Kann ich sie helfen

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Kann ich Sie helfen?

Text XXXXX Fotos XXXXX Illustration Christoph Rathjen/Menschlabor

Kein Zweifel, es herrscht ein massives Problem im Handel: Der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern verhindert Umsatz. Die Ursache auf eine chronisch unmotivierte Generation oder die schlechte Ausbildung zu schieben, wäre zu einfach. Kreative Lösungsansätze sind gefragt!

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üsseldorfer Innenstadt im Juni, ein angesagter Multilabelstore, die Ware auf 50 Prozent reduziert. Drei Verkäuferinnen unterhalten sich angeregt über aktuelle Ausgehtipps. Begrüßung – Fehlanzeige, Beratung – ebenso. Auf Rückfragen reagiert man schleppend bis unwillig, heute anscheinend keine Lust auf Kunden. Danke, da kommen wir doch gerne wieder... Ganz ehrlich: Wann haben Sie sich zum letzten Mal richtig über mangelnden Service im Handel geärgert? Die Liste der Klagen ist lang und bekannt: Extreme Unterschiede hinsichtlich Kompetenz, Leistungsvermögen, schulischer Qualifikation und Disziplin lassen das Qualitätsniveau des Service im Fachhandel sinken. Immer weniger Betriebe bilden selbst aus. Ist das Berufsbild des Einzelhandelskaufmanns uncool geworden? Liegt es an schlechten Führungsqualitäten der Arbeitgeber oder ist die junge Arbeitnehmergeneration einfach faul, ungezogen und undiszipliniert? Vorurteile auf der einen, mangelnde Motivation durch den Arbeitgeber auf der anderen Seite.

Models statt Verkäufer?

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Abercrombie & Fitch ist mit seiner Idee vom Shop Model hoffentlich nicht Vorreiter für eine Tendenz im Einzelhandel geworden, die aus Kundensicht ziemlich bedenklich wäre. Statt ausgebildeter Servicekräfte trifft der Kunde im Store auf so genannte Shop Models, die zwar optisch einiges hermachen, aber keinen fachlichen Auftrag erfüllen. Schön anzusehen verkörpern sie ideal das Lebensgefühl und Image der Kollektion, sind integriert in Markeninszenierung und Storedesign. Den Service sollen andere erledigen, beispielsweise die sich selbst erklärenden Regalsysteme. Eine professionelle Einzelhandelsausbildung ist für Shop Models nicht nötig, denn sie sollen nicht beraten. Die Bewerber müssen einzig und allein zum Store

und der Marke passen und dafür sorgen, dass der Kunde sich wohlfühlt. „Abercrombie setzt auf Schönheit vor Kompetenz. Vermutlich haben sie die Hoffnung schon aufgegeben, rhetorisch begabtes und zugleich sympathisches Personal mit Fachkompetenz zu finden“, meint Stefan Sommer, Sales & Marketing Director Lee Jeans. „Man setzt lieber auf gutes Aussehen in der Hoffnung, dass vielleicht das alleine schon die Kunden zum Kauf anregt. Für Bewerber steht jedenfalls fest: Mit Pickeln oder anderen Makeln hat man bei A&F sowieso keine Chance. Was ich sehr bedaure.“

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Coolness statt Service Ein ähnlich servicearmes dafür aber anscheinend erfolgreiches Verkaufskonzept kennt man aus szenigen Streetwearstores. Beratung in einer Atmosphäre: „Wir sind cool und du hast sowieso keine Ahnung, also kauf das!“, sind keine Seltenheit. Klassische Textilkunde wird meist als uncool abgetan. „Bestes Beispiel dafür ist der Supreme-Store in New York, wo man als Kunde fast dankbar sein muss, überhaupt wahrgenommen zu werden“, sagt Christian Boszczyk, der mit dem Label Beastin’ selbst einen Store führt. Schlecht ausgebildete Aushilfen, die zur Zeit im Fachhandel herangezüchtet werden, verfügen meist nur über gefährliches Halbwissen. Laura Sterzenbach, Inhaberin von Angels Inn in München klagt über Unselbstständigkeit, Vertrauensbrüche und ungezogene Verhaltensweisen: „Ich kann meinem Personal nicht vertrauen. Ich fahre mittlerweile sogar kaum noch in den Urlaub, weil ich Angst habe, dass es im Laden drunter und drüber geht. Früher habe ich meine Angestellten öfter mal alleine gelassen, aber das endete immer in einer Katastrophe. Es stank nach Rauch, Essensreste lagen rum und das Lager war unordentlich. Darauf habe ich keine Lust mehr und stehe deshalb lieber wieder selbst an der Verkaufsfront“, sagt Sterzenbach.

Der Kunde ist König Eine nicht unwichtige Rolle dabei spielt eine Kundengeneration, die durch die vertikal organisierten Markenstores in konzentrierte Imagewelten hineingeschubst werden, wo persönliche Ansprache und Beratung durch gezieltes nonverbales Marketing und professionelles Merchandising ersetzt wird. Der Kunde findet sich hier gut allein zurecht. Für unabhängige Multibrandstores eine Entwicklung, mit der sie nicht mithalten können. „In Zeiten wie diesen ist es enorm schwer, die Kundenfrequenz noch zu steigern. Man kann als Fachhändler nur noch gewinnen, wenn man dem Kunden, sobald er das Fachgeschäft betritt, das Gefühl vermittelt, er gehe hier ein Lebensgefühl einkaufen. Der Kunde braucht ein Einkaufserlebnis, egal ob Monolabel- oder Multilabelstore, es gilt Reize zu schaffen, die für den Kunden verständlich sind und diese durch einen gut geschulten Verkäufer, der hinter dem Produkt steht, zu vermitteln. Deshalb sollte dem Fachhändler klar sein, dass der Verkäufer eine enorm wichtige Schlüsselfunktion hat“, sagt Rainer Ksoll, Verkaufsleiter bei M.O.D. Jeans.


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verantwortlich sind. Meetings und Schulungen, die wir intern veranstalten, sind Pflichtprogramm. Zudem wird das Personal auch in die Warenwirtschaft und unsere Sideprojekte wie beispielsweise Events involviert, sodass sie nicht ausschließlich am PoS ihre Erfahrungen sammeln, sondern die gesamte Firma auch hinter den Kulissen kennen lernen.“

Verkaufsschulungen sind wichtig

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Leistungsbezogene Löhne Das größte Problem ist, dass Shopbesitzer heute mit zu vielen Dingen belastet sind. Horrende Mieten und Energiekosten blockieren die Sicht auf den wesentlichen Part: Zeit und Kosten, die in gutes Servicepersonal investiert werden müssten. So arbeiten Händler fast ausschließlich mit Aushilfen, die als Kostenfaktor betrachtet werden, der zur Disposition steht. Der ausgebildete Verkäufer wird buchstäblich wegrationalisiert. „Eines der größten Probleme im Einzelhandel ist immer noch die Unterbezahlung des Personals. Welcher erfolgreiche Unternehmer wundert sich ernsthaft, dass seine Mitarbeiter, die für ein minimales Gehalt arbeiten, auf Dauer demotiviert sind?“, meint Christian Boszczyk, Leiter der FDMP Designagentur in München und Gastdozent für Jugendsoziologie an der Universität Augsburg. „Meiner Meinung nach ist das effektivste Modell die prozentuale Umsatzbeteiligung oder Auszahlung von Boni an engagierte Mitarbeiter, also die erfolgbasierte Lohngestaltung als Motivation.“

Die AuSSenwirkung zählt Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung ist die Zahl der Ausbildungsverträge seit 2008 um 12,2 Prozent zurückgegangen. Zum einen liegt es an geburtenschwachen Jahrgängen, zum anderen aber auch daran, dass viele Betriebe aufgrund der rückläufigen Nachfrage

gar nicht mehr ausbilden, außerdem habe die Qualität der Bewerber stark nachgelassen. Hinzu kommt, dass die Attraktivität mancher Berufe schwindet. Die des Einzelhandelskaufmanns gehört leider auch dazu. Axel Augustin vom Bundesverband des deutschen Textileinzelhandels: „Um das Berufsbild Einzelhandelskaufmann wieder attraktiv für Berufsanfänger zu machen, müssen Betriebe sich nach außen interessanter darstellen. In der Textilbranche haben wir mittlerweile einen unterschiedlichen Wettbewerb. Ein Ludwig Beck am Marienplatz in München kann sich vor Bewerbungen kaum retten, nicht so prominente Modehäuser klagen über Bewerbermangel. Mittlerweile verstehen eine Reihe von Unternehmen, dass es ein Wettbewerbsfeld geworden ist. Man muss sich attraktiver darstellen und auch zeigen, was Berufsanfängern angeboten wird“, so Augustin. Die Carhartt-Filiale in München kann sich vor Bewerbungen kaum retten. Derzeit arbeiten dort zwei Festangestellte, drei Teilzeitkräfte und zwei Aushilfen. Ab nächstem Jahr wird auch ausgebildet. Natürlich trägt der Markenname dazu bei, zum anderen aber auch der Führungsstil im Store. Storeleiter Tith Kotsombat-Chaichalermpol ist es enorm wichtig, seine Angestellten ideal zu fördern. „Die Leute wissen, dass sie, wenn sie bei uns neu anfangen, sofort fest ins Team integriert werden und ihren eigenen Bereich bekommen, für den sie

Nur dafür fehlt es so manchem Shop an Motivation, sie in Eigeninitiative durchzuführen. Leider gibt es auch in der Textilausbildung in Deutschland zu wenig Institutionen, die diese anbieten. Laut BTE biete nur die Textilfachschule LDT in Nagold Förderseminare an, jedoch erst nach abgeschlossener Ausbildung. Unternehmen wie Carhartt, Converse, Levi’s und viele andere Brands übernehmen diesen Part selbst und bieten Personalschulungen an. Rainer Ksoll ist überzeugt, dass Initiativen von Seiten der Fach- und Hochschulen nur dann Sinn machen, wenn sie Spezialisten aus der Branche dafür gewinnen. „Szene-People können das Feeling und den rhetorischen Charme, der für Verkaufsgespräche enorm wichtig ist, viel besser umsetzen als PoS-ferne Coaches. Erst mit solchen Leuten machen Verkaufsschulungen wirklich Sinn.“ Für Roberto Aufiero, Leiter der Kickz.com Filialen in Deutschland, ist aber auch die Unterstützung aus der Industrie enorm wichtig. „Ich wünsche mir ein größeres Angebot an Schulungen von Markenseite in unseren Stores. Viele arbeiten nur mit Broschüren und Katalogen. Wenn uns jemand von einer Marke wie Nike im Store besucht, der das Produkt gut kennt und neue Innovationen persönlich vorstellt, hat das eine enorme Wirkung auf unsere Mitarbeiter“, so Aufiero. Nike ist ein Beispiel für Retailsupport von Markenseite, aber auch für GStar ist es ein Thema. Hier werden Waschungen, Denimstärken, Schnitte und Details erklärt, die auch ein wichtiger Punkt zum Verständnis der Preisgestaltung sind.

Service im Netz Auch im Onlinebusiness hat sich in Sachen persönlicher Service einiges getan. Mittlerweile reicht es nicht mehr aus, ein Produkt via Foto zu zeigen und mit einer kurzen Produktbeschreibung zu unterlegen. Emotionalisierung und persönliche Ansprache spielt eine immer wichtigere Rolle, nicht nur über eine kompetente Service-Hotline, wie man es von Vorreitern wie Frontlineshop kennt. Als neues Tool dienen bewegte Bilder und Ton, die das jeweilige Produkt en detail vorstellen und die Rolle des Verkaufsberaters einnehmen – momentan überwiegend eindimensional, denn die direkte Ansprache über Chat oder Telefon ist nur mit der entsprechenden Manpower umsetzbar. Produktvideos schaffen es, nicht nur der sonst oft emotionslosen virtuellen Shoppingwelt wieder ein wenig

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Leben einzuhauchen, sie steigern nachweislich auch die Verkaufszahlen, denn wie ein qualifizierter Angestellter informieren sie die Kunden und stellen einen persönlichen Kontakt her. Vorreiter auf diesem Gebiet ist der 2010 gelaunchte Onlineshop Style-Invaders. „Natürlich lassen sich Informationen auch textlich in der Produktbeschreibung kommunizieren, aber lange Romane werden nicht gelesen“, so Christoph Thielecke, Inhaber der Style Invaders OHG. „Manchmal reicht es einfach nicht, ein Detail eines Artikels nur mit Bild zu zeigen, um die Funktion oder den Mehrwert herauszustellen. Eine Erklärung wie im stationären Handel kommt einfach besser an.“ Im Vergleich zu Planet Sports oder Frontlineshop, die in ihrem Onlineshop mit professionellen Models aber ohne Moderation arbeiten, setzt Style Invaders auf authentische Typen und auf fachliche und humorvolle Informationen zum Produkt. „Streetwear ist alles andere als Einheitsbrei und Langeweile. Warum sollten wir dann nicht auch die Produkte genau so präsentieren? Unsere User sollen Spaß beim Shoppen haben und sich durch die Videos unterhalten fühlen. Unterhaltung ist ein ganz wesentlicher Punkt, gepaart mit kompetenter Informationsvermittlung ein Verkaufsschlager!“, erklärt Thielecke.

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auf die anderen zu zeigen ist keine Lösung. Wer Mindestlöhne zahlt, durch Aushilfen eine unpersönliche Arbeitsatmosphäre schafft, statt ein motiviertes Team zu formen und selbst kein wandelnder Berufs-Knigge ist, sollte mit Vorwürfen sparsam umgehen. Einige positive Beispiele in dieser Story haben gezeigt, dass echte Führungsqualitäten, faire Arbeitsbedingungen und Gehälter, innovative Ansätze und professionelle Motivation durch einen Chef, der tagtäglich vorlebt, wie man mit Kunden höflich, eloquent und kompetent umgeht, sehr effektiv sind.

Unter dem Strich Ein Argumentationsansatz seitens Industrie und Handel hielt sich während der Recherche und den zahlreichen Gesprächen zu diesem Artikel sehr hartnäckig: Das Problem basiere auf dem mangelnden Engagement und der Qualifikation des Servicepersonals. Aber wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Und

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