Eu kommissare

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Die Erfolgsgeschichte der Slowakei und ihrer beiden Eurokommissare Text: Miriam Zsilleová, Fotos: Sita

Er war der Hauptverhandlungsführer des Landes, das unter der Regierung Vladimír Mečiars zum blinden Fleck Europas wurde. Wegen dessen undemokratischer Praktiken wurde es bei der Aufnahme zu Nato und OECD übergangen, und auch die Vorbereitungen auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union verzögerten sich. Dennoch wurden dann nach Aufnahme der Gespräche alle wichtigen Kapitel rasch abgeschlossen, und daran hat Ján Figeľ seinen Anteil. Bei der Suche nach einem Kandidaten für den ersten slowakischen Eurokommissar war er die erste Wahl.

Obwohl er ein anerkannter Kenner der europäischen Legislative war, teilte man ihm ein Gebiet zu, das ausschließlich in der Kompetenz der einzelnen Staaten lag. Er wurde nach dem Beitritt 2004 in der ersten Europäischen Kommission von José Manuel Barroso Eurokommissar für Allgemeine Bildung, Berufsbildung, Kultur und Vielsprachigkeit. „Ich habe dies als Herausforderung verstanden. Im Bereich Wirtschaft waren wir wohl eher auf Hilfe aus den Eurofonds angewiesen, aber als neue Staaten konnten wir die Identität, die Werte und Kultur des gemeinsamen Europa stärken. Dieses Ressort ist zwar vorwiegend eine nationale Angelegenheit, hat aber immer größeren Einfluss auf die Wettbewerbsund Innovationsfähigkeit der Union. Das Programm für Bildung bekam unter allen Politiken der Union das viertgrößte Budget, das gab es niemals zuvor“, sagt Figeľ.

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Als Neuling habe er sich nicht gefühlt. In den drei Jahren der von ihm geführten Verhandlungen habe er gelernt, wie Brüssel funktioniert, und mit ihm gemeinsam nahmen auch die Hauptverhandlungsführer aus Tschechien, Slowenien und Polen in der Europäischen Kommission ihren Platz als Eurokommissare ein. „Ich habe am Schreibtisch nur die Seiten gewechselt. Ich kannte Brüssel, und in Brüssel kannte man mich“, sagt Figeľ. Fast fünf Jahre lang füllte er diesen Posten aus. In seiner Ära entstanden das Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT, seit 2009 in Budapest), und das internationale Programm für Studierende an Hochschulen Erasmus mundus, auf das er besonders stolz ist. „Das ist ein exzellentes Mobilitätsprogramm für Hochschüler. Es hat Raum geschaffen für Mobilität, Anerkennung der Qualifikationen und eine bessere Zusam-

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menarbeit zwischen Universitäten und Unternehmen“, meint Figeľ. Im September 2009 schied er aus der Kommission aus und kehrte als Chef der KDH (Christlich-demokratische Bewegung) in die heimische Politik zurück. Als erster Eurokommissar hat er sich bewährt. „Manche meinen, der Bereich, für den die Slowakei in der Europäischen Kommission federführend war, sei nicht stark genug gewesen, aber es hat sich um ein recht umfangreiches Portfolio gehandelt. Auf Ján Figeľ geht zum Beispiel die Initiative zurück, Hilfe für die durch Windbruch geschädigten Gebiete in der Hohen Tatra anzufordern, er hat auch einen aktiven Anteil an der Schaffung des EIT, in dem Bildung, Forschung und Innovationen vereint sind“, sagt Branislav Slyško, der damalige Sekretär für Presse und Politik der Delegation und der Vertretung der EK in der SR.


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Im Oktober 2009 wurde Figeľ durch Maroš Šefčovič, den zweiten slowakischen Eurokommissar, abgelöst. Dieser wurde in der zweiten BarrosoKommission Vizepräsident. Er verglich dies mit der Situation, einen Platz in der Business-Klasse zu bekommen, obwohl man nur Economy bezahlt hat und froh sein muss, einen Fensterplatz zu erwischen.

„Ich wurde dreimal zu Barroso gerufen. Er wollte den Posten mit einer Person aus den neuen Mitgliedsländern und aus dem Lager der Sozialdemokraten besetzen, da er selbst der Volkspartei angehört, und es sollte ein Insider sein, der sich auskennt. Es war ein schönes Gefühl, am Verhandlungstisch einen protokollarischen Platz näher zum Präsidenten einnehmen zu können“, erinnert sich Šefčovič. Obwohl immer wieder betont wird, dass ein Eurokommissar nicht sein Land, sondern die Europäische Union vertrete, spielt das Herkunftsland doch eine Rolle. „Jedes Land schafft sich sein Image. In unserem Fall war das enorme Tempo prägend, mit dem wir vor dem Beitritt in den Endspurt gingen. Als Dritte schlossen wir die Beitrittsverhandlungen ab, obwohl in den Jahren 1996-97 niemand geglaubt hatte, dass wir es überhaupt schaffen. Damals war ich als Stellvertretender Botschafter in Brüssel, kaum jemand wollte mit uns zu tun haben, weil unser Land einen schlechten Ruf hatte“, erinnert sich Šefčovič. Seiner Meinung nach ist die Union stolz darauf, dass sie unsere Entwicklung positiv beeinflusst hatte, dass wir unser Demokratiedefizit beseitigt und Strukturreformen eingeleitet haben, wir sind dem Schengen-Raum und als einziger Staat aus der Visegrad-Gruppe auch

der Eurozone beigetreten. „Wir haben beim Anstieg des BIP das beste Ergebnis unter den in den letzten zehn Jahren beigetretenen Staaten erreicht, uns umgibt das Fluidum eines berechenbaren europäischen Landes, wirtschaftlich wie auch politisch“, sagt Šefčovič. Unser Kommissar berichtet von professionell interessanten, aber sehr schwierigen Verhandlungen in den Zeiten der schwersten Krise in Europa, als die Kommission für die Rettung des Euro kämpfte, aber auch um die Unterstützung durch die Menschen in den dem Staatsbankrott nahen Ländern warb. Er selbst empfand dies am stärksten bei der Durchsetzung der umfangreichen Reform in der europäischen Verwaltung. Er hat eine Verringerung des Personalstands um fünf Prozent, das historisch erste Einfrieren der Mitarbeitergehälter für die Dauer von 5 Jahren, eine Erhöhung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und eine Anhebung des Renteneintrittsalters durchgesetzt. Dafür wurde er von Beamten und Gewerkschaftern geschmäht. „Obwohl mein Name ziemlich kompliziert ist, kennt mich garantiert jeder Brüsseler Gewerkschafter. Mir wurden damals Dutzende kritischer E-Mails und Karikaturen zuge-

schickt“, erinnert sich Šefčovič. Doch die langwierigen, schwierigen Verhandlungen haben sich ausgezahlt. „6 Milliarden Euro haben wir aus dem Verwaltungsbudget eingespart. Ohne diese Sparmaßnahme wäre wohl keine Einigung über das 7-Jahresbudget erzielt worden, denn es bestand die Forderung, Brüssel müsse ebenso sparen wie die einzelnen Mitgliedsländer“, sagt Šefčovič. Unser zweiter Eurokommissar in Brüssel ist in der Kommission gut angeschrieben und würde dies gern ausnutzen, um das einflussreichere Wirtschaftsressort zu erlangen. „Šefčovič hat für die Slowakei als Kommissar für Interinstitutionelle Beziehungen und Verwaltung den bisher bedeutendsten Posten im Rahmen der europäischen Institutionen eingenommen. Er hat zu einer weiteren Erhöhung unserer Vertrauenswürdigkeit und des Potentials der Europäischen Institutionen beigetragen, und die Slowakische Republik erwartet mit Recht nach den Wahlen zum Europaparlament und der Ernennung der neuen Kommission ein bedeutendes Portfolio. Das kann auch während der Vorbereitung auf unseren ersten Vorsitz in der EU im zweiten Halbjahr 2016 von großer Bedeutung sein“, meint Slyško

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