Forget me not

Page 1

M i r i a m B lo c h i n g

Wohnungen erz채hlen Geschichten eines Lebens



W i d m u n g

!

meinen Eltern andreas und Rosina sowie meinen Geschwistern Ute, Silke und Bernd

.


Inhalt 07›

Vorwort

08›

Einleitung

165›

Nachwort

166›

Literatur

167›

Dank

168›

Impressum

Interviews R E T T UNG S A S S I S T E N T

12›

DIE MENSCHEN SIND SCHW ER BESCHÄFTIGT

38›

ICH HAB' VOR EINER WOCHE ESSEN VOR DIE TÜR GESTELLT

K RI M INALHAU P T K O M M I S sAR

E IN B RING E R

50›

Wenn ICH mir da jedes mal gedanken machen würde B E S TAT T E R

80›

DA KANN W IRKLICH JEMAND VERGESSEN GEHEN

98›

DIE ANONYMITÄT IST SOGAR WESENTLICH MEHR GEWORDEN

NACHLA S S P F L E G E RIN

RÄU M E R

124›

EIN GANZ TRAURIGES KAPITEL, WAS WIr HIER HABEN


Wohnungen He d w i g B a h l

26›

Sie hatte noch nicht einmal ein Bett E d e ltraud T r e B u sc h

64›

Ich hoffe für sie, dass sie sitzen W a l te r B r et z ke n s

88›

Er liebte seinen papagei über alles W i l l i Asm u s

108›

Der Fernseher lief 24 Stunden Wo h n u n g s r äu mung

134›

ein ganzes Leben landet im Contai ner

Essays Su i z i d

146›

Frau Dur singt moll S T E R B E - UND B E S T A T T UNG S K UL T UR

150›

Gestorben wird immer noch V e r e i n s a m u n g u n d A n o n y m i tät

154›

Zusammen wäre man weniger alleine S OZIAL E r T OD

156›

Wer lebend ig sti rbt ist länger tot M ess i e - s y n d r o m

160›

Eine Lei denschaft, die leiden schafft



Vorwort !

Jeden Tag sterben Menschen, einsam und alleine. Sie sterben und verschwinden. Niemand wird die persönlichen Dinge aufbewahren oder den Menschen in Erinnerung behalten, weil es keine Angehörigen oder Freunde gibt. Die persönlichen Dinge landen im Container. Alles verschwindet, auch die Menschen mit ihrer Geschichte. Aus und vorbei. Jede Wohnung erzählt eine Geschichte. Die Geschichte eines Menschen. Auch die Menschen, die jeden Tag durch ihren Beruf damit zu tun haben, erzählen Geschichten. Geschichten über das Leben. Auch deine Wohnung erzählt etwas über dich! Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, wie du sterben wirst? Was mit deinen persönlichen Dingen geschieht? Wird sich jemand an dich erinnern? Willst du, dass sich jemand an dich erinnert? Was bleibt von uns, wenn keiner sich erinnert?

‹06

07›

.


Einleitung !

Jeden Tag fahren oder gehen wir durch die Stadt. Fahren mit dem Bus, gehen einkaufen, trinken Kaffee. Jeden Tag begegnen uns Menschen. Und wir begegnen ihnen. Wir sehen sie. Aber nehmen wir sie auch wahr? Wir sehen die alte Oma und wir sehen auch, dass sie fast nicht mehr in den Bus kommt. Aber fragen wir uns, wie es ihr geht? Wie sie ihr Leben lebt? Ob sie jemand hat, mit dem sie sprechen kann? Ob sie genügend Geld hat? Ob sie verheiratet ist? Ob ihr Mann vielleicht schon gestorben ist? Ob sie einsam ist? Ob sie Angst vor dem Tod hat? Wahrscheinlich fragen wir uns gar nichts. Warum auch? Wir haben schließlich selber genug um die Ohren. Warum sollten wir uns auch noch Gedanken über eine wildfremde Oma machen? Wir kennen die Frau ja nicht. Es wird sich schon jemand um sie kümmern ... Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, wie wir heute leben. Wir wohnen in der Großstadt, sind umgeben von Dauerlärm und vielen Menschen. Wir wohnen auf engstem Raum, Wand an Wand in Mietshäusern und wissen doch nicht, wer neben uns wohnt. Geschweige denn, wie es diesem Menschen geht. Wir interessieren uns nicht und wollen unsere Ruhe haben. Unser Leben ist schwer genug. Warum sollten wir uns mit den Problemen eines unbekannten Nachbarn, auseinandersetzen? Im Fernsehen werden Berichte über Wohnungen verstorbener Menschen gezeigt. Diese liegen manchmal wochenlang in ihrer Wohnung und keiner bemerkt etwas. Irgendwann quillt der Briefkasten über und es fängt an zu stinken. Man ist entsetzt und zappt weiter. Wir bemerken nicht, dass das die Realität ist. Das passiert wirklich. Und warum? Weil wir keine Ahnung von den Menschen haben, mit denen wir zusammenwohnen. Wenn man sich umhört, hat fast jeder schon einmal davon gehört. Auf die Frage: »Wie ist das denn bei dir im Haus? Habt ihr eine Hausgemeinschaft?«, antworten viele: »Hausgemeinschaft? Nein, haben wir nicht.«


E i n l e i t u ng

Früher gab es so etwas. Auch in den größeren Mietshäusern. Irgendwann hörte das auf. Warum, weiß keiner so genau. Tatsache ist, dass es immer mehr vereinsamte Menschen gibt. In den Medien wird von der »Anonymisierung der Gesellschaft« gesprochen. Wir sprechen auch darüber, bemerken aber nicht, dass wir mittendrin sind. Wir sind diese Gesellschaft, denn jeder Einzelne ist ein Teil davon. Pflegenotstand, Hartz-IV, Rentenreform. Davon sind die meisten von uns nicht betroffen. Und solange es uns nicht betrifft, berührt es uns auch nicht. Wir sind jung, nicht pflegebedürftig und schon gar nicht alt und arbeitslos. Man hört auch davon, dass der Mittelstand wegbricht. Aber wir sehen nicht die Menschen, die ihren Kindern noch nicht einmal ein Brot schmieren können, weil sie kein Geld haben.

»Wir sind jung, nicht pflegebedürftig und schon gar nicht alt und arbeitslos.« Die sozial verarmten Familien, die nicht fähig sind, ihre Kinder richtig zu erziehen. Wir sehen die Menschen nicht, die durch eine Scheidung Job und Kinder verlieren. Deren soziales Netzwerk zerbricht, nicht zurecht kommen und arbeitslos werden. Ihr Leben nicht mehr auf die Reihe kriegen. In ihrer Wohnung sitzen und nicht mehr wissen, wie sie sich helfen sollen oder können. Es gibt so viele Menschen, die einsam sind. Aber wem sieht man schon an, ob er einsam ist? Vielleicht ist der Mensch ja nur in Gedanken oder hat einen schlechten Tag? Vielleicht aber auch nicht ...

‹08

09›


Am Montag, den 7. Mai 2007 rufe ich das erste mal bei waltraud Schäfer an. Sie ist Nachlasspflegerin von Beruf. Ich erzähle ihr von meinem Thema und bitte sie um einen Termin. Sie sagt zu. Wir treffen uns am Mittwoch, den 9. Mai 2007 in ihrer Wohnung zu Kaffee und Kuchen, »Da lässt es sich besser quatschen.« Ich freue mich.

Ich sitze im Bus der Linie 27 nach Dotzheim. Bepackt mit einer Plastiktüte, gefüllt mit drei Stück Kuchen, stehe ich vor der Haustür von Frau Schäfer. Sie öffnet mir die Tür und wir begrüßen uns. Auf die Frage, ob ich denn meine Schuhe ausziehen soll immerhin regnete es winkt sie ab: »Ich lebe hier! Wir sind hier nicht im Museum.« Sehr sympathisch. Wir setzen uns in das Wohnzimmer und sie beginnt sofort zu erzählen. Eine Geschichte nach der anderen und jede ist spannend. Ich höre zu und stelle ab und zu Fragen. Irgendwann erzähle ich ihr, was es mit meinem Buch auf sich hat. Irgendwie versteht sie nicht, warum man über so etwas »unschönes« ein Buch machen will. Sie blickt verständnislos. Ich kläre sie auf und sie versteht. Frau Schäfer ist 69 Jahre alt und seit 30 Jahren als Nachlasspflegerin tätig. Ehrenamtlich. Man merkt sofort, dass sie fit im Kopf ist und offen für Neues. Sie besitzt auch einen Computer und eine neumodische Kaffeemaschine. Espressovollautomat. Die Geschichten, die sie mir erzählt klingen »furchtbar«. »Es gibt Menschen, die liegen in ihrer Wohnung. Tot. Oft ein paar Wochen. Stimmt das?« Sie lacht: »Ein paar Wochen? Monate! Manchmal fast ein Jahr.« Ich lache nicht mehr. Man könne sich nicht vorstellen, wie schnell Menschen teilweise verwesen. Sie erzählt von einem Mann, der vier Monate in seiner Wohnung lag. Als sie kam, war der Tote weg. Der Einbringer hatte die Leiche schon weggebracht. Es stank. Überall. Und überall waren dicke, schwarze Fliegen. Die ganze Wand war voll davon. Unfassbar. Für mich. Sie erzählt auch von Menschen, bevor sie starben. »80 % aller Menschen, die niemanden mehr haben, sind Alkoholiker.« »Und was ist mit den 80- bis 90-jährigen Damen?« »Die können das nur besser verbergen.«


E i n l e i t u n g

»Und warum sind so viele Wohnungen vermüllt?« »Die Menschen fallen in eine Art Lethargie. Sie schaffen sich einen Lebensmittelpunkt, zum Beispiel einen Sessel. Gegenüber ein ›Medium‹. Fernseher, Radio, Videorecorder. Dort leben sie. Alles in einem Umkreis von zwei Metern vergammelt, vermüllt, wird ausgeblendet.« Wir gehen in ihr Büro. Sie zeigt mir Akten, gefüllt mit Papierkram. Massenhaft. Die deutsche Bürokratie in ihrem ganzen Ausmaß. Sie erzählt mir, dass sie die Briefe der ESWE sammelt, zu dicken Bündeln schnürt und dann per Post zurücksendet. Eine kleine Rebellion nennt sie das. Sie lacht: »Das gönne ich mir, nur ab und zu.« Sie schlägt vor, in eine Wohnung zu fahren. Wer hätte das gedacht. Vor einer Stunde war ich mir noch nicht einmal sicher, ob ich so eine Wohnung je zu sehen bekommen werde. Wir fahren los. »Vertrauen Sie meinen Fahrkünsten?« Ich vertraue ihr.

Biebrich, 16.30 Uhr, wir stehen vor dem Haus des Verstorbenen.

Wir gehen die Treppen hoch. Mir wird mulmig. Ein Mann öffnet die Tür und erkundigt sich nach dem Verstorbenen: »Wann ist denn die Beerdigung?« »Die war schon.« An der Haustür klebt ein Aufkleber »Freistaat Bayern«. In der Wohnung riecht es schlecht. Aber es stinkt nicht. Die Wohnung sieht aus, als wäre der Mann mitten im Umzug verstorben. Chaos, Müll, Dreck. Fast keine Möbel. Ein Bett ohne Bezug. Ein Hörgerät und eine Keksdose. Frau Schäfer wuselt durch die Wohnung, auf der Suche nach einem Sparbuch und dem Hausschlüssel. Sie findet ein Buch mit Briefmarken. Ich finde ein paar Krüge aus Bayern und das Foto einer Katze. Das war‘s. Keine privaten Fotoalben, keine Briefe, ... nichts. Der Mann war im Alter von 62 Jahren in seinem Bett verstorben. Er hatte nicht viel Geld und Niemanden, der ihn vermissen wird.

‹10

11›

.


Die Menschen sind mit ihrem Leben schwer beschaftigt ä

R E T T UNG S A S S I S T E N T

E i n I nte rvi ew m it TORSTEN MÜ LLER

Rettungsassistenten und Notärzte sind meist die ersten, die in den Wohnungen verstorbener Menschen anzutreffen sind. Sie sind es auch, die den Tod bescheinigen müssen.

!

Es ist Dienstagmorgen, 7.45 Uhr. Es dämmert als ich das Haus verlasse und zum Bus gehe. Ich bin auf dem Weg ins Johannes Hospital, um einen Tag im Notarztwagen mitzufahren. Während ich im Bus sitze, muss ich daran denken was mich heute erwartet. Mir wird ein wenig schlecht vor Aufregung. In Gedanken gehe ich die Fragen des Interviews durch und versuche wach zu bleiben. In der Notaufnahme werde ich freundlich von einem Gelassenheit ausstrahlenden »Berg« Mann begrüßt. Er bemerkt, dass ich noch passende Kleidung brauche und steckt mich in eine blaue Hose mit Reflektorstreifen an den Beinen und einen viel zu großen weißen Pulli mit der Aufschrift »Rettungsassistent Rotes Kreuz«. Uniformen vermitteln tatsächlich ein Gefühl von Wichitgkeit und Schutz. Ich fühle mich schon halb als Rettungsassistentin und warte gespannt was nun passieren wird. Erst am Nachmittag schaffe ich es, mit nur einer Unterbrechung, das Interview mit Torsten Müller zu führen. Er ist, nach dem ersten Schichtwechsel um 14 Uhr, der zweite Rettungsassistent den ich kennenlerne.


R E T T UNG S A S S I S T E N T t o r ste n m ü l l e r

Können Sie mir von persönlichen Erfahrungen aus ihrem Beruf als Rettungsassistent erzählen? (er denkt kurz nach) Wir hatten eine Exitusfeststellung. Das war mitten in der Stadt, in der Fußgängerzone. Da wo richtig Leben stattfindet, da wohnt die Person und lebt aber eigentlich total anonym, weil sich auch keiner um sie kümmert. Nicht einmal wahrgenommen wird, nicht einmal von den Nachbarn. Nicht einmal von den nächsten Nachbarn, die ja auch in dem Haus wohnen. Da sind Geschäfte im Haus. Aber auch dort scheint niemand sie zu kennen. Monatelang wird die Post die sich stapelt nicht gesehen. Das wird alles nicht wahrgenommen. Das interessiert überhaupt niemanden. Ich muss kurz überlegen wie es überhaupt kam, dass wir gerufen worden sind. Wir sind ganz sicher nicht von den Nachbarn gerufen worden. Es gab irgendein Anliegen oder einen Prozess vom Sozialamt wo Anfrage gestellt wurde, die sie nicht beantwortet hatte, dass sie sich beim Arbeitsamt nicht gemeldet hat oder weiß der Geier was. Sie war auch noch nicht in dem Alter, in dem man nicht mehr arbeiten geht. Nein? Nee, nee. Die war so paarundfünfzig Jahre und keine 90-jährige Oma. Wir reden von einem Menschen der sich im letzten Abschnitt des Arbeitslebens befand. Dann kommst du da durchs Treppenhaus rein und nimmst, und das ist das Merkwürdige daran, denn selbst wenn die Tür geschlossen ist, diesen Geruch wahr. Man hätte diesen Geruch wahrnehmen und merken müssen, dass da was nicht stimmt. Mit Sicherheit riecht man das. Insbesondere wenn man nicht geübt ist. Wir haben eine geübte Nase, das mag ja sein, aber das ist ein Geruch, den man schon in der geringsten Konzentration wahrnimmt. Vor allem als unangenehm. Der ist sehr unangenehm. Das ist beißend. Das ist richtig beißend. Auf jeden Fall, die Polizei war da, der Rettungswagen war schon wieder weggefahren, weil der wohl nicht gebraucht wurde. Dann sind wir durch die Tür und das war ER LACHT ... die ist im April gestorben, hatte einen Ventilator aufgestellt, das Fenster offen gehabt und der Ventilator war mit der Zugrichtung in Richtung Tür aufgestellt gewesen. Man kam dann die Tür rein und da blies einem direkt dieser Wind entgegen. Die lag dann da, und wie das dann so ist, wenn man einen Monat so liegt ... es gibt da unterschiedliche Varianten. Entweder die Leichen mumifizieren, soll heißen, die sind dann einfach ausgetrocknet, oder die unangenehmere Variante, sie verteilen sich auf dem Boden. So war das dann eben bei ihr gewesen. Dann kann man auch eine Todesfeststellung aus fünf Meter Entfernung machen. Das sieht man und man kann dann auch nicht mehr feststellen woran jemand verstorben ist. Das geht nicht. Na gut, dann übergibt man das an die Polizei und dann geht man wieder. Dann kommt der Einbringer ... Genau, dann kommt der Einbringerdienst und der darf sich dann um das weitere

‹12

13›



R E T T UNG S A S S I S T E N T t o r ste n m ü l l e r

Geschehen kümmern. Aber eins kann man dazu sagen, auch dieser Vorfall ist gesellschaftlich nicht existent. Die Nachbarn nehmen dann vielleicht wahr, dass die Polizei, der Rettungsdienst und der Bestatter auftauchen, aber das hat ja keine Konsequenz. Genauso wenig Gedanken wie sie sich vorher gemacht haben, machen sie sich danach. Würde es da vielleicht mal den Auslöser im Gehirn geben, ah die ist tot, dann ist das auch schon wieder vorbei. Aber genau das ist es. Auf der einen Seite schämen sich die Leute sehr und auf der anderen Seite sagen sie: »Was interessiert mich der, das ist mir doch egal?« Und das ist noch schlimmer. Das ist natürlich ein gesellschaftliches Problem, und das schlimmste gesellschaftliche Problem das es gibt, ist, dass den Menschen etwas egal ist. Mir ist es lieber, jemand regt sich über was auf und ich reg’ mich dann darüber auf, dass er sich über was aufregt, aber dann weiß ich, das hat uns beide berührt, wie wenn einem Menschen alles egal ist. Und genau das ist der Fall und das gibt’s nicht selten. Es ist ihnen so egal, das sie’s nicht mal merken. Und das ist schon wieder phänomenal. ER LACHT Der Punkt ist der, ich vergesse solche Sachen relativ schnell. Ich erinnere mich an ganz andere Einsätze. Und das ist der Punkt. Ich kann mich an was erinnern, was mich in irgendeiner Form berührt hat. Wobei ich sagen muss, das berührt mich auch nicht sehr. Ich kann’s aber nicht ändern. Ich müsste jetzt dahin springen, wo es mich noch berührt hat. ER LACHT Und das liegt zig Jahre zurück. Das ist so. Du fährst solche Dinger ab und dann ist gut. Aber auch ein Fall. Innenstadtlage. Das war sehr eklig. So richtig eklig. Das war ein älterer Herr, der war schwerkrank, der ist allerdings von seiner Tochter gefunden worden. Wobei, das ist eher typischer, dass man gefunden wird nach längerer Zeit, aber von seiner eigenen Familie. Das Problem ist, dass die Kinder ausfliegen; sie nehmen irgendwo einen Job an und sind so für die Eltern nicht mehr verfügbar. Das typische Familienbild, das man früher hatte, gibt es in der Form eben nicht mehr. Und so war das in dem Fall. Die hatten länger keinen Kontakt mehr. Die Tochter wusste, der Vater ist schwerkrank. Sie lebte ihr eigenes Leben. Die Menschen sind mit ihrem Leben schwer beschäftigt heutzutage. Dann ist sie eben irgendwann gekommen. Er hatte eine Blutung in der Speiseröhre oder im Bereich des Magens.

‹14

15›


Der hat dann nur noch Blut von sich gegeben. Das war ER LACHT eine Wohnung die in einem ganz schlechten Zustand war, weil das ein Mann war der nicht viel Geld hatte. Aber er war ordentlich, sehr ordentlich. Er hat immer in den Eimer gespuckt und den dann mit Tüchern abgedeckt. Er hat sich sozusagen leer gespuckt. Das komplette Blut. Und als er fertig war, lag er blutleer im Bett. Was? Und um’s Bett standen Schüsseln, also alles was man so hat. Da stand ’ne Schüssel, ein Eimer, der hat geblutet ohne Ende und hat das ausgekotzt. Das dann, soweit er noch fähig war, und das hat er sehr ordentlich gemacht, immer schön zugedeckt. Und als wir kamen, und das war wirklich phänomenal, lag er da und wir haben gesehen, das sieht nicht gut aus. Wir waren erstmal ein wenig ratlos. Dann haben wir in die Dinger reingeschaut. Die waren dann alle bis oben hin voll mit Blut und Erbrochenem. Das bedeutet ja, dass er nicht mehr leben wollte. Wenn man soviel Blut von sich gibt, und das nicht mehr aufhört, dann weiSS man doch, dass man daran sterben wird? Nein, das kann man so nicht sagen. Da müssten Sie den Intellekt des Menschen hinterfragen. Das ist eine ganz schwierige Sache. Es gibt nichts was es nicht gibt und es gibt ganz clevere Menschen und es gibt Menschen die leben in ihrer ganz eigenen Welt. In welcher Welt der gelebt hat, vermag ich nicht zu sagen. Keine Ahnung. Es kann sein, dass er es bemerkt hat, es kann sein, das er Panik hatte, wobei es dagegen spricht, dass er alles so zugedeckt hat. Oder es kann sein, dass er in seiner eigenen Welt lebte, und so sieht es aus, sich gar nicht darüber bewusst war, was es für Konsequenzen hat, wenn er soviel kübelt und das sein eigenes Blut ist. Keine Ahnung, kann man nicht sagen. Gut das war der Fall. Dann hatten wir noch einen fast aktuellen Fall. Ich persönlich befass’ mich damit nicht mehr so sehr. Wenn was neu ist, dann wirkt das noch auf einen, das ist immer so mit Neuem. Aber heutzutage, wenn ich so einen Einsatz habe, dann geh’ ich da rein, schau’ was ich brauche, ob irgendwas besonders zu beachten ist und dann gehe ich wieder. Ich hab ja nichts zu tun. Ich werd’ ja nicht gebraucht, dann kann ich auch wieder gehen. Es ist immer noch die Frage mit was du kommst. Wir sind jetzt mit dem Notarzteinsatzfahrzeug unterwegs, eine andere Situation ist es, wenn Du mit dem Rettungswagen unterwegs bist. Da haste wirklich nichts zu tun. Dann fährste da hin, tot, tschüss. Also wenn’s ein gesicherter Exitus ist. Wenn wirklich klar ist, da ist nichts mehr zu holen. Bei dem jetzigen Fall war das so. Ich war mit dem Rettungswagen unterwegs und der Arzt war noch in der Anfahrt. Und da stand die Tochter, stand schon vor der Haustür und war total aufgelöst. Die hat sich mit ihrem Vater überhaupt nicht verstanden und ist aber trotzdem alle vier, fünf Wochen zu ihm hin. Das war eine Müllhalde, das war ein Dickkopf hoch zehn, was sie erzählt hat, überhaupt nicht zu händeln, wohl schwer krank. Das sind so die Gegensätze, da stand so ein mobiles Beatmungsgerät, so ein Kompressor, der wird mit Strom


R E T T UNG S A S S I S T E N T t o r ste n m ü l l e r

und Akku betrieben, damit er immer schön Sauerstoff hat, und dann liegen die Kippen, die vollen Aschenbecher daneben und das Bier. Das sind dann die Gegensätze, auf der einen Seite geht gar nichts und dann wird die ganze Zeit Sauerstoff reingepumpt bis nichts mehr geht und dann kommt die Kippe hinterher. Das ist ein Mechanismus, den kann man auch so nicht durchbrechen. Die Leute sind halt eben fertig, die sind so krank, dass sie in der Birne krank sind. Da kannst Du auch nichts machen, die kann man nicht heilen. Die kann man nur noch, sozusagen, gesteuert zum Ableben bringen. Das machen die natürlich selbst. Wenn Du denen den Sauerstoff wegnimmst oder vorenthältst und sagst: »Sie kriegen das Gerät nicht mehr.«, dann lebt der ja schneller ab. Was die Frist ja verlängert, ist ja das was man ihm Gutes tut. Was man ihm anbietet, was man machen kann. Und wenn man das nicht macht, dann geht das ja viel schneller. Nur, man kann das Resultat nicht abwenden, weil der Patient spielt ja nicht mit. Er sagt ja nicht: »Ich bin schwer krank, ich hab’s jetzt eingesehen, ich muss ja jetzt wirklich ganz strikt alles ändern was falsch ist. Und ich muss aufhören zu rauchen und Alkohol zu trinken. Ich muss mich in eine erweiterte Therapie begeben, ich muss schaun’, dass ich meine total verwanzte, verfilzte Hütte mal in Schuss bekomme und diesen total vermilbten Teppichboden rausschmeiße.« Die lassen sich ja auch nicht helfen. Wenn Du jetzt hinkommst und du sagst, wir machen das jetzt mal, dann haben die den Eindruck, dass du sie entmündigst und ihnen was wegnehmen willst. So eine Geschichte hat mir der Räumer auch erzählt. Die fühlen sich da wohl. Das muss so sein. Ja, die fühlen sich wohl. Der Mann ist wohl so ausgerastet, dass er für 24 Stunden zwangseingewiesen wurde. Das war für den Mann wie ein gefühlter Tod. Ja, das kann man gut nachvollziehen. Das ist das Ordnungsprinzip der Menschen. Jetzt stellt sich die Frage was ist »normal«? Normal ist was zugelassen ist, oder zugelassen wird. Für diesen Menschen ist eben was anderes normal. So ist es halt. Es gibt ja das Gesetz, dass jeder so leben kann wie er möchte, solange er niemand anderem schadet. Dieses Gesetz gibt es, aber nicht gelebt. Das, über was Sie gerade recherchieren, das bahnt sich gerade an. Wir sind jetzt in der Vorstufe. Wir sind gestern gerufen worden, zum wiederholten mal, zu einer Frau. Deutlich vorgealtert, 66 Jahre alt. Und ich kann mich genau an den Spruch vom Notarzt erinnern: »Sie sind ja keine 65 mehr.«, weil er dachte, die Frau sei 80 oder 90. Die Feuerwehr hatte die Tür geöffnet, weil sie die Tür selber nicht mehr öffnen wollte und drin ein Zustand der Verwahrlosung. Man müsste jetzt wahrscheinlich noch die Verwahrlosung einteilen in Schweregrade um’s perfekt zu machen. Nein, echt jetzt mal. Stufen, für einen Menschen, der das noch nie gesehen hat, die nicht vorstellbar sind. Ich würde mal sagen, sie bewegte sich auf einer Skala von eins bis zehn auf der Stufe zwischen drei und

‹16

17›


vier. Man hat also gesehen, das funktioniert überhaupt nicht mehr. Auf dem Herd war Ei, Milch, Gries, Kartoffeln übergelaufen. Ich hab’ gedacht, da brennt was an. Die lag auf dem Boden und konnte sich nicht mehr rühren. Da gibt’s einen Pflegedienst, der kommt einmal pro Tag. Die hat allerdings das Recht, dem Pflegedienst den Schlüssel zu verweigern und davon machte sie Gebrauch. Sonst wären die ja reingekommen. Einen Pflegedienst gibt’s, also ist schonmal erkannt, die schafft’s alleine nicht. Aber den Schlüssel bekommt der Pflegedienst nicht, also reinkommen tut keiner. Für was ist der Pflegedienst dann da? Was macht er denn dann? Die Frau ist nicht wirklich orientiert, aber auch nicht so neben der Spur um ihr die Geschäftsfähigkeit zu entziehen. Das wäre dann der § 10, Hessisches Freiheitsentzugsgesetz, o.k. innerhalb von 24 Stunden muss ein Richter auf den Fall schauen und jemand der sich medizinisch auskennt, ob die Person überhaupt geschäftsfähig ist oder nicht. Bedeutet letztenendes, die Frau bleibt zu Hause, wir machen die Tür wieder zu, einen Schlüssel hat keiner und die sitzt dann in ihrer Hütte, bis am nächsten Tag der Pflegedienst kommt. Und das ganze Spiel geht solange, bis sie nachweislich nicht mehr geschäftsfähig ist. Man kann die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen. Wobei, man kann die Leute zu ihrem Glück zwingen, aber in einem sehr engen gesetzlichen Rahmen. Auf der einen Seite ist es natürlich schlimm, aus unserer Warte betrachtet für die Person, weil wir natürlich sagen, das kann man doch nicht machen. Auf der anderen Seite ist es aber richtig, dass es so ist, ansonsten könnte man ja jeden entmündigen und ihn dann in die Klapse stecken. Das ist ein schwieriges Thema, aber es muss so sein. Das Ende vom Lied wird sein, die Wohnung ist total zugeraffelt, wenn’s gut geht bekommt sie einen Apoplex (Schlaganfall), dann kommt irgendwann der Rettungsdienst. Und da ja sichergestellt ist, dass jeden Tag jemand klingelt, auch wenn er die Tür nicht öffnen kann, dann muss die Tür eben geöffnet werden. Dann kann man sagen, innerhalb eines Zeitfensters von 24 Stunden wird dieser Zustand erkannt und dann wird sie in eine Klinik gebracht. Das wäre die eine Variante und die andere wäre, dass sie nicht mehr lebt. Aber das ist ja ihre Entscheidung. Wir leben in einem freien Land.


R E T T UNG S A S S I S T E N T t o r ste n m ü l l e r

Das finde ich prinzipiell ja auch o.k., aber es gibt eben auch Menschen die so depressiv sind, die innerlich nach Hilfe schreien, aber nicht fähig sind sich Hilfe zu suchen. Das ist für mich die Grauzone. Das ist ja jetzt eine psychologische Sache. Man kann ja nur das verstehen, was ausgesendet wird. Der Sender sendet ja eindeutige Signale und man versteht es dann. Im Idealfall! Es müsste natürlich geklärt werden was eindeutig ist. Aber diese Menschen senden ja ganz andere Signale oder keine. Also wenn es jemandem schlecht geht, dann muss ja ein Signal an die Umwelt, also andere Menschen, gesendet werden. Und da ja derjenige dem es schlecht geht keine Signale sendet, müsste man ja direkt auf die Person zugehen. Mit ein Mal auf denjenigen zugehen ist es aber nicht getan. Also nachhaken, und da sind wir wieder bei dem gesellschaftlichen Problem. Das ist gesellschaftlich nicht händelbar, das ist nur therapeutisch händelbar. Wenn man in ärztlicher Behandlung ist, dann muss es eigenlich der Hausarzt merken. Wenn man nicht in ärztlicher Behandlung ist, müsste es das nächste Umfeld merken. Die Leute haben aber in der Regel, ganz typisch für solche Leute, kein persönliches Umfeld oder sie haben es zerstört. Jetzt möchte ich mal eins dazu sagen. Das ist jetzt ein bisschen böse. Aber hätten Sie nach acht Stunden Dienst und Stress noch Lust sich auf dieses Thema einzulassen? Weil diese Leute nicht normal funktionieren. Man würde es gar nicht verstehen und würde irgenwann zu dem Schluss kommen, das unterstell’ ich jetzt einfach mal, dass es in so einer Geschichte zwei Personen gibt und da überlegt man, wie man mit heiler Haut aus der Sache rauskommt. Da muss man eigentlich mit Psychologen reden die mal was zu solchen Menschen erzählen können. Der Mensch funktioniert nicht so, wie wir das als normal empfinden. Aber das ist das, was Sie erwarten. Einfaches Beispiel: Ich unterhalte mich jetzt mit Ihnen. Sie sind Rettungsassistentin und ich bin Ihr Patient und plötzlich klatsche ich Ihnen eine. Damit rechnen Sie gar nicht. Wie finden Sie das denn? Das hat natürlich was mit der Situation zu tun, in der ich mich befinde. Wenn ich merke, dass bei dem Menschen im Kopf was nicht stimmt, würde ich auf jeden Fall nicht zurück schlagen. Sowas kann man sich schwer vorstellen, wenn man das selbst nicht schon erlebt hat. Und das ist noch die angenehmste Variante. Wir haben mit solchen Menschen auch nur kurz zu tun. Solange sie nicht tot sind. Wir haben ja nur ein ganz enges Zeitfenster. Das kann für unsere Verhältnisse relativ lang sein, weil wir mit den Leuten reden müssen und zu etwas motivieren müssen, wozu sie keine Lust haben. Zeit für lange Gespräche, und da sind wir am nächsten Punkt, haben wir nicht. Gehen Sie mal in die Einsatzzentrale und fragen mal nach den Leuten, die da anrufen, weil sie niemanden haben. Die rufen an ...

‹18

19›


Die gibt’s? Aber hallo! Aber hallo! Soziale Dienstleistung. Die rufen 50- bis 60-mal am Tag an und sagen dir, dass sie gerade nichts zu sagen haben, aber dass es ihnen wieder gut geht oder dass es ihnen schlecht geht. Dann rufen sie an und wollen einen Notarzt haben, haben aber eigentlich nichts. Was glauben Sie, wieviele es da sonst noch gibt? Aber natürlich. Und das Ding ist, da fährste das erste Mal hin, bringst sie in die Klinik, abgecheckt, fährst sie wieder nach Hause. Das nächste Mal, nimmst sie mit, in der Klinik abgecheckt, das nächste Mal behandelst sie zu Hause, das nächste Mal machste gar nichts mehr, weil du es weißt, dass er beziehungsweise sie nichts hat. Aber es wird ja immer jemand hingeschickt. Muss ja immer jemand schauen gehen. Dann rufen sie an, dann kannst Du es zehnmal so händeln, dass keiner hinfahren muss und beim elften Mal muss dann doch wieder jemand hinfahren für nix. Aber natürlich gibt’s das. Und das sind nur Leute, die alleinstehend sind. Und das geht dann soweit, je nach Fall, dass der eine therapiewürdig ist. Das funktioniert dann soweit. Zumindestens für einen bestimmten Zeitraum. Man kann sagen, das geht dann ein Jahr lang gut und dann schleicht sich das wieder langsam ein. Dann fallen die Leute wieder in ihre alten Verhaltensweisen zurück und dann geht das Ganze wieder von vorne los. Das sind so die Vorstufen davon. Also eine mögliche Variante davon. Das sind dann die, denen es nicht gut geht, es aber jedem erzählen. Und das zehnmal pro Tag. Denen geht es auch nicht gut, aber denen hörst du auch nicht mehr zu. Beide Extreme funktionieren nicht. Ob nun jemand keine Signale sendet oder soviele, dass man nicht mehr zuhört. Das Ergebnis scheint das gleiche zu sein. Den Leuten geht’s nicht gut. Genau. Eines ist sicher, die die keine Signale senden, die muss man schon sehr gut kennen. Einen Verwandten oder Freund zum Beispiel. Die kennt man und da kann man auch kleine Signale erkennen. Meines Erachtens ist es heute so, dass die Verwandten mit den Lebensumständen und mit der Situation nicht zurecht kommen. Und einfach für sich sagen, weil es für sie eine schwere Last ist, ich pack’ das nicht. Ich geh’ da nicht hin oder ich geh’ nur selten hin und wenn nur zu bestimmten Anlässen oder in einem bestimmten Zeitraum. Sie gehen da raus und sind total fertig, das muss man mal sehen. Und derjenige, der die Situation verursacht, ist sich ja keiner Schuld bewusst. Der ist ja so wie er ist. Ganz schwieriger Fall, ganz schwierig. Hat sich die Gesellschaft verändert? Die Gesellschaft verändert sich immer und wird sich immer verändern. Das ist mal Punkt eins. Punkt zwei ist, im Augenblick ist es einfach so, dass die Uhren schneller ticken. Meine Eltern, die wohnen seit 1968 in der gleichen Wohnung und die wollen da auch nicht mehr raus. Ich hab in meinem Leben schon zwölf Wohnungen bezogen und ich würde sagen, die Generationen die nach mir kommen, werden das inflationär betreiben. Bei uns gab’s früher im Haus eine Hausgemeinschaft. Da hat sich die Frau von unten den Zucker geholt und meine Mutter die Eier. Die haben gegenseitig auf die Kids aufgepasst. Die haben zusammen Hausfeste gefeiert.


R E T T UNG S A S S I S T E N T t o r ste n m ü l l e r

Das war ein Mietshaus? Ja, das hat sieben Etagen. Jeder kannte jeden, nicht alle waren sich grün, aber es hat immer Kommunikation zwischen allen stattgefunden. Es wurde Fassnacht gefeiert. Da wohnten auch alte Leute. Rechts und links waren die großen Wohnungen, da wohnten die Familien die damals alle noch jung waren und in der Mitte wohnten immer die alten Leute, das waren die kleinen Wohnungen. Auch die waren integriert, auch wenn die immer geschimpft haben mit uns, weil wir hinten auf der Wiese gespielt haben und zu laut waren. Aber das musste so sein. Und so hatte jeder seine Funktion. In der Form gibt es das heute fast nicht mehr. Aber wenn man sagt die Gesellschaft verändert sich, dann ist das ja kein aufgesetzter Prozess, »Ich lenke das«, sondern dann kommt das von Innen heraus. Und wohin das irgendwie, irgendwann, irgendwo mal hinsteuert, kann man ja gar nicht sagen. Das kann in viele Richtungen gehen, das könnte auch wieder in den kontrollierten Staat gehen oder in eine kontrollierte Gesellschaft, weil die Menschen das Bedürfnis nach Sicherheit haben. Die DDR wäre zu blass gewesen, jetzt kümmern wir uns wieder alle um uns gegenseitig, man weiß wieder alles über jeden. Weiß nicht, das könnte so sein. Aber Achtung die Wertung, ob was gut oder schlecht ist, oh das ist so eine Sache. Gut, vielleicht war es früher so, dass es solche Fälle nicht gab oder weniger gab, weil die Familienstrukturen anders waren, oder auch der Umgang der Menschen untereinander, aber vielleicht waren da andere Dinge viel schlimmer.

‹20

21›


Es wäre interessant rauszufinden wann diese Hausgemeinschaften weniger wurden und warum? Es gibt ja immer noch welche. Mir geht es nicht darum zu sagen, die ganze Gesellschaft geht den Bach runter. O.k., wir kommen jetzt zu einem anderen Thema und das hat was mit umziehen zu tun. Der Mensch bleibt ja da, wo er sich wohlfühlt. Ich bin 1999 umgezogen. Das Haus gehörte einer Erbengemeinschaft, hört an, und der Eigentümer wohnte bis an sein Lebensende in diesem Mietshaus und hat die Leute die da eingezogen sind ganz genau beobachtet. Der passt mir, der darf da rein und wenn er niemand passendes gefunden hat, dann blieb die Wohnung leer. Das war ihm dann egal. So lange bis er jemanden gefunden hatte, bei dem er meinte, das passt zusammen. Das war ein großes Haus. Oben wohnte eine Familie drin mit Kindern. Unter uns wohnte ein junges Paar und über uns noch ein Studentenpaar. Es waren fünf Parteien, aber insgesamt acht Wohnungen. Dann hat die Erbengemeinschaft nach zwei Jahren das Haus verkauft. Die Stadt hatte ein Vorkaufsrecht und hat das ausgeübt. Dann wurden, wie das mit der Fluktuation so ist, die leeren Wohnungen voll gemacht und mit neuen Menschen gefüllt. In diese Wohnungen sind dann Menschen einge-


R E T T UNG S A S S I S T E N T t o r ste n m ü l l e r

zogen die wenig Geld hatten oder arbeitslos waren. Und auf einmal brach ein Krieg aus in diesem Haus. Da war dann die Familie aus Bosnien unten, da waren dann Araber, die haben sich sofort in die Haare bekommen. Bis zum Gehtnichtmehr. Ein Krieg! Unglaublich. Das Haus war saniert, komplett, von außen sah’s fürchterlich aus und von innen war’s richtig klasse gemacht. Innerhalb von sechs Monaten hast du das Haus von innen nicht mehr wiedererkannt. Schmierereien, zerkratzt, jede Woche die Klingelschilder abgekratzt. Von Hausgemeinschaft will ich da gar nicht reden. Früher hatte man miteinander geredet, mal einen Kaffee zusammen getrunken. Vergiss es. Das konnteste knicken. Mir wurde das Auto zerkratzt, dass du die Kiste nicht mehr wiedererkannt hast. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt keinen Menschen mehr in diesem Haus. Und dann sind wir da weggezogen. (Wir werden unterbrochen und fahren zu einem Notfall)

Wir waren bei dem Thema Verantwortung. Der Vermieter hat Verantwortung übernommen und das hat was mit Möglichkeiten und Kapital zu tun. Wenn man Möglichkeiten hat, muss man sich fragen wie man damit arbeitet. Und der nächste Punkt, weitergedacht, ist die Gesellschaft. Der erste Vermieter, der das Haus verwaltet hat, hat sich die Mieter ausgesucht. Er hat Leute in den Wohnungen leben lassen, von denen er dachte, dass die zusammen passen. Das sind Leute die setzten ihr Kapital ein, mit den Möglichkeiten die sie hatten, um was zu schaffen und selbst zu lenken. Es gibt in dieser Gesellschaft, und deshalb sag’ ich ganz schwieriges Thema, weil es wirklich übergreifend ist, eine Entkopplung von Verantwortung und Kapital. Und ich glaube, dass da ein grundlegendes Problem ist heutzutage, wenn du Geld hast oder wenn die Menschen Geld haben, es nicht selbst einsetzen um etwas damit zu gestalten. Natürlich gibt es die auch, keine Frage. Aber es gibt ganz viele, die schauen, wie kann ich mit geringem Aufwand viel Geld machen. Kapital ist ja heutzutage entkoppelt, deshalb gibt es ja Kapitalgesellschaften. Die Menschen legen ihr Geld nicht mehr in der Firma an oder direkt in einem Unternehmen, sondern sie stecken das Geld in Fonds. Haben aber überhaupt keinen

‹22

23›


Überblick, was damit passiert. Das hat zwar nur am Rande mit dem Thema zu tun, das lenkt aber unsere Gesellschaft. So funktioniert das nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Gesellschaften. So verändern die sich. Und vielleicht werden uns das unsere Enkel oder Urenkel vorhalten. Und uns dafür bitterböse abstrafen. Geld ist immer Verantwortung was zu schaffen, was zu lenken, was zu tun. Wir machen uns da viel zu wenig Gedanken. Es ist halt schneller irgendwohin weggebracht, irgendwo eingezahlt, dann wird geschaut, scheiße, die Börsenkurse sind grade unten, macht nichts, irgendwann wird’s wieder besser. Und so funktioniert das. Und das ist auch eine Einstellung. Hauptsache ich hab meinen Profit. Glauben Sie nicht auch, dass das eine Sache der Erziehung ist? Nein, das glaube ich nicht. Ich würde nicht wagen zu verallgemeinern. Das ist wirklich ganz arg schwierig. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das nichts mit der Erziehung zu tun hat. Man kann ja nur das beleuchten, was man selbst wahrnimmt. Die Menschen sind ja nicht schlecht. Die sind nicht nur egoistisch und benehmen sich schlecht. Gesunder Egoismus gehört mit dazu. Unsere ganze Gesellschaft ist so aufgebaut. Wenn’s uns gut geht, geht’s anderen schlecht. Reichtum baut immer auf Armut von anderen auf. Nur sind die dann grade nicht hier, die sind dann halt woanders. Aber sie sind doch mittlerweile in unserer Gesellschaft. Ja. Aber das ist gut so. Gib Acht. Es gibt den schönen Aufkleber »Alle wollen zurück zur Natur, nur nicht zu Fuß.« Der Spuch kommt aus den 70er, 80er Jahren »Atomkraft, nein danke!«. Und wo kommt der Strom her? Der steigende Bedarf. Wir stellen uns hin, das ist vielleicht ein wenig provokant, aber Armut gibt’s und gab’s schon immer. Nur halt nicht hier. Und Reichtum und der Reichtum anderer Gesellschaften baut schon immer auf der Armut anderer auf. Und nur weil die Armen gerade nicht hier waren, nicht nur in Deutschland, sondern vielleicht auch nicht in Europa, waren sie immer da. Wir haben andere Systeme ausgenutzt, und sie uns immer so gehalten wie wir sie brauchten. Jetzt ist es so, alles wächst zusammen, Information, Kommunikation. Information geht viel schneller, Wege werden viel kürzer. Bei Globalisierungsgegnern weiß man doch genau um was es geht. Globalisierung bedeutet, dass die die bisher nichts hatten was bekommen. In irgendeiner Form, egal wie, am Ende ist es Geld. Und da wir von einem Geldkreislauf sprechen, ist es Geld das diesem Markt entzogen wird in einen anderen Markt und steht hier nicht mehr zur Verfügung. Ich beteilige Andere am Reichtum, das bedeutet nicht, dass alle gleich reich werden. Jemandem der was hatte, wird was weggenommen und auf einmal bricht die Mittelschicht weg. Das ist das grundlegende Problem. Es gibt ein paar die dann noch reicher werden. Es gibt aber ganz viele Arme, die gerade auch reicher werden aber nicht hier sind. Die siehst du nicht. Die seh’ ich auch nicht. Aber es ist so. Das heißt, neue Märkte werden erschlossen, Firmen gehen in andere Länder um dort zu produzieren, weil es da billiger ist. Entkopplung von Kapital und Verantwortung. Andere Menschen die vorher nichts hatten, haben jetzt was und denen geht’s langsam bes-


R E T T UNG S A S S I S T E N T t o r ste n m ü l l e r

ser. Allerdings zu dem Preis, dass es denen den es vorher besser ging, schlechter geht. Das muss so sein und das ist gut so. Alle reden von der besseren Welt und wie man den Menschen denen es schlecht geht hilft. Aber keiner macht sich Gedanken über den Preis, den das kostet. Für denjenigen der das bezahlt, ist das super tragisch, das tut richtig weh. Ich war auf einer Hochzeit. Da war die Kollekte für obdachlose Kinder in Wiesbaden. Da schlackerst du mit den Ohren. Das kann man sich überhaupt nicht vorstellen, das kommt überhaupt nicht an. Das ist überhaupt kein Thema sowas. Jetzt muss man sich mal vorstellen, in unserer Gesellschaft obdachlose Kinder. Da brennst du doch durch. Das ist doch der Hammer. Aber soweit ist es gekommen. Aber es ist so, wie es ist. Wieviel Lug und Trug steckt dahinter. Dann soll er ehrlich sein und sagen, ich will, dass es mir gut geht. Das darf ein armer Mensch auch sagen. Es ist alles nicht so einfach wie man denkt. Und das hängt alles zusammen. Nur über eins müssen sich die Leute im Klaren sein: Es bewegt und berührt uns alle und es trifft uns alle. Vor allem, weil es alle trifft und es offensichtlicher wird. Und die Wege der Kommunikation sind die Wege des Geldes. Macht ist da wo’s Geld ist. Nur dort. Politik und Geld ist eigentlich ja ein ätzendes Thema. Wir werden sehen wie sich unsere Gesllschaft entwickeln wird. Viel Erfolg! Danke!

‹24

.

25›



Sie hatte noch nicht einmal ein bett

V e r g i ss me i n n i c h t

D as L e b e n d e r H e d w i g B a h l

Am 2. November 2007 erhALTE ich den Schlüssel für Hedwig Bahls wohnung. Vierter Stock eines 20er-Jahre mietshauses. einzimmerWOHUNG. kein balkon. eine wohnung, die ihre ganz eigene geschichte erzählt.

!

Hedwig Bahl wird am 2. Dezember 1925 in Großwalde, Kreis Neidenburg/Ostpreußen, als Tochter der ledigen Hausangestellten Auguste Bahl geboren. Am 30. März 1940 heiratet ihre Mutter den Klempner und Installateur Adolf Louis Johann de Vries. Bereits vier Jahre nach der Heirat kommen ihre Mutter und ihr Stiefvater bei einem Bombenangriff in Braunschweig um‘s Leben. Hedwig ist 19 Jahre alt, als beide sterben. 1952 beantragt Hedwig Bahl beim Amtsgericht Braunschweig, per eidesstattlicher Erklärung, anhand eines Personalausweises für die Britische Zone eine Beurkundung. Ihre Geburtsurkunde wurde beim Bombenangriff zerstört. Mit 27 Jahren ist sie unverheiratet und arbeitet in Braunschweig als Hausangestellte. Ein Jahr später stellt sie den ersten Antrag auf Arbeitslosenunterstützung beim Arbeitsamt Braunschweig. Die Zeit zwischen 1953 und 1968 liegt im Dunkeln. Es gibt weder Zeugnisse noch Briefe aus dieser Zeit. Am 28. Mai 1968 tritt sie in Wiesbaden eine Anstellung bei Rotaprint an. Dort arbeitet sie in der Abteilung Teileschlosserei in der Serienfertigung der Rotaprint-Offsetdruckmaschinen. Ihre Aufgabe besteht hier in der Ausführung von leichten Aufgaben, wie zum Beispiel Feilen und Walzen kleben. 1978 stellt sie einen Antrag auf »Schwerstbehinderung«. Ein Attest belegt, dass sie sich im frühen Kindesalter eine Verbrühung zugezogen hat, die zu großflächigen Narbenbildungen im Bereich von Brust, Oberbauch und Innenflächen beider Oberarme führt. Der Grad der Minderung ihrer Erwerbstätigkeit beträgt daraufhin 25 von 100 Prozent. Ein weiterer Antrag beim Versorgungsamt Wiesbaden für einen Behindertenausweis wird abgelehnt, da hierfür mindestens 50 von 100 Prozent erreicht sein müssten. Hierauf bescheinigt ihr Hausarzt per Attest Überlas-

‹26

27›



ve r g i ssme i n n i c h t He d w i g B a h l

tungsschmerzen sowie eine Schultergelenksentzündung. 1979 erhält Hedwig Bahl die Gleichstellung einer Schwerstbehinderten. Hedwig Bahl muss 14 Jahre später, am 30. September 1982, wegen Firmenschließung, per Entlassung die Firma verlassen. Sie legt gegen die Entlassung Einspruch ein, der aber abgelehnt wird. Sie erhält von der Firma Rotaprint 18.488 DM Abfindung. In ihrem Zeugnis wird bestätigt, dass die ihr übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit ausgeführt wurden: »Besonders erwähnenswert ist ihre Gewissenheit, ihre Zuverlässigkeit und ihr vorbildlicher Arbeitseinsatz. Begriffe wie Fleiß, Pünktlichkeit und ein jederzeit tadelloses Benehmen bedeuten für sie Selbstverständlichkeit.« Am 1. Oktober 1982 stellt sie ihren zweiten Antrag auf Arbeitslosengeld. Wenige Monate nach ihrem Tod riecht es süßlich, alt und schimmelig in der Wohnung. Es ist Anfang November, die Heizung war schon lange nicht mehr an und die Fenster schon lange nicht mehr geöffnet. Hedwig Bahl lebte bescheiden. Sehr bescheiden. Einzimmerwohnung. Küche, Bad, Wohnzimmer. Kein separates Schlaf-

‹28

29›



ve r g i ssme i n n i c h t He d w i g B a h l

zimmer, kein Bett. Nur eine Couch, auf der sie auch schlief. Möbel aus einer anderen Zeit. Im Flur steht ein Bügelbrett und ein Gästebett. Garderobenhaken ohne Jacken. Es ist dunkel in der Wohnung, der Strom wurde kurz nach ihrem Tod abgestellt. Dementsprechend sieht auch der Kühlschrank aus und daher auch der Geruch von Schimmel. Im Badezimmer eine Toilette und, unter einem Kleiderberg verborgen, eine freistehende Badewanne. Außerdem ein Kleiderschrank, voll mit Kleidern. Sie hatte so wenig Platz in der Wohnung, dass sie ihre Kleider im Bad, in der Küche und im Wohnzimmer unterbringen musste. Im Wohnzimmer stehen drei Sessel. Zwei davon sind voll mit Briefen, Akten und Feinstrümpfen. Eine Kiste voller CDs steht am Boden. Schlager, Hits der 50er, 60er und 70er Jahre. Bücher gibt es fast gar keine. Eine Bibel, vier Rechtschreibduden, ein Italienisch-Buch, ein Buch über den 2. Weltkrieg und ein Sexualkundebuch. Am Boden weitere Kisten mit Briefen und Fotos vergangener Zeiten. Und überall Fotos von ihr, Hedy, wie sie in einem Brief von ihrer Tante Berta liebevoll genannt wird. In den Kisten finden sich viele Briefe von ihrer Freundin Anna Dienerstein, die regelmäßig aus Kalifornien schrieb. Meistens drei Seiten auf liniertem A5-Papier. Sie erzählte viel von ihrem Leben in Amerika. Schrieb aber wenig über sie, Hedwig. Trotzdem schienen sich die zwei sehr nahe zu sein. In einem Brief verabschiedet sich Anni mit den Worten: »Verbleibe Deine alte Freundin, bis ans Ende der Zeit, Anni«. Ob Anni noch lebt, weiß niemand.

‹30

31›



ve r g i ssme i n n i c h t He d w i g B a h l

‹32

33›



ve r g i ssme i n n i c h t He d w i g B a h l

Auf dem alten Radiomöbel im Wohnzimmer liegen unter den Büchern zwei Fotoalben. Eines davon zeigt eine junge Hedwig Bahl, immer adrett gekleidet, sehr gepflegt, meist mit kühl gespieltem, eher schüchternen Blick, in die Kamera blickend. Sie sah ein wenig nach Filmstar aus mit ihren kunstvollen Frisuren, der dunklen Sonnenbrille und den schicken Kostümen. Man findet immer wieder ausgeschnittene Fotos, auf denen nur noch sie zu sehen ist. In der Küche steht mitten im Raum der Kühlschrank. Er ist leer geräumt. Der Inhalt steht auf der Ablage. Hinter der Tür ein Kleiderständer mit Jacken und Taschen. Eine Garderobe mitten in der Küche. Auf der Hutablage Alu- und Frischhaltefolie. Im Unterschrank finden sich Schuhe, Größe 37. Hedwig Bahl hatte bis ins Alter schöne Schuhe. Bequeme Schuhe, die eine alte Frau trägt, findet man nicht. Überhaupt ist die Wohnung sehr sauber. Am Fenster steht ein kleiner Tisch mit einer Reiseschreibmaschine, auf der sie alle Briefe verfasste. Irgendwann sind es fast nur noch Schreiben an den Rechtsanwalt. Nachdem Hedwig Bahl das erste Mal im Krankenhaus war und in ihre Wohnung zurückkommt, stellt sie Anzeige gegen den Hausbewohner Schneider. Sie verdächtigt ihn, ihr während ihres Krankenhausaufenthalts Geld gestohlen zu haben. Zudem soll er ihr Sofa mit Absicht beschädigt haben und mit schwarzem Filzstift angemalt haben: »Damit das Sofa alt und gebraucht aussieht.« Ein ständiger Briefwechsel beginnt. Das Verfahren wird irgendwann abgelehnt, da Aussage gegen Aussage steht. Hedwig Bahl gibt nicht auf. Sie fühlt sich bedroht und hintergangen. Sie schreibt Briefe an den Rechtsanwalt Debo, dem sie ihr Herz ausschüttet. Weitere Briefe an die Staatsanwaltschaft. Ein Berg rosa Durchschlagpapier gibt Zeugnis über diese Zeit. Irgendwann schreibt sie ihre Briefe nur noch mit der Hand. Die Schrift wird immer schlechter, sie macht Fehler und entschuldigt sich dafür. Hedwig Bahl bekommt eine kleine Rente und ist Sozialhilfeempfängerin. Sie lebt 30 Jahre alleine in ihrer Wohnung in Wiesbaden. Hat eine einzige Beziehung zu einem Mann. Nach der Trennung bleibt sie alleine, bis zu ihrem Tod. Irgendwann schafft sie den Alltag nicht mehr. Sie wird von einem sozialen Dienst betreut und kann irgendwann die Stufen bis zum vierten Stock nicht mehr gehen. Sie sitzt in ihrer Wohnung, verlässt diese nur noch mit dem Krankenwagen, wenn sie wieder gestürzt ist. Die Feuerwehr ist mindestens fünfmal da und muss die Wohnung aufbrechen, weil sie den Schlüssel von innen stecken ließ und verletzt am Boden liegt.

‹34

35›



ve r g i ssme i n n i c h t He d w i g B a h l

»AUF IHRER BEERDIGUNG WAREN EIN BEKANNTER UND DREI HAUSBEWOHNER. UND DER PFARRER NATÜRLICH.«

Irgendwann geht es ihr so schlecht, dass zur Diskussion steht, sie ins Heim zu bringen. Sie weigert sich wehement: »Ich will zu Hause sterben. Ich geh‘ da nicht hin.« Zur Erleichterung bekommt sie in ihr Wohnzimmer ein Pflegebett gestellt. Von da an geht es bergab mit ihr. Sie gibt auf. Am Schluss isst und trinkt sie nicht mehr. Sie verweigert sich und wird ein letztes Mal mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gefahren wo sie auch stirbt. Alleine und ohne Freunde. Eine ältere Hausbewohnerin erzählt von Frau Bahl: »Sie war eine ausgesprochen nette und hilfsbereite Frau.« Auf die Frage, wie denn die Hausgemeinschaft sei, meint sie nur: »Schlecht.« Der Herr über Frau Bahl organisierte nach ihrem Tod einen Blumenkranz aus Spenden der Hausbewohner. Er kaufte manchmal für sie ein. Aber sonst wisse er nichts von ihr. Besagter Herr Schneider öffnet die Tür und erwidert auf die Frage, ob er etwas über Frau Bahl erzählen könnte: »Nein. Kann ich nicht. Will ich nicht.« »Aber Sie wohnten doch neben ihr. Sie müssen doch etwas wissen.« »Sie war eine lebende Leiche. Die saß nur noch in ihrer Wohnung. Ist nicht mehr rausgegangen. Hatte niemanden. Die wollte das so. Selber Schuld. Hätte sich ja einen neuen Partner suchen können. Mir macht das nichts aus.« »Leben Sie auch alleine?« »Ja.« Bei der Wohnung, die links an Hedwig Bahls Wohnung grenzt, wird die Tür erst gar nicht geöffnet. »Dazu kann ich nichts sagen.« »Ich möchte Ihnen nichts verkaufen. Ich möchte nur ein paar Informationen über Frau Bahl. Wissen Sie gar nichts über sie?« Die Frau antwortet nicht mehr. Ich bedanke mich und gehe. Unter Frau Bahl öffnet mir eine ältere Dame, die auch meint, sie hätte nichts zu erzählen. Nachdem ich ein wenig bohre, erzählt sie: »Sie hat immer das Blumenbeet vor dem Haus gemacht. Irgendwann haben die Gerüstbauer einfach das Gerüst mitten ins Beet gestellt. Da war sie ganz schön sauer. Und ich glaube, sie hat auch polnisch gesprochen. Sie sprach immer von der polnischen Grenze.« Mehr weiß sie nicht. Hedwig Bahl stirbt mit 82 Jahren. Auf ihrer Beerdigung waren ein Bekannter und drei Hausbewohner. Und der Pfarrer natürlich. Sonst niemand. Wer erinnert sich, wenn niemand da ist der sich erinnern kann? Die Geschichte des »Vergissmeinnicht« Hedwig Bahl. In zwei Tagen wird die Wohnung geräumt. Was wertlos ist, landet auf dem Müll. Ein Leben verschwindet. Für immer.

‹36

37›

.


ich hab‘ vor einer woche essen vor die tur ü gestellt

k r i m i n a l h a u ptk o mm i ss a r

E in I nt e rv i ew m i t ol i ve r s c h äch e r

Die Abtei lung K11 des Polizeipräsidiums Westhessen, zuständig für ungeklärte Mordfälle, wird immer gerufen wenn eine Fundleiche Gefunden wird und die Todesursache ungeklärt ist.

!

Ein Interview bei der Polizei zu bekommen, gehört nicht unbedingt zu den einfachen Dingen. Ein Besuch auf der Polizeiwache in Wiesbaden mit der Information, dass jedes Interview genehmigt werden muss ... Eine E-Mail an die Pressestelle des Polizeipräsidiums Westhessen, ein Telefonat, eine weitere E-Mail mit genauen Angaben zu den Interviewfragen, wieder ein Telefonat: »Hier spricht die Polizei!« Ich bin leicht irritiert und lache. Die Dame erzählt mir, dass sie einen passenden Beamten für mich ausfindig machen wird ... Dann ein Anruf von einem Kriminalhauptkommissar. Wir machen einen Termin aus. Ich bin hoch erfreut, hatte ich doch fast nicht mehr daran geglaubt. Es ist Donnerstagmittag, 10.55 Uhr und ich stehe vor dem riesigen Gebäude des Polizeipräsidiums Westhessen und stelle mir die Frage, wo wohl der Eingang ist? Das gesamte Gebäude wird von einem hohen Zaun und Kameras geschützt. Verzweifelt halte ich einen Streifenwagen an und sorge für ein amüsiertes Lächeln. »Zweimal um die Ecke, da gibt’s dann eine Tür.« Ich klingle und eine automatische Tür erschlägt mich fast. Ich stehe vor dem Pförtner, der mich um meinen Ausweis bittet. Im Rücken spüre ich die Augen der Kamera und fühle mich latent unwohl. Er gibt mir einen roten Besucherausweis, den ich gut sichtbar tragen soll. Wieder öffnet sich eine automatische Tür. Jetzt bin ich also drin. Herr Schächer kommt die Treppen runter und begrüßt mich herzlich. Jung ist er, sehr aufgeschlossen, und unkompliziert. Ich entspanne mich langsam. Wir gehen durch breite Flure, holen Kaffee und setzen uns in sein Büro. Er zündet sich eine Zigarette an und fängt an zu erzählen.


k r i m i n a l h a u ptk o mm i ss a r O l i ve r S c h ä c h e r

Können Sie mir Ihre genaue Berufsbezeichnung nennen? Ja, ich bin Kriminalhauptkommisar bei der K11 in Wiesbaden, auch langläufig bekannt als die Mordkommission. Wir sind die Abteilung für Kapitaldelikte, das heißt wir bearbeiten alle Todesermittlungen, auch wenn Fremdverschulden mit dabei ist. Also Raub und Erpressung, Waffendelikte, Brand und Vermisste. Darf ich fragen wie alt Sie sind? 38 Jahre alt. Wie lange üben Sie diesen Beruf schon aus? Den hier jetzt seit August 1994, also seit 13 Jahren. Und davor die typische Ausbildung ... Genau, 1987 bei der Polizei angefangen, ein bisschen Bereitschaftspolizei, hat mir aber nicht gefallen, da war ich nur ein halbes Jahr. Dann in Wiesbaden Streife gefahren und 1993 zur Kripo gewechselt. Gab es Fälle wo Menschen tage-, wochen- und monatelang in ihrer Wohnung lagen? Gibt’s schon regelmäßig ... Wie definiert sich denn regelmässig? Also ich hab’ hier so meine eigene Statistik. Intern sag’ ich immer, dass jeder von uns so einen »Stinker«, weil der schon länger liegt, pro Jahr hat. Mancher hat auch mal zwei, aber einen hat eigentlich jeder pro Jahr. Im Moment sind wir 13 Leute. Eine im Monat kommt schon hin. Im Sommer vermehrt, da geht’s natürlich wesentlich schneller. Da kann eine Leiche schon nach drei Tagen so aussehen wie eine im Winter, wenn die Wohnung nicht geheizt ist, nach zwei Wochen. Können sie mir dann von solchen Fällen explizit berichten? In gewissem Rahmen. Klar, ohne Namen zu nennen! Was hab’ ich denn so? Also eins meiner Highlights: den Einbringer haben Sie ja auch schon kennen gelernt, der sagte, das war mit die Schlimmste die er je erlebt hat, wobei die Wohnung da noch ging. Aber der lag drei Wochen in der Badewanne und drei Wochen lang ist Wasser nachgelaufen. Die Nachbarn haben dann durch den Gestank, als der durch die Tür unten durch gezogen ist, mal Bescheid gesagt. Den längsten Fall den ich hatte, da lag jemand ein dreiviertel Jahr in der Wohnung. War noch nicht mal ihre, da hat noch jemand mitgewohnt. Das war ein Messie. Der hatte eine Messiewohnung und in der Küche war eine Obdachlose verstorben und er hat sich geschämt für die Wohnung und deshalb niemanden informiert. Um die Leiche rum lagen 500 bis 600 Deodosen, damit’s nicht stinkt.

‹38

39›


Tatsächlich 500 bis 600 Dosen? Tatsächlich. Und das wurde gemeldet, als Nachbarn bemerkt haben, dass etwas durch die Decke tropft im Keller. Das war eine Erdgeschosswohnung und dann kam Flüssigkeit durch die Decke. Letzten Winter hatte ich einen, der hat vermutlich so eineinhalb bis zwei Wochen gelegen, aber auch so halb im Wasser. Ein absoluter Einsiedler, der war seit zwölf oder fünfzehn Jahren wieder da von der Fremdenlegion, hat sich selbst ein Haus gebaut, hat da im Erdgeschoss noch unter übelsten Umständen gelebt. Nackte Wände, einfach wie’s gemauert wurde, den ersten Stock hatte er schon angefangen mit Holz auszubauen, da ist er dann auch verstorben. Aber da wo er gelebt hat, da sah es aus wie Kraut und Rüben. Messiewohnungen hatte ich schon mehrfach oder auch verwahrloste Wohnungen, aus welchem Grund auch immer. Ob sie es alleine nicht mehr konnten oder weil sie alkoholkrank waren. Man muss wohl unterscheiden zwischen Messie und verwahrlost! Denn es gibt einen Unterschied zwischen einer »Sammelleidenschaft« und »Es interessiert mich einfach nicht mehr wie meine Wohnung aussieht«. Genau. Ich würde zwar gerne, aber ich kann nicht mehr. Da gibt es auf jeden Fall einen Unterschied. Ein Messie ist auf jeden Fall krankhaft. Können sich von nichts trennen ... Da hatte ich mal einen Fall gehabt, die hat noch mit ihrem Mann zusammen gewohnt. Da haben wir Tütensuppen gefunden, das war 2005, und die Suppen waren im Jahr 1995 abgelaufen. Die werden sie dann wohl 1993 gekauft haben. Zeitungsartikel aus den 90er Jahren bis an die Decke gestapelt. Die konnte sich von nichts trennen und wusste aber auch wo was liegt. Die war dabei auch noch hochintelligent. Der Mann konnte auch nicht aufräumen, die sagte dann zu ihm: »Hol mir mal die und die Zeitung!«, und wehe die Zeitung war nicht mehr da. Diese Menschen haben bei dem für uns ersichtlichen Chaos eine optische Struktur. Ja, da gibt es ja das Sprichwort »Das Genie überblickt das Chaos«. Aufräumen tun nur die Dummen. ER LACHT Bei der Recherche musste ich feststellen, dass es nicht einmal beim Statistischen Bundesamt Statistiken zu diesem Thema gibt. Nein, gibt es nicht. Soziologisch betrachtet ist dieses Thema doch sehr interessant? Grundsätzlich ja, aber anscheinend interessiert sich keiner dafür. Da ist die Statistik wichtiger, wieso, weshalb, warum der Mensch verstorben ist und wieviele insgesamt verstorben sind, aber die Umstände interessieren da anscheinend Niemanden. Zu dem Thema Tod gibt es sehr viele Bücher, aber zur sozialen Vereinsamung fast keine. Das erste Anzeichen, dass jemand tot ist, ist der Geruch. Ein weiteres Anzeichen ist der überquellende Bri efkasten. Das ist doch


k r i m i n a l h a u ptk o mm i ss a r O l i ve r S c h ä c h e r

ein relativ sicheres Indiz dafür, dass etwas nicht stimmt? Ja, das ist meist ein ziemlich sicheres Indiz. Es gibt ja noch Häuser, in denen es noch eine halbwegs sichere Sozialkontrolle gibt. Da gibt’s einen der die ganze Werbung die irgendwo im Briefkasten ist grad wegschmeißt und der wird dann nicht so voll wie bei manch anderen. Aber das hört man sehr oft, dass mitgeteilt wird: »Ich mach mir Gedanken, der Briefkasten quillt über und ich hab denjenigen seit einer Woche nicht gesehen.« Das kommt also schon vor? Ja, das kommt schon vor. Es kommt natürlich auf den Grad der Verbundenheit an, wann sie sich Gedanken machen. Manche schon nach ein oder zwei Tagen, weil die Zeitung die getauscht wird noch auf der Fußmatte liegt und bei anderen die haben denjenigen seit zwei Wochen nicht mehr gesehen und dann melden die das. Es gab aber auch einen Fall wo es drei Jahre nicht bemerkt wurde? Das war in Biebrich. Da war ich im Urlaub. ER LACHT Sind da nicht die ganzen Briefe aus dem Briefkasten die Kellertreppe runtergefallen? Ja, stimmt. Problematisch ist natürlich auch, wenn der Briefeinwurf an der Wohnungstür ist. Da hatte ich letztes Jahr im Winter in der gleichen Nacht auch einen Fall, nachdem ich den Einsiedler im tiefsten Taunus hatte. Das war ein älterer Mann, da wurde die Post auch in den Briefschlitz direkt ins Zimmer geworfen. Der lag ungefähr drei, vier Wochen auf der Couch, noch mit den Kopfhörern vom Fernseher auf dem Kopf. Sie hatten gesagt, dass Sie intern für sich eine Statistik führen. Ja, eine gefühlte Statistik. Abhängig wieviele ich habe, wo ich sage, die ist unangenehm von der Erscheinung und das was ich von den Kollegen mitbekomme. Wir haben jeden Morgen eine Besprechung über das was passiert ist. Ich behaupte, dass es immer mehr Menschen gibt, die sozial vereinsamen und alleine sterben. Ist das tatsächlich so? Schwer zu sagen. Ich kann mich an meine Anfangszeit nicht mehr so genau erinnern. Wieviele vereinsamte Menschen hatte ich in den 13 Jahren? Ich würde sagen, vielleicht ein bisschen mehr. Wobei sich die 90er Jahre von der Zeit heute kaum unterscheiden. Die Ursachen waren damals schon die gleichen wie heute. Meiner Meinung nach. Die Anonymität in großen Wohnhäusern und das jobbedingte Umziehen, das gab es auch damals schon. Das ist doch mehr geworden? Ich glaube, dass da mehr darüber berichtet wird. Einfach, dass die Presse viele Dinge aufgreift und auschlachtet und es einem deshalb mehr vorkommt.

‹40

41›


Was sich auf jeden Fall verändert hat ist die Sterbekultur, weil die Menschen oft keine sozialen Kontakte haben. Wobei es da natürlich unterschiedliche Faktoren gibt. Teile der Familie leben woanders, der Partner ist verstorben oder man hat sich zerstritten. Ich denke, es gibt zwei Hauptgründe: Bei älteren Menschen sind keine Angehörigen mehr vorhanden und weil man der Arbeit hinterherreisen muss. Ich komme auch über 400 Kilometer von hier und meine Mutter wohnt noch in Hannover. Wenn ich sie dann einmal die Woche anrufe und ich sie nicht erreiche, dann mache ich mir auch keine Gedanken ob ihr was passiert ist. Dann versuche ich’s eben drei Tage später wieder. Also da ist nicht mehr diese enge Bindung wie früher da. Und dann gibt es eben die Fälle, die sich, aus welchen Gründen auch immer, zurückziehen und mit den Nachbarn und der eigenen Familie nichts zu tun haben wollen. Da hatten wir letzte Woche einen Alkoholiker, der im Rahmen der Trennung noch die Familie beschuldigt hat, obwohl sie ihm alle helfen wollten und für ihn da waren. »Ihr seid alle gegen mich. Lasst mich in Ruhe.« Der hatte sich total abgekapselt und den haben wir dann natürlich auch dementsprechend einsam gefunden. Weil er es aber wollte und zwar aus krankhaften Gründen. Man schämt sich ja dann doch ein bisschen für sein Alkoholproblem. Genau wie bei Messies, die schämen sich ja auch und lassen niemanden in ihre Wohnung rein.


k r i m i n a l h a u ptk o mm i ss a r O l i ve r S c h ä c h e r

Das ist das andere Problem, dass viele Leute früher eine normale soziale Anbindung hatten, durch Vereine, Familie, Kinder und zum Beispiel durch eine Scheidung oder den Jobverlust in eine ausweglose Situation kommen und dann keinen Ausweg mehr sehen. Das könnte ja jetzt vielleicht besser werden. Der Arbeitsmarkt entspannt sich langsam und man kann nur hoffen, dass es besser wird. Wir hatten vor kurzem eine relativ junge Frau, die war glaub' ich 36 oder 37 Jahre alt, aus dem Iran, hatte hier keine Verwandten und ihren Job 2003 verloren. Die lebte auch wie so ein Einsiedler. Hat mitten in der Stadt gewohnt, die Nachbarn kannten sie gar nicht. Da sah es dann auch dementsprechend aus. Nicht nach Messie, aber auf jeden Fall nicht aufgeräumt und die kannte niemanden hier. Die hatte zig Bewerbungen geschrieben und keinen Job bekommen und sich dann immer mehr zurückgezogen. Es gibt ja Institutionen die sich um solche Menschen kümmern. Das Problem scheint aber oft, dass die Leute so sehr in ihrem Sumpf sitzen, dass sie nicht mehr fähig sind, Hilfe zu suchen. Insbesondere bei den Jüngeren. Die Älteren haben oft noch die kirchlichen Verbindungen, die da sehr helfen und meiner Meinung nach auch sehr gut sind. Wenn die da Teekränzchen einrichten für die älteren Damen, die ja oft als Witwe zurückbleiben oder so. Dass da ein wenig Kontakt ist. Das gibt’s dann auch, dass eine von denen dann anruft: »Ich kann meine Freundin nicht erreichen!« Hier wird noch so ein soziales Netz geschaffen. Das größere Problem sind da die Jüngeren, die sich dann schämen, eben eine Einrichtung aufzusuchen und zu sagen: »Ich hab’ ein Problem.« Glauben Sie, das ist ein gesellschaftliches Problem? Oder sollte sich der Einzelne mehr um seine Mitmenschen bemühen? Sowohl als auch. Das kann man nicht pauschal sagen. Wenn ich versuche mich um meinen Nachbarn zu bemühen und der ist meinetwegen Alkoholiker und kanzelt mich nur ab und hängt mir noch irgendwas Dummes an, dann werd’ ich mich auch nicht mehr um den bemühen. Wenn man natürlich so ein Umfeld hat und versteht sich mit denen ... Ich wohne zum Beispiel auch in einem Mehrfamilienhaus, wir haben eine gute Nachbarschaft, da würde sofort auffallen, wenn irgendwas passiert. Da passt Jeder auf den Anderen auf und kümmert sich um die Blumen, da ist das in Ordnung. Aber in vielen Bereichen eben nicht, da muss der Wille da sein, die Hilfe zuzulassen und natürlich der Wille sich selbst zu helfen. Heute haben ja viele Probleme mit Geld und Arbeitslosigkeit, da ist der Kopf schon durch die eigenen Probleme belastet, sodass man nicht auch noch für den anderen Zeit hat.

‹42

43›


Wenn ich den Menschen in meinem Umfeld von solchen Geschichten erzähle kommt immer ein entsetzes »Nein! Das kann doch nicht sein?!« Und so ging mir das am Anfang auch. Hab’ ich die Welt vorher durch eine rosa Brille gesehen oder ist das einfach »normal«? Es ist einfach so, dass es viel echtes Leben gibt, was die meisten Leute gar nicht mitbekommen. Die leben in ihrer eigenen, kleinen Traumwelt, Scheinwelt ... Izn ihrem Mikrokosmos in dem sie sich wohl fühlen, in dem sie sich bewegen und vieles was um sie herum passiert, bekommen sie überhaupt nicht mit. Als ich meine Frau kennen gelernt habe, sagte die auch: »Seit ich dich kenne, sehe ich die Welt mit ganz anderen Augen.« Weil ich ihr manchmal von Dingen erzähle, die sie vorher einfach nicht kannte und sie nicht geglaubt hat, dass es so etwas gibt. Wenn man sich nicht damit befasst, bekommt man das auch einfach nicht mit. Durch die Medien, die das Thema jetzt oft aufgreifen, aber oft ist auch die Frage wie weit man sich damit befasst.


k r i m i n a l h a u ptk o mm i ss a r O l i ve r S c h ä c h e r

Man kann auch nicht von jedem verlangen, dass er sich in jedes gesellschaftliche Problemthema hineinversetzt. Ich denke, es wäre viel wichtiger bei den Menschen ein Bewusstsein für den eigenen persönlichen Raum zu schaffen in dem man lebt. Das wäre doch schon ein Anfang? Wenn jeder mit seinem Freundeskreis, mit seiner Familie entsprechend kommuniziert und das aufbaut. Aber das sind ja die Fälle, die das nicht betrifft. Die Leute die so einen Freundeskreis haben und eine funktionierende Familie, da passiert das ja nicht. Da gibt es die Sozialkontrolle und die Probleme mit denen wir zu tun haben sind eben die gesellschaftlichen Randfälle, wo keine Familie, keine Freunde da sind. Aus welchen Gründen auch immer. Die einzubinden ist schwer. Ich habe einem Freund die Frage gestellt, was wäre wenn es in deinem Haus jemanden gäbe, bei dem du spüren würdest, dem geht es schlecht? Würdest Du bei ihm vorbeigehen und klingeln und zum sagen: »Hallo, ich bin der Heinz von oben. Haste Lust mal was trinken zu gehen?« Er meinte, dass er das prinzipiell schon machen würde. Aber was wäre, wenn derjenige merken würde, dass er glaubt es gehe ihm schlecht und dem ist nicht so? Das wäre ja extrem peinlich! Ja, man macht sich seine Gedanken, aber wer weiß, was dahinter steckt? Und vielleicht will er ja auch gar nicht und dann wartet man wahrscheinlich eher unbewusst darauf, dass von dem eine Aktion kommt und dann mach’ ich mit. Aber selbst den ersten Schritt zu machen, da haben viele Leute ein Problem. Die meisten. Bei alten Menschen haben die meisten dann Angst in eine Abhängigkeit zu geraten und dann gezwungen sind drei bis vier Stunden pro Woche für diese da sein zu müssen. Einkaufen gehen, Kaffee trinken, alte Geschichten anhören und irgendwann wird’s ja dann wieder langweilig und anstrengend. Wie lässt sich so etwas realisieren? Wie würde ich das zeitlich hinbekommen? Man kann schlieSSlich nicht nach einem Jahr sagen: »Das war’s dann jetzt. Das ist mir jetzt zu anstrengend. Also dann tschüss!« Mein Dienst an der Gesellschaft ist getan, jetzt hab’ ich wieder fünf Jahre Ruhe und kümmer’ mich wieder um mich. Ja, das funktioniert für einen Einzelnen schwer, aber wenn man eine Gemeinschaft hat, dann kann das funktionieren. Bei uns im Haus ist ein älteres Ehepaar, da ist letztes Jahr der Sohn verstorben und die werden jetzt von vier, fünf Leuten aus dem Haus betreut. Wo jeder mal klingelt und fragt: »Wie geht’s? Kann ich euch was vom Einkaufen mitbringen?« Oder man sich einfach mal unterhält. Dann geht das, wenn man die Last nicht alleine hat. Nur für einen alleine ist das zuviel.

‹44

45›


Wenn da eine halb verweste Leiche liegt, ist es doch für euch ziemlich schwierig herauszufinden, ob derjenige eines natürlichen Todes verstorben ist oder nicht? Ja. Wir sind ja auch keine Mediziner. Wir beurteilen ja nur bedingt die Krankheiten und den Leichnam selbst. Wir schauen eher nach den Gesamtumständen. Wenn jemand im dritten Stock, hinter der verschlossenen Tür liegt. Alle Fenster zu sind, und dann noch vielleicht direkt hinter der Tür, wo er versucht hat rauszukommen, da ist es fast zu 99,9 % unmöglich, dass jemand anderes was damit zu tun hat. Das Medizinische ist schwer. Wi eviele Einsätze habt ihr insgesamt pro Jahr? Also nicht nur in Wohnungen. Einsätze haben wir pro Jahr zwischen 280 und 330, 340. Es gibt Zeiten, da haben wir fast eine Leiche pro Tag. Dazu gehören Einsätze in Wohnungen, draußen, Auto, Erhängung, Krankenhaus, Wald, ... Im Krankenhaus? Immer, überall wo ein Notarzt sagt, das ist für mich ein ungeklärter Tod. Dann werden wir verständigt. Die haben die Todesursache zu bekunden und wir die Todesart. Die Todesart ist entweder »natürlich«, »nicht natürlich«, »Freitod«, »Arbeitsunfall« und »nicht natürlicher Ursache«. Vieles sind dann natürlich Fälle, wo der Notarzt unsicher war das richtige Kreuzchen zu machen. Ich kenn’ den Patienten nicht, o.k. der ist 90 Jahre, der hat eine Narbe vom Herzschrittmacher, aber es könnte ja irgendwas Anderes sein. Das passiert natürlich auch oft. Belasten Sie solche Fälle? Nein. Zum Glück nicht. Noch nie? Nein, eigentlich nicht. Ich kann da irgendwie so einen Hebel umlegen. Wenn ich hier rausgehe, dann bin ich der private Oli. Und dann gibt’s den Berufs-Oli. Ich hab’ einen Bericht gesehen über den Ground Zero, da hat das Einer ganz gut gesagt als er auf dem Weg dorthin war, dass der sein Gehirn einfach auf Arbeitsmodus umgestellt hat. Das beschreibt das eigentlich ganz gut. Das ist eine andere Art und Weise zu sehen und zu denken. Möchten Sie denn zu dem Thema noch etwas sagen? Etwas das gesagt werden muss? Es ist manchmal schon erstaunlich, wie lange es manchmal dauert, bis sich Nachbarn melden. Wo man sich dann wundert, dass das nicht schon vorher gemeldet wurde. Das kann doch nicht sein, dass man da zwei oder drei Wochen nichts gemerkt


k r i m i n a l h a u ptk o mm i ss a r O l i ve r S c h ä c h e r

hat. Was mich manchmal auch sehr wundert, ist unser Sozialsystem. Wohnungen die vom Sozialamt bezahlt werden, da wird das Geld direkt überwiesen, da merkt’s gar keiner oder es wird vom Sozialamt an den Mieter überwiesen, der das dann weiterüberweisen muss. Wenn da das Geld mal einen Monat nicht kommt, dann dauert das erst mal vier Wochen bis die das merken. Dann wird ein Mahnverfahren eingeleitet, dann kommt keine Antwort, dann kommt ein Klageverfahren und dann geht man mal nach zehn bis zwölf Wochen an die Wohnung und schaut dann mal nach dem Mieter. Das ist dann manchmal doch ganz erstaunlich, wie lange das dauert. Es wäre wohl besser, wenn sofort jemand persönlich vorbeischauen würde? Ja, das wäre schon sinnvoll. Also wenn ich mir Gedanken, Sorgen mache, aus welchen Gründen auch immer, normalerweise kennen die Vermieter ja ihre Mieter so ein bisschen und wissen was das für Leute sind. Dann sollte es da schon so eine Art Außendienst geben, der da kontrolliert und dann notfalls mal den Mut hat, eine Wohnungstür zu öffnen, ein bisschen früher, als dass der Briefkasten überquillt. Würde in dem Moment dann zwar auch nicht mehr helfen, aber der Mensch würde dann ein, zwei Wochen früher gefunden werden. Ich glaube, dieses Problem hat es schon immer gegeben und das wird es auch immer geben. Ich glaube auch nicht, dass dieses Problem zu bewältigen ist. Zum Beispiel Essen auf Rädern. Die liefern oft das Essen für eine Woche an, klingeln und sind dann schon wieder weg. Das ist ein Zeitproblem. Und dann eine Woche später anrufen: »Ich hab da vor einer Woche Essen vor die Tür gestellt, das steht hier immer noch!« Das hatten wir auch schon. Kann man erwarten, dass die immer warten, bis derjenige rauskommt? Diese Menschen sind doch relativ nah’ dran am Geschehen und würden, hätten sie mehr Zeit, merken, dass etwas nicht stimmt? Es ist natürlich die Frage, ob die Leute das aus sozialem Engagement machen und vielleicht noch klingeln oder ob das für die nur ein Job ist und die auch nur fünf Euro auf die Stunde bekommen. Für die ist es dann nur ein Job und somit dann auch egal. Ich denke, dass man das Problem nie ganz lösen kann. Solange Menschen Probleme haben mit sich selbst und ihrem kleinen Umfeld, wird es nie so sein, dass sich alle um die Nachbarn kümmern. Alle reisen ’rum, die Welt wird immer größer ... Der Mann im Taunus hatte tatsächlich eine Schwester in Amerika. Die ist vor 35 Jahren ausgewandert. Die hatten null Kontakt mehr und er ist dann eben einsam und alleine gestorben und wollte das aber auch. Das war der totale Einsiedler, der wollte gar nicht, dass man ihm hilft. Der hat sich eine Holzhütte gebaut und aus der Holzhütte heraus dann langsam das Haus gebaut und dann das Haus innen weitergebaut. Der war für sich alleine und glücklich. Solchen Menschen kann man auch schwer helfen.

‹46

47›


Ich habe gelesen, dass die Alterssuizide zunehmen. Das gab es auch schon immer. Ich dachte immer, alte Menschen bringen sich nicht um? Wahrscheinlich eine naive Vorstellung ... Nee. G’rade. G’rade Alte. Viele Alte. Weil die grade alleine sind, keine Familie haben und der Partner verstorben ist. Da gibt es viele. Wenn sie nicht eh schnell nach dem Tod des Partners sterben, dann fühlen die sich einsam und bringen sich dann um. Da gibt es schon einige. Je nach Möglichkeit. Was wäre denn eine Möglichkeit? Tabletten, manche mit Schusswaffen, ... Es gibt ja den weichen und den harten Suizid. Der harte ist eben erhängen und Schusswaffe, das sind eher Männer. Der weiche sind Tabletten und Ertrinken, was eher von Frauen gemacht wird. Grade im Rheingau, in Eltville im Altersheim, da haben wir regelmäßig Frauen, wo man sehr oft noch die Handtasche am Rhein gefunden hat.


k r i m i n a l h a u ptk o mm i ss a r O l i ve r S c h ä c h e r

Wäre es nicht möglich, den Menschen auch im Alter noch einen Lebenssinn zu geben? Das sind eben Menschen, die für die Gesellschaft nicht mehr produktiv sind, sondern nur noch kosten. Und je mehr Kosten entstehen, desto schlechter ist das natürlich. Es wird ja auch was gemacht in den Kirchen, nur muss man eben auch daran teilnehmen. Manche ziehen sich ja dann auch komplett zurück und versinken im Selbstmitleid und steigern sich dann in was rein. Wenn ich bemerke, da wohnt zum Beispiel eine alte Dame alleine und die kann sich nicht mehr um sich kümmern. Rufe die zuständige Einrichtung und die stellen tatsächlich fest, der Mensch kann nicht mehr für sich sorgen. Die Menschen wollen das meistens aber überhaupt nicht. Ja, das ist schwer gegen den Willen durchzusetzen. Überhaupt dieses Entmündigungsverfahren. Da wird dann ein gesetzlicher Vormund bestimmt und bis das durch ist, das dauert. Das ist nicht so einfach. Für die Menschen ist das noch schlimmer als alleine zu leben! Ja, aber da nimmt sich der Staat das Recht raus, die Würde des Menschen zu schützen. Artikel 1, (1) »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Dann sagt der Staat, da müssen wir etwas tun, auch notfalls gegen den Willen. Ich möchte nicht diejenige sein, die so eine Entscheidung fällt. Da gibt es Leute, die verdienen wesentlich mehr als wir. ER LACHT Es ist schwer, es allen Leuten recht zu machen. Das kostet ja auch wieder Geld und alles was Geld kostet ist ja unpopulär. Glauben Sie, dass Menschen ein Bedürfnis haben sich zu verewigen, eine Spur zu hinterlassen? Also wenn, dann sollte man das schon zu Lebzeiten geschafft haben. Die Menschen, denen das wichtig ist, sollten das schon vorher geschafft haben und nicht nach dem Tod. Wer soll das denn bezahlen? Wenn ich diesem Menschen, der verstorben ist, auch noch von staatlicher Seite eine Art Ehrenbegräbnis gebe und einen Grabstein, wer kümmert sich dann darum? Das sind dann wieder Folgekosten und die versucht man dann so gering wie möglich zu halten. Das sind Einzelschicksale. Die sind interessant, teilweise erschreckend und auch medienwirksam. Man wird das nie in Griff bekommen. Nachdem wir fertig sind, will er wissen ob ich denn noch ein Foto von ihm machen werde. Ich verneine und er meint: »Na toll. Jetzt hab ich mich extra rasiert!« Soll einer sagen, Polizisten hätten keinen Humor.

‹48

49›

.


Wenn ich mir da jedes mal Gedanken machen wurde ... Ü

E i n b r i n g e r

E i n I nt e rv i ew m i t St e fan M üll e r

Fast täglich holt der Einbringer Fundleichen ab um diese auf den Friedhof oder in die Gerichtsmedizin zu fahren. Einblicke in einen aussergewöhnlichen und nicht ganz alltäglichen Beruf.

!

Der Bus fährt direkt vor meiner Haustür ab. Die kleine Reise geht nach Frauenstein. Ich frage mich, wo Frauenstein liegt. Nach vier Jahren in Wiesbaden ist das schon peinlich. Nach zehn Minuten verändert sich die Landschaft. Man könnte auch sagen, die Häuser werden weniger und das Grün wird mehr. Nach 20 Minuten taucht ein Schild auf, »Herzlich willkommen«. Überraschung macht sich breit. So grün und so nah. Wie auf dem Land. Ich bin auf dem Land. Als ich durch das Dorf gehe, werde ich von allen Seiten angeschaut. Unangenehm. Herr Müller empfängt mich mit kratziger Stimme und einem Lächeln im Gesicht. Im Wohnzimmer sitzt seine Schwester. »Nerv eingeklemmt! Ich muss sie schnell zum Bus fahren. Bin gleich wieder da.« Weg ist er, und ich sitze alleine, bei einem wildfremden Mann der von Beruf »Einbringer« ist, im Wohnzimmer. Gutgläubig könnte man ihn nennen, den Herrn Müller. Ich bin doch nicht allein. Ein wildes, hakenschlagendes Kaninchen im Käfig und Fische in einem laut glucksenden Aquarium. Er kommt zurück, macht Kaffee für uns und zündet sich eine Zigarette an. Es geht los.


E i n b r i n g e r S tef a n M ü l l e r

I hre Berufsbezeichnung ist »Einbringer«. ich konnte im Internet keinen Eintrag fÜr diesen Beruf finden. An was liegt das denn? ER LACHT Früher hieß das Leicheneinbringer. Aber als ich den Job angefangen habe, wollte ich das »Leiche« nicht mit dran haben. Seitdem heißt das »Einbringer«. Wie lange machen Sie den Job den schon? Den Einbringerjob seit zwölf Jahren. Davor hab’ ich ganz normal bei einem Bestatter gearbeitet. Als der Job damals neu vergeben wurde, habe ich mich gemeldet und die Zusage bekommen. So war das. Das macht in Wiesbaden ja nur einer. Wie werden Sie denn vergütet? Bekommen Sie genauso viel wie ein normaler Bestatter? Ich hab' feste Preise. Ich nehm’ den Satz, den das Sozialamt bezahlt. Das ist der Mindestsatz, der bezahlt wird für Einbringung, bzw. Einbettung und Transport. Von wem werden Sie gerufen? Im Normalfall von der Polizeieinsatzzentrale. Manchmal auch direkt von der Kripo oder von der Staatsanwaltschaft, je nachdem um was es geht. Wenn der Notarzt zum Beispiel kommt und nicht klar ist, an was er gestorben ist, dann kommt die Kripo. Wenn die Kripo gekommen ist und die ist sich nicht sicher, dann kommt die Staatsanwaltschaft, und dann fahr’ ich nach Frankfurt in die Gerichtsmedizin. Bei normalen Fundleichen, also alten Leuten die sterben und es ist keiner da, wird irgendwann die Wohnung aufgemacht, damit die überhaupt mal aus der Wohnung rauskommen. Die Polizei weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht, ob vielleicht doch Angehörige da sind. Also rufen sie erstmal mich, dann wird die Leiche kühl gelagert auf dem Südfriedhof. Dann recherchiert die Polizei, bzw. das Ortsgericht, ob es Angehörige gibt. Gibt es Angehörige, werden diese benachrichtigt. Gibt es keine, veranlasst das Ortsgericht die Beisetzung. Wie lange dauert es, bis eine Fundleiche beigesetzt wird? Theoretisch heißt es, dass eine Leiche innerhalb von acht Tagen beigesetzt werden muss. Sonst liegen die ja monatelang rum. Es gab aber auch schon Fälle wo es zehn bis zwölf Tage gedauert hat, denn es könnte ja sein, dass es jemanden in Australien gibt. Das dauert manchmal bis man die Angehörigen gefunden hat. Also zwischen dem Todeszeitpunkt, bei Fundleichen wäre es der Fundzeitpunkt, bis zur Beisetzung sollten sie nicht mehr als acht Tage liegen. Wo werden die Fundleichen bestattet, wenn es keine Angehörigen gibt? Gibt es einen festgelegten Platz? Im »Anonymen Feld«. Da dann entweder mit einer Feuerbestattung oder einer Erdbestattung. Es gibt ja Leute, die wollen nicht feuerbestattet werden. Wenn die das vorher schriftlich gemacht haben bekommen die eine Erdbestattung. Die anderen Leichen kommen dann auf’s «Anonyme Feld« und werden dann anonym beerdigt.

‹50

51›



E i n b r i n g e r S tef a n M ü l l e r

Ist bei einer anonymen Bestattung ein Pfarrer anwesend? Doch. Im Normalfall ist ein Pfarrer dabei. Die Leichen werden dann zum Grab gefahren und dann spricht der Pfarrer noch ein paar Worte. Komischerweise ist dann trotzdem immer noch jemand da, der sich dazustellt. Dann wird er beerdigt, also anonym beerdigt. Man kann das dann schon rauskriegen. Wenn Sie jetzt zum Beispiel kommen und sagen: »Ich bin die Tochter von der Frau so und so«, dann kriegt man das schon raus. Wenn Sie aber so auf das »Anonyme Feld« gehen, dann sind da keine Kreuze, da ist gar nichts. Wird die anonyme Bestattung aus Kostengründen gemacht? Kostengründe, klar. Wer soll das denn bezahlen, wenn keine Angehörigen da sind? Heutzutage ist es sogar oft so, selbst wenn es Angehörige gibt, haben die so wenig Geld, dass sie ihre Angehörigen anonym bestatten lassen. Weil sie einfach das Geld nicht haben. Das kostet ja ein Schweinegeld. Die ist teuer. Aber da reden Sie besser mit einem Bestatter, der weiß das besser, was da für Kosten anfallen für Grab auf, Grab zu, überhaupt die Grabstelle, das sind Kosten die da auf Sie zukommen ... Selbst eine anonyme Bestattung ist nicht billig. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber die kostet mindestens 1800 Euro. Das Geld müssen Sie erst mal haben. Was ist, wenn jemand reich war? Wenn Geld da ist, wird vom Gericht ein Vermögensverwalter eingeschaltet. Der verwaltet das Vermögen und der Verstorbene bekommt dann eine richtige Beerdigung. Da kann ich Ihnen ein richtiges Beispiel sagen, das war mein eigener Onkel, der ist vor ein paar Monaten verstorben, meine Tante schon ein paar Jahre davor. Ich hatte aber keinen Kontakt zu ihm. Ich war amtlich gesehen auch kein Verwandter von ihm. Sie war meine Tante, er war aber der zweite Mann von ihr. Also war ich nicht wirklich mit ihm verwandt. Da ist dann auch ein Vermögensverwalter eingeschaltet worden und der hat dann eine richtige Beerdigung gemacht, mit allem Drum und Dran. Wenn also Geld da ist, wird erstmal die Wohnung bezahlt. Dann die Schulden getilgt, wenn welche da sind, und von dem Geld das übrig ist, wird die Beerdigung bezahlt.

‹52

53›


Eine richtige Beerdigung macht aber eigentlich auch nur dann Sinn, wenn Angehörige da sind? Genauso ein Grabstein! Oder seh’ ich das falsch? Ja, aber das ist eine Ansichtssache. Eine Ansichtssache, wenn Sie sagen: »Warum machen wir hier eigentlich ein Grab, es geht doch eh keiner hin?« Ich weiß ja nicht wie das mit Ihnen ist, aber jeder von uns möchte doch anständig beerdigt werden? Diese Frage hab’ ich mir auch gestellt. Will das jeder? Wobei ich da mehr oder weniger die Ausnahme bin. Mir ist das so was von wurst ... in einer Obstkiste, oder keine Ahnung ... Ich weiß durch jahrelanges Sehen was da übrig bleibt und was das ist. Von mir aus können sie mich auch in den Rhein schütten, mir wär das sowas von egal. Das könnte auch ein wenig an Ihrem Job liegen! Ich hab’ in den 14 Jahren ein ganz anderes Verhältnis zu der ganzen Sach’ bekommen. Im Gegensatz zum Anfang. Vorhin klingelte mein Telefon, da war ein Bestatter dran, der wollte wissen, was mit dem und dem ist. Den hab’ ich vorgestern geholt, ich wusste überhaupt nicht mehr wer das ist. Also im ersten Moment. Ich leg’ da jemanden ab und dann vergess’ ich das wieder. Wenn mir da jemand den Namen sagt, dann könnt’ ich dem nicht sagen, wie der ausgesehen hat. Jetzt wo der mich vom Friedhof angerufen hat, da wusst’ ich’s wieder. Ja, aber ich vergess’ das dann wieder. Was wohl besser ist! Wenn man sich über jede »Klein...«, er spricht das Wort nicht zu ende jedes Schicksal Gedanken macht, macht man sich kaputt. Da hab’ ich schon 14- oder 15-jährige Mädchen geholt, die sich umgebracht haben weil der Freund weggerannt ist. Oder kleine Kinder. Es gab‘ eine Zeit, da war das ganz schlimm mit dem plötzlichen Kindstod, wenn ich mir da jedes Mal Gedanken darüber gemacht hätte, dann wär‘ ich schon lange nicht mehr da. Eins versteh’ ich nicht. Sie sprachen gerade von kleinen Kindern. Bei verstorbenen Kindern sind doch Eltern da, die sich um die Beerdigung kümmern. Warum werden Sie in solchen Fällen gerufen? Das ist ganz einfach. Wenn kleine Kinder sterben kommt immer die Polizei, weil ja was sein könnte. Und die Polizei beschlagnahmt das Kind auch zuerst einmal, beziehungsweise die Staatsanwaltschaft. Beschlagnahmt? Beschlagnahmt! Also ganz kleine Kinder, Babies werden auch immer obduziert, weil ja was schief sein könnte. Ich werde immer gerufen, wenn die Polizei kommt. Und bei kleinen Kindern ist auch immer die Polizei da und wie gesagt, die werden dann beschlagnahmt und ich hol’ sie dann ab. Und wenn der Staatsanwalt sagt, es ist alles in Ordnung, wird es freigegeben, dann gehen die Eltern zum Bestatter und der


E i n b r i n g e r S tef a n M ü l l e r

macht dann alles Weitere. Ich bin eigentlich nur so eine Zwischenstation. Auch bei allen Anderen, selbst wenn das Mord ist oder Selbstmord, ich hol’ die erstmal ab, bring’ die zum Südfriedhof oder in die Gerichtsmedizin und wenn alles geklärt ist, alles freigegeben ist, dann gehen die Angehörigen zum Bestatter und der macht dann alles Weitere. Wenn keine Angehörigen da sind, dann bestimmt das das Ortsgericht bzw. das Standesamt. Das Standesamt? Das Standesamt ist ja nicht nur zum Heiraten da. ER LACHT Das Standesamt ist auch für Sterbefälle da. Als Bestatter müssen sie Sterbefälle melden. Es müssen ja auch Urkunden gedruckt werden und das macht der Standesbeamte. Es gibt eine Sterbefallabteilung, die machen nichts anderes als Sterbefälle. Ich bin auf der Suche nach einer Statistik, die alle allein verstorbenen Menschen in Deutschland beziehungsweise i n Wiesbaden zeigt. Ausgenommen Kinder und Jugendliche. Können Sie sagen, wie viele das sind? Viele! Ja! Viele! Aber eine Statistik hab’ ich keine. Tut mir leid. Ich hab schon oft zu meinen Arbeitern gesagt, wenn wir mal wieder einen hatten, der wochenlang allein in der Wohnung gelegen hat, dass es im reichen Wiesbaden, so viele alleinstehende und arme Leute gibt, die alleine leben und dann sterben.

‹54

55›


Ich suche nach einer Zahl! Vielleicht gefühlt oder geschätzt? Na also, ich sach jetzt mal ... jeder Zehnte von denen, die ich hole. Ich krieg’ ja nur die Härtefälle. Von denen die ich hole, kann man sagen ist jeder Zehnte allein. Wieviele Einsätze haben Sie denn pro Jahr? Zwischen 350 und 400. Man kann sagen, 35 bis 40 Fälle pro Jahr wo keiner da ist und die Leute alleine verstorben sind. Bei ihrem Job sehen sie auch wohnungen, Die manchmal ... richtig schlimm aussehen? Ich sach’ mal, vielleicht hätten das damals die Bestatter doch selbst gemacht. Aber wenn die das sehen, sagen die, die Sauerrei tu’ ich mir nicht an.


E i n b r i n g e r S tef a n M ü l l e r

Ich habe schon von Menschen gehört, die fast bis zur Unkenntlichkeit verwest waren? Nicht fast, nicht fast. ER LACHT Ich hab’ normalerweise so Vordrucke von der Polizei, die ausgefüllt werden müssen, die bring’ ich dann zum Friedhof. Da stehen alle Personalien drauf, damit der Friedhof weiß, wer da liegt. Damit der sich drum’ kümmern kann, ob’s da Angehörige gibt oder nicht. Da steht dann unter anderem auch »Identitätsnachweis«. Wenn da nichts steht, dann weiß er ... normalerweise steht da immer »Bundespersonalausweis«, aber manchmal liegt da nur noch ein Haufen »Irgendwas« rum. Da erkennen Sie nichts mehr. I hnen macht das nichts aus? Ich sach’ jetzt mal so, am Anfang hat’s mir schon auch noch was ausgemacht. Mir stand’s auch schon Unterkante Oberlippe. Aber mittlerweile ... ich hab’ ja immer wieder Aushilfen mit dabei, die ham’ dann immer wieder Tränen in den Augen oder denen steht’s hier und dann rennen sie raus. ER LACHT Aber ich merk’ das schon gar nicht mehr. Man gewöhnt sich an alles. Ja, der Geruch ist so eine Sache, an die man sich nicht so gewöhnt. Gut, das kommt nicht so oft vor, aber manchmal saut man sich beim Hochheben ein. Wenn ich dann zur Tür unten reinkomme, schreit meine Frau schon von oben: »Zieh dein Zeug aus!« Was ich im Jahr Schuhe wegschmeiße, das können Sie sich nicht vorstellen, weil einmal reingetreten, bekommt man den Geruch nicht mehr raus. Da ist nichts mehr mit putzen. An was liegt das denn? Das ist der Verwesungsgeruch der Verwesungsflüssigkeit. Wir hatten welche, die lagen da sechs Monate. Die sind einfach umgefallen und sind an der Wand gelegen und sind da dann verwest. Stell' dir vor jemand lag sechs Monate neben dir in der Wohnung? Da ist dann nichts mehr mit streichen. Da können sie den kompletten Boden rausreißen und den Putz von der Wand schlagen. ICh habe so etwas auch schon gelesen und dachte , dass das doch nicht wahr sein kann! Da wird die Wohnung geräumt und dann kommt ein Bautrupp der den Putz von der Wand schlägt. Das zieht in den Putz kompett rein, da muss man den ganzen Boden rausreißen. Sie machen mich fertig ...

‹56

57›



E i n b r i n g e r S tef a n M ü l l e r

Kann man rückblickend sagen, dass es in Wiesbaden immer mehr werden oder dass es immer gleich viele waren? Also ich glaub’ nicht, dass es mehr geworden sind. Wir haben uns oft gewundert, dass es so viele alte Leute gibt um die sich keiner kümmert. Liegt es daran? Das liegt 100%ig daran, ich schwör’ es Ihnen. Frauenstein ist total überaltet, das Durchschnittsalter ist 90. Als wir hierher gezogen sind, ist das durchschnittliche Alter um ein Jahr gesunken. Hier drüben wohnt eine Frau die ist 96, die geht noch jeden Tag zum Einkaufen. Ich schwör' Ihnen, wenn die nur einmal nicht hier runter laufen würde, würden 30 Nachbarn auf der Matte stehen und fragen was da los ist. Das würd’ in der Stadt nie passieren. Machen die Nachbarn das dann aus Sorge oder aus Neugierde? Aus Sorge. Hier achtet Jeder auf Jeden. Meine Eltern leben auch auf dem Land. Wenn sich jemand nicht mehr selber helfen kann, machen das die Nachbarn. Die bringen das Essen vorbei, mähen den Rasen und schauen jeden Tag nach dem Rechten. Ich sag’s Ihnen ja. Die Frau er zeigt zum Nachbarhaus ist 96, die die drüber wohnt ist 70, die bringt ihr Essen. Die Frau nebendran ist auch nicht viel jünger. Das hat hier natürlich den Nachteil, dass man nichts machen kann, ohne dass es der andere weiß. Meine Schwester kam aus Köln zurück und hat jetzt zwei Monate bei mir gewohnt, bis sie in Wiesbaden wieder eine eigene Wohnung hat. Da kam mein Hausbesitzer zu mir und hat gesagt: »Weißt Du schon, was im Dorf ’rumerzählt wird? Dein Mieter wohnt ja jetzt mit zwei Frauen im Haus!« er lacht schallend Die merken alles. Aber das ist alles gar nicht so schlecht, man lebt ja normal und wenn man nichts Komisches macht, dann ist das gar nicht so schlecht, wenn sie aufeinander aufpassen. Ich bin hier schon weggefahren, auf einmal klingelt’s Telefon: »Sie haben die Tür offen stehen lassen.« Wenn Sie im ersten Stock eines 5-stöckigen Hauses wohnen, da läuft das ganze Haus an Ihrer Tür vorbei, meinen Sie, da achtet einer darauf ob die Haustür offen steht oder nicht? Ein Grund für die Vereinsamung könnte auch sein, dass die Leute zum Beispiel lange verheiratet waren und der Partner stirbt? Ja, wie bei meinem Onkel. Meine Tante ist vor drei Jahren gestorben und dann hat er ganz alleine gewohnt. Da hat sich keiner d’rum gekümmert, mehr oder weniger. Menschen die alleine leben kümmern sich aber manchmal auch nicht mehr um soziale Kontakte. Die versumpfen dann regelrecht ... Ja, der ist glaub’ ich kaum noch aus der Tür raus. Irgendwann hat dann jemand angerufen, dass es so stinkt im Haus

‹58

59›


Ihnen ist das also egal, wie Sie bestattet werden? Ich hab’ ja eine Sterbeversicherung. Ich wär’ nie auf die Idee gekommen, so etwas zu machen. Wenn man aber sieht, wie die Leute wochenlang rumrennen. Gibt’s Angehörige? Wer bezahlt das denn jetzt? Oder das sind Angehörige, die das Geld nicht haben, die wollen natürlich trotzdem, dass der Vater anständig beerdigt wird und kratzen es dann zusammen oder nehmen einen Kredit auf. Deswegen hab’ ich die Sterbeversicherung gemacht, die kostet 1,20 Euro im Monat, da krieg’ ich die komplette Beerdigung mit allem Drum und Dran. Dann ist es Ihnen ja doch nicht so egal? Für mich ist es mir egal, von mir aus können sie mich auch verbrennen und im Heufeld verstreuen. Ich denk’ dann zum Beispiel an meine Tochter. Die muss das ja dann alles mal machen. Mir kann’s egal sein, da denk’ ich eher an die Angehörigen, als an mich selbst. Mir ist das egal, ich bräuchte das nicht. Was ist mit den persönlichen Dingen? Wenn diese Dinge im Container landen. Glauben Sie, dass es im Sinne dieser Menschen ist? Ja, was sollen sie damit machen? Das ist die Frage! Haben Sie denn den Wunsch, auf dieser Welt etwas zu hinterlassen? Nöö. Haben Sie nicht? Nöö. Warum nicht? Weiß ich nicht. Das ist einfach ... man muss einfach davon ausgehen, dass das alles vergänglich ist. Wenn meine Zeit gekommen ist, meine Frau noch lebt, und sie meint, sie muss das aufheben, ist das in Ordnung. Wenn nicht und sie schmeißt das alles weg, ist das auch o.k. Also ich hab’ nichts mehr davon, wenn sie meint sie hat noch was davon, von mir aus. Weil in dem Moment wo ich gestorben bin, bin ich eh fertig. Was hat sie davon, wenn ich gestorben bin, ein Bild von mir aufzuheben? Ich bin doch so oder so nicht mehr da. Die Frage bezieht sich eher auf die Erinnerung. Die Erinnerung ist so oder so da. Im Idealfall! er lacht schallend Wenn keine Angehörigen mehr da sind und die Wohnung soll ausge-

räumt werden, ja wo soll das hin?


E i n b r i n g e r S tef a n M ü l l e r

Ich frag’ mich nur, ob die Leute sich darüber im Klaren sind, dass sie nach ihrem Tod komplett von der Bildoberfläche verschwinden? Also ich schon. Allerdings hab’ ich da auch jeden Tag mit zu tun. ER LACHT Die meisten Menschen machen sich wahrscheinlich einfach keine Gedanken um den Tod. Nee. Ich hab’ das früher auch überhaupt nicht gemacht. Mittlerweile mache ich das öfter. Was heißt Gedanken drüber, wenn man in einem Monat fünf, sechs Leute holt, die sind so alt wie man selbst, wo man sich denkt ... naja ... Es gibt Leute, die gehen morgens auf die Arbeit und fallen tot um, mit 40. Da macht man sich dann schon öfter mal Gedanken. Wenn das öfter passiert, denkt man da dann schon mal, uiui. Das könnte theoretisch auch mir passieren. Früher dachte man immer, Frauen bekommen keinen Herzinfarkt. Schwachsinn! Ich hab’ schon so viele Frauen geholt, die einen Herzinfarkt hatten und ich hatte auch schon 20-jährige Mädchen, die einen Herzinfarkt hatten. Ich hatte vor kurzem einen Fall, da ist ein Mädchen einfach gestorben. Die hatte nie irgendwelche Beschwerden und dann ist die einfach gestorben. Dann kommt praktisch die Polizei und fragt sich: »Wie kann denn ein 20-jähriges Mädchen, einfach umfallen und tot sein?« Dann wurde eine Obduktion gemacht und dabei haben die dann festgestellt, dass sie ein Blutgerinsel im Kopf hatte und das von Geburt an. Das hat keiner gewusst. Wenn man sich das überlegt, dass man das selber haben kann ... Ich hol’ ja auch 40-jährige und ich bin jetzt 45 ... Deshalb rauch’ ich auch so wenig. er lacht und zündet sich die zweite Zigarette an

‹60

61›


Muss es die Aufgabe der Gesellschaft sein, Ein Bewusstsein zu schaffen, dass es Menschen gibt, die alleine leben und sterben? Es müsste Aufgabe der Gesellschaft sein, etwas zu tun, wenn die Leute alleine leben. Aber wie sollen sie das denn machen? Es gibt Leute, die wollen alleine leben. Es gibt Eigenbrödler, die wollen das gar nicht anders. Sagen wir mal als Amt, also das Standesamt. Die merken das ja als erste, wenn da ein Ehepaar ist und die waren 40 Jahre verheiratet und einer stirbt. Dann kann man davon ausgehen, dass einer dann alleine ist. Die sehen ja, ob die Kinder haben oder nicht und dann kann man doch davon ausgehen, dass die alleine leben werden. Glauben Sie, die gehen dann hin: »Herr Müller, Sie leben jetzt alleine, wollen Sie irgendeine Betreuung haben?« Ich weiSS es nicht? Vielleicht wäre das eine Möglichkeit? Das wäre eine Möglichkeit, aber ich glaube das ist unrealisierbar. Ich glaube auch, dass das nicht wirklich realisierbar ist. Wir sind, egal wie alt wir sind, für uns selbst verantwortlich und damit auch für unsere sozialen Kontakte. Es gibt ja viele Leute, die können sich nicht mehr selbst helfen. Wenn dann der Ehepartner stirbt, dann werden die in Altersheime oder Pflegeheime zwangseingewiesen. Da sind 90 %, die wollen das gar nicht. Für die ist das Schlimmste was passieren kann, ins Altersheim zu kommen. Die wollen in ihrer Wohnung bleiben und wenn sie da alleine bleiben. Ich sag’ mal, ich glaub’ nicht, dass der Staat oder eine andere Institution das Recht dazu hat jemand zu bevormunden: »Du gehst jetzt ins Altersheim!« oder »Du kannst nicht mehr allein leben!«


E i n b r i n g e r S tef a n M ü l l e r

Aber das w ird gemacht! Aber nur bei Fällen wo klar ist, der kann nicht mehr alleine leben, weil er behindert ist. Einen »normal« alten Menschen können sie nicht bevormunden. Der will das gar nicht. Das ist ja sein freier Wille. das ist wahrscheinlich das eigene Schicksal, das man wählt und für das man sich entscheidet. Ich glaube auch, dass sich 90 % der Menschen die alleine leben, dafür entscheiden würden, hätten sie die Wahl. »Möchten Sie nicht lieber ins Altersheim gehen?« »Nö.« Da gibt’s ja auch den Spruch »Einen alten Baum setzt man nicht mehr um.« Die Leute sterben doch erst recht. Die kommen dann ins Altersheim und zwei Jahre später sind sie dann tot. Weil sie totunglücklich sind. Und deswegen sollte man die Leute genauso leben lassen, wie die das wollen. Wenn die dann sterben und das merkt dann im ersten Moment keiner, dann ist das eben so. Dem Toten ist das ja dann eh egal. Er hat dann immerhin solange so gelebt, wie er das wollte. Aus der Sicht habe ich das natürlich auch noch nicht gesehen. Bis dahin hat er immerhin so gelebt, wie er das wollte. Wenn er dann gestorben ist und sechs Monate lang gelegen hat, dann ist das für die Gesellschaft außen herum total furchtbar. Die sind doch selbst dran schuld! Hätten ja mal klingeln können. Hätten ja mal fragen können! Aber für den Menschen an sich, der konnte wenigstens solange so leben, wie er das wollte. Vielleicht geht es manchen Menschen aber so schlecht, dass sie überhaupt nicht mehr fähig sind sich Hilfe zu holen, obwohl sie vielleicht welche bräuchten? Und vielleicht einen Antrieb benötigen würden? Nein, die wollen nicht. Wenn einer 40 Jahre verheiratet ist und die Frau stirbt, dann will er keine andere. Und wenn die Frau nicht mehr da ist, dann will er gar keine. ich möchte nicht so enden. Wir hatten einen Fall, da haben wir den Ehemann geholt und die Frau hat dann, als wir ihn eingebettet haben, zu ihm gesagt: »Schatz, ich komm auch bald!« Drei oder vier Wochen später war’s dann soweit. Die Frau hat sich nichts angetan, die ist einfach so gestorben. Nachdem das Band aus ist, erzählt Herr Müller von zwei weiteren Fällen. Von einer alten Frau, die bei ihrem Sohn lebte und sehr krank war. Eines Tages ging sie in den Keller, schloss die Tür ab und stellte die Kreissäge an und schnitt sich beide Hände ab. Sie hatte solch’ starke Schmerzen und sah keinen Sinn mehr im Leben, dass sie den für sich einzigen Ausweg suchte. Die letzte Geschichte erzählt von einem Mann, der erhängt in seinem Wohnzimmer gefunden wurde. Er trug zum Todeszeitpunkt einen rosafarbenen Lacklederanzug und Inlineskates.

‹62

63›



ICh hoffe fur Ü sie, dass sie sitzen

V E R g i ss me i n n i c h t

D as L e b e n d e r Ed e lt r au d T r e b u s c h

Am Abend des 16. November 2007 erhalte ich einen Anruf vom Räumer Herrn Gross. Er hätte eine Wohnung für mich. Sehr aufgeräumt, sehr sauber sei die Wohnung. Wir verabreden uns für den Nächsten Tag. Der Schock kam mit dem öffnen der Wohnungstür.

!

Edeltraud Trebusch, geborene Stiehl wird am 27. Februar 1928 als uneheliche Tochter in Wiesbaden geboren. Nach ihrer Geburt wird sie in ein Waisenhaus gegeben, wo sie ihre gesamte Kindheit und Jugend verbringt. 1953 heiratet sie im Alter von 25 Jahren Karl Trebusch. Irgendwann bekommen sie ihr erstes und einziges Kind, Maria. 1977 zieht die Familie in eine Dreizimmerwohnung eines Mietshauses in der Waldstraße. Dies wird ihr letzter Umzug sein. 2002 stirbt Karl Trebusch. Von da an lebt Edeltraud Trebusch alleine in der Wohnung. Am 24. Oktober stirbt auch sie, Edeltraud Trebusch, im Alter von 79 Jahren in ihrer Wohnung. Mit dem Öffnen der Wohnungstür schlägt einem ein sehr schwerer, süßlicher Brandgeruch entgegen. Entgegen den Ankündigungen des Räumers ist die Wohnung weder sauber noch aufgeräumt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Flur ist übersät mit Müll und unkenntlich verbrannten Dingen. Halb verkohlt steht ein Stuhl an der Wand. Man wagt sich nicht vorzustellen, was hier passiert sein mag. Herr Gross blickt entschuldigend und erklärt vorsichtig, dass Edeltraud Trebusch in ihrer Küche verbrannt sei. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie angelogen habe. Ich dachte sonst können Sie heute Nacht nicht mehr schlafen und machen sich vielleicht Gedanken.« Alles, was ich sagen kann ist: »Oh mein Gott.« Ich trete in den Flur und bin fast bewegungslos vor Schreck.

‹64

65›



ve r g i ssme i n n i c h t E d e l t r a u d T r e B u s c h

‚66

67›



ve r g i ssme i n n i c h t E d e l t r a u d T r e B u s c h

»Die ganze Küche war voller müll, Deshalb fing das alles so schnell Feuer.« ›

In der Küche blicke ich auf ein totales Chaos. Der Boden schwarz verbrannt. In den Ecken stapelt sich schrankhoch der Müll und wieder, diesmal stärker, süßlich beißender Brandgeruch. Ein Würgegefühl steigt in mir hoch. Ich klettere über den Müll und entdecke auf der Küchenablage ein paar Fotos von Edeltraud Trebusch. Bilder aus einer anderen Zeit. Irgendwo im Urlaub zeigen die Bilder eine etwas kräftige, scheu in die Kamera blickende Frau. Auf zwei weiteren Fotos sieht man, wie sie ihren Mann liebevoll von hinten umarmt, ihren Kopf auf seine Schulter gelegt. Die zwei wirken glücklich und vertraut. Mit den Fotos in der Hand wird mir klar, dass diese Frau in ihrer Küche verbrannt ist. Genau an dieser Stelle. Warum hat sie sich nicht gerettet? Warum ist sie nicht nach draußen gelaufen und hat Hilfe geholt? Herr Gross meint: »Die ganze Küche war voller Müll. Deshalb fing alles so schnell Feuer.« Mehr weiß er auch nicht. Immer wieder fragt er mich, ob es mir gut gehe? Gut wäre wohl das falsche Wort. Mir wird langsam übel und ich verlasse die Küche.

‹68

69›



ve r g i ssme i n n i c h t E d e l t r a u d T r e B u s c h

Das Wohnzimmer als solches lässt sich nur an der Größe des Raumes und der Vitrine erahnen. Die Tür steht hüftbreit offen und zeigt einen Raum, gefüllt mit Bergen von Kleidern und Säcken. Ich quetsche mich durch die Tür und versinke in Klamotten. In den Plastiksäcken befinden sich Plastiktüten, gefüllt mit Papier und wieder Plastiktüten gefüllt mit Papier. Und Lottozettel, überall Lottozettel. Anscheinend steckte sie allen Müll in Tüten und warf die Säcke dann in den Raum. Herr Gross grummelt vor sich hin und kommt zur gleichen Erkenntnis. Zwischen den Bergen finden sich immer wieder leere Schnapsflaschen, was vermuten lässt, dass sie ein Alkoholproblem hatte. In den Schubladen finden ich noch ein paar Fotos von 1912 finden. Wer die Personen auf den Fotos sind, weiß keiner.

‹70

71›



ve r g i ssme i n n i c h t E d e l t r a u d T r e B u s c h

»Sind sie fündig geworden?« »Ja, bin ich. Hab' eine Couch und einen Sessel gefunden.« ›

Während ich nach den Spuren eines Lebens suche, sucht Herr Gross nach Wertgegenständen. Da kein Vermögen vorliegt, ist die einzige Hoffnung Schmuck und Bargeld. Die Suche gestaltet sich jedoch schwierig, da jeder Müllsack geöffnet und durchsucht werden muss. Die Chance, in diesem Chaos etwas wertvolles zu finden ist gering. Irgendwann frage ich Herrn Gross, ob er fündig geworden ist und der antwortet: »Ja bin ich. Hab' eine Couch und einen Sessel gefunden.«

‹72

73›



ve r g i ssme i n n i c h t E d e l t r a u d T r e B u s c h

Auch das Badezimmer ist voll mit Kleidern, sogar in der Badewanne liegen brusthoch Kleidungsstücke. Ich stelle mir die Frage, wo sie sich gewaschen hat? Wahrscheinlich nur noch in der Küche. Im Badezimmer definitiv nicht mehr, das ist klar. Der dritte Raum war wohl einmal Kinderzimmer und später Büro. Die Fensterläden des Raumes sind verschlossen, einzig das Licht des Flures zeigt das Chaos, die Berge von Kleidern auf einem kaum mehr erkennbaren Sofa.

»Die wohung sah nicht erst seit vier wochen so aus. Also hören sie auf zu heulen.« Nach drei Stunden geben Herr Gross und ich auf. Außer ein paar Fotos und zwei handgemalten Bildern der Tochter mit lieben Wünschen zum 12. Hochzeits- und 37. Geburtstag lässt sich nichts über das Leben von Edeltraud Trebusch finden. Keine Informationen über ihren beruflichen Werdegang. Keine Fotoalben, noch nicht einmal Briefe. Zwei Tage, nachdem ich in der Wohnung war, telefoniere ich mit der zuständigen Nachlasspflegerin Beate Thüring. Sie fragt, wie es mir ginge? Sie hätte sich Sorgen um mich gemacht, da die Wohnung ja schon sehr schlimm gewesen sei. Ich versichere ihr, dass es mir nach einem langen Bad wieder gut gehe. Der Geruch war so schlimm, dass man tatsächlich das Gefühl hatte zu stinken. Sie fragt mich:» Sitzen Sie? Die Frau ist nämlich bei lebendigem Leibe verbrannt!« Sie erzählt mir, dass sie selbst nur ganz kurz in der Wohnung gewesen sei, weil sie den Geruch nicht mehr ertragen habe. Damals als OP-Schwester hätte sie ein paar Mal Brandopfer als Patienten gehabt. Den Geruch wird sie niemals vergessen. Einfach schrecklich. Und genauso roch es eben auch in der Wohnung. Ich frage sie, ob sie noch ein paar Informationen über Edeltraud Trebusch hätte? Sie wisse auch nicht viel. Nur, dass die Verstorbene eine Tochter hat. Diese hat aber das Erbe ausgeschlagen. Auf dem Gericht hat die Tochter wohl heulend gesagt, dass sie überhaupt nicht in der Wohnung drin gewesen sei, sondern sofort wieder gegangen wäre. Frau Thüring meinte daraufhin, dass sie ihr am liebsten gesagt hätte: »Die Wohnung sah nicht erst seit vier Wochen so aus. Also hören Sie auf zu heulen.«

‹74

75›



ve r g i ssme i n n i c h t E d e l t r a u d T r e B u s c h

‹76

77›



ve r g i ssme i n n i c h t E d e l t r a u d T r e B u s c h

»Mehr kann ich ihnen nicht sagen, weil ich weiss ja nicht mehr.« ›

Wie kann eine Tochter mit ansehen, wie die eigene Mutter den Haushalt und das Leben nicht mehr bewältigt? Warum hat sie nicht irgendwann gesagt: »Komm Mama, wir räumen jetzt mal die ganzen Sachen in den Müll.« War es ihr egal? Dann schlägt sie noch das Erbe aus und kommt nicht einmal nach dem Tod für die Wohnungsräumung ihrer Mutter auf. »Das ist beschämend«, wie Frau Thüring sagt. Einen Tag später fahre ich noch einmal zu dem Mietshaus, um die Hausbewohner nach Informationen über Edeltraud Trebusch zu fragen. Ich hoffe, dass sie mir mehr erzählen können. Ich klingele bei Herrn Weber, der mir auch sofort die Tür öffnet. Er ist ein alter Mann von, wie er mir später erzählt, 86 Jahren. Er ist schwerhörig und ich muss laut und deutlich sprechen damit er mich versteht. Er bittet mich in seine Wohnung und wir setzen uns auf die Couch. In der Ecke ist schon eine Weihnachtskrippe aufgebaut. Er erzählt, dass er seit 30 Jahren hier lebt, genauso lange wie Frau Trebusch. Ihr Mann sei ja vor fünf Jahren verstorben. Das Verhältnis sei gut gewesen. Man hätte sich im Hausflur immer »Guten Morgen. Guten Tag gesagt.« Und sonst? Mit dem Herrn Trebusch hätte er sich manchmal im Keller über's Handwerk unterhalten. Aber sonst nichts. Sie wären beide Enzelgänger gewesen und wollten keinen engeren Kontakt. Frau Trebusch wäre auch die letzten Jahre fast nicht mehr aus dem Haus gekommen: »Sie hatte ein Beinleiden.« Und was ist mit der Tochter? Kam die denn vorbei um nach der Mutter zu sehen? »Ja, die kam ab und zu. Aber nicht oft.« Ich frage ihn, wie es dazu kam, dass sie in der Küche verbrannt sei? Hat denn im Haus keiner was bemerkt? Er erzählt, dass die Tochter wohl um zehn Uhr am Abend angerufen habe. Er solle doch mal nach ihr schaun', sie könne sie nicht erreichen. Daraufhin sei er runter und hätte geklingelt. Es hätte aber keiner aufgemacht. Dann ist er raus und ein Paar, das vorbeikam, meinte: »Wird bei Ihnen zu der Jahreszeit noch gegrillt?« Daraufhin versuchten sie die Scheibe in der Küche einzuschlagen, was aber nicht funktionierte: »Dann haben wir die Wohnungstür eingetreten. Da war's aber schon zu spät. Sie war schon tot. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich weiß ja nicht mehr.« Diese Menschen lebten 30 Jahre unter einem Dach und alles was er über sie weiß ist, dass Frau Trebusch ein uneheliches Kind war und sofort nach ihrer Geburt ins Heim kam.

‹78

79›

.


da kann wirklich jemand vergessen gehen ...

B est a tte r

E i n I nt e r v i e w m i t S t e f a n F i n k

Das Bestattungsunternehmen Fink in Wiesbaden wird seit vier generationen in Familienhand geführt und besteht seit über 100 Jahren. Leidenschaftliche Bestattungskultur mit Tradition.

!

Ein neuer Tag, ein neues Interview. Es ist 14 Uhr und ich bin auf dem Weg zu Herrn Fink. Ich frage mich, wie er wohl ist, der Herr Bestatter? Ich klingle und werde in ein Büro geführt. »Herr Fink kommt gleich. Er ist noch oben und macht Mittagspause.« Herr Fink wohnt also direkt über seinem Bestattungsunternehmen. Mir kommt sofort die Serie »Six feet under« in den Sinn. Ich sitze in einem kleinen Raum. Es riecht ein wenig nach kalter Zigarette und mein Blick fällt auf ein Holzkreuz mit einem sterbenden Christus. Oben steckt ein kleiner vertrockneter Palmwedel drin. Obwohl ich in einer christlichen Familie groß geworden bin und sowas kenne, irritiert mich das ein wenig. Ich stelle mir die Frage, wann und wo ich das letzte Mal ein Kreuz an der Wand habe hängen sehen? Das macht heute fast niemand mehr. Auf dem Land sieht man das noch. Aber in der Stadt? Bei Freunden? Nein. Das gibt es nicht mehr. In Gedanken versunken schrecke ich hoch, als Herr Fink ins Zimmer tritt. Gepflegt und bestimmt, könnte man ihn nennen. Er setzt sich und fragt, ob es mich stört, wenn er rauchen würde. Ich verneine und wir beginnen mit dem Interview.


B est a tte r S tef a n f i n k

Ihre Familie übt den Beruf des Bestatters schon seit über 100 Jahren aus. Arbeiten Sie gerne in Ihrem Beruf? Ja, muss ich sagen. Ja, ja, ja, mach’ ich wirklich gerne, mit Leib und Seele. Wenn man da reingewachsen ist, kann man das schätzen, das Schöne an unserem Beruf. Auch wenn jemand lacht! Man hat mit Menschen allen Couleur zu tun. Vom Sozialhilfeempfänger bis zum Generaldirektor ist die ganze Spanne der Menschlichkeit, die man in diesem Beruf mitkriegt, dabei. In diese Situation kann jeder kommen und in dem Fall ist dann auch jeder gleich. Bei meiner Recherche musste ich feststellen, dass es zu diesem Thema sehr wenig Informationen gibt. Wenn jemand stirbt, ist das eine »normale« Sache, wenn jemand wochenlang in seiner Wohnung liegt, dann empfinde ich das als nicht normal. Das lässt vermuten, dass dieses Thema totgeschwiegen wird? Ja, der ganze Bereich ist sowieso ein Tabuthema. Ganz klar! Im Speziellen und im Besonderen natürlich, wenn einer X Tage, X Wochen, X Monate oder sogar X Jahre in der Wohnung liegt. Das ist der Familie peinlich, weil sie sich vielleicht um denjenigen nicht so gekümmert hat. Das ist dem Vermieter peinlich, weil der noch nicht einmal geschaut hat. Dann ist es den Nachbarn peinlich, weil dann gleich gesagt wird: »Das kann ja nur in so einer anonymisierten Gesellschaft geschehen, wie das heute Gang und Gebe ist.« Das ist eben jedem peinlich. Ist es den Leuten wirklich peinlich? Ja, das muss ich wirklich sagen, das ist den Leuten peinlich. Wahrscheinlich, weil es auch ein Stück weit Ignoranz ist? Jaja. Wenn man jetzt von denen ausgeht, die einsam in der Wohnung versterben, dann ist es denjenigen, die im direkten Umfeld sind peinlich. Man kann das vielleicht ein bisschen mit dem Thema Kindesmissbrauch vergleichen. Jeder sagt: »Ei, warum hat denn der und der nichts gesagt?« Das ist vielleicht gar kein böser Wille, es ist einfach nicht bemerkt worden, man ist seinen eigenen Weg gegangen. Jeder hat sein Päckchen, sein Kreuz zu tragen, man weiß es nicht. Das ist die Frage? Versterben denn mehr Menschen einsam? Das könnte ich so nicht bestätigen. Das glaube ich nicht. Es waren schon immer relativ viele. Der Einbringer, Stefan Müller, meinte auch, dass es in den letzten zehn Jahren nicht mehr geworden sind. Das könnte ich auch nicht sagen, das müsste er noch besser wissen, weil er ja zu allen Notfällen gerufen wird. Was Polizei betrifft oder Kripo, da bekomm’ ich nur einen Teil mit, wo er die gesammte Palette mitbekommt.

‹80

81›


Hat sich denn die Bestattungskultur in Deutschland verändert? Ganz bestimmt. In wiefern denn? Ganz bestimmt hat sich die Bestattungskultur verändert. In dem Sinne, dass die Leute rechnen müssen. Es gibt sehr viele Leute, die mit weniger Geld zurechtkommen müssen. Ich sag’ mal im Alter: Die Pflegekosten sind natürlich sehr hoch geworden. Die Renten langen hinten und vorne nicht mehr, sodass das Sozialamt den Rest drauflegen muss. Durch das Kaputtgehen der Familien oder der Familienbande, ist ein Kümmern um die Älteren nicht mehr da, sodass gesagt wird, das wird bezahlt. Aus dem Staat wird das Letzte rausgequetscht, was halt geht. Ein gutes Beispiel: Eine Mutter kann sechs Kinder großziehen, aber sechs Kinder können keine Mutter beerdigen. Können oder wollen nicht? Wollen nicht, würd’ ich sagen. Das ist alles machbar. Dann natürlich die Abkehr von den Konfessionen. Das ist natürlich auch ein Punkt. Die Bindungslosigkeit der Gesellschaft, dass die Leute sich nicht mehr einer Kirche verbunden fühlen, wo auch egal ist, wie Vater, Mutter, Oma oder Opa unter die Erde kommen. Dass das religiöse Element zurückgegangen ist. Dann das, was ich vorhin schon gesagt hatte, die Anonymisierung der Gesellschaft, also die Vereinsamung ist schon da, und dass eben kein Kümmern mehr da ist. Im anderen Bereich wird dann aus einer Beerdigung ein Event gemacht. Da werden Rosenblätter aus der Konfettikanone über das Grab geschossen, man lässt Luftballons am Grab steigen oder die drei Tenöre einfliegen. Auf der anderen Seite wird dann gesagt, wir wollen gar nichts machen, weil wir nichts damit zu tun haben wollen. Dann wird eine Einäscherung vorgenommen und »Anonymfeld, weg«. Entsorgung sag’ ich da nur dazu ... bösartigerweise. Das sind die zwei Pole, die es auch gibt. Es gibt schon Leute, die die Kultur haben, aber nicht die ursprüngliche. Wobei ich nicht sagen will, dass die ganze Bestattungskultur weg ist, die gibt’s auch heute noch. Aber sie hat sich verändert. Also ich hab’ noch relativ viele Erdbestattungen, was für Wiesbaden untypisch ist. Wir haben ja fast 80 % Feuerbestattungen. Hat konfessionelle Gründe, ganz klar. Also die Katholiken lassen sich doch weniger feuerbestatten als die Protestanten. Und Wiesbaden ist halt eben noch evangelisch geprägt, obwohl wir 1/3 Katholiken, 1/3 Protestanten und 1/3 Sonstiges haben. Ich hab’ trotzdem überdurchschnittlich viele Erdbestattungen, da wird eben noch nach dem klassischen Prinzip verfahren. Also so wie man das eben althergebracht kennt. In Mainz sind die Zahlen genau umgedreht. Das kommt von der konfessionellen Geschichte. Mainz ist natürlich katholisch geprägt und da sind 80 % Erdbestattungen und 20 % Feuerbestattungen. Da ist das genau umgekehrt.


B est a tte r S tef a n f i n k

So eine geringe Distanz und doch so grosse Unterschiede? Ja gut, als die Reformation durchgegangen ist, das ist zwar schon 500 Jahre her, aber das hat bis heute noch Einfluss. Das ist tatsächlich so, man denkt es nicht, aber das ist so. Fundleichen werden, wenn es keine Angehörigen gibt oder kein Geld da ist, im »Anonymen Feld« namenlos begraben. Ein Pfarrer ist aber auch nur dann dabei, wenn man davon ausgehen kann, dass derjenige das auch wollte? Der ist nur dann dabei, wenn jemand Mitglied einer Kirche ist. Ich kann natürlich nicht einen katholischen Priester mitgehen lassen, wenn er nicht Mitglied der Kirche war. Ich hab’ da viele aus dem St. Josefs-Hospital, die da versterben und keine Angehörigen da sind. Das ist dann die andere Schiene, nicht in der Wohnung sondern im JoHo. Dann prüf’ ich zuallererst, wenn klar ist es sind keine Angehörigen da oder nur ein Lebensgefährte der nicht verpflichtet ist zur Besattung, welcher Konfession er angehört. Dann wird entschieden, was gemacht wird. Und wenn jemand katholisch ist und ich nehme an, der hat vielleicht Resantiments gegen die Feuerbestattung, dann wird eben eine Erdbestattung gemacht. Und da zieh’ ich dann immer den zuständigen Pfarrer mit zurate, bei der Beerdigung oder der Urnenbeisetzung. Urnen werden genau wie Särge beigesetzt? Jaja. Man muss auch kein »Anonymes Feld« nehmen, man kann auch ein ganz normales Urnenreihengrab nehmen wo wir Holzkreuze draufmachen, das ist dann nicht anonym. Ist das eine Kostenfrage? Nein. Das ist sogar günstiger als das »Anonyme Feld.« Aber nur weil es ein Urnengrab ist und keine Erdbestattung? Genau. Also da besteht ja für die Fundleichen, wie man so fürchterlich sagt, besteht da ja ein Vertrag der Stadt Wiesbaden bzw. dem Standesamt mit einem Bestatter, der diese Dinge regelt. Das wurde mal ausgeschrieben und wie das dann bei einer Ausschreibung so ist, hat dann einer den Zuschlag bekommen. Ich weiß nicht, wer das war, aber ich bin’s nicht. Versteh’ ich das richtig: Der Einbringer holt die Fundleichen nur ab und der Bestatter, der den Zuschlag bekommen hat, ist für die Beerdigung zuständig? Also, eine ganz normale Familie, die Oma ist verstorben, es sind Angehörige da die sich um die Besattung kümmern; die sind vom juristischen her verpflichtet, sich um die Bestattung zu kümmern. Ist jemand im Krankenhaus verstorben und es ist keiner greifbar, also es gibt keine Verwandten, keine Kinder, keine Eltern, die herangezogen werden können, muss die Einrichtung, also zum Beispiel das JoHo, das Paulinen-

‹82

83›


stift, das Antoniusheim, die müssen für die Bestattung sorgen. Gut. Wird jemand zu einer so genannten Fundleiche, dann wird geprüft, wer ist für die Bestattung verpflichtet. Wenn keiner da ist, geht dieser Ball an das Standesamt Wiesbaden. Dann muss das Standesamt, als Ordnungsbehörde, eine Zwangsbestattung verfügen und dieser Anteil den das Standesamt vergeben kann oder muss, das macht ein Bestattungsinstitut vertraglicherweise. Haben Sie schon einmal eine Fundleiche gesehen? Jemand der wochenlang in seiner Wohnung lag? Natürlich. Jaja klar. Das ist dann natürlich kein schöner Anblick. Macht Ihnen dieser Anblick etwas aus? Das ist dann sicher was Außergewöhnliches, wenn jemand wochenlang in der Wohnung gelegen hat. Schon eine recht unangenehme Sache, ohne das weiter ausführen zu wollen. Möchten Sie zu di esem Thema noch etwas sagen? Ja gut, schade ist, dass der Tod trotz allem Tun, Trauergesprächskreisen und so weiter, trotz alledem noch ein Tabuthema ist und sicher da, wo das gesellschaftliche Leben brummt, nicht besprochen wird. Ganz klar. Das ist auf der einen Seite schade,


B est a tte r S tef a n f i n k

weil doch der Tod, genauso wie die Geburt, zum Leben dazugehört. Ich denke, wenn man da unbefangener damit umgehen könnte, wäre da vielen Leuten in der Trauer geholfen. Wobei ich natürlich auch sehe, dass oftmals das Fundament, der Glaube, vielfach verloren gegangen ist. Ich denke, dass die Leute deshalb heute nicht mehr so gut damit umgehen können. Früher war das eine andere Sache, das war ein klares Weltbild, vom Religiösen her und vom Ablauf des Lebens. Es war klar, es geht nach dem Tod in irgendeiner Form weiter, das ist ein Durchgang und ein Übergang. Das wird so sicher heute nicht mehr gesehen. Dann ist Schluss mit der Spaßgesellschaft in dem Moment, wie wir sie so gerne haben, das ist auch vollkommen in Ordnung. Es gibt ja auch ein Leben vor dem Tod, das ist ja gut so. Aber dieser unbefangene Umgang den die alten Leute noch haben oder hatten, der ist heute nicht mehr da. Das ist eigentlich schade. Es ist im Grunde genommen was Normales. Wir laufen da alle hin und draufhinaus, dass man da halt nicht normal in Anführungszeichen drüber redet. Das ist schade. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Vielleicht ein kleines Beispiel, wie ich hier angefangen habe. Ich bin ja schon in der vierten Generation in diesem Laden und mit 17, 18 hat mein Vater mich mitgenommen, jemanden im Altenheim abzuholen. Es gab damals Altenheime, die sind von Ordensschwestern geleitet worden. Da ist die Glocke gebimmelt worden, dann sind die ganzen Bewohner, jeder der krabbeln konnte, rausgekommen und da ist das »Vaterunser«, »Gegrüßet seist Du Maria« am offenen Sarg gebetet worden und dann ist der Sarg weggekommen. Dann war die Tendenz, dass man nur noch nachts kommen kann in die Altenheime und die alten Leute sind verarscht worden. »Wo ist denn die Frau Soundso hin?« »Ja die ist im Urlaub!«, oder so was. Die Leute sind veräppelt worden und wir durften mit dem Sarg nur noch nachts kommen oder nach Einbruch der Dunkelheit. Das hat sich schon wieder ein bisschen egalisiert, heute gibts in den Altenheimen auch einen Raum, wo man Abschied nehmen kann, die Angehörigen oder wer will. Aber das ganz unbefangene Umgehen, dass jeder noch gesagt hat, Mensch da ist jemand verstorben im Haus, da wird jetzt einfach gebetet und dann geht das normale Leben weiter, das war eigentlich die gesunde Einstellung. Also das ist schon in unserer hoch gepriesenen Wohlstandsgesellschaft ein großes Problem, dass die Vereinsamung in den Großstädten da ist. Wiesbaden ist ja jetzt nicht unbedingt eine Großstadt, aber eine Stadt, wo dicht besiedelte Viertel sind wie hier im Westend. Da sind mehrere Hinterhäuser und da kann wirklich jemand vergessen gehen. Ich kenne die Menschen, die mit mir im Haus leben auch nicht. Diese Hausgemeinschaften, die im Notfall auch mal untereinander geholfen haben, die’s auch noch bis vor 20 Jahren gab, gibt’s nicht mehr. Da ist auch mal in der Hausgemeinschaft mit gekocht worden oder mit eingekauft. Da mussten sich keine Sozialdienste drum kümmern. Das ist einfach selbstverständlich mitgelaufen. Ich erleb’ das noch oft dass es das gibt, aber nicht in dem Maße und der Selbstverständlichkeit wie das früher war.

‹84

85›


Ist es denn Aufgabe der Gesellschaft, sich mehr um sein Umfeld zu kümmern? Es sind ja nicht nur alte Menschen, die alleine versterben sondern auch Menschen die 40, 50 oder 60 sind. Es liegt bestimmt auch an der Gesellschaft, an den ganzen äußeren Faktoren die da sind. Große Probleme seh’ ich darin, dass wir eben auch eine hohe Arbeitslosigkeit haben, die Leute gefrustet sind, grade die Jugendlichen. Auch die, die keinen Ausbildungsplatz bekommen oder der Mitarbeitet den sie kennengelernt haben, das ist ein ewiger Praktikant, der vom arbeitslosen Bürokaufmann zum arbeitslosen Bürokaufmann umgeschult wird, der dann drei bis vier Jahre Praktikum macht. Ich sag’, das ist wunderbar, weil er aus der Arbeitslosigkeit ein Stück raus ist. Aber die Leute haben ein Problem, die müssen im Extremfall mit 345 Euro im Monat mit Hartz‑IV zurechtkommen, da kann man dann auch gar keine gesellschaftlichen Kontakte und wenn’s nur Lowlevel in der Kneipe ist, pflegen. Das ist schon sehr schwierig. Wenn man dann noch Schulden hat und man muss was abtragen, dann vereinsamt man schnell. Vielleicht haben mittlerweile tatsächlich so viele Leute eine schlechte Rente, dass das auch mit ein Grund ist. Ja, bei den Älteren ist es die Alterseinsamkeit. Aber das ist nicht nur bei alten Menschen so, dass die Einsamkeit vorherrscht. Also hier ist einer, der schleicht den ganzen Tag um den Block. Der Bub’ ist 18 oder 19 Jahre alt. Ich weiß nicht, was der den ganzen Tag macht? Der hängt einfach nur ab. Das ist ein Problem. Der hat wahrscheinlich keinen Ausbildungsplatz bekommen oder sonst was. Früher oder später fängt er dann das Saufen an und dann beginnt die Einsamkeit. Großes Problem. Das wurde wahrscheinlich früher eher in der Familie aufgefangen. Da wurde dem dann mal in den Hintern getreten und gesagt: »Mensch mach jetzt mal, dass Du in die Gänge kommst.« Da ist aber keiner da, der mal schaut. Keine soziale Kontrolle, wie man das so schön nennt. Die ganze Vereinsgeschichte, das spielt da auch mit rein, dass die Leute sich nicht mehr an den Verein binden, der ja sowas wie eine Ersatzfamilie ist. Ich will nicht die alten Zeiten hochbeschwören, das war auch nicht immer alles so gut, wenn man da so sozial kontrolliert worden ist. Aber die negativen Auswüchse, die haben wir im Moment schon. Wenn man heute an den Faulbrunnen geht und guckt die Jungs an, die da rumhängen, das sind oftmals ganz arme Menschen, die aus der Einsamkeit rauskommen und sich zu ihrem gemeinsamen Hobby treffen und sich die Birne zuknallen. Das sind bestimmt alle möglichen Faktoren, die eben auch durch die vielgepriesene Globalisierung, wenn man das jetzt ganz hochtrabend nennen will, kommen. Da kommt sicherlich alles Mögliche zusammen. Also die Globalisierung hat nicht nur Segen gebracht. Wir waren in der Bundesrepublik mit einem schönen warmen Mantel zugedeckt, sodass wir hier wunderbar im guten Wohlstand leben konnten. Dann ist es immer mehr offen geworden, dann kam der Euro dazu, o.k. wunderbar, muss ja sein, damit wir wettbewerbsfähig bleiben können gegenüber der USA. Aber auf die Einzelschicksale kann man da keine Rücksicht nehmen. Und ich denk’, da ist auch viel kaputt gegangen an Kultur. Und ob die Leute die hier


B est a tte r S tef a n f i n k

reinströmen, also zum Beispiel Arbeiter aus dem Osten, so fürchterlich glücklich sind? Ich seh’ da immer eine Deutsch-Russische Familie im 16. Stock in Klarenthal sitzen, die wahrscheinlich früher in irgendeinem Bauernhof, der war wahrscheinlich total vergammelt, glücklich gewesen ist. Heute sitzen sie im 16. Stock und sind vollkommen frustriert, keine Arbeit, Hartz-IV, sonstwas, Sozialhilfe und hängen hier in der Fremde und können die Sprache nicht. Also da kann man schön philosopieren über das Thema. Nach dem Gespräch gibt mir Herr Fink noch die Adresse vom Landesverband für Prävention, der auch Wohnungen räumt und direkt um die Ecke sein Büro hat.Außerdem soll ich mich noch mit der Dame von der Heilsarmee treffen. Sie sei an den sozialen Brennpunkten dran. Nach dem Motto »Suppe, Seife, Seele«. Mit diesen Worten verabschiedet sich Herr Fink von mir und ich bedanke mich für das Gespräch.

‹86

87›

.



Er liebte seinen PapagEi Ü Uber alles

V E R g i ss me i n n i c h t

D as l e b e n d es WALTER BRETZ k e n s

Beim Interview mit der nachlasspflegerin erhalte ich die Fotos eines besonders schlimmen Falles von verwahrlosung. Diese sind heute, fünf Jahre später, die einzigen Zeugen für das Leben von walter Bretzkens.

!

Walter Bretzkens ist Oberstudienrat aus Leidenschaft. Er lebt für seinen Beruf. Irgendwann sterben seine Eltern und er zieht in das Haus seiner Kindheit zurück. Eine schwere Erkrankung der Nieren führt dazu, dass eine Nierentransplantation unumgänglich wird. Nach der Operation erholt er sich nicht mehr und geht in Frührente. Von da an lebt er alleine mit seinem Papagei. Ihn liebt er über alles, und immer wenn er in Urlaub fährt, bringt er ihn zu seiner Cousine. Mit ihr steht er in telefonischem Kontakt. Nicht oft, aber manchmal telefonieren sie miteinander. Walter Bretzkens ist ein Eigenbrödler und Einzelgänger. Er hat keine Freunde, Nachbarn oder Bekannte, die ihn besuchen. Als er stirbt, gleicht sein Haus einer Müllhalde. Seine Leiche wird erst einige Wochen später gefunden. Mit ihm stirbt auch sein Papagei. Er wird bei der Wohnungsräumung tot im Käfig aufgefunden. Fünf Jahre nach seinem Tod erzählt Frau Thüring von Walter Bretzkens. Sie wird dieses Haus niemals vergessen. »Man kann sich nicht vorstellen, wie es da aussah und wie es gerochen hat.« Verwahrlosung in jedem Zimmer. Müllberge, Spinnweben, ... Die Fotos sprechen für sich. Aber was war er für ein Mensch? Warum lebte er unter solchen Umständen? Wusste er mit seinem Leben nichts mehr anzufangen und zog sich deshalb zurück und pflegte keine Kontakte mehr? Die Spinnweben und der Müll sprechen dafür, dass er schon länger mit diesem Problem gelebt haben muss.

‹88

89›



V E RGI S S M E INNICH T W AL T E R B R E T Zke n s

Mehr gibt es über ihn nicht zu erzählen ...

‹90

91›



V E RGI S S M E INNICH T W AL T E R B R E T Zke n s

Keiner weiß etwas über ihn oder könnte was erzählen ...

‹92

93›



V E RGI S S M E INNICH T W AL T E R B R E T Zke n s

Ein Oberstudienrat der seinen Papagei liebte ...

‹94

95›



V E RGI S S M E INNICH T W AL T E R B R E T Zke n s

... und in einem zugemüllten Haus lebte. Das Vergissmeinnicht Walter Bretzkens.

‹96

97›

.


die anonymitat Ä ist sogar wesentlich mehr geworden ...

n a c h l a sspf l e g e r i n

E i n I n t e r v i e w m i t B e at e T h ü r i n g

Nachlasspfleger werden vom Gericht bestellt, um Nachlässe von Verstorbenen zu verwalten und aufzulösen. Ein ehrenamtlicher Beruf der oft auch sehr unangenehme Seiten unserer Gesellschaft an's licht bringt.

!

Als ich an einem regnerischen Tag am frühen Morgen zu Beate Thüring fahre, ist das unser zweites Wiedersehen. Ich lernte sie bereits im Mai durch ihre Mutter, die auch Nachlasspflegerin ist, kennen. Sie wohnt mit ihrer Familie in einem ruhigen Wohnviertel in Wiesbaden. Als ich klingle öffnet sie mir schwungvoll die Tür und begrüßt mich herzlich. Ich freue mich, sie wiederzusehen. Wir setzen uns an den Esstisch. Im Wohnzimmer sitzt ihr Sohn mit Freunden und schaut einen Film. »Zeitüberbrückung bis die Schule beginnt.« Sie macht Kaffee und beginnt zu erzählen. Wir haben nicht soviel Zeit. Sie hat einen Termin auf dem Gericht.


N a c h l a sspf l e g e r i n B e a te T h ü r i n g

Wie lange arbeiten Sie schon in diesem Beruf? Genau zehn Jahre. 1997 hab’ ich damit angefangen und zwar mit einer Nachlasssache, das war eine Bekannte von mir. Bei ihr hab’ ich als junges Mädchen immer geputzt. Ich hab’ die bis zu ihrem Tod betreut, weil ich eigentlich Krankenschwester bin. Sie hat sich das gewünscht, dass ich ihren Nachlass auflöse. Das hat sie aber testamentarisch nicht festgelegt und ich bin dann auf’s Nachlassgericht und hab’ gefragt: »Wie können wir das regeln, dass ich diesen Nachlass auflöse, weil die Dame sich das gewünscht hat?« Da bin ich dann von dem zuständigen Rechtspfleger gefragt worden, ob ich eine Nachlasspflegschaft machen würde. Als Nachlasspflegerin, ehrenamtlich. Ja, wenn das die Bedingung wäre, dann mach’ ich das. Das war der erste Fall und seitdem mach ich das. Es hatte also nichts damit zu tun, dass ihre Mutter auch Nachlasspflegeri n ist? Nein, das hat tatsächlich was damit zu tun, dass ich für diese Dame den Nachlass abwickeln wollte. Klar, ich wusste ich geh’ dann auf’s Nachlassgericht. Das wusste ich von meiner Mutter, wie ich es machen könnte, aber ich war mir eben nicht sicher, dass ich das bekomme. Nachdem ich den Nachlass abgewickelt hatte, kamen die Rechtspfleger auf mich zu und meinten, dass ich das doch ganz gut gemacht hätte, ob ich nicht Lust hätte, das ehrenamtlich weiterzumachen. Zu dem Zeitpunkt war ich aber noch im Berufsleben drin, entschied mich aber das nebenher zu machen. Dann wurde ich mit meinem Sohn schwanger und da ich dann nicht mehr im OP arbeiten konnte, hab’ ich mich dann für diese ehrenamtliche Arbeit entschieden. Und bin natürlich auch immer mehr reingewachsen. Kann jeder diesen Job machen? Ja klar. Das ist wie ein Schöffe, man wird bestellt. Das heißt, das Nachlassgericht spricht Sie an: »Würden Sie das für uns machen?« und dann kann das jeder machen. Man muss keine passende Berufsausbildung haben. Ich bin ja auch eigentlich OPSchwester. Man muss sich dann reinwursteln. Aber ein Schöffe ist auch nicht von Anfang an dabei, auch er muss sich da reinarbeiten. Ihre Mutter erzählte mir schon, dass man kein fixes Gehalt hat! Ja. Man erhält eine Aufwandsentschädigung. Man bekommt kein Gehalt. Man wickelt Nachlässe ab und am Ende geht der Nachlass in der Schlussrechnung an das Nachlassgericht und dann setzt der zuständige Rechtspfleger für den entsprechenden Nachlass eine Aufwandsentschädigung fest. Das geht aber auch nur dann, wenn im Nachlass was da ist. Ist nichts da, bekomm’ ich auch nichts. Das ist dann eben das Ehrenamt das man da macht. Ist im Nachlass was da, errechnet der Rechtspfleger prozentual, nach Arbeitsaufwand und Intensität, was man bekommt. Den setzt der Rechtspfleger fest, da hat man keinen Einfluss. Es gibt aber auch viele Nachlässe bei denen nichts übrig bleibt oder gar nichts da ist.

‹98

99›


Wieviele Nachlasspfleger gibt es denn in Wiesbaden? Es gibt drei Frauen, die machen das ganz ehrenamtlich, also die haben keinen Beruf nebenher und dann gibt es vier Rechtsanwälte von der Kanzlei aus. Also sieben insgesamt. Die werden dann auf die Fälle aufgeteilt? Die Nachlasspfleger wissen ja auch nicht was da kommt. Da kommt eine Sterbefallanzeige an das Nachlassgericht, oder es kommt vom Bestatter ein Brief, dass keine Erben bekannt sind. Der bittet dann um Einsetzung eines Nachlasspflegers. Es kann auch sein, dass der Vermieter schreibt. Dann setzt der Rechtspfleger einen Nachlasspfleger ein. Das läuft dann nach dem Motto, wer ist dran, also reihum. Da geht’s nicht drum, ob das ein wertvoller Nachlass ist oder nicht. Das können die ja auch nicht vorher sagen. Eine Ausnahme wäre, wenn von vorneherein klar ist, dass Rechtsstreitigkeiten zu erwarten sind. Bei einem großen Nachlass, wo die Erben schon auf der Matte stehen, wird einer der Anwälte genommen, weil dann die Rechtsfrage einfach besser ist. Ich dachte immer Nachlasspfleger werden nur dann eingesetzt wenn keine Erben da sind? Nein. Nachlasspfleger werden auch dann eingesetzt, wenn keine Erben bekannt sind. Wenn zum Beispiel jemand tot in der Wohnung gefunden wird. Das heißt, die


N a c h l a sspf l e g e r i n B e a te T h ü r i n g

Wohnung wird von der Polizei aufgebrochen und es kann nicht sofort ermittelt werden, ob es Erben gibt oder nicht. Dann wird die Wohnung versiegelt. In dem Moment, wo eine Wohnung versiegelt wird, muss entweder ein Nachlasspfleger kommen, oder ein Erbe der nachweisen kann, dass er Erbe ist. Und das können die meisten nicht. Deshalb kommt dann der Nachlasspfleger, der in die Wohnung reingeht und schaut ob Erben da sind oder nicht. Ich hatte jetzt einen Nachlass, da hieß es, dass die Wohnung aufgemacht werden muss. Dann bin ich in die Wohnung rein und da war dann auch gleich das Testament. Testament rausgenommen, Wohnung wieder zu, auf’s Gericht und damit war die Nachlasspflegschaft schon geregelt. Gerade bei älteren Leuten, die zum Teil zwei bis drei Wochen tot in der Wohnung liegen, weiß man das oft nicht. Dann sagt vielleicht der Nachbar: »Ach der hat mal ’ne Cousine gehabt oder aber keiner weiß was. Dann kommt halt ein Nachlasspfleger, der muss halt schau’n. Wo suchen Sie denn, bezi ehungsweise wie? Also viel in den Wohnungen. Ich hatte einen Fall in einer total zugemüllten Wohnung, da hab’ ich irgendwann gesehen, es muss eine Cousine da sein. Aber wo, wusste ich nicht. Dann hab’ ich versucht alle Papiere auseinander zu nehmen und ein Stammbuch zu finden. Und ich hab’ tatsächlich in dem ganzen Müll das Stammbuch gefunden. Dann bin ich praktisch über seinen Namen, Namen seiner Eltern und der Familien draufgekommen wie die Cousine heißen könnte. Durch Zufall ist sie dann einmal an’s Haus gekommen und war dann wie aus allen Wolken, dass er tot war. Die hatten Kontakt, aber er hat das nirgends aufgeschrieben. Ich hab das dann über das Stammbuch, über Briefe, Postkarten und über Todesanzeigen rausbekommen. Es gab eine Nachlasssache da hatte der Mann einen Tresor. In der Wohnung war nichts zu finden, aber im Tresor waren die Todesanzeigen seiner Onkel. In der Anzeige stand dann »Ehefrau mit Kindern«. Also musste der Onkel Kinder haben, er musste einen Cousin haben. Also wo sind die? Dann hab’ ich an die alte Adresse der Ehefrau geschrieben »Hallo, gibt’s denn Kinder, denn die sind erbberechtigt.« Da gab’s dann auch tatsächlich Kinder. Das sind immer so kleine Hinweise. Oder persönliche Telefonbücher. Bei manchen steht nur ein Name drin, bei manchen aber auch »Cousine Edda«. Das ist ein ganz schönes Gepuzzle? Ja, das ist ein Puzzlespiel. Aber es ist ein interessantes Puzzlespiel. Das ist der Reiz. Nur Wohnungen aufzulösen und Kündigungen schreiben, das ist Jacke wie Hose. Das macht man für jeden Nachlass. Aber im Nachlass dann zu suchen und rauszufinden, ob es Angehörige und Vermögen gibt, wie man an die rankommen kann. Das ist das Spannende. Mein dritter oder vierter Nachlass in Wiesbaden war sehr spannend. Der Mann hatte 22 Konten auf 11 verschiedenen Banken. Und insgesamt, damals noch in DM, eine Million. Der Nachlass läuft heute noch, weil die Erben sich darum streiten. Ich hab’ das Geld heute noch in der Verwaltung. Ich hab’ jetzt noch 300 000 Euro. Das müssen Sie dann aber auch rausfinden. Der war Dro-

‹100

101›


gist und lebte in einem 1-Zimmer Appartement. Auch sehr vermüllt, aber nicht dreckig vermüllt, sondern chaotisch. Und da dann jeden Zettel einzeln rauszusuchen und zu schau’n: »Ach, da ist nochmal ’ne Bank. Besteht das Konto noch?« Dann auf die Bank zu dackeln und zu sagen »Der Mann ist verstorben, der hatte mal ein Konto bei Ihnen. Kann es sein, dass das Konto noch besteht?« Das ist das Spannende. Der Nachlass hat mir soviel Spass gemacht. Weil sie ständig irgendwo hingehen und feststellen: »Aha, da ist doch noch was.« Das macht den Reiz aus. Rauszufinden, was haben die Leute gemacht in ihrem Leben. Sich die Frage zu stellen, warum der Mann 22 Konten hatte? Was glauben Sie warum der Mann 22 Konten hatte? Ich denke der hat echt den Überblick verloren. »Ach ich könnte doch ein neues Konto eröffnen.« Der hat komplett den Überblick verloren. Der Mann war gar nicht so alt. 70 glaub’ ich. Und hat so ärmlich gewohnt. In seinem 1-Zimmer Appartement in einem Sozialwohnungsbau. Das versteh’ ich nicht. Das verstehe ich auch nicht. Wahrscheinlich hat er aus Angst kein Geld mehr zu haben, angefangen zu horten? Das denke ich auch. Für’s Alter sammeln ... ... und dabei nicht zu bemerken, dass man »alt« ist und die Zeit gekommen ist, das Geld auszugeben. Ich denke, dass dies bei alten Menschen oft vorkommt. Ja, das glaube ich auch. Haben Sie das denn Gefühl in eine Privatsphäre einzutauchen, die einem eigentlich verschlossen bleiben sollte? Also am Anfang hatte ich da arge Schwierigkeiten. Durch meinen Job als Krankenschwester, wo man ja auch oft sehr in die Intimsphäre anderer Menschen eintaucht, war meine Schwelle geringer. Aber es ist schon heftig, wenn Sie dann so private Sachen finden. Das muss nicht unbedingt etwas Negatives sein. Ich hab’ dann schon das Gefühl in Dingen von Toten zu »wühlen«, die das dann vielleicht gar nicht gewollt hätten. Da muss man schon arg an sich arbeiten. Heute, nach zehn Jahren, fällt mir das schon viel leichter. Manchmal denke ich mir, das muss einfach gemacht werden und die Toten würden froh sein, dass es überhaupt jemand macht und dass es jemanden gibt, der sich um ihre Sachen kümmert. Ich behandle aber auch alles mit Respekt. Ich geh’ da nicht rein und sag’ dann: »Ach schon wieder so ein Müllladen.« Das denk’ ich dann vielleicht, würde das aber nicht so verbalisieren. Ich würde nicht darüber reden. Es ist aber so, dass man das als Arbeit sieht, es aber mit Respekt macht. Den sollte man auch immer behalten. Das sind Menschen, die vielleicht nichts dafür können, dass keiner da ist, der den Nachlass auflösen kann. Oder die haben vielleicht gehofft, die Angehörigen machen das und die machen das dann doch nicht. Und dann sollte man den nötigen Respekt entgegenbringen. Und nicht um unnötig rumzuwühlen. Das muss nicht sein.


N a c h l a sspf l e g e r i n B e a te T h ü r i n g

Sie betreiben also keine Sensationsforschung in der Wohnung. Was wäre denn mit Tagebüchern? Nein, das gehört sich nicht. Da hab’ ich eine Schwelle.Die würde ich zu lassen. Die würde ich sogar selber raus nehmen und würde sie vernichten. Meine Räumer räumen ja die Wohnungen und bestellen dann Secondhand-Läden, die sich dann Sachen raus nehmen. Wir wissen nie, wo die Sachen dann hinkommen. Private Dinge wie Tagebücher würde ich immer raus nehmen und selber entsorgen. Wir haben den Aktenvernichter Gauer in Wiesbaden. Ich hebe die Dinge dann auf und fahre dann zu ihm, um die Sachen vernichten zu lassen. Ich möchte ja auch nicht, dass meine Tagebücher irgenwann irgendwo sensationslustig rumgezeigt werden. Haben Sie denn jemals in einem Tagebuch gelesen? Nein. Generell nicht. Hut ab. Das ist toll. Das sind Gedanken, Gefühle von Verstorbenen und die gehen mich nichts an. Zumal ich die Menschen ja auch nicht kannte. Ich würde nicht sagen, es ist wie das Beichtgeheimnis, aber das ist eine Schwelle, wo ich einfach sage: »Nein.« Man sieht, wenn es ein Tagebuch ist. Macht irgendein Buch auf und sieht eine private Schrift, zu. Da hab’ ich echt eine Schwelle. Ich glaube, so denken alle Nachlasspfleger. Aus Respekt vor dem Toten, vor dem Menschen der verstorben ist. Das muss man auch einfach. Natürlich ist es mit der Zeit Routine, es ist Arbeit. Aber es hat eben einen ganz anderen Wert. Es gibt Menschen, die sterben unentdeckt in ihrer Wohnung. Was glauben Sie ist der Grund, dass die Menschen nicht entdeckt werden? Das ist die Anonymität heute. Heute? Früher hat man das nicht so mitbekommen. Ich glaube, früher waren die älteren Menschen eher in der Familie eingebunden. Wir hatten auch Uromas und die waren immer in der Familie eingebunden. Die haben zwar allein gewohnt, aber die waren so eingebunden, dass wenn die Oma einen Tag mal nicht angerufen hätte, einer reagiert hätte. Es ist aber heute nicht mehr so. Die Anonymität ist sogar wesentlich mehr geworden. Und zwar bei jüngeren Menschen. Es scheint 30-, 40-jährige zu geben, die keine sozialen Kontakte haben und völlig abgeschottet in ihrer Wohnung leben. Die vereinsamen. Die vereinsamen und unter der Vereinsamung verlieren die den Lebenswillen und sterben dann daran. Ich habe kürzlich mit meiner Mutter gesprochen, dass wir mehr Nachlässe von jungen Menschen machen. Junge Menschen meines Alters. Ich bin jetzt 43 und muss immer schlucken, wenn ich Fälle habe wo mein Geburtsjahr plus minus draufsteht. Und das sind alles Menschen die vereinsamen,

‹102

103›



N a c h l a sspf l e g e r i n B e a te T h ü r i n g

die alleine leben, vielleicht mal Familie hatten, geschieden sind, Kinder haben aber kein Kontakt. Die bringen sich aus Verzweiflung um, das hatte ich leider schon viel bei jungen Menschen. Oder sie siechen einfach dahin. Das ist gehäuft in den letzten drei bis vier Jahren. Vielleicht fällt mir das auch nur so gehäuft auf, weil ich jetzt in dem Alter bin. Aber es ist auch so, dass es meiner Mutter auffällt. Das liegt natürlich auch daran, dass die Eltern und die Angehörigen nicht mehr bereit sind, den Nachlass aufzulösen. Wir bekommen da einfach mehr Kontakte aufgrund der finanziellen und wirtschaftlichen Situation. Die schaffen das einfach nicht mehr, die Nachlässe aufzulösen. Deswegen kriegen wir die auch gerade sehr gehäuft. Nicht nur die Lebenssituation der Verstorbenen, auch die der Eltern ist dann meistens grenzwertig. Ich hatte jetzt gerade zwei Nachlässe hintereinander. Eine junge Frau die sich aus dem 25. Stockwerk runtergestürzt hat. Aufgrund der Tatsache, dass sie ihrem Bruder vor drei Jahren eine Bürgschaft gegeben hat über 30 000 Euro. Er hatte gesagt, sie solle ihm helfen, ich geb’s dir dann auch zurück falls was ist und sie musste bürgen, weil er sein Soll nicht erfüllen konnte. Er hat es ihr eben nie mehr zurückgezahlt. Und dann saß sie eben mit den Schulden da und hat das nicht verkraftet. Es gab einen Abschiedsbrief, den hat dann die Polizei geöffnet, ich hab den nur überflogen weil er in der Polizeiakte lag. Sie ist daran zugrunde gegangen, dass sie für ihren Bruder etwas getan hat und er nicht zu ihr gehalten hat. Der nächste Fall ist ein Mann, der ist im Krankenhaus schwerstkrank gestorben. Die Eltern haben vom Krankenhaus erfahren, dass der Sohn schwerkrank war und dort verstorben ist. Jetzt sagen alle, dass sie den Nachlass nicht auflösen können und den Nachlass hab’ ich eben dann. Im Gespräch mit dem Bestatter Fink konnte ich raushören, dass sich die Menschen immer weniger mit Religion und der Kirche identifizieren, nicht mehr in Vereine gehen und somit keine soziale Anbindung mehr haben. Das ist nicht nur in Todesfällen so. Die Gesellschaft zieht sich immer mehr zurück und verkapselt sich in ihrer eigenen Welt. Jeder für sich. Und da ist man wirklich schwer dran zu fragen, woran das liegt. Schauen sie sich mal die Jugendlichen an, die keine Perspektiven haben. Diese Auswegslosigkeit. Ich geh’ mal von mir aus. Ich hatte mit 16, 17 Jahren meinen Berufswunsch. Toll. Ich hatte einen neuen Freund. Toll. Ich hab' da draufhin gearbeitet. Ich wollte Familie haben. Immer ein Stück weiter, weiter und weiter. Wenn Sie heute zum Teil mit denen reden, dann sagen die: »Hmm, mal schaun’, ich mach' erstmal ein Soziales Jahr, mal schaun’ wie ich da weiterkomme.« Da fehlt mir so die Linie. Wo will ich denn hin? Die ziehen das dann durch. Die finden dann auch nicht den Beruf den sie wollen, dann scheitern sie, scheitern in der Beziehung. Dieser kirchliche Halt den es früher gab, wenn der nicht da ist dann vereinsamen die Menschen. Wenn sie bei einem Sportverein, Kulturverein drei Wochen nicht teilnehmen, dann sind sie weg. Die sind da nicht interessiert. Früher war das anders. Da wurde nachgefragt, warum man nicht mehr ins Training kommt. Heute

‹104

105›


ist das egal. Meine Kinder sind alle im Vereinsleben eingebunden. Meine Große hat dann aufgehört, ja dann war die weg. Da hat keiner nachgefragt warum sie nicht mehr kommt! Das war dann einfach o.k. Das war so gleichgültig. Mich hat das persönlich immer genervt. Dieses Gezeter, warum man nicht da war und nicht mehr kommt. Das ist immer das Zweischneidige. Je größer die Stadt je schlimmer ist das. Je anonymer, je größer, desto weniger Kontakte hat man und umso weniger wird man ins soziale Leben eingebunden. Wenn man dann nicht einmal über den Beruf die sozialen Kontakte bekommt, dann vereinsamen sie. Was haben sie denn. Sie gehen aus der Schule raus, machen eine Berufsausbildung und dann gehen sie in den Beruf und wenn sie da dann die sozialen Kontakte nicht finden, dann gehen sie nach Hause und Schluss. Das ist oft so. Ich weiß aber auch nicht wie man da gegensteuern kann? In dem Mietshaus in dem ich lebe, sind in den letzten Jahren ständig Menschen ein- und ausgezogen. Am Anfang kannte ich die Leute noch. Heute hab’ ich keine Ahnung, wer da wohnt. Es stellt sich auch keiner vor. Das gab es früher nicht. Ich kann mich erinnern an die Hausgemeinschaften. Ich kenne Hausfeste. Ich kenne nachbarschaftliche Hilfe. Wenn man mal nicht konnte, hat der andere für einen eingekauft. Die Jüngeren haben die Älteren mitgezogen. Bei meinen Schwiegereltern im Haus, da gab es eine ältere Dame im Haus, die konnte ihre Kohlen nicht mehr selber schleppen. Das hat dann mein Mann mit seinen Brüdern übernommen. Das war eine Hausgemeinschaft. Gehen Sie heute mal in diese Silos rein. Wenn man die Leute im Umfeld fragt, ob sie denn bereit wären sich um Menschen in ihrem Haus zu kümmern, kommt oft: »Uhh, hmmm, naja, das ist ja schon ziemlich anstrengend und ich hab’ doch gar keine Zeit.« Ja. Man will die Nähe nicht mehr. Man will die Nähe nicht und man hat das Gefühl, in etwas eingebunden zu sein aus dem man nicht mehr rauskommt. Das sind die zwei Faktoren. Man lässt die Nähe nicht mehr zu und man hat den Faktor, wenn ich mich da jetzt drauf einlasse, wie sehr bin ich dann da eingebunden. Kann ich da dann auch wieder raus? Das kann man dann meistens auch nicht mehr. Ich hab’ dir ein Jahr lang geholfen, jetzt ist jemand anderes dran. Das geht nämlich nicht. Da sperren sich viele. ist das nicht der O-Ton der Gesellschaft? Kämpf dich durch, du kommst sowieso nur zum Ziel wenn du deinen Egotrip fährst. Ja. Kämpfer! Mach dein Ding. Mach dein Ding und schau nicht nach rechts und nicht nach links. Aber das Schwierige ist, wir können das erkennen. Aber was kann man dagegen tun? Ich versuche aus dieser Erkenntnis heraus meinen Kindern beizubrin-


N a c h l a sspf l e g e r i n B e a te T h ü r i n g

gen: »Schaut nicht nur auf euch!« Aber die erleiden Schiffbruch. Das schaffen die nicht, da gehen die kaputt dran. Weil in dem Moment wo die zeigen: »Hey Leute, wir schau’n mal gemeinsam.«, werden die gnadenlos ausgenützt. Und in dem Moment, wo die dann mal jemanden brauchen, ist kein Mensch da. Und da frag’ ich mich, inwiefern man das als Eltern oder von der Gesellschaft her noch beeinflussen kann. Glauben Sie, dass es die Aufgabe der Eltern ist das den Kindern beizubringen? Es muss angefangen werden bei den kleinen Kindern. Bei den Kindern im Sandkasten die dem anderen ihre Schaufel abgeben. Da fängt es nämlich schon an. Da sitzen die Mütter mit ihren Kindern und scharren die Sachen zusammen und sagen dann: »Kind, das sind deine Sachen und die bleiben da.« Das ist das frustrierende, man versucht das auf seiner Seite zu ändern und erleidet dann Schiffbruch. Ich glaube, dass auch viele so denken und sich dann aber zurückziehen und sagen: »Nein, dann mach’ ich das auch nicht mehr.« Wenn es jemandem schlecht geht, dann sagen die Eltern: »Das kann mein Kind nicht verkraften.« Ja aber was kann man denn noch verkraften? Ich muss demjenigen doch nicht helfen, sondern für ihn da sein. Wie sollen Kinder, die nicht mit Problemen anderer umgehen können und von ihren Eltern ferngehalten werden, lernen damit umzugehen? Wie sollen diese Kinder mit ihren eigenen Problemen zurecht kommen wenn sie 30 sind? Wie können solche Kinder fähig sein, für andere da zu sein? Sie setzen sich nicht damit auseinander. Da ist es Aufgabe der Eltern zu sagen, sei für denjenigen da. Und wenn du nur einmal pro Woche anrufst und fragst: »Wie geht es Dir?« Das gibt es ja überall. In dem Moment wo jemand aus der Norm rausfällt, dem Rhythmus, dem Schema rausgeht, fällt er weg, weil die anderen sich damit nicht auseinandersetzen können. Man ist mit seiner eigenen Lebenssituation unzufrieden und schaut dann auch nicht mehr nach rechts und links. Vielleicht erwarten wir mittlerweile auch einfach sehr viel vom Leben. Sind so mit der Erfüllung unserer persönlichen Wünsche beschäftigt? Aber das sind alles materielle Wünsche. Für uns war das früher normal »eine« Jeans zu besitzen. Das war völlig in Ordnung. Am Ende bedanke ich mich für das Gespräch. Frau Thüring muss los: »Ein neuer Nachlass wartet auf mich. Mal schaun' was es diesmal ist.

‹106

107›

.



der fernseher lief vierundzwanzig stunden am tag

V E R g i ss me i n n i c h t

d as l e b e n d e s W i ll i A s m u s

Am 18. Oktober 2007 erhalte ich den Schlüssel für die wohnung von Willi Asmus. Zweiter Stock eines 50er-Jahre mietshauses. Eine 2-zimmer Wohnung mit balkon und die Geschichte eines lebens.

!

Willi Asmus wird am 17. Oktober 1922 in Wiesbaden geboren. Er hat einen Bruder und eine Schwester. Sein Bruder Heinrich fällt am 14. Juni 1942. Ein Foto aus dem Krieg mit den Zeilen der Mutter »In ewiger Erinnerung an Euren Bruder Heinrich«, wird bis zu seinem Tod auf dem Beistelltisch im Wohnzimmer stehen. Am 4. Februar 1956, heiratet Willi Asmus Auguste Mina. Ein Schwarzweißfoto zeigt die beiden mit ihren Trauzeugen im Standesamt. Er hält sie glücklich im Arm. Sie sitzt schüchtern, mit einem leichten Lächeln, auf dem Samtstuhl und hält einen weißen Nelkenstrauß in ihrer Hand. Auguste Asmus wird am 8. Juli 1928 geboren. Ihre Mutter ist lange krank und stirbt als Auguste jung ist. Der Vater kurze Zeit später. Auguste kommt ins Kinderheim. Jahre später erhält sie für ihre wohltätige und selbstlose Arbeit eine Urkunde. Diese Urkunde ist nach ihrem Tod der einzige Zeuge für die schwere Kindheit, die Auguste gehabt haben muss. Ohne Eltern und Familie wächst sie im Kinderheim auf. Und trotzdem scheint sie eine außergewöhnlich freundliche und hilfsbereite Frau gewesen zu sein.

‹108

109›



V e r g i ssme i n n i c h t w i l l i a sm u s

Die beiden ziehen in die Blücherstraße und richten sich eine einfache, aber gemütliche Wohnung ein. Am 1. Februar 1982 reicht Willi Asmus das erste Mal einen Antrag auf Arbeitslosengeld ein. Was er beruflich gemacht hat, ist nicht nachvollziehbar. Er bezieht vier Jahre lang Arbeitslosengeld in Höhe von 753,30 DM. Später lebt er von 632,18 Euro Rente. Wenige Wochen nach dem Tod von Willi Asmus ist es kalt in der Wohnung. Alle Fenster sind gekippt, um den Geruch zu vertreiben. Die Deckenlampe wirft ein dünnes Licht in den Flur. Alles sieht so aus, als würde er gleich wiederkommen. Im Flur ein Gehwagen. Die Küche alt und sporadisch eingerichtet. Der Herd blitzblank sauber. Willi Asmus hat nie selbst gekocht. Im Wohnzimmer steht das Pflegebett, ungemacht. Auguste Asmus stirbt unverhofft am 8. Juli 1999. Von da an ändert sich im Leben von Willi Asmus alles. Sie war diejenige, die Kontakt zu den Freunden pflegte. Mit ihrem Tod zieht er sich in seine Wohnung zurück und baut jedes Jahr mehr ab. Die Rechnung von der Beerdigung liegt noch im Schrank. Willi Asmus bezahlte von den insgesamt 8.340,08 DM, 3.554,48 DM. Den Rest übernimmt die AOK und die Aachener und Münchener. Im Schrank liegen viele Bilder vom Grab und den Kränzen. Er verabschiedete sich mit einem weißen Nelkenkranz von seiner Gundi »In Liebe, Dein Willi.« Die Urnenbeisetzung findet wenige Tage nach ihrem Tod statt. Ein Foto der Steinplatte zeigt die Inschrift »Auguste Asmus 1928-1999 und Willi Asmus 1922-...« Bei den Bildern finden sich auch die Beileidsbekundungen aller Freunde.

‹110

111›



ve r g i ssme i n n i c h t w i l l i a sm u s

»Gehen, konnte Er fast gar nicht mehr. deshalb standen überall stühle.« ›

Irgendwann schafft er es nicht mehr, sich selbst zu versorgen. Monatliche Rechnungen der häuslichen Alten- und Krankenpflege liegen stapelweise im Schrank. Genauso Rechnungen des Caritasverbands Wiesbaden. Essen auf Rädern, jeden Tag für den monatlichen Preis von 37,33 Euro. Ihm geht es immer schlechter. Frau Merkle, eine Hausbewohnerin erzählt: »Er war den ganzen Tag zu Hause. Gehen konnte er fast gar nicht mehr. Deshalb standen überall Stühle. Er schleppte sich von Stuhl zu Stuhl, um sich dann wieder auszuruhen.« Wann Willi Asmus ins Wohnzimmer zog und nicht mehr in seinem Ehebett schlief, weiß sie auch nicht. Nur dass das Wohnzimmer zu seinem Lebensmittelpunkt wurde und der Fernseher 24 Stunden am Tag lief. »Man hörte alles, das Haus ist ist sehr hellhörig. Nachts schlief er fast nicht mehr.« Oft sei er zur Toilette gelaufen.

‹112

113›



V e r g i ssme i n n i c h t w i l l i a sm u s

»Wenn jemand da war, war er zehn Minuten später wieder weg.« ›

Im Schlafzimmer stapeln sich Berge von Kleidern und Schuhkartons. Willi Asmus trägt gute Lederschuhe. Kleine Schuhe. Er war nicht groß. Auf dem Bett liegt ein kleines Foto von ihm und seiner Gundi. Daneben Feinstrümpfe, originalverpackt und Kleider von seiner Frau. Auf der Spiegelkommode Schminksachen seiner Frau. Unberührt seit ihrem Tod. Auch der Badezimmerschrank ist noch mit Nagellack, Puder und Lippenstift gefüllt. Willi bringt es nicht über‘s Herz, all die persönlichen Dinge seiner Gundi wegzuwerfen. Irgendwann fängt Willi Asmus an, Lotto zu spielen. Überall finden sich Lottozettel. Er spielt im Tabakwarenladen Büchler ein paar Meter die Straße runter. Irgendwann kann er nicht mehr zum Laden laufen und die Inhaberin Meike Büchler übernimmt das Tippen für ihn. Seine Telefonrechnung zeigt, dass das Lottospielen zum Lebensinhalt wird. Schon morgens ruft er im Tabakladen an und fragt nach, ob er gewonnen hat. Die Gespräche dauern zwischen sieben Sekunden und einer Minute. Manchmal ruft er innerhalb einer Stunde viermal an. Dann wieder zur Mittagszeit und am späten Abend. Meike Büchler fängt irgendwann an, sich ein wenig um ihn zu kümmern. Mal für ihn einzukaufen. Ihr Mann erzählt, dass er immer gesagt hat: »Meike, du musst das nicht.« Sie kann nicht viel für ihn tun. Aber wenigstens ab und zu nach ihm schau’n. Die Telefonrechnung wird immer kleiner. Er bekommt keine Briefe und keinen Besuch mehr. Der Pflegedienst kommt jeden Tag: »Wenn jemand da war, war er zehn Minuten später wieder weg.« Willi Asmus ist am Ende allein. Er hat niemanden mehr. Seine Schwester lebt nicht mehr.

‹114

115›



V e r g i ssme i n n i c h t w i l l i a sm u s

‚116

117›



V e r g i ssme i n n i c h t w i l l i a sm u s

»Ich glaube, er hat irgendwann das Sprechen verlernt. Hat sich ja keiner mehr mit ihm unterhalten.« ›

In der Hoffnung, dass die Hausbewohner mehr erzählen können, klingle ich an der Tür gegenüber. Die Frau öffnet nicht, spricht nur durch die Tür: »Was wollen Sie?« »Ich komme wegen Herrn Asmus ...« Sie lässt mich nicht ausreden: »Das kann ja nicht sein. Der ist ja tot.« »Deshalb. Können Sie mir ein wenig über ihn erzählen?« »Nein. Kann und will ich nicht.« Ich gebe auf und gehe ein Stockwerk höher. Dort öffnet mir eine Frau. Sie fängt sofort an zu erzählen, von den letzten Jahren. Davon, dass die Hausgemeinschaft früher so toll war im Haus. Sie spricht von den 50er-Jahren. Da hätten die Leute noch füreinander gekocht und Kaffeekränzchen gehalten. Irgendwann sind die alten Leute gestorben und die neuen machen das nicht mehr. Hier wohnen immer noch alte Leute. Ganz alleine. Die gehen nicht mehr raus. Vor ein paar Jahren hätte es im Flur gestunken. Irgendwann hat sie sich Sorgen gemacht. Sie war sich sicher, dass der Herr Asmus tot in seiner Wohnung liegen muss. Dann kam die Feuerwehr und ist in die Wohnung. Herr Asmus schaffte es nicht mehr, sich um sich selbst zu kümmern. In der Wohnung stank es und alles war verwahrlost. Von da an kam der soziale Dienst. Sie erzählt davon, dass er nicht mehr richtig sprechen konnte: »Ich glaube, er hat irgendwann das Sprechen verlernt. Hat sich ja auch keiner mehr mit ihm unterhalten.«

‹118

119›



V e r g i ssme i n n i c h t w i l l i a sm u s

‹120

121›



ve r g i ssme i n n i c h t w i l l i a sm u s

»Er sass oft stundenlang in einem weissen plastikstuhl auf dem Balkon und hat papier gefaltet.«

Irgendwann hat sich auch das Essen vor seiner Haustür gestapelt. Sie spricht den Mann von »Essen auf Rädern« an. Was denn mit dem Essen sei? Es würde sich ja schon stapeln! Er hätte keine Ahnung. Er liefere das Essen ja nur an. Er könnte doch wenigstens mal warten bis der Herr Asmus rauskäme. Er kann sich doch auch fast nicht mehr bücken. Dafür hätte er keine Zeit. Sie erzählt davon, dass Herr Asmus bis zum Schluss auf Knien die Kehrwoche gemacht hat. Das ließ er sich nicht nehmen. »Er saß oft stundenlang in einem weißen Plastikstuhl auf dem Balkon und hat Papier gefaltet.« Nach seinem Tod liegen immer noch gefaltete Lottoscheine, Briefumschläge und Zettel auf dem Stuhl. Ein paar hat der Wind auf den Boden geweht. Willi Asmus ist am Schluss fast nur noch im Krankenhaus. Dort stirbt er auch und wird wenige Tage nach seinem Tod neben seiner Frau Gundi beerdigt. Sie hatten keine Kinder. Niemand hat die wenigen persönlichen Dinge abgeholt. Die Räumer kommen schnell. Wenige Tage nachdem ich die Fotos gemacht habe ruft mich der Räumer an: »Die Wohnung ist leer. Nichts mehr da.«

‹122

123›

.


Ein ganz trauriges kapitel, was wir hier haben

Rä u me r

E i n I n t e r v i ew m i t KA r l M a l e t z

Der Landesverband-Lebenshilfe und Prävention Wiesbaden e.V. ist neben der Caritas und dem Roten Kreuz ein gemeinnütziger Verein, der sich unter anderem um Wohnungsräumungen und -Auflösungen kümmert.

!

Auf Empfehlung von Herrn Fink, dem Bestatter, gehe ich direkt nach dem Gespräch zur Lebenshilfe und frage unangemeldet nach, ob sie bereit wären ein Interview zu geben. Ich stehe in einem alten Ladengeschäft, die Tür steht offen und es riecht sehr stark nach Zigarre. Herr Maletz ist sofort bereit und fängt gleich an zu erzählen. Ich setze mich und versuche ein klein wenig Platz für meinen Laptop zu schaffen. Der kleine Raum ist ein wenig chaotisch ... man könnte sagen, hier wird ein geordnetes Chaos gelebt. Herr Maletz hängt bequem in seinem Bürostuhl und strahlt eine wunderbare Gelassenheit aus. Die Art Mensch, die schon viel gesehen hat vom Leben und die nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Dabei zieht er immer wieder an seiner Zigarre. Im Laufe des Interviews wird mir trotz offenem Fenster etwas schlecht. Was zum einen an der Zigarre liegt und zum anderen an den Geschichten, die er mir erzählt. Er bringt mir eine Tasse Kaffee die so stark ist, dass ich vier Stunden später immer noch Herzrasen habe. Dazu Flüssig-Süßstoff, keine Milch und keinen Löffel. Diesen Kaffee werde ich niemals vergessen. Herrn Maletz aber auch nicht.


Rä u me r K a r l M a l et z

Wie darf man sich denn den Beruf eines Räumers vorstellen? Wir machen die Wohnungen von Verstorbenen und von Messies leer. Das ist Ihre Hauptaufgabe? Nein. Unsere Aufgabe ist eigentlich alles. Das heißt, Vorbeugung machen wir auch. Wir haben zum Beispiel die Wohnungen von Verstorbenen die, zum Glück, oft in Krankenhäusern sterben und wir räumen danach die Wohnungen. Und richten sie teilweise auch wieder her. Das heißt, da wird alles rausgenommen und 80 % wird entsorgt, weil das keiner mehr haben will. Wir haben einen Laden »Hab und Gut«, da werden die Sachen wieder an arme Leute weitergegeben. Wo ist denn der Laden? Der ist am Ortsrand von Erbenheim, Berliner Straße 146. Da wird das Zeug eingelagert und anschließend verkauft. Wie lange machen Sie den Job denn schon? Vereinsmäßig? Also dieser Verein besteht jetzt vier Jahre. Davor hab’ ich in anderen Vereinen gearbeitet und davor war ich selbständig. Das ist Lebenserfahrung. Sonst könnte man so einen Job gar nicht machen. Den kann zwar jeder machen, aber der macht dann auch mehr Fehler. Was wäre denn ein Fehler? Dass man zum Beispiel auch mal Geld wegwirft. Das wäre natürlich ein fataler Fehler. Da ist manchmal noch Schmuck da. Der kommt dann dem Verein zugute. Der wird irgendwann mal verkauft. Werden Sie vorher pauschal bezahlt? Teilweise so, teilweise so. Wir machen das oft so, dass wir nicht bezahlt werden. Wenn die Leute leben und einen Umzug machen und den Rest dem Verein schenken, dann entrümpeln wir die Wohnung sozusagen. Was gut ist wird mitgenommen, was wertlos ist kommt auf den Sperrmüll. Da wird ein Termin vereinbart und von der Stadt abgeholt. Beim Erbschaftsnachlass ist es so, dass der Erbschaftsverwalter den Auftrag weitergibt. Der war aber schon vorher drin und hat die Wertsachen rausgeholt. Uns wird dann eine Pauschale von 500 bis 2000 Euro bezahlt. Das kommt aber drauf an, wie die Speicher und Keller aussehen. Und manche Sachen werden dann halt nicht vergütet. Was dann noch gefunden wird, wird dann zum Eigentum des Vereines. Wenn zum Beispiel der Nachlassverwalter eine Schmucktruhe vergessen hat oder diese als wertlos erachtet hat, dann gehört die dem Verein, weil ein mündlicher oder schriftlicher Vertrag besteht, dass alles was von uns gefunden wird, dem Verein übergeben wird.

‹124

125›


Übersieht der Nachlasspfleger etwas Wertvolles und der Verstorbene war offensichtlich ohne Vermögen, bezahlt der Staat die Beerdigungskosten. Egal ob sie noch Schmuck im Wert von 2000 Euro finden? Ja. Aber meistens ist der Pauschalpreis so niedrig, dass man im Endeffekt eh Geld draufgelegt hätte. Das ist ein Kettensystem, dass wir versuchen einen Auftrag mit dem anderen aufzulösen. Das heißt, bei uns bringt’s die Masse. Je mehr Arbeit da ist, je mehr rechnet sich das. Haben sie aber mal 14 Tage keine Arbeit, kostet die Zeit nur, weil die Leute ja trotzdem vergütet werden müssen. Das Büro kostet, Telefon, ... das läuft ja alles weiter. Es ist ja nicht so, dass da Gewinne gemacht werden. Das rechnet sich am Schluss null auf null auf. Und das was am Schluss übrig bleibt, wird für Straßenarbeit bezahlt. Wir besorgen den Leuten zum Beispiel Wohnungen und Möbel. Die, die nichts haben, die können auch Möbel umsonst haben. Die bekommen die Sachen dann auch hingefahren. Das Geld wird dann quasi im Verein wiederverwendet. Am Wochenende kommen zwischen 100 und 180 Leute, die da quasi von essen. Da machen sie dann 40 Liter Kaffee und circa 300 Brote. Die wieder belegt werden müssen. Da bekommen wir wieder Spenden von verschiedenen Bäckereien, von Kaufhäusern. Früher war das der Walmart, heute ist es der Real. Da können wir dann viermal in der Woche Lebensmittel holen. Das ist ja toll. Ich dachte immer, die Lebensmittel landen im Müll. Nein. Aber das kommt wieder. Da ist ein neues Gesetz raus, dass das Zeug alles weggeworfen werden muss. Da ist irgendwas am Laufen von der EU. Warum eigentlich? Das ist doch eine gute Sache? Weil wir eine Wegwerfgesellschaft sind. Es gibt wirklich Leute, die haben gar nichts. Die haben einen 1-Euro-Job. Die können sich dann nicht mal selbst ernähren, obwohl sie einen Job haben, weil das so geringfügig für die ist. Ja was haben die davon, wenn die im Monat 450 Euro zur Verfügung haben. Da kommen sie heute nicht mehr mit hin. Der Regelsatz sind 345 Euro, mit Fahrgeld bekommen sie noch 160 Euro. Die Miete wird extra bezahlt. Aber das reicht hinten und vorne nicht. Strom müssen sie extra bezahlen. Die müssen 100 Euro vorher bezahlen, pro Monat. Die kriegen 345 Euro, da gehen alleine schon 100 Euro für Strom und Gas weg. Dann haben die noch 245 Euro. Dann bekommen sie nochmal 150 Euro dazu, davon müssen sie sich dann noch die Fahrkarte kaufen, die ist verbilligt, die kostet dann 35 Euro. Wenn sie zwei, drei Kinder haben ist das unmöglich. Dann ist das schön, wenn die Leute hier eine Anlaufstelle haben, um abends Wurst, Brötchen und Käse zu holen, was eben grade so da ist. Bietet ihr denn auch die Möglichkeit zum Gespräch an? Ja, da haben wir auch Jemanden der das macht. Wir haben auch feste Bürozeiten. Da kommen auch etliche rein, die das Gespräch und auch Hilfe suchen. Die meisten kommen, weil sie Hilfe suchen.


Rä u me r K a r l M a l et z

Warum sterben die Menschen denn alleine und keiner bemerkt etwas? Da muss man aber auch mal dazusagen, dass die Leute, die in ihren Wohnungen sterben, meistens alt sind. Die Verwandtschaft oder Bekanntschaft ist schon weggestorben und dadurch fällt das nicht auf. Es ist ja mittlerweile so, dass wir gute Altenbetreuung haben, wo die Leute Hilfe bekommen. Und was ist wenn die Leute keine Hilfe wollen? Das ist das Problem. Das ist nicht nur ein gesellschaftliches Problem? Das ist auch ein rechtliches Problem. Jeder hat das Recht in Deutschland so zu leben, wie er das möchte. Da gibt es Gesetze und Paragraphen. Wenn jemand keine Hilfe annehmen will, hat er das Recht zu tun und zu lassen was er möchte. Und wenn jemand seine Wohnung verliert und dann auf der Straße hängt, dann hat er auch dazu das Recht. Genauso hat er das Recht, sich Hilfe zu holen. Und die Hilfe gibt’s. Es gibt Menschen die sind krank, die wissen das gar nicht. Die können das vom Kopf her gar nicht verarbeiten, dass sie Hilfe bekommen könnten. Und daran scheitert es zum Beispiel auch, dass Behörden das ignorieren, wenn es Menschen gibt, denen es richtig schlecht geht. Aber krankheitsbedingt schlecht geht und denen durch unsere Gesetze die Hände gebunden sind. Das ist ein ganz trauriges Kapitel was wir hier haben. Es gibt bestimmt Menschen, die hätten Hilfe wirklich dringendst nötig und machen’s aber nicht, wegen ihrer psychischen Krankheit. Die sind eben gar nicht in der Lage sich Hilfe zu holen. Es gibt bei der ganzen Sache aber auch die Schmarotzer. Wir haben Leute, die kommen hierher und danach noch in die Teestube, zum Roten Kreuz, Caritas, Malteser, ... Die wissen genau, wo sie was umsonst bekommen. Da fehlt unter den Vereinen die Kommunikation. Wir sind hier überlastet und die anderen sind das auch. Da würde man sich viel Arbeit ersparen, wenn man da besser mit umgehen könnte. Und jeder Verein macht da ja sein eigenes Ding. Praktisch macht ja jeder Verein das Gleiche. Die Diakonie und die Teestube das sind die Vereine, die haben die Macht und die Beziehungen, die kriegen auch die öffentlichen Gelder zugewiesen. Wobei wir keine öffentlichen Gelder bekommen. Wir haben zu Weihnachten von der Stadt Wiesbaden großzügigerweise 200 Euro bekommen. Das war schonmal ein Anfang. Das war toll. Und wir haben letztes Jahr am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag das erste Mal durchgesetzt, dass überhaupt mal was für die Armen gemacht wird. Weil der Dreh ist ja, hier bei den Katholiken und Evangelen, am Heiligen Abend was für die Leute zu machen. Aber an den anderen Tagen sollen sie schauen was sie machen. Und wir haben das jetzt mal umgekehrt gemacht, wir machen grade dann was, wenn keiner was macht. Nur durch Mundpropaganda sind an dem Abend immerhin 280 Leute gekommen. Und das war schon mal toll. Ganz ohne Werbung. Wir machen ja auch Versuche, was kann man machen. Was hier in Wiesbaden wichtig wäre, ist eine Armenküche.

‹126

127›


Gibt es so etwas nicht? Doch die Teeküche. Aber da gehen Sie rein, dann gehen Sie wieder rückwärts raus. Das ist nicht so wie wir uns das vorstellen. Ich möchte, dass es da verschiedene Räume gibt. Die Kinder extra sind oder mit ihren Eltern. Die Leute, die von der Straße sollen dann woanders sitzen. Die haben ihren eigenen Geruch, so wie ich meinen Zigarrengeruch habe, so haben die ihren Mief nach »Kellerassel«. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen sehr krass ausgedrückt. Aber das ist unzumutbar, wenn Sie da daneben sitzen, da können Sie nicht essen. Da muss man Unterschiede machen. Was glauben Sie, wieviele Jugendliche es heute gibt, die kein Stück Brot mit in die Schule nehmen können, weil das Geld gar nicht da ist? Oder weil die Eltern so gleichgültig sind, weil sie unten sind und somit gar nicht in der Lage sind, den Kindern das Brot zu schmieren. Es gibt so viele Menschen, die mit zu’nen Augen durch’s Leben gehen. Das ist mittlerweile so gravierend. Gerade in Großstädten, wo die Leute es ignorieren. Vor allem die Schulen ignorieren es und reagieren nicht mehr und die sitzen wirklich an der Quelle.


Rä u me r K a r l M a l et z

Die schaffen das doch gar nicht mehr! Doch die können das schon, aber wenn bei uns die ganzen Fördermittel gestrichen werden, haben die gar nicht mehr die Chance zu reagieren. Und das ist traurig. Wir haben mal in Mainz ein Haus leer gemacht, da bin ich hingefahren. Das ist schon ein paar Jahre her, dann kann ich das erzählen. Da haben wir eine Pauschale gemacht von 1000 Euro. Da ruft der Mann mich an: »Herr Maletz, ich kann Ihnen den Auftrag nicht geben, ich hab’ einen, der macht’s für 400 Euro.« Dann hab ich zu ihm gesagt: »Hören Sie zu, wir sind ein gemeinnütziger Verein, wir machen das für 400 Euro.« Das hat uns im nachhinein dann viel gebracht. Alles was wir an dem Tag verkauft haben, waren 2000 Euro. Sowas gibt es dann auch. Es gibt aber auch Fälle, da trifft man sich in der Wohnung zum Kostenvoranschlag machen und dann steht da ein Fernseher, eine Stereoanlage und ein Computer. Dann handelt man eine Pauschale von 200 Euro aus und wenn man dann in die Wohnung kommt, ist alles weg. Die Leute nehmen sich die Sachen dann einfach trotzdem mit. Davon hab’ ich auch schon gehört, dass Nachbarn und Bekannte die Wohnung ausräumen, Goldgriffe von Schränken abmonti eren, Wertsachen klauen. Alles was übrig bleibt, sind die Staubränder auf den Möbeln. Das haben wir oft. Obwohl wir Verträge haben. Der Mensch ist ein Jäger und ein Sammler. Da hab ich schon die dollsten Dinger erlebt. Wenn ich da zu 100 % genau wäre, dann hätte ich ja mit 60 % der Kunden Krach, weil die ihre Verträge nicht einhalten. Also wird’s gemacht in der Hoffnung, nächstes Mal wird’s besser. Das können Sie nur machen, wenn Sie den Weitblick haben und sich sagen, o.k., immer das Gute im Menschen sehen. Tut Ihnen das nicht weh, die persönlichen Dinge einfach wegzuwerfen? Das kann mir nicht weh tun. Erstens mal kenne ich die meisten Personen überhaupt nicht, und bei den Personen die ich kenne, sag ich, denen kann’s nur besser gehen. Man muss das auch positiv sehen. Ich meine, der Tod ist ja die Erlösung vom Leben. Nach vielen Meinungen gibt es ja ein Weiterleben, man muss das eben positiv sehen. Ich kenne die Natur und es muss einen Reinigungsakt geben. Wenn die Zeit abgelaufen ist tut das zwar weh, aber es ist eben so. Es kann nur bergauf gehen, weil viele Menschen auch krank waren. Die Menschen die wir so begleiten, die haben ja auch wirklich eine schwere Krankheit: Krebs, Leberzirrhose, ... Was die für Schmerzen haben, das ist schlimmer als wenn sie die Augen zu machen und es ist einfach vorbei. Das schockt Sie jetzt ein bisschen?

‹128

129›


Nei n, gar nicht. Wir sterben ja alle irgendwann. Mich schockiert eher, dass es Menschen gibt, die einsam leben und nicht mehr fähig sind, sich selbst zu helfen oder sich Hilfe zu suchen. Solche Leute haben wir auch. Da kann ich ein gutes Beispiel bringen. Wir machen ja auch Messiewohnungen. Das ist ja ein Schlag von Menschen, die nicht aus ihrer Perversität des Sammelns rauskommen. Das heißt, wir haben Leute, die stehen im Leben gut da. Aber wenn Sie reinkommen ist die Wohnung so voll, das Schlafzimmer, alles. Die krabbeln über ihren Plunder, dass die überhaupt noch auf dem Sofa sitzen können? Die sitzen mittendrin im Chaos. Da kann ich Ihnen Wohnungen zeigen ... Wir machen für die Stadt Wiesbaden solche Wohnungen sauber. Was Sie da manchmal an Wertgegenständen wegwerfen, weil das einfach »versüfft« ist ... das tut weh. Ja, aber da sieht man, dass der Mensch in Wirklichkeit ein Jäger ist. Der kann alles gebrauchen. Wir haben Leute dabei, die haben ein Zimmer voll nur mit Zeitungen. Die müssen sie ja auch irgendwann noch lesen. Die wissen auch genau, wo sie was hingesteckt haben. Die haben ein System, das glauben Sie nicht. Wir haben da am Römerberg eine sauber gemacht, da hatten wir alleine drei Tonnen nur an Zeitungen. Der Keller war voll, die Wohnung war voll, voll bis oben hin. Der Mann war 45 Jahre alt. Wieviele solcher Einsätze haben Sie denn im Monat? Einen bis zwei im Monat. Rechnen Sie mal mit 8 % in Wiesbaden. Man kann sagen, durchschnittlich ist in jeder Straße in Wiesbaden ein Messie.


Rä u me r K a r l M a l et z

Wie lange haben Sie denn Zeit diese Wohnungen auszuräumen? Ich hab’ manchmal 14 Tage Zeit. Wenn die Leute noch leben und noch drin wohnen, werden die dann notuntergebracht, weil sie aggressiv werden. Die sagen dann: »Ach, ich sterbe!« Da ist dann das Ordnungsamt dabei, die rufen dann den Rettungswagen. Dann werden die erstmal 24 Stunden eingewiesen, dass sie sich nicht umbringen. Das ist dann schlimm. Für die ist da das Leben zu Ende. Erstmal. Aber die erholen sich wieder. Wir hatten einen Bekannten, der ist leider letztes Jahr gestorben, dem haben wir jedes Jahr zweimal die Wohnung geräumt. Jedes halbe Jahr haben wir einen 12-Kubikmeter-Kübel Container rausgeholt. Einmal sind wir zwei Jahre nicht dazugekommen, da haben wir das Dreifache rausgeholt. Da haben wir alleine aus einer 35-qm-Wohnung 165 Säcke nur mit Wäsche rausgeholt. Und die Schränke waren immer noch voll. Woher hatte er denn die ganze Wäsche? Der ist zur Diakonie und hat sich da jede Woche eine neue Hose und Hemden geholt. Das wurde alles gestapelt. Zwischendrin Brot, Wurst, alles dazwischen geworfen. Was glauben Sie, wie es da gestunken hat und da sind riesige Maden er zeigt mit den Fingern am Boden rumgekrochen. Das ist das Erste, was man in solchen Wohnungen hat. Im vierten Stock. Läuse, Wanzen, Milben. Da hab’ ich mir auch mal beim Ausräumen welche eingefangen. Wenn Sie die mal haben, das ist kein Spaß. Die sind schwer loszukriegen. Und das trotz Schutzanzug, das bringt gar nichts. Kellerasseln ... Kennen Sie die? Klar kenn' ich die! Das sind die, die unter Steinen sitzen. Die fühlen sich in solchen Wohnungen wohl. Was ist mit den Menschen, die auch in dem Haus wohnen? Die beschweren sich, weil es stinkt, und kriegen dann gesagt, sie sollen sich raushalten. Das wird geklärt. Sagt wer? Die Hausherrin, die Hausverwaltung. Die haben Scheuklappen auf. Hauptsache die bekommen die Miete. In Rambach, da hatten wir einen, das hat acht Jahre gedauert, bis wir vom Gericht die Erlaubnis bekommen haben die Wohnung zu räumen. Der hat immer wieder Einspruch erhoben. Danach haben wir neun Kübel Container Müll da rausgetragen. Einer alleine nur mit Glas. Und genau das ist das Problem. Du darfst

‹130

131›


in Deutschland leben wie du möchtest. Und das ist traurig. Und das sind Menschen, die wirklich Hilfe brauchen. Die Behörden würden da gern was machen, dürfen aber nicht. Da sind manchmal solche Ratten er deutet mit den Händen eine »sehr« groSSe Ratte an in den Wohnungen ... Die Anwälte sind noch die Schlimmsten. Die verdienen ja noch richtig Geld damit. Es gibt eben den Unterschied zwischen Eigen- und Fremdgefährdung. Die Behörden sehen das manchmal eben ein wenig anders. Wenn jemand Mäuse, Maden, Ratten, ... in seiner Wohnung hat, dann gefährdet der nicht nur sich selbst, sondern die Menschen, die auch in dem Haus wohnen. Das ist, eine Gesetzeslücke.


Rä u me r K a r l M a l et z

Wir haben hier um die Ecke im vierten Stock eine Wohnung besichtigt, die hat ein Bekannter leer gemacht. 60er-Jahre-Wohnung, nichts verändert, nur dazu gestellt. Da haben wir Einmachgläser gefunden von nach dem Krieg. Alles voller Spinnweben. Wir haben in Mainz-Kastell eine Wohnung leer gemacht, das war ein Appartement, da haben wir einen Kübel rausgeholt. Und das Schöne war, der war Ehrenrichter in Wiesbaden auf dem Gericht, also Beisitzer. Auf dem Gericht Leute verurteilen und daheim leben wie ein Schwein. Aber ist piekfein rumgelaufen. Man verguckt sich da in den Leuten. Und eine Lehrerin, da haben wir fünf Kübel rausgeholt, die hat uns nicht ins Haus reingelassen. Das Haus war innen total zerstört, weil die Frau einen Gartensplien hatte und alle Pflanzen aus dem Garten ins Haus geholt hat. Das hat danach fünf Wochen gedauert, bis wir das Haus wieder in einen normalen Zustand gebracht haben. man erfährt sowas auch nicht. Woher auch. Sowas steht auch nicht in der Zeitung. Das Tollste war, als der Hund von einem Bekannten gestorben ist. Bis ich den dazu gekriegt habe, den Hund zu beerdigen, da hat’s schon im Treppenhaus nach Leiche gestunken. Und keiner von den Leuten hat was gesagt. Bis ich ihn dann unter Druck gesetzt habe: »Mach dass das Vieh da rauskommt, dass das anständig beerdigt wird!« Er hat dann zu mir gesagt: »Ich muss ihn doch streicheln, der war doch immer so süß zu mir!« Allein bei dem Mann haben wir in den letzten zehn Jahren 100 Kubikmeter weggeschafft. So schnell konnteste gar nicht schau’n, wie der die Wohnung wieder zugemüllt hat. Und jedes Mal Theater. Was glauben Sie, wie das ist, wenn Sie zu Leuten kommen zu denen Sie überhaupt keine geistige Verbindung haben. Denen zu erklären, dass Sie ihnen jetzt die Bude ausräumen. Gott sei Dank sind da viele dabei, die dankbar sind. Die sich geschämt haben und die sich freuen, dass ihnen geholfen wird. Die meisten Menschen schämen sich ja. Und viele wissen tatsächlich nicht, dass es Hilfe gibt. Die Leute kommen oft nicht an die Informationen ran, wo ihnen geholfen werden kann. Bei alten Leuten ist es auch oft so, dass sie gebrechlich sind und es einfach körperlich nicht mehr schaffen die Wohnung sauber zu halten. Und dann leben sie halt in der »Süffe«. Nach dem Interview zeigt mir Herr Maletz noch Bilder von Messiewohnungen. »Das hier ist übrigens auch eine Messiewohnung!« »Wer lebte in der Wohnung?«, frag’ ich ihn. »Da lebt immer noch jemand drin. Das ist meine.« Wir schmunzeln beide. Ich bedanke mich und gehe mit Herzrasen an die frische Luft.

‹132

133›

.



ein ganzes leben landet im Container

Wo h n u n g s r äu m u n g

De r Jo b e i n e s R ä u m e r s

Am 10. August 2007 eralte ich einen Anruf von Herrn Maletz, dem Räumer. Er fragt,ob ich nicht lust hätte, bei einer Wohnungsräumung dabei zu sein. In der Wohnung treffe ich auf fünf Männer, die die Wohnung innerhalb weniger Stunden leer räumen.

!

Als ich die Stufen in den vierten Stock hochsteige, kommen mir zwei junge Männer entgegen. Beide sind mit Müllsäcken bepackt und unterhalten sich lebhaft. Vor der Wohnungstür stehen schon Umzugskisten, gefüllt mit Videokassetten, Briefen, Bildern, Fotos, Lampen und Büchern. Eben alles, was sich im Laufe eines Lebens so ansammelt. Ich trete in die Wohnung und treffe auf Hernn Maletz. Wieder hat er eine Zigarre im Mund und führt mich durch die Wohnung. »Der Mann hat hier alleine auf 130 qm gelebt. Gestorben ist er aber im Krankenhaus.« Er erzählt davon, dass es keine Angehörigen gibt, die die persönlichen Sachen haben wollen. Wertvolle Sachen gibt's fast gar nicht. Nur einen alten wertvollen Schrank. Ob er diesen jedoch verkauft bekommt, weiß er noch nicht. Im Wohnzimmer steht ein altes Klavier und weitere Kisten mit persönlichen Gegenständen eines Lebens. »Das Klavier gehört dem Vermieter. Der Rest landet im Müll. Ist Schrott, bekommt man nicht verkauft.« So ist das wohl mit persönlichen Dingen. Wertvoll sind die Sachen meist nur für den Besitzer oder für Menschen die sich gerne an den Menschen erinnern würden. Aber ohne Bezug, sind es einfach alte wertlose Dinge die nicht zu Geld gemacht werden können. Das ist nun einmal der Beruf eines Räumers. Ich blicke etwas entsetzt, woraufhin er mir einen Flaschenöffner in Krawattenform in die Hand drückt. »Schenke ich Ihnen. Dann können Sie sich an ihn erinnern.« Er meint es ernst. Ich nehme den Flaschenöffner an mich und beschließe selbigem einen Ehrenplatz in meiner Wohnung zu geben.

‹134

135›


»Stück für Stück wandern alle Möbel aus dem Raum ...


Wo h n u n g s r äu m u n g

... Zurückbleiben Staub und Schmutz vieler jahrzehnte.«

‹136

137›


»Man hat fast das Gefühl, in eine fremde welt einzutauchen, die einem eigentlich hätte verborgen bleiben sollen.«


Wo h n u n g s r äu m u n g

Herr Maletz räumt weiter Kisten ein, während ich durch die Wohnung gehe und die Räumer bei der Arbeit beobachte. Der Mann lebte lange Zeit hier. Sich von der Wand lösende Tapetenschichten bringen die Vergangenheit ans Licht. Man hat fast das Gefühl, in eine fremde Welt einzutauchen, die einem eigentlich hätte verborgen bleigen sollen. Wenn man in der Wohnung eins Verstorbenen ist, wird einem klar, dass das ganze Leben eines Menschen öffentlich zur Schau steht, dass sich der Mensch nicht mehr wehren kann. Aber so ist das wohl, das Leben. Im besten Fall kann mich der Verstorbene, von da wo er jetzt ist, nicht sehen. Für den Fall, dass er es doch tut, richte ich eine Entschuldigung gen Himmel. Lieber Herr ... Ich weiß nicht wie er hieß , also gehe ich zur Haustür und schaue nach. Nur um sicher zu gehen, dass er die Nachricht auch erhält. »Lieber Herr Freske, entschuldigung, dass ich in ihrer Wohnung bin und mir alte Fotos und Briefe von ihnen durchlese. Ich verspreche Ihnen, alles mit Respekt zu behandeln und nicht zu wühlen.« Einer der jungen Räumer kommt ins Wohnzimmer und ich schrecke zusammen. Er geht zielstrebig zu

‹138

139›



Wo h n u n g s r äu m u n g

»macht es dir nichts aus, all' die persönlichen Dinge in den Container zu werfen?« »Nein. Ich kannte den Mann ja noch nicht mal.« ›

den Vorhängen und reißt diese von der Decke und stopft sie dann in einen Müllsack. Danach schneidet er den wunderschönen Blumenteppich mit dem Kutter in zwei Teile. Faltet ihn zusammen und tritt in platt. Ich stehe bewegungslos davor und frage ihn: »Macht es dir nichts aus, all' die persönlichen Dinge in den Container zu werfen?« Er blickt mich verständnislos an und schüttelt den Kopf: »Nein. Ich kannte den Mann ja noch nicht mal.« Innerhalb von zwei Stunden leert sich die Wohnung. Stück für Stück wandert alles in den Container der vor dem Haus bereit steht. Wertvollere Gegenstände, werden in Kisten gepackt und im Auto verstaut. Zum Schluss verläßt auch das Kla-

‹140

141›



Wo h n u n g s r äu m u n g

»Alles muss raus. der Vermieter möchte die Wohnung so schnell wie möglich wieder vermieten.«

vier seinen langjährigen Platz und kehrt zum Vermieter zurück. In Bad, Schlafzimmer und Küche wurden schon die Kacheln und Tapeten entfernt. Zwischen all dem Schutt finden sich immer wieder persönliche Gegenstände des Verstorbenen. Herr Maletz kommt zu mir in die Küche und meint mit einem Achselzucken: »Alles muss raus. Der Vermieter möchte die Wohnung so schnell wie möglich wieder vermieten. Er kann sich keine lange Ausfallzeit für die Miete erlauben.« Ich streife noch ein wenig durch die Wohnung und beobachte die Räumer. Irgendwann stehe ich im Wohnzimmer, das keines mehr ist. Nur noch ein Raum. Alles ist rausgeräumt. Was bleibt, ist ein leerer Raum und meine Erinnerung wie es aussah, als der Mann noch hier lebte.

‹142

143›




Frau Dur singt moll

S u i z i d

S e l b s t mo r d a l s Alt e r s e r s c h e i n u n g

Die Suizidrate in Deutschland zählt zu den dritthöchsten in Europa. Vor allem alte MEnschen gehören dazu und es werden immer mehr. Gesprochen wird darüber nicht. Noch nicht einmal bemerkt.

!

Selbstmord ist eine Alterserscheinung. Von den 11 000 bis 13 000 Menschen, die sich jährlich in Deutschland das Leben nehmen, das sind mehr Tote als durch Verkehrsunfälle, illegale Drogen, Gewalttaten und Aids zusammen, sind 40 % über 60 Jahre alt. Je älter Menschen werden, umso auffälliger ist die erschreckende Effizienz ihrer Suizidversuche: Während bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf jeden vollendeten Suizid etwa 30 bis 50 Versuche kommen, ist das Verhältnis bei den über 85-jährigen fast eins zu eins. Die meisten sterben nicht im Heim, sondern zu Hause. Männer erhängen sich, Frauen springen eher aus Fenstern oder werfen sich vor den Zug. Alte Menschen gehen mit großer Entschlossenheit und Methode an die Selbsttötungen.


S u i z i d a l s A l te r se r s c h e i n u n g

Warum das aber so ist, ist noch längst nicht entziffert und beschäftigt die Fachwelt kaum. Während der Selbstmord eines Zehnjährigen Fassungslosigkeit hervorruft, löst der Suizid eines 90-jährigen zwar Schuldgefühle, unterschwellig aber auch Verständnis aus: Da hat eben jemand seinem Schicksal etwas vorgegriffen, hat der Krankheit, der Einsamkeit aus eigenem Antrieb ein Ende gemacht, hat sich nicht »selbst gemordet«, sondern »den Freitod gewählt«. Aber stimmt unser Bild vom Alterssuizid? Deckt es sich mit der Lebenswirklichkeit alter Menschen? Wenn dem so wäre, müsste die Selbstmordrate noch höher sein, als sie ohnehin schon ist. Doch es gibt einen Unterschied zwischen denen, die zwar immer sagen, nicht mehr leben zu wollen und denjenigen, die es gewaltsam beenden. Einfach ausgedrückt: Die hatten Erlebnisse, die sie glaubten, nicht bewältigen zu können. Wie der 81 Jahre alte Mann, der in die Aufnahmestation einer Klinik gebracht worden war, weil er sich mit einem Messer tief in beide Handgelenke geschnitten hatte. »Wissen Sie, Herr Doktor«, sagte er dem Arzt, »ich bin ein alter Soldat. Und da weiß man, wenn einer nicht mehr kann, dann muss er Schluss machen.« Er habe an diesem Morgen festgestellt, dass er die Uhr nicht mehr lesen könne. Seine Augen waren zu schwach geworden. Und wer nicht einmal mehr die Uhrzeit kenne, der habe »abgewirtschaftet«. Dann erzählte er noch, dass er über seine wachsende Hilfsbedürftigkeit mit niemandem geredet habe, schon gar nicht mit seinen Ärzten, er habe eben niemandem »etwas vorjammern« wollen. Oft sind es solche trivialen Situationen, die zum Suizid Anlass geben. Schlimm ist, dass die Betroffenen das selbst nicht erkennen. Alte Menschen gehen nicht zum Therapeuten — der ist für »Verrückte.« Alte Menschen stecken mit ihren Suizidgedanken in einer besonderen Falle. Einerseits sind sie hoch gefährdet, andererseits gehen sie so gut wie nie zum Therapeuten — denn dahin gehören nach den Vorstellungen ihrer Generation, wie gesagt, nur »Verrückte«. Nehmen die Beschwerden überhand, wird allenfalls der Hausarzt konsultiert. Und der versteht oft auch nicht, dass Symptome wie Kopf-, Magen- oder Gliederschmerzen, Schwindelgefühle und Sehstörungen manchmal nicht nur Verschleißerscheinungen sind, sondern seelische Ursachen haben können. Die meisten niedergelassenen Ärzte sind auf den Körper reduzierte Mediziener. Psychische Probleme werden von ihnen eher am Rande wahrgenommen und auch dort gehalten.

‹146

147›


»Endlich ›wahrgenommen‹ werden diese Patienten dann erst in der Selbstmordstatistik.«


S u i z i d a l s A l te r se r s c h e i n u n g

Endlich »wahrgenommen« werden diese Patienten dann erst in der Selbstmordstatistik. In den letzten Jahren dämmerte den Altersmedizinern, dass hier eine Forschungslücke klafft. In der Literatur wird nur von denen berichtet, die in Behandlung gehen. Aber die eigentliche Risikogruppe ist die, die das nicht tut. Mittlerweile gibt es ein Forschungsprojekt, das versuchen diesen Kreislauf zu durchbrechen, indem man herausfindet, wie man alte Menschen, die suizidal bedroht sind, überhaupt erreichen und ansprechen kann. Wie mobilisiert ein Therapeut die individuellen Ressourcen, mit denen die Krise des Alterns zu bewältigen ist? Wo stecken die Stärken und Fähigkeiten des Einzelnen, mit denen sich das Schwinden des Selbstwertgefühls aufhalten ließe? Eine Möglichkeit wäre es den Menschen wieder einen Lebenssinn zu geben. Das schafft man jedoch nur, wenn die Problematik erkannt wird. Nur dann kann es möglich sein, neue Maßnahmen zu ergreifen um den einzigen Ausweg, den Suizid, zu umgehen. Es sollte gar nicht so weit kommen, dass Menschen keinen anderen Weg mehr sehen, als diesen. Doch wie soll dieses Problem überhaupt erkannt werden, wenn die Meisten nicht zum Arzt gehen? Wenn sie nicht darüber sprechen, was sie belastet. Ursachen und Auslöser müssten besser untersucht und erforscht werden um dann im Vorfeld reagieren zu können. Denn viele der suizidal gefährdeten Menschen, lebten früher ein glückliches und erfülltes Leben und fühlten sich erst später einsam und nutzlos. Lösungen und Hilfestellungen würden helfen, sodass Frau Dur erst gar nicht Moll singen würde.

‹148

149›

.


Gestorben, wird immer noch

S te r be - u n d B est a tt u n g sk u l t u r

D e r wan d e l e i n e r l a n g e n K u lt u r

Die BEstattungskultur erfährt in den letzten jahrzehnten einen wandel. weg von der öffentlichen trauerkleidung und rein ins Anonyme feld. die zwangsbestattung wird zum alltag und aufgabe der kommune.

!

Heimlich, still und leise wird er in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1805 verscharrt, so beschreibt Thomas Mann die Beerdigung des Dichters Friedrich Schiller. Schiller wurde gegen ein Uhr nachts begraben, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Träger versenkten den schlichten Sarg im Weimarer Landschaftskassengewölbe. Einen Grabstein bekam er nicht. Auch heute, 200 Jahre später, ist es nicht anders. In Deutschland sterben immer mehr Menschen alleine. Oft finden sich nach dem Tod keine Angehörigen, die die Bestattung übernehmen oder organisieren könnten. Die Zahl der Mittellosen nimmt zu und damit auch die Zahl der Zwangsbestattungen. 2005 waren es in einer mittleren deutschen Großstadt noch 64, 2006 schon 178 Fälle. Von Zwangsbestattung wird nicht gern gesprochen und doch hört man immer öfter davon. Kirchen sprechen von einem Zwei-Klassen-System im Bestattungswesen. »Es darf nicht sein, dass die einen nach dem Tod entsorgt werden, während sich andere ein pompöses Begräbnis leisten.« Zum »Warenkorb« der unveräußerlichen Grundbedürfnisse der Menschen gehöre neben Kleidung und Nahrung auch das Recht auf eine angemessene Beerdigung.


S te r be - u n d B est a tt u n g sk u l t u r

Was ist aber, wenn Angehörige nicht mehr das Geld haben, einen Verstorbenen anständig zu beerdigen? Wenn das Geld zum Leben schon zu knapp ist. Wie würden wir uns entscheiden? Eine Beerdigung ist teuer. Sehr teuer. Problematisch ist auch, dass viele alte Menschen keine Rücklagen haben, auf die zurückgegriffen werden könnte. Wer macht sich schon zu Lebzeiten Gedanken über seine Beerdigung? Umsonst ist nur der Tod. Die Beerdigung kostet schon wieder. Oft sind die Angehörigen auch einfach nicht mehr bereit, Geld für eine Beerdigung auszugeben. So gab es einen Fall, bei dem die Tochter eines Verstorbenen gegen den Kostenbescheid für eine Trauerfeier des Ordnungsamtes klagte. Die Frau argumentierte, dass sie die Feier abgelehnt hätte, wäre sie gefragt worden. Die Richter gaben ihr Recht, weil Trauerfeiern nicht als Regelfall zum Bestattungsgesetz gehören. Der Tod ist sicher. Er ist das Sicherste, was auf uns zukommt, auf uns zukommen muss. Wir wissen das. Aber wir können dieses Wissen um die Sicherheit des Todes tagtäglich aufs neue verdrängen, und wir tun das gerne. Der Tod ist kein Thema für uns. Wir wollen nicht darüber reden, wir wollen uns nicht darüber unterhalten, wir wollen nichts darüber lesen, wir wollen keine Vorkehrungen treffen. Weder von der ideellen noch von der materiellen Seite her. Wir meiden den Friedhof sooft es geht, und wir erschrecken, wenn ein Leichenwagen an uns vorüberfährt. Genauso wie heute vermehrt bestattet wird, wird heute auch gestorben. Der Tod wird todgeschwiegen. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, wo der Tod zum gesellschaftlichen Leben dazugehörte. Kunst, Literatur, Predigten und Briefe belegen, dass die Menschen ein anderes Verhältnis zum Sterben hatten. Früher wurde das ganze Leben auf den Tod hin ausgerichtet. Was natürlich von der Macht der Kirche über den Menschen herrührte. Die Angst vor dem Tod ist mit dem Aussterben der Höllenvorstellungen, der Angst vor dem Sterben gewichen. Die größte Angst war, unverhofft und damit unvorbereitet zu sterben. Heute wünscht sich fast jeder einen friedlichen Tod im Schlaf.

‹150

151›


»Es kam schon vor, dass verschollene Angehörige nach dem Tod eines alten Menschen Klage wegen unterlassener Hilfeleistung eingereicht haben.«

Dass dem Tod heute aber oft ein langes Leiden vorangeht, dessen sind wir uns nicht bewusst. Während der Mensch früher im Kreise seiner Angehörigen starb, stirbt er heute im Kreis medizinischer Geräte, angepasst an den Schichttakt des Krankenhauses oder Pflegeheims. Alleine. Dass die meisten Menschen gerne zu Hause sterben möchten, wird nicht akzeptiert. Das Sterben wird nicht akzeptiert. Der Moment, der irgendwann kommt, wird nicht akzeptiert. Vor allem Menschen, die keine Angehörigen haben, die sie beim Sterben begleiten würden, landen im Krankenhaus. Angeschlossen an Schläuche und Maschinen. Werden mit 90 Jahren notoperiert, statt dem Leben seinen Lauf zu lassen. Jeder noch so kleine Funke Hoffnung auf Lebenserhaltung wird genutzt. Danach liegen diese Menschen meist noch jahrelang an das Pflegebett gefesselt und vegetieren vor sich hin. Ohne Sinn, ohne Menschen die sich um sie kümmern. Es gibt Pflegeheime, wo reanimierte Menschen von 90 Jahren liegen. Warum akzeptieren wir den Tod nicht mehr? Warum finden wir das Maß für die medizinische Versorgung nicht? Ein Arzt erzählt, dass er dieses Problem kennt, er aber alle medizinischen Möglichkeiten nutzen muss. Es kam schon vor, dass verschollene Angehörige nach dem Tod eines alten Menschen Klage wegen unterlasse-


S te r be - u n d B est a tt u n g sk u l t u r

»Gestorben wird immer noch — aber hinter verschlossenen Türen.«

ner Hilfeleistung eingereicht haben. »Die waren nie da. Haben sich nicht gekümmert und dann kommen sie an und reichen Klage ein.« Viele Menschen wollen gar nicht mehr leben. Sie wollen in Ruhe im Kreis ihrer Angehörigen sterben. Die sind mit dem Sterben aber so überfordert, dass sie die Entscheidung lieber in die Hände der Ärzte legen. Dass die meisten Menschen im Krankenhaus sterben liegt aber auch daran, dass niemand mehr da ist, der Zeit hätte, einen Menschen beim Sterben zu begleiten. Singlehaushalte nehmen die Hälfte der Bevölkerung ein. Einer alleine ist nicht fähig für einen alten Menschen zu sorgen. Früher waren alte Menschen in den normalen Alltag der Großfamilie eingebunden. Bis zum Tod. Da starb keiner alleine. Und schon gar nicht im Heim. Die Familie versammelte sich um das Bett des Sterbenden. Irgendwann wurde der Pfarrer gerufen, der die letzte Ölung vornahm. Die Vorbereitung auf den bevorstehenden Tod. Nach dem Tod hielt die Familie Totenwache und verabschiedete sich von dem verstorbenen Familienmitglied. Dann wurde der Verstorbene gewaschen und erhielt sein Sterbehemd. Erst dann wurde der Bestatter gerufen, der ihn dann in die Leichenhalle fuhr. Dort hatten Angehörige und Freunde die Möglichkeit, sich bis zu drei Tage nach dem Tod zu verabschieden. Heute kann sich fast niemand mehr vorstellen, einen Toten in der Leichenhalle zu besuchen. »Das kann ich nicht. Das ist ja furchtbar. Man kann sich doch keine Leiche anschauen.« Viele Menschen haben mit 30 noch keinen Toten gesehen. Ist es da nicht um so natürlicher, dass eben diese Menschen Angst vor dem Tod haben? Sich deshalb keine Gedanken darüber machen? Warum wird dieses Thema in unserer Gesellschaft tabuisiert? Genauso wie Zwangsbestattungen und anonyme Bestattungen. Wer weiß schon, was ein »Anonymes Feld« ist? Ein Pfarrer erzählte: »Oft ist außer mir und dem Bestatter niemand da, der dem Verstorbenen die letzte Ehre erweist. Dann stecken wir die Urne in das Loch und sprechen noch ein Gebet. Dann wird das Loch zugemacht.« Trotz erfolgreicher Verdrändung. Gestorben wird immer noch — aber hinter verschlossenen Türen.

‹152

153›

.


Zusammen ware ä man weniger alleine

V e r e i n s a m u n g u n d A no n y m i s i e r u n g

e i n e G e s e ll s c h a f t v e r e i n s a m t

menschen sterben fröhlich In ihren Wohnungen vor sich hin. Fünf nachbarn um sich herum. Als Zeichen, Einen überquellenden Briefkasten und Leichengeruch im ganzen haus.

!

»Ich finde das unmenschlich in den großen Mietshäusern, diese Anonymität. Man trifft sich dauernd, aber kennt sich nicht, man redet nicht miteinander. Man grüßt sich nicht mal, wenn man sich begegnet.« »Sie haben Recht. Ich kenne nicht einmal den Nachbarn von nebenan.« Dieser Dialog findet in Anna Gavaldas Bestsellerroman »Zusammen ist man weniger alleine« statt. Er drückt das aus, was heute in den Städten und sogar schon auf dem Land zur Normalität geworden ist. Wir leben nebeneinander her. Wir kennen uns nicht. Wir leben Wand an Wand und wissen doch nichts übereinander. Manchmal noch nicht einmal den Namen. Und schon gar nicht, wie es demjenigen geht. »Vereinsamung und Anonymisierung« sind Worte, die wir alle kennen. Es stellt sich die Frage, warum sich die Gesellschaft in diese Richtung verändert hat. Wo sind die Hausgemeinschaften hin? Sind sie mit der letzten Generation gestorben? Hier darf man kein pauschales Urteil fällen. Es gibt sie noch vereinzelt, keine Frage. Aber die Masse lebt alleine, ohne den Kontakt zu Nachbarn. Also


V e r e i n s a m u n g u n d A no n y m i s i e r u n g

zurück zu der Frage des Warums? Die Gesellschaft befindet sich seit jeher im steten Wandel. Früher waren Menschen viel stärker in die Gesellschaft eingebunden. Das lag daran, dass ein größerer Bezug zur Kirche vorlag. Die Kirche war wichtiger Bestandteil des Lebens. Dadurch waren die Menschen in ständigem sozialen Kontakt und in das soziale Leben eingebunden. Auch die Veränderung der Familienstruktur trägt ihren Teil dazu bei. Die Kinder verlassen das Haus und gehen ins Ausland oder in eine andere Stadt um dort zu arbeiten. Dazu werden wir in der Wahl unseres Partners immer wählerischer und leben deshalb oft in Singlehaushalten. Der Trend geht also immer mehr in die Richtung, alleine zu leben. Müssten wir nicht gerade dann eher den Kontakt zu Nachbarn suchen? Wenn man Menschen fragt, was sie über ihren Nachbarn wissen, schütteln sie meist den Kopf und zucken mit den Schultern. Wir glauben, nicht auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Wir schaffen alles alleine, wollen nicht um Hilfe bitten. Wir wollen unsere Ruhe haben und uns nicht zusätzlich mit den Problemen anderer Menschen befassen. Jeder von uns hat schließlich genug mit seinem eigenen Leben zu tun. Es stellt sich eh die Frage, wann wir für andere da sein sollten, schaffen wir es doch fast nicht, Beruf und Freizeit unter einen Hut zu bekommen. Dann auch noch einen depressiven Nachbarn auf dem Sofa sitzen zu haben, das kann keiner verlangen. Oder jeden Tag bei einem alten Menschen vorbeizuschaun und für ihn da zu sein. Und was bekommen wir zurück, von dem was wir geben? Wir sind zu einer leistungsorientierten Gesellschaft herangewachsen, die sich entscheiden muss. Entscheiden muss, zwischen Karriere und Freizeit. Die in den Medien ständig das perfekte Leben präsentiert bekommt. Die immer das Gefühl vermittelt bekommt, dass nur das Beste gut genug ist. Darum kämpfen wir. Um Wohlstand und Unabhängigkeit. In dieses Konzept passt keine Oma, die man jeden Tag besuchen muss. Da passt kein schlecht gelaunter Nachbar. Da passt nur das eigene Ego. Vielleicht sind die Worte hart und etwas überzogen, aber dennoch gibt es immer mehr Menschen, die in ihrem Leben vereinsamen und immer weniger Kontakt zu anderen Menschen haben. Wie schreibt Christina Kessler in ihrem Buch »amo ergo sum«? »Die Bäuche sind voll, aber die Seelen sind leer.« Es ist bewiesen, dass Menschen mit glücklichen Sozialbeziehungen gesünder sind und länger leben. Menschen, die in einer intakten und sinnerfüllten Gemeinschaft leben, die einen Lebensgrund gefunden haben in ihrer Familie oder einer religiösen Gemeinschaft, überwinden Schicksalsschläge besser. Wir müssen verstehen lernen, dass wir ohne die Hilfe und Liebe anderer zu einsamen Menschen werden. Dass es an uns liegt, soziale Kontakte zu knüpfen, und zu erspüren, wenn es jemandem schlecht geht. Wir müssen mutig werden und uns trauen, Menschen anzusprechen, wenn wir das Gefühl haben, dass sie Hilfe brauchen. Mutige Momente und Handlungen sind »Stationen« der Selbstfindung. Und wer denkt sich nicht, dass man zusammen weniger alleine wäre.

‹154

155›

.


Wer lebendig stirbT ist langer tot Ä

s o z i a l e r T o d

D e r s o z i a l e t od i n d e r g e s e ll s c h a f t

Wer ohne soziale Kontakte lebt, stirbt einen seelischen tod. wer keine liebe und aufmerksamkeit von anderen menschen erfährt, stirbt einen sozialen tod und geht am Ende daran zuGrunde.

!

Menschliches Leben, vor allem sein Beginn und sein Ende, kann biologisch, sozialwissenschaftlich, theologisch oder juristisch definiert werden. Die Vorstellungen von Leben und Tod sind also kulturelle und soziale Konstruktionen. Man kann hierbei drei Dimensionen von Leben und Sterben unterscheiden: körperliches oder physisches Leben und Sterben, Leben und Sterben der Seele oder des Bewusstseins und soziales Leben und Sterben. Besonders interessant ist das soziale Sterben, das in der heutigen, modernen Gesellschaft, immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Früher starben noch viele Kinder an Krankheiten, heute sind es, durch unsere gute medizinische Versorgung, hauptsächlich alte Menschen. Durch den Anstieg der durchschnittlichen Lebensdauer, verlängert sich auch die unproduktive Zeit am Ende des Lebes. Diese Phase ist in der Geschichte der Menschheit einmalig und wird als soziales Sterben bezeichnet. Früher wurden Menschen meist nicht älter als 40. Lag die durchschnittliche Lebenserwartung vor ein paar Jahren bei Männern noch bei 72,2 und Frauen bei 76,8 Jahren, so liegt sie heute bei 76,6 und 82,1 Jahren. Der Tod des Körpers vollzieht sich heute für die meisten Menschen allmählich und nicht wie früher durch einen schnellen Tod. Die Menschen sterben über viele Jahre hinweg. Im Gegensatz zu früher, erlebt man heute den langsamen köperlichen, seelischen und sozialen Verfall.


s o z i a l e r T o d

Heute, in der modernen Gesellschaft tritt das soziale Sterben in vielen verschiedenen Arten auf. Man spricht hierbei aber von Pensionierung, Dauerarbeitslosigkeit, Vereinsamung, ... Um aber das soziale Sterben verstehen zu können, muss man den gesamten Lebenslauf im historischen Wandel betrachten. In der traditionellen Gesellschaft gab es eine kurze Phase des sozialen Aufstiegs in der Kindheit. Die Menschen erlernten meist früh einen Beruf, arbeiteten ein paar Jahre darin und starben dann oft an unheilbaren Krankheiten. Heute erleben wir dagegen eine lange Phase des sozialen Aufstiegs, der meist 20 bis 30 Jahre lang andauert. Dann endet die Zeit der Ausbildung und der Eintritt in das Berufsleben folgt. Dieser ist geprägt von der Hoffnung auf Aufstiegschancen und der Bemühung Karriere zu machen. Auf diese Phasen folgt dann eine lange Zeit des sozialen Abstiegs. Obwohl wir heute länger leben, ist der Anteil des sozialen Vollstatus an der Gesamtlebenszeit gesunken. Dies zeigt, dass das Problem erst in der modernen Gesellschaft entstanden ist. Das soziale Sterben kann junge Menschen treffen, aber vor allem alte Menschen. Das entscheidende Ereignis im Alter ist die endgültige Aufgabe der Berufstätigkeit, in der Regel ist das die Pensionierung. Dieser Anteil hat in den letzten 50 Jahren stark zugenommen und wird auch in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen. Klaus Feldmann, ein angesehener Soziologe, der sich seit Jahren mit diesem Thema auseinandersetzt, beschreibt dieses Problem aus Sicht des Soziologen. Er schreibt auch, dass die Thanatosoziologie, welche sich mit dem Tod und Sterben einer Gesellschaft auseinandersetzt, ein Stiefkind der Soziologie darstellt. Dieses Problem ist zwar ein Teil unserer Gesellschaft, wird aber noch nicht mit der nötigen Wichtigkeit untersucht und beachtet. Man stelle sich aber vor, dass sich dieses Problem in den nächsten Jahrzehnten verschlimmern wird und dass wir irgendwann, vielleicht, selbst davon betroffen sein können. Wir leben heute um ein Drittel länger als noch vor 100 Jahren. Was macht ein Mensch, der keinen Beruf, keine Familie, keine Freunde mehr hat, mit all dieser Zeit. Diese Zeit muss erst einmal gelebt werden. Wenn man jung ist, kann man sich nicht vorstellen wie es ist, so viel Zeit zu haben. Man stellt sich diese Zeit wunderbar vor, denn man kann ja machen was man will. Nicht zu vergessen ist aber, dass mit dem Alter oft auch körperliche Beschwerden, eine begrenzte Mobilität und der Verlust sozialer Kontakte, zum Teil des Lebens werden. Ein duchschnittli-

‹156

157›


»Nicht jeder hat das Bedürfnis eine Spur zu hinterlassen.«

cher 80-jähriger ist meist verwitwet und Freunde aus alten Zeiten sind verstorben. Wenn er dann keine Kinder hat oder diese in einer anderen Stadt leben, rutscht man schnell ins soziale Abseits. Leider ist es so, dass viele Menschen in den letzten Jahren ihres Lebens in ihrer Wohnung sitzen und regelrecht darauf warten zu sterben. Die Stufen zur Wohnung werden zum unüberwindbaren Hindernis. Finanzielle Probleme, wie eine geringe Altersrente hindern an Freizeitaktivitäten. Irgendwann wird der soziale Dienst, der jeden Tag für zehn Minuten in die Wohnung kommt, zum einzigen Kontakt nach außen. Leider ist es aber so, dass eine Pflegeperson, die unter starkem zeitlichen Druck steht, keinen Partner, Freund oder Familienangehörigen ersetzen kann. Alte Menschen sind nicht mehr nützlich für die Gesellschaft. Sie produzieren und leisten nichts. Sie werden unbrauchbar. Die Veränderung der Familienstruktur trägt natürlich ihren Teil dazu bei. Wo die Oma früher noch auf die Kinder aufgepasst hat, ist heute ein Hort und die Oma sitzt in ihrer Wohnung, alleine, und schaut den ganzen Tag fern. Eine alte Dame sagte einmal: »Ich gehe durch die Stadt und habe das Gefühl für die Umwelt unsichtbar geworden zu sein.« Um nicht pauschal zu urteilen. Es gibt immer noch alte Menschen, die sozial integriert sind und am Leben, trotz hohen Alters, teilnehmen. Aber was ist mit den Menschen, die alleine sind?


s o z i a l e r T o d

Die niemanden haben, der sie mal in den Arm nimmt und ihnen sagt: »Ich hab‘ dich gerne.« Wie fühlt es sich wohl an, alt zu sein und das Gefühl zu haben, nicht mehr gebraucht zu werden? Wie fühlt es sich an, sozial tot zu sein? Wir kennen alle das Gefühl, bei einer Grippe ans Bett gefesselt zu sein und eine Woche nicht aus dem Haus zu kommen. Wie muss es erst sein, wenn sich dieser Zustand über Jahre hinzieht? Schlimm ist aber auch, dass das soziale Sterben nicht nur alte Menschen trifft, sondern auch immer mehr junge. Fehlende Ausbildungsplätze, keine Aussicht auf eine erfolgreiche Zukunft, Arbeitslosigkeit, Scheidung, um nur ein paar Faktoren zu nennen. Das sind alles Gründe, die dazu führen können, dass sich Menschen nutzlos für die Gesellschaft fühlen und es auch irgendwann suggeriert bekommen. Die Soziolgie spricht aber nicht nur vom sozialen Sterben zu Lebzeiten. Sie spricht auch vom sozialen Tod, wenn niemand da ist, der sich an den Verstorbenen erinnert. Stirbt jemand, verlässt er mit Körper, Geist und Seele diese Erde. War ein Mensch zu Lebzeiten sozial integriert, zum Beispiel durch seine Familie, wird sich diese über den Tod hinaus an ihn erinnern. Darüber hinaus wird dieser Mensch immer wieder in das bestehende soziale Leben eingebunden. Über den Tod hinaus. Das Erzählen von Geschichten, das Zeigen von Fotos oder das Aufbewahren von persönlichen Gegenständen bindet diesen Menschen in das soziale Leben ein. Berühmte Künstler, wie Maler, Dichter, Komponisten sind bis heute täglich in das soziale Leben integriert, werden also immer wieder zu sozialem Leben erweckt. Nun stellt sich die Frage, inwiefern ein Mensch das Bedürfnis hat, in Erinnerung behalten zu werden? Nicht jeder hat das Bedürfnis eine Spur zu hinterlassen. Aber es gibt dennoch Menschen, die dieses Bedürfnis haben, die aber wissen, dass es niemanden gibt, der ihre Geschichte erzählen wird. Niemand der die, für ihn wichtigen, persönlichen Dinge zu sich nimmt. Soziales Sterben ist, und das wird leider unterschätzt, genauso schlimm, wie an Krebs zu leiden. Doch ist es kein Zustand, der mit Hilfe von Tabletten »behoben« werden kann. Behoben werden kann dieser Zustand nur durch andere Menschen, die sich um den Menschen bemühen und ihm Liebe zukommen lassen. Und natürlich dem Bedürfnis des Menschen, diesen Zustand zu verändern. Diese Kombination würde es schaffen, das soziale Sterben einzuschränken und Menschen wieder einen Lebenssinn zu geben. Denn wer lebendig stirbt, ist länger tot.

‹158

159›

.


Eine Leidenschaft, die Leiden schafft

M ess i e - s y n d r o m

EINE KRANKHAFTE SA M M E L L EI D ENSCHAFT

Viele Menschen leben mit dieser Krankheit. Durchschnittlich lebt in jeder Strasse ein Mensch mit messie-syndrom. Aus scham leben sie meist zurückgezogen, ohne soziale kontakte und sind nicht fähig sich hilfe zu holen.

!

Der Begriff Messie-Syndrom engl. mess = Unordnung, Dreck, Schwierigkeiten hat sich eingebürgert, um unterschiedlich schwerwiegende Defizite in der Fähigkeit zu bezeichnen, die eigene Wohnung ordentlich zu halten und seine Alltagsaufgaben zu organisieren. Diese als »Desorganisationsproblematik« bezeichneten Defizite beruhen auf einer Störung psychischer Funktionen. Hinsichtlich des Schweregrads gibt es eine weite Bandbreite von Selbstregulationsschwächen, Chaos und Unordentlichkeit mit irrationaler Sammelneigung am einen Ende des Spektrums, bis hin zu schweren Formen eines Vermüllungssyndroms am anderen Ende. Der Begriff ist eine Wortschöpfung der selbst betroffenen US-amerikanischen Sonderschulpädagogin Sandra Felton. Um sich aus ihrer Situation zu befreien, entwickelte sie ein Bewältigungskonzept und publizierte Ratgeberliteratur. Auf diese Weise erfuhr die breite Öffentlichkeit von der Problematik.


M ess i e - s y n d r o m

In den 80er-Jahren gründete Felton die Selbsthilfegruppe Messies Anonymous. Die Ratgeberliteratur und Presseberichte machten den Begriff auch im deutschsprachigen Raum bekannt. Betroffene, die auch als »Messies« bezeichnet werden oder sich selbst so nennen, leiden an einem Defizit, ihre Handlungen geplant und zielgerichtet an der Bewältigung ihrer alltäglichen Aufgaben auszurichten. Dies kann sich äußern in: Unordentlichkeit bis zu Geruchsbelästigung und hygienischen Problemen, zwanghaftem Sammeln wertloser oder verbrauchter Dinge, chronischen Problemen mit Zeiteinteilung und Pünktlichkeit, »Lähmung« der Handlungsfähigkeit auch in wichtigen Situationen, Versäumen beziehungsweise Nicht-Erledigen normaler sozialer Verpflichtungen. Es kann beispielsweise vorkommen, dass die gesamte Post — ob Werbung, wichtige Briefe oder Mahnungen — ungeöffnet in einer Schublade landen, eingeschränktem sozialen Umgang, den unter anderem eine oft extrem unordentliche Wohnung mit hervor ruft, Hilflosigkeit unter dem Druck des Chaos. Messies neigen zum Sammeln bzw. Horten von Sachen, die ihre Mitmenschen oft als wertlos ansehen und wegwerfen würden. Die Betroffenen sind meistens unfähig, den realen Wert dieser Gegenstände einzuschätzen, zwischen wichtig und unwichtig, brauchbar und unbrauchbar zu unterscheiden. Oft sehen sie die Irrationalität ihres Hortens zwar ein, sind aber nicht in der Lage, der Einsicht entsprechend zu handeln. Im Extremfall führt die Unordnung dazu, dass größere Bereiche der Wohnung nicht mehr betretbar sind. Manchmal verbleiben nur noch enge »Fußwege« zwischen großen Haufen, Kisten und Säcken. Schließlich kann es zur Unbewohnbarkeit der Wohnung kommen. Darüber hinaus haben Messies häufig Schwierigkeiten, Prioritäten zu setzen, Notwendiges zu erledigen und ihre Handlungen gemäß eigener Zielsetzungen effektiv zu steuern. Insbesondere die Umsetzung geplanter Handlungen, die nicht aktuell befriedigend sind, fällt ihnen schwer, ebenso eine aufgabengerechte Zeiteinteilung. Ähnlich wie bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS sind also die sogenannten exekutiven Funktionen gestört. Messies schämen sich ihrer Unordnung in der Regel und leiden darunter. Auch infolge sozialer Isolation halten es viele Betroffene nicht für möglich, dass andere unter denselben Schwierigkeiten leiden. Dies erschwert ihnen häufig, ihr Problem zu erkennen und Hilfe zu suchen. Nach

‹160

161›


außen sind Messies meistens unauffällig. Sie erscheinen oft als offene, optimistische, vielseitige und kreative Menschen. Manchmal haben sie — scheinbar paradox eine Tendenz zum Perfektionismus. Die Ursachen können im »Verlassen-Werden« von als angenehm empfundenen Dingen liegen. Jemand, der sich etwas zulegt, einkauft oder von jemandem beschenkt wird, verbindet mit dem erworbenen Besitz eine nicht zu unterschätzende angenehme Erinnerung. Für den Messie, der nie oder selten in seinem Leben Zuneigung oder Bestätigung bekam, ist diese Erinnerung des angenehmen gekauften Besitzes das einzige, woran er sich klammern kann. Eine Erinnerung, die er nicht wieder verlieren will. So hortet der Messie sie. Er sammelt alles, was die angenehme Erinnerung auslöste. Auf keinen Fall will er eine dieser Erinnerungen mit dem Hausmüll entsorgen, aus Angst, das einzig Angenehme in seinem Leben würde ihn verlassen. Das ist eine von möglichen Ursachen. In der psychotherapeutischen Fachwelt wird der Begriff »Messie-Syndrom« kaum verwendet. Psychotherapeuten orientieren sich bei der Diagnose psychischer Störungen in aller Regel an den gängigen Klassifikationssystemen ICD-10 oder DSM IV, die den Begriff Messie-Syndrom nicht enthalten. Dem Syndrom können unterschiedliche psychische Störungen zu Grunde liegen. Es kann sich um eine Störung der Selbstregulation beziehungsweise der exekutiven Funktionen im Rahmen einer


M ess i e - s y n d r o m

»Nach aussen sind Messies meistens unauffällig. Sie erscheinen oft als offene, optimistische, vielseitige und kreative Menschen.«

Zwangskrankheit, einer Depression, von Persönlichkeitsstörungen oder anderer psychischer Erkrankungen handeln. Manche Fachleute gehen davon aus, dass das Messie-Syndrom, in Fällen, in denen keine Psychose, schwere Depression oder Senilität vorliegt, eine ähnliche Grundlage hat wie ADHS beziehungsweise eine Variante dieser Störung ist. Die Abklärung einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung sollte daher Bestandteil einer fachärztlichen oder psychologischen Diagnosestellung bei einem Messie-Syndrom sein. Im englischen Sprachraum ist der Begriff Messie-Syndrom wenig gebräuchlich. Die Störung heisst dort Compulsive Hoarding zwanghaftes Sammeln bZW. Horten , wenn diese Symptomatik im Vordergrund steht, und wird dem Spektrum der Zwangserkrankungen zugeordnet.

‹162

163›

.



Nachwort !

Ein Recht auf Glück ... »Das gesellschaftliche Bild muss sich wandeln. Wir haben nur eine Zukunft, wenn hinter dem materiellen Ordnungsrahmen unserer Marktwirtschaft der Mensch als soziales Wesen auftaucht, das Wärme, sprich Anerkennung braucht. Das nicht Konsum als Surrogat für privates Glück rauschhaft inhaliert. Das nicht nur schafft und Geld verdient, sondern auch mitfühlt und mitleidet am Glück und Unglück anderer Menschen.« Dieser Auszug aus dem BrandEins Artikel, »Ein Recht auf Glück«, trifft den Nerv unserer Zeit. Letztlich werden wir unser Glück nur im Teilen von Glück und Leid, mit anderen finden. Erst wenn wir wieder anfangen auf unsere Mitmenschen zu achten, werden wir wieder erfüllt sein. Und erst dann wird es Menschen geben, die sich an uns erinnern werden, nachdem wir nicht mehr auf dieser Erde sind.

‹164

165›

.


literatur Gewalt gegen alte Menschen in Pflegeeinrichtungen Monika Meyer / Verlag Bern Huber, 1998 In meinen Armen sterben? Vom Umgang der Polizei mit Trauer und Tod Dierk Schäfer, Werner Knubben / Verlag Deutsche Polizeiliteratur, 1996 Alt und abgeschoben Der Pflegenotstand und die Würde des Menschen Claus Fussek, Sven Loerzer / Herder Spektrum, 2005

Interviews mit Sterbenden

Amo ergo sum Ich liebe, also bin ich Christina Kessler / Heyne Verlag, 2005

Keiner stirbt für sich allein Sterbehilfe, Pflegenotstand und das Recht auf Selbstbestimmung Oliver Tolmein / Bertelsmann Verlag, 2007

Das Vermüllungssyndrom Theorie und Praxis Peter Dettmering, Renate Pastenaci / Verlag Dietmar Klotz, 2004

Nochmal leben vor dem Tod Wenn Menschen sterben Beate Lakotta, Walter Schels / DVA, 2004

Das Haus Symbol für Leben und Tod, Freiheit und Abhängikeit Mathias Hirsch / Imago, Psychosozial-Verlag, 2006

Psychologie des Todes Joachim Wittkowski / Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990

Der gesuchte Tod Warum Menschen sich töten Kurt Schobert / Fischer-TB.-Verlag, 1989 Der Mensch und sein Tod Certa moriendi condicio Gion Condrau / Kreuzverlag, 1991

Der verdrängte Tod Über die Unkultur im Umgang mit unseren Toten Regina Faerber / Ariston, 1981 Desorganisationsprobleme Das Messie-Phänomen Gisela Steins / Pabst Science Publishers, 2003 Die Beerdigungsansprache Argumente gegen den Tod im Kontext der modernen Gesellschaft Ursula Roth / Gütersloher Verlagshaus, 2002

DIE GENERATION PLUS LEBT IHRE ZUKUNFT Der Aufbruch der Alten — Interviews, Porträts und Reportagen Christa Geissler, Monika Held / Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2007 Erfülltes Leben — würdiges Sterben Elisabeth Kübler-Ross / Weltbild, 2007 Es wird gestorben, wo immer auch gelebt wird Porträts über den Abschied vom Leben Katrin Rohnstock / Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2007 Geborgen im Leben Wege zu einem erfüllten Dasein Elisabeth Kübler-Ross / Knauer, 2003 Geschichte des Todes Philippe Aries / dtv, 1991

Die Angst vor dem Tod Elisabeth Kübler-Ross / Kreuz-Verlag, 1990

Steckbriefe von Armut Haushalte in prekären Lebenslagen Uta Meier, Heide Preuße, Eva Maria Sunnus / Westdeutscher Verlag, 2003

Sterbehilfe, Tabuthema im Wandel? Lothar Knopp, Wolfgang Schluchter / Springer, 2004 Sterben und Tod in Europa Wahrnehmungen, Deutungsmuster, Wandlungen Ulrich Becker, Klaus Feldmann / Neukirchener Verlag, 1998

Suizidalität im Alter in Deutschland Gefahren und Präventionsmöglichkeiten Manuel Greune / Vdm Verlag Dr. Müller, 2007 Suizid im Alter Dimensionen eines ignorierten Problems Christel Christe / Kleine-Verlag, 1989 Suizid und Todessehnsucht Erklärungsmodelle, Prävention und Begleitung Ebo Aebischer-Crettol / Books on Demand GmbH, 2002 Tod und Gesellschaft Sozialwissenschaftliche Thanatolgie im Überblick Klaus Feldmann / VS Verlag, 2004

Über den Tod Poetisches und Philosophisches Daniel Keel, Isabelle Vonlanthen / Diogenes, 2003 Von der Freiheit, das Leben zu lassen Kulturgeschichte des Suizids Gerd Mischler / Europa Verlag, 2000

Würdig leben bis zum letzten Augenblick Idee und Praxis der Hospiz-Bewegung Gustava Everding, Angelika Westrich / Beck'sche Reihe, 2000


Der Dank geht an Mein besonders herzlicher Dank geht an Orthrun Schreyer, Beate Thüring und Herr Gross, ohne die dieses Buch nicht hätte entstehen können. Vielen Dank für alle Informationen und Gespräche. Ebenfalls möchte ich mich ganz besonders bei Stefan Fink, Karl Maletz, Torsten Müller, Oliver Schächer und Stefan Müller für die spannenden Gespräche bedanken. Julia Kneuse und Christina Poth für die fantastische Zeit. Meinen Eltern für das Schokoladen-Kaffee-Apfelmus-Überlebenspaket. Meinen Schwestern Ute und Silke und meinem Bruder Bernd. Meinen Nichten Madlen, Marie, Carmen, Sarah, Malea und Celia. Vielen Dank für's Korrektur lesen an Petra Uebel, Silke Haußmann und Erik Schumacher. Danke an Manfred Stein vom Roten Kreuz Wiesbaden, Team des Notfalleinsatzfahrzeuges (NEF), Polizeipräsidium Westhessen K11, Buch Habel, Julia und Uli, Georg und Hristo, Bettina, Sanaz und Tobi, Stanislaw Chomicki, Prof. Böhler, Hardy Tomm von Push!, Herrn Sorajewski. Ein weiterer besonderer Dank für die tolle Betreuung an Prof. Christine Wagner und Prof. Guido Ludes.

‹166

167›


Impressum Erste Auflage © 2007 Miriam Bloching

Alle Rechte vorbehalten Dieses Buch oder Teile des Buches dürfen nicht ohne schriftliche Genehmigung des Autors vervielfältigt, in Datenbanken gespeichert oder in irgendeiner Form übertragen werden. Die Klärung der Rechte wurde vom Autor nach bestem Wissen vorgenommen. Soweit dennoch Rechtsansprüche bestehen, bitten wir die Rechteinhaber, sich an den Autor zu wenden. Konzept, Gestaltung, Text, Fotografie: Miriam Bloching Schriften: Blender, Dante MT Std Druck: PUSH! Medienservice, Wiesbaden Papier: TAURO Offset, 130 g/m² Bindung: Gebrüder Sorajewski, Wiesbaden »Vergiss mein nicht« ist das Ergebnis einer Diplomarbeit im Fachbereich Design Informatik Medien an der Fachhochschule Wiesbaden / University of Applied Sciences Referent: Prof. Christine Wagner Korreferent: Prof. Guido Ludes



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.