Weihnachtsessen statt. Und welche der vier Omas wird eingeladen? Und doch kann Einklang gelingen. Immerhin hat es auch etwa die internationale PatchworkVorzeigefamilie von Clan-Papa Boris Becker geschafft, einige Familien- und sogar Weihnachtsfeste gemeinsam zu verbringen. Nein, nicht mit Teenie-Tochter Anna Ermakova, die in London lebt. Aber mit allen Söhnen, also mit Noah, Elias und dem heute vierjährigen Amadeus, mit Ehefrau Lilly und Ex-Ehefrau Barbara. Entscheidend für das Gelingen der Feste war sicher das Einverständnis der beiden Mütter. „Ich mag sie sehr“, sagt Barbara über Lilly Becker. ....und weibliche Konkurrenz Das zeugt von Größe und ist eher ungewöhnlich. Ein Hauptgrund für Schwierigkeiten in neu zusammen gesetzten Familien ist nämlich der patchworktypische Krieg der Frauen: Stiefmutter und leibliche Mutter gehen aufeinander los. „Hilfe und Beratung suchen meist die Familien, in denen der Vater Kinder hat und eine Stiefmutter dazukommt. Und sei es nur für die Wochenenden oder Ferien“, erklärt Katharina Grünwald. Die Krux: „Es gibt für diese Rolle kein Vorbild – nur das Bild der bösen Stiefmutter. Das will man nicht und so orientiert sie sich unbewusst an dem Bild einer Mutter.“ Die Neue im Bunde will perfekt sein, schon um den Liebsten zu beeindrucken. Grünewald: „Damit haben die Kinder zwei Mütter und die Sackgasse ist vorprogrammiert.“ Auch die echte, oft allein erziehende Mutter reagiert verständlicherweise verschnupft, empfindet die Neue oft als übergriffig. So geht es zum Beispiel Elin Nordegren, Ex10
New Family Frau von Golfprofi Tiger Woods und Mutter seiner beiden kleinen Kinder, Sam und Charlie. Als Tiger Woods neue Freundin, die Skirennläuferin Lindsey Vonn, immer öfter in Kuschelpose mit den beiden Kleinen abgelichtet wurde, packte Elin Nordegren die kalte Wut. „Sie glaubt, Lindsey benutzt die Kinder, um ihr Image aufzupolieren. Außerdem versuche Lindsey, sie als Mutter zu ersetzen“, verriet ein Insider. „Elin hasst Lindsey Vonn!“ Psychologin Grünewald kennt solche Kämpfe aus der Beratungspraxis: „Das ist eine Frauenkonkurrenz: Wer ist die bessere Mutter?“
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Eltern von neu zusammengesetzten Familien kämpfen mit Missverständnissen, auch untereinander. Eine Beratung kann helfen.
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Die Rolle der Väter Das Thema gehen Männer gelassener an; sie konkurrieren nur selten miteinander um die Vaterrolle. Dennoch zeigen auch sie familienmoralisch Schwachpunkte: Solange sie die Trennung noch nicht wirklich verwunden haben, stacheln sie ihre neue Liebe schon mal mit Gehässigkeiten gegen die Ex auf. Grünewald: „Dann findet sich das neue Paar in einer gemeinsamen Feindschaft gegen die Ex und die Mutter der Kinder“. Ein Feindbild, so die Expertin, das die neue Beziehung sogar kurzfristig stabilisieren kann. Probleme im Umgang miteinander werden auf die böse Ex geschoben. „Die leibliche
New Family Mutter wird oft als seltsam, depressiv, egoistisch und unfähig hingestellt“, so die Erfahrung der Expertin. Ein bisschen Frauensolidarität und Empathie täten da manchmal Not. So tragen die Mütter die Kämpfe aus, doch Kern der Streitereien ist oft das Verhalten der Väter. „Ein Mann hat auch nach der Trennung eine gewisse Verantwortung für die Mutter seiner Kinder“, erläutert Katharina Grünewald ein Grundprinzip, das hilft, Unstimmigkeiten zu vermeiden. „Er muss sehen, dass die Kinder gut versorgt sind. Wenn die bei der Mutter leben, muss er dazu beitragen, dass die Frau gut über die Runden kommt – seelisch und finanziell.“ Manchen Vätern ist es egal, ob die Ex allein mit dem Kind klar kommt. Das sorgt für Bitterkeit und ist keine Basis für Kooperation. Jährlich müssen sogar mehr als 800 Millionen Euro an Steuergeldern an Single-Mütter überwiesen werden, weil die Väter nicht für ihre Kinder zahlen wollen. Den meisten Männern kommt es aber gar nicht in den Sinn, ihre Ex-Familie im Stich zu lassen. Sie haben dann in der Folge auch, so das Ergebnis von Studien, selten Probleme, eine neue glückliche Patchwork-Konstellation aufzubauen und ein warmes Verhältnis zum Nachwuchs zu halten, selbst wenn der weiterhin bei der Mutter lebt. Es steht zu hoffen, dass Ex-Mozilla-Chef Brendan Eich aus den USA ebenfalls im guten Einvernehmen mit seinen fünf Kindern bleibt, die er gemeinsam mit Gattin Eleanor hat. Dazu wird ihm in der Zukunft aber wohl doch nur gelingen, wenn er mehr Aufgeschlossenheit und größere Toleranz für neue Varianten des Familienlebens aufbringt. Denn gesellschaftliche Realität und statistische Wahrscheinlichkeit sprechen stark dafür, dass er bald schon durch seine eigenen Nachkommen mit der einen oder anderen Variante moderner Familienführung konfrontiert werden wird.
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